Death de LYX - Denn entkommen wirst du nicht - Mary Burton - E-Book

Death de LYX - Denn entkommen wirst du nicht E-Book

Mary Burton

4,9
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Death de LYX: Die besondere Thriller-Reihe von LYX - jeden Monat eine neue Zerreißprobe für die Nerven! Um den Mörder ihrer besten Freundin zu finden, muss sich die Fotografin Nicole ihrer Vergangenheit stellen, die sie am liebsten vergessen wollte. Doch um die Wahrheit herauszufinden, braucht sie die Hilfe von Detective David Ayden. Doch die Nachforschungen, die beide anstellen, bringen Nicole und David in ungeahnte Gefahr ... Ca. 150 Buchseiten. Death de LYX - regelmäßig spannende Kurzgeschichten mit Nervenkitzel-Garantie als E-Book. Stöbern Sie auch in den anderen Titeln der Reihe! "Denn entkommen wirst du nicht" erschien bereits in der Reihe "Romantic Christmas".

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 159

Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Die Autorin

Die Romane von Mary Burton bei LYX

Impressum

MARY BURTON

Denn entkommen

wirst du nicht

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Marion Herbert

Zu diesem Buch

Um den Mörder ihrer besten Freundin zu finden, muss sich die Fotografin Nicole ihrer Vergangenheit stellen, die sie am liebsten vergessen wollte. Doch um die Wahrheit herauszufinden, braucht sie die Hilfe von Detective David Ayden. Doch die Nachforschungen, die beide anstellen, bringen Nicole und David in ungeahnte Gefahr …

1

Richmond, Virginia

Dienstag, 23. Dezember, 9.00 Uhr

Nat King Cole schmachtete aus dem billigen CD-Player, während Nicole Piper ihr angebissenes Erdnussbuttersandwich hinlegte und nach einem Engel mit der Aufschrift »Mein erstes Weihnachten« griff. Sie ging zu einem kleinen silbernen Vintage-Weihnachtsbaum auf dem Tisch in ihrer Essecke. Die Aluminiumnadeln des Bäumchens glitzerten im Licht, das durchs Fenster hereinfiel.

Sie hatte den Weihnachtsbaum im Herbst bei einem Garagenverkauf entdeckt. Der auf dem Schild angegebene Preis von zwanzig Dollar war ihr damals hoch erschienen, aber der Verkäufer hatte Nicole versichert, dass der Baum ein echtes Schnäppchen sei. Trotzdem hatte sie sich wegen des verschwendeten Geldes ein wenig schlecht gefühlt und den Preis auf achtzehn Dollar heruntergehandelt. Zwei Dollar waren für die meisten Leute nur Kleingeld, aber nicht für sie. Ihr neu eröffnetes Fotogeschäft brachte gerade genug ein, dass es für sie und ihre kleine Tochter reichte.

Der Baum war vielleicht unnötig gewesen, aber jetzt war sie froh, dass sie ihn gekauft hatte. Seine glänzenden Äste waren nicht nur festlich, sein auffälliger, eigenwilliger Stil passte außerdem zu ihrem neuen Leben.

Nicole hängte den Engel vorn in die Mitte des Baums und nahm sich einen Moment Zeit, um ihn geradezurücken. Er war der einzige Baumschmuck. »Na, wie findest du das, Beth?«

Ihre elf Monate alte Tochter lag nur ein paar Schritte von der Essecke entfernt auf einer Decke in dem kleinen Wohnzimmer. Beths Füße und Hände umklammerten eine halb volle Flasche mit Babynahrung. Sie lächelte Nicole sabbernd an und beschäftigte sich dann weiter mit ihrer Flasche.

Das Baby nahm nichts wahr außer seinen eigenen dicken Fingern, die sich rhythmisch um sein Fläschchen schlossen und wieder öffneten. Nicole lächelte. So sollte es sein. Es war ihre Aufgabe, sich Sorgen zu machen, nicht Beths.

