Dein furchtloses Herz - Tara Brach - E-Book

Dein furchtloses Herz E-Book

Tara Brach

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Beschreibung

Die berühmte buddhistische Meditationslehrerin Tara Brach hat mit RAIN eine bewährte Selbsthilfe-Methode weiterentwickelt, die sie nun in ihrem Ratgeber zu Achtsamkeit und Selbstliebe zum ersten Mal vorstellt. Sie und auch ihre Schüler*innen geben Beispiele, wie ihnen RAIN bei ihren Traumata, Ängsten oder in schmerzlichen Beziehungen geholfen hat. Die vier Schritte von RAIN sind: - registrieren (recognize), - annehmen (accept), - interessiert erforschen (investigate), - nähren (nurture). Mit diesen vier Schritten ist jeder in der Lage, sich in schwierigen Situationen zu sammeln und mit Achtsamkeit vorschnelle Reaktionen zu vermeiden. Gerade der letzte Punkt "nurture" hilft, Selbstmitgefühl für sich selbst und seine heiklen Seiten zu entwickeln und das Positive in sich zu nähren. Viel zu oft bewegen wir uns im sogenannten Autopiloten und agieren automatsich mit festen Gedanken- und Gefühlsmustern auf die Situationen des Lebens. Tara Brach nennt das eine Art "Trance", die wir zu selten durchbrechen. Die besondere Achtsamkeit, die man durch RAIN entwickeln kann, führt demgegenüber zu einer weiteren Perspektive mit mehr Varianten und Möglichkeiten zu reagieren und zu handeln. Sie führt definitiv zu mehr Klarheit, Humor und Mitgefühl, vor allem zu mehr Selbstmitgefühl oder Selbstliebe. Am Ende jedes Kapitels geben Übungen die Möglichkeit, die wertvollen Erkenntnisse von RAIN praktisch und alltagsnah umzusetzen.

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Seitenzahl: 346

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Tara Brach

Dein furchtloses Herz

Mit der RAIN-Methode schwierige Emotionen heilen

Aus dem amerikanischen Englisch von Judith Elze

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die berühmte buddhistische Meditationslehrerin Tara Brach hat mit RAIN eine bewährte Selbsthilfe-Methode weiterentwickelt, die sie nun in ihrem Ratgeber zu Achtsamkeit und Selbstliebe zum ersten Mal vorstellt. Sie und auch ihre Schüler*innen geben Beispiele, wie ihnen RAIN bei ihren Traumata, Ängsten oder in schmerzlichen Beziehungen geholfen hat.

Die vier Schritte von RAIN sind:

• registrieren (recognize),

• annehmen (accept),

• interessiert erforschen (investigate),

• nähren (nurture).

Mit diesen vier Schritten ist jeder in der Lage, sich in schwierigen Situationen zu sammeln und mit Achtsamkeit vorschnelle Reaktionen zu vermeiden. Gerade der letzte Punkt »nurture« hilft, Selbstmitgefühl für sich selbst und seine heiklen Seiten zu entwickeln und das Positive in sich zu nähren.

Viel zu oft bewegen wir uns im sogenannten Autopiloten und agieren automatsich mit festen Gedanken- und Gefühlsmustern auf die Situationen des Lebens. Tara Brach nennt das eine Art »Trance«, die wir zu selten durchbrechen. Die besondere Achtsamkeit, die man durch RAIN entwickeln kann, führt demgegenüber zu einer weiteren Perspektive mit mehr Varianten und Möglichkeiten zu reagieren und zu handeln. Sie führt definitiv zu mehr Klarheit, Humor und Mitgefühl, vor allem zu mehr Selbstmitgefühl oder Selbstliebe.

Am Ende jedes Kapitels geben Übungen die Möglichkeit, die wertvollen Erkenntnisse von RAIN praktisch und alltagsnah umzusetzen.

Inhaltsübersicht

Geführte Reflexionen, Meditationen und kurze ÜbungenVorwortTEIL I1. Kapitel»Nicht genug Zeit«Unser Weg hinaus aus der Trance: Eine UmkehrBin ich in Trance oder in der Präsenz?Die Liebe wirft ihr Licht in den WaldReflexion: Umkehr hin zur PräsenzFragen und Antworten2. KapitelZum Tee mit MaraNein zu sagen ist eine AngewohnheitWenn Mara böse istDas, was Sie üben, wird gestärktErkennen und Zulassen näher betrachtetDie Macht des JaReflexion: Ja sagen – Achtsamkeit erweckenFragen und Antworten3. KapitelDie RAIN-Schritte drei und vierErinnerung an das GoldWer sind wir eigentlich?Die letzten beiden RAIN-Schritte: Erkunden und NährenNach RAIN: Das Gold erblickenMeditation: RAIN Schritt für SchrittMeditation: Das künftige Selbst aufrufenFragen und AntwortenTEIL II4. KapitelAus der Trance des geringen Selbstwertgefühls erwachenWirklich, aber nicht wahrÜberzeugungen mithilfe von RAIN loslassenWer wir jenseits unserer Überzeugungen sindUns selbst verurteilen, andere verurteilenDas »exquisite Risiko« eingehenMeditation: Schmerzhafte Überzeugungen mithilfe von RAIN auflösenFragen und Antworten5. KapitelDer verlorene Sohn: Fortgang und HeimkehrDie verschiedenen Gesichter der Scham umarmenDie Liebe einlassenSich nach der Liebe und Zugehörigkeit streckenDen eigenen Zugang zum Sich-Nähren zur Gewohnheit machenDie Gottheit der Erde anrufenMeditation: Die Liebe einlassenFragen und Antworten6. KapitelLeid aufgrund von Widerstand gegen die AngstMit RAIN auf die Angst zugehenWenn sich die Angst nach »zu viel« anfühltNähren, wenn die Angst groß istZustände in Persönlichkeitsmerkmale verwandelnRAIN bei überwältigender Angst übenUnser furchtloses HerzMeditation: Die Samen der Sicherheit nähren1. Körper und Atem2. Weise, liebevolle Botschaften3. Eine Person, einen Ort, eine Aktivität oder Erinnerung geistig heraufbeschwörenMeditation: Die Zügel aus der Hand gebenFragen und Antworten7. KapitelFern vom eigenen SternRAIN bei der Angst, etwas zu verpassenSüchtig nach LiebeIst Bindung etwas Schlechtes?Essen als Ersatz für die LiebeDein Stern ruft dichMeditation: Verlangen zurückverfolgenMeditation: Welches ist meine tiefste Sehnsucht?Fragen und AntwortenTEIL III8. KapitelReflexion: Am LebensendeGesunde Wut versus SchuldzuweisungstranceDer unechte andereReflexion: Unechter anderer und unechtes SelbstEine Definition von VergebungReflexion: Warum halten wir so sehr an Schuldzuweisungen fest?Missverständnisse beim Thema VergebungDie drei Stadien der VergebungReflexion: Die Absicht zu vergebenDas Geschenk der VergebungPraxisübung: RAIN der VergebungTEIL I: RAIN für die Wunden hinter den SchuldzuweisungenTEIL II: RAIN der Vergebung gegenüber einer anderen PersonFragen und Antworten9. KapitelWas ist grundlegendes Gutsein?Das Sich-Spiegeln im anderen sagt uns, wer wir sindKönnen wir es mit der positiven Spiegelung übertreiben?Was passiert, wenn wir jemandem seine Schwächen oder seine Verletzlichkeit spiegeln?Unser eigenes Gutsein sehen: Uns selbst mithilfe von RAIN nährenFür andere zu einem Spiegel des Gutseins werdenDas Gutsein sehen lernen: Drei SchlüsselfragenReflexion: Aufwärmübung, um »es laut auszusprechen«Vorurteile überwinden: Das Gutsein in allen Wesen sehenMeditation: Die verborgene Schönheit sehenFragen und Antworten10. KapitelDie evolutionsbedingten Wurzeln der unechten anderenEin anderes Wesen verstehen: Erkennen und ZulassenReflexion: Einander in die Augen schauenUnsere Aufmerksamkeit für den anderen vertiefen: Erkunden und NährenRAIN in Aktion: Der ethnischen Kluft ins Auge sehenReflexion: Ist diese Person Wirklichkeit für mich?Kann man zu viel Mitgefühl haben?Mithilfe von RAIN Mitgefühl kultivierenDieser Vogel hat meine Flügel … ganz in echtMeditation: RAIN des Mitgefühls – Wie ist es, du zu sein?Übung: Mitgefühl auf der StraßeFragen und Antworten11. KapitelInnehalten, um präsent zu seinJa sagen zu dem, was da istSich der Liebe zuwendenIm Gewahrsein ruhenKurze Übung: Im Gewahrsein ruhenAuf das Gold vertrauenAnhang 1Anhang 2Dank
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Für Mia und alle unsere Kindeskinder –

