"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile - Markus Roentgen - E-Book

"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile E-Book

Markus Roentgen

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Beschreibung

Wem können wir trauen, heute, wo das Zutrauen auf die großen Antwortsysteme des Denkens, auch des theologischen Denkens, so vielfältig erschüttert ist? Ich versuche, den Antworten nachzuspüren, in denen das unverfügbare Leben von Menschen nachzittert, ihr Fragen, Zweifeln, die Brüche in ihrer Existenz, erlitten durch Eingriffe existentieller und geschichtlicher Wucht. Das Hindurchfinden darin zur Gottesspur, zur Gottessekunde, das Geheimnis, ohne Illusionen dem Tragegrund in uns selbst trauen zu können, bis ins abgründige Dunkel, das ist das mich Bewegende in diesen Essays, im Reflex auf über 2500 Jahre Zeitbrunnen, bis ins Heute des 21. Jahrhunderts n. Chr. Glauben, Hoffen, Lieben zu artikulieren, das heißt zu vermenschlichen, ist darin auch die ausgefaltete Resonanz, wie mir scheint, auf die Menschwerdung Gottes, in der wir Menschen göttlichen Atem spüren darin, wie Gott selbst sich aussetzt in alle Prismen des Lebens bis ins Leiden, bis in Tod und Sterben – und darin dem Tod nicht die letzte Antwort auf unsere Existenz lässt. Dem Leben, dem MEHR an Leben zu trauen, das ist die größere Hoffnung, die aufscheint aus den spirituellen Profilen des Buches, im Lauschen auf den je innezeltenden Gott, der zur Güte des Guten weist.

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Seitenzahl: 788

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Vorwort

Dieses Buch ist aus Vorträgen entstanden.

Sie wurden in den letzten dreizehn Jahren im Dom-Forum Köln gehalten.

Der sprechende Duktus ist mitunter hörbar, lesbar.

Die erstaunliche Resonanz der zuhörenden Menschen ermutigt mich, die Vorträge nun heraus zu geben, die in besonderem Maße mit ganz konkreten Menschen und Gegebenheiten verbunden sind.

Offenkundig ist das Zeugnis der jeweiligen Person im Suchen, Sehnen, Glauben und Zweifeln heute sprechender oft –, als die satzhafte Theologie.

Ich widme das Buch diesen zuhörenden Menschen im Dom-Forum.

Verdankt ist es oft Rainer Will aus der Leitung des Dom-Forums, der mir die Menschen und Themen vorgab.

Verdankt ist es vielen Menschen, die mich ermutigt und unterstützt haben. Ich nenne: Meine Frau Barbara und unsere Kinder Johannes, Jakob, Sara.

Anette und Bernd Schermuly.

Jörg Baltes, Wilhelm Bruners, Andreas Falkner (verstorben 8.4. 2020), Gunther Fleischer, Christine Funk, Inge Jansen, Georg Roentgen, Petra Thomaschewski, Ancilla Wißling

In besonderer Weise ist dieses Buch eingedenk voller Lieben meinem 2017 verstorbenen Geistlichen Lehrer und Freund Spiritual Hans Günter Bender

Buchgestaltung: Bernd Schermuly · Wiesbaden

Coverbild: Jakob Mönch · Münster

“Das Coverbild entstammt dem Zyklus von Jakob Mönch, original in Kohle gemalt, zu den sieben letzten Worte Jesu am Kreuz, hier: „Vater, in Deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23, 46)

© 2020 Markus Roentgen

Alle Rechte vorbehalten

2020 Veröffentlicht: Neopubli GmbH: www.epubli.de

Satz und Layout: Bernd Schermuly, www.sensum.de

„Stört die Liebe nicht…“

Eine spirituelle Lesehilfe zum „Hohen Lied der Liebe“

Kein Buch der Heiligen Schrift hat Phantasien so beflügelt wie das Lied der Lieder.

Oberfläche, Unterschicht, Tiefenschicht – was ist gemeint darin? Das hat die Menschen bewegt, argwöhnen lassen.

Schiere Erotik! Schönstes Erotisches in Bildern, Lauten, Gerüchen, Tiervergleichen, bis hin zum anziehendsten Benennen weiblicher und männlicher Sexualität.

Kraftquelle des Erotischen, Sehnsuchtsstöhnen – als Ausdruck der tiefsten Gotteslust im Menschen.1

1 S. Teresa von Avila, Bernhard von Clairvaux, Thomas von Aquin etc.

Nur ein Beispiel der Analogie:

Teresa von Avila, Das Buch meines Lebens, Kap. 10, 2: „Vorher schon hatte ich sehr anhaltend eine Zärtlichkeit empfunden, die man sich meines Erachtens teilweise in etwa selbst verschaffen kann: eine Wonne, die weder so richtig ganz sinnlich, noch richtig geistlich ist. Zwar ist alles von Gott geschenkt, doch sieht es so aus, als könnten wir zu letzterem viel beitragen…“2

2 S. 172f.

Und weiter: „…so ist es auch hier, dass sich Gott und die Seele schon allein deswegen verstehen, weil seine Majestät will, dass sie es versteht, ohne dass sich die Liebe, die diese beiden Freunde zueinander haben, durch einen sonstigen Kunstgriff kundtun muss. So wie hier auf Erden, wenn sich zwei Menschen sehr gern haben und gut verstehen, nur indem sie sich anblicken. So muss es hier sein, denn ohne dass wir sehen wie, blicken sich diese beiden Liebenden fest in die Augen, wie der Bräutigam des Hohenliedes zur Braut sagt; wie ich glaube, gehört zu haben, steht das dort.“3 Teresa tarnt sich, sie, die einen großen Kommentar zum Hohen Lied geschrieben hat, stellt sich als Ungebildete dar („wie ich glaube, gehört zu haben, steht das dort“); sie weiß, dass die Inquisition mit liest, wenn sie ihre „Vida“ aufschreibt. Natürlich kennt sie die Stelle, die sie imaginiert: Hld 4, 9: „Verzaubert hast du mich, meine Schwester Braut; ja verzaubert mit einem Blick deiner Augen.“ – In Teresas Kommentar selbst („Gedanken über die Liebe Gottes – Meditationen zum Hohelied, 4,8) zitiert sie nachdrücklich Hld 6,2 und 2, 16: „…das ich meinen Geliebten anblicke und mein Geliebter mich; und dass ich nach seinen Angelegenheiten sehe und er nach den meinen“ – sie tarnt sich in Unwissenheit, denn sie weiß, dass das Hohe Lied verdächtigt wurde und als „gefährlich“ galt.

3 Ebd., Kap. 27, 10; S. 391.

Die allegorische Deutung begann im 1. Jhdt. vor Christus; als „Lied des Salomo“ wurde es zusammen gefügt mit dem „Buch der Sprüche“ und dem „Buch Kohelet“ und so als Weisheitsbuch gelesen.

Daraus erfolgte, was das Christentum übernahm und systematisierte – ein Deutungsschema für lange Zeit:

Sprüche–Ethik

Kohelet–Naturerkenntnis

HohesLied–ErkenntnisdesEwigenundUnsichtbaren

Höchste Weisheit muss sich bergen und verbergen in Bildern und Vergleichen; das Gemeinte muss „über-setzt“ – also „hinüber gesetzt“, ans andere Ufer gebracht werden.

Daraus resultierte die heiligeHochzeit von Gott (unaussprechlich Jhvw// Jhwh) und seinem Volk Israel.

Ein Ringen um die legitime Deutung entsteht. Die Rabbinen streiten, Rabbi Aqib nennt es „das heiligste (qodesh qodashim) aller Schriften.“4

4 Vgl. Das Hohelied Salomos, übersetzt und kommentiert von Klaus Reichert. Salzburg 1996, S. 6.

Liturgisch wurde das Hohelied an das Ende der Passah-Liturgie gesetzt als Verheißung der Rückkehr aus dem Exil. In der katholischen Liturgie heute findet das Hohelied 13mal Verwendung (aus Kapitel 2; der Anfang von Kapitel 3, Verse aus Kapitel 4 und 8); zumeist bei „Jungfrauweihen“ und Ordensprofessen, für Ordensleute, bei Trauungen, beim Fest der Maria Magdalena (22.7), der Scholstika (10.2) – und am 21. Dezember, vielleicht dort zum Ausdruck der unmittelbar bevorstehenden Menschwerdung Gottes als Gottwerdung des Menschen im „Unvermischt und Ungetrennt“ des Geschehens in Jesus Christus.

Das Christentum identifiziert den Bräutigam (der im Hohenlied nie so genannt wird; sondern „Geliebter“ o.ä.) mit Christus; die Braut wurde „seine Kirche“.

Die Allegorien steigerten sich: die Kirche, Maria, die Bräute Christi, die Seele, die Menschheit – alle wurden heran gezogen, um sich mit Christus als Logos und Grund und Ziel zu verbinden und so erst das Wort lebendig werden zu lassen.5

5 Vgl. Origines, Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von St.Thierry.

Vom Sprachduktus her ist das Hohelied eine locker gefügte Sammlung von Liebesliedern. Ohne bindenden Redaktor, deshalb auch stets in der Möglichkeit, in den Passagen und Strophen neu gruppiert, konstelliert zu werden. Topoi: Wiederholungen, Prahl-, Scherz-, Klage- und Sehnsuchtslieder. Hochzeitscarmina (wie für ländliche Hochzeiten verfasst. Projektionen einer Minne zwischen Hohem Herrn und Hirtenmädchen)6 Es ist aufgeschrieben worden wohl zwischen dem 8. und 6. Jahrhundert v. Chr. Wortfindungen darin aus dem Hebräischen, Aramäischen, Persischen bis zu einem griechischen Wort (Hld 3, 9).