Nicole aß ihr Sandwich auf und trug den Teller in die kleine Küche. In dem Apartment befanden sich ein blaues Secondhand-Ausziehsofa, auf dem Nicole schlief, ein paar Beistelltische, ein Fernseher, der nur Lokalsender empfing, und ein runder Café-Tisch mit einem Stuhl und einem Hochstuhl. Neben dem Sofa stand Beths weißes Gitterbettchen. Im Gegensatz zu allem anderen im Zimmer war es nicht gebraucht oder aus einem Secondhandladen. Es war ein wunderschönes Möbelstück, das aussah wie aus einer Zeitschrift. Das Gitterbett war ein Geschenk von Nicoles Freunden für das einzige Kind, das sie aufgrund von Komplikationen bei der Geburt je haben würde.

Ohne die großen Fotografien an den Wänden hätte die Wohnung im zweiten Stock ein wenig trist gewirkt. Nicole hatte die Schwarz-Weiß-Porträts im letzten Jahr gemacht. Die unkonventionellen Bilder hatten ungewöhnliche, eigenwillige Perspektiven, die das Äußere und das Wesen der Modelle perfekt einfingen. Nicole verdiente ihren Lebensunterhalt mit Standard-Porträts, doch diese Bilder hatte sie in ihren kostbaren freien Minuten aufgenommen. Sie würden im Januar auch Teil einer kleinen Ausstellung in der 1864 Gallery sein.

Nicole griff nach einer Tasse mit lauwarmem Tee und nippte daran, während sie die Fotos betrachtete. Sie bedeuteten einen Meilenstein für sie, weil sie ihre Rückkehr in die Welt der Kunst nach fast dreijähriger Abwesenheit symbolisierten.

Als ihr Mann noch lebte, hatte sie gedacht, sie könnte nie wieder eine Künstlerin sein. Sie hatte ihre ganze Energie darauf verwendet, seine Misshandlungen auszuhalten. Nun lag die Vergangenheit hinter ihr, und sie konnte wieder kreativ sein. Sie hatte ganz vergessen, wie aufregend und großartig es sich anfühlte zuzusehen, wie ihre Fotografien in der Entwicklerschale Gestalt annahmen.

Allein der Gedanke, dass sie beinahe ihre Kunst verloren hätte. Allein der Gedanke, dass sie beinahe ihr Leben verloren hätte.

Als könnte sie die Beklemmung ihrer Mutter spüren, nahm Beth ihr Fläschchen aus dem Mund und reckte den Hals, um Nicole zu suchen. Das Baby gluckste, als es seine Mutter sah.

Nicole lächelte zurück und zwinkerte ihrer Tochter zu. Zufrieden widmete Beth sich wieder ihrer Flasche.

Beths Vater, Richard Braxton, war ein charmanter, intelligenter und gewalttätiger Mann gewesen. Er hatte Nicole vor fast fünf Jahren in sein Leben gelockt. Sie hatten sich in San Francisco kennengelernt, als er vor dem Regen in ihr Studio geflüchtet war. Schnell hatte er ihr Herz erobert, und ehe sie sich’s versah, hatte sie ihn geheiratet. Innerhalb eines Jahres hatte er ihr Leben in eine Hölle auf Erden verwandelt.

Nach drei Jahren Ehe hatte sie schließlich ihren ganzen Mut zusammengenommen und war quer durch das Land nach Virginia geflüchtet. Ohne zu wissen, dass sie schwanger war, hatte sie ihren Namen geändert und war untergetaucht, da ihr klar war, dass Richard sie töten würde, weil sie ihn verlassen hatte.

Jene Wochen waren zermürbend und schrecklich, aber Nicole war fest entschlossen gewesen, einen Neuanfang zu wagen, selbst nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie ein Kind erwartete.

Als Braxton merkte, dass sie verschwunden war, war er rasend geworden, hatte sie in Richmond aufgespürt und war bereit gewesen, Nicole und Lindsay O’Neil, die Frau, die sie bei sich aufgenommen hatte, zu töten.

Nicole und Lindsay waren gerettet worden, aber allein die Erinnerung an jenen heißen Julitag brachte Nicole dazu, zur Tür zu gehen und die drei Riegelschlösser zu überprüfen. Sie hatte die Schlösser in letzter Zeit häufig überprüft. Aus unerfindlichen Gründen hatte sie plötzlich das Gefühl, dass Richard irgendwie von den Toten auferstanden war und sie beobachtete.

Das war natürlich albern. »Der Mann ist tot«, flüsterte sie. »Richard kann dir nicht mehr wehtun. Der Albtraum ist vorbei.« Logik half wenig dabei, den Knoten in ihrem Magen zu lösen, der sich unwillkürlich jedes Mal bildete, wenn sie an Richard dachte.