mögen eure klaren, reinen Herzen unserer Welt Heilung bringen

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Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

aber versuchen will ich ihn.

Rainer Maria Rilke

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Geführte Reflexionen, Meditationen und kurze Übungen

Umkehr hin zur Präsenz

Ja sagen – Achtsamkeit erwecken

RAIN Schritt für Schritt

Das künftige Selbst aufrufen

Schmerzhafte Überzeugungen mithilfe von RAIN auflösen

Die Liebe einlassen

Einen positiven Zustand verankern

Die Samen der Sicherheit nähren

Die Zügel aus der Hand geben

Der »Wenn doch nur«-Geist

Verlangen zurückverfolgen

Welches ist meine tiefste Sehnsucht?

Am Lebensende

Allzeit schuldzuweisungsbereit

Unechter anderer und unechtes Selbst

Warum halten wir so sehr an Schuldzuweisungen fest?

Die Absicht zu vergeben

RAIN der Vergebung

TEIL I: RAIN für die Wunden hinter den Schuldzuweisungen

TEIL II: RAIN der Vergebung gegenüber einer anderen Person

In schwierigen Zeiten das eigene Gutsein aufrufen

Wohltäter, die Sie genährt haben

Aufwärmübung, um »es laut auszusprechen«

Die verborgene Schönheit sehen

Sich unbewusste Vorurteile ins Bewusstsein rufen

Einander in die Augen schauen

Ist diese Person Wirklichkeit für mich?

RAIN des Mitgefühls – Wie ist es, du zu sein?

Mitgefühl auf der Straße

Innehalten, um präsent zu sein

Ja sagen zu dem, was da ist

Sich der Liebe zuwenden

Im Gewahrsein ruhen

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Vorwort

Heilung durch Selbstliebe

VOR VIELEN JAHREN las ich einen sehr bewegenden Artikel von einem Hospizbegleiter, der Tausende von Menschen in ihren letzten Lebenswochen begleitet hatte. Ein Satz ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Nachdem er den Sterbenden zahllose Stunden zugehört hatte, fasste er deren größtes Bedauern mit den Worten zusammen: »Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein Leben in Übereinstimmung mit mir zu leben.«

 

Ich begann, mir Fragen zu stellen wie: »Wie lebst du in Übereinstimmung mit dir? Wie fühlst du dich, wenn dein Leben mit dem übereinstimmt, was dir im Innersten wichtig ist? Lebst du heute in Übereinstimmung mit dir? Jetzt gerade? Einige Monate später begann ich, diese Fragen auch meinen Meditationsschülern zu stellen.

Was ich herausfand, war, dass dieses Bedauern der Sterbenden auch für die meisten anderen Menschen gilt. Für meine Schüler bedeutet in Übereinstimmung mit sich zu leben, liebevoll, präsent und authentisch zu sein. Sie reden von Ehrlichkeit, vom Dienst an anderen und an der Welt. Davon, der Kreativität Ausdruck zu verleihen, an den eigenen Wert zu glauben, an dem zu arbeiten, was sie lieben. Und die Stärke zu haben, über die eigenen Unsicherheiten hinauszuwachsen und gestörte Beziehungen in Ordnung zu bringen.

Außerdem sagen sie, dass sie diese Bestrebungen und Absichten fast täglich aus dem Blick verlieren. Stattdessen geraten sie in die Fänge von Reaktivität – Selbstkritik, Schuldzuweisungen, Kleinlichkeit, Egoismus, Automatismen. Ein Schüler drückte es so aus: »Jeden Tag erlebe ich die große Schere zwischen dem, was möglich ist, und dem, wie ich mein Leben tatsächlich lebe. Und dahinter lauert ständig das Gefühl des persönlichen Scheiterns.«

Dieses Gefühl des Scheiterns kenne ich nur allzu gut. Viele Jahre hat mich die »Trance des geringen Selbstwertgefühls« als Freundin und Tochter, Partnerin und Mutter in einem Gefühl der Unzulänglichkeit gefangen gehalten. Dieses Gefühl schürte die Zweifel an meinen Fähigkeiten als Therapeutin und Lehrerin. Und es führte, als ich es dann mit einer schweren körperlichen Erkrankung zu tun bekam, zu anfänglichen Selbstvorwürfen: »Was habe ich falsch gemacht, dass ich so krank geworden bin?«

 

Dabei ist gerade dieses Leid – das Leid daran, dass ich mich unzulänglich und abgetrennt fühlte – für mich der fruchtbarste Boden für das Erwachen gewesen. Es hat mich auf einen spirituellen Pfad und zu Übungen hin geführt, die ich liebe. Und wenn ich in schmerzhaften Gefühlen stecken bleibe, bringt mich das zu einer immer wiederkehrenden Erkenntnis, einer Einsicht, die mein Leben zutiefst verändert hat: Ich muss mich selbst lieben, damit ich heilen kann. Der einzige Weg, der mich zu mir heimführen kann, ist der Weg des Selbstmitgefühls.

