Deal! - Jack Nasher - E-Book

Deal! E-Book

Jack Nasher

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Beschreibung

Gefällt Ihnen die Zahl auf Ihrem Gehaltszettel? Gibt man Ihnen im Hotel das Zimmer mit Ausblick? War Ihr Auto ein Schnäppchen? Ja? Dann können Sie hier aussteigen. Allen anderen verrät Jack Nasher, wie man das bekommt, was man will – durch effektives Verhandeln. Er zeigt, wie wenige Sekunden über große und kleine Vermögen entscheiden, und wie man diese kurze Zeit nutzt. Das Handwerkszeug für die besten Deals: erprobte Verhandlungsmethoden und psychologische Techniken. Damit ist endlich Schluss mit faulen Kompromissen! Deal! wurde erst zu einem Bestseller, dann zu einem Klassiker. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und erschien rund um den Globus. Zehn Jahre Deal! – die Jubiläumsausgabe: überarbeitet und mit neuen Inhalten wie Tipps zu Online-Verhandlungen.

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Cover for EPUB

Jack Nasher

DEAL!

Du gibst mir, was ich will!

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Gefällt Ihnen die Zahl auf Ihrem Gehaltszettel? Gibt man Ihnen im Hotel das Zimmer mit Ausblick? War Ihr Auto ein Schnäppchen? Ja? Dann können Sie hier aussteigen. Allen anderen verrät Jack Nasher, wie man das bekommt, was man will – durch effektives Verhandeln. Er zeigt, wie wenige Sekunden über große und kleine Vermögen entscheiden, und wie man diese kurze Zeit nutzt. Das Handwerkszeug für die besten Deals: erprobte Verhandlungsmethoden und psychologische Techniken. Damit ist endlich Schluss mit faulen Kompromissen!Deal! wurde erst zu einem Bestseller, dann zu einem Klassiker. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und erschien rund um den Globus. Zehn Jahre Deal! – die Jubiläumsausgabe: überarbeitet und mit neuen Inhalten wie Tipps zu Online-Verhandlungen.

Vita

Jack Nasher-Awakemian, Jahrgang 1979, ist laut Forbes »einer der weltweit führenden Verhandlungsberater«. Er wurde in Deutschland geboren, studierte und lehrte an der Oxford University und wurde einer der jüngsten bayerischen Hochschulprofessoren. Das von ihm gegründete NASHER Verhandlungsinstitut berät und trainiert Unternehmen auf der ganzen Welt.

Jack Nasher legte Stationen beim Europäischen Gerichtshof, bei den Vereinten Nationen und der führenden Wall-Street-Kanzlei Skadden ein. Medien wie das Wall Street Journal, Die Zeit oder die Harvard Business Review berichten über ihn. Jack Nashers Bücher erschienen von China bis in die USA und wurden zu Bestsellern.

Jack Nashers Ziel ist es, Wissenschaft und Praxis der optimalen Verhandlungsführung zu vereinen.

Gewidmet meinen Eltern: – dem Andenken meines Vaters, wie meiner lieben Mutter – und ihrer großartigen Verhandlung neun Monate vor meiner Geburt.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

INHALT

Impressum

INHALT

VORWORT ZUR JUBILÄUMSAUSGABE

EINLEITUNG

TEIL I

DIE MACHT

MACHT VERSTEHEN

Macht als Gefühl

Einschüchterung verstehen

Der goldene Moment – der Gipfel Ihrer Macht

Verringern Sie Ihre Macht nicht unnötig

Macht durch Dritte

MACHT ERHÖHEN

Macht erhöhen: Knappheit

Macht erhöhen: Zeitdruck

Macht erhöhen: eine letzte Instanz

Macht erhöhen: die BATNA

BATNA berechnen

Die BATNA des anderen

TEIL II

DIE KOMMUNIKATION

DIE BEZIEHUNG ZUM GEGENÜBER

Rapport

Involvieren Sie den anderen

Wertschätzung

Entschuldigen

Die Luncheon-Technik

Vertrauen und Glaubwürdigkeit

Gemeinsamkeiten

Kulturelle Unterschiede

EMOTIONEN

Keine Gegenreaktion

Mit Emotionen umgehen

Verständnis zeigen

Emotionen kommunizieren

Die Emotionen des anderen

Der Balkon

INFORMATIONEN

Das Bild im Kopf

Relevante Informationen

Informationsbeschaffung

Nichts als die Wahrheit – Wie Sie Lügen entlarven

Früh beginnen

Schwäche zeigen

Aktives Zuhören für Verhandler

Paraphrasieren

Negotiator’s Dilemma

Mögliche Informationsquellen

Role Reversal und Imaging

ALTERNATIVE KOMMUNIKATIONSWEGE

Face-to-Face

Videokonferenz

Telefon

E-Mails

TEIL III

DIE INTERESSEN

BEKOMMEN, WAS SIE WIRKLICH WOLLEN

Win-Win ist kein Kompromiss

Interessen des anderen finden

Versteckte Interessen ergründen

Der Vorteil unterschiedlicher Interessen

Preis ist nur ein Interesse

Den Kuchen vergrößern

Vom Deal-Maker zum Deal-Designer

Win-Win bei gleichen Interessen

Organisatorische Details

TEIL IV

DIE TAKTIKEN

ANKERN

Richtig Ankern: das erste Angebot

Das Ziel ist der Anker – und umgekehrt

Hohe Ziele

Die goldene und die Platin Mitte

Richtig reagieren

FAIRNESS: DAS »OBJEKTIVE« KRITERIUM

»Objektive« Kriterien

Die Macht der Schrift

Objektive Kriterien des Gegenübers

STRATEGISCHES ENTGEGENKOMMEN

Das Prinzip erwecken

»Wenn …, dann …«

Verlangen statt beschweren

Guter Bulle – böser Bulle

FRAMING

Richtig Rahmen

Rahmen ändern

Angst vermeiden

TEIL V

DER ABSCHLUSS

OVERCOMMITMENT

Allzeit bereit zu gehen

Das Phänomen nutzen

Der Nibble

DROHUNGEN

Effektiv drohen

Reaktion auf Drohungen

Der Walkout

DIE GOLDENE BRÜCKE

Die Siegesrede des anderen

DIE SCHRIFTFORM

Das Protokoll

Der Vertrag

Die Vertragsstrafe

Nachverhandeln

NACHWORT

Hartnäckigkeit

Hartnäckigkeit im Alltag

Die Soirée

Die Vorbereitung

Die Einstellung

DAS PUZZLE ZUSAMMENSETZEN

ANHANG

ANMERKUNGEN

EINLEITUNG

TEIL I DIE MACHT

TEIL II DIE KOMMUNIKATION

TEIL III DIE INTERESSEN

TEIL IV DIE TRICKS

TEIL V DER ABSCHLUSS

NACHWORT

LITERATUR

VORWORT ZUR JUBILÄUMSAUSGABE

Vor über zehn Jahren war ich mit meiner Mutter für ein paar Tage im Urlaub in Istanbul. Bei dem Tanz der Derwische – monoton, aber faszinierend – kam mir die Idee zu diesem Buch. Innerhalb weniger Monate schrieb es sich wie von selbst, wurde zu einem Bestseller und erschien rund um den Globus. Damals war ich Anfang 30 und erst seit Kurzem Professor in München. Aber nach Erscheinen des Buches ging es erst so richtig los: Abgesehen von etlichen TV-Auftritten (damals hatte Free-TV noch eine gewisse Bedeutung), kamen immer mehr Menschen in meine Seminare, und die namhaftesten Unternehmen klopften an meine Tür. Seitdem war ich in Houston, Texas, und habe über Ölplattformen verhandelt, habe die größten Unternehmen der Welt auf Verhandlungsnächte mit Gewerkschaften vorbereitet, aber auch Hochschulabsolventen bei der ersten Gehaltsverhandlung unterstützt. Ich habe Unternehmerinnen dabei geholfen, ihr Lebenswerk zu veräußern, Landwirte überzeugt, ihre Felder zu verkaufen und mit meinen Nichten darüber verhandelt, wer den Tisch abräumt.

