Das geheime Bewusstsein der Pflanzen - Joseph Scheppach - E-Book

Das geheime Bewusstsein der Pflanzen E-Book

Joseph Scheppach

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Beschreibung

Pflanzen haben mehr Sinne als wir Menschen. Sie haben Gefühle und empfinden Schmerzen. Sie können sehen, hören, riechen und haben ein Zeitempfinden. Immer mehr Forscher bescheinigen Pflanzen eine besondere Form der Intelligenz. Der Wissenschaftsjournalist Joseph Scheppach präsentiert sensationelle Erkenntnisse aus der Pflanzenwelt und erschließt uns ihr geheimes Leben.

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Joseph Scheppach

Das geheime Bewusstsein der Pflanzen

Botschaften aus einer unbekannten Welt

Knaur e-books

Über dieses Buch

Pflanzen haben mehr Sinne als wir Menschen. Sie haben Gefühle und empfinden Schmerzen. Sie können sehen, hören, riechen und haben ein Zeitempfinden. Immer mehr Forscher bescheinigen Pflanzen eine besondere Form der Intelligenz. Der Wissenschaftsjournalist Joseph Scheppach präsentiert sensationelle Erkenntnisse aus der Pflanzenwelt und erschließt uns ihr geheimes Leben.

Inhaltsübersicht

VorwortEinleitungDie Pflanze – Nur ein Bio-Roboter?Pflanzen haben mehr Sinne als der MenschDer technologische Big Bang der BiologieDenken Pflanzen mit Hilfe von Elektrosignalen?Sind Pflanzen in Wahrheit langsame Tiere?Pflanzen haben ein Selbst-BewusstseinDarf man zoologische Begriffe auf Pflanzen übertragen?Gesucht: Ein neuer Einstein1 Die Intelligenz der PflanzenzelleSpürt eine durchgeschnittene Kartoffel Schmerz?Können Proteine intelligent sein?Spricht die Zelle auch mit Licht?Die ganzheitliche Sicht der BiosemiotikerIst Schleim intelligent?Die Welt der kleinsten Teilchen2 Wie hoch ist der IQ einer Pflanze?Pflanzen haben ein GedächtnisPflanzen haben prophetische Begabungen»Die Pflanze bewegt sich ja wie ein Wurm!«Der »IQ-Meter« für die PflanzenintelligenzWie tickt die Pflanze?3 Menschen lieben Pflanzen – aber lieben Pflanzen Menschen?Können Pflanzen empathisch sein?Pflanzen lieben es, gestreichelt zu werdenBesserer Wein mit MozartTreibt Rockmusik Pflanzen zum Selbstmord?Macht Vogelgezwitscher Pflanzen glücklich?Reagieren Pflanzen auf liebevolle Worte?Vor Pflanzen zu tanzen macht sie fitter – und Sie auch!4 Pflanzen und ihre »Gesprächsthemen«Die unwiderstehlichen Verführungskünste der PflanzenDie Limabohne und der RaupenroboterDer Feind meiner Feinde ist mein FreundDas Waffenarsenal der TabakpflanzeWie »bewusst« setzen Pflanzen taktische Waffen ein?Pflanzen stärken ihr Immunsystem mit AspirinPflanzen helfen sich gegenseitig. Sind sie selbstloser als wir Menschen?Grüne Gentechnik verspricht eine pestizidfreie ZukunftProjekt Eden: Der neue Lauschangriff auf die Pflanzen5 Das Rätsel Wachstum2000-jähriger DornröschenschlafSchweben, Schießen, Hüpfen – Wie sich Samen fortbewegenJeder schlägt Wurzeln, aber jeder andersWachsen bis zum UmfallenWarum werden Bäume nie erwachsen?Warum schießen Triebe so schnell?Der Baum überwacht sich selbst mit SensorenÜberleben um jeden PreisVermehrung wie am FließbandInnerlichkeit – Die Triebfeder des Lebens6 Pflanzen sehen mit Milliarden AugenÄhneln Pflanzenaugen dem Auge des Menschen?Wie Pflanzen das Licht erkennen7 Pflanzen haben ein ZeitgefühlDie Blumenuhr – Ein farbenprächtiger ZeitmesserOb im dunklen Weinkeller oder im heißen Treibhaus: Die Pflanzenuhr tickt stets gleichMit den »Augen der Zeit« blicken Pflanzen in die ZukunftWer nicht blüht zur rechten Zeit … bleibt SingleDas millionenschwere Hormon FlorigenWie erkennt man Jahreszeiten, wenn es gar keine gibt?Warum entblättern sich Bäume im Herbst?Ein falscher Frühling kann tödlich seinFördern Mondrhythmen das Wachstum?8 Warum Pflanzen mit Tieren »Blutsbrüderschaft« schließenDer flotte Dreier – Baum, Ameise und PflanzenfresserAmeisen helfen Pflanzen bei VerdauungsstörungenDie bizarre Doppelnatur der FlechtenUntergrundsymbiosenGenaustausch über das Wood Wide WebPilze machen Pflanzen stärkerPilze töten Wurzeln – und den Baum freut’sAuch Blumen haben FußpilzWenn das »grüne Telefon« klingelt …K2 – Die geheime Triebkraft der Evolution9 Alle Menschen sind Gras!Nachts werden alle Pflanzen zu TierenDer dunkle Fleck, den selbst Forscher für ein Auge hielten10 Der mathematische Geheimcode der PflanzenIst Schönheit der Schlüssel zum Wachstum der Pflanzen?Kennen Bäume fraktale Regeln?11 Das Liebesleben der PflanzenDie Entdeckung des PflanzensexAuch bei der Pflanzensexualität muss die Chemie stimmenOhne Blümchensex gäbe es keine MenschenDer evolutionäre Sprint der BlumenDie Koevolution zwischen Blüten und BienenDoppelspiel mit Duft und FarbenDie lockende Wärme der BlütenKönnen Pflanzen frigide sein? Oder polygam?Blumen – Die beste Nahrung für die Seele12 Die grüne ApothekeAltes Heilwissen und moderne TechnikBeauty aus dem DschungelFlavonoide: Moleküle der Zukunft»Blaue Apotheke« OzeanDie neuen Bio-Piraten13 Können Pflanzen die Erde retten?Die Gänseblümchen von DaisyworldBakterien als TreibhausgasschluckerDas Wunder der Photosynthese: Energie aus SonnenlichtBlätter sind ComputerIst Klima nur Chemie?Der geheimnisvolle Lichtleitertrick des EdelweißDie Welt passt zu den Pflanzen und die Pflanzen zur WeltDie künstliche Photosynthese: Der Traum vom Schlaraffenland14 Die letzten Geheimnisse der WurzelnGrüne Passagiere fliegen mit RaketenDie Selbstheilungskräfte der WurzelWarum Wurzeln nicht graben müssenBesitzen Wurzeln soziale Intelligenz?Sind Pflanzen(-wurzeln) Alchemisten?Wurzeln – Ursymbol des Lebens15 Das kollektive Gedächtnis von Mensch und PflanzeGrün macht gesundHat der Bambus telepathische Fähigkeiten?Rückwärtssprünge in die EvolutionSpukhafte TeilchenKann die Zeit stillstehen?BildteilLiteraturhinweise
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Vorwort

Eine bestimmte Person pflanzt eine Blume, pflegt sie sorgfältig, und dennoch geht die Pflanze ein. Unter völlig identischen äußeren Pflegebedingungen aber kann sich dieselbe Blume bei einer anderen Person zu einer gesunden, kraftstrotzenden Pflanze entwickeln.« Diese Beobachtung des amerikanischen Pflanzenzüchters Luther Burbank (1849–1926) ist für Menschen mit dem »grünen Daumen« nichts Neues. Sie wussten schon immer, dass Zuwendung für Pflanzen mindestens so wichtig ist wie Dünger.

