Das Versprechen der Rosenfrauen - Cristina Caboni - E-Book

Das Versprechen der Rosenfrauen E-Book

Cristina Caboni

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Beschreibung

Eine junge Frau auf den Spuren ihrer Vorfahren. Eine Reise, die sie tief in die geheimnisvolle Welt der Düfte eintauchen lässt. Und eine Entdeckung, die das Glück in greifbare Nähe rückt ...

Elena lebt glücklich mit ihrem Mann in Paris, wo sie in einer kleinen Parfümerie die Emotionen ihrer Kunden in kostbaren Düften verewigt. Nur ganz selten denkt sie noch an den alten Palazzo im Herzen von Florenz, wo die Frauen ihrer Familie viele Jahre lang nach der verlorenen Rezeptur für das Parfüm ihrer Großmutter gesucht haben. Ein Duft, der so perfekt war, dass er den Mensch in all seinen Facetten erfassen konnte. Das ändert sich, als Elenas Mutter sie einlädt, nach Florenz zu kommen und mit ihr auf eine Reise aufzubrechen, die sie einander wieder näherbringen soll. Und nicht nur das – während die beiden auf den Spuren der Vergangenheit wandeln, drängt ein lang gehütetes Geheimnis ans Licht …

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Seitenzahl: 314

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Buch:

Elena lebt glücklich mit ihrem Mann in Paris, wo sie in einer kleinen Parfümerie die Emotionen ihrer Kunden in kostbaren Düften verewigt. Nur ganz selten denkt sie noch an den alten Palazzo im Herzen von Florenz, wo die Frauen ihrer Familie viele Jahre lang nach der verlorenen Rezeptur für das Parfüm ihrer Großmutter gesucht haben. Ein Duft, der so perfekt war, dass er den Menschen in all seinen Facetten erfassen konnte. Das ändert sich, als plötzlich Elenas Mutter vor der Tür steht, um mit ihrer Tochter zu einer Reise aufzubrechen, die sie einander wieder näherbringen soll. Und nicht nur das – während die beiden auf den Spuren der Vergangenheit wandeln, kommt ein lang gehütetes Geheimnis ans Licht …

Autorin:

Cristina Caboni lebt mit ihrer Familie auf Sardinien. Ihr Debütroman »Die Rosenfrauen« verzauberte die Leser weltweit und stand in Deutschland wochenlang auf der Bestsellerliste. Mit ihren bewegenden Romanen, die mit atmosphärischen Details und jeder Menge Italienflair begeistern, konnte sie an ihren phänomenalen Erfolg anknüpfen. »Das Versprechen der Rosenfrauen« ist Cristina Cabonis siebtes Buch und die lang ersehnte Fortsetzung ihres ersten überwältigenden Erfolgs. Und wieder sind die Frauen der Familie Rossini auf der Suche nach Liebe, Vollendung und dem perfekten Parfüm …

Von Cristina Caboni bereits erschienen:

Die Rosenfrauen

Die Honigtöchter

Die Oleanderschwestern

Der Zauber zwischen den Seiten

Die Seidentöchter

Die Gartenvilla

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Cristina Caboni

Roman

Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Il profumo sa chi sei« bei Garzanti Libri, Mailand.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2020 by Cristina Caboni

License agreement made through Laura Ceccacci Agency S.R.L.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Winfried Kieser

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: Getty Images (Westend61; Blanchi Costela/Moment)

KW · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27141-1V001www.blanvalet.de

Für alle, die lächeln, Geheimnisse bewahren, ermutigen und vor allem lieben können.Für Freunde.Dieses Buch ist für euch.

»Die Rose ist ohne Warum. Sie blüht, weil sie blüht, kümmert sich nicht um sich und fragt nicht, ob man sie sieht.«

Angelius Silesius

Prolog

Sie liebt den majestätischen Baum auf der Wiese vor ihrem Haus.

Sie liebt die Blumen mit den weißen Blütenblättern, die ihre Mutter hingebungsvoll in einer Vase arrangiert.

Sie duften wunderbar und zaubern ihr ein Lächeln aufs Gesicht, während ihre Mutter weiter hantiert und Elena sie verstohlen beobachtet.

Elena hat die Blumen selbst gepflückt. Wenn sie später nach Hause kommt, werden sie das Erste sein, was sie riecht.

»Elena, wo bist du?«

Das Gesicht des Mädchens hellt sich auf. »Hier, ich bin hier.«

Heute ist ein besonderer Tag. Mama hat ihr nämlich gesagt, dass sie einen ganz speziellen Menschen kennenlernen wird. Das ist auch der Grund dafür, dass sie ihre besten Kleider tragen.

»Wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir den Zug.«

»Natürlich, Mama.«

Elena gehorcht immer. Selbst dann, wenn sie gern noch spielen würde. Mama sagt, sie sei das hübscheste und bravste Kind auf der ganzen Welt. Elena glaubt ihr, denn ihre Mama lügt nie.

Als sie schließlich am Bahnhof ankommen, ist sie verwirrt. Sie mag den Geruch nicht, der ihr in die Nase steigt, er ist bitter, und die Luft brennt in den Augen und im Hals. Das macht sie traurig. Um sie herum halten sich Menschen in den Armen, manche Gesichter sind verhärmt und vom Kummer gezeichnet.

»Warum weinen die Leute?«

Susanna schaut Elena flüchtig an und nimmt sie dann an die Hand. »Sie sind traurig, weil sie sich Lebewohl sagen müssen.«

Mit weit aufgerissenen Augen betrachtet Elena die Menschen, deren Angst auf sie überzugehen scheint. Sie kann es nicht länger ertragen und wendet sich ab. »Wir bleiben immer zusammen, oder?« Sie klammert sich an ihrer Mutter fest. Susanna löst Elenas Finger von ihrem Kleid und streicht den Stoff glatt. Wenig später steigt sie mit ihr in einen Zug. »Setz dich hierhin, neben mich.«

Warum antwortet sie mir nicht?, fragt sich Elena. Die Gedanken flattern wie aufgeschreckte Schmetterlinge durch ihren Kopf.