6 Vgl. bis zu Mozarts Opern; etwa „Figaros Hochzeit“ oder „Don Giovanni“). Fruchtbarkeitskulte gehen ein (sumerische, akkadische, syrische.

Der Text: EinvielstimmigerKlangkörper! Echos! Hochkultur!!!

Schauplätze: Judah, Jerusalem, En Gedi und ein Teil im Nordreich Israel, das 721 fiel (Libanon, Antilibanon, Scharonebene, Karmel, Gileadgebirge usw.).

Immer neu: dieses Suchen im Hohenlied von etwas, was mich im Innersten elektrisieren, erbeben, erzittern lässt – der Ungrund, das Bodenlose des Liedes – das, was ich nicht begreife, das tiefereNichtverstehen!

Lieben ist nicht zu verstehen!

Wie Traumsequenzen, wie ungleiche Dialoge, wie Tasten und Stammeln und doch in höchster Sprachkraft immer neu: Dubistunermesslich – Lieben.

Körper – auf und ab in allen Sequenzen und Nuancen, betastet beschrieben, als sei es eine Erkundung ohnegleichen! Atem spürbar in jeder Zeile, Hecheln, nach Luft ringen, atemlos – und auch das Gleichmaß (selten) im Atmen des Liebens.

Alles wird fundiertimKörperlichen! (Horchen, Augen-Blicke, Riechen, Düfte, Schmecken, Tasten, Fühlen).

Morgenländische Düfte, verschwindend-präsent. „Sprachgliedmaßen“ hat dies Moses Mendelssohn wunderbar genannt.7

7 Vgl. Reichert, a.a.O., S. 10.

Es ist klar: Das Hohelied kommt aus dem lebendigen Sprechen und Singen, lange bevor es Text wurde. Nur Buber/ Rosenzweig achten dies in ihrer Übertragung – allen anderen Übersetzungen haftet ein Zwingendes an in ihrer Kohärenzfixierung, Lücken schließen zu wollen.

Das Hebräische (bis zu Maimonides) selbst war lange Zeit gar nicht zu Abstraktionen fähig; alles wurde sinnlich, geschichtlich konkretisiert! So ist etwa „Nefesch“ nicht „Seele“, vielmehr „Kehle“„Atem“ im Ursprung!

Das Mädchen sucht den Geliebten nicht mit der Seele, vielmehr „mit atmendem Leib“!

Es gibt den unerschöpflichen Zugang so frei, die Freiheit gleich-gültiger Möglichkeiten im Zugang zum Hohenlied!

Das Fragmentarischeistschön! Darin atmet der Rausch des Unverhofften!

Und jenes: Esfehltmir(uns)immer(noch)etwas!

Als der Heilige Thomas von Aquino sich im Winter 1273/1274, auf dem Weg zum Konzil von Lyon, zum Sterben legte, nach einem Winter tiefen Schweigens als Folge seines Abbruchs der „Summa theologica“(er hatte seinem Freund und Schreiber Reginald, der ihn zum Weiterschreiben drängte, gesagt: „Reginald, ich kann nicht. Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Spreu“), da wollte er nur mehr das Hohelied vernehmen8 – eine Ahnung, in der schönsten Sprache des Eros, einer unendlichen liebenden Vereinigung als Gottgeschöpf, die im Sehnen und Begehren und Freien und Zarten und Lieben der Sprache des Leibes, der Hände, Zungen, Glieder, des Geschlechtlichen, der Haut und unseres Gehirns, vielleicht, das stärkstes vitale und konkrete Zeichen des Kommenden ist.

8 Vgl. Thomas von Aquin, Sentenzen über Gott und die Welt, zusammengestellt, verdeutscht und eingeleitet von Josef Pieper. Johannes Verlag Einsiedeln, 1987, S. 38 ff.

Leer istdas Blattweißundan den Rändernmohnstarkeine einzelneatmendeeine BlüteduMarkus Roentgen

Literatur:

Johann Gottfried Herder, Lieder der Liebe (= Insel Taschenbuch 2643). Frankfurt/M. 2000. Das Hohelied Salomos, übersetzt, transkribiert und kommentiert von Klaus Reichert. Residenz-Verlag. Salzburg und Wien 3/1996. Teresa von Avila, Das Buch meines Lebens. Herder-Verlag. Freiburg i. Br. 2001.

„Narren in Christo –

die Briefe des Apostels Paulus an die Korinther und deren Folgen“

Erläuterungen zur Narrheit in den Briefen des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth und im Leben Jesu

Paulus schreibt im 12. Kapitel seines 2. Briefes an die Gemeinde in Korinth, in den Versen 9-11: „Aber er (Jesus Christus, der Herr) hat mir erklärt: ‚Es genüge dir meine Gnade; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet.‘ Sehr gern will ich mich also um so mehr meiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft Christi sich auf mir niederlasse. Darum habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Schmähungen, an Notlagen, an Verfolgungen und Bedrängnissen um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

Ein Tor bin ich geworden; ihr habt mich dazu gezwungen.“

Wenn Paulus sich und die Jüngerinnen und Jünger Christi als NarreninChristo( vgl. 1 Kor 4, 10) bezeichnet, wenn Nachfolge Christi, konsequent gelebt, immer auch etwas Narrenhaftes, Anstoßerregendes, Skurriles, ja Komisches, Ex-zentrisches innewohnt, dann liegt abgründig darunter der NarrJesusChristus selbst!

Schon in den Heiligen Schriften Israels gibt es prophetische Wahrnehmungen, denen anscheinend Törichtes anhaftet, etwa in Hosea 9,7: „Der Prophet ist ein Narr,/ der Geistesmann ist verrückt.“

Paulus nimmt dies auf in den Kern seiner Christusrede (1 Kor 1, 18-25; 3, 18; 4, 10), seiner Narrenrede (2 Kor 11, 16-30; aber auch in der lukanischen Sicht auf Paulus zum Ende der Areopagrede in Athen (Apg 17, 18. 32; 26, 24).

Immer, wenn es um den Erweis des Göttlichen in Jesus, dem Christus, geht – und dazu das Hindurchgehen durch Leiden, Kreuz und Tod als notwendig verkündet wird, damit Auferstehung wirklich wird, sei es im Leben Jesu der Evangelien, sei es in der Verkündigung des Paulus, korrespondiert eine Form der Rezeption in der Weise der Verspottung, Verhöhnung, der Zuschreibung des Verrückten, Törichten, Narrenhaften.

Beispiele: Über Jesus heißt es Mk 3, 21: „Er ist von Sinnen.“ Jesus selbst verkündet: „Ich preise dich, Vater des Himmels und der Erde, dass du solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es den Unmündigen geoffenbart.“(Mt 11, 25)

Von Paulus heißt es in Apg 17: „Was will denn dieser Schwätzer?“(Apg 17, 18); etwas weiter wird er ob seiner Predigt des von den Toten Auferstandenen „verspottet“(Apg 17, 32). Als er von der Notwendigkeit des Leidens Christi spricht, der als erster von den Toten auferstanden sei und dem Volk und den Heiden ein Licht verkünden werde, schreit einer der Zuhörer, Festus: „Du bist verrückt.“(Apg 26, 24).

Theologisch kulminiert dies in Versen aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther (Verse 1, 18-28) :

„Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die zugrunde gehen: Aberwitz (Torheit). Denen aber, die gerettet werden, ist es: Gottes Kraft.

Es ist ja geschrieben:

Zugrunde richten will ich die Weisheit der Weisen; und den Verstand der Verständigen will ich entmachten.

Wo bleibt da ein Weiser, wo ein Schriftgelehrter, wo ein Wahrheitsforscher dieser Weltzeit? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zum Aberwitz (zur Torheit) gemacht? Denn nachdem die Welt – angesichts der Weisheit Gottes – durch ihre Weisheit Gott nicht erkannte, gefiel es Gott: durch den Aberwitz (die Torheit) der Verkündigung die Glaubenden zu retten. Nachdem Juden Zeichen fordern und Griechen Weisheit suchen, verkünden wir dagegen einen gekreuzigten Messias; den Juden: ein Ärgernis; den Völkern: ein Aberwitz (eine Torheit). Ihnen aber, den Berufenen – Juden wie Griechen – den Messias: Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn: der Aberwitz (die Torheit) Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes stärker als die Menschen.

Blickt nur auf eure Berufung, Schwestern und Brüder! Das sind dem Fleisch nach nicht viele Weise, nicht viele Kraftvolle, nicht viele Hochgeborene. Doch das Aberwitzige (Törichte) der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen. Und das Schwache hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedriggeborene der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt; das Nichtige, um das Wichtige abzutun -…“

Folgen – Rezeption – Narren in Christo9 und das tiefere Spiel der Narrenfreiheit

9 Vgl. hierzu grundlegend: Hans Urs von Balthasar, Narrentum und Herrlichkeit : Ders., Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Band III, 1 Im Raum der Metaphysik. Teil II. Neuzeit, S. 492-551. Erzählender: Walter Nigg, Der christliche Narr. Zürich 1956. Strukturalistisch, psychologisch und philosophisch durchdringend: Michel de Certeau, Kloster und Marktplatz: Narrheiten in der Menge : Ders., Mystische Fabel. Berlin 2010, S. 54-80. Vgl. auch Harvey Cox, Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe. Stuttgart-Berlin 2/1970. Vgl. auch als Roman: Gerhart Hauptmann, Der Narr in Christo Emanuel Quint. (=Ullstein Tb 23446). Berlin 1994.

Heilige Närrinnen und Narren finden sich in der Tradition und transformiert als NarrenundNärrinneninChristo in Folge der paulinischen Verkündigung und der Evangelien Jesu Christi ab etwa dem 4. Jahrhundert n. Chr.

