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Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. »Guck mal weg«, sagte Iris, als sie kam. Sie hielt mit der linken Hand hinter dem Rücken etwas versteckt. Um den Mund ihrer Schwester vertiefte sich das Lächeln zum Empfang. »Warumsoll ich weggucken?«, fragte Carolin. »Darum«, kam es prompt zurück. »Verzieh dich in die Küche und mache uns einen Kaffee, wenn ich bitten darf.« »Das wollte ich sowieso«, wandte sich die junge Frau ab. »Du wirst ihn brauchen können.« Iris begab sich ins Wohnzimmer. Dort nahm sie eine hohe, schmale Vase aus dem Schrank, sie kannte sich ja hier aus. Nebenan im Bad füllte sie diese mit Wasser und gab die langstielige rote Rose hinein. Es müss? te die allerschönste sein, die sie in ihrem Geschäft hätte, so hatte ihr Nichtchen dringlich am Telefon zu ihr gesagt. Nun, eine der schönsten aus ihrem reichhaltigen Sortiment war es gewiss. Silvie würde zufrieden sein. Iris musste lächeln, als sie an Carolins kleines Mädchen dachte.
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2025
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»Guck mal weg«, sagte Iris, als sie kam. Sie hielt mit der linken Hand hinter dem Rücken etwas versteckt.
Um den Mund ihrer Schwester vertiefte sich das Lächeln zum Empfang.
»Warumsoll ich weggucken?«, fragte Carolin.
»Darum«, kam es prompt zurück. »Verzieh dich in die Küche und mache uns einen Kaffee, wenn ich bitten darf.«
»Das wollte ich sowieso«, wandte sich die junge Frau ab. »Du wirst ihn brauchen können.«
Iris begab sich ins Wohnzimmer. Dort nahm sie eine hohe, schmale Vase aus dem Schrank, sie kannte sich ja hier aus. Nebenan im Bad füllte sie diese mit Wasser und gab die langstielige rote Rose hinein. Es müss?te die allerschönste sein, die sie in ihrem Geschäft hätte, so hatte ihr Nichtchen dringlich am Telefon zu ihr gesagt. Nun, eine der schönsten aus ihrem reichhaltigen Sortiment war es gewiss. Silvie würde zufrieden sein.
Iris musste lächeln, als sie an Carolins kleines Mädchen dachte. Das war schon ein Schatz. Und wie es ihr angeraten worden war, trug sie die Vase ins Kinderzimmer und stellte sie dort hinter Silvies Bett. Bis morgen …
»Was ist das denn für eine Geheimnistuerei«, lachte Carolin, die in der Küche den Kaffee aufbrühte. »Und kein Hallo zur Begrüßung, wie find’ ich das!«
»Hallo, Schwesterchen«, holte Iris den Gruß nach und blies mit gespitzten Lippen ein Küsschen zu der Jüngeren hin. »Ich nehm’ die Tassen schon mal raus, ja.« Damit öffnete sie den Schrank.
»Und schneide dir ein ordentliches Stück von dem Obstkuchen dazu ab«, riet ihr Carolin. »Du wirst doch heute kaum zum Essen gekommen sein.«
Das stimmte allerdings.
Iris Bauer, gelernte Floristin, war die Besitzerin eines entzückenden Eckladens, über dem mit schwungvoll gemalten Lettern IRIS BLUMENZAUBER stand. Und morgen war Muttertag!
»Die Kunden standen bis an die Tür«, erzählte sie ganz vergnügt. »Mein Lädchen ist fast leer, dafür war die Kasse voll. So ein Muttertag hat doch was für sich!«
»Da spricht die Geschäftsfrau«, schmunzelte Carolin.
»Nicht nur«, berichtigte die andere, »es ist doch viel liebevolles Gedenken dabei. Für unsere Mutti habe ich auch einen Strauß mit ihren Lieblingsblumen gebunden. Es bleibt doch dabei, morgen um halb elf hole ich euch ab.«
»Klar«, nickte Carolin. Zufrieden sah sie zu, wie ihre Schwester das Stück Obstkuchen verspeiste. Morgen, das würde ein rechter Familiensonntag werden! Die Eltern waren aufs Land gezogen, nachdem der Vater die Altersgrenze erreicht hatte. Der Vater war Journalist bei der Tageszeitung gewesen. Jetzt, im wohlverdienten Ruhestand, schrieb er nur noch gelegentlich als freier Mitarbeiter eine Kolumne. Der Stil von Mathias Breuer, seine treffende Ausdrucksweise, war immer noch gefragt.