»Ist Florenz weit weg?«, fragt sie dann.

»Ja, ziemlich. Aber du wirst sehen, die Zeit wird wie im Flug vergehen, wir werden viel Spaß haben.«

Elena liebt das Parfüm ihrer Mutter, für sie ist es der schönste Duft der Welt. Als sie ihren Kopf an ihrer Schulter birgt, verschwindet ihre Angst so schnell, wie sie gekommen ist.

Sie essen im Zugrestaurant. Susanna erzählt ihr eine Geschichte. Elena mag die Geschichten ihrer Mutter, und sie freut sich immer, wenn sich ihr eine darin verborgene Botschaft erschließt »Du bist ein sehr mutiges Mädchen. Ich liebe dich, vergiss das nie, Elena.«

»So mutig wie das Mädchen in der Geschichte, Mama?«

»Ja, genau so. Und jetzt schlaf ein bisschen, ich wecke dich, wenn wir da sind.«

Die Bewegung des Zuges wiegt sie hin und her wie die Schaukel, auf die sie sich zurückzieht, wenn Mamas Freund zu Besuch kommt. Er heißt Maurice Vidal. Sein stechender Blick macht ihr Angst. Er sieht freundlich aus, aber Elena weiß, dass er zu Lügen neigt. Das sagt ihr der Geruch, den er verströmt. Er ist intensiv und von einer würzigen Note. Erinnerungen an mondlose Nächte werden in ihr wach. Sie fühlt, dass seine Freundlichkeit nur aufgesetzt ist. Auch wenn sie versprochen hat, mutig zu sein, schafft sie es nicht, ihn zu mögen. Mama hat aufgehört, sie darum zu bitten, und Elena ist froh darüber. Hoffentlich wird sie diesen Mann nie wiedersehen.

»Wach auf, mein Schatz, wir sind da.«

Langsam öffnet sie ihre vom Schlaf noch schweren Lider, und als sie bemerkt, dass es schon dunkel ist, überlegt sie, wie lange die Fahrt wohl gedauert haben mag.

»Komm, wir steigen aus.«

Während sie die nachtverhangenen Straßen entlanggehen, betrachtet Elena die vielen Lichter in den Häusern. Hier und da dringt ein Lachen an ihr Ohr. Es klingt, als würde jemand ein Fest feiern. Wer weiß, wo ihre Mutter sie hinbringen wird.

»Wie wäre es mit einem Eis?«

»Oh ja.«

Ganz bestimmt wird hier ein Fest gefeiert. Aber warum sieht Mama so traurig aus?

Als sie ihr Eis fertig aufgeleckt hat, beginnt es zu regnen.

»Beeil dich, wir sind fast da.«

Der Anblick des prächtigen Palazzo, vor dem sie stehen geblieben sind, verschlägt Elena fast den Atem. Er wirkt, als wäre er einem Märchen entsprungen. Susanna klopft an. Die Regentropfen fallen immer dichter, und Elena fröstelt. Einen Augenblick später öffnet sich die Flügeltür.

Vor ihnen steht eine Frau. Sie ist Mama wie aus dem Gesicht geschnitten, nur älter. Elena sieht Susanna verwirrt an.

»Das ist Elena«, ihre Mutter schiebt sie nach vorn, die Frau blickt sie stumm an.

Elena mag ihr Lächeln. Sie spürt die Herzlichkeit und die Wärme, die von der Frau ausgehen. Sie liegen in ihren filigranen kalten Fingern, die Elena über die Stirn streichen, im nachdenklichen Ausdruck ihrer dunklen Augen, so dunkel wie die von Susanna. Im Duft, der von ihr ausgeht: ein Hauch Lavendel an der bestickten Jacke, Vanille-Iris an den Handgelenken. Er wirkt vertraut, und er verschafft ihr ein wohliges Gefühl. Jeder Duft ist immer auch eine Farbe für Elena und jedes Parfüm ein Gemälde in den Windungen ihrer Erinnerung.

»Kommt rein.«

Die Frau, die sie anlächelt und ihr über die Stirn streicht, ist ihre Großmutter. Sie heißt Lucia. Sie muss dieser besondere Mensch sein, von dem Mama gesprochen hat.

»Ich bin bald zurück, es sind nur einige Tage. Bis ich alles geregelt habe.«

»Du weißt, dass es ihr hier gut gehen wird.«

Elena hört schweigend zu, dann gähnt sie. Ihr fallen die Augen zu.

»Wach auf, mein Schatz, ich muss gehen«, hört sie ihre Mutter sagen.

Sie reißt die Augen auf. Mama muss gehen? Alarmiert springt sie auf und läuft los, um sich ihren Mantel zu schnappen, aber er hängt zu hoch. Susanna steht schon an der Tür und wirkt, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Umarme mich ganz fest, meine Kleine.«

Elena schlingt ihr die Arme um den Hals. Warum geht Mama weg? Ohne sie? Sie versteht gar nichts mehr.

»Ich werde brav sein, das verspreche ich.«

»Aber was redest du denn da, du bist doch immer brav, mein Schatz!«

Aber warum muss sie dann hierbleiben, in diesem fremden Haus, bei einer Großmutter, die sie gar nicht kennt?

»Ich will mit dir gehen. Ich will wieder nach Hause.«

Susanna hört nicht auf ihr Flehen, sondern streicht ihr zärtlich über das Gesicht und küsst sie. »Es ist besser so, mein Schatz. Großmutter wird gut auf dich aufpassen.«

Versteinert sieht Elena zu, wie sie sich langsam entfernt.

Großmutter bringt sie nach oben, in ihr neues Zimmer. Elena fühlt sich verloren. Sie weiß, dass sie den Duft der weißen Blumen heute nicht mehr riechen wird. Denn ihre Mutter ist weg. Und Elena wird nicht mit ihr nach Hause zurückkehren. Ab jetzt ist sie allein.

1.

Akazie. Intuitiv, zurückhaltend und dezent. Diese naturgegebenen Eigenschaften öffnen alle Türen. Sie sucht eine tiefe Verbindung mit allem, was sie umgibt, weckt Gefühle und Emotionen. Sie ist eine sensible Beobachterin und für alles empfänglich.

