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Was können wir Fake News und Desinformation entgegensetzen? Dieses Buch zeigt: Die Wa(h)re Nachricht ist im Zeitalter von Big Tech und Künstlicher Intelligenz kein Auslaufmodell, sie hat vielmehr eine spannende und wichtige Zukunft in der digitalen (Des)Informationsgesellschaft. Gerade faktenbasierter und unabhängiger Agenturjournalismus in Europa gewinnt an Bedeutung als Kühlmittel für die polarisierten, überhitzten Meinungsmärkte der sozialen Netzwerke – besonders dann, wenn es uns gelingt, aus redaktioneller und künstlicher Intelligenz ein einzigartiges kollaboratives Ökosystem des faktenbasierten Free Flow of Information in Europa zu bilden. Clemens Pig, Geschäftsführer der APA, skizziert in dieser fundierten Analyse der Informationsgesellschaft von morgen seine realistische Vision einer "European NewsTech Alliance": ein europäischer Wissensraum von freien Agenturen und Medien, in dem verifizierte und zuverlässige Informationen den Input für kontrollierte gemeinsame AI-Anwendungen bilden. Der Titel »Democracy Dies in Darkness« ist der traditionsreichen Washington Post entlehnt, die diesen Slogan unter ihrem Logo trägt.
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Seitenzahl: 134
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Zum 175-jährigen Gründungsjubiläum der österreichischen Nachrichtenagenturen
1849–2024
»(…) safeguarding the concept of free and independent news agencies providing true and unbiased news as a backbone of a free press and a free democratic society.«
Aus den Statuten der Vereinigung der unabhängigenNachrichtenagenturen Europas, Gruppe 39
Folgende Organisationen und Institutionen unterstützen die Idee und Realisierung dieses Buchprojekts:
AFP – Agence France-Presse, Frankreich
AIT – Austrian Institute of Technology, Österreich
ANP – Algemeen Nederlands Persbureau, Niederlande
ANSA – Agenzia Nazionale Stampa Associata, Italien
APA – Austria Presse Agentur, Österreich
Austria Kiosk (kiosk.at), Österreich
BELGA – Belga News Agency, Belgien
Digital Media Europe mit WAN IFRA, Deutschland
EANA – European Alliance of News Agencies, Schweiz
Europäischer Mediengipfel mit ProMedia Kommunikation, Österreich
European Publishing Congress mit kress pro, Deutschland
Fachhochschule St. Pölten, Österreich
Keystone-SDA, Schweiz
Interfakultäres Forum Innsbruck Media Studies und Medientag der Universität Innsbruck, Österreich
MISCHA – Medien in Schule und Ausbildung, Österreich
ÖGV – Österreichischer Genossenschaftsverband, Österreich
Österreichische Medientage mit HORIZONT, Österreich
Österreichischer Journalistinnenkongress, Österreich
PA Media News Agency, Großbritannien
Parlament Österreich, Österreich
PMG Presse-Monitor, Deutschland
Presseclub Concordia, Österreich
Swiss Digital Media Services, Schweiz
Volksbank, Österreich
Vorwort
Einleitung
1. Agenturjournalismus unter Druck
Marathonlauf der Redaktionen
2. Free Flow of Information
Arterien des globalen Nachrichtenflusses
3. War on Information
Kampf um die Wahrheit
4. Interview mit Wladimir Putin
»Ich wollte ein freundlicher Gastgeber sein«
5. Europas Nachrichtenagenturen
The various faces of reality
6. Unabhängigkeit als Geschäftsmodell
Public Value in privatem Auftrag
7. Renaissance des genossenschaftlichen Prinzips
Member statt Shareholder
8. Playbook Digital Cooperation
Neue Spielzüge in der Digitalökonomie
9. Innovationsfelder von Nachrichtenagenturen
Wandel als Lebensversicherung
10. Von Trusted Content zu Trusted AI
Der Weg zu echtem Wissen
11. Von Nachrichten-Lieferanten zu NewsTech-Plattformen
Ein neues Selbstverständnis
12. FQNTM
Bauplan des Newsrooms der Zukunft
13. Vision »European NewsTech Alliance«
Agentur-Ökosystem der Demokratie
Zum Buchtitel
Der Autor
Anhang: News Agency Business – 10 Learnings
Anhang: Geschichte und Gegenwart der APA
Anhang: Quellen
Impressum
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
dieses Buch will über Nachrichtenagenturen informieren und aufklären. Nachrichtenagenturen erfüllen zentrale Funktionen in der Medien- und Kommunikationsindustrie. Nachrichtenagenturen sind eine eigenständige Mediengattung mit einer langen Tradition, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Nachrichtenagenturen haben Kriege und disruptive Entwicklungen wie die Satellitenkommunikation und das Internet überdauert. So vielfältig Europa ist, so vielfältig sind die Erscheinungsformen von europäischen Nachrichtenagenturen.