Es ist egal, ob ich in Wut, Selbstzweifeln oder Einsamkeit feststecke oder Angst davor habe, bei etwas Wichtigem zu scheitern. Ebenso egal ist es, ob ich mich womöglich noch einmal mit Bewegungseinschränkungen und Krankheit auseinandersetzen muss. Eine heilende Medizin besteht immer zu einem Teil aus Fürsorge, Mitgefühl und Vergebung. Auf irgendeiner Ebene sage ich mir: »Bitte sei gut zu dir.« Diese Hinwendung zu liebevoller Präsenz ist das Tor zu einem Leben in Übereinstimmung mit uns selbst.

»Radikales Mitgefühl«[1] bedeutet, dass wir die Verletzlichkeit dieses Lebens – und zwar allen Lebens – in unser Herz hineinnehmen, dass wir den Mut haben, uns selbst, einander und unsere Welt zu lieben. Radikales Mitgefühl wurzelt in achtsamer, verkörperter Präsenz und drückt sich aktiv durch eine Fürsorglichkeit gegenüber allen Lebewesen aus.

 

Von der Achtsamkeit und dem Mitgefühl als zwei Dimensionen, die nicht vom Erwachen zu trennen sind, gibt es ein Bild, das das Gewahrsein als einen Vogel mit zwei Schwingen darstellt. Sind beide Schwingen entfaltet und in ihrer ganzen Schönheit zu sehen, kann der Vogel fliegen und frei sein.

Das vorliegende Buch habe ich geschrieben, um eine Praxis des radikalen Mitgefühls mit Ihnen zu teilen, die die Schwingen der Achtsamkeit und des Mitgefühls zum Leben erweckt, wenn wir sie am meisten brauchen. Sie hilft, schmerzhafte Überzeugungen und Gefühle, die uns daran hindern, in Übereinstimmung mit uns zu leben, zu heilen und loszulassen. Diese Praxis nennt sich RAIN. Der Name ist im Englischen ein Akronym, das für vier Schritte steht: Recognize (Erkennen), Allow (Zulassen), Investigate (Erkunden) und Nurture (Nähren)[2]. Die Arbeit mit diesen vier Schritten hat mir einen zuverlässigen Weg hin zu Heilung und Freiheit eröffnet, der sich auch inmitten von emotionalem Schmerz gehen lässt.

Wie Sie sehen werden, sind diese Schritte leicht zu lernen und können auch Ihnen in Augenblicken, in denen Sie sich gestresst, ängstlich, reaktiv und verwirrt fühlen, als Rettungsanker dienen. Eben diese Schritte stärken, wenn man sie wieder und wieder vollzieht, die Belastbarkeit und das Vertrauen in das eigene weise, erwachende Herz. Sie werden Ihnen helfen, Ihr Leben so zu leben, dass sich die Wahrheit und Tiefe und der Geist dessen ausdrückt, wer Sie sind. Ein Leben aus dem eigenen vollen Potenzial heraus – das ist das Geschenk von RAIN.

 

Ich habe das Akronym RAIN nicht als Erste verwendet. Wie manche Leser vielleicht wissen, wurde es von der hochrangigen buddhistischen Lehrerin Michele McDonald in den Achtzigerjahren ursprünglich als Meditationsanleitung eingeführt und ist seitdem von Achtsamkeitslehrern auf unterschiedliche Weise angewendet und angepasst worden. In den letzten fünfzehn Jahren habe ich meinen eigenen Zugang zu RAIN entwickelt und einen Schritt (N – Nurture/Nähren) hinzugefügt, der direkt das Selbstmitgefühl anspricht. Mit diesem wesentlichen Schwerpunkt pflegt RAIN die gleichzeitige Kraft von Achtsamkeit und Verbundenheit des Herzens – die beiden Schwingen des Gewahrseins. Diese Version habe ich inzwischen mit Hunderttausenden Menschen geteilt. Die Resonanz war überwältigend. Menschen aus aller Welt haben seitdem berichtet, wie sie mithilfe von RAIN direkt im Gewirr ihres täglichen Lebens eine achtsame, fürsorgliche Präsenz einbringen und ihren Zugang zu Intimität stärken können, weil die Praxis sie von ihrem Suchtverhalten befreit, sie in ihrer Arbeit für die Welt stärkt und in Krisenzeiten unterstützt. Sie erzählen, dass sie endlich im Mitgefühl für sich selbst gehalten sind und eben dieses Mitgefühl auch anderen entgegenbringen können. Und sie sprechen von dem Geschenk innerer Freiheit, von der Erkenntnis darüber, wer sie sind, jenseits aller Geschichten über sich selbst.

 

Mit diesem Buch möchte ich Sie darin unterstützen, Ihre Fähigkeit zu radikalem Mitgefühl zu entwickeln. Sie werden mithilfe von Geschichten, Unterweisungen, geführten Meditationen und vielen Gelegenheiten zur Selbstreflexion lernen, mit RAIN zu arbeiten. Zudem werde ich anhand neuer Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften verdeutlichen, warum der Einfluss von RAIN so tief und anhaltend ist. Sie werden des Weiteren meine Antworten auf Fragen meiner Schüler lesen können und etwas über die vielen kreativen Wege erfahren, die sie gefunden haben, um sich die RAIN-Praxis zur Gewohnheit zu machen. Hier eine kurze Vorausschau auf unsere gemeinsame Reise.

Teil 1 ist eine Übersicht über jeden einzelnen RAIN-Schritt. Ich stelle Ihnen Beispiele vor, die Ihnen gleich zu Beginn bei der Arbeit mit den einzelnen Schritten helfen können. Schon ein paar Minuten mit RAIN können den Zustand des inneren Getrenntseins unterbrechen, den ich als »Leben in Trance« bezeichne, und uns erlauben, mit uns selbst und anderen gegenwärtiger zu sein. Mit der Anwendung von RAIN können wir zudem mehr und mehr die verschiedenen Arten durchbrechen, auf die wir Nein zum Leben sagen, und einen ersten Blick auf das wahre Potenzial unserer Wesensnatur werfen.

Teil 2 leitet Sie dabei an, wie Sie RAIN in Ihr Leben integrieren können. Anhand von konkreten Gegebenheiten, an denen meine Schüler und ich gemeinsam gearbeitet haben, beschreibe ich hier, wie Sie die vier Schritte in vielen verschiedenen, herausfordernden Umständen verfeinern und verwenden können, angefangen von Scham und hinderlichen Ängsten bis hin zur Entdeckung Ihrer tiefsten Sehnsucht. Ich biete hier zudem spezielle Techniken an, mit denen Sie Ihre inneren Kräfte aktivieren und kultivieren können.

