Dating Santa - Adaja Kingsley - E-Book

Dating Santa E-Book

Adaja Kingsley

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Beschreibung

Bei Sabrina, einer der drei Chefinnen der Christmas Angel Agency – einer Personalvermittlungsagentur für Notfälle –, erweckt die Vorweihnachtszeit keinen Hauch von Besinnlichkeit. Im Gegenteil – für die Christmas Angel Agency ist das die stressigste Zeit im Jahr. Aus Mangel an Alternativen springt Sabrina kurzerhand selbst als Aushilfe in einer Konditorei voller duftender Köstlichkeiten ein. Zu ihrer Überraschung genießt sie die weihnachtliche Atmosphäre dort so sehr, dass sie nach ihrer Schicht im Café bei der Bewirtung Bedürftiger hilft. Als der Obdachlose Santa sich in Sabrinas Beisein verletzt, fühlt sie sich verantwortlich und möchte ihm helfen. Doch Santa ist nach ihrer ersten Begegnung wie vom Erdboden verschluckt. Besorgt begibt sich Sabrina auf die Suche nach ihm und kommt allmählich hinter sein tragisches Geheimnis.

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Dating Santa

 

Eine Weihnachtsgeschichte

 

Adaja Kingsley

 

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

 

 

Über die Autorin:

Gerüchten nach vor der Jahrtausendwende geboren, plagt sie sich im Alltag mit Gesetzen und Zahlen. Als Autorin begibt sie sich auf die Reise in immer wieder neue Gefilde und ist bisher in den Genres Thriller, Romance und Urban Fantasy beheimatet. Ihre Geschichten führen rund um den Globus bis in ihre Wahlheimat Westerwald, wo sie mit Kind, Mann, Hunden und ihren Autos lebt.

 

 

 

 

 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

viel Freude mit dem ersten Fall der Christmas Angel Agency.

Adaja Kingsley

 

 

Kapitel 1

 

»Kommst du noch mit in die Kunstgalerie?«, fragt Yvonne in ihrer herrlich lässigen und zugleich aufgedrehten Art.

Die Tragegurte meines Einkaufsbeutels lasten schwer auf meiner Schulter. Woher nimmt sie nur immer diese Energie?

Ich stehe zwar auch unter Strom, doch das hat eine andere Ursache als Yvonnes vorfestliche Euphorie: Mein Mobiltelefon hat während unserer weihnachtlichen Shoppingtour gewiss ein Dutzend Mal geklingelt. Ich habe die Anrufe und Nachrichten ignoriert, da dieser Samstag Yvonne und mir gehören soll. Doch so langsam verspüre ich den unzähmbaren Drang, endlich nachzusehen, ob die Firma noch steht. Lang werde ich dem nichts mehr entgegensetzen können.

»Wir sehen uns mittlerweile meist nur noch dieses eine Mal im Jahr zu unserer weihnachtlichen Shopping- und Schlemmtour. Jetzt sag nicht, du kneifst. Wir sind kaum vier Stunden unterwegs. Und heute ist Samstag.« Yvonne sieht mich missmutig an, da ich ihre Frage noch immer nicht beantwortet habe.

Sie hat recht. Doch bei ihrem Vorschlag hege ich Bedenken. »Eine Kunstgalerie? Mein Magen knurrt und …«, stammle ich und überlege krampfhaft, ob ich nicht einen Gegenvorschlag habe.

Meine Freundin zwinkert und grinst breit, dabei wackelt sie mit ihren ausladenden Hüften. In ihrer weißen Winterjacke sieht sie aus wie ein Yeti auf Speed und ich muss kichern.

»Hey, du kennst mich und meine Genusssucht. Die Galerie hat den köstlichsten Kuchen und den schokoladigsten Kakao. Und warte ab, bis du erst die Künstler gesehen hast.«

»Eine Galerie?«, frage ich bei ihren Angaben noch einmal ungläubig.

