Defcon One 1 - Andy Lettau - kostenlos E-Book

Defcon One 1 E-Book

Andy Lettau

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Beschreibung

Ein Anschlag in New York und ein merkwürdiges Erpresserschreiben, welches die letzten lebenden Ex-Präsidenten bedroht - Teil 1 des sechsteiligen Serials Präsident Barack Obama ist tot, durch eine Bombe in Berlin in Stücke gerissen. Kaum ist George T. Gilles als Nachfolger ins Amt eingeführt, überschlagen sich die Ereignisse. Zunächst landet der abgetrennte Kopf eines im Irak entführten Zivilisten im Weißen Haus. Dann bricht nach einem Anschlag in New York Panik aus, und die vier noch lebenden Ex-Präsidenten geraten ins Visier eines unbekannten Gegners. Einem seltsamen Erpresserschreiben, welches die Räumung sämtlicher US-Militärbasen in Übersee zur Forderung hat, möchte die neue Administration in Washington zunächst wenig Beachtung schenken. Erst als Mark Spacy, Operationsleiter der regierungsnahen und ultrageheimen National Underwater & Space Agency, auf einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen und den rätselhaften Toden einiger NASA-Top-Astronauten hinweist, gibt der Präsident sein Einverständnis für ein waghalsiges Geheimkommando. "Defcon One" von Andy Lettau ist ein eBook von Topkrimi – exciting eBooks. Das Zuhause für spannende, aufregende, nervenzerreißende Krimis und Thriller. Mehr eBooks findest du auf Facebook. Werde Teil unserer Community und entdecke jede Woche neue Fälle, Crime und Nervenkitzel zum Top-Preis!

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Andy Lettau / Robert Lady

Defcon One

Angriff auf AmerikaTeil 1

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

MottoPROLOGRÜCKBLENDEERSTES BUCHKAPITEL 1KAPITEL 2KAPITEL 3KAPITEL 4KAPITEL 5KAPITEL 6KAPITEL 7KAPITEL 8KAPITEL 9KAPITEL 10
[home]

Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen,

oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.

John F. Kennedy, 35. Präsident der USA

 

 

Jede Nation in jeder Region muss jetzt eine

Entscheidung treffen. Entweder seid Ihr für uns,

oder Ihr seid für die Terroristen.

George W. Bush, 43. Präsident der USA

 

 

Yes, we can!

Barack Obama, 44. Präsident der USA

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PROLOG

Die Challenger-Katastrophe

RÜCKBLENDE

28. Januar 1986, 11.05 Uhr

Florida, Daytona Beach

Der dunkelhaarige Fahrer des unauffälligen Buick Riviera saß hinter dem Steuer und blickte auf seine Armbanduhr. Die Digitalanzeige seiner Casio signalisierte pulsierend die Zeit: 11:05:23. Es war ein eiskalter und klarer Wintermorgen, und aus dem Radio war die Stimme des lokalen Nachrichtensprechers zu hören, der den Start des Space Shuttles Challenger ankündigte. In dreißig Minuten würde der Countdown ablaufen. Bis dahin blieb noch genügend Zeit, das Motel zu erreichen und die große Sache im Fernsehen live zu verfolgen.

Er hatte einen frühen Flug von Houston nach Jacksonville genommen und war dann mit dem Mietwagen die Gold Coast heruntergefahren. Er ärgerte sich darüber, dass er den Start nicht live vor Ort verfolgen konnte, aber die Entscheidung der NASA war sehr spät getroffen worden. Und obwohl es nur etwas mehr als siebzig Meilen bis Cape Canaveral waren, hätte er es nicht rechtzeitig bis vor Ort geschafft. Er war sich aber sicher, dass bei dem bevorstehenden Ereignis auch von Daytona Beach aus etwas am Himmel zu sehen sein würde.