In Teil 3 führt Sie die Reise ins Feld der Beziehungen. Die Kapitel dieses Teils beinhalten Übungen, mit denen Sie Ihre Fähigkeit zu vergeben wecken können. Sie helfen Ihnen, hinter die Maske der »unechten anderen« zu schauen und Konflikte, verborgene Vorurteile und Meinungsverschiedenheiten weise zu handhaben. Mit der Zeit wird Ihre sich vertiefende Achtsamkeit und liebevolle Güte alle Menschen mit einschließen, an die Sie denken und mit denen Sie näher zu tun haben. Sie werden den Segen von radikalem Mitgefühl und rückhaltloser Liebe entdecken.

 

Ich hatte das Glück mitzuerleben, wie sich zahllose Menschen mit dem radikalen Mitgefühl, das durch RAIN genährt wird, heilen konnten. Was mich immer wieder überrascht, ist, wie sehr der RAIN-Prozess das Vertrauen in unser Gutsein fördert und uns infolgedessen hilft, zu erkennen und darein zu vertrauen, dass alle Wesenheiten von ein und demselben Licht durchdrungen sind. Es stärkt meinen Glauben an unser Potenzial, wenn ich sehe, wie viele meiner Schüler und Schülerinnen, Freunde und Freundinnen und Familienmitglieder dieses warmherzige und offene Gewahrsein entdecken.

Und es bereitet mir Hoffnung für unsere Welt. Aus evolutionärer Sicht entspricht die Entwicklung des Gehirns der menschlichen Gattung einer wachsenden Fähigkeit zu Selbstgewahrsein, rationalem Denken, Empathie, Mitgefühl und Achtsamkeit. Verbunden mit unseren kognitiven Fähigkeiten machen uns gerade unsere sehr menschlichen Ängste und unsere Gier fraglos zur größten Gefahr der Erde für uns selbst und alle anderen Lebewesen. Doch sind wir noch nicht am Ende unserer Evolutionsgeschichte angelangt. Wir verfügen über die nötigen Werkzeuge, mit denen wir Achtsamkeit und Mitgefühl in uns selbst wecken können. Mit ihrer Hilfe können wir lernen, weise und liebevoll mit anderen umzugehen.

Unsere Hingabe an das Erwachen unseres Herzens ist wesentlicher Bestandteil der Heilung unserer kostbaren Welt. Der weltweite Ausdruck des Leidens – die Gewalt, die Unterdrückung nicht dominanter Bevölkerungen, der untragbare, süchtig machende Konsum, der unsere Erde bedroht –, all das entsteht aus Angst und wurzelt in Gefühlen des Abgetrenntseins und Andersseins. Radikales Mitgefühl drückt die Wahrheit unserer gegenseitigen Abhängigkeit und unserer gegenseitigen Zugehörigkeit aus. Mit sich selbst in Übereinstimmung zu leben wird vollständig zu einem Leben in Übereinstimmung mit unserem kollektiven Weg zu Heilung und Freiheit, zu einer gemeinsamen Sehnsucht nach einer friedlichen, liebevollen Welt.

Bitte denken Sie daran und vertrauen Sie darauf, dass wir diese Reise ins Erwachen gemeinsam gehen. Mögen Sie wahres Glück und Freiheit finden auf diesem Weg.

 

Mit liebenden Segenswünschen

Tara

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TEIL I

Wie Aufmerksamkeit heilt

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1

RAIN bringt Licht und Klärung

Versuche nicht, die ganze Welt zu retten oder etwas Großartiges zu tun. Schaffe lieber Licht im dichten dunklen Wald deines Lebens.

Martha Postlewaite

WIR ALLE VERIRREN uns immer wieder im dichten Wald unseres Lebens, in unaufhörlicher Sorge und Planung, in unseren Urteilen über andere und in unserem ständigen Versuch, Anforderungen gerecht zu werden und Probleme zu lösen. Wenn wir in diesem Dickicht feststecken, können wir leicht aus dem Blick verlieren, worum es eigentlich geht. Wir vergessen, wie sehr wir uns danach sehnen, liebevoll, warmherzig und offen zu sein. Wir vergessen, was uns an diese heilige Erde und an alle Lebewesen bindet. Und in einem ganz tiefen Sinne vergessen wir, wer wir sind.

Dieses Vergessen ist Teil eines Trancezustandes – eines teilweise unbewussten Zustandes, in dem wir, wie in einem Traum, komplett von der Wirklichkeit getrennt sind. Sind wir in Trance, ist unser Geist verengt, fixiert und gewöhnlich in Gedanken versunken. Unser Herz ist dann oft abwehrend, angsterfüllt oder betäubt. Erkennt man erst einmal die Anzeichen der Trance, beginnt man sie überall zu sehen, bei sich und bei anderen. Sie sind in Trance, wenn Sie auf Autopilot leben, wenn Sie das Gefühl haben, von den Menschen, die Sie umgeben, wie durch eine Wand getrennt zu sein, wenn Sie sich ängstlich, wütend, schikaniert oder unzulänglich fühlen und in diesen Gefühlen gefangen sind.

Glücklicherweise haben wir die Fähigkeit, uns daraus zu befreien.

Haben wir uns im Wald verirrt, können wir erst einmal einfach innehalten, uns von unseren tosenden Gedanken abwenden und uns unserer Erfahrung von Augenblick zu Augenblick gewahr werden. Dieses wache, unmittelbare Gewahrsein nenne ich »Präsenz«. Es wird auch als Bewusstsein, Geist, Buddha-Natur, wahre Natur, erwachter Herz-Verstand und vieles andere bezeichnet. Sind wir wieder voll und ganz präsent in der Gegenwart, können wir uns ohne jeden Widerstand für das öffnen, was in uns vor sich geht – für den sich ständig wandelnden Fluss an Empfindungen, Gefühlen und Gedanken. Das macht es uns möglich, unsere Lebensmomente klar und mitfühlend zu leben. Diese Verlagerung vom Verlorensein in unbewusster mentaler und emotionaler Reaktivität zum vollen Erleben der Präsenz ist ein Erwachen von der Trance.

Die vier RAIN-Schritte – Erkennen, Zulassen, Erkunden, Nähren – werden auf unserer gemeinsamen Reise das Werkzeug sein, mithilfe dessen wir in der Gegenwart ankommen können. Einfach gesagt: Mit dem RAIN-Prozess erwecken wir Achtsamkeit und Mitgefühl, wenden sie dort an, wo wir feststecken, und klären emotionales Leid. Die Grundlagen sind leicht zu lernen, die Schritte sofort anwendbar. RAIN bringt Licht in den dichten Wald, und in diesem Licht können Sie an Herz und Geist voll und ganz genesen.

In diesem Kapitel biete ich Ihnen einen kurzen Durchgang durch jeden RAIN-Schritt und – sozusagen zum Aufwärmen – eine einfache Übungsform an, die Sie in Alltagssituationen anwenden können. Doch zunächst hier die Geschichte von einem Nachmittag, an dem ich RAIN brauchte.