»Jepp. Und es ist eine Schande, dass ich sie nicht schon Jahre früher entdeckt habe. Wobei ich dann sicher noch zwei Kleidernummern größer tragen müsste.«

Yvonne packt mich am Unterarm und zieht mich zurück ins Getümmel.

Meine Freundin und ich sind wie Feuer und Wasser. Böse Menschen würden uns optisch mit Dick und Doof vergleichen. Yvonne ist nur einen Meter und fünfundsechzig, rundlich, hat rot leuchtende Locken, die auch jetzt unter ihrer jadefarbenen Wollmütze auf und ab hüpfen und aus ihren grünen Augen scheinen des Öfteren Funken zu sprühen. Ich hingegen bin über eins achtzig groß, dürr und habe meiner Meinung nach ein sehr ernstes Gesicht, das durch meine dunklen, glatten Haare zusätzlich betont wird.

Und seit ich meinen neuen Job habe, sprühen bei mir in der Weihnachtszeit allenfalls die Stresshormone.

Yvonne zerrt mich unerbittlich weiter. Es muss sechzehn Uhr sein. Die weihnachtliche Straßendekoration entfaltet allmählich durch das triste Grau hindurch ihre Wirkung und stimmt mich milder. Ich habe den unliebsamen Weg in die Innenstadt auf mich genommen, um mit Yvonne Spaß zu haben, also betrachte ich verzückt die Leuchtsterne über der Fußgängerpassage.

Ein großer Mann rempelt mich an und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich sehe in zwei leuchtend blaue Augen und ein von einem Bart überwuchertes Gesicht. Obwohl der Typ nicht mein Fall ist, erinnert mich sein Anblick daran, dass ich mich einsam fühle. Der Drang nach einer Romanze wird sicherlich nur durch die vorweihnachtliche Sentimentalität verursacht. Schließlich bin ich an das Alleinsein gewöhnt. Als er ohne ein Wort der Entschuldigung weitergeht, sehe ich ihm nach. Mein Blick klärt sich, und ich bemerke den desolaten Zustand seines Mantels.

»Da ist es!«, posaunt Yvonne und zupft erneut an meinem Ärmel. »Mit ein bisschen Glück sind zwei Plätzchen frei. Nun komm schon.«

Während ich realisiere, dass wir bereits in ein Gebäude eingetreten sind, umhüllt mich der Duft von Zimt, Kakao, frischem Gebäck, Kaffee, Nelken, Kardamom. Gleichsam einer Sinfonie für meine empfindliche Nase entfaltet sich alles, als gäbe es dafür einen Takt, der das Erlebnis zu einem perfekten Tanz der Eindrücke werden lässt.

Wie verzaubert bleibe ich stehen und sehe mich um. Weihnachtsmusik erfüllt leise den Raum. An den Wänden hängen Kunstdrucke bekannter Werke. Zumindest erkenne sogar ich einige, obwohl ich ein Kunstmuffel bin. Auf dem Boden liegt ein brauner Teppich. Braun ist keine schöne Farbe, doch dieses hier scheint den Raum zum Leben zu erwecken. Oder sind es die fröhlichen Menschen, die mich umgeben? Auf Stühlen im barocken Stil, deren geschnitzte Holzrahmen golden schimmern, tummeln sich Jung und Alt, lachen, erzählen, flüstern. Dabei essen sie Kuchen und Plätzchen, nippen an altmodischen Kaffeetassen, deren Blümchendekor mich an das Geschirr meiner Großmutter erinnert.

»D-as i-st …?«, stammle ich.

»Das ist die Kunstgalerie. Derzeit die angesagteste Bäckerei der ganzen Stadt«, erklärt Yvonne.

»Er-staun-lich«, stammle ich weiter.

»Warte, bis du die Bäcker siehst. Bitte nicht auf den Tresen sabbern.« Yvonne hebt ermahnend den Zeigefinger und zwinkert.