Es ist viel geschehen in den vergangenen zehn Jahren, und die reiche Praxis fungierte als Sporen wie Zügel für die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Verhandlungsforschung.

Wenn ich Deal! heute lese, bin ich überrascht, wie viel ich damals schon wusste – obwohl mir doch so viel an Erfahrung fehlte. Einiges habe ich aktualisiert und Neues hinzugefügt. Das Grundgerüst aber hat sich nicht verändert, und ich freue mich, Ihnen die Kombination von Forschungsergebnissen und echtem Leben zu bieten. Fundiert, bewährt und praxiserprobt. Und ich kann Ihnen guten Gewissens sagen: So wird verhandelt!

Jack Nasher,

München, im August 2023

EINLEITUNG

»Alle Kriege enden mit Verhandlungen. Warum also nicht gleich verhandeln?«

Jawaharlal Nehru

Vor vielen Jahren starb ein wohlhabender Mann im Orient. Seinen drei Söhnen hinterließ er siebzehn Kamele. In seinem Testament verfügte er, wie sie aufgeteilt werden sollen: Der älteste Sohn solle die Hälfte, der Zweitälteste ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel der Kamele erhalten. Die Söhne saßen am Lagerfeuer und beratschlagten sich, wie sie den Willen des Vaters umsetzen sollten. Als sie nicht mehr weiterwussten, riefen sie eine weise, alte Frau um Hilfe. Die Weise kam schon bald auf ihrem Kamel angeritten und sagte ihnen: »Ich gebe euch mein Kamel.« Die drei Brüder schauten sich an und verstanden nicht. Die alte Frau fuhr fort: »Nun bekommt der Älteste von euch neun, der Zweitälteste sechs und der Jüngste zwei Kamele.« Eines blieb übrig: und so ritt sie fort auf ihrem Kamel.

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Verhandlung hören? An einen großen Konferenztisch, an dem sich ein Dutzend Manager mit einem Tross von Anwälten gegenübersitzen und über die Zerschlagung von Milliardenunternehmen verhandeln? An Staatschefs mit einer Entourage von Staatssekretären und Botschaftern, die über Grenzziehungen und die Lösungen ethnischer Konflikte beraten?

Solche Szenarien gibt es, aber sie stellen lediglich einen Bruchteil der realen Verhandlungssituationen dar. Tatsächlich ist jede Verhandlung eine Entscheidungsfindung, bei der zwei oder mehrere Parteien versuchen, ihre Interessen zu lösen.1

Unsere erste Verhandlung führen wir mit unseren Eltern: Wir brüllen so lange, bis sie uns füttern. Als Kinder wollen wir Cola trinken, länger wach bleiben und mehr Taschengeld bekommen. Ein paar Jahre später wollen wir unsere Haare färben, bis Mitternacht ausgehen und das Auto fahren.

Sind wir erwachsen geht es weiter: Welches Familienauto kaufen wir? Wohin fahren wir in den Urlaub? Was essen wir heute? Sie verhandeln jedes Mal, wenn ein Polizist Sie anhält, Sie Ihr Parkticket verloren haben oder etwas ohne Kassenzettel umtauschen wollen. Im Beruf verhandeln Sie selbstverständlich mit Kunden, Vertrieblern oder Einkäufern um Preise und mit Ihrer Chefin über Ihr Gehalt. Aber Sie verhandeln auch über die Umsetzung neuer Ideen. Jedes Mal, wenn Sie versuchen, jemanden von etwas zu überzeugen, verhandeln Sie – nämlich darum, wer Recht hat.

»Was haben Sie heute schon verhandelt?« Mit dieser Frage beginne ich mein Seminar zur Verhandlungstechnik, und erst langsam wird allen bewusst, wie viele Alltagssituationen eigentlich Verhandlungszenarien darstellen – die Welt ist nichts als ein riesiger Verhandlungstisch!2 Wissenschaftler gehen davon aus, dass wir sage und schreibe knapp vierzig Stunden pro Woche verhandeln.3 Ob diese Zahl nun auf Sie zutrifft oder nicht: Sie verhandeln jedenfalls häufig, und es würde Ihr Leben deutlich verbessern, wenn Sie jedes Mal besser abschneiden würden.

Vielen Menschen aber ist es sehr unangenehm, sie betrachten es als »Schachern« und als etwas, was auf einen Basar gehört, sicherlich aber keinen Platz in ihrem Leben hat.

Immer wenn sich mein afghanischer Großvater in England aufhielt, musste ihn mein Onkel Tooran, der damals in Oxford studierte, wie ein Privatsekretär umsorgen. Er fuhr ihn, organisierte seinen Tag und begleitete ihn auf seinen Einkaufstouren. Wo immer er gerade war, ob im vornehmsten Antikladen oder im Kaufhaus Marks & Spencer, mein Großvater feilschte stets. Er konnte nicht anders. Mein Onkel Tooran, mittlerweile mehr Engländer als Orientale, schämte sich zu Tode: »Hier kann man nicht handeln«, sagte er immer wieder. Umso erstaunter war er, dass mein Großvater fast immer erfolgreich war und so gut wie nie etwas ohne Nachlass kaufte, egal ob es eine alte chinesische Vase oder drei Glühbirnen waren.4 Aber er blieb ein Kuriosum. Doch das war in den achtziger Jahren.

Für Westeuropäer war das Handeln früher ein Spaß, den man sich im Urlaub in Ägypten oder Tunesien auf dem Basar machte. Hier jedoch war das Verhandeln etwas für sehr arme oder sehr geizige Menschen. Das hat sich mittlerweile völlig verändert. Spätestens seit Abschaffung des Rabattgesetzes ist es heute fast schon unüblich, nicht zu handeln, wenn man einen Fernseher oder ein Auto kauft.

Die Bereitschaft, bewusst zu verhandeln, erstreckt sich auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Geiselnahmen wurden noch vor wenigen Jahrzehnten relativ einfach gelöst: Man gab den Geiselnehmern ein paar Minuten, und wenn sie nicht herauskamen, wurde eben das Feuer eröffnet – häufig starben dabei Geiseln, Geiselnehmer und Polizisten. Das Vorgehen hat sich seitdem verändert: Man nimmt sich Zeit für eine ausgedehnte Verhandlung.5 Nicht, weil die Polizei ihre Liebe zu Geiselnehmern entdeckt hat, sondern weil die Verhandlung zu einem besseren Ergebnis führt – zu weniger Toten.

Als Kindern wird uns beigebracht, dass jeder am Ende das bekommt, was er verdient. Dieses als Just-World-Theorie6 (Prinzip der gerechten Welt) bekannte Phänomen ist einer der großen Irrtümer, die wir in uns tragen. Aber irgendwann fällt der Groschen und wir verstehen, dass wir nicht das bekommen, was wir verdienen, sondern das, was wir verhandeln.7

Und so gibt es für fast alles zwei Preise: den Preis für denjenigen, der verhandelt, und den Preis für die anderen. Damit geht täglich das Gefühl einher, dass wir besser hätten abschneiden können, wenn wir nur gewusst hätten, wie. Wie unangenehm ist es, wenn wir eine Wohnung kaufen und später erfahren, dass unsere Nachbarin für ihre Wohnung 20 Prozent weniger bezahlte, einfach, weil sie besser verhandelt hat? Wie wir in den unzähligen Verhandlungen von dem Moment unseres Aufstehens bis zu dem unseres Zubettgehens agieren, entscheidet darüber, ob wir uns als übervorteilten Trottel fühlen oder als cleveren Herrn der Lage.8