Sie drehte sich von der Tür weg und blickte hinunter auf ihre Tochter, die ihrem Vater so sehr ähnelte. Ihr dunkles Haar, die braunen Augen und die langen, schmalen Hände ließen keine Zweifel daran aufkommen, wer das Kind gezeugt hatte. Und dennoch, trotz der äußerlichen Ähnlichkeiten war Beth vollkommen unschuldig. Ohne dunkle Schatten. Sie war der beste Teil von Nicole.

Die Türklingel schreckte Nicole aus ihren Gedanken auf. Das Baby ließ seine Flasche fallen und rollte sich auf den Bauch, um zuzusehen, wie seine Mutter zur Tür ging.

Nicole lächelte Beth zu und bemühte sich um einen unbekümmerten Tonfall, als sie sagte: »Wer das wohl ist?«

Das Baby gluckste.

Nicole sah durch den Türspion. Sie strahlte, als sie Lindsays blondes Haar erkannte, das wie immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, der ihr klares Profil betonte. Lindsay trug eine Babytrage vor dem Bauch, in der ihr drei Monate alter Sohn Jack saß. Sie hatte eine Sportjacke, einen roten Pulli und Jeans an. In einer Hand hielt sie eine braune Einkaufstasche.

Nicole atmete erleichtert auf, schob die Riegel zurück und öffnete die Tür. »Fröhliche Weihnachten«, sagte sie mit strahlendem Lächeln, fest entschlossen, ihre düsteren Gedanken an Richard zu vergessen.

Lindsay grinste, beugte sich vor und küsste Nicole auf die Wange. Jack grummelte aus Protest, zwischen ihnen sanft gedrückt zu werden, und die Frauen lachten. Lindsay tätschelte ihrem Sohn den Po und trat ein.

Nicole schloss die Tür hinter ihr und schob nur einen Riegel vor.

»Was führt dich hierher?«, fragte Nicole. »Ich dachte, du hilfst deiner Schwiegermutter bei den Vorbereitungen für die große Party.« Lindsays Schwiegereltern waren Besitzer eines Restaurants namens Zola’s, und jedes Jahr zu Weihnachten schlossen sie es für die Öffentlichkeit, um eine riesige Party für ihre Freunde und die Familie zu veranstalten. Auch Nicole und Beth wollten dorthin gehen.

»Ich bin heute Morgen bei Audrey vorbeigefahren. Sie kocht, als würde morgen die Welt untergehen. Ich hab versucht zu helfen, aber sie hat mich aus der Küche gescheucht. Sie hat mich gebeten, dir diese Sachen hier zu bringen.« Lindsay stellte ihre Tasche auf den Esstisch neben den Baum und nahm fünf Frischhaltedosen heraus. »Hübscher Baum.«

»Danke.«

»Ist der vintage?«

»Angeblich. Mir hat einfach gefallen, wie er glitzert.«

Lindsay brachte das Essen in die Küche und stapelte die Dosen auf der Anrichte. »Audrey findet dich zu dünn. Hier ist genug Pasta und Brot, um eine ganze Kompanie zu versorgen.«

Nicole lachte. Lindsays Schwiegereltern, die Kiers, hatten sie unter ihre Fittiche genommen, als sie in diese Wohnung gezogen war. Sie hatten ihr Möbel, Teppiche und Lampen geschenkt. »Das ist lieb von ihr.«

»Das ist dein erstes Weihnachten mit dem Baby. Sie machen sich Sorgen um dich.« Ihr Blick verdüsterte sich einen Moment. »Ich mache mir Sorgen um dich.«

Lindsay leitete das Frauenzentrum und engagierte sich leidenschaftlich gegen häusliche Gewalt.