Der Mutti war es nicht so hundertprozentig recht gewesen, die Stadt zu verlassen, in der die beiden Töchter lebten und auch vor allem ihr Enkelchen, das die Oma doch manchmal brauchen konnte. Aber sie hatte sich gefügt. Inzwischen fühlte auch sie sich recht wohl in dem beschaulichen Städtchen, wo sie nun zu Hause waren. Sechzig Kilometer, eine gute Stunde Autofahrt, das war ja auch nicht aus der Welt. Und dort war schließlich ihr Sohn mit seiner jungen Familie. Clemens war Lehrer an der Waldorfschule, er hatte schon zwei Söhnchen, die sein ganzer Stolz waren: Tim und Jan!
»Wann kommt deine Süße denn?«, fragte Iris und schob ihren Kuchenteller beiseite.
Carolin warf einein Blick auf die Uhr. Gleich fünf. »Bald«, antwortete sie. »Der Kindergeburtstag hat ja schon um zwei angefangen. Die kleinen Gäste werden reihum nach Hause gebracht.«
Sie plauderten noch ein Weilchen einträchtig und leichthin über dieses und jenes aus dem Alltagsgeschehen. Obwohl die Schwestern altersmäßig zehn Jahre auseinander waren, hatten sie sich doch von jeher innig verbunden gefühlt.
Nicht lange, und es klingelte Sturm. Die Schwestern tauschten einen lächelnden Blick. Carolin war schon aufgestanden, um zu öffnen.
Ihr Töchterchen kam die Stufen heraufgestiegen.
»Ist Tante Iris nicht da?«, rief es schon auf halber Treppe.
Sie wohnten auf der ersten Etage des vierstöckigen Wohnhauses, den Lift benutzten sie kaum.
»Doch, sie hat auf dich gewartet«, antwortete Carolin.
»Weil ich ihr Auto nicht gesehen hab’!«
»Sie steht weiter vorne, weil hier kein Parkplatz frei war.« Jetzt war Silvie oben. »Und, habt ihr es lustig gehabt?«, fragte die Mama.
»Hmmm.« Die Kleine preschte an ihr vorbei in die Wohnung. Sie lief auf Iris zu, die im Sessel saß, und schwang sich auf deren Knie, zog ihren blonden Kopf zu sich herab. So flüsterte sie ihr etwas ins Ohr, und Iris flüsterte zurück.
»Tuschelt ihr nur«, sagte Carolin heiter und sah auf die beiden.
Iris schob ihr Nichtchen sacht von sich und stand auf.
»Aber du gehst doch noch nicht?«, entfuhr es Silvie, und ihre Mama schloss sich an: »Bleib doch bis zum Abendessen, Iris.«
Das wollte sie nicht. Sie hatte bei sich zu Hause noch einiges zu tun, und schon morgen würden sie sich ja wiedersehen.
Küsschen rechts und links zur Verabschiedung und: »Ich winke dir noch nach, Tante Iris!«
Carolin trat neben Silvie ans Fens?ter und sah auf die schlanke Gestalt, die sich leichten Schrittes entfernte, sich umwendend, die Hand zum Gruß hob. Wie hübsch sie doch war, ihr Schwesterlein! In ihrer ganzen Art, in ihren Bewegungen hatte sie fast noch etwas Mädchenhaftes, sodass man ihr ihre achtunddreißig Jahre kaum abnehmen wollte.
Schade, dass sie alleingeblieben war …
Aber sie war ja auch allein.
»Morgen«, sagte Silvie und drehte sich vom Fenster ab, denn Iris war nun in ihr Auto gestiegen, »morgen fahren wir zu Oma und Opa, und Onkel Clemens und Tante Katarina und Tim und Jan werden auch da sein!« Sie zählte sie an den Fingerchen auf.
»Ja, fein!«, lächelte Carolin etwas abwesend. Es war doch dumm von ihr zu denken, sie wären allein. Iris war es nicht, und sie war es schon gar nicht, denn sie hatte ihr Kind.