Vielleicht denken Sie, dass Sie häufig gar nicht verhandeln können, weil Sie es sich nicht mit Ihren Kunden, Kollegen oder Freunden verscherzen wollen. Täuschen Sie sich nicht: Handeln kann eine Beziehung sogar verbessern. Oder haben etwa diejenigen Eltern eine bessere Beziehung zu ihren Kindern, die ihnen alles geben, was sie wollen?9

Können wir als seriöse Menschen nicht auf das Handeln verzichten? Jeder legt einfach sein bestes Angebot vor und der andere entscheidet sich. Der General Electric Manager Lemuel Boulware versuchte in den fünfziger Jahren genau das, als er Gewerkschaften bei der Tarifverhandlung ein faires Angebot auf den Tisch legte, ohne einen Verhandlungsspielraum zu bieten.10 Sehr schnell wurde diese Methode abfällig Boulwarism genannt und seine Gegenüber reagierten mit Wut und Rachegelüsten.11

Etwas ähnliches geschah in den frühen neunziger Jahren, als sich knapp 2 000 amerikanische Autohändler zusammenschlossen und sich zu einer Regel verpflichteten: Jedem Kunden solle von Anfang an ein fairer Preis genannt werden, und man könne sich nun die scheinbar lästige Feilscherei ersparen.12 Das Ergebnis? Nach wenigen Jahren sprangen fast alle Händler ab, weil Kunden sich unfair behandelt fühlten und ihr Auto lieber dort kauften, wo man mit ihnen handelte.

Menschen fühlen sich besser, wenn sie das Gefühl haben, das Ergebnis der Verhandlung beeinflussen zu können. Sogar dann, wenn sie im Ergebnis mehr bezahlen: Wenn Verhandler sehr hoch beginnen und einem dann langsam entgegenkommen, fühlen sich die meisten Kunden besser behandelt, als wenn ihnen ein fairer Preis vorgesetzt wird, an dem es nichts zu rütteln gibt.13

Menschen tun sehr viel dafür, ihr Leben zu verlängern, aber nur sehr wenig, um es zu verbessern.14 Mit wirksamen Verhandlungstechniken beschäftigen sich die Wenigsten. An Business Schools sieht das anders aus: Hier sind Verhandlungsseminare Pflicht und gehören zu den beliebtesten Kursen überhaupt. Ist das vielleicht einer der Gründe, weshalb ihre Absolventen – Berater, Banker, Manager – so überdurchschnittlich viel mehr verdienen als die Erfolgreichsten anderer Fachrichtungen? Unabhängig von Ihrem Beruf und Ihrer Ausbildung ist die Fähigkeit, gut zu verhandeln, der Weg, Widerstände auszuräumen, die Sie davon abhalten, Ihr ganz persönliches Potenzial abzurufen.

Meine Bücher Durchschaut über das Entlarven von Lügen oder Überzeugt! über das Hervorheben der eigenen Kompetenz haben sehr viele Leser in vielen Ländern der Welt erreicht. Wenn sie kritisiert wurden, dann fast immer aus dem gleichen Grund: Sie lieferen keine neuen Erkenntnisse, alles, was darin stünde, seien die Ergebnisse der Praxis und Forschung der letzten Jahrzehnte. Dem kann ich nichts entgegnen, denn genau so ist es. Wenn jeder wieder bei Adam und Eva anfinge, kämen wir auch nicht weiter als Adam und Eva. Und so ist auch dieses Buch eine systematische Sammlung der umfangreichen Erkenntnisse zu Verhandlungen. Ich vertrete keine Verhandlungsschule und versuche nicht, Sie von einer besonderen Theorie zu überzeugen. Mich interessiert nur eines: Was funktioniert, und wie kann ich es nutzen?

Zwischen diesen zwei Buchdeckeln finden Sie die effektivsten Verhandlungstechniken, die Praxis und Forschung entwickelt haben. Das umfangreiche Literaturverzeichnis zeigt Ihnen, dass Sie hier nicht weniger als das destillierte Weltwissen über Verhandlungstechniken in den Händen halten. Zehn Jahre nach Erscheinen der Originalausgabe gibt es einige neue Nuancen oder Punkte, die wichtiger wurden – gerade in Bezug auf Online-Verhandlungen –, der Mensch aber hat sich nicht verändert, und die Dynamiken des Verhandelns sind daher identisch geblieben.

Viele Beispiele stammen aus der Welt der Wirtschaft, was daran liegt, dass Verhandlungsforschung und -trainings traditionell für das Wirtschaftsleben konzipiert werden. Allerdings wirken die erfolgreichen Mechanismen universal, ob Sie nun um eine Airline verhandeln oder um einen Apfel. Hervorragende Verhandler können um alles hervorragend verhandeln und schlechte um nichts.15 Die besten Verhandler wissen, was Macht in einer Verhandlung bedeutet, und wie sie ihre Macht steigern können. Sie wissen, wie man innerhalb weniger Augenblicke eine Beziehung zum Verhandlungspartner aufbaut. Die besten Verhandler haben die Fähigkeit, die Interessen beider Parteien zu erkennen, und das zu bekommen, was für sie den höchsten Wert hat. Sie wissen, wann sie das erste Angebot vorlegen und wann sie lieber schweigen sollten. Sie benutzen objektive Standards zu ihren Gunsten. Und sie wissen, wie sie dem anderen eine goldene Brücke bauen, auf der er ihnen entgegenkommen kann.

Die Kunst des Verhandelns besteht darin, wie man aus einem großen Schlüsselbund blitzschnell den passenden Schlüssel ergreift. Wenn Sie die falschen Techniken anwenden, ist es nicht nur, als ob Sie keinen Schlüssel hätten, es ist noch viel schlimmer, da Sie sich in trügerischer Sicherheit wiegen; so als ob Sie mit einem Stadtplan von Hamburg in den Alpen herumfahren würden.

Mit den hier beschriebenen Techniken werden Sie in großen Verhandlungen Millionen sparen, aber auch aus den Zehntausenden kleiner Verhandlungen in Ihrem Leben mit dem Maximum herausgehen. In privaten Angelegenheiten werden Sie Ihre Freunde und Familie von den Urlaubsorten Ihrer Wahl überzeugen und sich seltener streiten. Sicherlich werden Sie einige der hier beschriebenen Methoden schon genutzt haben. Aber bald werden Sie verstehen, warum sie funktionieren, und wie Sie sie am effektivsten einsetzen. Wie und ob Sie diese Techniken einsetzen, ist selbstverständlich Ihre Entscheidung. Ich sage niemandem, was er tun soll, ich zeige Ihnen nur, was möglich ist. Zumindest helfen Ihnen die beschriebenen Techniken, zu erkennen, wann gewiefte Verhandler Sie manipulieren wollen.

Werden Sie nach der Lektüre immer alles bekommen, was Sie wollen? Leider nein. Die Techniken funktionieren häufig, aber nicht immer. Aber das Gesetz der großen Zahlen arbeitet für Sie: Wenn Sie bei jeder Verhandlung Ihre Chance erhöhen, besser abzuschneiden, werden Sie insgesamt genau um diesen Prozentsatz mehr Erfolg haben als ohne die Kenntnis der Techniken. Stellen Sie sich vor, jede Verhandlung wäre ab heute 10 Prozent profitabler für Sie oder Ihr Unternehmen: Was für eine außergewöhnlich positive Entwicklung wäre das!

Zu guter Letzt noch ein paar Anmerkungen: Anchoring, Bogey, Overcommitment – die Verhandlungskunst ist ein Bereich, der sehr mit der englischsprachigen Welt verwurzelt ist, was sich in dem ein oder anderen – selbstverständlich im guten alten Deutsch erläuterten – Fachausdruck widerspiegelt.

