11,99 €
In einem 500-Seelendorf im bayrischen Voralpenland scheint sich 2000 Jahre nach ihrer Entstehung die biblische Geschichte mit Josef, dem Zimmermann, den Heiligen drei Königen, Mariä Himmelfahrt und der Sintflut zu wiederholen, selbst der leibhaftige Bischof Nikolaus erscheint – doch wie nicht anders bei Hans Traxler zu erwarten, geht es höchst turbulent zu.
»Hans Traxler erzählt die alte Geschichte neu, anspielungsreich, voller Ironie und nie ohne tiefere Bedeutung. Er hat sie so illustriert, wie er schreibt: im Stile des komischen Realismus.« Focus
»Mit Lust vermengt Traxler die Vorlagen nicht nur der Bibel – bis hin zur Sintflut: Hauptsache heilig. … dies 'Wunder' mit seinem guten Dutzend bunter Zeichnungen, das immer schön gemütlich parallel zum Evangelium schwadroniert und bayerisch-handfeste Analogien findet: Evangelium mit Schweinsbraten mit Kruste in Biersoße samt Kraut und Knödeln.« Frankfurter Neue Presse
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 68
Veröffentlichungsjahr: 2018
Hans Traxler
Das Wunder von Anning
Roman
Insel Verlag
Das Wunder von Anning
Anning ist ein unscheinbares Dorf von fünfhundert Seelen, eingeschmiegt in die sanften Hügel des bayrischen Voralpenlandes, am nördlichen Ufer eines der großen Seen gelegen, auf dem heute noch wie vor hundert Jahren die weißen Raddampfer von einem Ort zum andern fahren.
Im Dreißigjährigen Krieg ist Anning von den Schweden niedergebrannt worden, nur der Kirche und dem Pfarrhaus konnten die Flammen nichts anhaben. Dieses offensichtliche Wunder hat dem Glauben viel Vorschub geleistet, bis in die jüngste Zeit, und ist wohl auch die einzige Erklärung für das Verhalten der Dorfbewohner im späteren Verlauf des Dramas, über das hier berichtet wird.
In diesem abgelegenen Ort, wohin sich selten ein Fremder und nie ein Tourist verirrt, kam es gute zweitausend Jahre nach den biblischen Ereignissen, von denen die vier Evangelisten berichten, zu Vorkommnissen, die zuerst die beiden Familien Moser und Spitzer, später das Dorf und schließlich 48 Stunden lang die ganze Welt in Atem hielten, bis auch sie wieder von neuen Sensationen und den Berichten darüber verdrängt wurden.
Für die Hauptpersonen unserer Geschichte, den biederen Zimmermeister Josef Moser und seine Gattin Maria, geborene Spitzer, war die Sache damit freilich nicht abgetan. Sie und ihr unter ungewöhnlichen Umständen geborener Abkömmling namens Kurti wurden die Opfer einer gewaltigen Spirale von religiösem Wahn und schierem Aberglauben, von Gier und Geltungssucht, von Eitelkeit, Kaufwut und Tollheit, all das getragen von der Hybris und Quotensucht der Medien und dem hilflosen Beiseitestehen der kirchlichen und staatlichen Autoritäten.
Alles begann an einem 25. März, und das war, Zufall oder nicht, genau der Tag, auf den im christlichen Kalender die Verkündigung Mariä fiel, in der Schlafkammer der Mosers. Draußen rüttelten die ersten Frühlingsstürme an den Fensterläden, begleitet vom sonoren Schnarchen Josefs.
Es hatte zum Nachtmahl Schweinsbraten mit Kruste in Biersauce samt Kraut und Knödeln gegeben, ein Gericht, das auch bei geübten Essern wie den Mosers häufig zu Magendrücken und schweren Träumen führt. Während ihr Josef reglos im tiefen Schlummer lag und nur ab und zu gurgelnde und blasende Geräusche von sich gab, die denjenigen eines auftauchenden Flusspferdes glichen, hatte Frau Maria eine Erscheinung. Jedenfalls benützte sie dieses Wort, als sie ihrer Zugehfrau am nächsten Morgen die Ereignisse der Nacht brühwarm schilderte. Später musste sie dann allerdings zugeben, dass es sich wohl eher um einen Traum gehandelt habe. Auf mehrmaliges Nachfragen der Zugehfrau ergab sich dann folgendes Bild:
Auf einmal sei es in der Kammer ganz gleißend hell geworden, die Wände seien zurückgewichen, Schalmeien seien erklungen, und in einer Wolke von Licht sei ein Engel erschienen und habe ihr verkündet, sie sei schwanger. Der Himmelsbote mit goldenen Flügeln habe ein Gewand aus weißer und gelber Seide getragen und, an dieser Stelle kicherte Maria ein wenig, er hätte ganz frappant einer Nachrichtensprecherin des Deutschen Fernsehens geähnelt.
Hier muss eingeschoben werden, dass Maria Moser nur selten einen Auftritt dieser schönen blonden Frau mit den strahlenden blauen Augen versäumte, obwohl sie sich für das Weltgeschehen nur wenig interessierte. Nun aber ergab sich aus dieser Kombination von augenscheinlich himmlischer Botschaft und einer quasi amtlichen Verlautbarung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine denkbar hohe Glaubwürdigkeit für sie.
Maria Moser war hin- und hergerissen zwischen Glaube, Aberglaube und ungläubigem Staunen. Dann murmelte sie: »Das passt jetzt aber ganz schlecht«, und war sofort erschrocken über ihre Unbotmäßigkeit.
Der Engel hob die Brauen.
»Ich dachte, du würdest dich freuen!«, sagte er pikiert.
