Das verlassene Dorf - Harald Weiss - E-Book

Das verlassene Dorf E-Book

Harald Weiss

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Beschreibung

Eine spannende Familiengeschichte führt Sie, liebe Leserinnen und Leser, von Nürnberg bis in das verlassenes Dorf Campo di Brenzone am Gardasee. Marc Frederic Mullance, ein Patentanwalt aus Nürnberg, erlebt die verrückteste und abgefahrenste Zeit seines Leben. Mystisch und unberechenbar. Tauchen Sie ein in eine atemberaubende Reise.

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Neben vier fränkischen Krimis (Spiel des Schattens, Die Mondfrauen, Das Minzblatt, Eiszapfen) und einem modernen Märchenbuch (Traumwelten für jeden einzelnen Tag der Woche) begibt sich der Autor Harald Weiß (58), geboren und wohnhaft in Nürnberg, mit „Das verlassene Dorf“ in das Metier des Kurzromanes.

Ich widme dieses Buch allen, die mir bei der Entstehung geholfen haben. Meiner Lektorin, Frau Birgit Hofmann, Ralph Meidl für die Covergestaltung und den Testlesern Claudia Roder, Sabine und Werner Moschner.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 1

Vorsichtig setzte er seinen Fuß auf die hölzerne Veranda. Die Zeit hinterließ hier ihre Spuren im alten Boden. Das leichte Vibrieren unter den Beinen stoppte ihn innerlich bei jedem Schritt. Aber das immer gleich tönende dreimalige Geräusch zwang ihn dazu weiter zugehen.

Tock, tock, tock...

Sein Instinkt warnte ihn vor dem Aberwitz. Doch irgendetwas in ihm trieb ihn weiter. Bis hin zur Eingangstür dieser alten Hütte. Obwohl die Dämmerung auf sich warten ließ, wirkte das Gebäude von außen düster, dunkel und kalt. Durch die zugeklappten Holzjalousien erkannte er nur ein unregelmäßiges Flackern, welches durch die wenigen Ritzen nach außen drang.

Gehe deinen normalen Weg weiter, so wie du es geplant hast, empfahl ihm seine innere Stimme. Lass das hier sein.

Nur, vernünftig war er selten im Leben gewesen.

Die rechte Hand spürte den Türknauf. Seine Augen schloss er schnell beim Anblick von Dreck, Schäbigkeit und einem roten Etwas, das am Griff haftete.

Blut?, schoss es ihm durch den Kopf, ohne das er dabei Türknauf losließ. Er unterdrückte den Reflex seine Hand an der Hose abzuwischen. Kräftig drehte er ihn nach rechts. Mit einem Ruck sprang die Tür auf, und er entdeckte im diffusen Licht, das jede Sekunde an- und ausging, ein wildes Durcheinander.

Tock, tock, tock...

Kehre um! Wer weiß, was du da drinnen vorfindest, mahnte ihn sein Gewissen.

Leider hörte er nicht allzu gern darauf. Schon stand er in der Tür zum ersten Raum.

Oh Gott, was für ein Sammelsurium, stöhnte er kurz auf. Alte Bücher neben unzähligen Kisten, Behältern, Gläsern und allerlei Krimskrams.

Verkommen, schäbig, abgenutzt, so sein Eindruck. Jede Menge Traumfänger zierten den Raum. In unterschiedlichen Längen hingen sie von der niedrigen Decke herab.

Kaum dass er sich zwei Schritte näher im Raum aufhielt, fiel die Eingangstür wieder ins Schloss.

Fast lautlos, aber nicht zu überhören.

Verwundert schaute er sich um. Es hat doch gar nicht gezogen?

Kalt lief es ihm über den Rücken und er spürte in diesem Moment, dass er nicht alleine war. Schweiß rann ihm von der Stirn, sein Hals schnürte sich zu, und für einen Moment fühlte er sich wie gelähmt.

Tock, tock, tock...

Reiß dich zusammen. Hier ist nichts. Nur deine Fantasie bricht mit dir durch.

Das flackernde Licht verwirrte seine Augen. Er las ein paar Titel der staubigen Bücher. Sie lagen wahllos übereinander.

Dark Wood

Stigmata

Im Schatten der Nacht

Wahnsinns Lektüre. Mehr vermochte er nicht entziffern, die anderen Bände waren zu verschlissen.