Über das Buch verteilt finden Sie Boxen, in denen interessante Fakten erklärt werden. Vor allem aber werden hier psychologische Denkfallen bei der Verhandlung aufgezeigt, vor denen Sie sich besser in Acht nehmen sollten.16

Noch einmal zu den drei Söhnen mit ihren Kamelen. Die Lösung der alten Frau ist der Königsweg der Verhandlung: Jeder bekommt, was er will. Nach der Lektüre werden Sie erkennen, dass es häufiger ein achtzehntes Kamel gibt, als Sie jetzt vielleicht denken.

TEIL I

DIE MACHT

MACHT VERSTEHEN

»Du erreichst mehr mit einer Pistole in deiner Hand und netten Worten als nur mit netten Worten.«

Al Capone

Als Theodore Roosevelt sich 1912 im Endspurt seiner Präsidentschaftskandidatur befand, reiste er quer durch die USA und hielt Reden in unzähligen Städten – vor der Zeit von Internet, Radio und Fernsehen war das der einzige Weg, Wähler zu erreichen.1 Sein Wahlkampfteam ließ drei Millionen Broschüren mit seinem Redetext drucken, die bei den Veranstaltungen verteilt werden sollten. Auf dem Cover war ein präsidiales Foto Roosevelts zu sehen. Kurz vor Beginn der Reise fiel einem Mitarbeiter des Wahlkampfteams ein kleiner aber verhängnisvoller Schriftzug auf dem Bild auf: »Moffet Studios Chicago«. Und tatsächlich: George Moffet hielt die Rechte an dem Bild. Sollten sie die Broschüren dennoch verteilen, könnte er einen Dollar pro unautorisierter Kopie des Bildes verlangen, insgesamt also die für damals astronomische Summe von drei Millionen Dollar, die Roosevelts Wahlkampfkasse gesprengt hätte. Für das Wahlkampfteam sahen die Optionen so aus: Ohne die Broschüre setzten sie die Präsidentschaft aufs Spiel. Verwendeten sie die Broschüre, liefen sie Gefahr, dass es einen Skandal gäbe und sie ruiniert wären – gewissermaßen eine Wahl zwischen Arsen oder Zyankali. Moffet, so schien es, hielt alle Macht in seinen Händen – auch wenn er von der Situation noch gar nichts wusste.

Was tun? Die Wahlkampfmannschaft ging zu Kampagnenchef George Perkins, seines Zeichens Eisenbahnmagnat und Partner des Bankhauses J. P. Morgan. Dieser fackelte nicht lange und ließ umgehend ein Telegramm an Moffet schicken: »Wir planen, Millionen von Broschüren mit Roosevelts Bild auf dem Cover zu verteilen. Es wäre großartige Werbung für das Fotostudio, dessen Bild wir nehmen. Wie viel zahlen Sie uns, damit wir Ihres verwenden?« Die Antwort kam prompt: »Wir haben das noch nie gemacht, aber unter diesen Umständen freuen wir uns, Ihnen 250 Dollar zu bieten.« Obwohl er sicherlich wusste, dass er noch ein paar Hunderter mehr hätte rausschlagen können, nahm Perkins an. Und Moffet? Er hätte bestimmt viele Tausend Dollar bekommen können, erhielt aber immerhin die Werbung seines Lebens.

Selbst in scheinbar ausweglosen Situationen können Sie also Ihre Macht oder zumindest die Wahrnehmung Ihrer Macht erhöhen.

Für den britischen Verhandlungsprofi Gavin Kennedy ist Macht die Essenz des gesamten Verhandlungsprozesses.2 Stellen Sie sich vor, Ihr vierjähriger Sohn weigert sich, seinen Spinat zu essen.3 Wer hat die Macht? Sie sind vielleicht Partner einer internationalen Großkanzlei und Ihr Sohn kann noch nicht einmal seinen Vornamen (Kurt) mit weniger als fünf Fehlern schreiben. Ganz egal. In dem Moment kann nur er das tun, was Sie wollen, nämlich den Spinat essen. Anders als ihm ist Ihnen ist die Sache aber auch noch wichtig. Macht ist abhängig von Situationen. Scheinbar Machtlose haben häufig die Macht, ob es nun Ihr Kind ist oder der sture Schalterbeamte. Die reichsten Länder der Welt mit riesigen Armeen sind machtlos, wenn ein einfacher Geiselnehmer mit einer einzigen Pistole fünf Menschen in seiner Gewalt hat.4 Die Polizei kann das Gebäude umstellen und auf den nächsten Schritt des Geiselnehmers warten, viel mehr aber nicht. Wenn sie das Gebäude stürmt – wie es vor wenigen Jahrzehnten noch gang und gäbe war – ist die Chance hoch, dass einige Geiseln dabei ums Leben kommen. Das Machtverhältnis auszugleichen, hieße für die Polizei, Freunde und Verwandte des Geiselnehmers aus ihren Häusern zu zerren und dem Geiselnehmer mit ihrer Ermordung zu drohen: »Wir haben Ihre Mutter. Wir zählen bis drei und Sie sind Halbwaise.«5

Die Macht zu verstehen und – trotz widrigster Umstände – zu Ihren Gunsten zu steuern, ist der Kern jeder Verhandlung.

Macht als Gefühl

James Stockdale war einer der höchstdekorierten US-Offiziere aller Zeiten.6 Während des Vietnamkrieges wurde er von den Vietcong gefasst und sollte gezwungen werden, in einem Propagandafilm gegen die USA aufzutreten. Ausgerechnet er, der mit einigen anderen Häftlingen den Widerstand unter den Kriegsgefangenen organisiert hatte. Ein abgemagerter Mann in einer Zelle – welche Wahl hatte er?

Kurz vor den Dreharbeiten nahm er den Hocker in seiner Zelle, drosch auf sein Gesicht ein und verwandelte es in blutigen Matsch. Kein gutes Motiv mehr für einen Propagandafilm, der nie gedreht wurde.

Welche Macht haben Sie, wenn Sie jemand mit vorgehaltener Waffe überfällt? Ein amerikanischer Senator sagte dem Räuber folgendes: »Töten Sie mich ruhig. Ich habe Krebs im Endstadium. Ich habe über Selbstmord nachgedacht, aber dann würde meine Frau die Lebensversicherung nicht bekommen. Wenn Sie mich töten, helfen Sie meiner Familie«. Eine Räuberpistole, aber ein effektives Mittel gegen eine ebensolche, mit der der scheinbar übermächtige Räuber all seiner Macht beraubt wurde und abzog.

Auch wenn Sie glauben, dass Sie absolut nichts machen können, gibt es immer einen Hebel, und Sie haben mehr Macht, als Ihnen bewusst ist.

Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade knapp bei Kasse.7 Nach einigen Wochen, in denen Ihre Kinder mit Decken im winterlichen Wohnzimmer vor einer kargen und ungeschmückten Weihnachtstanne vom letzten Jahr sitzen und Ihre Frau mit Scheidung droht, rappeln Sie sich auf und gehen zur Bank, um einen Überbrückungskredit zu beantragen. Wählen Sie Ihre abgewetztesten Kleider, um den Angestellten von Ihrer Bedürftigkeit zu überzeugen und Mitleid bei ihm zu erwecken? Sagen Sie ihm, dass Ihre Kinder gerne ein Weihnachtsfest ohne Tränen feiern möchten und versprechen Sie ihm, wenn auch keine Rückzahlung, so doch zumindest Lohn im Jenseits? Wohl kaum. Banken geben dem Geld, von dem sie glauben, dass er es nicht braucht. Einen Kredit zu geben, ist eine Wette auf die wirtschaftliche Stabilität einer Person: Das Geld ist weg, wenn die Bank die Wette verliert. Wenn derjenige, der sich das Geld geliehen hat aber über Nacht auf eine Ölquelle stößt, wird er der Bank zum Dank wohl kaum das Doppelte zurückzahlen. Die Bank muss ihr Risiko minimieren. Je weniger bedürftig Sie wirken, desto höher Ihre Chance auf das Geld. Vor allem aber: Sehen Sie sich auch in dieser Situation nicht als Bittsteller. Machen Sie sich klar, dass der andere ebenso Zwängen unterworfen ist. Eine Bank lebt davon, Kredite zu vergeben, sie tut Ihnen damit keinen Gefallen. Es gibt sogar Werbekampagnen, um Menschen zu überzeugen, ihr Geld von genau dieser Bank zu leihen.