Bis zu zwei Drittel aller täglichen massenmedialen Informationen in Zeitungen, Fernsehen, Radio, deren Onlineportalen und digitalen Ausspielkanälen sowie das Gros der originären Medieninhalte auf sozialen Netzwerken gehen direkt oder indirekt auf Agenturmaterial zurück: Texte, Bilder, Grafiken, Videos, Live-Formate. Umso verblüffender ist es, dass Nachrichtenagenturen und ihre Funktionsweise in der Breite der Informationsgesellschaft meist unbekannt, von der Kommunikationsforschung weitgehend unerforscht, in parlamentarischen Gesetzesprozessen oftmals unterrepräsentiert und damit in ihrer kommunikativen und technologischen Leistung insgesamt unterschätzt sind. Ich mache diese Erfahrung in meiner täglichen Arbeit im nationalen und internationalen Austausch mit Entscheider:innen in Wirtschaft und Institutionen sowie mit interessierten User:innen und jungen Menschen. Selbst Medienschaffende sind immer wieder über das tiefgehende funktionale Spektrum von Nachrichtenagenturen erstaunt. Bedenklich stimmt, dass welt- und europaweit nur ein kleiner Teil aller Nachrichtenagenturen staatlich unabhängig ist.
»Unabhängiger Agenturjournalismus bildet den Gegenpol zu Fake News und Desinformation.«
Clemens Pig
Podiumsdiskussion
Medien. Macht. Meinungsvielfalt. Die Rolle der Medien in der Demokratie
. im April 2023, eingeladen von
APA
und Österreichischem Parlament
Dieses Buch will über Nachrichtenagenturen in Europa informieren: wie sie ticken, wie sie sich unterscheiden, wie sie als unabhängige Agenturen Leuchttürme der freien Medienwelt sind oder wie sie als Staatsagenturen für Propagandazwecke instrumentalisiert werden können. Wie sie in die digitale Zukunft gehen und ihre redaktionelle Unabhängigkeit durch Innovationskraft und wirtschaftliche Stärke schützen können, und wie Agenturen trotz ihrer Unterschiede durch Kooperation auf das übergeordnete Ziel im Agenturjournalismus hinarbeiten können: True and Unbiased News.
Faktenbasierter und unabhängiger Agenturjournalismus in Europa gewinnt an Bedeutung als Gegenpol zu Fake News und Desinformation und als Kühlmittel für die polarisierten, überhitzten Meinungsmärkte der sozialen Netzwerke. Ich bin überzeugt, dass durch technologische Innovation und europäische Kooperation die digitale Zukunft dieses Wertemodells von Nachrichtenagenturen nachhaltig gelingen kann. Meine Vision ist eine European NewsTech Alliance: ein europäischer Wissensraum von freien Agenturen und Medien, in dem verifizierte und zuverlässige Informationen den Input für kontrollierte, gemeinsame AI-Anwendungen bilden. Ich sehe diese European NewsTech Alliance als Leuchtturm und kollaborativen NewsTech Hub für Trusted Content und Trusted AI: die Grundlage für neue und erfolgreiche Geschäftsmodelle von Nachrichtenagenturen und Medien.
Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Arbeit, sondern ein faktischer und persönlicher Erfahrungsbericht aus meiner Perspektive des Praktikers im Medienmanagement. Das Buch beinhaltet meine aktuellen Beobachtungen, langjähriges Erfahrungswissen sowie Analysen und Ableitungen aus der Führung von Nachrichtenagenturen und deren Tochterunternehmen in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Verbänden der europäischen Nachrichtenagenturen. Die einzelnen Kapitel fassen meine bisherigen Vorträge, Gastkommentare und Publikationen zu (unabhängigen) Nachrichtenagenturen kompakt und überblicksartig zusammen. Am Vorabend des 175-jährigen Gründungsjubiläums der österreichischen Nachrichtenagenturen (1849–2024) möchte ich mit diesem Buch einen Beitrag leisten und Impulse für vertiefende Reflexionen zu den genannten Themen in den kommenden Monaten geben.
Mein Dank gilt allen Kolleg:innen und Stakeholder:innen der europäischen Agenturlandschaft für das gemeinsame Sparring über eine nachhaltige Zukunft von Nachrichtenagenturen sowie allen Unterstützer:innen dieses Buchprojekts.
Überzeugt vom faktenbasierten Agenturjournalismus und fasziniert von der digitalen Transformation, freue und bedanke ich mich, dass Sie dieses Interesse teilen und dieses Buch in Händen halten.
Herzlich
Clemens Pig
Wien, im Herbst 2023
»Russland hat seine Einheit wiederhergestellt. Die Tragödie von 1991, diese furchtbare Katastrophe unserer Geschichte, diese unnatürliche Zerrissenheit, ist überwunden.«
In den Morgenstunden des 26. Februar 2022 – nur zwei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine – war zumindest für die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti durch den irrtümlichen Versand eines vorbereiteten Jubelkommentars das Ziel der Invasion schon erreicht; und damit auch für zahlreiche russische Medien. Denn Nachrichtenagenturen stehen weltweit an der Spitze der Informationspyramide, was in der Zeitenwende für eine neue Weltordnung enorme Chancen und zahlreiche Gefahren zugleich für Nachrichtenagenturen als Arterien des nationalen und internationalen Nachrichtenflusses in sich birgt.
Entgegegen
RIA Novostis
Jubelmeldung: die Mutter-Heimat-Statue in Kiew, am 24. August 2022, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine, ein halbes Jahr nach Beginn der russischen Invasion
Dimitar Dilkoff / AFP / picturedesk.com
RIA Novosti bezeichnet sich ebenso als Nachrichtenagentur wie beispielsweise die ebenfalls russische TASS oder die chinesische Xinhua oder die – erheblich kleinere – KCNA in Nordkorea. Doch auch die drei global agierenden Agenturen Associated Press (AP) aus Nordamerika, Reuters mit Hauptsitz in London und die französische Agence France-Presse (AFP) sowie die international tätige Deutsche Presse-Agentur (dpa) oder Österreichs Austria Presse Agentur (APA) sind Nachrichtenagenturen. Der elementare Unterschied besteht darin, dass Erstere beispielhafte Exponenten staatlicher Propagandainstrumente darstellen, Letztere als Vertreter der absoluten Minderheit der unabhängigen Agenturen hingegen den globalen Free Flow of Information aufrechterhalten. Ihnen kommt insbesondere in Zeiten globaler Verwerfungen und massiver Unsicherheit besondere Bedeutung zu.