Er erreichte das vorgebuchte Motel und legte eine Kreditkarte vor, die auf den Namen Steve Miller ausgestellt war. Es war ein preiswertes Motel mit einem muffigen Geruch, aber das störte den Zwanzigjährigen nicht. Sein Zimmer lag im ersten Stock, und eine Treppe führte den Außengang herauf, von wo aus man einen schönen Blick auf den Ozean hatte. Er atmete die kalte und salzhaltige Luft des Atlantischen Ozeans ein und betrat sein Zimmer. Es war schmucklos eingerichtet und roch nach Nikotin. Miller warf seinen kleinen Koffer auf das Bett und schaltete den Fernseher ein. Das altersschwache Gerät gab einen langen Summton von sich und zunächst war nur Schnee auf der Mattscheibe zu sehen. Die Fernbedienung litt unter den fast leeren Batterien, aber schließlich gelangte er zu dem gewünschten Sender.

Die Kaltfront hat den gesamten Südosten der Staaten erreicht, hörte der junge Mann den Meteorologen sagen, als in der Vorberichterstattung zum Shuttle-Start die amerikanische Wetterkarte eingeblendet wurde. Auf Cape Canaveral war die Temperatur auf drei Grad Celsius gesunken, was völlig ungewöhnlich für den Sonnenstaat Florida war. Normalerweise würde die Raumfähre bei einer solchen Außentemperatur nicht starten. Immer wieder waren kleinere und größere technische Defekte aufgetaucht, die kein guten Vorzeichen für die Mission STS-51 L waren. Doch der Zeit- und Kostendruck, der auf den NASA-Managern lastete, war gewaltig. Da auch die nachfolgenden Missionen an enge Startfenster gebunden waren, konnte der Transport und das Aussetzen des riesigen Bahnverfolgungs- und Datenübertragungssatelliten nun nicht weiter aufgeschoben werden. Scheiterte dieser Start, war das gesamte folgende Jahr für die NASA ein organisatorischer Fehlschlag. Nach mehreren Countdown-Unterbrechungen gaben die Verantwortlichen schließlich grünes Licht, die Challenger an diesem kalten aber klaren Januarmorgen in den Himmel zu schießen.

Commander Francis Scobee an Bord der Fähre erhielt vom Bodenkontrollzentrum in Houston das Zeichen Go for Launch, und um 11.38 Uhr erfolgte endlich der Start. Die mächtigen Feststoffraketen zündeten und hoben die Fähre mit dem Lärm von fünfhundert gleichzeitig startenden Jumbo-Jets in die Luft.

Steve Miller starrte gebannt auf den Bildschirm und kniff die Augen zusammen. Deutlich meinte er erkennen zu können, wie eine weißbräunliche Rauchfahne am unteren Ende der Feststoffraketen austrat.

Das müssen die Dichtungsringe im O-Ring sein. Sie sind spröde geworden. Sie verbrennen. Die Kälte hat sie spröde gemacht. Wenn sie verbrennen, erwischt es gleich die Booster. Die Leute bei Morton Thiokol haben Recht gehabt. Das Dichtungsmaterial hält nur bis maximal zwölf Grad Celsius. Mein Gott, welche Narren die NASA doch beschäftigt. Ich gebe ihr noch höchstens anderthalb Minuten!

Während die Challenger ein Rollmanöver durchführte, welches sie in die richtige Lage für den weiteren Aufstieg brachte, zeigte die Fernsehkamera eine Gruppe Angehöriger und Freunde des siebenköpfigen Besatzungsteams.

Schwenk zurück auf das Shuttle. Schwenk zurück auf das Space Shuttle, du Idiot, betete der Mann den Fernseher an. Der Regisseur wird sein Leben lang fluchen, wenn er jetzt nicht mit der Kamera drauf bleibt.

Um die aerodynamische Belastung des Space Shuttles in den dichteren Schichten der Erdatmosphäre in Grenzen zu halten, wurde der Schub der drei Haupttriebwerke vollautomatisch reduziert. Knapp eine Minute später – Houston meldete Go at throttle up – regelten die Bordcomputer den Schub der Haupttriebwerke wieder auf den Normalwert hoch. Nun begannen die letzten zehn Sekunden der Challenger.