In Paris ist kein Tag wie der andere.

Der Satz prangte in elegant geschwungenen Lettern auf der nüchternen Fassade des Gebäudes in Montparnasse, in dem sich der neue Sitz der Parfümerie Absolue befand. Ein Meisterwerk der modernen Architektur, Wände aus Stahl und Glas, so dick, dass die wärmenden Strahlen der Morgensonne sie nicht durchdringen konnten.

Die großzügig geschnittenen Räume im Erdgeschoss waren lichtdurchflutet, das Eingangsportal war von Kübeln mit Hortensienbüschen flankiert.

Abwesend betrachtete Elena Rossini die vorbeischlendernden Passanten durch die breite Schaufensterfront. Es stimmte, was der Claim behauptete: Paris war eine magische Stadt.

Sie selbst wusste das nur zu gut, denn sie hatte hier die Liebe ihres Lebens kennengelernt, Caillen McLean. Und hier wuchs auch ihre gemeinsame Tochter Beatrice auf, die sie liebevoll Bea nannten.

Die Stadt und ihr Charme standen nicht zur Debatte. Sondern etwas ganz anderes.

Ihre Geschäftspartnerin Monique Duval hatte einen Stararchitekten mit der Einrichtung der Parfümerie beauftragt. Massive Tische aus dunklem Holz und Edelstahlelementen hatten den alten Tresen ersetzt, der an anderer Stelle einen Ehrenplatz bekommen hatte. Auch das in die Jahre gekommene Sofa mit dem verwaschenen Überzug war verschwunden. Die Kunden konnten sich jetzt auf grazile Bänke setzen und verschiedene Düfte durchprobieren.

So schwebte es Monique vor.

Von der Decke hingen schwarze schalenförmige Designerleuchten, die kaltes Licht spendeten, damit es nicht mit den Düften um die Aufmerksamkeit der Kunden buhlen konnte. Die wenigen Bilder an den Wänden stammten von namhaften Malern und waren die einzigen Farbkleckse in all dem Weiß, Schwarz und Braun.

Modern, funktional, ausdrucksstark.

Eine Parfümerie auf der Höhe der Zeit.

Elena hasste diesen Ort. So sehr, wie sie ihre alte Parfümerie in der Rue du Parc-Royal im Marais geliebt hatte.

Doch ihr verträumter Laden, den sie vor sieben Jahren, drei Monaten und zwölf Tagen eröffnet hatte, war nur mehr eine ferne Erinnerung. Und das konnte sie niemandem vorwerfen, das hatte sie allein zu verantworten.

»Was hältst du davon, wenn wir einen Tee trinken?«, fragte sie Monique und trat neben sie.

Ihre Freundin seufzte: »Das würde ich gern, aber ich habe zu viel um die Ohren. Du weißt nicht zufällig, wo ich die Geschäftszahlen des letzten Quartals finde?«

Elena überlegte, dann fiel ihr ein, dass sie eine Kopie auf dem Laptop gespeichert hatte. Sie deutete auf einen Ordner auf dem Desktop. »Hier, schau mal.«

Monique hatte bereits alle E-Mails abgearbeitet, zu deren Beantwortung sie gestern nicht mehr die Zeit gefunden hatte. Auf dem Schreibtisch wartete eine beträchtliche Menge Briefe darauf, endlich verschickt zu werden.

»Danke, Chérie.«

»Die Unterlagen sind beim Steuerberater. Lass sie dir doch einfach schicken. Brauchst du sonst noch etwas?«

Endlich hörte Monique auf zu schreiben und hob den Kopf. Sie fixierte Elena einen Augenblick, bevor sie antwortete: »Warum nimmst du dir nicht den Morgen frei? Ich halte derweil hier die Stellung.«

Der Vorschlag traf Elena unvorbereitet.

»Eigentlich wollte ich noch an dem Parfüm für Goldman arbeiten …«

»Schon wieder?« Monique musterte sie nachdenklich. »Du arbeitest zu viel. Ich sage es nur ungern, aber du siehst nicht gut aus. Du brauchst Ruhe.«

Elena zwang sich zu einem Lächeln. »Höchstens noch eine halbe Stunde, Monique, ich kontrolliere kurz, wie es vorangeht, dann mache ich mich auf den Weg nach Hause, versprochen. Ich muss wissen, ob ich mit dem Duft auf dem richtigen Weg bin.«

Sie ging ins Labor und schloss die Tür hinter sich. Sie hatte nicht die Zeit, sich auszuruhen, sie konnte jetzt nicht aufgeben, sie musste unbedingt dranbleiben.

Monique so früh bei der Arbeit zu sehen hatte ihr wieder einmal vor Augen geführt, in welcher Krise sie steckten.

Sie schlüpfte in ihren Kittel und wusch sich ausgiebig die Hände. Dann atmete sie tief durch, griff nach einem Messzylinder und stellte ihn in die Mitte des Tisches. Alles war bereit. Sie dämpfte das Licht und putzte sich die Nase. Hoch konzentriert starrte sie auf den Behälter. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Beim letzten Mal war sie nicht zufrieden gewesen. Es hatte an Charakter und Harmonie gefehlt, in deren ausgewogener Mischung die besondere Note einer einzigartigen Kreation bestand.

Sie schloss die Augen, versuchte, sich zu entspannen, und wartete ab.

Ein Hauch Bergamotte … Sie versuchte, das Duftensemble in sich aufzunehmen, nicht nur mit der Nase, sondern mit allen Sinnen, in der Gewissheit, dass sie diese besondere Gabe dazu hatte.

Sie versuchte es wieder und wieder. Doch nichts geschah. Keine Farbe wollte sich vor ihrem inneren Auge einstellen, keine Emotion berührte sie, die etwas in ihr zum Klingen hätte bringen können. Nichts, was auch nur annähernd ihren Ansprüchen genügte. Nur Grau, Taubheit, Leere.

»Los, konzentrier dich!«

In ihrem Kopf kreiselten Formeln um Formeln, drängten vor und wurden wieder verworfen. Ein Kaleidoskop der Möglichkeiten, aber keine versprach eine Lösung.