Die meisten Zeitgenossen halten das für blanken Unsinn. Wie kann eine Pflanze auf Liebe reagieren, wo sie doch zu den empfindungslosen Geschöpfen zählt?

In den letzten Jahren aber haben Wissenschaftler begonnen, die Flora mit anderen Augen zu sehen. Sie entdeckten, dass Pflanzen sehr wohl empfindungsfähige Wesen sind und auf ihre Umwelt viel sensibler reagieren, als man bislang angenommen hat.

Diese Vertreter der noch jungen Disziplin der Pflanzenneurobiologie sprechen aus, was man im wissenschaftlichen Establishment nicht einmal zu denken wagt: Pflanzen sind intelligent! Sie können lernen, sich erinnern und sogar planen. Ihre Denkweise unterscheidet sich zwar fundamental vom bewussten Denken des Menschen, doch verfügen Pflanzen über ein »zellulares Bewusstsein«, das sie befähigt, mit anderen Lebewesen komplexe Informationen auszutauschen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Wiener Biologe Raoul Francé für seine Vorstellung verlacht, Pflanzen besäßen alle Eigenschaften von Lebewesen und würden auch »äußerst heftige Reaktionen bei Misshandlungen und Dankbarkeit für Wohltaten« äußern.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich heraus, dass Hobbygärtner die wahre Natur der Pflanzen eher erkannt haben als die Forscher mit ihren Hightech-Instrumenten.

 

Joseph Scheppach

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Einleitung

Braucht das Mauerblümchen Liebe? Sind Pflanzen für Zuneigung dankbar? Ist eine Blume fähig, sich freudig der Gießkanne zuzuneigen – und kann ein Strauch vor der Gartenschere zurückweichen?

»Nichts in der Welt der Pflanzen klingt zu verrückt, um nicht wahr zu sein«, sagt Anthony Trewavas, Professor für Zell- und Molekularbiologie an der Universität von Edinburgh. »Pflanzen haben Fähigkeiten, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.« Der 70-jährige Schotte – Mitglied der Royal Society, der ältesten wissenschaftlichen Gesellschaft Großbritanniens – ist der Vordenker einer Avantgarde von Pflanzenphysiologen, Molekularbiologen, Ökologen und Agroforschern, die an den Grundfesten der Biologie rütteln. Sie sprechen aus, was viele ihrer Kollegen nicht zu denken wagen: Intelligenz, Gedächtnis, Lernvermögen bei Pflanzen. Sie berufen sich auf modernste Forschungen, bei denen in Pflanzen Eigenschaften entdeckt wurden, die eher an eine Phantasiewelt à la Tolkien denken lassen als an das Unkraut im Garten. Und so ordnet sich neuerdings eine wachsende Gruppe von Botanikern einer Zunft zu, die durch die Beobachtung von Graugänsen bekannt geworden ist: den Verhaltensforschern. Sie reden von »Partnersuche«, »Eifersucht« und »sozialer Intelligenz« ihrer grünen Forschungsobjekte.

Gibt es zwischen Ahorn und Adler, zwischen Klatschmohn und Kabeljau, zwischen Rose und Rhinozeros am Ende weit mehr Ähnlichkeiten, als das äußere Erscheinungsbild vermuten lässt?

Vom siebten Stock seines Instituts blickt Professor Trewavas auf die Pentland Hills. Die Hügel schwingen sanft wie grüne Wellen bis zum Horizont. »99 Prozent der Wesen, die Sie da sehen, sind Pflanzen. Und obwohl sie an ihren Standort gefesselt sind, haben sie jeden erdenklichen Lebensraum erobert.« Trewavas streicht sich durch sein zerzaustes weißes Haar und fährt fort: »Die Art und Weise, wie Pflanzen vorgehen, und den Erfolg, den sie dabei haben, zeigen, dass eine Menge Berechnungen in ihre aktuellen Entscheidungen eingehen. Andernfalls würden sie auf unserer Erde nicht so dominieren.«

Bislang waren es eher esoterisch angehauchte Laien, die über Grips und Gefühl bei Pflanzen räsonierten, oder anthroposophisch inspirierte Demeter-Landwirte und -Konsumenten, die ihrem biologisch-dynamisch gezogenen Gemüse besondere Kräfte zusprachen. Jetzt aber sagen auch Wissenschaftler: »Wir haben Pflanzen immer unterschätzt – und tun es heute noch.«

Zwar bewundern wir die Schönheit der Rose und die Aura einer mächtigen Eiche – doch im Grunde zählen für uns Pflanzen zu den primitiven Lebensformen. »Dumm wie Bohnenstroh«, sagt der Volksmund. Will man jemanden beleidigen, dann setzt man dessen Denkvermögen mit dem eines Kohlkopfes gleich. Und im Englischen werden Komapatienten gar als vegetables (Gemüse) bezeichnet.

Die Pflanze – Nur ein Bio-Roboter?

In der klassischen Lehre der Biologie ist jedes Gewächs ein fein austarierter Apparat. Stur folge er einem eingebauten genetischen Programm und reagiere auf den gleichen Reiz immer gleich. Eine Art Bio-Roboter im Blumentopf.

»Wenn man aber die vielen neuen Forschungsergebnisse berücksichtigt, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben, dann muss man Pflanzen in einem neuen Licht betrachten«, sagt Trewavas, der im Labor beobachtet hat, dass sich selbst Klone unter den gleichen Bedingungen unterschiedlich verhalten. Gewächse, die bis auf den letzten Buchstaben deckungsgleiches Erbgut aufweisen, reagieren bei derselben Temperatur und Feuchtigkeit ganz verschieden.

