Das Weihnachtsmarktwunder - Ralf Günther - E-Book

Das Weihnachtsmarktwunder E-Book

Ralf Günther

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Beschreibung

Damals, als noch richtig Weihnachten war … Ein kleines, verschneites Dorf im Erzgebirge zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der 15-jährige Martin freut sich in diesem Jahr besonders auf das bevorstehende Weihnachtsfest: Er darf zum ersten Mal mit nach Dresden fahren, wo ein Händler das kunstvoll geschnitzte Holzspielzeug der Familie auf dem sagenhaften Striezelmarkt verkauft. Doch der Händler erreicht das entlegene Dorf in diesem Jahr nicht, und Martins Vater liegt krank darnieder. Eine Katastrophe für die Familie: Nur auf dem Weihnachtsmarkt in der Stadt kann die Arbeit eines ganzen Jahres Käufer finden. Da fasst Martin einen mutigen Entschluss: Er macht sich mit vollbeladenem Schlitten alleine auf den Weg nach Dresden … Eine herzerwärmende Geschichte, die ein traditionsreiches Handwerk und eine der schönsten Städte Deutschlands in weihnachtlichem Licht erstrahlen lässt.

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Ralf Günther

Das Weihnachtsmarktwunder

Illustriert von Andrea Offermann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Damals, als noch richtig Weihnachten war …

Ein kleines, verschneites Dorf im Erzgebirge zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der 15-jährige Martin freut sich in diesem Jahr besonders auf das bevorstehende Weihnachtsfest: Er darf zum ersten Mal mit nach Dresden fahren, wo ein Händler das kunstvoll geschnitzte Holzspielzeug der Familie auf dem sagenhaften Striezelmarkt verkauft.

Doch der Händler erreicht das entlegene Dorf in diesem Jahr nicht, und Martins Vater liegt krank darnieder. Eine Katastrophe für die Familie: Nur auf dem Weihnachtsmarkt in der Stadt kann die Arbeit eines ganzen Jahres Käufer finden. Da fasst Martin einen mutigen Entschluss: Er macht sich mit vollbeladenem Schlitten alleine auf den Weg nach Dresden …

Über Ralf Günther

Inhaltsübersicht

WidmungDas WeihnachtsmarktwunderNachwort

Für Alex, die den Stein ins Rollen brachte.

Seit dem Beginn der Adventszeit schlüpfte Martin mit einem Messer und einem Holzstecken ins Bett. Der Stecken war ein Kerbholz. Das war seine Art, die Tage bis zum Fest zu zählen. Doch an diesem Abend tastete er vergeblich nach dem Holz.

Martin suchte unter den Decken und in den Ritzen des Rahmens, suchte zwischen den Sägespänen, mit denen der Bettkasten gefüllt war, und auch unter dem Bett. Er überlegte, wo er den Stecken verloren haben könnte. Auf seinem Gang durchs Dorf, als er die Butter vom Bauern geholt hatte? Oder in der Werkstatt? Durchs Dorf konnte er jetzt, bei Nachtwind und Wintersturm, ohnehin nicht mehr laufen. Also blieb nur die Werkstatt zum Nachschauen.

Mit knöchellangem Nachthemd bekleidet, hüpfte Martin die Holzstufen hinunter. Die Dielen knarrten bei jedem Schritt. Aus der Stube hörte er die Stimmen seiner Eltern. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und Martin rührte sie nicht an. Die Eltern wären nur unnötig besorgt, wenn er ihnen sagte, dass er noch einmal hinausging. Und warum sollte er, schließlich war er «fast schon groß», wie es seine kleine Schwester Line auszudrücken pflegte. Er schlüpfte in die Holzpantinen des Vaters, die, noch viel zu groß für Martins Füße, an der Türschwelle standen. Dann löste er den hölzernen Riegel und schob die Tür auf. Mit ganzer Kraft musste er sich dagegenstemmen, denn der Wind tobte über die schneebedeckten Erzgebirgshänge, bog die Wipfel der Fichten so weit hinab, dass sie sich vor Martin zu verbeugen schienen, und hämmerte, als begehrte er Einlass, mit geballter Faust gegen die windschiefen Häuser des Dorfes. Das Hemd flatterte um Martins Körper, die Schneeböen umwirbelten ihn, und er lief, so schnell es in den Holzschuhen und über den Eisboden nur ging, hinüber zur Werkstatthütte.