»Ich schaffe es nicht.«

Eine düstere Verzweiflung bemächtigte sich ihrer. Die Gedanken fuhren Karussell. Sie war doch eine Rossini! Parfüm war ihr Lebenselixier: ihr Vertrauter, ihre Augen, ihre Stimme, ihr Freund – all das bedeutete es für sie.

Hatte ihre Gabe sie verlassen?

Sie wischte sich eine Träne von der Wange.

»Da ist nichts … da ist absolut nichts.«

Sie musste nachdenken, durfte nicht Opfer ihrer Panik werden, sich nicht dieser Verzweiflung ergeben. Langsam atmete sie ein und aus, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigte.

Sie legte alle Utensilien beiseite. Sie würde noch einmal ganz von vorn beginnen, aber nicht sofort.

Monique hatte recht, sie hatte sich nicht einen Moment der Ruhe gegönnt.

Zu viel Stress. Das war sicher das Problem. Die vergangenen Monate waren schwer für sie gewesen. Die alte Parfümerie in der Parc-Royal-Straße zurücklassen zu müssen hatte sie bis ins Mark getroffen. Anfangs hatte sie noch gehofft, sich irgendwann an die neue Umgebung gewöhnen zu können, doch jetzt war ihr klar, dass sie sich gründlich geirrt hatte.

Aber es gab nun mal Dinge, die man nicht ändern konnte. Man konnte sich lediglich mit ihnen arrangieren.

Als sie den Kittel abstreifte, zitterten ihre Hände.

»Es hat keine Seele, es ist nicht das, was Goldman sich vorstellt.«

Sie wusste, dass es keine Frage der Technik war.

Schon als Kind war sie mit der Komposition eines Duftes vertraut gewesen, war sie doch seit jungen Jahren mit dieser Kunst innig verbunden: Kopfnote, Herznote, Basisnote – das alles war kein Geheimnis für Elena, im Gegenteil, sie war in der Lage, sämtliche Konventionen außer Acht zu lassen, sich über Regeln hinwegzusetzen, gar vorsätzlich gegen sie zu verstoßen, was ihr einzigartige Gelegenheiten gewährte, immer neue wunderbare Kombinationen zu ersinnen. Sie musste ein Parfüm bloß riechen, und schon konnte sie es gedanklich in seine Komponenten zerlegen und wieder neu zusammensetzen. Wenn ihre Kunden mit dem Wunsch nach einer eigenen Parfümkreation zu ihr kamen, lauschte Elena zunächst ihren Erzählungen. Angeleitet von ihrem Einfühlungsvermögen suchte sie in Sätzen, in Gesten und in Gesichtsausdrücken nach verborgenen Emotionen. Nach und nach verbanden sich die Essenzen dann zu genau dem Bild, das sie vor Augen gehabt hatte.

Doch das war früher.

Jetzt war alles anders.

Ein Gefühl der Verlorenheit breitete sich in ihr aus. Es war, als würden die Grenzen, in denen sie sich bewegte, verschwimmen und den Raum zu etwas Unbekanntem öffnen. Sie zog sich ins Hinterzimmer des Ladens zurück, vergrub das Gesicht in ihren Händen und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Robert Goldman, ein Geschäftsmann mittleren Alters, war vor einiger Zeit in die Parfümerie gekommen mit der Bitte, sie möge einen auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Raumduft für ihn kreieren.

»Er soll einladend und freundlich sein, ich möchte, dass sich die Menschen, die unsere Dienste in Anspruch nehmen, in dieser Entscheidung bestätigt fühlen.«

Elena war glücklich über den neuen Kunden gewesen, und die Vorstellung, den von ihm gewünschten Duft zu erschaffen, hatte sie mit Begeisterung erfüllt. Eine Herausforderung, die sie gern annahm. Sie hatte ihm aufmerksam zugehört, wie sie es immer tat, noch ein bisschen mit ihm geplaudert und das Geschäft dann besiegelt. Als sie später in ihrem neuen Labor versucht hatte, Goldmans Vorstellungen in einen Duft zu übersetzen, hatte sie gemerkt, dass sie nichts von seinen Schilderungen darin wiederfand. Nichts von dem, was ihm wichtig war.

Dort, wo es leuchtende Farben gebraucht hätte, waren nur dunkle Schatten.

Sie hatte das Gefühl, einen Teil von sich verloren zu haben. Den Teil, der ihr gestattete, die Dinge ihrer Umgebung nicht nur zu sehen, sondern auch zu begreifen, sie mit ihrem ganzen Bewusstsein zu erfassen.

Sie fühlte sich wie abgespalten, dabei sollte das Parfüm doch ihre Seele erfüllen und in Schwingung bringen.

Plötzlich öffnete sich die Tür. Sie wusste, dass es nur Monique sein konnte, und sie war dankbar für ihr Kommen.

»Ich dachte, du könntest einen Keks brauchen.«

Elena musste lachen. »Danke, den brauche ich wirklich.« Das Gebäck schmeckte dezent nach Orange und Zimt, eine Variante des Rezepts, das sie von Moniques Mutter Jasmin bekommen hatte, die auch für sie wie eine Mutter war. Ihre zweite Mutter … oder die erste, je nachdem, wie man es betrachten mochte. Wenn Elena dieses Rezept anwandte, dann normalerweise für ihre Kunden – oder eben für Monique, die ganz verrückt nach den Keksen war.

»Du bist einfach nur ein bisschen nervös wegen der Umstände«, sagte Monique und nahm sie in ihre Arme. Elena schloss die Augen. Sie war so froh, dass sich ihre Freundin dazu entschlossen hatte, zurück nach Paris zu kommen.

»Das alles tut mir unendlich leid«, redete Monique weiter, »aber du weißt genauso gut wie ich, dass wir nicht im Marais bleiben konnten. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass du so sehr darunter leiden würdest. Aber deine Voreingenommenheit, jeder Veränderung gegenüber misstrauisch zu sein, hat dir diesen Umzug auch nicht gerade leichter gemacht.«

Das stimmte, Elena konnte es nicht leugnen. Aber ganz so einfach war es dann doch wieder nicht.