Marathonlauf der Redaktionen
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 findet zu einem Zeitpunkt statt, als Europas Medien und Nachrichtenagenturen unter nachhaltigem Produktions- und Transformationsdruck stehen. Beginnend mit der Flüchtlingskrise 2015 hat ein durchgehender redaktioneller Marathonlauf begonnen, der den europäischen Newsrooms permanente Höchstleistungen abfordert. Auch Österreich und seine Redaktionen sind seitdem nicht mehr zur Ruhe gekommen:
Flüchtlingskrise mit Hauptursache des Bürgerkrieges in Syrien (2015),
Bundespräsidentenwahl mit folgender Stichwahl samt erstmaliger Wahlwiederholung einer Stichwahl nach Anfechtung des Wahlergebnisses durch den unterlegenen Kandidaten; Angelobung eines neuen Bundeskanzlers (2016),
zwei Wechsel von Parteivorsitzenden vor (Sebastian Kurz, ÖVP) beziehungsweise nach vorgezogenen Neuwahlen (Werner Kogler, Grüne) mit Bildung einer rechtskonservativen Koalition aus ÖVP und FPÖ (2017),
weitere Wechsel von Vorsitzenden der Oppositionsparteien (Pamela Rendi-Wagner, SPÖ, Beate Meinl-Reisinger, NEOS, 2018),
die Enthüllung des »lbiza-Videos« mit folgendem Rücktritt des Vizekanzlers, Abberufung der gesamten Bundesregierung, Einsetzung einer interimistischen »Beamtenregierung«, Ausrufung von Neuwahlen mit erstmaliger Bildung einer Koalition aus Volkspartei und Grünen (2019),
wenige Wochen darauf geht die erste Meldung über eine mysteriöse Lungenkrankheit aus China über die Agentur-Ticker (Jänner 2020),
die Coronapandemie samt Lockdowns folgt als globale Zäsur auf allen Ebenen, begleitet von weiteren Verwerfungen in Österreichs Innenpolitik durch eine Korruptionsaffäre mit mehrfachen Kanzlerwechseln ab Herbst 2021,
der vierte COVlD-19-Lockdown endet in Österreich zu Beginn des Jahres 2022,
die Medienunternehmen starten mit Mut und Zuversicht in das neue Jahr und lassen die Pandemie hinter sich, die Konjunkturbarometer gehen nach oben,
es folgt nach der Pandemie die nächste globale Zäsur: der russische Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Feber 2022 markiert das Ende des Friedens in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und läutet eine geopolitische Zeitenwende samt Energiekrise, massiv gestiegener Inflation und einer sich verschärfenden Klima- und Umweltkrise ein.
Diese Stakkato-Abfolge an österreichischen innen- und weltpolitischen Großereignissen hat den Redaktionen kaum Zeit zum Verschnaufen erlaubt. Es herrscht redaktioneller Produktionsdruck rund um die Uhr. Selbst die Wochenenddienste in den Newsrooms sind von redaktionellen Großaufgeboten für die Berichterstattung über die quasi wöchentlich stattfindenden »Anti-Corona-Großdemonstrationen« geprägt. Diese Live-Coverages an den Orten des Geschehens machen für österreichische Journalist:innen und Redakteur:innen erstmals ernsthafte Sicherheitsvorkehrungen aufgrund von Anfeindungen gegen Medienvertreter:innen notwendig. Spätestens mit Beginn der Coronapandemie wurde die Polarisierung der Gesellschaft von den ausgefransten digitalen Rändern der sozialen Netzwerke in die Mitte der Gesellschaft und auf die Straßen gespült: Medien und Nachrichtenagenturen befinden sich mittendrin in dieser Polarisierung, sowohl in den digitalen Räumen als auch auf den Demonstrationsplätzen der europäischen Großstädte. Zum ersten Mal ist es ratsam, als Agenturjournalist:in unerkannt und anonym von Live-Ereignissen zu berichten. Droh- und Beschimpfungsmails von Bürger:innen an die Redaktionen und Medienspitzen haben deutlich zugenommen. Schauplatzwechsel: Die Bilder aus dem Krieg in der Ukraine, die den Agenturen in ihrer schonungslosen Realität als graphic content zugehen und für Endkonsument:innen entschärft und »medientauglich« aufbereitet werden, sind auch für hartgesottene Redakteur:innen mit langjähriger Berufserfahrung verstörend und teils traumatisierend. Die thematische Bewältigung und Berichterstattung in diesem redaktionellen Marathonlauf findet gleichsam im Setting des größten Experiments der Arbeitswelt seit der Einführung von PC und E-Mail in Echtzeit statt: Homeoffice und hybrides Arbeiten werden von heute auf morgen in den Newsrooms eingeführt und sprengen die bisherigen Workflows in den Redaktionen. In kürzester Zeit etablieren sich neue Kommunikationskanäle und Prozesse der Zusammenarbeit. New Work und Digital Collaboration finden ohne Testlauf Eingang in die Medienwelt.