Plötzliche Stille empfing ihn, als er die Tür aufschob. Nur die Schindeln auf dem Dach klapperten, wenn eine Windböe hineinfuhr. Obwohl hier die Arbeit eines Jahres lagerte, war die Tür nicht verschlossen. Die Dorfbewohner vertrauten einander. Hier oben, im kargen Gebirge, wo es nicht viel mehr zum Leben gab als die Hand in den Mund, rückten die Menschen eng zusammen.

An der langen Seite stand – furchterregend und doch harmlos wie ein ausgestopfter Wachhund – die Drechselbank. Den ganzen Sommer über hatte ihr Lied hier geklungen, das rhythmische Stampfen und Bollern des Schwungrads, begleitet vom leisen Sirren des Spans, wenn der Vater ihn mit sachtem Fingerdruck aus dem Holz grub. Für Martin grenzte es immer noch an Zauberei, wie sich ein daumenbreites Stück Holz, gespalten von einem kreisrunden, glatten Reifen, in den der Vater nur ein paar umlaufende Rillen geschnitten hatte, plötzlich in ein Pferd verwandelte. Oder in eine Kuh, eine Ziege, ein Schaf. Oder – und das war hier im Dorf die größte Sensation – in einen Elefanten!

Wenn der Vater das Stück vom Drechselreifen gespalten hatte, musste das Tier zwar noch beschnitten und bemalt werden, aber seine Konturen waren bereits gut erkennbar. Seit ein paar Jahren schon durfte Martin beim Schnitzen helfen, Line und die Mutter hingegen waren geschickte Malerinnen. Diesen Sommer hatten sie sogar damit begonnen, die Holztiere mit kleinen Stoffstücken und echtem Fell zu verzieren. Das war Lines Idee gewesen. So klein sie auch war, Ideen hatte sie, das musste man ihr lassen. Die Tiere sahen nun noch lebensechter aus. Auf einige Pferde hatten sie mit Leim kleine Sättel und Zaumzeug geklebt. Aus Lederabfällen vom Dorfschuster. Martin liebte ihre Spielzeugfiguren. Am liebsten hätte er sie allesamt behalten …

Er spürte, wie ihm allmählich kälter wurde. Der Schutz vor dem Wind hatte die Bretterhütte im ersten Moment warm und heimelig erscheinen lassen, tatsächlich war es hier so kalt wie draußen. Der Atem zeichnete Wölkchen in die Luft. Seit dem späten Herbst hatte der Vater die Arbeit in die Stube des Wohnhauses verlegt. Zwei Gebäude zu heizen, dafür langte das Holz nicht. Martin ließ den Blick über die Spankisten gleiten. Drei Dutzend, gestapelt bis unter die Decke. Nachdem die Farbe getrocknet war, hatte der Vater das Spielzeug in Kisten gepackt und Martin die Hohlräume mit Spänen ausgestopft. Der Geruch war ihm seit frühesten Kindertagen vertraut. Es war nicht der trockene, harzige der Fichten, den man aus dem Wald kennt, sondern ein süßlicher. Das Fichtenholz musste gewässert werden, damit man es zu kreisrunden Reifen biegen und in die Drechselbank einspannen konnte. So lagen die Stämme im Mühlteich, wochenlang, monatelang. Das machte den Geruch süß wie Honig und auch ein wenig faulig. Die Kräuselspäne, die wie Schnee von der Drechselbank rieselten, waren Martin schon als Kind das Liebste gewesen. Und das singende Schleifgeräusch, wenn der Vater sie mit dem Beitel vom Holz schnitt. Man konnte sie ins Bett legen, um weicher zu liegen, man konnte sich mit Leim einen Schnurrbart daraus ankleben, man konnte versuchen, sie gerade zu ziehen. Doch ebenso gut konnte man versuchen, den Mond mit einem Stein zu treffen. Die gekräuselten Drechselspäne waren – einmal trocken – einfach nicht mehr zu entkräuseln. An Winterabenden konnte man die Öfen damit zum Glühen bringen, denn im trockenen Zustand brannten sie wie Zunder. Und mit den breiten Streifen, die vom Hobeln übrig blieben, bauten sie Kisten und Kästen. Diese Spankisten waren so leicht, dass man sie an einem Finger tragen konnte.