Es ist genau dieser Eigensinn, der für Trewavas Intelligenz darstellt. Denn durch die Eigenwilligkeit erlangt das vermeintlich tumbe Gewächs die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Es kann lernen, sich erinnern – und auch rechnen. Mit ihren zellulären Rechenkünsten lösen Ranken komplizierte geometrische Aufgaben. Sogar betriebswirtschaftliche Kalkulationen beherrscht die Pflanze. »Und selbst über die anspruchsvollste Intelligenzleistung verfügt sie«, sagt Trewavas, »sich eine Vorstellung von der Zukunft zu machen.«

Jüngsten Erkenntnissen zufolge haben Pflanzen im Grunde alle Eigenschaften eines intelligenten Tiers – nur sind Blumen und Bäume langsamer, bedächtiger und für unsere Ohren stumm. Es ist fast, als würden sie ein Leben in anderen Dimensionen führen.

Pflanzen haben mehr Sinne als der Mensch

Immer neue Fähigkeiten der Pflanzen werden entdeckt; so viele, dass Trewavas’ Mitstreiter, Professor Dieter Volkmann, sagt: »Pflanzen haben mehr Sinne, also Sensoren, als wir Menschen.« Nach mindestens 20 Faktoren checken sie ständig ihre Umgebung ab – und reagieren darauf. »Pflanzen«, so der Forscher vom Institut für Zelluläre und Molekulare Biologie der Universität, »können sehen, hören, sprechen, riechen, schmecken, fühlen und kommunizieren.«

Pflanzen sehen: Ihre gesamte grüne Oberfläche ist ein einziges gewaltiges Sehorgan. Ihre optischen Zellen nehmen mehr Wellenlängen wahr, als es unsere Augen vermögen. »Eine Kletterpflanze, die eine Stange braucht, bewegt sich auf die nächstbeste Stütze zu. Versetzt man diese Stütze, so ändert die Pflanze ihre Richtung innerhalb weniger Stunden dementsprechend. Kann sie den Pfahl ›sehen‹, oder ihn auf eine andere, noch unbekannte Weise wahrnehmen?«, fragen die Autoren Peter Tompkins und Christopher Bird. »Denn selbst wenn sie ihn – durch bestimmte Abschirmungen daran gehindert – nicht ›sehen‹ kann, wächst sie unbeirrt auf die verborgene Stütze zu und meidet die Richtungen, in denen sie auf keinerlei Halt treffen würde.«

Pflanzen hören: Jede ihrer Zellen hat eine Membran, empfindlicher als das menschliche Hörorgan. Musik, das zeigen jahrelange Feldforschungen, fördert ihre Gesundheit.

Pflanzen sprechen: Ihre Sprache sind Duftmoleküle, die das Blatt als Gas verlassen. So unterhalten sie sich untereinander – und können auch mit Tieren kommunizieren.

Pflanzen riechen: Sie nehmen Botenstoffe noch in geringsten Konzentrationen wahr, bei denen die besten Messinstrumente längst versagen.

Pflanzen schmecken: Ihre Wurzelspitze ist sensibler als jede Feinschmeckerzunge.

Pflanzen fühlen: Manche spüren noch das »Streicheln« mit einem nur 0,00025 Milligramm schweren Wollfädchen, das auf unserer Haut keine Empfindungen auslöst. Wilhelm Pfeffer (1845–1920), Mitbegründer der modernen Pflanzenphysiologie, hat diese Sensibilität bei der Haargurke (Sicyos angulatus) geprüft.

Pflanzen haben Sensoren, die uns fehlen. Sie haben sogar einen Sinn für Himmelsrichtungen: Die Kompasspflanze (Silphium lacinatum) dreht bei starker Besonnung ihre vertikal ausgerichteten Blätter in Nord-Süd-Richtung. Auch können sich Pflanzen an elektrischen und magnetischen Feldern orientieren, so wie Vögel.

Pflanzen haben einen Sinn für künftige Ereignisse und können zum Beispiel das Wetter voraussagen. Tomaten spüren atmosphärische Tiefs drei Tage im Voraus und verstärken ihre Außenhaut. Und Arbus precatorius, eine indische Krautpflanze, hat sich in wissenschaftlichen Experimenten als guter »Wetterprophet« für Stürme und Erdbeben erwiesen.

Pflanzen scheinen auch irgendwie Unwohlsein zu verspüren. Die Forscher selbst sprechen von »Pflanzenkopfschmerzen« und davon, dass Pflanzen zu hausgemachter Medizin greifen, einer Medizin, die wir aus unserer Hausapotheke kennen: Aspirin.

All diese Fähigkeiten waren immer da. Nur sind sie uns verborgen geblieben. Denn die neuen Erkenntnisse wurden erst in den letzten Jahren durch den Einsatz moderner Instrumente möglich.

Der technologische Big Bang der Biologie

Mit neuartigen Elektroenzephalogrammen (EEG) lassen sich elektrische Ströme aufzeichnen, die eine Billion Mal kleiner sind als jene einer Taschenlampenbatterie. So entdeckten die Forscher in Pflanzen elektrochemische Mechanismen, die denen in unserem Gehirn ähneln.

Moderne Gas-Chromatographen spüren flüchtige Pflanzenduftstoffe noch in einer Verdünnung auf, die so gering ist, als hätte man einen Fingerhut davon in einen Baggersee gekippt. Und obwohl diese Kommunikationsmoleküle erst seit weni-gen Jahren erforscht werden, haben sie eine phantastische Welt molekularen Quasselns erschlossen – mit grünen Plaudertauschen, schreienden Maispflanzen oder Tomaten, die Selbstgespräche führen.

Viele Durchbrüche gelangen erst, als die Ära der Gentechnik heraufdämmerte. Sie führte die Forscher auf die Spur genetisch beeinflusster biochemischer Synthesewege, etwa für die Blütenbildung, die Wahrnehmung von Licht. Die grünen Genforscher verfolgen ein ehrgeiziges Ziel: Nutzpflanzen so fit gegen Schädlinge zu machen, dass Äcker und Wiesen pestizidfrei bleiben können. Viele neue Erkenntnisse sind einem unscheinbaren Wildkraut zu verdanken, das in den Laboren heimisch geworden ist: die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana). Sie ist die erste Pflanze, deren komplette Bauanleitung entziffert ist – und hat eine steile Karriere als Modellorganismus hingelegt. An ihr werden gentechnische Kunststücke ausprobiert.

Den faszinierendsten und zugleich bedeutsamsten Blick ins Mysterium der Pflanzenwelt eröffnete eine Innovation, die als Big Bang der Biologie gilt: das molekulare Bildgebungsverfahren. Diese Technik ermöglicht erstmals »Live-Kino« – mit bewegten Bildern aus intakten Zellen! Dynamische Prozesse werden jetzt als Film zugänglich. Bisher musste man sich mit toten Objekten und statischen In-vitro-Bildern begnügen. Mit dem Kameramikroskop ist der Sprung in eine höhere Dimension gelungen – der Durchbruch in die vierte Dimension: die Zeit. Jetzt entblößt sich das hochdynamische Regelnetzwerk einer Zelle, wo ständig Enzyme aktiviert, Proteine gebildet, Erbanlagen abgelesen werden – und die Forscher schauen wie in einer Peep-Show zu.