Es ist ein weit verbreitetes Gefühl unter Verhandlern, die andere Partei für mächtiger zu halten als sich selbst.8 Denn sie sehen ihre Zwänge, Ängste und Fristen klar vor Augen, nicht aber die des Gegenübers, der scheinbar sorglos auf seinem Sessel sitzt. Gewerkschaftler sehen in den Managern die geballte Macht des Kapitals, die Unternehmensführung wiederum sieht sie bei den Arbeitnehmern. Der Vertrieb betrachtet den Einkauf als die große Macht, der Einkauf hingegen wähnt alle Macht bei den Zulieferern. Vertriebler sind besessen von der Macht der Käufer und der der Konkurrenz. Sie fokussieren sich auf ihre Schwächen und glauben den Käufern bereitwillig, wenn diese von der Konkurrenz schwärmen, weshalb typischerweise Vertriebler am wenigsten vom eigenen Produkt halten.

Aber niemand bietet genau das, was Sie bieten. Machen Sie sich die Einzigartigkeit Ihres Verhandlungsgegenstands bewusst. Häufig unterliegen Einkäufer Vorgaben aus dem Unternehmen: Spezialisten können angeblich nur mit Ihrem Produkt arbeiten, ganz egal, ob es teurer ist als das der Konkurrenz. Vielleicht aber gibt es auch Vorgaben, dass das Unternehmen nur Lieferanten ab einer bestimmten Unternehmensgröße wählen darf, oder dass das Unternehmen grundsätzlich zwei Lieferanten für eine Ware hat. Gerade Großunternehmen, mit ihren stadtartigen Gebäudekomplexen, ihren riesigen Fuhrparks und ihren scheinbar unbegrenzten Mitteln erscheinen übermächtig. Die Wahrheit ist: Sie sind es nicht. Vielmehr sind sie wie ein riesiges Schiff, das, wenn es einmal Kurs in eine Richtung aufgenommen hat, fast nicht zu stoppen ist.9 Zu viele Parteien sind beteiligt und niemand will derjenige sein, der den Deal platzen lässt. Wenn Sie zu Ihrer Chefin gehen, um eine Gehaltserhöhung auszuhandeln, dann denken Sie sich, dass es sicherlich Tausende gäbe, die Ihren Job gerne machen würden. Die Vorgesetzte aber hat Angst, Sie zu verlieren, und fragt sich, wie sie Sie gleichzeitig zufriedenstellen und ihr Budget einhalten kann. Macht bedeutet nichts anderes, als über Wohl und Wehe des anderen zu entscheiden, wobei am mächtigsten derjenige wahrgenommen wird, der dem anderen am meisten Schaden zufügen kann. Fragen Sie sich: Was ist das Schlimmste, das mir mein Gegenüber antun kann?10 So merken Sie, dass er eigentlich gar nicht viel machen kann. Auch wenn Sie keinerlei Macht bei sich wähnen, können Sie immer noch Ihre Kooperation beenden. Diesen Weg beschritt Gandhi, der Indien von der scheinbar übermächtigen Kolonialmacht Großbritannien ohne eine einzige Waffe befreite.

In ganz seltenen Fällen mag das Gefühl von Machtlosigkeit angenehm sein.11 So kann man sich für verschiedene Situationen als nicht verantwortlich fühlen: »Was hätte ich schon tun können?« In der Regel aber ist das Gefühl der Macht sehr förderlich für Ihr Wohlbefinden. Warum sind so viele Menschen so ungern im Krankenhaus? Weil sie dort keinerlei Kontrolle mehr über ihren Tagesablauf haben: vom morgendlichen Aufwachen bis zum Zeitpunkt und Bestandteil aller Mahlzeiten – der Patient hat nichts mehr zu melden. Warum fühlen Sie sich schlechter, wenn Sie im Bus sitzen und zu spät dran sind, als wenn Sie mit Ihrem Auto fahren?12

Nochmal zu Roosevelt: Welche Macht hatte eigentlich der Fotograf Moffet? Was genau hätte er denn mit dem Bild gemacht, wenn Roosevelt kein Interesse daran gehabt hätte? Oder wenn Roosevelt die Wahl verloren hätte – wer würde sich für das Bild des Verlierers interessieren? Na, eben, Moffet hatte wenig in der Hinterhand. Die Schwäche des anderen kann schnell übersehen werden, wenn wir uns zu sehr auf unsere eigene, scheinbare Machtlosigkeit fokussieren.

Wer hat also die Macht? – Sie, wenn Ihr Gegenüber davon überzeugt ist!13

Einschüchterung verstehen

Versierte Verhandlungspartner werden von Anfang an versuchen, die Wahrnehmung von Macht zu ihren Gunsten zu verschieben. Der Verkäufer Ihrer neuen Wohnung kommt mit einem Maybach mit Chauffeur zur Besichtigung vorgefahren. Was geschieht? Sie sind froh, dass Sie mit einem solch bedeutenden Menschen Geschäfte machen dürfen, und es wäre Ihnen geradezu peinlich, mit ihm zu feilschen. Das Auftreten und Statussymbole sind die traditionellen Markenzeichen von Hochstaplern: Sie wussten schon immer, worauf Menschen achten. Prunkvolle Eingangshallen, hübsche Empfangsdamen, Büros mit Skyline-Blick – Requisiten, mit denen sie Ihnen zeigen wollen, wie mächtig sie sind. Dazu gibt es zahlreiche subtile Methoden, Sie einzuschüchtern14: Man lässt Sie vor dem Büro warten, weil wichtigere Menschen als Sie zu treffen sind. Sie bekommen einen Stuhl angeboten, der 50 Zentimeter niedriger ist als der Ihres Gegenübers und blicken direkt in die Sonne. Vor dem Gespräch mit Ihnen sagt er seiner Assistentin, dass für die nächsten zwei Minuten – länger nicht – keine Anrufe durchgestellt werden sollen. Er schaut gelangweilt und guckt ständig auf die Uhr. Er vergisst wiederholt Ihren Namen und den Ihres Unternehmens, spricht aber sehr vertraut über seine Tenniskumpel von der Konkurrenz. Er ignoriert Ihre mitgebrachten Proben. Wenn er Ihnen nun doch einen Deal vorschlägt, fühlen Sie sich geradezu geschmeichelt.

Chinesische Geschäftsleute nutzen eine Methode, die als Long Wait bekannt ist15: Ausländische Geschäftspartner, die mit Produktionsstätten im chinesischen Hinterland verhandeln müssen, bekommen von der Regierung häufig noch weiter abgelegene Unterkünfte zugewiesen. Nicht nur, dass diese Schlafstätten keine Mitglieder bei Leading Hotels of the World sind: Man empfängt die Gäste zu einer freundlichen ersten Verhandlungsrunde, nach der sie von einem Fahrer, der kein Englisch spricht, zurück in die chinesische Pampa gefahren werden, wo man sie ohne neuen Verhandlungstermin warten lässt – einige Tage, manchmal sogar mehrere Wochen. Irgendwann hat auch der geduldigste Besucher keine Lust mehr und will einfach nur nach Hause. Man packt die Koffer und begibt sich mit einem, nach einigem Hin und Her aufgetriebenen Taxi zum Flughafen. Kaum haben die chinesischen Geschäftspartner davon erfahren, kommen sie zum Flughafen und versprechen mit größter Freundlichkeit und Verbindlichkeit sofortige Treffen. Nach ein, zwei Tagen der Verhandlung beginnt das Spiel aufs Neue. Was geschieht dabei? Die Wahrnehmung der Macht wird verschoben.