Verblüfft stolpere ich ein paar Schritte hinter ihr her. Der Anblick der Auslage trifft mich wie ein Blitz. Ich bestaune Stollen, Plätzchen, Torten, in allen Variationen, als sei ich in einem Weihnachtsbackbuch gelandet.

»Das musst du versuchen«, raunt Yvonne.

Ehe ich mich besinnen kann, habe ich ein Plätzchen zwischen den Lippen. Es riecht himmlisch nach Butter, ist frei von Zitronenaroma und zergeht auf der Zunge. Während ich das Gebäck mit allen Sinnen genieße, entdecke ich seine Herkunft. Auf der gläsernen Theke mit all den Köstlichkeiten steht ein Teller mit weiteren Probierstücken.

Dahinter sehe ich Körbe und Auslagen voller Brot und Brötchen. Dann erst bemerke ich, dass vor uns noch einige Leute anstehen. Zuletzt bleibt mein Blick an einem knackigen Po, verpackt in einer Jeans, haften. Der Kerl versperrt mir die Aussicht auf die Brötchenauswahl und dreht sich um. Mein Blick wandert über seine schwarze Schürze hinauf, und ich bewundere das Sixpack unter seinem hautengen, dunklen Shirt.

»Hey, Yvonne. Schön, dich zu sehen. Für dich wie immer?«, fragt er mit sonorer Stimme.

Mit seinem sonnenverwöhnten Teint sieht der Typ wie ein kolumbianischer Drogenboss aus – zumindest soweit uns das Fernsehen das suggeriert.

»Für mich wie immer, Picasso. Wie geht’s dir?« Yvonnes Stimme hat einen weichen, sexy Klang bekommen.

Mir steht der Mund offen, als ich begreife, dass dieses Sahneschnittchen, das so hervorragend hinter die Auslage passt, offenbar einer der Verursacher dieser Köstlichkeiten ist.

»Wie gewohnt möchte ich einen Kakao mit Sahne und ein Stück von der Weihnachtstorte. Was magst du, Sabrina?« Yvonne stößt mich mit dem Ellbogen sanft in die Seite.

»Häh?«, stammle ich und starre auf das schwarze Shirt unseres Verkäufers, unter dem seine Brustmuskeln spielen. Da steht tatsächlich Picasso auf seinem Namensschild.

»Picasso möchte wissen, was er uns bringen kann.«

Ich sehe den Kerl weiter an. Er hat wundervoll symmetrische Gesichtszüge, umrahmt von seinen dunklen Locken, und stechend braune Augen. »Kakao und …«, murmle ich und sehe hilflos über die Auslage.

»Und?«, fragt er freundlich.

»Schokoladentorte.«

»Echt jetzt?« Picasso zieht verblüfft die Augenbrauen in die Höhe.

»Ist das ein Problem?«, erkundige ich mich einigermaßen verwirrt über seine Reaktion.

»Hier stehen etwa achtzig verschiedene süße Backwaren.« Missmutig zuckt er die Schultern.

»Ja. Und ich möchte Schokoladentorte«, sage ich. Ich sehe darin kein Problem, da ich bei der Auswahl denke, ich habe die Schokoladentorte nur noch nicht entdeckt.

Er schüttelt jedoch den Kopf. »Die ist heute ausverkauft. Tut mir leid.«

»Aber …« Ich sehe ihn verstimmt an. Wieso hat jemand über achtzig verschiedene Backwaren und ausgerechnet keine Schokotorte? Ich liebe Schokolade und wenn ich mir schon ein Stück Torte gönne, dann bitte mit viel Schokolade.

»Schokolade darf niemals leer werden«, raunt ein Mann und tritt neben Picasso.

Ich blicke ihn verwundert an. Michelangelo steht auf seinem Shirt, das nicht weniger spannt als das von Picasso. Die beiden sehen sich sehr ähnlich und scheinen Brüder zu sein. Ich verstehe bei ihrem Anblick Yvonnes Bemerkung, ich solle nicht auf den Tresen sabbern.