Wohin sie ihren Blick auch richten, immer stoßen sie auf Erkenntnisse, die mit der konventionellen Denkweise nicht mehr bewältigt werden können. Eine neue Forschungsplattform war längst überfällig, als im Jahr 2005 der Bonner Molekularbiologe Frantisek Baluska zusammen mit Anthony Trewavas und anderen Kollegen aus Europa, Amerika und Asien eine neue Disziplin begründete: die Pflanzenneurobiologie. Neurobiologie? Schon in diesem Wort steckt Potenzial für Missverständnisse – und auch eine Überraschung: »Neuro«, dieses Wort für die Nervenzellen von Mensch und Tier (Neuronen), wurde ursprünglich dem Pflanzenreich entlehnt und meint »Faser«. Heißt das, Pflanzen haben Nerven?

Denken Pflanzen mit Hilfe von Elektrosignalen?

»Pflanzen«, macht Forscher Volkmann klar, »haben keine Nerven in dem Sinn, wie sie der Mensch hat. Aber es gibt eine ganze Reihe durchaus vergleichbarer Strukturen.« Lange bereits ist bekannt, dass es bei Pflanzen neben den gut erforschten chemischen Botenstoffen auch elektrische Aktionspotenziale gibt: wechselnde elektrische Spannungen, die der Informationsübertragung dienen – ähnlich wie in den Nerven der Tiere und Menschen. »Menschen gebrauchen elektrische Aktionspotenziale, um Botschaften – zum Beispiel ›Schmerz‹ – weiterzuleiten. Vergleichbar damit«, so Professor Trewavas, »können Strompotenziale der Pflanze ›Verletzung‹ signalisieren.« Der Biologe führt den Vergleich weiter: Auch für Lernvorgänge und für Gedächtnisleistungen sind die molekularen Grundlagen von Pflanze und Tier sehr ähnlich. Wenn Tiere vor Gefahr zurückschrecken, erhöht sich in Sekundenbruchteilen Geschwindigkeit und Menge der elektrischen Signale. Dies löst eine Kaskade weiterer Reaktionen aus, und das Tier weicht zurück. Eine stete Gefahr führt zu ständig erhöhter elektrischer Spannung, und auf diese Art »lernt« das Tier erhöhte Alarmbereitschaft.

Wenn eine Pflanze Wassermangel spürt, veranlassen dieselben elektrischen Signale in gleichen Kommunikationskanälen sie dazu, ihren Wasserhaushalt einzuschränken und zum Beispiel ihre Spaltöffnungen in den Blättern zu schließen, so dass möglichst wenig Wasser verdunstet. Hält der Wassermangel an, bildet die Pflanze mit der Zeit weniger Blätter und mehr Wurzeln. »Auch eine Pflanze lernt. Sie lernt durch Versuch und Irrtum, wann genug Veränderung erreicht ist, um Stress und Verletzung zu minimieren«, sagt Trewavas.

Weil Pflanzen im Gegensatz zu Tieren keine spezialisierten Nervenfasern besitzen, in denen die elektrischen Signale weitergeleitet werden, suchten die Forscher jahrzehntelang nach dem Reizleitungssystem.

Generationen von Botanikern hat insbesondere das faszinierende tierähnliche Verhalten von Mimosen in Atem gehalten. Werden ihre Sinneshaare gereizt, breitet sich ähnlich wie bei tierischen Nervenzellen eine elektrische Spannungsänderung über das gesamte Blatt aus: mit einer Geschwindigkeit von rund drei Zentimetern pro Sekunde. Das ist schneller als die Erregungsleitung im Nervensystem einfacher Tiere, etwa bei Teichmuscheln. Bei ihnen kommt die Erregung einen Zentimeter pro Sekunde voran.

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermutete der Bonner Biologe Heinz Welten (1876–1933), dass Plasmafäserchen, die von Zelle zu Zelle reichen, als pflanzliche Nervenbahnen fungieren. Jüngste elektrophysiologische Messungen des Zellularbiologen Baluska bestätigen: »Im Stengel und in den Wurzeln einer Pflanze stehen die Zellen röhrenförmig und geordnet übereinander. Sie sind stabil, und sie verlaufen immer in eine Richtung, von oben nach unten oder von links nach rechts. Das ist nicht so ein Durcheinander wie in tierischem oder menschlichem Gewebe. Darüber hat man bisher nicht viel nachgedacht.«

Elektrophysiologische Signale laufen entlang den Leitungsbahnen für Wasser (Xylem) und Nährstoffe (Phloem). Die einzige Spezialisierung der Leitbündel ist eine Lage toter Zellen um sie herum, ähnlich der Isolierung um ein Kabel. Sie sorgt dafür, dass die Signale nicht in anderes Gewebe eindringen und verschwinden. »Diese Signalübertragung ist um den Faktor 1000 langsamer als bei Nerven«, sagt Balsuka. Doch es werden zuweilen lange Strecken zurückgelegt; bei der Sonnenblume 30 Zentimeter und mehr, was rund 1000 Zellen entspricht.

Jüngst stießen Professor Massimo Maffei von der Universität Turin und Professor Wilhelm Boland vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena auf etwas völlig Unerwartetes: spezifische elektrische Felder und wechselnde Spannungen im Blatt. Als die Forscher eine Raupe des Ägyptischen Baumwollwurms (Spodoptera littoralis) auf eine Limabohne (Phaseolus lunatus) setzten, änderte sich auf der Blattoberfläche innerhalb von Sekunden und deutlich messbar die elektrische Spannung. Das normale zelluläre elektrische Aktionspotenzial wurde fast auf die Hälfte heruntergesetzt: von –130 auf etwa –90 Millivolt. Diese Depolarisation setzte sich mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Zentimeter pro Sekunde über das ganze Blatt hinweg fort. »Schon in den ersten Sekunden, nachdem das Blatt verletzt worden ist, ist dieses Alarmsignal durch die ganze Pflanze gelaufen – von einem Ende bis zum anderen«, erklärt Boland. »Im Effekt erreicht das Signal das Gleiche, was das Nervensystem tut.« Denn elektrische Spannungen über biologischen Membranen sind ein wichtiges und messbares Merkmal für jede lebende Zelle, sei sie nun menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Ursprungs. Somit dienen Plasmamembranen auch als Sensor und Vermittler für äußere Signale, damit jede Zelle und am Ende ganze Gewebe schnell und effizient auf Änderungen in ihrer Umgebung reagieren können – so wie bei der Limabohne.

Das Bemerkenswerteste dabei: Die Spannungsänderung warnt zudem die noch nicht betroffenen Pflanzenzellen vor der nahenden Raupe. Diese Zellen können dann vorbeugend Abwehrstoffe produzieren. Sollte sich dieser Reaktionszyklus bestätigen, hätte man etwas schier Unglaubliches bei der Pflanze entdeckt: ein Nerven- und ein Immunsystem in einem!