Mit zunehmender Geschwindigkeit stieg die Raumfähre empor. Sie hatte nun eine Höhe von fast sechs Meilen erreicht. Die Telemetrie-Daten wurden am unteren Bildschirmrand eingeblendet. Der Kommentator spulte sein selbstgefälliges Repertoire vom beeindruckenden und überlegenen Können amerikanischer Raumfahrttechnologie ab. Die Vereinigten Staaten waren die dominierende Nation auf der Welt. Nur sie waren in der Lage, der gesamten Menschheit den Weg zu den Sternen zu zeigen. Blabla …

Noch fünf Sekunden.

Noch vier Sekunden.

Die Lippen des jungen Mannes hatten sich zu einem dünnen Strich verzogen. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Maske erstarrt. In seinen Augen lag ein tödliches Wissen. Der arrogante Reporter würde gleich Lügen gestraft werden. Das Spiel war aus.

Noch zwei Sekunden.

Noch eine Sekunde.

Urplötzlich spaltete eine gigantische Explosion den Himmel über Florida. Die Challenger wurde buchstäblich in Fetzen gerissen. Ein apokalyptischer Feuerball schoss in die Atmosphäre. Abertausende von Trümmerteilen zogen Rauchfahnen hinter sich her und regneten in den Atlantik nieder. Eine imposante Explosionswolke stand unheilvoll und bewegungslos vor dem kontrastierenden azurblauen Himmel. Die durch den Druck der Detonation abgerissene Kabine schlug erst eine Minute später und rund dreißig Meilen vom Startkomplex 39B entfernt auf die Wasseroberfläche auf.

Es sollte für die Öffentlichkeit immer ein Geheimnis bleiben, ob die Astronauten den Zeitpunkt des Aufpralls noch bewusst miterlebt hatten. Die Version der NASA – und somit die Version der Medien – war die des schmerzlosen Todes, bedingt durch den plötzlichen Druckabfall in der Kabine und die damit verbundene Bewusstlosigkeit der Crew. Die NASA jedenfalls dementierte heftig alle anders lautenden Gerüchte zu diesem Thema.

Steve Miller setzte ein zufriedenes Lächeln auf, als er von seinem Fenster an den Horizont schaute und das bizarre Wolkenbild über dem Cape sah. Auf der Straße standen viele Passanten und schauten fassungslos in die Richtung des Unglücks. Unbeeindruckt ging er in sein Zimmer zurück.

Seit dem Start waren genau dreiundsiebzig Sekunden vergangen. Die Challenger hatte aufgehört zu existieren. Und mit ihr die Astronauten Francis Scobee, Ellison Onizuka, Judith Resnik, Ronald McNair, Gregory Jarvis und Michael Smith, sowie die Nicht-Astronautin Christa McAuliffe, eine siebenunddreißigjährige Lehrerin aus Concord, New Hampshire, die sich als Zivilistin für das Ronald Reagan Programm Lehrer im Weltraum beworben hatte.

Während ein fassungsloser Reporter versuchte, die Katastrophe zu erklären, liefen die Bilder vom Moment der Explosion wieder und wieder über den Schirm. Spätestens jetzt würden sich die Fernsehsender, die dem Start des amerikanischen Shuttles aus Kostengründen keine Aufmerksamkeit mehr gewidmet hatten, selber verfluchen.

Miller zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf das Bett. Völlig entspannt verfolgte er die weiteren Sondersendungen.

Amerika war geschockt.

Eine ganze Nation hatte plötzlich den Glauben verloren. Den Glauben an Fortschritt, an technische und geistige Überlegenheit gegenüber anderen Ländern. Für die USA war das Space Shuttle mehr als nur eine Raumfähre. Es war ein Symbol der Macht und der Stärke, eine beeindruckende Demonstration von ungebremster Expansionsenergie. Und mit einem Mal war alles vorbei. Ein zerplatzter Traum. Vor den Augen der Welt. Live. Unge­schminkt. Die Zeit der Tränen war gekommen.