Bündeln, Binden, Stapeln – das war die Arbeit dieses Tages gewesen, damit der Handelsagent sie am nächsten ohne große Mühe mitnehmen konnte. Doch nicht nur die Kisten würde er in diesem Jahr auf sein Fuhrwerk laden. Der Vater hatte seinem Sohn im letzten Jahr ein Versprechen gegeben, und das war der Grund, warum Martin sein Kerbholz jetzt so arg vermisste. Er kniff die Augen zusammen, um im Dunkeln besser sehen zu können, und suchte den Boden ab.

Da lag es! Beim Kistenstapeln musste es ihm am Nachmittag aus der Tasche gerutscht sein. Martin hob es auf und fuhr mit dem Finger über die Kerben. Bei achtzehn hörte er auf zu zählen. Ein wenig Platz war noch auf dem Holz. Er nahm das Messer heraus und schnitt die neunzehnte Kerbe. Neunzehn dieser düsteren Tage hatte der Dezember schon aufgezehrt. Bald war es so weit, und das heilige Fest würde die Dunkelheit aus den Häusern jagen. Doch vorher wartete noch ein großes Abenteuer auf ihn!

Am nächsten Morgen trat Vater Moscherosch mit besorgtem Blick vor die Tür. Seit dem November lag Schnee. Nicht viel, die Wege waren schon wieder freigetrampelt. Aber der richtige Winter stand ja noch bevor – wenn man an der Hangseite über den Misthaufen aus dem Haus kraxeln musste, weil der Wind den Schnee eine Nacht lang vor die Tür geblasen und aufgehäuft hatte.

Gedankenverloren stand er da und starrte auf das Geäst des Apfelbaums. Vor wenigen Monaten noch war der Baum gespickt gewesen mit herrlich rotwangigen Früchten. Nun stand er da wie tot. Wenn der Wind in die Äste fuhr, zitterten sie nur, so starr waren sie. Kein Vergleich zum Sommer, wo das Rauschen der Blätter niemals abebbte.

Der Vater wandte sich ab vom Baumgerippe und schlug sich mit den Armen die Kälte vom Leib. Dann hielt er die Nase in die Luft. Sah die Straße hinauf und hinunter. Grummelte etwas in seinen Vollbart, der an einigen Stellen schon ergraut war, dann kam er zurück in die Hütte. Gesenkten Kopfes trat er in die Stube und schloss die Tür. Den fragenden Blick der Mutter erwiderte er mit einem traurigen Kopfschütteln. Die Stimmung gefror.

Martin wusste, was die Eltern bedrückte. Vater hielt nach dem Handelsagenten Ausschau. Der hatte dafür zu sorgen, dass die kunterbunten Tiere, die sie übers Jahr hergestellt hatten, nach Dresden gelangten. In die Stadt, wo Holzspielzeug, das sich hier in jeder Hütte bis unter die Decke stapelte, etwas Seltenes und Wertvolles war – fast so wertvoll wie Diamanten. So jedenfalls stellte Martin sich das vor.

Dem Agenten fiel in diesem Handel eine ganz entscheidende Rolle zu. Er allein kannte den Weg durchs Gebirge – über Schneeberg und Dippoldiswalde, so hatte Martin gehört –, er allein kannte auch den Ort, wo die Stadtmenschen sich versammelten, um sich um das knappe Spielzeug zu zanken: den sagenhaften Dresdner Striezelmarkt!