Was ist denn das?, durchzuckte es ihn beim nächsten Aufflackern des Lichts. Ein dickes, rundes Glas stand direkt neben den besagten Büchern. Schwarz vor Dreck, so dass es ihm schwerfiel, den Inhalt auf Anhieb zu erkennen. Nur ein mulmiges Gefühl in ihm ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.

Er zwang sich, beim nächsten hellen Lichtflackern genauer hinzusehen, und so starrte er kurz darauf in zwei weiße Augen, die in dem Glas die letzte Ruhestätte gefunden hatten.

Voller Schreck taumelte er zurück. Dabei stieß sich heftig am kleinen Tischchen vor dem Regal und die alte Öllampe fiel laut krachend auf den ungleichmäßigen Holzboden.

Geh raus hier, schrien seine Gehirnzellen. Es funktioniert nicht, antwortete er sich selbst.

Die Beine zitterten für ein paar Sekunden. Sein Gaumen fühlte sich schlagartig trocken an, als das Flackern des Lichtes in völlige Finsternis überging.

Tock, tock, tock...

Ein leichter Lufthauch streifte sein Gesicht, und langsam weiteten sich seine Pupillen.

Werde jetzt bloß nicht verrückt und dreh durch. Sammle dich. Lass dich von deinen Hirngespinsten nicht blenden.

Genauso schnell wie die Dunkelheit gekommen war, verschwand sie. Das Licht flackerte wieder in seiner gewohnten Unregelmäßigkeit. Er hielt kurz den Atem an, kniff die Augen zusammen, um mit dem nächsten Blick auf den Boden etwas Dunkles von einer Seite auf die andere huschen zu sehen. Klein, schnell, ekelig.

Eine Ratte oder was zum Teufel war das? Ist doch normal bei so einer verkommenen Hütte, analysierte er, um sich Mut zu zusprechen.

Langsam schritt er weiter in Richtung des Geräusches, das ihn in dieses Haus gelockt hatte.

Tock, tock, tock...

Dieses Geräusch, das ihn von Anfang an so faszinierte. Seine linke Schläfe streifte ein Gebilde aus alten, bunten Perlen, welches von der Decke weg nach unten baumelte.

Erneut erlosch das Licht mit einem unruhigen Zucken. Geheimnisvoll tauchte die Umgebung in Dunkelheit ein.

Fast alles, bis auf den schmalen Lichtschein, der vom Türspalt der vor ihm liegenden Tür hervorstach. Hell, verführerisch, Neugierde erweckend.

Kurz überfiel ihn ein ungutes Gefühl. Nimmt mein Schicksal einen seltsamen Verlauf?

Verstört orientierte er sich nach vorne.

Was verbirgt sich im nächsten Raum?

Dicke, fette Spinnweben umgarnten den rostigen Türgriff. Voller Ekel hob er seine rechte Hand an.

Tock, tock, tock...

Ich bin echt gespannt, was sich dahinter verbirgt.

Überdeutlich spürte er seinen Herzschlag und kurz bevor er die Tür öffnete, ertönte ein heller, langgezogener Klagelaut, der sich in sein Gehirn bohrte.

Die rechte Hand zuckte zurück und der bisherige Lichtschein verschwand. Tiefe, undurchdringliche Schwärze umgab ihn. Er vernahm Schritte, dumpf über den Boden schleifend, laut, verbunden mit weiteren Klagelauten.

Alles in ihm zog sich zusammen wie ein zu Eis gewordener See. Gefroren und kalt.

Verdammt, das finde ich aber jetzt gar nicht mehr lustig. Er verharrte auf der Stelle, unschlüssig eine Entscheidung zu treffen.

In der nächsten Sekunde erschien schlagartig erneut der Lichtschein unter der Tür.

Ich gehe jetzt da rein.

Mit einem schnellen Schritt und in größter innerlicher Anspannung zerrte er am Türknauf, drückte dagegen, doch es bewegte sich nichts. Die Tür gab nicht nach, öffnete sich keinen Zentimeter.

Gleichzeitig verstärkte sich bei seinem Versuch der unwirkliche Klagegesang. Sein Gehirn schmerzte zunehmend.

Tock, tock, tock...

Mit zitternden Lippen bemerkte er, wie der Lichtschein sich zeitweise verdunkelte. Das ist ja abgefahren, stellte er verblüfft fest, bevor er ein irres Lachen ausstieß.

Sein ganzer Körper vibrierte, seine Zähne klapperten, Panik kroch in ihm empor.

Die Schritte wurden lauter.

„Hallo“, flüsterte er voller Zweifel. Doch er nahm keine Geräusche mehr wahr.