»Uns geht’s prima.« Und das war die Wahrheit. »Wir kommen gut zurecht.«

Lindsay hielt Nicoles Blick noch einen Moment lang fest. »Ganz sicher? Du hast dunkle Ringe unter den Augen.«

»Das ist eigentlich positiv. Ich war lange auf, weil ich Bilder für die Ausstellung zugeschnitten und eingerahmt habe.« Sie breitete die Arme aus. »Das hier sind meine neusten.«

Lindsays Blick wanderte über die Bilder, während sie im Zimmer umherging und alle sorgfältig betrachtete. Bei einem Schwarz-Weiß-Porträt von Kendall Shaw, einer örtlichen Nachrichtensprecherin, blieb sie stehen. Kendall und Nicole – die Diva und die Künstlerin, wie ihre Freunde sie nannten – waren während Nicoles Schwangerschaft enge Freundinnen geworden, obwohl sie ein ungleiches Paar waren. »Wann hast du das gemacht?«

»Vor einer Woche.«

Melancholische Schatten akzentuierten Kendalls unglaubliche Wangenknochen und ihre ausdrucksvollen Augen, und die Sepia-Tönung ließ ihre Haut wie Seide aussehen. »Das ist umwerfend. Gefällt es ihr?«

»Ich hab es ihr noch nicht gezeigt.« Nicole kaute an ihrer Unterlippe. Wie so viele Künstler stellte sie sich ständig selbst infrage. »Glaubst du, es wird ihr gefallen?«

»Auf jeden Fall. Und ihr Mann hätte bestimmt auch gerne einen Abzug.«

»Gut. Denn das wird mein Weihnachtsgeschenk für die beiden.« Lindsay würde sie ein Bild von ihr und Jack zu Weihnachten schenken.

Lindsay blickte Nicole an. »Also bist du bereit für die Ausstellung?«

»Ja. Und es ist aufregend und macht mir Angst.«

»Du wirst alle umhauen.«

»Ich bin nicht mehr die traurige, verzweifelte Frau, die ich war, als ich vor fast zwei Jahren bei dir aufgetaucht bin, nachdem ich vor Richard geflohen war. Ehrlich.«

Lindsay knöpfte ihre Jacke auf, und Jack gurrte in seiner Tragetasche. Beths dicke Händchen und besockte Füße klopften auf den Teppichboden, als sie auf Nicole zukrabbelte, die Jeans ihrer Mutter packte und sich daran hochzog.

Nicole nahm Beth hoch und fragte sich, warum sie gerade Richard erwähnt hatte. Sie hatte seinen Namen seit mehr als einem Jahr nicht mehr ausgesprochen. »Ich habe gehört, die Party bei den Kiers wird eine richtig große Sache.« Sie war auch letztes Jahr eingeladen gewesen, aber die morgendliche Übelkeit und die Müdigkeit gegen Ende ihrer Schwangerschaft hatten sie daran gehindert, teilzunehmen.

»Oh ja. Sie wird bombastisch. Und das Essen kannst du dir nicht vorstellen.«

»Ich freue mich schon.« Beth grapschte nach Nicoles Nase. Nicole fing die Hand des kleinen Mädchens auf und küsste sie.

»David Ayden wird auch da sein.« Lindsay wartete gespannt auf eine Reaktion von Nicole.

In Nicoles Bauch kribbelte es. Mordermittler David Ayden war ein Witwer mit zwei Söhnen im Teenageralter. Nach Beths Geburt war er ihr ein guter Freund gewesen. Sie hatten öfters zusammen mit Beth und seinen Jungs gegessen. Er und seine Söhne hatten ihr beim Einzug geholfen. Sie hatten viel gelacht und schienen trotz der zwölf Jahre Altersunterschied bei vielen Dingen auf einer Wellenlänge zu sein.

Bei Beths Taufe hatte er sie dann beiseitegenommen und völlig unerwartet auf die Lippen geküsst. Der Kuss war sinnlich und sehr verheißungsvoll gewesen. Eine unerwartete Hitze schoss ihr durch den Körper. Sie hatte den Kuss erwidert und ihm dabei die Arme um den Hals geschlungen.

Nach dem Kuss hatte er ihr gesagt, dass er mehr als Freundschaft wolle. Sie war gleichzeitig überrascht, aufgeregt und erschrocken gewesen. Aydens schlanken Körper, seine kantigen Züge und sein dichtes blondes Haar fand sie sehr anziehend, und sie mochte ihn wirklich. Es wäre so leicht gewesen, ihn zu lieben.

Liebe. Allein der Gedanke an Liebe jagte ihr Angst ein. Sie hatte Richard geliebt und hätte sich selbst dabei fast verloren. Die Vorstellung, zu lieben und sich wieder an jemanden zu verlieren, brachte sie dazu, sich zurückzuziehen.