Australien etwa verfügt über große Kohlevorkommen, ganz im Gegensatz zu Japan.16 Japan aber braucht viel Kohle. Dennoch sind die Japaner in einer besseren Verhandlungsposition. Wie ist das möglich? Die Verhandlungen finden in Japan statt. Das bedeutet, dass die Australier erst einmal eine lange Reise auf sich nehmen müssen (alles ist weit von Australien entfernt, sogar nach Neuseeland fliegt man mehrere Stunden). Die Australier haben Jetlag, müssen sich auf ungewohntem Territorium herumschlagen und leben aus dem Koffer. Dazu kommt der kurzsichtige Druck des Unternehmens, bloß die Flüge nicht verfallen zu lassen: Man verliert Hunderttausende in der Verhandlung, damit man ja nicht das Geld für die Tickets umsonst ausgegeben hat. Die Japaner dagegen sind entspannt, schlafen jede Nacht zuhause und haben es geschafft, dass der Verkäufer zu ihnen kommt wie ein Hausierer.

Derjenige, der hergebeten wird, ist in einer schwächeren Position. Denken Sie nur an den Unterschied zwischen Barmann und Kellner: Wir gehen zum Barman, buhlen um seine Aufmerksamkeit und hoffen, dass er uns sieht, bis wir endlich ordern dürfen. Der Kellner hingegen kommt zu uns wie ein Lakai, um Order entgegenzunehmen. Das Ergebnis ist das gleiche, doch die wahrgenommene Macht desjenigen, den wir aufsuchen, ist viel größer.

Der Finanzier J. P. Morgan wollte vor vielen Jahren ein Grundstück von der Rockefeller-Familie kaufen, die aber gar nicht sonderlich an einem Verkauf interessiert war. Schließlich schickte der alte Rockefeller auf Drängen Morgans seinen Sohn. Als dieser in Morgans Büro trat, blickte er kaum auf, sondern arbeitete weiter an seinen Akten.

»Und? Wie viel wollen Sie?« Rockefeller war zwar jung, aber er ließ sich nicht einschüchtern: »Mr. Morgan, hier muss ein Irrtum vorliegen. Ich bin nicht hergekommen, um zu verkaufen. Soweit ich weiß, wollen Sie kaufen.«

Das ist die richtige Reaktion, die das Machtgefüge wieder ins rechte Licht rückt. Versierte Verhandler werden immer wieder versuchen, dass Sie sich ohnmächtig fühlen. Wenn Sie dieses Manöver aber durchschauen und korrigieren, werden Sie Ihr Gegenüber verblüffen und Ihre eigene Macht erhöhen.

Der goldene Moment – der Gipfel Ihrer Macht

Macht zu verstehen, bedeutet auch, zu wissen, wann Ihre Macht am größten ist. Wehe, Sie haben sich zu Hause ausgesperrt und müssen den Schlüsseldienst rufen. Ein Handgriff von etwa 20 Sekunden kann Sie leicht über 100 Euro kosten. Der seriöse Herr mit Dietrich weiß aber, dass er das Geld vorher eintreiben muss: Wenn Sie sich am kältesten Tag des Jahres, ohne eine Jacke anzuhaben, ausgesperrt haben, bibbernd und mit eingefrorenen Tränen der Freude den Messias vor sich sehen, der Ihnen das Tor in die Welt des flauschigen Sofas mit acht Kissen vor dem knisternden, nach Zimt und Gemütlichkeit duftenden Kamin öffnet, akzeptieren Sie jedes Angebot. Kaum sind Sie drin, sehen Sie nur noch den unverschämten Ex-Knacki, der er ist. Man spricht vom Nutten-Prinzip (Hooker Principle), weil der Freier stets vor der Dienstleistung um das »Honorar« gebeten wird. Vorher ist die Macht der Dienstleisterin groß, danach denkt sich fast jeder, dass man es selbst genauso gut hinbekommen hätte – jedenfalls mit identischem Ergebnis.17

Der Faktor Zeit hat eine entscheidende Bedeutung für die Macht des Anbieters. Wenn Sie in ein Hotel einchecken und der Nachtportier Ihnen die Reservierungsbestätigung vorlegt, auf der ein höherer Preis verzeichnet ist, als vereinbart war, gehen Sie am besten ins Bett und verhandeln am nächsten Tag. Dann nämlich hat sich das Machtgefüge zu Ihren Gunsten verschoben.

Natürlich sind Sie in einer besseren Position in der Gehaltsverhandlung, wenn Sie noch in einem festen Arbeitsverhältnis stehen. Selbstverständlich können Sie eher um ein Auto feilschen, wenn Sie noch einen fahrbaren Untersatz haben, als wenn Sie bei Regen die drei Kilometer von der Bushaltestelle zum Autohändler ins Industriegebiet gestapft sind.

Fragen Sie dann nach etwas, wenn Ihre Macht am größten ist, bei Bewerbungen in dem Moment, in dem man Ihnen das Angebot gemacht hat, Sie aber noch nicht angenommen haben. Also nicht etwa vor dem Angebot, da man sich dann vielleicht für den fast genau so interessanten Gegenkandidaten entscheidet. Aber eben auch nicht nachdem Sie angenommen haben, da die Sache dann bereits erledigt ist und Menschen nur ungern nachverhandeln. Nutzen Sie also den goldenen Moment zwischen der Zusage des Arbeitgebers und Ihrer Annahme, um nach einem Firmenwagen, dem Eckbüro oder Umzugskosten zu fragen – hier ist Ihre Macht am größten.18

Drängen Sie auch dann auf die Begleichung von Schulden, wenn Ihre Macht am größten ist. Sie sind Caterer und Ihr Kunde hat noch nicht bezahlt? Verlangen Sie die vollständige Begleichung aller Rechnungen direkt vor dem nächsten Event, wenn die hungrigen Gäste schon nervös nach dem Essen lugen.

Das Gleiche gilt, wenn Sie der Kunde sind. Sagen wir, Sie haben Parkett für Ihr Wohnzimmer bestellt und eine der Kisten enthält wurmstichiges Holz. Zahlen Sie nicht schon alle anderen Kisten und halten nur den Teilbetrag zurück. Ich habe vor einiger Zeit die Felgen meines Autos ausbessern lassen. Die vierte allerdings ist dem Handwerker misslungen. Er versprach mir, in den nächsten Tagen bei mir vorbeizukommen und sie noch auszubessern. Ich habe die anderen drei gezahlt und ihn nie wieder gesehen. Gehen Sie jedoch sicher, dass Ihr Ansprechpartner im Unternehmen weiß, warum Sie nicht zahlen, damit die Forderung nicht einfach an ein Inkassounternehmen weitergereicht wird.19 Falls möglich, warten Sie also stets mit der Zahlung des ganzen Betrags, bis alles erfüllt wurde – so ist Ihre Macht ungebrochen. Vor allem: Entwickeln Sie ein Auge dafür, wann Ihre Macht am größten ist.

Verringern Sie Ihre Macht nicht unnötig

Donald Trump hat mit seinem Verhandlungsstil einige Scherben hinterlassen, aber auch häufig viel erreicht. Er hat sich stets alle Optionen offengehalten: ob NATO-Austritt der USA oder den Einsatz von Atomwaffen. Wenn ein US-Präsident von vornherein gewisse Dinge ausschließt, dann mag das auf den ersten Blick erfreulich für den Weltfrieden sein. Wenn aber die andere Seite den Krieg durchaus als Option betrachtet, hat sie eine Option mehr und damit mehr Macht. Eliminieren Sie daher nicht frühzeitig Ihre Möglichkeiten!