Namen: SymeonvonEdessa und AndreasderNarr – oder alles, was tief ist, liebt die Maske. JacoponedaTodi – oder der Tor göttlichen Liebens; PhilippNeri, der Spaßmacher Gottes, ErasmusvonRotterdam mit seinem Lob der Torheit – und dann die epochalen Figuren aus Literatur und Kunst: Cervantes „DonQuichote“, Dostojewskijs „Idiot“; früher noch Wolframs „Parzival“ bis zur darstellenden Kunst: Rouault’s ChristusalsClown – später auch von Litzenburger so gemalt.

Certeau schildert eine der frühesten Gestalten, eine namenlose Frau (mitunter wird sie auch Isidora genannt werden) aus dem 4. Jahrhundert.

Die NarreninChristo sind Menschen, die Kontrastfiguren ausbilden. Sie widersprechen in Gestalt und Haltung dem antiken Schönheits- und Weisheitsideal, welches die Menschengestalt an den heroischen Göttergestalten orientierte.

HeiligeNarren/ Närrinnen kontrastieren das Bild des Heiligen als Held/ Heldin!

Eine neue Gestalt springt hervor aus der Nachfolge des Jesus, der als menschgewordener Gott die klassischen Kategorien von Oben und Unten umkehrt; der unermessliche Gott als hilfloser Säugling in der Futterkrippe; der, aus dem der Kosmos und das Allsamt wurde, der ewige Logos, das unendliche Wort, gegeißelt und verspottet, ein NarrGottesamKreuz, erleidet den schändlichen Tod eines daher gelaufenen Straßenräubers, den Verbrechertod eines „Gotteslästerers“, der zuvor seinen geliebten Freundinnen und Freunden zärtlich begegnet, der ewige und heilige Gott wäscht, in Knechtsgestalt, seinen Schülern und Jüngern die Füße und erweist Lieben bis zum Es-Geht-Nicht-Mehr (vgl. Joh 13).

Die daraus sich her leitenden NarreninChristo sind, von da her, „nie ganz ‚bei Sinnen‘ und ‚bei sich‘ (…. Dem rechten Narr) „fehlt das Schwergewicht, das ihn nieder zur Erde fesselt. Er steht dem Heiligen am nächsten, näher oft als der seine Vollkommenheit pflegende, moralisch geglückte Mensch. Die Russen wussten, dass der Narr Gott gehört, seinen eigenen Engel hat, ehrwürdig ist. (…) Heilige, auf den Stapfen des verachteten, geschmähten, als wahnsinnig (Mk 3, 21) und besessen (Mt 12, 24; Joh 7, 20; 8, 48) erachteten Jesus, sehnen sich danach, um seinetwillen für Narren angesehen zu werden. (…) Äußere Gebärden, die sie tun müssen, wie die Selbstentkleidung des Poverello (Franz von Assisi; Anm. Roentgen), können schon so gedeutet werden. Ihm riefen die Kinder ‚il pazzo‘ (der Verrückte; Anm. Markus Roentgen) nach, auf dem Portiuncula-Kapitel, unter Anwesenheit des Kardinals von Ostia, eröffnete er den Brüdern, dass der Herr ihm gesagt habe, er ‚solle ein Tor sein in dieser Welt‘, und dass Christus sie alle keinen anderen Weg als den dieser Weisheit führen wolle. (…) Manche, die sich mit Paulus anbieten, anstelle der Brüder von Gott weggeflucht zu werden (Röm 9, 3), werden in die Abgründe getaucht: nicht nur der Gottverlassenheit (wie Jesus selbst; Anm. Markus Roentgen; vgl. Mk 15, 34)(…) Für abschließend können die Formeln Ignatius‘ von Loyola gelten, der bei der ersten Leben-Jesu-Betrachtung sogleich den Finger auf die Nachfolge ‚im Ausstehen alles Unrechts und aller Schmach und aller Armut‘ legt, auf dem Höhepunkt der Einübung in eine gelassene Lebenswahl , die vollkommene Demütigung‘ fordert, die darin besteht, dass ich ‚jemehr mit dem armen Christus Armut wünsche und erwähle als Reichtum, jemehr mit dem schmerzerfüllten Christus Schmach als Ehrenerweise, und jemehr danach verlange als ein Tor und ein Narr angesehen zu werden um Christi willen, der zuerst als ein solcher angesehen wurde, denn für weise und klug in dieser Welt.‘ “10

10 Hans Urs von Balthasar, Narrentum und Herrlichkeit, a.a.O, S. 494 f

Es sind auch immer Wege aus der etablierten Kirche, aus Gemeinde und Kloster in die Wüsten des Lebens, der Städte, der Umstände (etwa bei Symeon dem Narren). Der Büßernarr Jacopone da Todi (gest. 1303), ein gebildeter Doktor der Rechte und Advokat, beschließt in Folge des Franziskus von Assisi, freiwillig als Narr aufzutreten. Die Ekstasis seiner Vernunft, diesem Heraus-treten, öffnete sich bislang unerhörter Poesie, Gesänge an Gottesverstörteundverstörende, javer-rückendeundindenAugender„Welt“ver-rückteLiebe.

Gott, derunsallendieFüßewäscht!

Dieses Lieben Gottes sprengt jegliches Warum, öffnet ins Unermesslich-Maßlose, setzt sich aus: AussetzungdesAllerheiligsten bis in die Torheitsichhin-gebendenLiebensbiszurDurchstoßung, bis zur DurchkreuzungallermenschheitlichweisheitlichenTradierung!!!

Jacopone da Todi singt „Gütigsein kennt kein Warum“: „Hinfälligkeit alles Irdischen bis zum All-Totentanz, Herrlichkeit der Gottesliebe bis zur franziskanischen All-Umarmung der gottgeliebten Kreatur, Eintauchen in bodenlose Tiefen des Gottwesens …“11

11 Ebd., S. 497.

Ich beschließe den Beitrag mit einer Närrin aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Überliefert ist diese Passage aus der „Historia lausiaca“, mit der diese erste Närrin (salé) eingeführt wird, von Michel de Certeau12, der auch einen profunden Kommentar zu dieser Geschichte formuliert hat – daraus abschließend einige Erhellungen:

12 Michel de Certeau, Mystische Fabel, a.a.O., S. 56 ff.

„In jenem Kloster war auch eine Jungfrau, die sich den Anschein gab, als ob sie verrückt und besessen sei. Darum hegte man allgemein solche Abscheu vor dieser, dass keine mit ihr essen wollte; sie aber hatte das freiwillig auf sich genommen. Sie irrte in der Küche umher, tat jede Arbeit, war sozusagen das Wischtuch des Klosters und erfüllte so, was geschrieben steht: ‚Dünkt sich jemand weise zu sein unter euch, der soll ein Tor werden, auf dass er weise werde!‘ Mit einem Lumpen hielt sie den Kopf umhüllt, während die anderen geschoren waren und Kapuzen trugen. So war sie angetan und versah den Dienst einer Magd. Keine von den vierhundert sah sie jemals essen, während der vielen Jahre; sie setzte sich niemals zu Tische, genoss kein Stücklein Brot mit den anderen und war mit den Krumen vom Tisch und mit dem Wasser aus den Kochtöpfen zufrieden, das sie beim Spülen fand. Sie kränkte niemanden, murrte nicht, sagte weder viel noch wenig, obgleich sie beschimpft, geschlagen, verwünscht und verächtlich behandelt wurde.

Es lebte zu jener Zeit am Porphyrgebirge der heilige Piterum, treubewährt in tugendhaftem Wandel. Zu diesem trat ein Engel und sagte: ‚Was bist du stolz auf deine Frömmigkeit und dein weltfernes Leben? Willst du ein Weib sehen, das frömmer ist als du, so geh nach dem Frauenkloster der Mönche von Tabennese! Dort wirst du eine finden, die einen Lumpen um den Kopf gebunden hat: diese ist besser als du; denn obgleich sie von dieser Menge alle Unbill erfährt, hat sie niemals ihr Herz von Gott gewendet; du dagegen sitzest hier, deine Gedanken aber schweifen in den Städten umher.‘ Obgleich er niemals die Zelle verlassen hatte, begab er sich zum genannten Kloster und bat die Lehrer, ihm den Eintritt zu gestatten. Ob seines ausgezeichneten Rufes und hohen Alters trugen sie kein Bedenken, ihn einzuführen. Er ging also hinein und wünschte alle zu sehen. Doch jene war nicht dabei. Er sagte zuletzt: ‚Stellt mir alle vor; es fehlt noch eine.‘ Sie sagten: ‚Eine haben wir noch drinnen in der Küche; aber die ist närrisch (salé).‘ Er sagte: ‚Führt sie herein; ich möchte sie sehen.‘ Sie gingen hinaus und sagten es ihr; doch sie weigerte sich; sie ahnte wohl, dass ihr Geheimnis verraten werde. Die anderen aber zogen sie mit Gewalt und sagten:‘ Der heilige Piterum wünscht dich zu sehen.‘ Sein Name war nämlich überall bekannt. Als er sie nun mit dem Lumpen am Kopf eintreten sah, fiel er ihr zu Füßen und sagte: ‚Segne mich!‘ Ebenso fiel ihm jene zu Füßen und sagte: ‚Segne du mich, Herr!‘ Da gerieten alle außer sich und sprachen zu ihm: ‚Vater, lass dich doch nicht zum besten halten! Sie ist ja närrisch!‘ Da sagte Piterum zu allen: ‚Ihr seid närrisch; denn sie ist meine und eure Mutter – so nennt man jene, die ein Leben des Geistes führen -, und ich wünsche nur ihrer würdig befunden zu werden am Tag des Gerichtes.‘ Als sie das hörten, fielen sie jener zu Füßen, und jede gestand ein anderes Vergehen: die eine, sie habe sie mit Spülwasser begossen; die andere, sie habe sie geschlagen, so dass sie blaue Flecken bekam; wieder eine andere, sie habe ihr die Nase mit Senf bestrichen; kurz, jede hatte auf andere Weise tollen Übermut getrieben an ihr. Da betete Piterum für alle und ging. Weil aber jene nicht Ruhm und Ehre bei den Schwestern genießen wollte und die vielen Abbitten lästig fand, entwich sie nach wenigen Tagen aus dem Kloster. Wohin sie ging, wo sie sich verbarg und wo sie gestorben ist, hat niemand erfahren.“13

13 Michel de Certeau Zitiert nach: Palladius von Helenopolis (gestorben vor 413 n. Chr.), Leben der Väter (Historia lausiaca).