»Niemals!«, stimme ich Michelangelo zu.

Der klopft seinem Bruder freundschaftlich für seine Dummheit gegen den Hinterkopf. »Nehmen Sie bitte Platz, meine Damen. Ich kümmere mich um die Schokoladentorte.«

»Danke«, trällert Yvonne. »Ciao, Picasso«, säuselt sie hinterher, dann suchen wir uns einen Platz.

Ein Dreiertisch in einer Nische wird gerade frei. Dankbar für die Pause schlüpfe ich zeitgleich mit Yvonne aus dem Mantel und ziehe mir die Mütze vom Kopf. Wie ich jetzt aussehe, möchte ich lieber nicht wissen. Ich setze mich und beobachte neidisch, wie sich Yvonnes Locken eine nach der anderen entfalten und ihr gewohntes Aussehen wiederherstellen.

»Hast du den Typen gesehen?«, schwärmt Yvonne.

»Welchen?«, frage ich aufgrund der vielen Menschen im Raum.

»Na, Picasso. Der ist so rattenscharf. Da würde ich nicht Nein sagen.« Meine Freundin sieht aufgewühlt in Richtung Tresen, wo Picassos Hinterteil zu bewundern ist, während er den Kaffeeautomaten bedient.

Ich lasse meinen Blick durch das volle Café schweifen und mein Verdacht bestätigt sich beim Mustern der Frauen, von denen gerade viele in Richtung Picasso sehen, um den Anblick zu genießen. »Schätzungsweise achtzig Prozent der Mädels hier würden das nicht. Die Frage ist, wie er damit umgeht«, kläre ich meine Freundin auf.

»Ach, Sabrina. Du bist manchmal einfach ein widerlicher Realist.« Sie seufzt niedergeschlagen.

»Ich weiß«, sage ich und bemerke, dass Michelangelo bereits wieder bedient. Er wollte sich aber doch um meine Schokoladentorte kümmern!

Yvonne kichert los. »Dabei wäre mir völlig egal, wer noch wild auf ihn ist.«

»Mir aber nicht.« Ich sehe Yvonne ernst an. Sie würde sich doch nicht ernsthaft auf einen Kerl einlassen, den die halbe Stadt anhimmelt?

»Du würdest also die Offerten eines sexy Typen ablehnen, weil andere ihn auch toll finden? Das ist krank.« Yvonne verdreht die Augen und schüttelt den Kopf.

»So ausgedrückt, hört sich das tatsächlich schräg an. Aber irgendwie ist es doch ein Spiel mit dem Feuer«, versuche ich mich zu rechtfertigen.

Yvonne sieht mich an, als habe ich sie geohrfeigt, bekommt rote Augen und senkt den Blick. »Und ich Depp würde mich sofort erneut verbrennen. Du bist so klug«, krächzt sie heiser.

Yvonne wurde erst kürzlich betrogen und verlassen von einem Typ wie aus einem Unterwäschekatalog, und das, wie zu erwarten, für so eine magere Ziege mit Konfektionsgröße zweiunddreißig. Allerdings ist sie auch zehn Jahre jünger als Yvonne. »Soll der Depp sehen, wer nun seine Rechnungen bezahlt. Sein neues Betthäschen sicher nicht«, murre ich und schäme mich, dass ich Yvonne überhaupt daran erinnert habe.

»Danke«, sagt sie leise.

»Und ich bin nicht klüger. Ich wehre alle Offerten ab und ende als vertrocknete … Scheiße!«

»Hast du gerade vertrocknete Scheiße gesagt?« Yvonne sieht mich verwirrt an.

Mein Mund steht offen, während ich erstarre. Möglicherweise bilde ich mir nur ein, dass die Gespräche verstummen und sich die Blicke aller auf den Typen richten, der gerade mit einem Tablett hinter der Theke hervorkommt. Er steuert auf unseren Tisch zu. Zu meiner Irritation trägt er eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase.