Parallel zum stark gestiegenen Produktionsdruck der Redaktionen läuft die Uhr der digitalen Transformation der Medienunternehmen noch schneller. Die Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft durch das veränderte Mediennutzungsverhalten, durch globale Plattformen und soziale Netzwerke mit disruptiven Technologien und neuen Geschäftsmodellen beschleunigt sich: Werbegelder werden noch umfassender von den Medien zu den Plattformen abgesaugt und die digitale Zahlungsbereitschaft für redaktionelle Inhalte wächst nur langsam auf moderatem Niveau. Die Coronapandemie hat insgesamt zu einem erhöhten Vertrauensverlust in Institutionen wie Medien, Politik und Wissenschaft sowie zu einer gestiegenen Erschöpfung im digitalen Informationskonsum (News Fatigue) geführt. Vor diesem Hintergrund bringen die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges keine guten Nachrichten für die Medienbranche: Explodierende Produktionskosten durch die rasant ansteigenden Energiepreise (Gas, Papier) stellen die Medienmanagements vor große Herausforderungen. Der Transformationsdruck steigt parallel zum Produktionsdruck. Im Gegenzug legt er die Chancen und Möglichkeiten für die Medienindustrie in dieser Zeitenwende offen. Angesichts zunehmender Polarisierung und Desinformation in sozialen Netzwerken, die in eine publizistische Krise geraten, angesichts der Entwicklungen in Russland, die den Weg zu autokratischen Gesellschaften wie unter einem Brennglas vor Augen führen, angesichts mächtiger, beunruhigender Artificial-Intelligence-Werkzeuge der digitalen Global Player kristallisieren sich am Horizont die positiven Markenkerne auf der Habenseite der Medienindustrie heraus: unabhängige Nachrichten in allen Formaten, die in liberalen Mediendemokratien so wichtig sein werden wie sauberes Trinkwasser. Dazu kommen innovative Produktions- und Distributionskanäle, die (wieder) an die Young Audiences und ihre Themenwelten anschließen und zur Neuinterpretation der redaktionellen Deutungshoheit im digitalen Raum führen können.
Neue Rahmenbedingungen
Nachhaltige Herausforderungen
Geopolitiche Lage Ukraine-Krieg
Erosion Werbe-Erlöse
Globales De-Coupling
Desinformation und Fake News
Inflation, Kapitalmärkte, Konjunktur
Vertrauensverlust und News Fatigue
Energiepreise, Produktionskosten
Pay- und Log-in-Walls
EU: Copyright-Direktive, Neighbouring Rights
Digitale Abo-Modelle
EU: Media Freedom Act
Neue globale Plattformen wie TikTok
EU: Digital Services Act
Generative Artificial Intelligence
EU: AI Act
Neue Formate (Video, Audio, live, hybrid)
EU: Media Data Spaces und Allianzen
Datenjournalismus
EU: ESG-Reporting
Young Audiences und Social Media
War On Talents, New Work
Neue politische Online-»Medien«
Legitimationsdruck Public Broadcaster
Soziale Netzwerke als Arena der Polarisierung
Dafür benötigt es viel Infrastruktur – redaktionelle und digital-technologische Infrastruktur. Digitale Transformation von Medienunternehmen ist innovations- und investitionsintensiv. Kaum ein Medienbetrieb ist in der Lage, diese Infrastruktur gesamthaft stand-alone aufzubauen, zu finanzieren, zu betreiben und laufend weiterzuentwickeln. Das Konzept der Digitalökonomie zur Überwindung dieser Hürden lautet: Kooperation.
Nachrichtenagenturen sind Infrastrukturunternehmen. Sie liefern die Bauelemente für Nachrichten und Technologie. Idealerweise sind sie auch die Plattformen zur Herstellung von Kooperation zwischen den Medienunternehmen. Nachrichtenagenturen sind eine wichtige Variable in der Lösung zentraler Herausforderungen der Medienzukunft.