Michel der Certeau kommentiert: „Eine Frau also. Nie verlässt sie die Küche. Nie hört sie auf, etwas zu sein, was mit Nahrungszerkleinerung und –abfall zu tun hat. Davon ernährt sie ihren Körper. Sie lebt davon, dass sie nichts ist als dieser verächtliche Gegenstand, das ‚Nichts‘, das Abschaum ist.“(Vgl. hierzu auch Paulus in 1 Kor 4, 12 f., wo „Kehricht der Welt, Ab-schaum“, der Schmutz aller zu werden Form der Nachfolge des Lebens Christi, göttliches In-Der-Welt kennzeichnet: „ Geschmäht werden wir und lobpreisen; gejagt werden wir und halten aus; verleumdet werden wir und ermutigen. Wie aus der Welt Ausgestoßene sind wir geworden; Abschaum für alle – bis jetzt.“ (1 Kor 4, 12 f. – Anm. Markus Roentgen).

Certeau kommentiert weiter: „das ist es, was sie ‚vorzieht‘: der Schwamm zu sein. Um den Kopf hat sie einen Lumpen gewickelt, zwischen ihr und dem Abfall besteht kaum ein Unterschied, sie ‚isst‘ nicht, nichts trennt ihren Körper vom Müll. Sie ist dieser Rest, endlos, unendlich. (…) ist die Verrückte ganz und gar in dem symbolunfähigen Ding, das der Sinngebung Widerstand leistet. Sie nimmt die bescheidensten Funktionen des Körpers auf sich und verliert sich im Unerträglichen, das noch unter aller Sagbarkeit ist.“14

14 Ebd., S. 57.

Umkehrung Gottes zur Welt (Weihnachten – Karfreitag, Karsamstag; Trog und Schandkreuz), Umkehrung von obenundunten auch hier im Text.

Der verehrte Mönch Piterum auf der Höhe, ein spiritueller Aufsteiger – sein Ort, das Porphyrgebirge; er muss aufs Geheiß des Engels absteigen zur namenlosen, diese Frau unten, Küchenexistenz, Abfallwesen.

Das Ver-rückte von Ostern kann nur erahnt werden aus solchen Umkehrungen der gewohnten religiös-spirituellen Sichtungen: „törichtwerden, umWeisezuwerden“(Paulus 1 Kor 3, 18).

Und in nochmaliger Steigerung die nochmalige Weigerung der Närrin: Sie lässt sich nicht einbinden in ein „Aschenputtel-Happy -End“, nachdem Piterum sie erkennt, vor ihr kniet und sie als „Heilige“ enttarnt vor den Mitschwestern. Sieentziehtsich. Sie bleibt die namenlosenurGottalleinbezogene; unbedingte Verweigerung jeglicher Anerkennung als Heilig mitten in Welt! Sie entzieht sich der österlichen Wendung in den Augen der Welt aus Kloster, Kirche und „heiligem Mann“!

Sie geht aus der Geschichte, aus dem Symbolzusammenhang, aus der Signifizierung heraus. Ihr Grab ist unbekannt!!!

Gänzlicher Ex-zess(Außer Sich) – Nicht-Ort!

„Diese Frau kann nicht da sein – da, wo sie der Diskurs der Gemeinschaft hinstellt.“15

15 Ebd., S. 65.

Die Torheit dieser Frau beharrt auf der Nichtinklusion ihrer ex-zessiven, ek-statischenGottbindung zu den etablierten Konventionen, Ritualen, Symbolisationen, Kommunikationsformen von Kirche und Welt.

Sie ist dieIrritation schlechthin zu jeglicher Gottgewissheit, sie ist dasGottoffennacktund bloß ohne Rückversicherung, Nachfolge der radikalenSelbstentblößungGottes, AussetzungGottes im Wahnsinn des Liebens bis zum Ex-zess an das Weltganze: Krippe, Leiden, Kreuz – TorheitGottes zum TorfüralleWelt: unverfügbar, unvermittelbar: Ostern –

Literatur:

Michel de Certeau, Mystische Fabel, Berlin 2010, S. 54-80.

Augustinus „Confessiones”

Unruhe als Sehnsucht nach Gott

Leben und Werk I

Am 13. November 354 wird Augustinus in Tagaste (im heutigen Algerien) geboren. Er ist ein Mann der Spätantike, der in einer Zeit von Bedrohung und Erschütterung lebt.

Vieles in seinem Denken und Lehren ist zeitbezogen und befremdet heute, vieles ist von bleibender Aktualität, bisweilen aufwühlend heutig, so dass 1650 Jahre Zeitdistanz wie aufgehoben erscheinen.

Menschen mit großer innerer Unruhe und mit dem Verlangen und der Sehnsucht nach Gott finden Widerhall im Kern und Keim dieses Nordafrikaners, Theologen, Bischofs und Heiligen der Kirche.

Er lebt in der Zerfallszeit eines Weltreiches. Als 410 die Eroberung Roms durch Alarichs Goten dieser Endzeit des römischen Reiches den Stempel aufdrückt, erschüttert dies ebenso auch die nordafrikanische römische Provinz – und als Augustinus im Jahr 430 etwa 100 Kilometer von seiner Geburtsstadt entfernt in Hippo Regius stirbt, da belagern gerade die Wandalen seine Bischofsstadt.

Dies muss immer mit bedacht werden, wenn Augustinus Denken und Werk in den Blick genommen werden. Er schrieb in einer äußerlich von Katastrophen heim gesuchten Welt.

So sind etwa die 22 Bände seines „Gottesstaates“(De Civitate Dei) gar nicht anders zu verstehen als seine Antwort auf den Fall Roms, auf die Frage nach der Dimension Gottes in den Mächten und Gewalten der Geschichte seiner Zeit!

Er ist, ganz anders etwa als Thomas von Aquin, ein gar nicht außerhalb seiner Zeit zu nehmender Denker.

Wir würden heute sagen, er reflektiert sich als existentielles Subjekt inmitten seiner Zeit in und durch sein Denken, seinen Glauben, seine Spiritualität hindurch. Er ist Zeitzeuge, Zeitbedingter – und dennoch darin und darüber, ein Denker, ein Glaubender auch für unsere Zeit.

Erlebnistheologe, Subjekttheologe, biografisch immer in seinem Werk voll mit präsent; also in einer Weise da, die in jüngster Zeit die Theologie der Kirche erst im späteren 20. Jahrhundert für sich wieder entdeckt hat, nach einer langen Ära scheinbar objektiven Glaubens, objektiver Liturgie, objektiver Norm, objektiven Betens.

Alles Erlebte und Erfahrene geht, sublimiert und verwandelt und reflektiert ein in sein Werk, das in vielen Fasern auch ein Polemisches ist als ein kämpferisches Werk Gegen!

Als Seinsphilosoph denkt er gegen die Manichäer, als Seins-Dualisten und Gnostiker;als Kirchenlehrer gegen die Donatisten, als Lehrer der Wiedertaufe und der Ablehnung des Ein Für Allemal gültig und wirksam der Taufgnade;als Geschichtstheologe gegen die Heiden, die zumeist den Kreislauf der Dinge und das Zyklische des ewigen „stirb und werde“ einem wirklichen relevanten Geschichtsverlauf entgegen stellten;schließlich als Verfechter der Gnade gegen die Pelagianer, als Leugner der Wirksamkeit und Vorrangigkeit der Gnade gegenüber der Relevanz und Souveränität menschlicher Freiheit, die aus der völligen Souveränität des Menschen dessen Allein zur Erlangung der Gottesgenugsamkeit lehrten.

In allem also wird Augustinus der große Verfechter des Vorranges Gottes als einheitliche und beziehungsreich ausgefaltete dreieine Wirklichkeit und Wirksamkeit in Zeit aus Ewigkeit, darin der Mensch in struktureller wie persönlicher Sünde und Schuld wie in seinem Vermögen ebenso ernst genommen ist, wie zugleich darin nicht in letzter Dimension gleichrangig oder getrennt, weil in Allem unter einem unbedingten Zuvor von Gottes Gnade zum Heil, in Geschichtszeit, Weltzeit und ebenso in der Kirche darinnen!

Augustinus ist der Denker zugleich im Vorübergang und im Durchblicken insgesamt; sein Denken und Schreiben ist impulsiv, rhythmisch, intuitiv, es ist vom lebendigen Gegenüber geprägt, von seiner Zeiterfahrung, von Gegnern, vom göttlichen Du – und vom Unbekannten und Undurchdringlichen insichselbst. Dass ein existentialistischer Satz: „Mihi quaestio factus sum“ „Ich bin mir selbst zur Frage (ein großes Rätsel) geworden!“(Confessiones IV, 4, 9) – vom Menschen Augustinus auf der Schwelle zum 5. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung geschrieben, erwogen, befühlt, durchdrungen wird (als schmerzlicher Reflex auf den Tod eines engen Freundes in Tagaste, ruhelos in der Trauer), macht seine hohe Heutigkeit aus.