»Nicht genug Zeit«

Der Grundton in meinem dichten Wald ist das Mantra: Ich habe nicht genug Zeit. Ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin; es gibt viele Menschen, die sich den ganzen Tag abhetzen und hektisch die Punkte auf ihrer Liste abarbeiten. Oft geht das Hand in Hand mit einem Gefühl von Überlastung, Gereiztheit angesichts von Unterbrechungen und Sorgen darüber, was gleich um die Ecke auf uns wartet.

Meine Unruhe eskaliert, wenn ich mich auf einen bevorstehenden Vortrag vorbereite. Ich erinnere mich an einen Nachmittag vor einigen Jahren, an dem ich im Last-Minute-Modus war. Ich suchte in meinen sehr unorganisiert gespeicherten Dateien wie verrückt nach Material für einen Vortrag, den ich am selben Abend über liebende Güte halten würde. Ganz ähnlich wie die Dateien war ich durcheinander und unklar im Kopf. Irgendwann erschien meine dreiundachtzigjährige Mutter, die inzwischen bei mir und meinem Mann Jonathan lebte, in meinem Büro. Sie fing an, mir etwas über einen Artikel aus dem The New Yorker zu erzählen, der ihr gefiel. Da sie mich jedoch (wahrscheinlich stirnrunzelnd) am Bildschirm kleben sah, legte sie mir die Zeitschrift still auf den Schreibtisch und ging wieder. Als ich ihr nachsah, blieb irgendetwas in mir stehen. Sie kam häufig auf einen ungezwungenen kleinen Plausch vorbei, und jetzt überwältigte mich die Erkenntnis, dass es diese geselligen Momente nicht immer geben würde. Und die nächste Erkenntnis folgte auf dem Fuße: Da ignorierte ich meine Mutter, weil ich so damit beschäftigt war, einen Vortrag über die Liebe zusammenzustellen!

Ich war nicht zum ersten Mal erschüttert darüber, vergessen zu haben, worum es eigentlich geht. In diesem ersten Jahr, in dem meine Mutter bei uns lebte, fühlte ich mich durch die zusätzliche zeitliche Belastung wiederholt unter Druck gesetzt. Wenn wir zusammen aßen, suchte ich oft nach einer Lücke im Gespräch, um mich zu entschuldigen und mich wieder an die Arbeit machen zu können. Oder wir gingen zusammen einkaufen oder zu einem ihrer Arzttermine, und statt ihre Gesellschaft zu genießen, wollte ich alles so schnell wie möglich erledigt bekommen. Unsere gemeinsame Zeit fühlte sich oft wie eine Pflicht an: Sie war einsam, und ich war ihre wichtigste Ansprechpartnerin. Obwohl sie mich gar nicht moralisch unter Druck setzte – sie war dankbar für jedes Zeitfenster, das ich ihr anbot –, fühlte ich mich trotzdem schuldig. Und wenn ich dann einen Gang herunterschaltete, verspürte ich eine tiefe Traurigkeit.

In diesem Augenblick in meinem Büro beschloss ich, mir eine kleine Auszeit zu nehmen und RAIN heranzuziehen, um mir meine Angst anzuschauen, nicht vorbereitet genug zu sein. Ich stand vom Schreibtisch auf, setzte mich auf einen bequemen Stuhl und ließ mir einen Moment Zeit, um mich zu sammeln.

Im ersten Schritt (Erkennen) ging es einfach darum zu erkennen, was gerade in mir vorging – um das Kreisen der ängstlichen Gedanken und Schuldgefühle.

Im zweiten Schritt (Zulassen)ließ ich zu, was gerade passierte, indem ich einfach nur atmete. Auch wenn mir nicht gefiel, was ich fühlte, bestand meine Absicht vor allem darin, nichts in Ordnung bringen oder ändern zu wollen und – ebenso wichtig – mich nicht dafür zu verurteilen, dass ich mich ängstlich oder schuldig fühlte.

Dieses Zulassen ermöglichte mir, meine Aufmerksamkeit vor dem dritten Schritt (Erkunden) zu schärfen und zu vertiefen: der Erkundung dessen, was sich am schwierigsten anfühlte. Jetzt lenkte ich meine Aufmerksamkeit interessiert auf die Angstgefühle in meinem Körper – auf das allgemeine Gefühl der Enge, das Ziehen und den Druck ums Herz. Als ich den ängstlichen Teil in mir fragte, was er glaube, war mir seine Antwort zutiefst vertraut: Er glaubte, ich würde scheitern. Wenn ich nicht jede Unterweisung und Geschichte im Vorhinein ausgearbeitet hätte, würde ich schlechte Arbeit leisten und die Leute enttäuschen. Genau diese Angst machte mich jedoch für meine Mutter unerreichbar – ich enttäuschte damit also auch jemanden, den ich sehr liebte. Ich nahm den Sog, den Schuld und Angst auf mich ausübten, zunehmend wahr. Nun sprach ich diesen zerrissenen, ängstlichen Teil von mir direkt an und fragte ihn: »Was brauchst du jetzt gerade am allermeisten?« Sofort spürte ich, dass er Fürsorge und die Versicherung brauchte, dass ich in der Realität auf keinen Fall scheitern würde. Er musste darauf vertrauen können, dass die Unterweisungen durch mich hindurchfließen würden, und zugleich auf die Liebe zwischen meiner Mutter und mir vertrauen.

Nun war ich beim vierten RAIN-Schritt angelangt, dem Nähren. Ich richtete direkt an diesen ängstlichen Teil von mir die sanfte Botschaft: »Es ist in Ordnung, Süße. Alles wird gut. Wir haben das schon so oft durchgestanden … und es immer irgendwie geschafft.« Ich spürte, wie eine tröstliche, warme Energie meinen Körper durchströmte. Dann nahm ich eine deutliche Veränderung wahr: Mein Herz wurde weicher, die Schultern entspannten sich, und mein Geist fühlte sich klarer und offener an.

Ich blieb noch ein, zwei Minuten in dieser Klarheit und Offenheit sitzen, statt mich gleich wieder in die Arbeit zu stürzen.

Meine RAIN-Pause hatte nur wenige Minuten in Anspruch genommen, aber eine große Veränderung bewirkt. Wieder an meinem Schreibtisch, war ich nicht mehr in dieser Geschichte gefangen, dass irgendetwas Schlimmes gleich um die Ecke lauert. Nun nicht mehr angstbeherrscht, begannen meine Gedanken und Notizen wie von selbst zu fließen, und mir fiel eine Geschichte ein, die perfekt für den Vortrag passte. Durch die RAIN-Pause hatte ich mich wieder mit der Klarheit, Warmherzigkeit und Offenheit verbinden können, über die ich an diesem Abend zu sprechen hoffte. Und später am Nachmittag machten meine Mutter und ich Arm in Arm einen schönen kleinen Spaziergang im Wald.