Ohne den Agenten – das hatte selbst Line verstanden – ohne den Agenten waren sie nichts. Wer sonst sollte ihnen hier das Spielzeug abkaufen, wo jeder kistenweise davon herumstehen hatte? Und bevor Menschen aus der Stadt sich hierher verirrten, würde der Dorfbach anfangen bergauf zu fließen …

Als der Vater in der frühen Abenddämmerung erneut vor die Hütte trat, um seine Blicke die Straße hinauf und hinunter wandern zu lassen, zog sich Martin die Fellweste über und gesellte sich zu ihm. Eine Weile schwiegen sie in stiller Eintracht. Dann holte Martin tief Luft. «Vater», sagte er bangend.

«Mmh», grummelte der Vater.

«Weißt du noch, was du mir versprochen hast? Im letzten Jahr?»

«Mmmmh.»

«Soll ich mein Bündel schon holen?»

Der Vater sah ihn lange an. «Du willst also unbedingt in die Stadt?»

Martin nickte tapfer.

Vater Moscherosch wandte sich um und sah mit leerem Blick die Straße hinauf, bis ans obere Ende des Dorfes. «Wenn er denn kommt», murmelte er.

Martin glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. «Warum sollte er nicht kommen?»

Der Vater schwieg, und für Martin war diese Möglichkeit so unerhört, dass er etwas sagen musste, gegen die Leere in seinem Kopf. «Er muss doch kommen! Was sollen wir denn sonst mit den Tieren machen?» Empört standen seine Atemwölkchen für einen kurzen Moment in der Winterluft, bevor sie sich verflüchtigten.

Traurig lächelnd strich Vater Moscherosch über Martins Kopf. Dann schlug er zweimal die Arme über der Fellweste zusammen, als wolle er sie ausklopfen, drehte sich um und wandte sich zur Hütte.

Als er über die Schwelle trat, erwartete ihn die Mutter erneut mit fragendem Blick. Und der Vater schüttelte wieder nur den Kopf.

Martin trat hinter ihm ins Haus: «Aber er muss doch kommen. Er kommt jedes Jahr! Immer!»

Nachdem er an diesem Abend mit Sorgfalt eine neue Kerbe ins Holz geschnitten und vorsichtshalber noch einmal nachgezählt hatte, hörte Martin die Stimmen seiner Eltern in der Stube anschwellen. Ohne sich die Pantinen überzuziehen – sie machten zu viel Lärm –, schlüpfte Martin aus dem Bett und schlich sich zum Treppenabsatz. Auf die Holzstiege wagte er sich nicht, denn die Seiten waren offen, die Eltern würden seine Füße entdecken.

«Du bist schuld, du hast den Streit vom Zaun gebrochen letztes Jahr.»

«Ach was, Streit! Er hat uns erpresst, hat den Preis gedrückt, dass es uns den Hals zuschnürte, das war es. Was sollte ich denn tun? Die Unverschämtheit ertragen wie ein Lamm?»

«Wenn er nicht kommt, schnürt es uns den Hals erst recht zu. Dann können wir die Arbeit eines Jahres in den Ofen schmeißen, damit wir vor dem Verhungern nicht erfrieren.»

Martin presste seine Hände auf die Ohren und rannte zurück in die winzige Dachkammer, die er mit seiner Schwester bewohnte. Deren Atem ging ruhig, sie hatte nichts mitbekommen. Martin aber hatte verstanden, warum der Vater mehrmals am Tag so sorgenvoll die Straße hinauf und hinunter sah. Er hatte verstanden, warum er nicht wusste, ob er sein Versprechen vom Vorjahr einlösen konnte. Und vor allem hatte Martin verstanden, dass das, worauf er sich seit einem Jahr freute, womöglich doch nicht eintrat.

Am nächsten Morgen, als Vater und Mutter schon beim Frühstück saßen, schritt Martin erhobenen Hauptes die Treppe hinunter. Seine nackten Füße tapsten aufs Holz. «Zieh dir Pantinen an», mahnte die Mutter, «sonst holst du dir den Tod!»

Martin ging gar nicht darauf ein. «Ich weiß, was wir tun können, um nicht zu verhungern.» Seine Miene war tapfer und voller Stolz.