Augustinus ist als junger Mann recht sorgfältig und gut ausgebildet worden. Auch dies ist in kulturellen Verfallszeiten keine Selbstverständlichkeit. Als er ein Hochschulstudium in Karthago beginnt, stirbt bald sein Vater, er ist da 19 Jahre alt, und Augustinus muss das Studium abbrechen und sich nach einem Beruf umsehen.

In seinen Confessiones(die er rückblickend als reifer Mann und Bischof schreibt) berichtet er über seine stark antiautoritäre Neigung und seinen frühen Widerstand gegenüber totemWissen, das den Schülern in der Schule dumpf eingebläut wurde. Er schreibt (immer im Du auf Gott hin) in Confessiones 1, 9, 14: „Gott, mein Gott, was für ein Elend und was für einen Schwindel habe ich da erlebt: Man stellte mir als Jungen die Lebensregel auf, denen zu gehorchen, die mich anhielten, es in dieser Welt zu etwas zu bringen und mich auszuzeichnen in den sprachlichen Fertigkeiten, die Ehre bei den Menschen und trügerischen Reichtum einbringen. Deswegen schickte man mich zur Schule. Ich sollte lesen und schreiben lernen. Ich in meinem Elend sah nicht ein, wozu das nützen sollte. Aber wenn ich faul war beim Lernen, schlug man mich. Die Erwachsenen fanden das sogar gut: Die Vielen, die vor uns ein derartiges Leben führten, hatten die Leidenswege eingerichtet, die man uns zu gehen zwang, damit es noch mehr Mühsal und Schmerz gebe für die Kinder Adams.“

(Vgl. Nietzsche, Zarathustra, Von den Taranteln: „Es gelte, dass der Mensch erlöst werde von der Rache.“16)

16 Friedrich Nietzsche, Werke. München 1967, S. 611, „dass der Mensch erlöst werde von der Rache“

Augustinus wird lateinisch erzogen, kaum ausreichend im Griechischen, die Bildung ist recht einseitig literarisch. Auswendiglernen der Klassiker! Vergil, Terenz, Cicero angereichert durch Episodenwissen aus Fabeln, Naturkunde, Medizin, dazu Rhetorik und Mythologien.

Der Bischof urteilt über diese Jugendzeit hart. In Confessiones I, 17, 27 schreibt er: „War das alles nicht nur Wind und Rauch? Hätte es sonst nichts gegeben, woran ich Herz und Zunge hätte üben können?“

Bevor Augustinus sein Studium abbricht, um vielleicht als Rhetoriklehrer oder Staatsbediensteter zu arbeiten, stößt er noch auf Ciceros heute verlorene Schrift „Hortensius“, in der ihm ein leidenschaftlicher Aufruf zu wirklicher Philosophie und Weisheitslehre begegnet.

Augustinus ist schon Anfang dreißig.

Die große Wende naht. In Mailand empfängt er die Taufe, maßgeblich unter dem Einfluss des Bischofs Ambrosius, dem er, mittlerweile als aufstrebender Rhetor am dortigen kaiserlichen Hof, voller Zweifeln und Suchen und Ringen, begegnet.

Spiritualität – Sprache der Unruhe, Sprache der Sehnsucht

Sehnsucht als Anfang von allem, das, was Thomas von Aquin „desiderium naturale“ nennt, als Grund im Menschen in seiner Gottsuche – als Gottgrund, als Keim Gottes-immer-schon in jeder und jedem, als Gottes Sehnsucht nach uns. Wozu, wohin? Zu einer Begegnung, zu einer Beziehung, zum unfasslichen gegenseitig-schwingenden Du.

Das ist auch der Ausgang des Augustinus, diese Ruhelosigkeit im Genügen eines spätantiken Menschen, mit einer gediegenen Ausbildung, mit gehobener Sprachfähigkeit und zunehmend etabliertem Lebensstand.

Da ruft und sucht etwas in ihm!

Hören, lesen Sie selbst, wie das in ihm spricht und klingt, zunächst in seinem Psalmenkommentar, dann in den Confessiones:

In seinem Kommentar zu Psalm 42 (in der Zählweise des Augustinus war dies ehedem der 41. Psalm) legt dieser, Verse aus dem Psalm vergegenwärtigend, diese aus in der Weise der allegorischen Schriftbetrachtung, also in einer Form, diese Verse als BewegungGottes im mystischenJesusChristus auf seine, auf des Menschen Existenz bruchlos zu beziehen. Es ist eine Auslegung in beständiger Zwiesprache als Selbstgespräch(Qualität des „mit sich selbst im Gespräch sein“), als Gespräch mit dem imaginären Du des Lesenden, als Tiefengespräch der Seele mit dem sie selbst gründenden, tragenden, ewigen Gottgrund)!

Was die Confessiones episch-schildernd und lyrisch-refklektiert der Lebensgeschichte des Augustinus geben, dass befragt, jubelt, erleidet, ersehnt, ersinnt, betet in ausgefalteter Innerlichkeit der Psalmenkommentar („Ennerationes in Psalmos“) des Augustinus zum Kerngebet der Kirche.

Existenzialität des im Glauben suchenden Menschen, der zuvor heimgesucht, im immer vertrauteren Gespräch („seit ein Gespräch wir sind/ und hören können voneinander“ – Hölderlin, Friedensfeier17) ist und mit dem unergründlichen, unfasslichen, unendlichen Gegenüber und zugleich Innersten – mit Namen Gott.

17 Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe Band 1. München, Wien 1998, S. 361.

Im Kommentar heißt es also bei Augustinus zu dem Psalm (42/41) mit dem berühmten Anfang: „Wie ein Hirsch dürstet zu den Wasserquellen, also dürstet meine Seele zu Dir, mein Gott.“:

„Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens. Er ist zugleich Quelle und Leben, denn: ‚In Deinem Lichte schauen wir das Licht’ (Ps 35/36, 10). Sehne dich nach diesem Licht, einem Quell, einem Licht, wie es deine Augen nicht kennen, Licht, das zu schauen das innere Auge sich bereitet, Quell, den zu schlürfen der innere Durst entbrennt … Was heißt: wie ein Hirsch? Dass keine Trägheit im Laufe sei …

Es dürstet meine Seele zum lebendigen Gott. Was erdürstet sie? Wann komme ich und erscheine vor dem Antlitz Gottes? Das ist’s, wonach sie dürstet: Kommen und erscheinen… Wann? Was für Gott bald ist, das ist spät für die Sehnsucht …

Wo ist dein Gott? Ich sehe nämlich, was mein Gott gemacht, nicht aber sehe ich meinen Gott selbst, der es machte … groß ist die Schönheit der Erde, aber sie hat einen Bildner… Ich suche den Bildner, ich blicke zum Himmel und zur Schönheit der Gestirne, zum Glanz der Sonne, reich den Tag aufstrahlen zu lassen, zum Mond, Tröster nächtlicher Finsternisse. Wunderbar ist dies, lobwürdig ist dies, oder auch bestürzend … aber noch steht mein Durst nicht still … Ich kehre zu mir zurück und forsche, wer ich, der also Forschende, bin … Ich entdecke, dass die Seele ein Besseres ist als der Leib … Was es sei, muss ich innerlich sehen … Was weder Farbe ist, noch Klang, noch Duft, noch Geschmack. Man sage mir doch, welche Farbe die Weisheit hat … Und doch ist sie innen da, und ist schön, und ist lobwürdig, und ist sichtbar … Es ist also etwas, was die Seele sieht … nicht durch Augen des Leibes … sondern durch sich selbst … , ist durchaus, denn sie sieht sich selbst durch sich selbst … Aber ist nun Gott ein solches? … Wo ist dein Gott? Sie sucht eine gewisse unwandelbare Wahrheit, ein mangelloses Dasein. Nicht so der Geist selbst: er nimmt ab, nimmt zu, weiß und weiß nicht, erinnert, vergisst, will nun dies, nun das … Wo ist dein Gott?“18

18 Augustinus, Über die Psalmen. Ausgewählt und übertragen von Hans Urs von Balthasar. Leipzig 1936, S.66f.

Und nun vergegenwärtigen wir in Korrespondenz zu diesem Psalmenkommentar den berühmten Eingang seiner Confessiones (Buch I, I.1-II.2) und vernehmen den nämlichen Ton in diesem Zentralwerk der Menschheitsgeschichte im Sinne einer radikalen Introspektion, im Ruf nach Inwendigkeit als Suchbewegung nach dem alles tragenden Grund. Auf die Fragen hören! Auf die Frage in den Fragen, die Fragen nach wahrem Selbst und wahrem Gott und wahrem Leben.

Die Methode dazu hatte Augustinus bereits in „De vera religione 39, 72, 202 genannt: „Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas.“(Geh nicht nach draußen, in dich selbst kehre zurück. Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit.“; vgl. Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd. 2: Mittelalter, hg. v. Kurt Flasch. Stuttgart 1982)

Ein Hymnus nun in den Confessiones, ein Hymnus aus Gebet und einer Fülle unabweisbarer Fragen, voll existentieller, bohrender Intensität, mit Psalmversen und Schriftworten im Hintergrund (allein in diesen ersten zwei Passagen finden sich Worte aus folgenden Werken der Heiligen Schrift integriert, ja einverleibt in seinen Text: Psalmen 145/ 147/22/139 nach neuer Zählung; 1 Petr 5,5 und Jak 4,6; Röm 10, 14 und Röm 11, 36; Jer 23, 24), mit Philosophie im Hintergrund – und doch Bekenntnis als Beten, ausgefaltete Spiritualität, in der große Fragen und kleinste Alltagsdetails dem Betenden zum Absprung ins je größere Du-in-über werden:

So hebt der Anfang der Confessiones (Erstes Buch, I.1-II.2) an:

I.1. „Groß bist du, Herr, und höchsten Lobes würdig. Groß ist deine Macht, und deine Weisheit, unermesslich, hat keine Grenzen. (Vgl. Psalmen 145,3 und 147, 5) Und dich will loben ein Mensch, irgend so ein Fragment deiner Schöpfung, ein Mensch, der seine Sterblichkeit mit sich herumschleppt, schwer trägt an seiner Sünde und daran, dass du den Hochmütigen widerstehst (Vgl. 1 Petr 5,5 und Jak 4,6). Und dennoch will dich loben der Mensch – irgend so ein Fragment deiner Schöpfung. Du treibst ihn an, dass er seine Freude daran finde, dich zu preisen, denn du hast uns geschaffen zu dir hin, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhevoll ist in dir.