Seit der Entdeckung der Membransensoren sprechen die Pflanzenneurobiologen auch von Neurotransmittern und Synapsen. Wie kann das sein? In unserem Gehirn koppelt, verstärkt und reguliert eine Flut chemischer Botschaften, Neurotransmitter genannt, die Signale. Ist das bei Pflanzen ebenso? »Fast alle bekannten Neurotransmitter hat man auch in Pflanzen gefunden«, sagt Baluska. Darunter Acetylcholin, das im menschlichen Gehirn für die Verarbeitung von Gedächtnisspuren sorgt.

In unserem Gehirn überspringen die Signale mit Hilfe von Neurotransmittern die Lücke zwischen den Zellen: den synaptischen Spalt. Und bei Pflanzen? Der Begriff Synapse – 1897 vom britischen Nobelpreisträger Charles Sherrington geprägt – bezeichnet ursprünglich die Kontaktstellen zwischen den Neuronen. »Doch es gibt«, sagt Baluska, »noch eine weitere Definition von Synapsen. Sie sind die Zellkontakte, über die Zellen miteinander kommunizieren.« Dies würde direkte Synapsentransmission überflüssig machen.

Als »indirekte« Transmitter könnten jene Vesikel elektrische Antworten in benachbarten Zellen auslösen, die Baluska entdeckt hat: mikroskopisch kleine »Bläschen in den pflanzlichen Zellmembranen. Sie sind extrem mit dem Pflanzenhormon Auxin angereichert und könnten nach einigen Sekunden elektrische Signale weiterreichen.«

Gleichzeitig kommunizieren die Zellen innerhalb des Gewebes mit Botenstoffen. Diese Moleküle schwimmen in den feinen Äderchen der Gewächse, driften mit dem Körpersaft in alle Regionen. Zudem produzieren Pflanzen viele Substanzen, die Nervenzellen direkt beeinflussen können – wir kennen sie als Drogen wie Cannabis, Nikotin, Koffein. Bislang glaubte man, diese chemischen Moleküle dienten vor allem zur Abwehr von Schädlingen. Neuere Untersuchungen indes zeigen, dass sie auch für die Regulierung wichtiger Prozesse innerhalb der Pflanze eine Rolle spielen.

»Pflanzenkommunikation ist ebenso komplex wie die in einem Gehirn ablaufende«, meint Professor Trewavas. »Gehirnsignale benutzen meist kleine Moleküle, während bei Pflanzensignalen große, komplizierte Moleküle wie Eiweiße im Spiel sind. Große Moleküle können große Informationsmengen übertragen, was bedeutet, dass bei der Pflanzenkommunikation Spielraum für enorme Komplexität besteht.«

Sind Pflanzen in Wahrheit langsame Tiere?

Pflanzenneurobiologen sind der einhelligen Meinung, dass es kaum Unterschiede zwischen der Tier- und der Pflanzenwelt gebe. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hielt der berühmte Biologe Thomas Henry Huxley (1825–1895) die Pflanze für »ein im Holzkasten eingesperrtes Tier«. Und 1924 fragte der Biologe und Naturphilosoph Raoul Heinrich Francé (1874–1943): »Ist die Pflanze ein verwandeltes Tier?« Heute sinniert der amerikanische Pflanzenphysiologe Jack C. Schultz im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature: »Vielleicht sind Pflanzen, wenn man ihre Wahrnehmung, ihre Signalverarbeitung und ihr biochemisches Verhalten betrachtet, in Wirklichkeit einfach sehr langsame Tiere.«

Den Anstoß für solche Überlegungen gab kein Geringerer als der Urbiologe Charles Darwin (1809–1882). »Es ist kaum übertrieben zu sagen«, schrieb er im Jahr 1880, »dass die Wurzelspitze, ausgestattet … mit der Kraft, die Bewegung angrenzender Bereiche zu lenken, wie ein Gehirn eines niederen Tieres arbeitet; dieses Gehirn sitzt am vorderen Ende des Körpers, es empfängt Eindrücke von den Sinnesorganen und dirigiert verschiedene Bewegungen.« Heute gehen die Pflanzenneurobiologen sogar noch einen Schritt weiter und sagen, dass er untertrieben hat!

Jahrelang widmete sich Zellularbiologe Baluska dem molekular-physiologischen Studium der Übergangszone in Wurzeln – und entdeckte Verblüffendes: neuronale Strukturen. »Auffallend viele, elektrophysiologisch besonders aktive Sinneszellen befinden sich nahe der Wurzelspitze. Die Zellen dort oszillieren in synchronen Phasen – ähnlich wie menschliche oder tierische Neuronen. Gleich anschließend in der äußersten Spitze findet sich eine Zone, deren Zellen sich weder teilen noch strecken – das ist ungewöhnlich. Diese Zellen aber sind elektrophysiologisch hyperaktiv!«

Pflanzen haben ein Selbst-Bewusstsein

Gibt es womöglich ein Pflanzengehirn? »Natürlich suchen wir nicht nach einem kleinen, walnussförmigen Gebilde, so wie wir Menschen es haben«, lacht Baluska. »Aber das brauchen die Pflanzen auch nicht. Das Gehirn ist im ganzen Organismus. Die Pflanze als Ganzes ist das Gehirn.«

Pflanzen reagieren als Gesamtorganismus auf Umweltreize und nicht – wie man bisher dachte – nur in einzelnen Bereichen, von denen der eine nicht weiß, was der andere tut. »Das ganze System weiß von sich, wie groß es ist, ob es genügend Wasser hat, in welcher Umgebung es lebt«, erklärt Baluska. »Die Pflanzenintelligenz ist eine Eigenschaft, die aus der kollektiven Interaktion zwischen verschiedenen Geweben einer wachsenden, individuellen Pflanze resultiert.« Die Struktur des gesamten Systems koordiniert das Verhalten der einzelnen Teile.

Pflanzen, so Baluska, »haben einen diffusen Kommandobereich, der Reize von außen wahrnimmt, darauf reagiert und sich immer wieder auf Neues einstellt«. Dieses dezentrale Nervensystem ermöglicht den Pflanzen die simultane Kommunikation mit Pilzen, Bakterien und Mikroorganismen im Wurzelbereich. Als Verständigungssignale dienen Dutzende unterschiedlicher chemischer Stoffe.

Pflanzen sind zwar sesshafte Organismen, bemühen sich aber aktiv um Rohstoffe, die sie zum Leben brauchen – über und unter der Erde im Wurzelbereich. »Sie nehmen die Menge verfügbarer Stoffe aktiv wahr, schätzen ab, wie viel Energie sie für bestimmte Wachstumsziele brauchen, und realisieren die jeweils optimale Variante«, erklärt der Salzburger Biologe Günther Witzany. »Pflanzen nehmen sich selbst wahr. Das heißt, sie können zwischen Selbst und Nicht-Selbst unterscheiden.«

Baluska glaubt, dass Bereiche nahe den Wurzelspitzen für die Intelligenzleistungen eine ganz besondere Rolle spielen. Auf dem Bildschirm seines Computers zeigt er eine nur vier Monate alte Roggenpflanze. Ihr riesiges Wurzelwerk umfasst eine Oberfläche von rund 1000 Quadratmetern. Geschätzte Zahl der Wurzeln: 13 Millionen. Gesamtlänge: rund 600 Kilometer. Zählt man die circa 14 Milliarden Wurzelhärchen dazu, dann ergibt sich aneinandergereiht eine Länge von 10 600 Kilometern – das ist die Entfernung von Pol zu Pol.