»Wow. Das muss der dritte Bruder sein. Ich weiß nur, dass sie ihn Rembrandt nennen.« Yvonne verstummt, als der Mann einen dampfenden Kakao vor ihr abstellt.

»Signora, war der Schokoladenkuchen auch für Sie?«, fragt er.

»Nein, für mich«, murmle ich und zwinge mich, auf den Kakao zu sehen, den er nun vor mir platziert. Ist der Mann tatsächlich blind? Aber wie kann er da servieren? Sicher kennt er den Laden in- und auswendig und zählt Schritte. Riskant ist es dennoch, immerhin serviert er heiße Getränke. Im schlimmsten Fall könnte er jemanden verbrühen. Wie eine Verrückte klammere ich mich an diesen Gedanken, um nicht doch noch einen weiteren Blick auf diesen muskulösen Oberarm zu werfen.

»Würden Sie bitte aufstehen?«, fragt er.

Ich sehe erschrocken in sein Gesicht. Er hat ein Lächeln auf den Lippen und nickt in meine Richtung. Somit erübrigt sich die Frage, ob er mich meint.

»Wozu das?«, murmle ich erstaunt, erhebe mich aber, während Rembrandt meiner Freundin ihre Torte serviert.

Rembrandt reicht mir seine Hand und führt mich zum Durchgang zwischen Gastraum und Tresen. Einige Gäste kichern, als er stehen bleibt und nach oben deutet.

Hastig hebe ich den Blick und entdecke den Mistelzweig.

»Ich habe keine Schokoladentorte und bin untröstlich. Zur Wiedergutmachung biete ich den Zweig oder …«

Ich möchte ihn fragen, ob er völlig irre ist, doch er lächelt mich entwaffnend an. Das gelingt ihm sogar mit Sonnenbrille. Der Typ sieht aus wie ein junger Gott und ist blind. Damit entkräften sich all meine Vorurteile, wie solche Männer ihre Frauen aussuchen, denn auf Äußerlichkeiten wird dieses Exemplar kaum achten.

»Oder?«, raune ich, trete jedoch einen Schritt näher und bemerke verwundert, dass Rembrandt nicht nach herbem Rasierwasser duftet, sondern nach Schokolade.

Obwohl morgen gerade mal der erste Advent ist, stimmt mich die Weihnachtsmusik und die festliche Laune milde. Warum sollte ich ihm diesen Spaß verderben?

»Ich hätte noch frische Tiramisukugeln, sollte der Kuss eine Enttäuschung sein«, sagt er friedfertig.

Ich sehe hastig zu Yvonne, die sich kichernd die Hand vor den Mund schlägt und dann in meine Richtung nickt. »Tu es!«, sagen ihre Geste und ihr Blick.

»Küssen!«, ruft einer der Gäste.

Ich bebe bei der Erkenntnis, dass mich alle Gäste anstarren.

Rembrandt legt jedoch seine Hand behutsam auf meinen Hinterkopf, kommt nah an mich heran und führt sanft seine Lippen auf meine. Ich bin wie eine Salzsäule, unfähig, den Kuss zu genießen oder zu erwidern.

Dennoch klatschen die Gäste und ich reiße die Augen auf, als ich bemerke, dass ich sie geschlossen habe.

Rembrandt lächelt schief. »Ich denke, das müssen die Tiramisukugeln richten«, sagt er kühl. Er fasst erneut meine Hand und nimmt mich mit hinter den Tresen. Selbstsicher schlüpft er zwischen einem roten Vorhang hindurch. Ich folge ihm bereitwillig, weil mich das vor den neugierigen Blicken der Anwesenden rettet, doch hinter dem Vorhang bleibe ich erschrocken stehen.

»Hören Sie, das ist alles ein wenig …«, beginne ich, ohne den Raum überhaupt in Augenschein zu nehmen, da steigt mir der nächste geniale Duft in die Nase. Frischer Kakao und Amaretto.