Gib mir, o Herr, dass ich verstehe und einsehe, was das erste ist – dich anrufen oder dich preisen, erst dich erkennen oder dich anrufen? Aber wer ruft dich, ohne dich zu erkennen? Wer dich nicht erkennt, kann dich beim Anrufen mit etwas anderem verwechseln. Oder ruft man dich nicht doch etwa an, um dich zu erkennen, um erkannt zu werden? Wie aber soll man den anrufen, an den man nicht glaubend geworden ist? Wie soll man an den glauben, ohne dass jemand dich kündet? (Vgl. Röm 10, 14) Die den Herrn suchen, die werden ihn preisen. (Vgl. Psalm 22, 27). Denn wer sucht, der findet ihn, und wer ihn findet, wird ihn preisen. Suchen will ich dich, o Herr, indem ich dich anrufe, und dich anrufen und darin an dich glauben. Denn du bist uns gekündet worden. Dich, o Herr, ruft mein Glaube an, den du selbst mir eingegeben hast, den du mir einhauchtest durch die Menschwerdung deines Sohnes und durch den Dienst dessen, der dich kündet.

II.2. Aber wie kann ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, da ich ihn doch in mich hineinrufe, wenn ich ihn anrufe? Und wo ist die Stätte in mir, wohin mein Gott kommen soll? Wohin in mir soll Gott denn kommen, Gott, der geschaffen hat Himmel und Erde? Gibt es denn wirklich, Herr, mein Gott, irgendetwas in mir, was dich fassen könnte? Fassen dich denn Himmel und Erde, die du geschaffen hast und in denen du mich, mit ihnen zusammen, geschaffen hast? Oder fasst dich alles, was ist, notwendig nur, weil es ohne dich nicht wäre? Ich bin doch auch – was begehre ich dann, dass du in mich kommst, der ich nicht wäre, wenn du nicht in mir wärst? Bin ich noch nicht in der Unterwelt, so bist du auch dort. Und stiege ich hinab zur Unterwelt, du bist da. (Vgl. Psalm 139, 8). Ich also wäre nicht, mein Gott, ich wäre überhaupt nicht, wenn du nicht in mir wärst. Oder wäre ich etwa, wenn ich nicht in dir wäre, aus dem alles, durch den alles, in dem alles, das Allsamt ist? (Vgl. Röm 11, 36) Ja, gewiss, auch das ist wahr, o Herr. Wohin aber soll ich Dich rufen, da ich in dir bin? Und von wo kämst du in mich? Wohin soll ich denn schwinden, über Himmel und Erde hinaus, damit von dort mein Gott zu mir, in mich käme, der da gesprochen hat: ‚Bin nicht ich es, der Himmel und Erde erfüllt’? (Vgl. Jer 23, 24)“

(Übersetzungsversuch: Markus Roentgen)

Literatur:

Augustinus, Bekenntnisse, eingeleitet und übersetzt von Kurt Flasch u.a. (=Reclam 2792). Stuttgart 1989. Aurelius Augustinus, Über die Psalmen, ausgewählt und übertragen von Hans Urs v. Balthasar. Leipzig 1936. Ernst Dassmann, Augustinus. Heiliger und Kirchenlehrer. Stuttgart u.a. 1993.

Leben und Werk II

Augustinus lebt zu einer Zeit, da das Christentum Staatsreligion wird19

19 (unter Kaiser Theodosius 379/395).

Wichtiger jedoch als dieses äußere Ereignis ist für die geistige und geistliche Entwicklung die Präsenz und Bedeutung der geistlichen Theologie seiner Zeit. Mit Augustinus überschneiden sich die großen Klassiker des spätantiken Christentums (um nur einige zu nennen – Athanasius, Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomus im Osten; im Westen Ambrosius, Hieronymus, Leo der Große). In dieser Zeit also findet die Kirche ihre bleibende Gestalt der Theologie, sie ringt mit den Extremen (Arius, Nestorius, Pelagius u.a.) um ihre Gotteslehre und Christologie. Zudem fasziniert das neu sich begründende Mönchtum junge Menschen in der Suche nach einem Lebensweg im Ringen um Wesentliches!

Mit dieser Kirche nun kommt Augustinus in Mailand besonders tief in Berührung.

Das Lesen des Hortensius des Cicero hatte vorbereitet, in dem er nur den Namen Christi nicht finden kann (Confessiones 3,4,8). Diesen Namen jedoch hatte seine Mutter Monika ihm von Geburt an eingeprägt. Sie, deren sanftzäher Einfluss im Ringen um seine Lebensform und seine Entwicklung, durchaus auch in Ambivalenz (Vgl. Jostein Gaarder, Vita brevis. München 1997) kaum überschätzt werden kann.

Guardini hat darauf hin gewiesen, dass sie der einzige Mensch ist, der aus Augustinus Leben nicht weggedacht werden kann.

Augustinus gerät in seine erste große Krise. Ihm widerfährt nun aus seinen inneren Regungen der Formalismus und die Leere seines bisherigen geistigen Weges; er wird der Rhetorik überdrüssig.

Der Hortensius des Cicero hatte ihn aufgerufen, nach wirklicher Weisheit zu suchen; jedoch gab es darin keine Christusbegegnung, der Name Jesu wird darin von Augustinus vermisst – er wendet sich der Lesung der Heiligen Schrift zu.

Und – er scheitert wiederum, es scheitert in ihm!

Stil und Sprache erscheinen ihm zweitrangig, das Kreuz bleibt ästhetisches Ärgernis, bleibt ScandalumCrucis!

Augustinus hadert mit einem Gott, der sich durch eine, für ihn, derart „barbarische“ Sprachform äußert.

Dass es KenoseGottes ist, sich überhaupt in den Verfallsduktus menschlicher Sprache hinein zu geben, dass Selbst-Offenbarung immer auch eine Verdunkelungsgefahr, eine Selbst-Erniedrigung Gottes ist, das geht dem jungen Augustinus noch nicht auf!

Gott – in so dürftigen Sätzen! Welch ein Ärgernis; Gott am Kreuz, welch ein Skandal, welche Torheit (vgl. 1Kor 1, 19 ff.)

Augustinus schreibt in den Confessiones (Conf. 3, 5, 9): „Daher beschloss ich, mich der Heiligen Schrift zu widmen, um zu sehen, wie es mit ihr wäre. Und siehe! Da ist etwas, was die Hochmütigen nicht heranlässt und sich auch den Kleinen nicht enthüllt, sondern nieder ist fürs Eingehen, beim Vorangehen erhaben wird und sich ins Geheimnis schleiert; und ich, wie ich damals war, hätte nicht vermocht, hineinzugelangen oder den Nacken zu beugen, um in der Sache voranzukommen. Denn nicht so, wie ich jetzt davon rede, urteilte ich damals, als ich mich der Schrift zuwandte, vielmehr erschien sie mir unwürdig, mit der Würde des Ciceronischen in Vergleich zu treten; ja, mein geschwelltes Pathos sträubte sich wider ihre unscheinbare Weise, und meine Sehkraft reichte nicht in ihr Inneres hinein. Und gerade ihre Art wäre es gewesen, zu wachsen mit den Kleinen, ich aber hielt es unter meiner Würde, ein Kleiner zu sein; vom Hochmut nur geschwollen, deuchte ich mich groß.“(Übersetzung von Joseph Bernhart)

Nach dem Scheitern an der Heiligen Schrift und seiner Enttäuschung darüber erscheint der Manichäismus Augustinus für eine Zeit verlockend, diese christliche Sekte mit ihrem entlastenden Dualismus im Grunde, scheinbar rationalistisch, erscheint ihm zunächst vernünftiger und freier – beinahe zehn Jahre ringt Augustinus mit dieser Richtung, die der Heiligen Schriften Israels sich entledigt hatte und Christus nur in einem reduzierten Paulustext akzeptierte. Das Gespräch mit dem Manichäerbischof Faustus von Mileve wird zur großen Ernüchterung für Augustinus. Enttäuscht erscheint ihm nun radikaler Skeptizismus als einzige Lösung seiner Fragen. Dessen resignativer Verzicht auf Wahrheit und Erkenntnis wirkt faszinierend. Er mündet in einer fast descartschen („Cogito, ergo sum. – „Ich denke, also bin ich.“) Formel: „Si enim fallor, sum“(„wenn ich mich täusche, bin ich“) – und ist bis heute, für die vielen agnostisch sich bestimmenden Menschen von, wie es scheint, großer Evidenz.