Das Desaster war das Top-Thema in den Medien, und zwar weltweit. Seit der spektakulären Mission von Apollo 13 und seit Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt hatte, war keine Weltraummission so intensiv diskutiert worden. Alle möglichen Experten meldeten sich zu Wort und jeder hatte etwas zum Thema zu sagen. Plötzlich war allen wieder bewusst, welche Risiken die moderne Raumfahrt mit sich brachte. Das größte Unglück in der Geschichte der bemannten Raumfahrt hatte den Traum vom routinemäßigen Zugang der Menschen in den erdnahen Weltraum zerstört. Nichts war Routine, gar nichts. Die Kritiker des Programms fühlten sich bestätigt, und noch in der Stunde des Unglücks wurden die ersten Theorien über die Explosion geäußert.

Steve Miller hatte sich mittlerweile auf dem Bett ausgestreckt. Auf seinem zarten, olivfarbenen Gesicht lag ein zufriedener und zugleich entschlossener Ausdruck. Er wusste, dass die NASA in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten die Ursache für die Katastrophe zu Tage fördern würde. Er wusste, dass die Nation keinen Dollar scheuen würde, um den Tiefen des Atlantiks die weit verstreuten Wrackteile der Challenger zu entreißen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das Problem der Dichtungsringe erkennen würden. Doch in ihrem unersättlichen Größenwahn, in ihrer grenzenlosen Überheblichkeit und Arroganz, würde diese Nation niemals auch nur einen Augenblick den Gedanken in Erwägung ziehen, dass die wahre Ursache für dieses Armageddon nur zum Teil seinen Ursprung in der Fehlfunktion eines einzelnen Teils hatte. Die amerikanische Öffentlichkeit sollte erst mehr als zwanzig Jahre später erfahren, wer diese Kette unglücklicher Umstände begünstigt hatte.

Der junge Mann sah zum wiederholten Mal das Bild der auseinanderdriftenden Feststoffraketen, die V-förmig mit ihrem Treibstoffvorrat weiterflogen, bis die Bodenstation per Funkbefehl die Sprengung auslöste. Mit den Fingern seiner rechten Hand formte er vor diesem Hintergrund ein V, das Zeichen für Victory, den Sieg. Wir haben zurückgeschlagen!

Als er die Augen schloss, wanderten seine Gedanken in die Heimat. In das Land seiner Ahnen. In das Land stolzer Wüstensöhne und einsamer Beduinen.

In das Land seines Vaters.

Es war eine tröstende, weit zurückliegende Erinnerung.

Er erinnerte sich, wie er als kleiner Junge nach England und dann in die Vereinigten Staaten übergesiedelt wurde und wie ihn Menschen, die er bis dahin noch niemals zuvor gesehen hatte, zu dem gemacht hatten, was er jetzt war. Er war unter falscher Identität und an wechselnden Orten in diesem Land umher gereicht, großgezogen und ausgebildet worden. Er hatte die Kultur dieses Landes kennen gelernt und seine eigene dabei nie vergessen. Er hatte eine Eliteuniversität besucht und bewegte sich wie ein Einsamer unter Fremden. Aber das war sein Schicksal. Und seine Mission. Eine göttliche Mission, die einflussreiche und mächtige Männer außerhalb der USA für ihn vorgesehen hatten. Er hatte zu dem, was noch immer Gegenstand der Bilder im Fernsehen war, seinen bescheidenen Teil beigetragen. Aber seine wahrhaft große Zeit würde noch kommen. Er würde die gefährlichste Geheimorganisation der Welt aufbauen und dieses Land der Gottlosen von innen in die Knie zwingen. Auch wenn bis dahin noch Jahre vergehen sollten, würde er in dieser Zeit nicht verzweifeln. Denn seine Mission würde ihm zum Märtyrer machen und sein Name würde dann für alle Zeit in die Geschichtsbücher eingehen.