Jeder einzelne der Myriaden von Wurzelzweigen verfügt über eine Zone, die gehirnähnliche Funktionen wahrnimmt. Alle zusammen bilden das Kommunikationszentrum der Pflanze. Ein unterirdisches neuronales Netz, so groß wie das World Wide Web. Ein wahres »Wood Wide Web«.

Darf man zoologische Begriffe auf Pflanzen übertragen?

All diese Entdeckungen werden von vielen Biologen als grandiose Leistung gefeiert – von anderen aber argwöhnisch beobachtet. Zu den lautstärksten Gegnern der Ansichten der »grünen« Biologen zählt David Robinson vom Heidelberger Institut für Pflanzenwissenschaften. Ihm gelang es, 32 Kollegen zusammenzutrommeln, die in einem gemeinsamen Brief im Fachblatt Trends in Plant Biology die Pflanzenneurobiologen dafür kritisieren, dass sie zoologische Begrifflichkeiten auf die Botanik übertragen. Die Forscher räumen zwar ein, dass es zwischen Tier- und Pflanzenreich auf molekularer Ebene Parallelen gebe und mögliche Hinweise auf pflanzliche Substanzen existierten, die wie Neurotransmitter wirkten. Auch würden Signale über größere Entfernungen versendet und empfangen, aber, so die Botaniker weiter: »Bei Pflanzen gibt es auf keinen Fall vergleichbare Strukturen auf der Ebene der Zellen, der Gewebe oder der Organe.«

Gesucht: Ein neuer Einstein

Die Pflanzenneurobiologie schlägt in der Geschichte der Biologie ein neues Blatt auf. Statt sich auf die chemophysikalischen Erklärungen zu beschränken, benutzen heute zahlreiche Biologen Begriffe aus der Soziologie, Psychologie und Philosophie: Kommunikation, Intelligenz, Erkenntnis, Bewusstsein, ja sogar Seele. »Die ungeheure Kluft zwischen dem Chemophysikalischen und dem Lebendigen verringert sich«, schrieb der berühmte Biophysiker Henri Atlan schon in den 80er Jahren. Er brachte das neue Paradigma gleichsam sinnbildlich zur Sprache, als er zwischen der »vegetativen Seele« der Pflanzen und der »intelligenten Seele« des Menschen unterschied.

Die Biologie, meint der Biologe und Philosoph Andreas Weber, befinde sich in einer ähnlichen Situation wie die Physik vor rund 100 Jahren. Ähnlich wie diese damals ihre Vorstellungen von der Materie über Bord warf, verändert heute die Biologie radikal die Auffassung, die sie von den grünen Geschöpfen hat. Verglichen mit dem konventionellen Bild, ist die neue Biologie das, was die Quantentheorie für die Physik Newtons war. In der Physik bedurfte es Anfang des 20. Jahrhunderts eines Albert Einstein, der erkannte, dass sich Newtons Gesetze der Mechanik nicht auf das Verhalten von Licht anwenden ließen.

So wie Einstein Raum und Zeit in einer Theorie verband, müsste der »Einstein der Biologie« des dritten Jahrtausends die Eigenschaften von Pflanzen und Tieren in einem Werk zusammenführen – mit dem sich am Ende sogar die komplizierteste aller Fragen beantworten ließe: Was ist Bewusstsein?

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1Die Intelligenz der Pflanzenzelle

Über 30 Jahre lang wurden die Forschungsergebnisse der amerikanischen Botanikerin und Genetikerin Barbara McClintock (1902–1992) nicht anerkannt. 1983 erhielt sie für ihre Erkenntnisse den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin und forderte in ihrer Rede die Kollegen auf, sogar »einzelne Zellen daraufhin zu untersuchen, wie diese ihr Wissen in einer durchdachten Weise sinnvoll einsetzen«. Damals war das eine exotische Position. Heute zeigt die Zellbiologie, dass sich die Kommunikation zwischen Zellen bei Pflanzen und Tieren nicht grundsätzlich unterscheidet – und dass sie viele Eigenschaften mit neuronalen Netzwerken gemeinsam hat. Diese Eigenschaften bezeichnen die Pflanzenneurobiologen als »zelluläre Intelligenz« beziehungsweise »zelluläres Lernen« und »zelluläres Gedächtnis«. Und weil Lernen Absichten voraussetzt, also ein Bewusstsein, sprechen einige Wissenschaftler auch von »zellulärem Bewusstsein«.

Dass eine Pflanzenzelle intelligent sein soll (und natürlich auch eine Muskelzelle), ist auf den ersten Blick gewiss eine abstruse Vorstellung: Intelligenz wird einem Menschen, allenfalls noch einem Schimpansen oder Gorilla zugeschrieben, nicht aber niederen Lebewesen und schon gar nicht einer einzelnen Zelle. Doch neuere Forschungsresultate erfordern eine völlig neue Beurteilung: Leben besteht auf allen Ebenen – von den Genen über Zellen bis hin zu lernenden und sich erinnernden Pflanzen – aus Kommunikation, aus Beziehungen, aus miteinander Agieren.

Dabei bedienen sich auch Organismen einer ausgeklügelten Sprache, um Botschaften zu senden und zu empfangen. »Sprache« gibt es nicht erst beim Menschen, sondern in der gesamten belebten Natur – wenn man den Begriff nicht auf Gesprochenes oder Geschriebenes einengt, sondern jegliche Art von Verständigungsmittel gelten lässt.

Der Molekulargenetiker Marcello Buiatti von der Universität Florenz erklärt das so: Eine Teetasse besteht aus Teilchen. Der menschliche, tierische und pflanzliche Körper besteht ebenfalls aus Teilchen. Der große Unterschied ist, dass die Teilchen der Teetasse sehr wenig miteinander kommunizieren, ganz im Gegensatz zu Menschen, Tieren oder Pflanzen. Ihre Körper bestehen aus vielen Zellen, und jede dieser Zellen ist eine Meisterin der Kommunikation. »Zellen flüstern, reden, schwatzen – mit Hilfe von chemischen Botenstoffen oder auch mit elektrischen Potenzialen«, schreibt die Biologin Florianne Köchlin. »Alle Zellen, alle Gene und Moleküle sind in ein dynamisches Beziehungsgeflecht eingebunden, sie agieren und reagieren ständig miteinander.«

Jede Zelle gebraucht dabei ihr eigenes Set an Kommunikationsmöglichkeiten. Eine Muskelzelle kommuniziert anders als eine Fettzelle – und eine Wurzelzelle anders als eine Blattzelle.