»Ich kann nicht«, hatte sie geflüstert.

Das Verlangen und die Sehnsucht in seinem Blick verwandelten sich erst in Verwirrung und dann in schmerzliche Verlegenheit. Sie hatte unbeholfen versucht, es ihm zu erklären, aber sie klang wie ein verwirrtes Kind. Er nickte und akzeptierte ihre Wünsche stoisch. Nach der Taufe hatte sie sich miserabel gefühlt. Sie dachte mehrmals daran, ihn anzurufen, tat es aber nie. Was konnte sie ihm schon sagen?

Nicole spürte, wie ihre Wangen sich erhitzten, als sie sich an einige der erotischen Fantasien erinnerte, die er bei ihr ausgelöst hatte. »Ich hoffe, es geht ihm gut.«

Lindsay zog eine Augenbraue hoch. »Die Feiertage sind für ihn nie besonders schön. Seine Jungs verbringen Weihnachten diesmal bei den Eltern seiner verstorbenen Frau, also übernimmt er den Dienst auf der Wache. Aber er kommt zur Party.«

Nicole erinnerte sich daran, wie sein Duft noch Stunden nach dem Kuss an ihr gehaftet hatte. »Das freut mich. Es ist gut, dass er nicht allein sein muss.«

Lindsay beobachtete Nicole noch immer ganz genau. »Ich habe gesehen, wie er dich bei Beths Taufe geküsst hat.«

Nicole stieg die Röte ins Gesicht. »Ich dachte, das hätte niemand gesehen.«

»Niemand außer mir. Was ist passiert?«

»Ich war einfach nicht bereit.«

Lindsay musterte sie einen Moment lang prüfend. »Das ist verständlich. Du musstest dieses Jahr einige Wunden verheilen lassen.« Lindsays Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. »Aber ich brauche nur seinen Namen zu erwähnen, da wirst du schon rot.«

Nicoles Gesicht wurde noch heißer. »Ich will dir nichts vormachen. Der Gedanke, ihn wiederzusehen, ist aufregend und beängstigend.«

Lindsay runzelte die Stirn. »Dass du aufgeregt bist, kann ich verstehen, aber wovor hast du Angst? Ayden ist nicht Richard.«

»Ich weiß. Ich weiß.«

»Aber …?«

»Aber jemanden gern zu haben oder zu lieben ist einfach zu riskant. Der Preis ist zu hoch, wenn es schiefgeht.«

»Du verdienst einen guten Mann in deinem Leben, Nicole. Lass dir von Richard nicht deine Zukunft stehlen.«

Der Gedanke, dass Richard sie noch immer kontrollieren könnte, machte sie wütend. »Das tut er nicht. Das hier ist meine Entscheidung.«

»Okay.« Lindsay wusste immer, wann sie sich zurückhalten musste.

Nicole atmete tief ein, um ihren rasenden Puls zu beruhigen. »Was ist sonst noch in der Tasche?« Sie sah in die Einkaufstasche und erblickte einen Umschlag mit ihrer alten Adresse. »Was ist das?«

»Ob du’s glaubst oder nicht, das ist ein Brief, der an dich adressiert war. Er wurde an meine alte Adresse in der Stadt geschickt. Wahrscheinlich wusste der Absender, dass du damals bei mir gewohnt hast. Jedenfalls ist der Brief im Haus nebenan gelandet, und der Depp, der dort wohnte, hat sich nicht die Zeit genommen, ihn vorbeizubringen. Als der Kerl ausgezogen ist, hat die Hausverwaltung den Brief gefunden und mich angerufen, damit ich ihn abhole.«

Neugierig griff Nicole nach dem gepolsterten Umschlag. Ihr Name und ihre Adresse waren sauber auf den Adressaufkleber einer Anwaltskanzlei mit dem Namen Wellington und James aus Alexandria, Virginia, getippt. Der Poststempel war vom 15. August vor eineinhalb Jahren. Richard war seit fast einem Monat tot gewesen, als der Brief abgeschickt wurde.

»Ich war neugierig, was sich hinter Wellington und James verbirgt, und habe die Kanzlei im Internet gesucht. Sie hat eine Website.«

Nicole lachte. »Ganz die Frau eines Kriminalbeamten.«

»Ich musste schon immer überall herumschnüffeln.« In ihrer Stimme schwang keine Verlegenheit mit.