Augustinus schreibt in den Confessiones (Conf. 5, 10, 19): „Allgemach wuchs ja auch in mir der Gedanke, die gescheitesten von allen Philosophen seien doch die üblich so genannten Akademiker gewesen, weil sie der Ansicht waren, man müsse an allem zweifeln, und sich für den Satz entschieden, der Mensch sei nicht imstande, irgendwelches Wahre in seinen Griff zu bekommen.“(Übersetzung Joseph Bernhart)

Später wird er, in De civitate Dei (Gottesstaat) 11, 26 (Bkv 2/16, 184 f) dies kommentieren und aufheben: „Wenn ich mich täusche, dann bin ich. Wer nicht ist, kann sich nicht täuschen; demnach bin ich, wenn ich mich täusche. Wenn ich also bin, wenn ich mich täusche, wie sollte ich mich über mein Sein irren, da es doch gewiss ist, gerade wenn ich mich irre. Also selbst wenn ich mich irre, so müsste ich doch eben sein, um mich irren zu können, und demnach irre ich mich ohne Zweifel in dem Bewusstsein, dass ich bin.“

Augustinus muss nach Mailand gehen, um im Kreis um Bischof Ambrosius (gleichsam ein Kreis katholischer Intellektueller) sich endgültig von Manichäismus und Skeptizismus zu lösen. Seine Sehnsucht nach einer Lebensentscheidung drängt ihn, das Joch des Glaubens auch tragen zu können. Ambrosius überzeugt durch das Ineins von persönlicher Integrität im Leben aus dem Glauben, bringt Augustinus die geistliche (allegorische und heilsgeschichtliche) Auslegung der ganzen Heiligen Schrift nahe und ist auch in philosophischen Fragen geschulter, als lange Zeit angenommen wurde. Der Neu-Platonismus (Plotin etwa) ist anschlussfähig an das Christentum – überwunden wird der prinzipielle Dualismus; Gott allein ist einziges Prinzip allen Seins, das Böse, das „malum“ keine selbständige Wirklichkeit, vielmehr Mangel an Sein! Es bedarf nur noch einer winzigen Drehung zur vollen Entschiedenheit. Die berühmte Gartenszene, beschrieben im 8. Buch der Confessiones naht, in der Augustinus durch das Hören einer Kinderstimme veranlasst wird, die Heilige Schrift aufzuschlagen, das ihm Zukommende zu nehmen und zu lesen: „Tolle, lege! Tolle, lege! (Nimm und lies!)“(Confessiones 8, 29)

Spiritualität – Krise als Wende und Öffnung, Krise als Bruch und Heilung

Guardini schreibt wunderbar tiefgründig über die Kraft und Not und die Not-Wendigkeit der Krisis und der Skepsis bei Augustinus. In seinem nach wie vor sehr eindrücklichen Werk: „Die Bekehrung des Aurelius Augustinus“(S. 213 ff.) im Part über die Krisenzeit Augustinus in Rom und Mailand heißt es: „Die Anlage zur Skepsis ist in Augustinus immer lebendig gewesen. (…) Zu dieser gehört vor allem eine besondere Hinordnung auf das Absolute; das Verlangen, zu ihm zu kommen, von ihm erfasst, erfüllt, überwältigt zu werden. Zugleich ein sehr waches Empfinden für die Uneigentlichkeit des Endlichen; auch des endlichen Aktes, seiner Vollzugs- und Erfahrungskraft. Daraus entsteht ein Missverhältnis, das in jedem Erkenntnisakt durchempfunden wird. Sollte diese Sinnesart wirklich befriedigt werden, dann müsste der Erkenntnisvorgang den Geist vollkommen erfüllen und übermächtigen; das erst ergäbe die ersehnte Ruhe. Zu einem solchen Wahrheitsvollzug ist aber die endliche Erkenntniskraft nicht fähig; immer bleibt die Macht des Denkvollzugs hinter dem Gültigkeitsanspruch des gedachten Inhalts zurück. Aus diesem Rest entsteht ein beständiges Unzulänglichkeitsgefühl: eben die Skepsis.

Diese Art der Skepsis scheint mit der mystischen Anlage verbunden zu sein; ja vielleicht stellt jene besondere Beziehung zum Absoluten, von der die Rede war, schon die vordere Schicht ebendieser mystischen Anlage dar. So die Erkenntnis in Frage stellen, wie es hier geschieht, kann vielleicht nur, wer in einer, ihm selbst unter Umständen ganz unbewussten, Rückverbindung zum Religiös-Absoluten steht. Und erst wenn diese mystische Möglichkeit sich verwirklicht, wird die Skepsis geheilt. Sie erst gibt der ganzen Existenz jene Wirklichkeits- und Sinngrundlage, deren diese bedarf. (…) Augustins Skepsis steht jedenfalls in enger Beziehung zu seiner Lehre vom wesenhaften Hunger der Seele nach Gott; von der Liebesbewegung auf Ihn hin und von der Bedeutung der Liebe im Erkenntnisakt…“

Dass dieses Ringen und Suchen und Zweifeln alles andere sind als Kopfgeburten, dass sie existentiell erfahren und erlitten werden (Auseinandersetzung mit der Mutter, Ringen um seine Sexualität, Erfahrungen von Krankheit zum Tode eines Herzensfreundes) und auch noch in der „Nachschrift“ der Confessiones derart erkennbar bleiben, dies macht die Aktualität Augustins für uns aus (auch wenn seine Lösungen und Entscheidungen bisweilen befremden müssen). Er ist ein Existenzdenker im Ringen um seine authentische Lebens- und Glaubensform.

Hören wir zum Abschluss des 2. Teiles einen Abschnitt aus dem 4. Buch der Confessiones und einen weiteren aus dem 10. Buch.

Sie lassen erahnen, warum Augustinus erst mit fast 32 Jahren darum bat, getauft zu werden.

Als sein Freund stirbt, schreibt Augustinus zurückblickend über sein Empfinden:

„Vom Schmerz darüber ward es finster in meinem Herzen, und was ich ansah, war alles nur Tod. Die Heimat war mir Qual, wunders unselig das Vaterhaus, und alles, was ich gemeinsam mit ihm (dem Freund) erlebt hatte, war ohne ihn verwandelt zu grenzenloser Pein. Überall suchten ihn meine Augen, und er zeigte sich nicht. Und ich hasste alles, weil es ihn nicht barg und nichts von allem mir noch sagen konnte: ‚sieh, bald kommt er’, so wie es ehemals gewesen, wenn er eine Weile nicht zugegen war. Ich war mir selbst zur großen Frage geworden (Factus eram ipse mihi quaestio…), und ich nahm meine Seele ins Verhör, warum sie traurig sei und mich so sehr verstöre, und sie wusste mir nichts zu sagen. Und wenn ich ihr sagte: ‚Hoffe auf Gott’ (Augustinus zitiert hier Psalm 42, 5), so gab sie billig kein Gehör: denn wirklicher und besser war der Mensch, mit dem sie den Liebsten verloren hatte, als der Truggott (zu dieser Zeit war Augustinus Gottesbild noch manichäisch geprägt), auf den zu bauen sie geheißen war. Einzig das Weinen war mir süß, und es war an meines Freundes Statt gefolgt als die Wonne meines Herzens.“(Confessiones 4,4,9, übersetzt von Joseph Bernhart)

Und im zehnten Buch schreibt er, in einer der schönsten Passagen der Confessiones, wie in einem Hymnus, wie in einem Sehnsuchtsgebet, auf seine so lange Suchbewegung auf Gott hin:

„Spät erst habe ich dich geliebt, Schönheit du, immer alt und immer neu, spät erst habe ich dich geliebt. Siehe, du warst innen, und ich war draußen. Dort habe ich dich gesucht. Formlos stürzte ich mich in die Formschönheit, die du gemacht hast. Du warst bei mir, aber ich war nicht bei dir. Die Dinge, die gar nicht wären, wären sie nicht in dir, sie hielten mich fern von dir. Du hast gerufen, geschrien, hast meine Taubheit aufgebrochen. Du hast geleuchtet wie ein Blitz über mir und hast meine Blindheit verjagt. Du hast deinen Wohlgeruch ausgeströmt, ich habe ihn eingeatmet und wittere dich. Geschmack habe ich an dir gewonnen, jetzt hungere und dürste ich. Du hast mich berührt, und ich brenne vor Sehnsucht nach deinem Frieden.“(Confessiones 10, 27, 38, übersetzt von Kurt Flasch).

Literatur:

Romano Guardini, Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen. München 1950. Augustinus, Confessiones/Bekenntnisse (lateinisch und deutsch), eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart. München 1955.

Leben und Werk III

Augustinus wird in der Osternacht des Jahres 387 zusammen mit seinem Freund Alypius, mit seinem Sohn Adeodatus und weiteren Gefährten von Ambrosius getauft.

Schon 391 beginnt Augustinus Dienst als Priester, dann als Bischof von Hippo Regius.

Dies gestaltet sich alltäglich aus bis zu seinem Tod im Jahr 430, am 28. August. Die Stadt ist da von den Wandalen belagert.

Es ist erstaunlich, dass Augustinus als suchender Mensch, in seiner Selbstbeschreibung als Sünder, in der Ambivalenz seines Umgangs mit seiner, in den „Confessiones“ namenlos gebliebenen Gefährtin, mit dem gemeinsamen Sohn, der bei Augustinus bleiben wird und mit ihm zusammen von Ambrosius getauft wird, ein vielfach bedachter Mensch ist.

Danach, in der Zeit als Priester und Bischof, als späterer Heiliger der Kirche, ist er als Person weithin unbekannt geblieben.

Bis zur Bekehrung brisant, er, der geniale Sucher – aber was nachher kommt erscheint eintönig und langweilig wie alle Tugend alltäglicher Bewährung!

Die Niederungen des Alltäglichen scheinen der Öffentlichkeit unerheblich; dabei bewährt sich doch da, und im Wesentlichen da, ein Leben – in den Tagen, die ablaufen oft wie gleichförmige Perlen einer schlichten Kette.

Nicht der funkelnde Edelstein hält zusammen, vielmehr die Bindung durch das, was den Tag je ausformt.