»Es geht nicht nur um diesen Ortswechsel, Monique. Ich habe den Laden und das Labor geliebt. Sie gaben mir Sicherheit, waren ein fester Bezugspunkt in meinem Leben.« Noch während sie die Worte aussprach, wurde ihr klar, dass es nicht richtig war, allein den Umzug für ihre Probleme verantwortlich zu machen. Die Welt der Düfte hatte sich ihr schon nicht mehr so mühelos erschlossen, als sie noch in der vertrauten Umgebung ihres alten Ladens im Marais arbeitete. Ihr schien, als erlahmte ihre Kraft nach und nach.

Monique strich ihr über den Kopf. »Du musst dich nur daran gewöhnen. Das wird schon, du wirst sehen. Das Labor hier ist modern, es bietet dir viel mehr Möglichkeiten, ist technisch auf dem neusten Stand. Wir werden eine Assistentin einstellen, die dir hilft. Wenn du nichts dagegen hast, frage ich Aurore. Sie ist wirklich gut geworden.«

Elena gefiel die Idee. Aurore war bei ihr in die Lehre gegangen, und sie mochte sie. »Sie wird sich freuen.«

Durch Elenas positive Reaktion bestärkt, fuhr Monique fort: »Nur Geduld, wir werden die berühmteste Parfümerie von Paris! Wir werden in aller Munde sein, weil wir etwas nie Dagewesenes erschaffen werden. Wir können das Ruder herumreißen, und genau das werden wir tun. Mach dir nicht so viele Sorgen, das führt zu nichts. Schau, der Artikel in der Scent über Absolue hat doch schon Aufsehen erregt. Man hat in der wichtigsten Parfümzeitschrift der Welt über uns geschrieben! Alles wird gut.«

Elena nickte, wischte sich verschämt über die tränennassen Augen und rang sich ein Lächeln ab. Monique war immer ehrlich zu ihr gewesen, wohingegen Elena über unzufriedene Kunden kein Wort verlor. Was sie eben gesagt hatte, stimmte. Und dennoch sorgte eine dumpfe Beklemmung für ein Unbehagen, das ihr auf den Magen schlug.

»Ja, du hast recht«, erwiderte sie, ohne wirklich überzeugt zu sein.

Optimismus war die bessere Einstellung, um Probleme zu bewältigen. Und Mut.

Monique war die Richtige, wenn es darum ging, ihr wieder Kraft einzuflößen. Elena erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen, wie Monique vor sieben Jahren mit all ihren Ersparnissen, einem Lächeln auf den Lippen und jeder Menge Hoffnung vor ihr gestanden hatte: »Wir müssen unsere eigene Parfümerie eröffnen.«

Jedes Mal, wenn Elena daran zurückdachte, empfand sie tiefe Dankbarkeit. Sie hatten ihr Vorhaben umgesetzt. Das Absolue war für sie beide zu einer großen persönlichen Bereicherung geworden. Ein besonderer Ort, den sie geschaffen hatten für jeden, der sich ein auf seine Persönlichkeit abgestimmtes Parfüm wünschte. Ein Parfüm, das ihm ein unbeschreibliches Wohlgefühl bescherte. Denn genau diese Wirkung sollten ihre Düfte haben. Sie sollten den Menschen von Nutzen sein, die sie trugen. Bedürfnisse, Erwartungen, Sehnsüchte erfüllen.

Aber Elena fürchtete, an dieser Aufgabe zu scheitern. In ihrem Inneren tobte ein Widerstreit der Gefühle, und die Gedanken in ihrem Kopf kreisten um Fragen, auf die sie keine Antworten wusste. Wie sollte sie Düfte erschaffen, die für Wohlbehagen, Befriedigung, ja Wonne sorgten, wenn sie selbst nicht mehr wusste, was diese Worte bedeuteten? Die Vorstellung, ihr Gespür für Düfte für immer verloren zu haben, stürzte sie in abgrundtiefe Angst. Dieser Verlust ihrer Gabe würde sie zerstören.

2.

Ringelblume. Mutig und entschlossen, stolz und furchtlos. Sie scheut Veränderungen nicht. Wenn sie an ihrem Ziel angekommen ist, öffnet sie ihr Herz und entdeckt sich neu.

Der Arno führte Hochwasser. Die schäumenden Wassermassen voller Schlamm und Geröll drängten gegen das Ufer, rissen mit sich, was sich hilflos der Flut entgegenstemmte, bäumten sich auf gegen die Pfeiler der Ponte Vecchio und strömten nur knapp unter ihr hindurch. Hölzernes Treibgut, Äste, Bohlen schwammen obenauf, wie Reste gekenterter Boote. Susanna Rossini starrte gebannt auf dieses Naturschauspiel, und als schenkte es ihr eine Eingebung, fragte sie sich verwundert, was eigentlich mit ihr nicht stimmte. Denn das war ihre Welt: Sie liebte die ungezähmte Kraft der Elemente, die hemmungslose Gewalt tosenden Wassers, fühlte eine Verwandtschaft mit dem zügellosen Drang, sich vorgegebenen Bahnen zu verweigern.

Von klein auf hatte sie gewusst, dass sie nicht wie die anderen Kinder war.

Sie hatte sich gegen ihre Mutter Lucia aufgelehnt, teilte ihre Ansichten über die Welt der Düfte nicht. Lucia Rossini haftete allzu sehr am Gewohnten, hielt unerschütterlich an Familientraditionen fest. Trotz aller Kontroversen, die sie austrugen, hatte Susanna immer großen Respekt vor ihr gehabt, aber tyrannisieren ließ sie sich nicht. Sie hatte sie geliebt, wie nur ein Kind lieben kann, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Elena war da anders.

