Deadwood - Tom Holert - E-Book

Deadwood E-Book

Tom Holert

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Beschreibung

»Deadwood«, neben »The Sopranos« und »The Wire« das dritte klassische HBO-Drama des vergangenen Jahrzehnts, ist eine vehemente Kritik der Gewalt, der sich die Wirklichkeit verdankt. Als Neo-Western maskiert, beruht die Serie auf historisch belegten Ereignissen in der Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Schauplatz: ein exterritoriales, von Schlamm und Demokratiebegehren, von Tod und robustem Unternehmertum geprägtes Goldgräberlager in South Dakota. An diesem Ort herrscht das Prinzip der primitiven Akkumulation in Abwesenheit jeder staatlichen Souveränität. Angesichts dessen verzweifeln und sterben die Menschen. Und entwickeln Elemente einer zivilen Ethik.

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Seitenzahl: 79

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booklet

herausgegeben von Simon Rothöhler

Tom Holert

Deadwood

Inhalt

Think of Something

Warum Western?

No law at all

Charaktere, Handlungsträger, Protagonisten

Stoff, Form und Gewalt: Poetik des Ingrimms

Einheit und Diskurs des Ortes

Archiv und Autorschaft

Think of Something

Al Swearengen: We’re in the presence of the new.

E.B. Farnum: Fuck the fucking new! Jesus Christ, Al. Is it over for us here?

Al Swearengen: Go back to the hotel, E.B.

E.B. Farnum: Save us. Think of something.

Al Swearengen: Have I ever not?

Vom Ende her: Deadwood handelt von der Krise der Moderne und der Moderne als Krise. Es steht nicht weniger als das Ganze auf dem Programm. Warum hat man diese Serie nicht »In Verteidigung der Gesellschaft« genannt? Das Neue, in dessen beklemmender Anwesenheit wir leben, ist das Alte, wegen dem seit Jahren in aller Welt die Menschen auf die Straße gehen: die Bedrohung der Gesellschaft, des Politischen, der Demokratie durch den weltumspannendsten aller Fundamentalismen, den Kapitalismus. »Lass dir etwas einfallen« wird der angefleht, dem man noch am ehesten zutraut, er könne es richten. Ein antikapitalistischer Messias? Und was für einer. Deadwood übt in den ungemütlichen Gedanken ein, dass wir am Ende von Leuten gerettet werden, die uns mindestens so sehr Angst machen wie sie uns amüsieren. Sie schicken uns nach Hause (vor den Flachbildschirm?) und denken sich etwas aus.

Warum Western?

Als mich die ersten Empfehlungen und Erfahrungsberichte über Deadwood erreichten, hielten sich meine Erwartungen in Grenzen. Ein Western? In Serie? Zwar war abzusehen, dass im Zeichen der Neuerfindung der Fernsehserie auch eines der erfolgreichsten TV-Formate der 1950er und 1960er Jahre, der Western in Serie, wiederbelebt würde.1 Aber was durfte man sich dreißig Jahre später von einem vielteiligen Westernepos versprechen, selbst wenn es das HBO-Siegel des Qualitätsfernsehens trug? Nicht nur im Fernsehen, auch im Kino schienen die besseren Zeiten des Genres vorbei. Der ersten Phase der (mehr oder weniger) kritischen Revisionen durch Sergio Leone, Sam Peckinpah oder New Hollywood in den 1960er und 1970er Jahren folgten die Versuche der 1990er Jahre, den Wilden Westen mit seinen Gewalt- und Männlichkeitsbildern als erschöpfte Veranstaltung von historisch-moralischer Abgründigkeit (Clint Eastwoods Unforgiven, 1992), als halluzinogenen Crossdressing-Trip (Jim Jarmuschs Dead Man, 1995) oder als Ansammlung unterdrückter Geschichten wie jener der afroamerikanischen Soldaten und Cowboys (Melvin Van Peebles’ Posse, 1993) zu reaktivieren – teilweise hochkarätige, aber kulturell isolierte Abgesänge, deren Energie bald verpuffte.

Andererseits, wann ist ein Genre der Populärkultur schon dermaßen ausgezehrt, dass sich jeder Wiederbelebungs­versuch verbieten würde? Genres mögen in Vergessenheit geraten, ihre Verankerung in den Zentren der Wunsch­produktion verlieren, aber sie stehen als solche der Neu­bewertung und Weiterführung offen, ohne je abgeschlossen zu sein.