Spürt eine durchgeschnittene Kartoffel Schmerz?

Die Entwicklungsbiologin und Journalistin Claire Ainsworth vergleicht die Situation in einem vielzelligen Lebewesen mit der in einer gedrängt vollen und lauten Bar: »In diesem ohrenbetäubenden Lärm ist es nötig, dass ein Mensch die Fähigkeit hat, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Auch eine Zelle kann das: Sie reagiert auf manche Signale, auf andere nicht.«

Ainsworth führt die Metapher mit der Bar fort: Jemand brüllt von weit weg, dass er noch ein Bier möchte. In unserem Körper sind die Signale für »Ferngespräche« meistens Botenstoffe, die ins Blut abgegeben werden, mit dem Blut in entfernte Regionen des Körpers gelangen und dort ihre Botschaften übermitteln. »So funktionieren beispielsweise die Östrogene und das Testosteron, die im Gehirn ausgeschüttet werden und in den Geschlechtsorganen ihre Wirkung entfalten«, erklärt Biologin Koechlin. Auch in einer Pflanze sind die Signale für »Ferngespräche« meistens Botenstoffe. Sie zirkulieren in den Nährstoffkanälen – etwa zwischen dem »neuronalen Wurzelstock« und dem Blatt.

In der Bar flüstert einem die Nachbarin ins Ohr, dass sie noch ein Glas Wein möchte. Auch Zellen können flüstern. Botenstoffe für »Nahgespräche« sind etwa Wachstumshormone, die beim Menschen für die Wundheilung wichtig sind. Und was passiert, wenn man eine rohe Kartoffel zerteilt? An der Schnittstelle bildet sich eine neue Haut. Ein Wundverschluss, wie wir ihn auch von uns selbst kennen, wenn wir uns aufgeschürft haben. »Jede Pflanze, die man abhackt, schließt ihre Verwundung ab«, sagt Professor Volkmann und fügt rasch hinzu: »Das bedeutet allerdings nicht, dass die Pflanze Schmerz empfindet wie wir. Schmerzrezeptoren haben wir bei Pflanzen noch nicht entdeckt.«

Man mag in der Bar zu sich selbst sagen, dass man eigentlich noch seine Frau anrufen wollte. Auch Zellen führen Selbstgespräche. Wenn Zellen des menschlichen Immunsystems, sogenannte T-Zellen, körperfremden Eiweißstoffen begegnen, geben sie sich selbst das Signal, sich vermehrt zu teilen. In kürzester Zeit entsteht eine ganze Schar neuer T-Zellen zur Abwehr der fremden Eiweiße. Und auch Pflanzen haben ein Immunsystem. Erhalten sie beispielsweise Warnduftstoffe von einer von einem Virus befallenen Nachbarpflanze, geben sich die Zellen selbst das Signal, das Immunsystem anzuwerfen.

Vermutlich wird in der Bar nicht nur Deutsch gesprochen. Eine normale Zelle verwendet ebenfalls eine Vielzahl verschiedenster »Sprachen«: Proteine (Eiweiße), Enzyme, Ionen (elektrisch geladene Teilchen) und Aminosäuren.

Was fängt eine Zelle mit der Fülle an Signalen und Reizen an, wie reagiert sie? Die Kommunikation mit einer Zelle läuft folgendermaßen: Ein Proteinbotenstoff gelangt zur Zelle und wird dort vom Empfangsprotein (Rezeptor) an der Zellmembran in Empfang genommen. Dieses faltet bei der Begegnung seine Struktur neu. Die neue Struktur ist wie ein Schlüssel, der ins Schloss (Rezeptor) passt – oder auch nicht. In der Regel passt er. Das Protein hat aus einer schier unendlich großen Menge an Möglichkeiten, sich neu zu falten, innerhalb einer zehntel Mikrosekunde genau die richtige Struktur gewählt. Dieselbe Aufgabe benötigt bei einer Computersimulation 30 Jahre.

Passt das Protein, gibt das Empfangsprotein die Meldung an ein bestimmtes Protein innerhalb der Zellmembran weiter. »Dieses informiert viele weitere Botenstoffproteine und initiiert damit eine Kaskade von Protein-Interaktionen, vergleichbar mit einem immer breiter werdenden Wasserfall. Irgendwann werden auch diejenigen Proteine aktiviert, die für die Kontrolle der Gene verantwortlich sind«, erklärt die Biologin Koechlin. »In der Folge schalten sogenannte Transkriptionsfaktoren bestimmte Gene an und andere ab. Das wiederum führt zur Herstellung neuer Proteine, die das Verhalten der Zelle verändern. Die Zelle leitet neue Stoffwechselvorgänge ein, beginnt sich zu teilen oder stirbt ab. Der Botenstoff hat eine Reaktion ausgelöst.«

Können Proteine intelligent sein?

Nun empfängt die Zelle nicht nur ein einziges Signal, sondern gleichzeitig Dutzende oder Hunderte davon, und auf alle muss sie adäquat antworten. Das ist eine so unfassbar komplexe Leistung einer Zelle, dass einige Forscher auch jene Stoffe für intelligent halten, aus denen die Zellen zum größten Teil bestehen: die Proteine. Sie sind die »Arbeitstiere« der Zellen und jagen – beladen mit biochemischem Informationsgepäck – wie E-Mails durchs Netz. Sogenannte Strukturproteine bilden das Meldesystem, vergleichbar mit Kabeln oder Modems. Es ist ein Netz winziger Kanäle für die Nachrichtenübermittlung sowohl innerhalb der Zellen als auch zwischen den Zellen.

»Proteine sind intelligente Wesen«, schreibt der Biochemiker Christopher Miller in der Fachzeitschrift Nature. »Sie haben sich entwickelt, um in den turbulenten Stoffwechselströmen der Zelle zu operieren. Die Transkriptionsfaktoren müssen wissen, wann Gene angeregt oder ›ausgeschaltet‹ werden sollen, und die zelleigenen ›Signalmoleküle‹ geben ihnen entsprechende Information. Ebenso müssen Enzyme an wichtigen biochemischen Kontrollpunkten ihr Tempo steigern oder verlangsamen, je nach den sich dauern verändernden, verschlüsselten Bedürfnissen des – ja, des Lebens.«

Für die wichtigste Funktion der Proteine hält der Schweizer Chemieprofessor Thomas Ward »das ›Erkennen‹. Sie erkennen zum Beispiel Gen-Abschnitte, Viren, oder andere Proteine. Auf der Grundlage dieses ›Erkennens‹ ergreifen sie dann geeignete Maßnahmen. Wenn Sie all das unter ›Wissensfähigkeit‹ verstehen, dann, würde ich sagen, besitzen Proteine unleugbare Wissensfähigkeit.«

Spricht die Zelle auch mit Licht?