Ganz ähnlich ist es bei Geiselnahmen, die von den Medien genau verfolgt werden: Wenn Terroristen fünf Deutsche verschleppen und alle Sender und Zeitungen nonstop darüber berichten, geschieht was? Der Wert der »Ware«, der Geiseln, und damit die Macht der Geiselnehmer steigt ins Unermessliche. Die Nachfrage ist immens, das Angebot auf fünf beschränkt.20 Die Öffentlichkeit untergräbt die Macht des Verhandlers für Deutschland, der nun keine Wahl mehr hat und sich jeder Forderung beugen muss, damit die Bundesregierung vor den Wählern nicht schlecht dasteht.

Auf den Alltag angewendet, bedeutet das: Zeigen Sie nie Ihr besonderes Interesse für eine Option, da Sie damit Ihre Machtposition schwächen. Es ist nicht überliefert, dass jemals ein Käufer, der bei einer ersten Besichtigung das Haus »Perfekt!« fand und mit den Kindern in den Armen, jeden sein Zimmer aussuchen ließ, mit einem Zollstock nochmals nachmaß und dann nach dem Preis fragte, einen großen Nachlass bekam.21 Ihre Optionen zu reduzieren, ist der sicherste Weg, ohne Not Ihre Macht zu verringern.

Sie dürfen auch nie preisgeben, wenn Sie wenig Macht haben: dass Ihre Produktion pausieren und Ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit gehen müssten, wenn der Vertrag heute platzen sollte. Geben Sie nie preis, warum Sie nicht mehr mit der Konkurrenz arbeiten. Warum? Wenn Sie ihre Konkurrenz nicht mögen, hat sie mehr Macht. Sagen Sie nicht, dass Sie ihre Produkte großartig finden. Ihre Macht muss so gering wie möglich gehalten werden.

Die verbreitetste Methode, seine eigene Position zu untergraben, ist, »Verhandlungsbasis« (VB oder VHB) hinter seinen Preis zu schreiben. Haben Sie »VB« schon mal auf einem brandneuen Mercedes gesehen? Nein, denn nur Amateure machen es. Warum schreiben so viele VB an Dinge, die sie verkaufen wollen? Weil sie sich sagen:

»Naja, so wird immerhin keiner abgeschreckt vom Preis und ein paar Euro kann man ja immer runtergehen.«

Was aber geht im Kopf der Käuferin vor, wenn sie an Ihrem Wagen 9 000 Euro VB sieht? Sie denkt sich, dass kein Mensch 9 000 Euro zahlen würde, und fragt sich, für wie viel weniger sie ihn bekommt. Würden Sie denn in einer anderen Situation als allererstes sagen:

»Ich will eigentlich 100 Euro für den Stuhl, aber ich bin auch bereit, weniger zu nehmen«, bevor Sie irgendeinen Vorzug des Stuhls angepriesen haben? Natürlich nicht. Aber mit VB machen Sie genau das. Sie erschaffen damit das Gegenteil einer Konkurrenzsituation, nehmen sich selbst die Macht und signalisieren, dass Sie den Wagen unter Wert verkaufen müssen. Wenn Sie von jemandem kaufen, der VB an seinen Preis schreibt, dann betrachten Sie es als Ihre vornehmste Pflicht, den Preis empfindlich zu drücken. Denn Sie wissen jetzt, dass der andere noch nicht einmal den angegebenen Preis erwartet.

Dass Sie Ihre wahrgenommene Machtposition niemals verringern dürfen, illustriert eine Geschichte des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac. Ein Pariser Buchhändler war von dem noch jungen Balzac hellauf begeistert. Er wollte ihm 3 000 Francs für seinen nächsten Roman bieten. Als er die Adresse des Autors in einem Scherbenviertel erfuhr, reduzierte er sein Angebot auf 2 000 Francs. Nachdem er das Haus gesehen hatte, wollte er nur noch 1 500 Francs bieten. Als er die Treppen erklomm und schließlich die schäbige Dachkammer sah, in der Balzac gerade ein altes Stück Brot in ein Glas Wasser tunkte, gab er schließlich sein Angebot ab: 300 Francs.

Macht durch Dritte

Wenn Sie Macht verstehen und einen Hebel suchen, um sie zu vergrößern, kann der Weg auch über Dritte gehen. Dazu ein Beispiel: Mieter in einem verwahrlosten Gebäude konnten ihren Vermieter nicht überzeugen, etwas an den desolaten Zuständen im Haus zu verändern – nicht einmal das Abwasser funktionierte.22 Aber der Vermieter blieb untätig. Welche Macht hatten die Mieter, die sich noch nicht einmal einen Anwalt leisten konnten? Sie marschierten vor das Haus des Vermieters in einem eleganten Vorort und protestierten dort mit selbstgebastelten Schildern und Transparenten gegen seine Untätigkeit. Es dauerte keine Viertelstunde und die Nachbarn forderten ihn auf, etwas zu tun, um die Demonstranten loszuwerden. Der Vermieter knickte ein und ließ das Haus sanieren.

Ein Freund von mir wohnte für einige Monate in einer WG in Amsterdam. Nach seinem Auszug bekam er die Kaution von seiner Vermieterin, die zugleich seine Mitbewohnerin gewesen war, einfach nicht zurück. Ein halbes Jahr nach seinem Auszug hatte er zig Mails geschrieben und wurde ignoriert. Er hat es immer wieder auf ihrem Handy versucht und wurde weggedrückt. Was tun? Einen niederländischen Anwalt damit beauftragen? Das hätte wohl Jahre gedauert und wäre mühselig geworden. Seine Position erschien ihm fast aussichtslos, doch da hatte er eine zündende Idee: Er ging auf Facebook und kopierte sich die gesamte Freundesliste der Vermieterin heraus. Dann schrieb er ihr noch mal und fragte sie, was sie von der Idee hielte, ihren ganzen Freunden und Bekannten von ihren Machenschaften zu schreiben. Nötigung oder gar Erpressung? Er hatte keine moralischen Bedenken und riskierte es: Nach einer Woche war das Geld auf seinem Konto.

Es ist nicht immer leicht, die entscheidenden Außenstehenden zu finden. So wie die Polizei bei Geiselnahmen häufig Vertraute der Geiselnehmer einschaltet, müssen Sie herausfinden, wer für Ihren Verhandlungspartner wichtig ist. Gewinnen Sie Verwandte, Freunde oder Kollegen Ihres Verhandlungspartners für Ihre Sache.23 Andere, scheinbar Unbeteiligte, können der Hebel Ihrer Macht sein.

Wie Sie Ihre Macht systematisch erhöhen, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.

MACHT ERHÖHEN

»Wenn du ein Ass aus dem Ärmel ziehen willst, musst du es vorher reinstecken.«

Rudi Carrell

Macht erhöhen: Knappheit

Stellen Sie sich vor, ein Mitarbeiter stürmt in Ihr Büro mit einer, wie er sagt, fantastischen Idee. Sie fragen ihn, wer schon alles davon weiß.1 »Ich habe schon mit allen anderen Abteilungsleitern gesprochen, aber die halten meine Idee für blödsinnig – diese Schwachköpfe.« Was geschieht nun? Sie halten die Idee sofort für wertlos. Hätte Ihnen der Angestellte aber gesagt, dass noch niemand davon wisse, oder dass jeder sie umsetzen wolle, er aber Sie dazu auserkoren hätte, würden Sie sich ganz anders damit befassen. Wettbewerb – ob echter oder nur scheinbarer – erhöht den Wert eines Verhandlungsgegenstandes immens.