Seitdem habe ich, wenn mich die Angst überkommt, unzählige Male eine Kurzversion von RAIN gemacht. Meine Angst ist zwar nicht verschwunden, aber etwas ganz Wesentliches hat sich verändert. Die Angst übernimmt nicht mehr die Kontrolle. Ich verliere mich nicht mehr im dichten Wald der Trance. Stattdessen erlebe ich, wenn ich innehalte und meine Aufmerksamkeit von meiner Geschichte darüber, dass ich alles erledigt bekommen muss, zu meinem jetzigen Erleben in Körper und Herz verlagere, ein spontanes Umschalten in eine verstärkte Präsenz und Freundlichkeit. Oft arbeite ich dann weiter, doch manchmal entscheide ich mich auch, einen Gang herunterzuschalten. Dann gehe ich nach draußen und spiele mit meinem Hund, mache mir einen Tee oder gieße die Blumen. Ich habe mehr Entscheidungsfreiheit.

Unser Weg hinaus aus der Trance: Eine Umkehr

Wenn ich in Trance durch den Tag hetze, kreise ich meist in Gedanken, abgetrennt von Körper und Herz. Der RAIN-Prozess stellt der Aufmerksamkeit mittels einer, wie ich es nenne, »Umkehr« einen Weg aus der Trance bereit.

Wir kehren um, wann immer wir unsere Aufmerksamkeit von einer Fixierung auf Äußeres – eine andere Person, unsere Gedanken oder unsere emotional gesteuerten Geschichten über das, was vor sich geht – auf die echte, gelebte Körpererfahrung verlagern. Das ist so, wie wenn wir uns im Kino einen Horrorfilm anschauen. Die Geschichte auf der Leinwand packt uns so lange total, bis uns plötzlich bewusst wird: Okay, das ist ja nur ein Film, den ich gerade mit Hunderten anderen Leuten anschaue. Ich spüre den Sessel unter mir und fühle, wie ich atme. Und schon sind wir wieder zurück, uns unserer eigenen Gegenwart bewusst, geerdet im realen Leben.

Nur wenn wir unsere Aufmerksamkeit gezielt auf unsere innere Erfahrung richten, können wir uns von der Trance in Richtung Heilung bewegen. Wir müssen uns der kreisenden Angstgedanken bewusst werden, der ständig angespannten Schultern, des von der Eile herrührenden Drucks. Dann können wir anfangen, uns von unseren Geschichten – darüber, dass irgendwer unrecht hat, über unsere eigenen Mängel, über einen irgendwo lauernden Ärger – abzuwenden, um unsere Ängste, Verletzungen und Verletzlichkeit und schließlich auch die zarte Wachheit unseres Herzens direkt zu spüren. Dieser überaus wichtige Wechsel geschieht dank der RAIN-Schritte Stück für Stück. Das Wichtigste allerdings ist: Wir müssen erst einmal merken, dass wir in Trance sind!

Bin ich in Trance oder in der Präsenz?

Im Gewahrseinsunterricht nutze ich gern ein Bild von Joseph Campbell, und zwar einen Kreis mit einer ihn durchschneidenden Linie.

Oberhalb der Linie befindet sich all das, dessen wir uns bewusst sind, darunter all das, was jenseits unseres bewussten Gewahrseins liegt – eine Welt voll versteckter Ängste, voll von Abwehr, Konditionierungen und Glaubenssätzen. Solange wir unterhalb der Linie leben, sind wir in Trance.

Der Trancezustand ist wie das Leben in einem Traum. Uns ist nicht bewusst, dass es da noch eine größere, lebendige Wirklichkeit gibt. Und das Erwachen aus der Trance ist wie das Aufwachen aus einem Traum. Wir werden uns unserer selbst gewahr und erfahren unser Innenleben, die Welt, der wir zugehören, und den Bewusstseinsraum selbst nun ganz direkt. Das Leben oberhalb der Linie ist ein Leben in der Präsenz.

Ein Leben in der Präsenz hat drei Haupteigenschaften: Wachheit, Offenheit und Zärtlichkeit oder Liebe. Viele spirituelle Traditionen beschreiben dieses Gegenwärtigsein als offenen, sonnenerhellten Himmel. Wie der Himmel ist auch die allumfassende Präsenz leuchtend und grenzenlos, und sie liefert Wärme und Nahrung fürs Leben. Sie wird von allen möglichen Wetterlagen heimgesucht – Glück, Leid, Angst, Erregung, Trauer –, doch wie der Himmel kann sie sie alle halten.

Jeder von uns ist schon mit Präsenz in Berührung gekommen. Direkt bevor wir einschlafen, wenn wir ruhig und entspannt sind und dem Regen auf dem Dach lauschen, ruhen wir in der Präsenz. Sie ist der Hintergrund, wenn wir staunend in einen Sternenhimmel hinaufschauen. Ist jemand unerwartet gütig zu uns, öffnen wir uns in Dankbarkeit der Präsenz. Wir werden wohl nie die Präsenz vergessen, die wir im Beisein einer Geburt oder eines Todes erleben. Vergangenheit und Zukunft treten zurück, die Gedanken kommen zur Ruhe, und wir sind uns bewusst, dass wir genau jetzt genau hier sind.

Im Gegensatz dazu umschließt uns die Trance in einer virtuellen Wirklichkeit der Gedanken und emotional geladenen Geschichten. Wir versuchen, Probleme zu lösen, Wünsche zu befriedigen, Unannehmlichkeiten loszuwerden oder uns einen Weg in eine Zukunft zu bahnen, in der alles besser sein soll. Wir sind von unbewussten Überzeugungen und Gefühlen und von Erinnerungen abhängig, die unsere Entscheidungen und Reaktionen auf das Leben beeinflussen. Und nicht nur das. Unsere unbewussten Wünsche und Ängste prägen das Gefühl darüber, wer wir sind, am tiefsten. Wenn wir in Trance sind, fühlen wir uns gewöhnlich allein oder einsam, bedroht und/oder unvollkommen.

Unsere tägliche Trance kann sich normal und vertraut anfühlen, sie umschließt uns in einem Kokon des Gewohnten. Sie kann uns in einer angenehmen Fantasie wiegen, uns in zwanghaftes Denken eintauchen und in schmerzhaften Gefühlswogen hin und her werfen. Doch was immer der Inhalt unserer Trance sein mag, wir sind von uns selbst und von unserer Fähigkeit abgeschnitten, uns mit den Menschen, die uns umgeben, echt und ehrlich zu verbinden. Wir sind einfach nicht ganz da!

Und wie merken wir, dass wir gerade in Trance sind? Oft ist es uns gar nicht klar. Aber mir haben viele Menschen beschrieben, wie sie ihre jeweils spezielle Version von Trance erkennen können.