Für Männer wie ihn war der Begriff Zeit nicht mehr als eine Worthülse. Für ihn hatte die Zeit aufgehört zu existieren, da er die Zeit unter dem Joch des Imperialismus und der so ­genannten freien Welt als verschenkte Zeit empfand. Erst wenn die gerechte Revolution stattgefunden hatte, würde die Zeit wieder einen Sinn ergeben. Und darauf zu warten, war wie eine süße Verheißung.

Unser Tag wird kommen, so wie es in den heiligen Schriften prophezeit steht. Sie können uns unsere Fregatten nehmen, unsere Panzer, unsere Raketen, unsere Leiber. Aber eines können sie uns nicht nehmen, niemals! Unseren Stolz und unsere Idee!

Vater, ich danke dir, dass du mich auf diese heilige Mission geschickt hast. Ich werde dein Vertrauen in mich nicht enttäuschen. Dieser Tag heute war erst der Anfang. Die Zeit wird kommen, wo unser Triumph die Massen zu Tränen rühren wird. Und diese Tränen werden unser Land überschwemmen. Sie werden Fruchtbarkeit und Leben bringen. Sie werden uns stark machen und unsere Feinde schwach. Ein neues Zeitalter wird anbrechen und ein neues Denken hervorrufen. Das Zeitalter der Jamahiriya, das Zeitalter der Massen. Ganz so, wie du es prophezeit hast. Und die Köpfe der Ausbeuter werden rollen, da unsere Revolution in allen Ländern und auf allen Kontinenten ausgefochten wird. Ich danke dir Vater, dass du mich auserwählt hast.

Ich liebe dich.

Ich liebe dich, Muammar Al Gaddafi.

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ERSTES BUCH

Die Hinweise

KAPITEL 1

26. Januar, 20.06 Uhr

Washington, D. C.

Die schlanke und groß gewachsene Frau im dezenten grauen Kostüm verließ mit raschen Schritten den Ankunftsbereich der unteren Ebene am Dulles International Airport in Washington, D.C., um auf eines der zahlreichen wartenden Taxis zuzusteuern. Mit der rechten Hand überprüfte sie ihre modische blonde Kurzhaarfrisur, den Sitz ihres Schals, sowie den SMS-Eingang ihres Handys, während sie mit der linken Hand einen überdimensionierten Aluminiumkoffer hinter sich her zog. Der Koffer war ein wahres Monstrum und passte nicht so recht zu dem wirklich eleganten Erscheinungsbild der Frau. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte bei genauer Betrachtung des kleinen Kofferlogos registriert, dass es sich um ein Modell für privilegierte Mitarbeiter der NASA handelte.

Mit achtunddreißig Jahren hatte Tracy Gilles nichts an Attraktivität eingebüßt, obwohl ihr von der Sonne Floridas leicht gebräunter Teint und das dezent aufgetragene Make-up nicht ganz die Zeichen von Anspannung und Übermüdung verdecken konnten. Selbst auf dem knapp zweieinhalbstündigen Flug von Orlan­do in die Regierungshauptstadt hatte sie nach mehr als vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf noch auf ihrem Laptop gearbeitet und den Getränkeservice der Stewardessen freundlich dankend abgelehnt. Tracy Gilles war ein Workaholic und Fitnessfreak und verabscheute koffeinhaltige oder hochprozentige Getränke ebenso wie fetthaltiges Essen oder mangelnde Bewegung. Flugreisen in überfüllten Linienmaschinen waren für sie ein Graus; der Grund dafür lag weniger in der Enge oder dem begrenzten Sitzkomfort, sondern vielmehr an dem ihrer Meinung nach überholungsbedürftigen weil zeitintensiven Transportkonzept auf Mittel- und Langstreckenreisen in den bekannten Fluggeräten von Boeing, Lockheed, Airbus & Co. Tracy Gilles arbeitete für die NASA und war in einem ihrer Nebenressorts mitverantwortlich für entsprechende Zukunftskonzepte in der zivilen Luftfahrt, die eine beschleunigte Beförderung und verkürzte Reisezeit in der unteren Stratosphäre zum Forschungsinhalt hatten.