«Du hast gelauscht!», bemerkte Vater Moscherosch.

«Ich habe euch zufällig gehört», antwortete Martin, «und ich weiß, was wir tun können.» Der Vater schoss auf ihn zu, um Martin das Ohr lang zu ziehen, wie er es immer tat, wenn er für seinen Geschmack zu frech wurde. Diesmal aber hielt ihn die Mutter zurück.

Woraufhin Vater Moscherosch die Arme verschränkte und seinen Sohn höhnisch aufforderte: «Dann lass mal hören!»

Martin atmete tief durch. «Nun, wir fahren selbst nach Dresden!»

Vater und Mutter starrten ihn an. Dann brachen sie, beinahe im selben Moment, in lautes Lachen aus.

«Du hast Träume!», sagte die Mutter.

Der Vater schüttelte den Kopf und wischte sich eine Träne von der Wange, bevor sie in den Bart kullern konnte. Martin wusste nicht, ob es eine Freuden- oder eine Trauerträne war.

«Was ist so lustig an der Idee?» Er verstand es wirklich nicht.

Der Vater kam ganz nahe und packte seinen Sohn an den Armen. Er drückte fest zu, aber Martin war zu stolz, sich den Schmerz anmerken zu lassen. «Zum Ersten: Wir haben kein Fuhrwerk! Wie sollen wir das Spielzeug transportieren? Auf den Händen?»

Der Agent, daran erinnerte sich Martin, fuhr immer mit einem Wagen vor. An dessen Deichsel waren zwei prächtige Braune mit schwarzer Mähne gespannt.

«Aber wir haben doch den Schlitten mit Zuggeschirr zum Holzsammeln. Wenn wir gut stapeln, werden wir die Kisten schon von der Stelle schaffen. Immerhin sind wir zu zweit!»

Grummelnd fand der Vater einen neuen Einwand: «Kennst du denn den Weg nach Dresden? Ich bin ihn einmal gegangen, aber das ist Jahre her!»

«Wir werden nicht die Einzigen sein, die dahin wollen.»

Martin sah, dass die Mutter die Augenbrauen zusammenzog. Das bedeutete, sie dachte ernsthaft über seinen Vorschlag nach.

«Zum Dritten», wandte der Vater ein, «was, wenn wir dort sind?»

«Wir tun das, was der Agent sonst tut.»

«Er bringt das Spielzeug auf den Markt. Mehr weiß ich nicht», murmelte der Vater in seinen Bart. «Und du weißt es auch nicht!», beschied er Martin bitter.

Zum ersten Mal in seinem Leben sah Martin den Vater vollkommen ratlos. Das verschlug ihm die Sprache.

Da beugte sich die Mutter vor und fasste den Vater sachte beim Arm. «So schwierig kann das doch nicht sein! Man wird sich erkundigen können», sagte sie leise. «Und wenn ihr erst dort seid, werdet ihr das Spielzeug schon losschlagen. Holzspielzeug und Weihnachtsschmuck sind Mangelware in der Stadt.»

«Wirklich?», fragte Martin.

«Ja», sagte die Mutter, «es gibt so viele Menschen dort, dass wir hier dreimal so viel Spielzeug schnitzen könnten – und es würde immer noch nicht reichen!»

Martin schüttelte den Kopf. So oft hatte er es sich ausgemalt, aber es war dennoch unfassbar! Dann schreckte er zusammen. Der Vater hatte in die Hände geklatscht. Das Geräusch fuhr Martin durch Mark und Bein.

Der große, graubärtige Mann stand auf, zog die Fellweste enger und ging mit schweren Schritten nach draußen. Ein kalter Luftzug fuhr in die Stube. Dann klappte die Tür wieder zu. Martin und die Mutter sahen sich an. Die Mutter erhob sich, um Holz nachzulegen. Martin zögerte einen Moment, dann stand er ebenfalls auf und ging nach draußen. Der Vater stand schon wieder vorn am Wegesrand, an der Einmündung zur Dorfstraße, wo der Schnee zu Eis getrampelt war. Der Handelsagent war nirgends zu sehen. Der Vater schob den Hut in den Nacken und rieb sich den Kopf. «Wir Landleute gehören nicht dorthin», sagte er, als Martin sich zu ihm gesellte.