Frau Maria, die die ganze Zeit fieberhaft überlegt hatte, wie man einen Engel anspricht: Hochwürden? Eure Heiligkeit? Eminenz? Exzellenz? oder einfach Herr Engel?, nahm sich ein Herz und plauderte drauflos:
»Ja schon, einerseits. Aber geschäftlich passt es halt gerade ganz schlecht. Gestern hat mein Mann den letzten Mitarbeiter entlassen müssen, den Slatko«, klagte sie. »Die Leut kaufen jetzt mehr Fertighäuser, weil immer alles ganz schnell gehen muss. Da haben wir Zimmerleut das Nachsehen!«
»Ja, ja, ja«, sagte der Engel ungeduldig, »das wissen WIR schon selber!«
Darauf schwieg Frau Moser. Wer war sie schon, um mit einem Himmelsboten zu streiten, besonders, wenn er wie eine berühmte Fernsehsprecherin aussah.
»Man sagt ja bloß«, murmelte sie und weinte ein bisschen. Dann drehte sie sich auf die andere Seite und fing leise an zu schnarchen.
Als sie am nächsten Morgen nach dem Aufwachen eine kleine Feuchtigkeit auf ihrem Kopfkissen bemerkte, erinnerte sie sich wieder an den Traum.
Ihr Mann hatte indessen ganz andere Sorgen. Heute war Post vom Finanzamt gekommen, man wollte ihm einen Steuerschätzer ins Haus schicken. Herr Moser mochte nicht einmal darüber nachdenken, ob er sich ein Kind leisten könne.
In der nächsten Nacht erschien der Engel wieder. Diesmal war Frau Moser vorbereitet und schilderte ihm flüssig die Notlage ihres Mannes, besonders die angedrohte Steuerschätzung. Der Engel hob die Augenbrauen.
»Da hat wohl jemand seine Post nicht geöffnet«, säuselte er. »Post von ganz oben!« Er blickte bedeutungsvoll zur Decke, und so war es auch. Weil der Briefbote fast nur noch Mahnungen brachte, und Rechnungen, die Josef doch nicht bezahlen konnte, was wiederum zu neuen Mahnungen führte, hatte er seit längerem die ganze Post mitsamt der Reklame ungeöffnet in eine alte Werkzeugkiste geworfen.
Der Engel deutete an, er werde sich um die Sache kümmern, drehte sich um, nahm einen kurzen Anlauf, breitete seine Schwingen aus und verschwand in einer eleganten Aufwärtskurve.
Nur einen Tag später kam Herr Moser fröhlich aus seinem Büro. Das Finanzamt hatte sich entschuldigt und sogar eine kleine Rückzahlung in Aussicht gestellt. Geld vom Finanzamt zurückzubekommen, das war nun wahrlich ein Wunder.
In der dritten Nacht erschien der Engel des Herrn nicht wieder, und auch die schöne Nachrichtensprecherin wechselte sich mit ihrer jüngeren Kollegin turnusmäßig ab. Frau Moser steckte einen Anteil der Steuerrückzahlung in den Opferstock der Wallfahrtskirche Birkenstein und zündete eine Wachskerze an.
Ihr war, sie wusste nicht, wie. Den Traum hätte man noch beiseitewischen können – Träume sind Schäume, sagt man –, aber die Zahl auf dem Bankauszug sprach eine andere Sprache. Frau Maria, ein eher schlichtes Gemüt und eine laue Christin, beschloss, ihre katholische Familientradition ein wenig aufzufrischen. Das Ausbleiben des Steuerschätzers und die rätselhafte, rein rechnerisch nicht nachvollziehbare Erstattung aus der Finanzkasse hatten die Geschäftsfrau in ihr tief beeindruckt.
Nun wollte sie aber auch wissen, was es mit der Schwangerschaft auf sich habe. Maria Moser war nicht mehr die Jüngste. Jahrelang hatte man versucht, einen Erben fürs Geschäft zu zeugen, und jetzt, mit 54 Jahren, sollte es auf einmal hingehauen haben. War das zu glauben?
»Glauben heißt nix wissen!«, brummte Josef Moser, der ja auch nicht verstand, wie das alles gekommen war. Dann meldete er Maria im Kreiskrankenhaus an.
Endlos lang und ohne eine Miene zu verziehen, fuhr der Gynäkologe mit dem glitschigen Kopf des Ultraschallgeräts über Maria Mosers Bauch, um dann zu verkünden: »Gratuliere, alles, wie’s sein soll. Mitte Dezember sind wir so weit.«
Maria lag benommen da, während Doktor Fischer ihren Bauch abwischte. Der Engel hatte also nicht geflunkert, sie war schwanger geworden, und das in ihrem Alter. Vor allem aber, sie konnte sich auf Teufel komm raus nicht daran erinnern, wann Josef ihr das letzte Mal beigewohnt hatte. Das musste doch – sie strengte ihr Gedächtnis an, aber es fiel ihr nicht mehr ein. Verwirrt saß sie da, während der Arzt ihr bedeutete, dass die Untersuchung beendet sei. War das nun die Gnade der späten Geburt, von der ein vergangener dicker Bundeskanzler gesprochen hatte? Erst im Taxi kam sie wieder zu sich.
Am nächsten Tag standen die Mosers in aller Frühe auf und räumten das größte und schönste Zimmer des Hauses leer. Es hatte bis dahin dem Hausherrn als Büro gedient, aber nun wurden die Möbel auf die anderen Räume verteilt. Da war es nun ein wenig eng, aber Maria und Josef versicherten sich gegenseitig, dass man sich schon daran gewöhnen werde. Der Neuankömmling sollte es gut haben.