Und dieses Kind kam am nächsten frühen Morgen im Nachthemdchen an ihr Bett, hielt ihr eine duftende Rose hin und sagte mit ernsthaftem Gesichtchen: »Ich gratuliere dir zum Muttertag, Mami!«
»Oh, danke, mein Schatz. Ist die schön!«, freute sich Carolin.
»Ich hab’ noch was für dich«, verriet das Töchterchen und zauberte ein winziges Päckchen hervor, in glänzendem Geschenkpapier und mit einer Schleife versehen.
»Was denn noch!«, staunte Carolin und schnupperte daran. »Hm, das duftete ja auch …«
»Ja, mach’s nur auf!«
Carolin tat es vorsichtig und langsam, um die Spannung zu erhöhen.
Sie brachte ein dunkelblaues Fläschchen mit Lavendelwasser zutage, eine »Eau de toilette‹.
»Frau Said hat mir das noch extra eingepackt«, berichtete Silvie.
Das war die Inhaberin des Haarstudios, wo sie Kundinnen waren.
»Danke, mein Schatz, es ist sehr lieb von dir, dass du mich so bedacht hast!«
»Ich hab’ dich ja auch so lieb, Mami!«
Und es konnte gar nicht anders sein, dass in Mamis Bett nun noch gekuschelt wurde, bis es Zeit wurde zum Aufstehen.
Damit begann dieser schöne Maientag. Mutter Birgit hatte alle ihr Lieben zum Mittagessen in die Krone eingeladen, den besten Gasthof im Ort, wo der Tisch für sie gedeckt war.
Wie freute man sich des Beisammenseins, und munter floss die Unterhaltung dahin, wobei es sich doch alle munden ließen.
Die Buben fanden bei Erdbeeren mit Sahnehäubchen zum Nachtisch, dass öfter Muttertag sein könnte!
»Es spricht nichts dagegen, dass ihr eurer Mutter nicht nur einmal im Jahr ein Blümchen bringt«, meinte Clemens, der Vater.
»Ja, wenn Tante Iris ihr Laden nicht so weit weg wäre!«, sagte der neunjährige Tim verschmitzt, und sein Bruder Jan fiel ein: »Da hat Silvie es schon besser!« Damit plinkerte er seinem zwei Jahre jüngeren Kusinchen zu. Jan war sieben, Silvie gerade fünf.
»Ja, Silvie bekommt sie bei mir zum Einkaufspreis«, scherzte Iris. Ein bisschen heiteres Geplänkel gehörte auch dazu.
Nach einem gemeinsamen Spaziergang noch, zum Stadttor hinaus und am Bach entlang, trennte sich die Familie in herzlichem Einvernehmen. »Macht’s gut, und bis bald einmal wieder!«
Die Zurückbleibenden winkten noch, als Iris mit Carolin und Silvie in ihrem Auto davonfuhr.
»Man kann sagen«, bemerkte Iris zufrieden auf dem Heimweg, »dass wir Breuers noch eine heile Familie sind. Es gibt keine besonderen Sorgen, keine Konflikte, einer ist dem anderen gut. Das ist bei Gott nicht überall so«, schloss sie.
»Ja, Opa ist lieb, und Omi ist lieb, und alle«, plapperte Silvie vom Rücksitz. »Auch Jan und Tim gehen, nur dass sie manchmal angeben und alles besser wissen wollen, weil ich noch ein bisschen kleiner bin. Aber da steh’ ich drüber.«
Ihre Tante lachte in sich hinein. »Kluges Mädchen! Du wirst die Jungs schon einholen.«
»Du hast recht, Iris«, äußerte Carolin nachdenklich, »dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit ist viel wert.«
Ihr Blick verlor sich auf dem breiten Band der Straße, die vor ihnen lag.
Wer wüsste das besser als sie!
*
Carolins Gedanken gingen zurück an diesem Abend. Ihr Töchterchen schlief. Sie hatte sich noch ins Wohnzimmer gesetzt, um den Tag ausklingen zu lassen.
Es war nicht immer nur alles heile Welt gewesen. Kummer und Aufregungen hatte es zeitweilig – wie konnte es anders sein – auch in ihrer Familie gegeben. Damals bei Vaters Krankheit, die soviel Bangnis ausgelöst hatte. Zu ihrer aller Glück hatte sie besiegt werden können.