Susanna stemmte die Ellbogen auf die Mauer und schaute wieder auf den Fluss, wie er sich wild gebärdete. »Was soll ich nur mit dir machen, mein Kind?«

Ihre Tochter war ein Dickschädel, sie fand keine Lösung, wie sie mit ihr umgehen sollte. Was auch immer sie sagte oder tat, es kam falsch bei ihr an. »Es gibt Menschen, die sollten keine Kinder haben.« Das war die brutale Wahrheit. Sie war keine gute Mutter, sie war nicht fürsorglich, nicht sanft und liebevoll, und das Letzte, was sie interessierte, war, ob sie anderen gefiel oder nicht.

Bald würde ein Gewitter losbrechen. Die Touristen hatten die Zeichen des drohenden Unheils, das sich über ihren Köpfen zusammenbraute, noch nicht erkannt und schlenderten sorglos durch die Straßen, während die Florentiner bereits nach Hause eilten oder irgendwo Schutz suchten.

Susanna genoss jeden Augenblick, sie liebte die Wolkentürme, die sich am Himmel aufbauschten, die windgepeitschte Luft, den Regen. Den Blick nach oben gerichtet, ging sie gemächlich auf den Palazzo Girolami zu, als wäre der Himmel strahlend blau und die Stadt vom Glanz der Sonne vergoldet.

»Alles im Leben ist eine Frage der Perspektive«, flüsterte sie. Das hatte einmal jemand zu ihr gesagt, als sie noch jung war und voller Hoffnung in die Zukunft geblickt hatte. Seitdem war viel Zeit vergangen, und sie hatte gelernt, dass nur das Hier und Jetzt zählte.

Nur im gegenwärtigen Moment lebte man wirklich, die Vergangenheit war Geschichte, die Zukunft nichts als ein leeres Versprechen. Man konnte Pläne schmieden, ob sie sich realisieren ließen, stand in den Sternen.

Elena war der lebende Beweis.

Sie hatte versucht, ihrer Tochter nicht im Weg zu stehen, sondern sie ihren ganz eigenen gehen zu lassen, aber irgendetwas hatte das nicht zugelassen. Dieses Unvermögen war als quälender Gedanke allgegenwärtig, lauerte hinter jeder Ecke. Sie musste stets auf der Hut sein, er überfiel sie, wenn sie nicht damit rechnete, selbst wenn sie sicher war, ihrem schlechten Gewissen entkommen zu sein, kehrte er unbarmherzig wieder. Wusste sie ihre Tochter gut behütet, fühlte sie sich glücklich. Sie hasste sich dafür. Sie hasste sich, weil sie trotz aller Fürsorge vor der Verantwortung floh und letztendlich nur an sich dachte. Und sie hasste sich, weil dieses Bedürfnis nach Unabhängigkeit eine Schwäche war.

Die Borgo Pinti glich einer Klangwolke aus Tönen unbestimmbarer Herkunft und Geräuschen verschiedenster Art. Susanna spazierte die Straße entlang, trotz des unaufhörlich heftig strömenden Regens und der beißenden Kälte fühlte sie sich wie neugeboren. Wenn Elena nur verstehen würde, dass sie Zeit für sich brauchte, nach vorn blicken musste, anstatt ständig unfruchtbarer Grübelei nachzuhängen, und dass sie auf ihr Gefühl vertrauen konnte. Wie ähnlich sie sich doch waren. Sie machte sich das ohnehin schwere Leben nur noch schwerer.

Darin hatte sie Erfahrung, zur Genüge. Man glaubt immer, dass es die anderen seien, die einem Schwierigkeiten bereiteten und einengten, aber das stimmt nicht. Die Gefängnisse, in denen man sitzt, hat man selbst geschaffen. Ohne jede Aussicht, ihnen entfliehen zu können.

Endlich war sie zu Hause. Sie seufzte erleichtert.

Wohlige Wärme schlug ihr entgegen. Susanna spürte, wie die Natursteinmauern sie umschlossen, als ob der altehrwürdige Palazzo ein Herz hätte und jeden Schmerz aufnehmen könnte. Hier drinnen hatten jahrhundertealte Gefühle überdauert, als lebten viele Generationen gleichzeitig unter einem Dach. Bei diesem Gedanken musste sie lächeln.

In ihrer Kindheit stand der Palazzo Rossini für alles, was sie verabscheute. Das ständige Geglucke ihrer Mutter hatte sie regelrecht erdrückt, ihr die Luft zum Atmen genommen. Ihrer Fürsorge, ein Geflecht aus Regeln und Verboten, zu entkommen war so unmöglich, wie diese Mauern unüberwindbar waren.

Susanna hatte sehr schnell erkannt, dass die Suche nach Kompromissen von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Sie wusste, dass Lucia niemals nachgeben würde. Deshalb hatte sie eines Tages alles, was ihr wichtig war, in einen Rucksack gepackt und Hals über Kopf das Haus verlassen, um endlich ihren eigenen Weg zu finden.

»Ein heißes Bad, ein Glas Rotwein und ein gutes Buch«, sagte sie laut vor sich hin und ließ das Wasser ein. Sie schaute dem Wasserstrahl zu, wie er sprudelnd die Wanne füllte, wie sich der Badezusatz langsam in Schaum verwandelte, und genoss die Vorstellung, welche Wonne sie erwartete.

Sie würde Elena anrufen und sich entschuldigen. Schon wieder diese Schuldgefühle, obwohl ihre letzte Debatte bereits Wochen zurücklag. Es war ein unangenehmes Gespräch gewesen.

Nachdem sie den Scent-Artikel über die Neueröffnung des Absolue gelesen hatte, war sie voller Stolz. Auf dem Foto hatte Elena glückstrahlend in die Kamera gelächelt. Ihre Tochter, ihr Mädchen, hatte es in die renommierteste Parfümfachzeitschrift der Welt geschafft.

Warum hatte sie Elena eigentlich vor den Journalisten gewarnt? Sie auf jede noch so kleine Ungenauigkeit im Text hingewiesen? Als sie schließlich auch noch lesen musste, dass sie, Susanna Rossini, als Inhaberin einer Fabrik für Essenzen in Grasse bezeichnet wurde, war es mit ihrer Beherrschung vorbei, sie hatte sich einfach nicht mehr zurückhalten können. Nach dem Tod ihres Mannes Maurice Vidal hatte sie alles verkauft und war zurück nach Florenz gekommen. Alle Brücken, die sie mit diesem Lebensabschnitt verbinden konnten, wurden abgebrochen. Aber je mehr sie versuchte, diese Zeit zu verdrängen, desto bedrückender kehrten die Erinnerungen wieder.