Trancemarker

Ich merke, dass ich gerade eine ganze Tüte Studentenfutter in mich reingestopft habe.

Alle sind heute böse: meine Kinder, mein Chef, mein Partner. An allen habe ich was auszusetzen.

Ich ertappe mich dabei, wie ich Männer taxiere, um zu sehen, wer der Dominanteste ist.

Jede Kleinigkeit wird mir »zu viel«.

Während ich jemandem zuhöre, überlege ich schon, wie ich hier rauskomme, um eine zu rauchen.

Ich verliere eine Stunde damit, mich durch Links zu klicken.

Mein Nacken fängt an wehzutun, ich merke, dass meine Schultern hochgezogen und verkrampft sind und dass ich seit Stunden irgendwie beunruhigt bin.

Ich höre die innere Stimme (meiner Mutter), die sagt: »Kannst du denn aber auch gar nichts richtig machen?«

Ich gehe durch ein Geschäft und merke plötzlich, dass ich meinen Körper mit dem jeder Frau vergleiche, die ich sehe.

Ich versuche hektisch, Sachen zu erledigen, und tue mir weh, irgendwas geht mir kaputt oder ich mache einen blöden Fehler.

Das Erkennen unserer Marker hilft uns, aus der Trance auszusteigen. Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich schon wieder meine To-do-Liste durchgehe oder mich schuldig fühle, jemanden enttäuscht zu haben, dann werde ich umso wacher. Diese Weckrufe helfen mir, mir meine Versagensangst und meine körperliche Anspannung bewusst zu machen. Ich kann mich dann erinnern, dass meine Angstgedanken keine Wirklichkeit sind, und bewusster entscheiden, wie ich meine Zeit verbringen möchte.

Trance

Präsenz

unbewusst – unterhalb der Linie

bewusst – oberhalb der Linie

schlafend, in einem Traum

wach, klar, bewusst

in Emotionen gefangen oder von ihnen beherrscht

achtsam wahrgenommene Emotionen

abgetrennt

im Kontakt mit den Gefühlen

innerlich verschlossen oder wie betäubt

innerlich fürsorglich und zärtlich

reaktiv gegenüber Erfahrungen

empfänglich für Erfahrungen

gierig oder im Widerstand

im Gleichgewicht, offen und wahrnehmend

Fragen Sie sich: »Wie erlebe ich jetzt gerade Präsenz?« Oder: »Steht irgendetwas zwischen mir und der Präsenz?« Schon mit so einfachen Erkundungen können Sie auf einen Trancezustand aufmerksam werden und Ihr Gewahrsein schulen.

 

Oder halten Sie abends Ausschau nach den Situationen am Tag, in denen Sie sich unterhalb der Linie befanden. Können Sie ein paar von Ihren Trancemarkern ausmachen? Manchmal ist auch in der Trance gerade noch genug Bewusstheit da, um zu erkennen, dass wir uns gerade mühen, im inneren Widerstreit oder ängstlich sind oder abgeschaltet haben. Diese Weckrufe erinnern uns daran, dass wir die Heilung – den sonnenbestrahlten Himmel – brauchen, die wir oberhalb der Linie vorfinden. Das ist der Moment, in dem wir uns an RAIN wenden.

Die Liebe wirft ihr Licht in den Wald

Vier Jahre nach ihrem Einzug bei Jonathan und mir wurde bei meiner Mutter Lungenkrebs diagnostiziert. Eines Nachmittags sechs Monate später – etwa drei Wochen vor ihrem Tod – saß ich an ihrem Bett und las ihr Kurzgeschichten vor, die wir beide lieben. Dabei schlief sie ein, und ich blieb sitzen und sah ihr zu, wie sie so friedlich ruhte. Nach einigen Minuten wachte sie auf und murmelte: »Oh, ich dachte, du wärst schon weg, du hast doch so viel zu tun.« Ich beugte mich über sie, küsste sie auf die Wange und blieb bei ihr sitzen. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen schlief sie wieder ein.

Ich hatte tatsächlich viel zu tun. Ich habe immer viel zu tun. Mir schoss durch den Kopf, wie ich damals zu beschäftigt gewesen war, um innezuhalten und mit ihr über den Artikel aus dem New Yorker zu reden. Ich dachte an all die Male, bei denen ich es bei gemeinsamen Essen eilig gehabt hatte, wie ich mich nur verpflichtet gefühlt hatte, Zeit mit ihr zu verbringen, und schuldig, wenn ich sie allein draußen spazieren gehen sah. Doch hatte meine RAIN-Praxis etwas verändert. In unseren letzten gemeinsamen Jahren war ich in der Lage, innezuhalten und wirklich präsent zu sein. Ich war da und bereitete uns supergroße Salate zu, ging mit ihr und unseren Hunden am Fluss spazieren, war da zu den Nachrichten im Fernsehen und für lange Gespräche nach dem Essen.

Zwanzig Minuten später wachte meine Mutter wieder auf und flüsterte: »Du bist ja immer noch da.« Ich nahm ihre Hand, und bald nickte sie wieder weg. Ich fing leise an zu weinen, und irgendetwas in ihr war darauf eingestimmt, denn sie drückte mir die Hand. Ich würde sie schrecklich vermissen. Aber meine Tränen waren auch Tränen der Dankbarkeit für all die Augenblicke, die wir gemeinsam erlebt hatten. Und für die Klärungsprozesse, die dies ermöglicht hatten. An ihrem Todestag war ich randvoll mit Trauer und Liebe und ohne jede Reue.

Wenn wir lernen, uns zu klären, schenkt uns das unser Leben. Es macht uns bereit dafür, radikales Mitgefühl zu entwickeln. Sind wir in Trance, können wir nicht wirklich zuhören, was uns unser Kind aufgeregt von seinen Erlebnissen in der Schule erzählt. Wir nehmen nicht wahr, dass ein Kollege nur so verkrampft handelt, weil er es mit Selbstzweifeln und Angst zu tun hat. Wir verpassen Sonnenuntergänge, Spielgelegenheiten, Chancen auf Momente der Intimität, verpassen es, uns auf unsere Einsamkeit oder Sehnsüchte einzustimmen. Die RAIN-Praxis führt uns zu dem, was oberhalb der Linie liegt, und bringt uns wieder in Verbindung mit der Präsenz und unserem von Natur aus fürsorglichen Herzen.

Reflexion: Umkehr hin zur Präsenz

Verstehen Sie dies ruhig als Aufwärmtraining für Ihre RAIN-Praxis, als etwas, das Sie erforschen können, wenn Sie sich gestresst, gehetzt und sorgenvoll fühlen. Diese einfache Reflexion kann Sie wieder verbinden mit Ihrem Einfallsreichtum, Selbstmitgefühl und der Freiheit, selbst zu entscheiden, wie Sie Ihr Leben verbringen möchten.