Der Edelstein, das Genie, mag das Zündende, das Leuchtende geben – aber Charisma braucht Form, und der Blitzeinschlag mystischer Gotterfahrung braucht die Ebenen alltäglicher Bewährung in Begegnungen, Aufgaben, Anfragen, Zuweisungen, wie der Tag sie abringt.

Das ist auch mit jeglicher spirituellen Lebensform so.

Mehr als dreißig Jahre hat Augustinus gesucht – aber mehr als vierzig Jahre hat der Bischof von Hippo Regius mit dem Schatz gewirkt, der in ihn von Gott hinein gelegt wurde.

Eigentlich eine geniale Künstlernatur, ein brillianter Sensibler – und nun lebt dieser groß angelegte Mann in kleinem Milieu einer zweitrangigen Hafenstadt Nordafrikas.

Alltags-Augustinus!

Hippo Regius wird zur Regel seiner Tage – seine Reisen zu Predigten und Vorträgen, zur Mitwirkung an größeren kirchlichen Prozessen bilden die Ausnahme.

Bittsteller, Bettler, Gottesdienst, Leitung, die Regelpredigten und Katechesen – Tagesgeschäft.

Und, vom Schreibtisch aus, in seinen Schriften, wie bereits ausgeführt, motiviert durch die einander bekämpfenden Richtungen im Christentum und am Rand des Christlichen, nimmt er Stellung.

Das Grundsätzliche seines Denkens, seine Theologie, formt sich aus der Not alltäglicher, geschichtsbezogener Fragestellungen – und sucht darin profunde, klärende Wendigkeit: Not-Wendigkeit!

Von der Cathedra, vom Bischofsstuhl einer drittrangigen Residenz sendet er schreibend Welle um Welle hinaus, „die Nöte und Sorgen des Christenvolkes gaben ihm die Themen und den Stil seiner erhabensten Werke ein, so dass das Genie dem Seelsorger dienstbar wurde.“ (F. van der Meer, Augustinus, a.a.O., S. 15).

Augustinus wurde dies gegen seinen Willen, ein beschauliches, abgeschiedenes Leben unter Freunden in mönchischer Zurückgezogenheit hatte ihm vorgeschwebt. Für drei Jahre hatte der Professor der Rhetorik sich in die Mönchskutte verborgen und mit Freunden ein abgeschiedenes Leben gewählt, als er, der Ahnungslose, vom Markt in Hippo Regius aufgegriffen wird von Männern, die ihn, der nur zur Feier der Sonntagsmesse in die Bischofsstadt gekommen war, vor den alten Bischof Valerius zerrten, damit dieser ihnen einen neuen Bischof gebe. Er war bekannt durch sein Vorleben, durch seine Wortmächtigkeit und seine Entschiedenheit zum mönchischen Leben in der Zeit nach seiner Bekehrung. Aber drei Jahre waren genug.

Valerius legt ihm die Hände zur Priesterweihe auf. Bald löst Augustinus seinen alten Vorgänger in dieser Stadt als Bischof ab.

„Der feinsinnige Grübler sah sich plötzlich in die lärmende Volksmenge einer Hafenstadt versetzt, wo die Schismatiker mit einer Riesenkirche, fetten Pfründen, zahlenmäßiger Überlegenheit (…) in allen Fragen des Glaubens den Ton angaben und wo der (alte) katholische Bischof die Menschen wohl verstand, aber nicht mit einem eindringlichen Wort zu fesseln wusste. Seine klösterliche Atmosphäre konnte er nach Hippo verpflanzen – Valerius gab ihm ein Haus mit Garten nahe beim Dom -, doch mit der klösterlichen Beschaulichkeit war es vorbei. Er war ein Gefangener im Herrn geworden, und zwar gerade im umgekehrten Sinne wie der Apostel. Plötzlich sah er die alltägliche Wirklichkeit vor sich, fern von den philosophischen Schulen und den ewigen Ideen. Nun rückten ihm die christlichen Mysterien fühlbar auf den Leib: sie wurden konkret im täglichen Gottesdienst und banden ihn zugleich in die Gemeinschaft, indem sie ihn mit der Sorge für ein unwissendes Volk beluden, das noch dazu durch ein sinnloses Schisma in zwei Teile auseinanderfiel.“(F. van der Meer, Augustinus, a.a.O., S. 24f.)

Er, der zweite Begründer des alten Glaubens, wie er oft benannt wird, verdankt die Themen seines Werkes den konkreten Anliegen der Deutung christlichen Lebens. Bewegt von den Fragen zu Gnade und Freiheit, Einheit und Heiligkeit der Kirche geschieht dies aus primär seelsorglichem Blick in den Jahren 391-426. Stellen wir uns einen kleinen Mann vor, eher fragil, zerbrechlich von Statur, in einen grauen Wollmantel gehüllt, so die frühesten Beschreibungen seiner Gestalt, die ihn genauer fasst als die Bilder, die ihn zeigen mit den bischöflichen Würdenkleidern.

Nur ein Werk, das über „Die Dreieinigkeit“, entsteht aus reiner theologischer Spekulation.

Ansonsten gilt es nun, einen Genius, einen Denker auf Weltniveau mit kleinen Strichen zu zeichnen, zart und zäh zugleich in den Forderungen des Tages. Tausend Predigten, hunderte Briefe sind erhalten; er ist sich nicht zu schade, auch Volksfrommes einzubeziehen.

Der christlich-bischöfliche Tag dieses Menschen setzt sich zusammen in einem Werk, das eine Unsumme von Gedanken und Ideen entwickelt anhand von Traktaten, Büchern, Kommentaren, Briefen und Sermones, Perlen der Weltliteratur, psychologisch Geniales, darin wie beiläufig, die Entdeckung menschlicher Subjektivität in der ersten, bis heute unübertroffenen Autobiografie, den „Confessiones“ – all dies nicht als das einsame Höhenwerk eines abgehobenen Denkers, vielmehr, eben und gerade auch die „Confessiones“, eine Gelegenheitsschrift. „Freunde hatten ihn gedrängt, sich gegen persönliche Angriffe der Donatisten, die die moralischen Qualitäten des Bischofs wegen seiner manichäischen Vergangenheit in Frage stellten, zu wehren. Dass dann aus einer solchen apologia pro vita sua die Confessiones wurden, ist wiederum das Geheimnis des Genies Augustinus.“(Dassmann, Augustinus, a.a.O., S. 25.)

Spiritualität – Alltägliche Gottverbundenheit in den Anforderungen des Tages

Die „Confessiones“ bauen sich dreiteilig auf, Buch 1-9 sind biografischer Rückblick und Durchblick zum eigenen Leben, Buch 10 enthält die auch philosophisch bedeutsame Memoria-Lehre über das Gedächtnis und das Erinnern (wobei Memoria noch viel mehr bedeutet bei Augustinus als nur „Erinnerung“ oder „Gedächtnis“, es ist ein offener Begriff über die unausschreitbaren Hallen der gesamten Innerlichkeit des Menschen), worin Augustinus auch sich selbst zeitgleich, also gegenwärtig wird, schließlich, und erstaunlich, enthalten die Bücher 11-13 eine Auseinandersetzung und Auslegung zum Schöpfungsbericht des Buches Genesis der HeiligenSchrift. Diese letzten drei Bücher verwundern in ihrer Zugehörigkeit zu den Confessiones, in manchen Ausgaben wurden sie deshalb auch weg gelassen.

Ein spiritueller Grund der Komposition der „Confessiones“ könnte darin bestehen, die Schlüsselstellung von Buch 10 auch im Aufbau des Werkes abzuzeichnen (Buch 1-9 Vergangenheit – memoria-; Buch 10 Gegenwart – contuitus-; Buch 11-13 Zukunft – expectatio-, mit hoch beachteten philosophische Passagen über das Rätsel der Zeit selbst in Buch 11). So wären die biografischen Teile auch ein Reflex auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32), der heim kehrt zum himmlischen Vater als confessio peccati, die übergeht in die confessio fidei des nun gläubig Gewordenen hin zu einer Vision kosmischer Erlösung, die, weiß Gott, in Gänze noch aussteht, aber durch die Meditation und Vision der ewigen Sabbatruhe des noch nicht ins Ziel gekommenen 7. Schöpfungstages im Buch 13 zumindest den von einem Menschen zu ahnenden Schlussstein einer universalen erlösten Heimkehr des Menschen und der Schöpfung in und mit und zu Gott zu beschreiben sucht.

In den Retractationes beschreibt Augustinus selbst einmal die Konzeption seiner Confessiones wie folgt:

„Die dreizehn Bücher meiner Bekenntnisse loben den gerechten und guten Gott um meiner Übel wie auch um meiner Güter willen und treiben den menschlichen Geist und sein Gefühl zu ihm hin…Vom ersten bis zum 10. Buch handeln sie über mich, die drei letzten Bücher handeln über die Heilige Schrift von der Stelle an: ’Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde’ bis zur Sabbatruhe.“20

20 Augustinus, Retractationes 2,6,1, zitiert nach C.J. Perl, Die Retractationen in zwei Büchern. Paderborn 1976, S. 157.

Hier sollen nun Passagen folgen, die uns Augustinus, den Bischof und Prediger und Seelsorger im Alltag erahnen lassen, um eine Vorstellung zu finden von der Kraft seines Wortes, von der existentiellen Dynamik seiner fragend betenden Sprache, die das suchende, hoffende, glaubende und liebende Herz des Menschen anspricht.

Zunächst einen Satz nur aus dem 10. Buch, einen der schönsten: „Da quod iubes et iube quod vis“ „Gib, was Du verlangst, dann verlange, was Du willst“, so betet er in Confessiones 10, 29, 40. In dieser kurzen Sequenz wird ja ein Kern seiner Gottesbeziehung deutlich. Gott ist gut und gerecht – und alles, was von Gott kommt, kann von dort her nur zum Guten und Richtigen des Menschen sein.