Das Wort Intelligenz stammt vom lateinischen interlegere ab, also »wählen zwischen«. Eine Zelle kann genau dies: Sie wählt zwischen verschiedenen Optionen. Sie empfängt Informationen und interpretiert sie. Sie antwortet darauf offenbar nicht immer auf die gleiche Weise, sondern differenziert je nach Situation. Sie kann sich flexibel an ihre Zellumgebung anpassen. Dabei ist die Zellhülle (Plasmamembran) so etwas wie ein Computer. An dieser Membran lagern Signalproteine dicht gedrängt aneinander. Dort werden die Signale integriert und miteinander verrechnet. Dort werden Entscheidungen getroffen.

In der quirligen »Bar« namens Zelle gilt nicht nur das gesprochene Wort. Es wird nicht nur chemisch kommuniziert, sondern offenbar mit Licht, das die Zelle selbst erzeugt! Dieses Leuchten ist heftig umstritten: Einige Wissenschaftler deuten die sogenannten Biophotonen als unbedeutendes »Rauschen« des Stoffwechsels; andere interpretieren sie als Mittel der zellinternen Kommunikation. Denn die Gebilde schwingen kohärenter als jeder technische Laser. Dieses Gleichmaß sollen bestimmte elektromagnetische Felder aufbauen. Die Feldlinien sind gleichsam die Platzanweiser für die über 10 000 chemischen Reaktionen in der Zelle. Sie »sagen«, wann und wo sich die Moleküle einzufinden haben. »Die Lichtsignale steuern das Zusammenwirken der Hormone, Enzyme und eine Vielzahl anderer Funktionen«, sagt Biophysiker Fritz Popp vom Internationalen Institut für Biophysik (IIB) in Neuss. Der wohl profilierteste Forscher des Wissenschaftszweiges Biophotonik dringt mit einem Restlichtverstärker in das Innerste von Zellen. Mit diesem Photomultiplier könnte man noch eine Kerzenflamme in 20 Kilometer Entfernung flackern sehen. Diese Sehschärfe ist auch nötig, denn die Intensität der zellulären UV-Lichtemission ist so unvorstellbar gering, dass schon ein bescheidenes Taschenlämpchen 100 000 Milliarden Mal heller strahlt. Was man mit dem hochempfindlichen Photoauge sehen kann, erlebte der kanadische Biophysiker Ken Muldrew, als er Baumblätter zerriss: »die Abstrahlung Zehntausender Photonen, einen wahren Lichtausbruch. Wenn man ein Blatt zerreißt, schreit es«, sagt der Forscher. »Nur dass man den Schrei nicht hören, sondern sehen kann.«

Die ganzheitliche Sicht der Biosemiotiker

Neben Materie und Energie postulierte der Kybernetiker Norbert Wiener noch eine dritte Entität des Universums, die Information: »Information ist Information, nicht Materie oder Energie.« Die Erforschung der komplexen Informationsnetzwerke in der Natur ist durch die biologischen Spezialwissenschaften selbst nicht mehr zu leisten. »Nötig«, so Molekularbiologe Frantisek Baluska, »sind neue, interdisziplinäre und holistische Forschungsansätze; ein enges Zusammengehen von Zellbiologie, Elektrophysiologie und Ökologie.«

Die Biosemiotik als relativ neues Fachgebiet bezieht diese Phänomene ein. Sie untersucht, wie lebende Systeme interagieren. Wie kommunizieren sie miteinander? Wie treten sie mit ihrer Umgebung in Verbindung – und wie werden Informationen ausgetauscht? »Lebende Systeme reagieren nicht mechanisch auf physikalische Ursachen, sondern antworten auf Zeichen, die sie selbst kodieren«, sagt der Salzburger Biosemiotiker Günther Witzany.

»Wenn wir von Kommunikation reden, dann ist das nicht metaphorisch gemeint«, erklärt der Philosoph. »Denn wenn nichtmenschliche Lebewesen miteinander aktiv kommunizieren, schließt das auch Interpretationsprozesse ein.«

So können etwa Wurzelzellen genau differenzieren, ob ein chemisches Molekül als Botschaft von anderen Pflanzen dienen soll, zum Beispiel von Bakterien oder Pilzen, oder nicht. Wurzeln können also zwischen Signalen unterscheiden und beurteilen, welche entscheidend sind (Entscheidungsvermögen und Gedächtnis); auch verändern sie ihr Wachstum durch Antworten auf Signale (Verhaltenskontrolle); und beherrschen Multitasking, indem sie verschiedene Signale simultan spüren (Sinneswahrnehmung und -verflechtung). »Deshalb«, so Anthony Trewavas, »ist Darwins Gehirnmetapher richtig.«

Weil derart komplexe Prozesse nicht zufällig ablaufen, sondern nach einem strukturierten Kommunikationsmuster, ist die Rückkopplung (Umgebung – Sensorik – Signal – Aktion – Umgebung) wieder mehr ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt – ein Verdienst der Pflanzenneurobiologen.

Doch die Erforschung dieser Interaktionen steht noch ganz am Anfang, so wie die Gentechnik Anfang der 50er Jahre. Damals, bei der Entdeckung des Gencodes, glaubten viele Wissenschaftler, dass die Gene das Programm des Lebens enthielten. Aber: »Es gibt kein ›Programm des Lebens‹, das in den Genen läge«, schreibt Richard Strohmann, emeritierter Professor der Molekularbiologie von der University of Berkeley, Kalifornien. »Die Zelle als dynamisches Netzwerk aus Proteinen, Genen und vielen andern Molekülen hat ein Leben für sich selbst. Es folgt Regeln, die nicht in den Genen festgeschrieben sind.«

Damit formuliert die neue Biologie auch eine grundlegende Kritik an Darwins Lehren. Ihr zufolge haben zufällige Mutationen zur Entstehung der Arten und letztlich des Menschen geführt. Immer mehr Fachleute erkennen in Darwins Erklärungsmodell einen starren Dogmatismus, der für die Erklärung des Lebens nicht ausreicht.

Die Entdeckung der Dynamik, die in Lebewesen steckt, ist neuartigen optischen Geräten (konfokale Mikroskopie) zu verdanken. Mit ihnen können die Forscher erstmals am lebenden Objekt mitverfolgen, wie Zellen sich fortbewegen oder wie Proteine in der Zelle herumwandern. Dabei haben Komplexitätsforscher eine Vielzahl von Prozessen entdeckt, die keiner Steuerung durch die Gene unterliegen und so erst gar nicht als »fit« selektiert oder als »untauglich« verworfen werden können.

So entspricht etwa die Anordnung der Atemöffnungen auf den Oberflächen von Blättern nicht einer herausmutierten größtmöglichen Effizienz, sondern organisiert sich selbst in jedem werdenden Sprössling immer neu. Ihre Form ist unbestimmt. Mit gleicher Freiheit wachsen auch die Nervenzellen in einem Hühnerembryo.