Experimentieren Sie doch einmal zu einem Zeitpunkt mit der Umkehr, an dem Sie feststellen, dass Sie sich ins Grübeln verrannt haben, in zwanghafte Sorgen oder obsessive Planungen, ins Kritisieren oder Fantasieren. Halten Sie zunächst inne, setzen Sie sich bequem hin und schließen Sie, wenn Sie mögen, die Augen. Nehmen Sie ein paar tiefe Atemzüge und lassen Sie mit jedem Ausatmen jede bewusste Anspannung in Geist und Körper los.

Verlagern Sie nun Ihre Aufmerksamkeit von etwa noch vorhandenen Geschichten oder Gedanken auf die Erfahrung des jetzigen Augenblicks. Welche Empfindungen nehmen Sie in Ihrem Körper wahr? Gibt es da irgendwelche starken Gefühle? Werden Sie ängstlich oder unruhig bei dem Versuch, aus den Geschichten im Kopf auszusteigen? Spüren Sie einen Sog zurück ins Tun? Können Sie – nur für diese paar Augenblicke – ganz einfach hier bleiben und mit dem sein, was sich in Ihnen entfaltet? Was passiert, wenn Sie Ihrer Erfahrung absichtlich mit liebevoller Güte begegnen?

Beachten Sie, wenn Sie wieder zu Ihren Tätigkeiten zurückkehren, ob Sie eine Veränderung in der Qualität Ihrer Präsenz, Energie und Stimmung wahrnehmen.

Fragen und Antworten

Ist es möglich, die Gegenwart zu erfahren, wenn man wütend ist?

Ja! Wenn Sie sich der schuldzuweisenden Gedanken und der körperlichen Erfahrung der Wut bewusst sind, dann befinden Sie sich im Zustand der Präsenz (oberhalb der Linie). In solchen Momenten gibt es zusätzlich zu der Wut auch noch das Beobachten der Wut und eine gewisse Freiheit zu entscheiden, wie man damit umgeht. Dagegen steckt man in Trance, wenn man ohne jede Entscheidungsfreiheit oder Kontrolle in den kreisenden Gedanken und Schuldzuweisungen gefangen ist.

 

Muss man für die Arbeit mit RAIN auf einem bestimmten spirituellen Pfad sein?

RAIN ist ein Werkzeug, das von jedem genutzt werden kann, der sich selbst besser verstehen, mehr Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere entwickeln will und emotionale Heilung sucht. Dafür ist kein besonderer religiöser oder spiritueller Hintergrund vonnöten. Woran auch immer Sie glauben, RAIN wird Ihre direkte Erfahrung von Wachheit und Offenheit, Präsenz und Güte fördern.

 

Ich mache regelmäßig Achtsamkeitsübungen. Ist RAIN ein Ersatz dafür? Oder passt beides zusammen?

Beides passt ganz natürlich zusammen. Die ersten beiden RAIN-Schritte – Erkennen und Zulassen – sind die Grundlage für achtsames Bewusstsein. Die letzten beiden Schritte – Erkunden und Nähren – vertiefen die Achtsamkeit und aktivieren direkt das Mitgefühl.

RAIN kann als Werkzeug genutzt werden, um Achtsamkeit und Mitgefühl in eine schwierige Aufgabe zu integrieren. Machen Sie ruhig weiter regelmäßig Ihre Achtsamkeitsübungen und probieren Sie RAIN aus, wenn Sie sich akut in einer schwierigen Emotion gefangen fühlen. Ziehen Sie dann RAIN heran und schenken Sie diesem emotionalen Knoten systematisch Ihre achtsame, zugewandte Aufmerksamkeit. Hat sich der Knoten erst einmal gelöst, können Sie Ihre normale Achtsamkeitspraxis wieder aufnehmen.

Neben der Einbeziehung von RAIN in eine Meditation können Sie jederzeit, sobald Sie sich festgefahren oder besonders herausgefordert fühlen, innehalten und RAIN als Hilfsmittel hinzuziehen.

 

Manchmal tauchen beim Yoga plötzlich starke Gefühle wie Angst, Wut oder Selbstzweifel auf. Kann RAIN in solchen Situationen helfen?

Es ist ganz normal, bei Körper-Geist-Übungen wie Yoga, Tai-Chi, Qigong, Atemarbeit, Reiki, geführten Meditationen und Biofeedback starke Gefühle zu haben. Viele Menschen haben für sich entdeckt, dass die Integration einer RAIN-Pause ihnen tiefe emotionale Heilung ermöglicht und Synergieeffekte auf ihrem Weg bewirkt.

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RAIN sagt Ja zum Leben

Die ersten beiden RAIN-Schritte

Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum, und in diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen.

Viktor Frankl

DIE EINSCHNEIDENDSTEN TRANSFORMATIONEN in unserem Leben gehen auf etwas sehr Simples zurück: Wir lernen, mit dem, was in uns vorgeht, in Resonanz zu gehen, statt nur darauf zu reagieren. Was passiert zum Beispiel, wenn jemand Wut oder Angst bei uns auslöst? Reagieren wir gewöhnlich so, dass wir uns in uns zurückziehen, andere beschuldigen oder sie verletzen oder dass wir uns als Opfer fühlen, dann steigern wir das in Trance verursachte Leid nur noch. Wecken wir stattdessen mithilfe der ersten beiden RAIN-Schritte – Erkennen und Zulassen – eine achtsame Präsenz in uns, dann sind wir auf einem Pfad, der unser Herz befreit.

Zum Tee mit Mara

Einer der größten Mythen der buddhistischen Tradition zeigt, wie wir angesichts von Schwierigkeiten diesen Weg gehen können.

Vielleicht kennen Sie Bilder des Buddha, wie er die ganze Nacht unter dem Bodhi-Baum sitzt und meditiert, bis er die vollkommene Erleuchtung erlangt. Der Schattengott Mara (der die universellen Energien von Gier, Hass und Täuschung verkörpert) lässt sich alles Mögliche einfallen, um ihn zum Scheitern zu bringen: Er schickt ihm gewaltige Stürme, wunderschöne Frauen als Versuchung, wütende Dämonen und große Armeen, um ihn abzulenken. Siddhartha begegnet allen mit einer wachen, mitfühlenden Präsenz, und als der Morgenstern am Himmel erscheint, wird er zu einem Buddha, einem vollkommen erwachten Wesen.

Aber das war nicht das Ende seiner Beziehung zu Mara!

In den fünf Jahrzehnten nach seiner Erleuchtung bereiste der Buddha Nordindien und lehrte überall dort, wo die Menschen interessiert waren am Pfad der Präsenz, des Mitgefühls und der Freiheit. Auf Feldern und in Hainen, in Dörfern und an Flussufern – an all diesen Orten versammelten sich Bauern und Händler, Stadtleute und Adlige, Mönche und Nonnen, um seine weisen Lehren anzuhören.