Martin schwieg. Davon wollte er sich gern selbst überzeugen.

Wie beiläufig legte der Vater seine Hand auf Martins Schulter. Dann beugte er sich zu ihm hinunter, nahm den Jungen am Kinn und sah ihm tief in die Augen. «Du und deine Ideen!», sagte er lachend und schüttelte den Kopf.

Eine Weile verstanden sie sich schweigend.

«Du willst also unbedingt in die Stadt?», fragte der Vater schließlich erneut.

Martin schwieg. Der Vater knuffte ihm in die Wange. «Na dann!», brummte er.

«Heißt das, wir fahren?»

Der Vater nickte. «Alles ist besser, als hier aufs Verhungern zu warten.»

Martin riss die Arme hoch. «Es geht nach Dresden!»

«Hilf mir, die Kisten auf den Schlitten zu packen, ja? Wenn wir morgen früh aufbrechen wollen, ist noch viel zu tun.»

Die Kisten mussten verstaut und verzurrt werden. Also trugen sie sie aus der Werkstatt nach draußen. Als der Vater sie auf dem Schlitten festzubinden begann, schickte er Martin hinüber ins Haus: «Schau, wie weit deine Mutter mit dem Essen ist.»

Nichts, was Martin lieber getan hätte. Seine Füße waren tiefgefroren, denn der Boden des Schuppens bestand aus gestampftem Lehm. Hielt man sich im Winter hier auf, dauerte es nicht lang und die Kälte stieg von unten her in den Körper. Das Einzige, was dagegen half, war arbeiten. Doch Martin konnte noch nicht arbeiten wie der Vater, kontinuierlich und ausdauernd, tagelang. Immer wieder verlor er das Interesse und musste spielen. Spielzeug gab es ja genug.

Auf dem Weg ins Haus zog es ihm den Magen zusammen. Das lernten die Kinder früh hier oben im Gebirge: Arbeit macht hungrig.

Martin stieß die Tür auf. «Zur Abfahrt bereit!», rief er voller Übermut. Line sprang ihm entgegen, prallte gegen seinen Bauch und umarmte ihn, obwohl ihre Nasenspitze nur bis zur Höhe des Nabels reichte. Dann zog Martin ein langes Gesicht, denn es roch überhaupt nicht nach Essen.

Eine schiere Ewigkeit verging, bis die Hütte nach einer fleischlosen Suppe duftete. Fleisch hatte er seit Wochen nicht auf seinem Teller gefunden. Zwei magere Ziegen zitterten im Stall, gleich neben der Wohnstube, die Hühner hatten sie bereits im Herbst geschlachtet. Vom Erlös des Spielzeuges hing ab, wie viele Küken sie sich im Frühjahr leisten konnten.

Doch das Suppengemüse roch herrlich, und die Mutter hatte in einem Winkel der gähnend leeren Vorratskammer getrocknete Pilze gefunden. Martin war schon mit dem Holzlöffel bewaffnet, als die Mutter ihn aufforderte: «Wo bleibt dein Vater? Bist du so lieb und holst ihn zu Tisch?»

Martin hatte keine große Lust, noch einmal in die Kälte zu gehen, wo es doch um ihn herum und alsbald auch in seinem Magen endlich wieder Wärme gab. Doch nun, da er nach Dresden fahren sollte wie die Großen, musste er wohl auch die Pflichten eines Dresdenfahrers übernehmen …

«Ist gut», sagte er, trennte sich schweren Herzens vom Löffel, sprang von der Bank und lief – ohne sich die Fellweste überzuziehen – hinaus auf den Hof. Eisiger Wind schlug ihm entgegen und trieb ihm dichte Schneeflocken ins Gesicht. Der Weg über den Hof wurde lang. Schon war die Wärme des Kachelofens nur noch eine ferne Erinnerung, und Martin bereute es, die Weste im