Es klingelte. Durch den Türspion war wegen des peitschenden Regens niemand zu erkennen. Sie wandte der Tür den Rücken zu, wollte gerade wieder nach oben gehen, als es erneut klingelte. »Einen Augenblick!«, rief sie, drehte sich mürrisch um und öffnete die schwere Eichenholztür.

Ein hochgewachsener Mann trat aus dem Schatten und ging auf sie zu.

»Ciao, Susanna.«

Sie wich erschrocken zurück, sie traute ihren Augen nicht.

»Aber …« Ihre Stimme erstarb, Röte schoss in ihre Wangen.

»Victor, was machst du denn hier?«, stammelte sie dann.

Ihr Herz raste, sie konnte den Blick nicht von ihm lösen.

Seit wann hatte sie ihn nicht mehr gesehen?

Das lag Jahre zurück, viele Jahre.

Er hatte sich verändert. Aber in dem markanten Gesicht des vom Leben gezeichneten Mannes erkannte sie noch immer den jungen Draufgänger von früher.

In einem anderen Leben.

Warum war er zurückgekommen? Diese Frage schoss ihr spontan durch den Kopf. Sie atmete tief durch und bemühte sich, ruhig zu bleiben.

»Lässt du mich nicht rein?«

Er lächelte. Dieses strahlende Lächeln, dieser Glanz seiner grünen Augen, sie hatte es nicht vergessen können. Susanna spürte, wie alles, was sie vor langer Zeit mit ihm verbunden hatte, in ihr hochgespült wurde. Damals wäre sie für ihn durchs Feuer gegangen, hätte jedem seiner Worte Glauben geschenkt, sie war hypnotisiert von seinen Liebesschwüren. Aber war das wirklich Liebe? Oder nur ein Taumel der Gefühle? Eine Illusion?

Einen Moment lang war sie versucht, die Tür wieder zuzuschlagen. Aber hatte sie das damals nicht auch schon getan? Und es hatte nicht funktioniert, warum sollte es jetzt anders sein?

Sie trat zur Seite. »Bitte.«

»Danke, ich hätte vorher anrufen sollen, entschuldige.«

Er zog den klassisch geschnittenen dunkelblauen Mantel aus. Er roch nach nasser Wolle und nach noch etwas, was sie faszinierte. Sie wusste, was es war, obwohl der Rosenduft so schwach, kaum wahrnehmbar war. Aber dieser Duft rührte nicht von irgendeiner Rose her, sondern von einer bestimmten Sorte der Damaszenerrose, die überhaupt nur an einem einzigen Ort auf der Welt wuchs.

Hatte man diesen Duft auch nur ein Mal aufgenommen, blieb er unvergesslich. Wie seine Stimme, seine natürliche, unangestrengte Freundlichkeit, seine guten Manieren.

»Gib mir bitte deinen Mantel, ich hänge ihn vor den Kamin.«

Er ließ sie nicht aus den Augen. »Ich habe mich immer gefragt, wie es in deinem Palazzo wohl aussehen mag.«

»Ehrlich gesagt, wohne ich lediglich hier nur, er gehört mir nicht.«

»Macht das einen Unterschied?«

»Einen ganz entscheidenden.« Sie nahm das Badetuch, das sie für sich bereitgelegt hatte, und hielt es ihm hin. »Hier trockne dich erst einmal ab. Und was hältst du von einem Tee?«

»Danke, gern.«

Sie ging voraus, und er folgte ihr in die Küche. Er setzte sich und lächelte sie an.

»Ich will nur verhindern, dass du eine Lungenentzündung bekommst.«

Sein Lächeln wurde breiter.

»Du weißt gar nicht, wie sehr du mir gefehlt hast.«

Fast wäre Susanna die Tasse aus der Hand gefallen. »Nicht ich habe dir gefehlt, sondern diejenige, die deiner Wunschvorstellung von mir entsprechen sollte. Von unserem Leben, das wir vielleicht hätten führen können.«

»Du bist nicht lange genug geblieben, um das herauszufinden, Susanna. Ich hätte dich überraschen können.«

Das Ganze war eine halbe Ewigkeit her, und jetzt saßen sie hier und sprachen darüber, als wäre es gestern gewesen. Absurd.

»Uns hat nichts mehr verbunden. Es war vorbei, Victor.«

Er schwieg, in seinem Gesicht kämpften das abklingende Lächeln und die aufwallende Wut um die Oberhand.

»Vorbei? Für dich vielleicht, aber ich hatte nie die Gelegenheit, mich zu äußern. Du warst einfach verschwunden.«

»Es gab nichts mehr zu sagen.«

»Da irrst du dich, ich hatte viele Ideen. Ich hätte alles in meiner Macht Stehende getan.«

»Nein, nicht alles.«

»Bist du wirklich sicher?«

Seine Stimme klang zwar sehr selbstsicher, ein leises mitschwingendes Bedauern war aber herauszuhören.

Ihre Blicke verschmolzen ineinander, und einen Augenblick lang waren sie nicht mehr im Palazzo Rossini in Florenz, sondern in Bayt Zahri. Um sie herum Berge von Rosenblütenblättern aus Ta’if und Dutzende Arbeiter, die sie sortierten. Erdfarbene Gesichter, Goldkettchen an den Fußknöcheln, leise Musik, in der Ferne ein Tamburin. Das Rufen eines Muezzins, der die Gläubigen zum Gebet anhielt.

Victor Arslan war Tscherkesse, der Letzte seiner Familie, die aus der Heimat geflohen war und Zuflucht in Saudi-Arabien gefunden hatte. In Ta’if, der Sommerhauptstadt des Landes, destillierte Victor die Essenz aus einer alten Rosensorte, die nur auf den Hochebenen rund um Mekka wuchs.