»Und was haben Sie dabei herausgefunden?«

»Nicht viel. Es ist eine kleine Kanzlei, die zwei Frauen gehört. Charlotte Wellington und Sienna James. Alles, was ich über sie herausgefunden habe, ist positiv. Sie haben vor allem für Firmen gearbeitet und ihr Gebiet nun auf Strafrecht ausgeweitet.«

Beth gluckste und grapschte nach der Ecke des Umschlags. Sie hätte sie sich in den Mund gesteckt, wenn Nicole sie nicht wieder auf die Decke gesetzt und ihr das Fläschchen gereicht hätte. Nicole zog an dem Streifen am Rand des Umschlags und riss ihn auf. Teile der Polsterung fielen auf den Boden, als sie mit der Hand hineinfuhr. Ihre Finger streiften die harten Kanten einer DVD-Hülle. »Was ist das? Da ist ja gar kein Brief.«

»Steck sie in den DVD-Player, und wir schauen nach.« Lindsays Tonfall war ernst geworden.

»Es beunruhigt mich, dass kein Brief dabei ist.« Harte Lektionen hatten Nicole gelehrt, dass Überraschungen nie etwas Gutes bedeuteten. Sie schob die DVD in das Gerät und drückte auf PLAY. Sofort erschien Richards Gesicht auf dem Bildschirm. Das dunkle, nach hinten gegelte Haar und die olivfarbene Haut betonten seine durchdringenden, stechenden Augen und die regelmäßigen, weißen Zähne.

Nicoles Magen krampfte sich augenblicklich zusammen, und Tränen schossen ihr in die Augen. Ihn zu sehen, verursachte ihr Übelkeit. Sie hatte vergessen, wie intensiv und angsteinflößend sein Blick sein konnte. Mit zitternder Hand schaltete sie den Fernseher aus. »Oh Gott.«

Lindsay nahm die DVD aus dem Gerät. »Gott, das tut mir so leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Das musst du nicht sehen. Zerbrich die DVD einfach in tausend Stücke.«

In Nicoles Nacken bildeten sich Schweißperlen. »Wie konnte er mir das schicken? Die DVD wurde einen Monat nach seinem Tod abgesendet.«

Lindsay verzog den Mund. »Bestimmt hat er mit den Anwältinnen irgendeine Vereinbarung getroffen, bevor er nach Richmond kam.«

»Richard war schon immer gut darin, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.« Nicoles Hände zitterten, und Kälte breitete sich in ihrem Körper aus. »Ich verstehe das nicht.«

»Ich schon. Er hat sich überlegt, dass er dir diese Aufnahme schicken lässt, wenn er dich nicht zurückbekommt. Das ist einfach eine andere Art, dich zu terrorisieren.«

Nicole sog die Luft ein. Richards Plan ging auf. Innerhalb von Sekunden hatte ihre Stimmung von aufgeregt und glücklich zu schrecklicher Angst gewechselt. Beth gluckste auf ihrer Decke. Nicole blickte hinunter zu ihrer Tochter und sagte sich, dass sie sich vor nichts fürchten musste. Richard war tot. Sie war frei. »Schalt den Fernseher wieder ein.«

»Nicole, vergiss es einfach. Du musst dir das nicht ansehen. Damit gibst du ihm nur eine Chance, dich aus der Ruhe zu bringen.«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein, Lindsay. Ich muss sein Gesicht sehen, ihm in die Augen schauen und mir sagen, dass ich keine Angst habe.«

Lindsay sah nicht überzeugt aus. »Du musst niemandem etwas beweisen.«

»Ich muss wissen, dass ich das kann.«

»Das ist nicht nötig. Ich weiß, dass du keine Angst hast.«

Nicole nahm die Fernbedienung aus Lindsays schlanken Fingern. Mit zugeschnürter Kehle legte sie die DVD wieder ein und richtete die Fernbedienung auf den Fernseher. Sie drückte wiederum auf PLAY.

Wieder erschien Richards Gesicht. Ihr Magen krampfte sich zusammen, aber ihr Blick blieb fest. Richard würde nicht über ihr Leben bestimmen. Sie würde das letzte Wort haben.

Richards strahlend weiße Zähne erinnerten sie an einen hungrigen Wolf. »Wenn du das hier siehst, Christina …«