Während Tracy dem nächsten vorfahrenden Taxi per Handzeichen signalisierte zu stoppen, überprüfte sie beiläufig den Sitz ihrer Sonnenbrille und verstaute das Mobiltelefon in der Handtasche. Wie immer auf Reisen hatte sie das ungute Gefühl, etwas vergessen zu haben. Allerdings stellte sich am Ankunftsort stets heraus, dass die Sorge unbegründet war und sich alles Notwendige im Gepäck befand.

Ein dickerer Mantel wäre nicht schlecht gewesen, überlegte sie. Die Ankündigung des Piloten, dass die Wetterverhältnisse in Washington leider nicht so mild waren wie im südlichen Florida, hatte sich bestätigt. Es herrschten leichte Minusgrade, und einige Schneeflocken verirrten sich bis unter den überdachten Ankunftsbereich des Flughafens.

Der Taxifahrer, ein Afroamerikaner Mitte zwanzig, musterte anerkennend und mit verstohlenen Blicken seinen weiblichen Fahrgast, während er den schweren Koffer im Rückraum verstaute.

Im Wageninneren antwortete Tracy auf die Frage des Fahrers nach der Adresse kurz angebunden mit Pennsylvania Avenue 1600, das Weiße Haus. Der Taxifahrer staunte nicht schlecht und quittierte das Ankunftsziel mit einem gehauchten: »Wow!«

Während der knapp halbstündigen Fahrt in das achtundzwanzig Meilen vom Flughafen gelegene Stadtzentrum von Washington glitten Tracys Blicke über die Gemeindegrenzen von Fairfax County und Loudoun County, ohne dass sie Details der Umgebung wirklich wahrnahm. Zu sehr war sie in Gedanken und beschäftigte sich mit beruflichen Dingen, welche die nähere Zukunft betrafen. Die NASA hatte vor einer Woche die Reserveliste für die kommende Space-Shuttle-Mission bekanntge­geben und der Name Tracy Gilles stand dort im Einsatzprofil unter Pilotin. Dies hatte sie mit einem nie da gewesenen Gefühl von Stolz erfüllt, und sie befand sich seitdem in einem inneren Disput mit sich selbst. Sie kannte natürlich alle anderen Besatzungsmitglieder der offiziellen Crew persönlich, jedoch ertappte sie sich immer wieder bei dem Gedanken, Commander Scott Glenmore könnte plötzlich die Masern und sie damit die Chance bekommen, schon auf Mission STS 150 als erste Chefpilotin zur Internationalen Raumstation ISS zu fliegen.

Erst als der Potomac River, das Washington Monument und das Kapitol in Sichtweite kamen, wachte Tracy aus ihren Tagträumen auf und gab eine genaue Anweisung an den Fahrer, welcher Eingang am Weißen Haus angefahren werden sollte. Als sich das Taxi dem Kontrollpunkt näherte, winkte ein distanziert wirkender Secret Service Mitarbeiter mit dem obligatorischen Headset am Ohr den Wagen zur Seite. Der Taxifahrer ließ das getönte Seitenfenster per Knopfdruck herunter gleiten und der im dunklen Anzug mit perfekt sitzender Krawatte auftretende Secret Service Mann beugte sich vor, um einen Blick auf die Rückbank zu werfen. Unwillkürlich umspielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln sein Gesicht, und mit einer eleganten Handbewegung öffnete er die Hintertür des Washington Flyer Taxicabs. »Guten Abend, Miss Gilles, willkommen in Washington! Sie bringen uns hoffentlich zukünftig nicht wieder in Verlegenheit, wenn Sie den Begleitschutz des Secret Service ablehnen. Aber steigen Sie doch bitte erst einmal aus. Ihr Vater erwartet Sie!«