Trotzdem muss immer damit gerechnet werden, und das ist gewissermaßen die raison d’être der Aufteilung des Kulturmarkts in Nischen und Zielgruppen, dass einen die Produkte bestimmter Genre-Logiken überhaupt nicht (oder überhaupt nicht mehr) interessieren. Als Deadwood in meiner Welt zum Gesprächsthema wurde, um 2006 herum, war ich ein Kandidat für solche Indifferenz – und im Nachhinein bin ich umso überraschter, dass es mich in diesem Fall doch erwischen sollte. Zugegeben, mich lassen die Western-Aspekte an Deadwood bis heute eher kalt. Und die Serie unterstützt diese Einstellung sogar, denn sie selbst verzichtet ja auf so viele von ihnen – keine Death-Valley-Panoramen, keine Rindertrecks, kein Gary Cooper, kein »strong silent type« (Tony Soprano). Dabei weiß die Serie und weiß wohl auch ich, dass diese Aspekte unhintergehbar sind, auch dann, wenn sie abgelehnt, verdrängt, dekonstruiert werden.

Die Relevanz des Westerngenres als organisierendes Element der Serie ist auf mehr als einer Ebene spürbar, obgleich David Milch, Creator und Showrunner von Dead­wood, gern erwähnt, seine Kenntnisse des Genres seien vernachlässigenswert gewesen, als er die Arbeit an der Serie aufnahm. Ihm muss aber klar gewesen sein, dass die Wahl eines Westernstoffs das Publikum teilen würde. Was sollte zum Beispiel Frauen zu der neuerlichen Repräsentation einer traditionell männerdominierten Welt ziehen? War zu verhindern, dass Afro-Amerikaner oder Asian-Americans sich den fortgesetzten Bildern ihrer Marginalisierung verweigern würden? Ganz zu schweigen von der Abwesenheit oder Diskriminierung von Leuten, die aus dem Schema der Heteronormativität herausfallen?

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Western das Genre ist, das ohne Umschweife mit den USA und deren imperialistischer Politik identifiziert wird. Dem Genre fällt es schwer, einen universalen, global gültigen Anspruch zu erheben, das haben auch die vielen Western, die in Europa oder Asien gedreht wurden, nie geändert. Seit Vietnam, seit dem zweiten Golfkrieg, spätestens aber in den Jahren des »war on terror« nach dem 11. September hat außerhalb der USA die Bereitschaft nachgelassen, den heroisierenden oder kritischen Rekonstruktionen der Eroberung des Westens und der Gründungsphase der amerikanischen Moderne zustimmend zu folgen.

Deadwood startete im Frühjahr 2004, ein Jahr nach der Invasion der Amerikaner im Irak, und die Ausstrahlung der ersten Staffel fiel in die Zeit der Aufdeckung der Folterpraktiken der Amerikaner im Gefängnis von Abu Ghuraib. George W. Bush, mit dem David Milch in den 1960er Jahren für kurze Zeit in derselben Studentenverbindung in Yale war, spielte gerne den texanischen Cowboy und handelte gemäß der von US-Präsidenten wie Theodore Roosevelt und Ronald Reagan vorgelebten cowboy diplomacy simplifizierender Freund/Feind-Dichotomien und militärischer Einschüchterung. In einer solchen Situation kann eine Westernserie schnell zu Propaganda werden, und vielleicht verdanken sich der Erfolg und die Qualität von Deadwood auch und gerade der Absicht, das Genre vor manchen seiner glühendsten Verehrer zu schützen.

Über die Mythologie des Westerns, der spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges seine einstige allegorische Funktion als facettenreicher Spiegel der US-amerikanischen Moderne eingebüßt zu haben schien, aber seither nie ganz von der Bildfläche der Medienkultur weichen wollte, ist viel geschrieben worden – zuletzt besonders wirkungsvoll, bis in das FAZ-Feuilleton hinein, durch die John-Ford-Lektüren des filmzugewandten Rechtsphilosophen Robert Pippin.2