Der Knappheitseffekt (Scarcity Effect) ist einer der stärksten psychologischen Mechanismen der Verhandlung. Wir wollen Dinge, die begrenzt verfügbar sind, und die andere wollen. Mit dem Knappheitseffekt wird ein Reflex in uns aktiviert.2 Wenn ich ein Stück Zwieback auf den Tisch lege und meinen vier kleinen Nichten und Neffen, die sich eigentlich nichts aus Zwieback machen, sage, dass es nur einen Zwieback gibt, und dass ihn der Erste bekommt, der ihn sich schnappt, dann mache ich lieber die Bahn frei, um nicht niedergetrampelt zu werden. Der Effekt ist so stark, dass er in den unterschiedlichsten Bereichen und in allen Altersklassen funktioniert: Wenn man alles Gold, das je gefördert wurde – alle Goldbarren, jeden Ehering und jeden Goldzahn – einschmelzen und in einen Würfel formen würde, was glauben Sie, wie lang die Kanten des Würfels wären? Wenn Sie knapp zwanzig Meter getippt haben, liegen Sie richtig.3 Gold würde nur spleenige Steinsammler interessieren, wenn es nicht so rar wäre. Viele Unternehmen, gerade in der Luxusindustrie, halten Ihre Produkte bewusst knapp. So steigt die wahrgenommene Macht jedes Händlers. Wenn ich Ihnen anböte, dass Sie 5 000 Euro in mein Immobilienportfolio investieren könnten, dann würden Sie es sich vielleicht näher ansehen, aber möglicherweise wäre es Ihnen zu riskant.4 Was aber, wenn ich Ihnen sagte, dass ich 100 000 Euro benötige, aber schon 19 Leute jeweils 5 000 Euro investierten, Sie also der letzte wären? Das Gefühl von Wettbewerb lässt Sie das Risiko vergessen. So können Sie auch bei Verhandlungen dieses Prinzip anwenden: Ihre Macht steigt, sobald Ihr Verhandlungsgegenstand rar erscheint.

Von der Hauptstadt Ghanas, Accra, fährt ein Bus, ein sogenannter »Mammy Wagon« in die zweitgrößte Stadt des Landes, nach Kumasi im Landesinneren.5 Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, diesen »Mammy Wagon« zu nehmen, sollten Sie sich beeilen. Er ist nämlich bis auf einen Platz gefüllt. Immer. Sobald Sie sich auf den letzten leeren Platz gesetzt haben, steht ein Statist auf und schafft den »letzten« freien Platz. Solange bis sich der nächste echte Passagier auf den scheinbar letzten freien Platz setzt und auf die sofortige Abfahrt hofft, die sich aber noch ein paar Stunden verzögern kann. Das Gefühl der Knappheit wird durch scheinbaren Wettbewerb angekurbelt: Wenn jeder Ihre Sache will, ist sie besonders knapp und Ihre Macht am größten.

Wenn Sie eine Wohnung vermieten wollen, laden Sie Freunde und Bekannte ein, um die Räume zu füllen und setzen Sie einen Sammeltermin an, um das Gefühl der Knappheit zu verstärken. Kataloge der Konkurrenz voller Post-it-Zettel und Stapel von Briefen mit Briefkopf der Mitbewerber sind beliebte Tricks, die Illusion der Konkurrenz bei Verkäufern zu erzeugen.6 Wenn Sie etwas kaufen wollen, betrachten Sie sich als jemand, der Geld verkaufen möchte.7 »Wer bietet mir am meisten für mein Geld?«, sollten Sie sich dabei fragen und so den Wettbewerb entfachen. Sogar wenn Sie sich Geld leihen, können Sie eine Konkurrenzsituation erzeugen.

Sie gehen in Ihre Bankfiliale, um einen günstigen Zins mit einer niedrigen Tilgung auszuhandeln. Sie verabschieden sich, gehen Mittagessen und kommen nach ein paar Stunden wieder: »Ihnen ist sicher klar, wo ich gerade war …« Niemand kennt seine Konkurrenz besser als Ihr Verhandlungspartner, seine Fantasie arbeitet nun auf Hochtouren.

Donald Trump hat seine eigene Methode, Knappheit zu erzeugen8: seine Bauprojekte, ob Trump Tower oder Trump World Tower leben vom Nimbus der Einzigartigkeit. Obwohl es zahlreiche ähnliche Hochhäuser in New York gibt, erweckt er den Eindruck, dass seine besser als alles bisher Dagewesene seien. Das Penthouse lässt er im Stil eines Rokoko-Monarchen einrichten und für jede Zeitschrift ablichten, um so den Glanz des Hauses zu erhöhen. Er verlangt absurde Preise für die Wohnungen, denn es gibt eben nur einen Trump Tower. Sie können aus allem etwas Seltenes machen: Bieten Sie eine »limitierte Auflage« Ihrer Ware mit einzigartigen Details für die ersten 50 Bestellungen.

Sie können jeden Verhandlungsgegenstand auf einfache Weise wertvoller erscheinen lassen: »Ich weiß auch nicht, aber dieses Bild hat eben eine besondere Bedeutung für mich.« Wir nehmen es Verhandlern ab, wenn Sie zögerlich sind und sich kaum von der Sache trennen können. Der Wert der Sache steigt, die Macht des Verhandlers ebenfalls. Die Reaktion, die wir auf den Anschein von Knappheit zeigen, ist weniger eine rationale als eine emotionale.9

THE GAME

Die Pick-up-Artist-Community hat sich aus einer Gruppe von Männern entwickelt, die alle das gleiche Ziel hatten: die effektivsten Methoden zu entwickeln und anzuwenden, um Frauen für sich zu gewinnen. Neil Strauss, ein renommierter Journalist, infiltrierte die Gemeinschaft und beschrieb die ausgefeilten Techniken in seinem lesenswerten Buch The Game10. Der Kern der besten »Aufreißer«-Techniken besteht, ganz wie in einer Verhandlung, in der Macht. Der Schlüssel ist, seine Macht zu erhöhen: In dem Moment, in dem der Mann die Frau anspricht, zeigt er ihr, dass er weniger Status und somit weniger Macht hat als sie. Schließlich spricht immer derjenige jemanden an, der etwas will oder haben Sie schon einmal einen Bettler angesprochen? Eine der Grundannahmen ist, dass Menschen von anderen Menschen fernbleiben, wenn sie das Gefühl haben, dass der andere einen niedrigeren sozialen Wert hat.

Der Mann muss seinen Wert erhöhen, indem er seine soziale Macht zeigt: Er bringt andere zum Lachen, ist der Anführer anderer Männer und der Beschützer der Schwachen: »Ich hatte keine Wahl, sie ist meine kleine Schwester, da kenne ich nichts!« Frauen lieben ihn, er ist begehrt. Im Idealfall ist er von Frauen umringt. Das Telefon klingelt unaufhörlich und es kommen ständig Nachrichten.

Auch die Körpersprache muss Macht zeigen: Derjenige mit dem niedrigeren Status lehnt sich in Richtung desjenigen mit höherem Status, der sich entspannt zurücklehnt.

Ein weiterer interessanter Ratschlag ist bekannt als »Peacocking«: Der Mann soll sich skurril kleiden, vielleicht mit einem riesigen Hut oder einer Feder am Revers. Der Gedanke dabei? Wenn jemand so überlebt hat in der Welt, muss er einen hohen Status haben. Wenn er lichtes Haar hat, soll er sich den Kopf rasieren: schütteres Haar zeugt von Machtlosigkeit, den Schädel zu rasieren aber ist eine Wahl.

Der erfolgreiche Pick-up-Artist stellt sich nicht vor, nur anbiedernde Verkäufer strecken jedem sofort ihre Hand entgegen. Außerdem bleibt er vage und prahlt nicht. Menschen mit hohem Status reiben ihn niemandem unter die Nase. Außerdem stellt er keine Fragen, sondern macht Aussagen.

Nun muss noch die wahrgenommene Macht der Frau verringert werden. Wie? Mit dem sogenannten »Negging« Man zieht sie runter, ohne dabei unverschämt zu sein: »Die an der Garderobe hatte genau das gleiche Kleid an wie du, aber bei dir sieht es einfach besser aus.« Oder: »Du hast schöne vorstehende Zähne, das ist so süß.«