Oder bei ihrer Schwägerin Katarinas schwerer Niederkunft mit ihrem Erstgeborenen Tim. Die werdende Mutter war gestürzt, das ersehnte Kindlein war als »Frühchen« auf die Welt gekommen. Nur mit aufopfernder Fürsorge konnte er sich zu einem gesunden, kräftigen Bübchen entwickeln.
Und dann war es sie, Carolin, mit ihrer unglücklichen Liebesgeschichte, die Schatten geworfen hatte.
Sie war einundzwanzig Jahre jung gewesen, und sie war so verliebt, wie man es nur sein konnte, himmelhochjauchzend.
Er hieß Robin. Er hatte die schöns?ten blauen Augen, und er hatte das zärtlichste Lächeln für sie.
Ein Frühling, ein Sommer und ein goldener Herbst hatte ihnen gehört. Soweit es eben ihre Zeit erlaubte. Denn natürlich waren sie beide in der Berufsausbildung. Robin, fast gleichaltrig mit ihr, studierte Ingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule. Carolin strebte den Pos?ten einer Sekretärin im Bankwesen an, mit den Fremdsprachen Englisch und Spanisch.
Doch das, was den Ernst des Lebens beinhaltete, war weit weg, wenn sie sich in Carolins hübschem kleinen Apartment im zehnten Stock des Hochhauses zusammenfanden. Über den Dächern der Großstadt wurde es zu ihrem Liebesnest, in dem es nur Robin und Carolin gab.
»Und da soll ich fort«, hatte Robin einmal fallen lassen, wie für sich, als sie in der winzigen Küche, die mehr eine Nische war, die Reste ihrer Abendmahlzeit aufräumten.
»Wie – fort?«, hatte sie leichthin gefragt.
»Mein Vater will mich doch par?tout zur Fortführung meines Studiums nach Amerika schicken«, erzählte Robin eher nebenbei. »Er hat Beziehung nach Seattle, von einem alten Freund her, der auch Bauunternehmer ist.« Er zuckte die Achseln und schlug die Kühlschranktür zu. »Grausiger Gedanke, dass wir uns fern sein sollten, was, Carolin?«
»Grausig«, pflichtete sie ihm mit einer kleinen Grimasse bei. Und sie lachten und küssten sich wieder.
Als der Herbst nicht mehr golden war, sondern grauer Nebel die Dächer verhüllte und ein kalter Wind die letzten welken Blätter durch die Straßen wirbelte, hing den Verliebten der Himmel nicht mehr voller Geigen.
Carolin fühlte sich schwanger.
Als sie es Robin sagte, reagierte er geradezu entsetzt, ja, beinahe Panik löste diese Mitteilung bei ihm aus.
»Wie konnte das nur passieren?«, stieß er mit verzerrtem Gesicht hervor. Seine Augen sahen sie so kalt an, dass Carolin erschrak.
Sie hob nur die Schultern und ließ sie wieder sinken, mit einem Zucken um die Mundwinkel.
Sie hatte keineswegs erwartet, dass Robin jubeln würde, war sie doch selber schwankenden Gefühlen ausgeliefert. Aber eine Katastrophe war es nun auch nicht, die einen niederschmettern musste. Sie waren jung, sie liebten sich. Irgendwie würden sie es schon schaffen. Andere Paare konnten es ja auch!
Dass Robin sie wirklich liebte, daran überkamen Carolin in der Folgezeit Zweifel. Das tat weh.
Ein Kind passte nicht in sein Lebenskonzept, erklärte er ihr brüsk. Noch nicht. Noch lange nicht. In zehn Jahren vielleicht.
Er dachte nur an sich. Wie ihr zumute war, danach fragte er nicht.
Wo war der zärtliche Robin geblieben? Diesen, mit rotangelaufenem Gesicht und wilden Gesten, erkannte sie kaum wieder.
Carolins Widerstand regte sich. Auch sie wurde heftig.
Nein, sie wollte keinen Schwangerschaftsabbruch, mochte er noch soviel auf sie einreden.
Wenn er es denn so fürchterlich fand, in sehr jungen Jahren schon Vater zu werden, könnte er ja gehen. Ohnehin hatte er doch schon erwähnt, dass er sich den Argumenten seines Vaters nicht ganz verschließen konnte, der in einem Jahr in Amerika eine Chance für sein späteres Berufsleben sah.