»Schließe deine Augen, Alice, und ich entführe dich ins Wunderland«, flüstert Rembrandt.

Das geht mir alles zu weit und zu schnell und … Meine Lippen streifen ein sanftes Etwas. Der köstliche Geruch geht von dieser Kugel aus.

»Nun komm schon. Lass dich gehen. Dieses eine Mal«, wispert er.

Ich öffne den Mund und schließe die Augen. Die Kugel zergeht auf der Zunge und schmeckt traumhaft.

»Das gibt es doch gar nicht«, sagt er recht forsch.

Ich hebe erschrocken die Lider und sehe mein Spiegelbild auf seinen Sonnenbrillengläsern, während er seine Lippen aufeinanderpresst, als sei er verärgert.

»Sie schmeckt toll«, stoße ich hervor. Seine Nähe und das Alleinsein mit ihm verursacht mir Beklemmungen. Ich drücke den Rücken durch, richte die Schultern gerade und trete einen Schritt zurück in Richtung des Vorhangs.

»Aha. Und was noch?«, fragt er.

»Was soll noch sein?«, kontere ich abweisend.

»Du wirkst bei allem so kalt wie eine tiefgekühlte Fischleiche.« Rembrandt zuckt die Schultern.

»Boah, bist du ein Kotzbrocken«, erwidere ich angesäuert.

»Ich bin nur ehrlich. So eine Gefühlskälte habe ich noch nie erlebt.«

»Aha. Das habe ich mir gedacht. Du ziehst die Nummer öfter durch. Schon mal überlegt, dass ich dich bereits beim ersten Anblick durchschaut habe und deshalb so kühl bin?«, entlarve ich ihn.

»So etwas wie dich habe ich noch nie gesehen«, sagt er mit einem Kopfschütteln und beleidigt mich damit erneut.

»Könnte daran liegen, dass du blind bist«, entfährt es mir. Oh mein Gott! Habe ich das tatsächlich gesagt? »Tut mir leid. Entschuldige bitte. Das war total unsensibel von mir.«

»Passt zum restlichen Eindruck.« Er verschränkt die Arme vor der Brust, wobei er den Kopf neigt.

»Ich habe mich entschuldigt. Willst du dich in meiner Entgleisung suhlen?«

»Herzchen, was ist nur los mit dir? Hast du es schon mal mit Schokolade versucht?«, fragt er und lächelt sanft.

»Was fällt Ihnen ein, mich Herzchen zu nennen?«, keife ich.

»Tiefkühl-Fischleiche war treffender.«

Nach der frechen Bemerkung bleibt mir der Mund offenstehen, derweil ich nach den treffenden Worten suche, um ihm verbal eine zu verpassen. Der Typ ist eindeutig nicht ganz richtig im Kopf.

»Rembrandt?«, tönt es, dann wirbelt Picasso den Vorhang zur Seite und sieht uns missmutig an.

»Da vorn steppt der Bär. Bist du hier bald fertig?« Der Störenfried reißt bei unserem Anblick die Augen auf und reibt sich das Kinn.

»Nimm dich in Acht, Brüderchen. Die ist stocksauer auf dich.« Picasso zwinkert mir auf dieselbe unverschämt extrovertierte Art zu, wie sie die drei Brüder alle zu haben scheinen. Als wäre ich Freiwild.

Mein Blutdruck schießt in die Höhe, als sich meine Hände zu Fäusten ballen, ohne, dass ich das unter Kontrolle habe.

»Nehmen Sie ihm bitte die Sonnenbrille ab, bevor Sie ihn schlagen?«, trällert Picasso, macht auf dem Absatz kehrt und verschwindet hinter dem Vorhang.

Rembrandt stößt den Atem aus, was ich mit einem wütenden Zischen kommentiere.

Im Grunde will ich nur noch weg von diesem unverschämten Macho-Arsch, doch das mit dem Tiefkühlfisch lässt mir keine Ruhe.

---ENDE DER LESEPROBE---