Er war eine der begnadetsten »Nasen«, die sie je getroffen hatte. Ein Genie, das in der Lage war, mehr als viertausend verschiedene Düfte zu erkennen, auszuwählen und zu mischen. Das absolute Gehör in der zauberhaften Welt der Düfte.

Vielleicht der Beste.

»Manchmal habe ich mich gefragt, ob du gefunden hast, wonach du auf der Suche warst, ob dein Abenteuerdurst gestillt ist. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass du irgendwo sesshaft werden würdest.« Nach einer Pause sprach er weiter: »Ich habe deinen Freiheitsdrang, dein Unabhängigkeitstreben und deine Konsequenz immer bewundert.«

»Es ist so viel Zeit vergangen, Victor. Warum zurückschauen?«

Stirnrunzelnd musterte er sie. »Was ist los mit dir?«

»Warum solltest gerade du das Recht haben, mich das zu fragen?«

»Das maße ich mir nicht an.«

»Alle glauben, Rechte zu haben. Das sind die Kollateralschäden, die Beziehungen zurücklassen. Auch jene, die schon lange nicht mehr bestehen.«

»Ich dachte, du würdest mich besser kennen.«

»Warum sollte ich?«

»Das weißt du …«

Susanna hasste es, wenn ein Satz nicht beendet wurde, auch wenn sie das Ende kannte.

»Wie geht es Noor?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, wir sind seit fünfzehn Jahren geschieden. Sie hat das Land verlassen. Wie ich gehört habe, wohnt sie mit ihrem neuen Mann in den USA.«

Susanna war überrascht, das hatte sie nicht erwartet.

Noor al-Fayed war das, was sie nie werden würde: die perfekte Ehefrau. Als Susanna Victor kennengelernt hatte, waren die beiden sich versprochen gewesen. Eine Ehe in ganz jungen Jahren war in Saudi-Arabien nicht ungewöhnlich, für Susanna fern jeder Vorstellung, aber nicht ohne Faszination.

Sie hätte sich um keinen Preis anpassen können.

Ihre Sanftmut, ihre Herzlichkeit: Noor würde sie nie vergessen. Sie waren ein Herz und eine Seele, bis sie zu Maurice zurückgekehrt war und gelernt hatte, dass nichts im Leben sicher war, außer der Tod.

»Und du? Warst du glücklich mit deinem Mann?«

Sie wollte antworten, aber dazu hätte sie zu weit ausholen müssen, dazu war sie noch nicht bereit. Ihm gegenüber schon gar nicht.

»Was willst du überhaupt hier, Victor? Warum hast du dich nicht früher gemeldet? Du scheinst mich doch in all den Jahren im Auge gehabt zu haben. Ich gehe jede Wette ein, dass du meine Handynummer hast.«

Er antwortete mit einer Gegenfrage: »Und du? Warum hast du nichts von dir hören lassen?«

Susanna konnte die Wut, ihre vertraute Gefährtin, die in ihr aufstieg, nur mühsam bändigen. Aber die Kraft, die sie dieses Mal in ihrem Inneren entfaltete, überraschte sie. »Wenn du glaubst, dass ich der Vergangenheit nachtrauere, dann irrst du dich gewaltig.« Sie hätte schreien mögen, hielt sich jedoch zurück, um nicht völlig die Beherrschung zu verlieren, was letztlich nur ihm genutzt hätte.

Victor zuckte nicht mit der Wimper und erwiderte: »Ich habe jeden einzelnen Tag an dich gedacht. Nicht aus Sehnsucht oder Begehren, es war einfach so. Weil du etwas ganz Besonderes für mich bist.«

Sie hasste ihn für die Verwirrung, in die er sie stürzte, für seine scheinbare Gelassenheit und seinen Hang, dem Unvermeidlichen kalt mit Fatalismus zu begegnen.

Irgendwann hatte er gesagt, dass er von Anfang an gewusst habe, wer sie war. Er habe es in ihren Augen gesehen. Die Seelenverwandtschaft mit ihm. Sie seien füreinander bestimmt, entschieden durch eine höhere Macht. Eine Verbindung für die Ewigkeit, egal, was auch immer kommen möge.

Sie hatte ihm geglaubt.

»Die Gedanken sind frei, die Hoffnungen und die Illusionen«, erwiderte sie nach langem Zögern.

Victors Lächeln kehrte zurück. »Das hängt vom Blickwinkel ab. Ich nehme an, dass die Einsamkeit Menschen etwas vorgaukeln kann.«

Susanna ahnte, dass er damit auf sich anspielte, aber sie wollte nicht weiter darauf eingehen. Er sollte endlich wieder gehen. Und gleichzeitig wünschte sie sich nichts mehr, als dass er bliebe.

»Das ist mir zu kompliziert.«

Er musterte sie lange. »Deine Tochter?«, fragte er unvermittelt.

Susanna zuckte zusammen, ihr Herz pochte wild. Sie würde nicht über Elena sprechen, auf keinen Fall. »Hast du Kinder?«, fragte sie stattdessen.

»Noor wollte noch warten, und ich hatte eine Firma aufzubauen«, in seinem Tonfall schwang wieder Bedauern mit.

»Sag mir endlich, warum du wirklich hier bist?«

Victor stand auf, holte seine Tasche, zog einen Umschlag heraus und hielt ihn ihr hin.

»Was ist das?«

»Öffne ihn, darin findest du die Antwort auf deine Frage.«

Susanna fiel es wie Schuppen von den Augen, sie verstand. Angst überkam sie, sie war wie gelähmt.

»Gut, dann mach ich ihn auf.« Victor riss den Umschlag auf und zog ein Blatt Papier heraus, der Artikel über Elena in Scent. Als Susanna das Foto sah, ahnte sie, was passieren würde.

»Wer ist diese Frau?«

»Das siehst du doch! Das ist meine Tochter, es steht dort schwarz auf weiß.«

Victors Lächeln wurde breiter.

»Ihre Augen, diese Farbe … Wie alt ist sie?«

Er sprach langsam, ruhig, beinah bedächtig, und die Worte klangen warm und erwartungsvoll. Susanna hätte am liebsten wieder geschrien.

Aber sie zwang sich zur Ruhe.