In dem Raum, in welchem er sich aufhielt, flackerte das Licht wieder auf. Der Lichtschein unter der Tür verschwand im Nichts.

Tock, tock, tock...

Tock, tock...

Tock...

Ruhe, nur mehr das leichte Flackern des Lichtes beherrschte den Raum. Fast beängstigende Lautlosigkeit umfing ihn. Ich habe sie gesehen. Die Welt auf der anderen Seite. Dunkle Gedanken durchfluteten seine Gehirngänge.

Die Eingangstür schnappte auf, frische Luft drang sehnsüchtig nach innen. Warum nur?

Doch bevor er seine wirren Gedanken vertiefte, sah er für einen Moment ihre Gestalt. Im düsteren Licht der jetzt untergehenden Sonne stand sie aufrecht im Türrahmen. In der nächsten Sekunde verschwand sie in die Unendlichkeit.

Sein Gehirn setzte aus, er fühlte sich nahe einer Explosion zum Wahnsinn. Mit einem dumpfen Knall fiel die Eingangstür ins Schloss zurück.

Die Augen fixierten den dunklen Raum. Schemenhaft erahnte er ihre Umrisse am Ende des Zimmers.

Irrsinn flackerte in seiner Iris auf. Absolute Handlungsunfähigkeit übernahm das Kommando über ihn.

Völlig durchgeschwitzt, versuchte er, kleine Schritte zu setzen, stieß achtlos im Weg stehende Flaschen zur Seite, was seine innere Unruhe nicht verringerte.

Ich flüchte hier raus. Jetzt regierten nur noch Angst, Verzweiflung und irre Gedanken über ihn. Überhastet griff seine Hand beim ersten Versuch, den Türgriff zu fassen, ins Leere.

Leicht stolperte er nach vorne, stieß mit der linken Schulter an die Holzvertäfelung neben der Tür.

Benommen ertastete er mit letzter Kraft den Knauf, drehte ihn und fiel nach dem Öffnen der Tür mit einem lauten Rumpeln auf die Veranda. Er vernahm das Geräusch einer Tür, das metallische Zuschnappen, als würde sie sich selbst absperren.

Benommen sank er in sich zusammen.

Ein letztes Mal drang dieses eintönige, faszinierte Geräusch an seine Ohren.

Tock, tock, tock...

Kapitel 2

Sein Gehirn vernahm diese Monotonie des Klanges, der ihn in die wirkliche Welt zurückholte.

Vorsichtig öffnete Marc Frederic Mullance seine von der Nacht verschwollenen Augen. Langsam erkannte er die Umgebung des Bettes. Den antiken Schrank, die alte Bauerntruhe an der Seite daneben, einen aufrecht sitzenden Buddha, und im Augenwinkel nahm er das Grün der zahllosen Bäume im Garten hinter der Fensterscheibe wahr.

Schwer ließ sich Marc in sein Bett zurückfallen. Ich bin Zuhause. Wo bin ich gewesen? Bruchstückhaft erinnerte er sich an die alte Hütte, das Geräusch, das Licht, an den eigenen Tod. Zaghaft tastete er mit den Händen seinen Körper von oben nach unten ab, als versuchte er sich vergewissern, dass er lebte.

Vom Traum ziemlich arg mitgenommen, schüttelte er verwundert seinen Kopf. Er spürte das Entsetzen, das ihn befiel. Gott sei Dank ein versöhnlicher Ausgang der Geschichte.

„Ich bin gestorben. Eindeutig. Ganz schön crazy“, murmelte Marc sichtlich bewegt, bevor er all die Gedanken daran verwarf, aufstand und sich barfuß auf den Weg in die Küche begab.

Eine Tasse Kaffee, ich brauche dringend Koffein.

Wenig später nahm er, ein Handtuch umhüllte seinen durchtrainierten Körper, auf dem Barhocker in der edlen Küche Platz.

Tock, tock, tock...

Intuitiv umklammerten Marcs Hände fest die dunkelblaue Kaffeetasse. Aber das Geräusch der einzelnen Tropfen aus dem Hahn der Spüle ließ ihn aufatmen.

Tock, tock, tock...

Tief einatmend trank er einen letzten Schluck Kaffee, zog sich erst ins Bad und danach ins Schlafzimmer zurück, um eine halbe Stunde später fertig im Flur seiner Wohnung zu stehen.

Wer bin ich?, schien er sich beim Blick in den Spiegel in der Garderobe zu fragen.