Arterien des globalen Nachrichtenflusses
Die Medienvielfalt Europas ist trotz der anhaltenden, wirtschaftlich sehr herausfordernden Rahmenbedingungen nach wie vor groß. Rund 500 Millionen EU-Bürger:innen konsumieren täglich die Angebote von rund 5.000 Zeitungen, 50.000 Zeitschriften und Magazinen sowie von 4.500 Radio- und TV-Sendern. Dazu kommen unzählige Informationssplitter in Social-Network- und Onlinequellen, deren Interaktionen wie Tweets, Posts, Likes, Shares und Kommentare ihren Ausgangspunkt vielfach in den professionellen, originären journalistischen Angeboten haben. Massenmedien prägen damit auch in der Ära der sozialen Netzwerke und der Nachrichten-Aggregatoren stark die Themen, Bilder (Agenda-Setting) und den Diskurs (Framing) über das nationale und internationale Geschehen. Rund die Hälfte bis zwei Drittel dieser enormen Menge an täglichen Informationen und Nachrichten liefern Nachrichtenagenturen an die Medienredaktionen – als Fertigprodukte für die direkte Verwendung von Texten, Bildern, Grafiken, Live-Videos, Live-Blogs, Automated Content (beispielsweise automatisierte Texte über Wahlergebnisse) oder als redaktionelle Rohstoffe für darauf aufbauende oder vertiefende Medieninhalte. Neben der Nachrichtenproduktion selbst liegt der Wert von Nachrichtenagenturen für Medienredaktionen vor allem in der Planungsfunktion, die Agenturen mit laufenden Tagesüberblicken, Terminchronologien, Hintergrundberichten und Dispo-Informationen über die geplante redaktionelle Coverage in den unterschiedlichen Formaten leisten. (Unabhängige) Nachrichtenagenturen sind in der Medienproduktion die zentrale, für Medienkonsument:innen unsichtbare lnfrastruktur der nationalen und internationalen Nachrichtenaufbringung. Ausgewogener, zuverlässiger, kritischer und faktenbasierter Agenturjournalismus ist das dazugehörige Betriebssystem, auf dem die Medien ihre spezifischen journalistischen lnhalte und Angebote auf- und ausbauen. Unabhängige Agenturredaktionen agieren nach dem Prinzip Richtigkeit vor Schnelligkeit, auch wenn diese beiden Kategorien im Breaking-News-Modus von Blitz-, Alarm- und Eilt-Meldungen miteinander konkurrieren; sie arbeiten nach den journalistischen Tugenden der Quellenvielfalt (audiatur et altera pars) und Quellenglaubwürdigkeit (Check, Re-Check, Double-Check); sie handeln rasch und transparent, wenn sie Fehler machen und diese korrigieren; sie produzieren auf Basis faktischer und verifizierter Informationen und Recherchen als Grundlage für bestmögliche neutrale Agenturmeldungen und bleiben somit frei von Meinung und oftmals namentlicher Autorschaft.
Die Funktionen des Agenturjournalismus haben sich in der digitalen Transformation deutlich weiterentwickelt. Der Agentur-Ticker in Textform als redaktionelles »Gründungsformat« von Nachrichtenagenturen hat sich um neue Formate wie Bilder, Grafiken, Video, Audio und Live-Inhalte wie Blogs sowie neue Inhalte wie Automated Content stark erweitert. In dieser Kernfunktion übernimmt Agenturjournalismus die Rolle des Rohstoff-Lieferanten für die Medien. Angesichts der digitalen Kommunikation mit ihren schnellen Produktionszyklen und geringen Halbwertszeiten werden Inhalte von Agenturen zunehmend als Ready-made-Formate zur direkten Verwendung durch die Medien angeboten: Video-Streams und Live-Blogs, die direkt auf den Onlineportalen der Medien eingebunden werden, sowie passende multimediale Text-Bild-Formate zur direkten Übernahme auf den unterschiedlichen Ausspielkanälen der Medien. Live-Videosignale von Agenturen ergänzen die Textberichterstattung der Onlinemedien durch einfache Embedding-Codes. Teletext-Angebote werden in den passenden technischen Formaten direkt durch die Agenturen mit Nachrichtenfeeds beliefert. Die Art der Berichterstattung von Nachrichtenagenturen hat sich ebenfalls deutlich weiterentwickelt: Die sogenannte Laufberichterstattung wird zunehmend durch spezialisierte Live-Desks abgelöst. Die Hintergrund-Berichterstattung wurde deutlich ausgebaut und neue Formate wie Nachrichten in einfacher Sprache sollen Menschen mit Leseschwäche wesentlich besser im Nachrichtenkonsum ansprechen. Mit Blick auf die visuelle Informationsgesellschaft hat Datenjournalismus seinen Einzug in die Agentur-Newsrooms gehalten und liefert neue Erzähl- und Erklär-Formate, oftmals in grafischer Aufbereitungsform.