»Vielleicht werde ich wirklich auf meinen Vater hören, wenn du nicht einsichtig wirst«, hatte Robin verbissen gesagt. »Du behauptest ja, dein Kind auch allein auf die Welt bringen zu können.«
Unser Kind, wollte sie ihn verbessern. Aber sie tat es nicht.
»Da wäre ich nicht die Einzige«, kam es ihr nur herb über die Lippen.
Und dann war dieser Tag gekommen, an dem sie blutete. Es war nicht viel, es war nicht die normale Monatsblutung, aber sie glaubte doch jäh darin zu erkennen, dass sie sich in einem großen Irrtum befunden hatte. Sie war gar nicht schwanger!
»Ich bin gar nicht schwanger, Robin«, sagte sie. »Die ganze Aufregung war umsonst.«
Dem jungen Mann schienen Las?ten von den Schultern zu fallen.
»Mein Gott!«, rief er aus. »Dafür nun ein solches Theater!«
Aber es war nicht mehr wie vorher. Etwas war zerbrochen. Zumindest hatte es einen empfindlichen Riss gegeben.
Robin war jetzt entschlossen, nach Seattle zu gehen, der Stadt im US-Staat Washington, wo er in der Familie des Freundes seines Vaters willkommen war. Zum Jahresbeginn ließ er sich einschreiben in der dortigen Universität. Ihn beflügelte die Aussicht auf eine Veränderung.
Dass ihm der Gedanke »grausig« gewesen war, Carolin fern zu sein, schien lange her zu sein. Obwohl es sich doch nach Wochen an den Fingern einer Hand abzählen ließ!
Carolin lag es fern, sich an ihn zu klammern.
Sie nickte zu allem, was Robin, eifrig wie ein großer Junge, ihr vorstellte. Was war schon ein Jahr nicht wahr? Dann wollte er wiederkommen, und wenn sie ihn bis dahin nicht vergessen hätte, würde alles wieder gut sein. Sie hatten doch so eine schöne Zeit miteinander gehabt. Warum sollte das nicht wieder aufleben?
Carolin glaubte nicht daran. Aber sie zeigte es Robin nicht, dass sie im Grunde ihres Herzens eine traurige Leere empfand.
Es war ja doch nur ein Glück in den Sternen gewesen, mit Robin. Der Fall in die Erdenwirklichkeit war wie ein Aufprall, der ihr nicht nur seelisch, sondern auch körperlich Schaden zufügte. Sie fühlte sich manchmal schlecht, es konnte sie plötzliche Übelkeit überkommen.
Aus diesem Grunde ließ sie sich einen Termin bei einer Frauenärztin geben. Es musste doch zu ergründen sein, was mit ihr war.
Robin war am 28. Dezember geflogen.
Es war nicht zu einer besonderen Abschiedsszene gekommen. Es war ja alles so schnell gegangen, zuletzt hatte er noch soviel um die Ohren gehabt, und das Reisefieber hatte den jungen Menschen gepackt.
Carolin musste in der Praxis warten.
Neben ihr saß eine Frau von Mitte dreißig etwa, mit hochgewölbtem Leib.
»Es werden Zwillinge«, vertraute sie ihrer Sitznachbarin an, als die Wartezeit nur so träge dahinschlich. »Zuerst haben mein Mann und ich nur gedacht, ach du lieber Gott, wir haben nämlich schon zwei zu Hause. Aber stellen Sie sich vor, inzwischen freuen wir uns drauf. Ein Junge und ein Mädchen, wohlgebildet und gesund, wie Frau Doktor mir bei jeder Untersuchung versichert. Ist das nicht ein doppeltes Glück?«
Carolin nickte lächelnd der anderen zu, die nun aufgerufen wurde. »Alles Gute«, wünschte sie verhalten. Unwillkürlich dachte sie noch ein wenig nach über die Fremde, die wohl ein erfülltes Frauenleben hatte.
Dass sie, die junge Carolin Breuer, am Beginn des 3. Monats ihrer Schwangerschaft war, sollte sie an diesem Vormittag erfahren.
Es brachte ihr für einen Moment den Boden unter den Füßen zum Wanken.
»Wieso sind Sie nicht schon von selber darauf gekommen, Frau Breuer?«, sagte Dr. Margit Petersen etwas verwundert.
Nach Worten suchend, fast stammelnd erklärte Carolin, weshalb sie diesen Glauben von sich gewiesen hatte.