»Danke!«, erwiderte Tracy mit gespielter Verärgerung, während sie ausstieg und ihre klassischen halbhohen Absätze den As­phalt berührten. »Aber Sie wissen ja, ich bin alt genug, um allein auf mich aufzupassen. Dieser junge Mann hat mich sicher zum Ziel gebracht, und das alles ohne Inanspruchnahme öffentlicher Steuergelder.«

Nachdem sich Tracy mit einem angemessenen Trinkgeld vom Taxifahrer verabschiedet hatte, schaute dieser mit offenem Mund seiner Kundin hinterher. In einer Gruppe von Secret Service Mitarbeitern bewegte sich eine Prominente auf die Front des Weißen Hauses zu, die Taxifahrer Toni King hinter deren stark getönter Sonnenbrille nicht erkannt hatte: Tracy Gilles, TV-Moderatorin, Jetpilotin, NASA-Mitarbeiterin … und seit vergangener Woche Tochter des neuen Präsidenten George T. Gilles.

 

Präsident George T. Gilles war im Kampf um das höchste Amt im Staat mit hauchdünner Mehrheit zum Sieger gekürt worden und hatte nach Barack Obamas tragischem Tod in Berlin die Gunst der Stunde genutzt. Die Partei hatte ihm letztendlich bedin­gungslos das Vertrauen ausgesprochen, sein neues Team akzeptiert, und ihm den Rücken in schwierigen Zeiten freigehalten. Sein Team war zunächst skeptisch gewesen, ob die Wirkung seiner Wortwahl die richtige gewesen war, als er auf einem Parteitag in New York argumentiert hatte, er werde den Kampf gegen den Terror weiterführen, aber ohne einen gigantischen Aufwand an Mensch und Material in den entlegensten Winkeln des Planeten, sondern vielmehr mit Diplomatie und Geheimdiensten. Diese Wortwahl war eine direkte Anspielung auf die US-Präsenz im Irak und das damit verbundene Sterben und Scheitern der eigenen Truppen. Die sich erneut zu spalten drohende Öffentlichkeit in Amerika hatte diese Aussage jedoch als Schritt in die richtige Richtung akzeptiert, um endlich einen Schlussstrich unter das Kapitel Irak zu ziehen, dessen Befreiung noch nachvollziehbar, dessen dauerhafte Besetzung aber nicht mehr gewünscht war. Während die Republikaner nach Obamas Tod durch unbekannte Terroristen Morgenluft gewittert hatten und sich erneut der Koalition der Willigen erinnerten, setzten die Demokraten ganz auf Vernunft und den Dialog mit den Feinden Amerikas. Das Eis aber war dünn, auf dem sich die neue Administration bewegte.

Die Vereidigung lag erst eine Woche zurück, und Präsident Gilles hatte noch immer nicht alle Räume des Weißen Hauses gesehen. Das Anwesen an der Pennsylvania Avenue verfügte über 132 Wohn- und Arbeitsräume, fünfunddreißig Badezimmer, acht Treppenhäuser, drei Aufzüge, einen Swimmingpool, einen Tennisplatz, eine Bowlingbahn, einen großen Fitnessraum, eine Großküche und einen Kinosaal.

Und in genau diesem Kinosaal erwartete George T. Gilles seine Tochter, als diese von einem großen, wortkargen Sicherheits­beamten des Secret Service in das abgedunkelte Foyer geführt wurde.

»So also sieht es im Zentrum der Macht aus. Und ich hatte immer gedacht, dass Oral Office wäre die wahre Schaltzentrale des weißen Mannes«, eröffnete Tracy angriffsfreudig das Gespräch, in dem sie auf die ehemalige Affäre des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton mit seiner Mitarbeiterin Monica Lewinsky anspielte.

»Noch immer die alte Tracy: Dickköpfig, stur und mit den schlechtesten Manieren ausgestattet, die man sich vorstellen kann. Wäre deine Mutter nicht viel zu früh an dieser tückischen Krankheit gestorben, sie hätte an deiner Erziehung noch viel Freude gehabt. Leider habe ich in diesem Punkt zugegebenermaßen völlig versagt.«