Deadwood hat seinen Anteil daran, dass die frühen Jahre des 21. Jahrhunderts im Zeichen einer veritablen Western-Renaissance stehen. Was im Fahrwasser der Milch-Serie so produziert wurde, ist von schwankender Qualität, aber das Genre macht ganz offensichtlich neuerlich Relevanzansprüche geltend. Man schaue nur einmal in die 2011 angelaufene AMC-Serie Hell on Wheels hinein, einen ärger­lichen Deadwood-Abklatsch in bleicher Goth-Ästhetik ohne jene Korrespondenz zwischen Gore und Geist, Drastik und Dialog, den das Original auszeichnet, aber wie dieses ein Beleg für die gegenwärtige Akzeptanz von Westernstoffen. Eine zerschlissene Mythologie aus Bürgerkriegstraumatisierten, befreiten Sklaven, betrogenen Indianern und galoppierender Industrialisierung ist zum Arsenal für Lektüren und Beschreibungen eines andauernden Ausnahmezustands zwischen Immobilienkrise, Arbeitslosigkeit und globalem Ansehensverlust der USA geworden. Wie True Grit (2010), das Coen-Brüder-Remake eines John-Wayne-Spätwesterns, eine doppelte Distanzierung von der Western-Klassik; wie Quentin Tarantinos pseudokritische Hommage an die grellen Gewaltorgien des Italo-Westerns im schlecht sitzenden Kostüm eines abolitionistischen Rachefeldzugs (Django Unchained, 2012); oder wie Kelly Richardts Meek’s Cutoff (2010), eine aufreibend mimetische Rekonstruktion des Elends der Siedlerexistenz, um historische Genauigkeit ebenso wie um mythen- und genrereflexive Wachsamkeit bemüht – so verhandelt jeder neue Western unweigerlich das Selbstbild der USA, das Verlangen nach einer Genealogie oder wenigstens einer Allegorie der aktuellen Krise. Und die Nostalgie nach einer Epoche, in der die Grenzen noch offen waren und die Entbehrungen noch ein Ziel hatten (den Westen, die Zivilisation).

Welche Bilder diese Geschichte ins kollektive Gedächtnis eingetragen hat, dokumentiert bereits die Titelsequenz von Deadwood. Zu einer mit Banjo, Gitarre und Geige gespielten Folkweise, in der sich traurig-schlurfige Momente mit einer gewissen burlesken Beschwingtheit verweben, zeigt der Vorspann in einer Minute und dreißig Sekunden kurze em­blematische Nahaufnahmen von dunklen Pfützen, lodern­den Flammen, einem Mann, der eine Hacke schwingt, einem Kutschrad, das durch ein Wasserloch rollt, einem Schlachter, der ein Huhn tötet, Blut, das einen Eisblock herabläuft, Hände, die in einer Wasserrinne nach Gold tasten, Männer, die auf Stein beißen, ein nackter Frauen­körper, der sich in einen Zinkbottich gleiten lässt, eine Hand, die eine Pokerkarte auf dem Spieltisch ablegt, Whiskey, der sich in Gläser ergießt, Goldstaub, der zu einem Haufen rieselt. Leitmotivisch galoppiert ein reiter- und sattelloses Pferd zunächst durch den Wald, dann durch ein Zeltlager und schließlich, zu sehen als Spiegelung in einer weiteren der vielen Pfützen, an einem Saloon in einer Westernstadt vorbei, bis es aus diesem Spiegelbild verschwindet, als hätte es seine transzendentale Bestimmung erreicht. Was dieses Pferd repräsentiert – den wilden, unberührten Westen, die Natur und Kultur verbindende Kraft, die Freiheit, den Wind? – bleibt auch für die gewiefteren Interpreten rätselhaft.

Insgesamt korrespondiert der Vorspann wenig mit dem, was die Bildsprache und den Erzählstil der Serie ausmacht. Wie eine Fibel der Neo-Western-Trivialitäten versammelt er visuelle tags für Freiheit, Gold, Whiskey, Glücksspiel, Frau, Blut, Wasser. Deadwood aber will das Mysterium des Pferdes gar nicht lösen und widerspricht den Klischees des eigenen Vorspanns. Die Serie ist ein »Western ohne Western«3 oder ein Western wider Willen, sie kritisiert das Genre nicht nur, sondern verschiebt dessen Grenzen. Dies gelingt unter anderem durch eine Anreicherung des Genre-Repertoires mit Theaterelementen und Historiendrama. Vor allem aber gelingt es, weil Deadwood dem Publikum jede Er­lösung verweigert. Das Narrativ der vielleicht ungerechten, in der Wahl der Mittel verfehlten, aber einem höheren Ziel, nämlich der Durchsetzung der amerikanischen Zivilisation verpflichteten Taten und Untaten von Männern und Frauen des Westens, ist unumkehrbar diskreditiert. Das Schlussbild der Serie zeigt einen knienden Mann, der einen Blutfleck vom Holzboden zu wischen versucht. Anders als der Abdruck eines Gesichts am Strand, den das Meer fortspült, wird sich der Blutfleck nie vollständig tilgen lassen. Die Vergeblichkeit der Bemühung um die Reinigung des Menschengeschlechts ist offenkundig. Von solcher Vergeblichkeit als einer Möglichkeit von Erkenntnis und Erfahrung aber handelt Deadwood in seinen besten Momenten.

No law at all

Deadwood