Den Tschechen entkommen, den Russen entflohen, aus Österreich geflüchtet - Dr. Rolf Peter - E-Book

Den Tschechen entkommen, den Russen entflohen, aus Österreich geflüchtet E-Book

Dr. Rolf Peter

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Beschreibung

Dr. Rolf Peter schildert im vorliegenden Bericht von Ende 1945/46 seine abenteuerliche Flucht vor der Roten Armee aus dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren in seine Heimat in Württemberg. Peter (1905-1990) war während des Zweiten Weltkrieges von 1939-1945 Leiter des Arbeitsamtes in Brünn. Sein ältester Sohn, Dipl.-Ing. Thomas K. Peter (Jahrgang 1932), veröffentlicht nun nach rund 70 Jahren den Bericht seines Vaters zur allgemeinen Information und bleibenden Erinnerung.

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Inhalt

Impressum

Dr. Rolf Peter (1905–1990)

Vorwort

Erläuterung

Unser Weggang aus Brünn

Die Notverwaltung

Wir eilen westwärts

Das Lager Pisek

Als freier Österreicher

Heimkehr

Zu Frau und Kindern

Landkarte

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2015 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-090-8

ISBN e-book: 978-3-99048-091-5

Lektorat: Silvia Zwettler

Umschlagfoto: Osorioartist | Dreamstime.com

Herausgegeben von: Dipl.-Ing. Thomas Kurt Peter

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Dipl.-Ing. Thomas Kurt Peter (2)

www.novumverlag.com

Dr. Rolf Peter (1905–1990)

Vorwort

Dr. Rolf Peter schilderte im vorliegenden Bericht von Ende 1945/46 seine abenteuerliche Flucht vor der Roten Armee aus dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren in seine Heimat in Württemberg.

PETER (1905–1990) war während des Weltkrieges II von 1939–1945 Leiter des Arbeitsamtes in Brünn.

Sein ältester Sohn, Dipl.-Ing. Thomas K. PETER (Jahrgang 1932), veröffentlicht nun nach rund 70 Jahren den Bericht seines Vaters zur allgemeinen Information und bleibenden Erinnerung.

Zum besseren Verständnis der Ereignisse sollte man Folgendes wissen:

Im Münchner Abkommen vom Oktober 1938 wurde die Tschechoslowakei vom Deutschen Reich, Großbritannien, Frankreich und Italien gezwungen, die von Deutschen bewohnten Randgebiete, eben das Sudetenland, an Deutschland abzutreten. Am 15. März 1939 besetzte Hitler die „Rest-Tschechei“, gleichzeitig erklärte die Slowakei ihre Unabhängigkeit. Hitler errichtete das „Protektorat Böhmen und Mähren“, ein dem Deutschen Reich angegliedertes „Schutzgebiet“, bestehend aus dem tschechischen Teil der Tschechoslowakei mit 48000 km2und 7,5 Millionen Einwohnern, Hauptstadt Prag. Seit September 1941 war Reinhard Heydrich als „Reichsprotektor“ der führende Mann und die Protektoratsregierung unter Hacha war von seinen Befehlen abhängig.

Ab Dezember 1941 war der in dem folgenden Text erwähnte Dr. Walter Bertsch Minister für Wirtschaft und Arbeit in dieser Regierung.

Sein Ministerium wurde im Verlauf des Krieges immer wichtiger, denn Deutschland war mehr und mehr auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, die die deutschen Arbeiter, die zur Wehrmacht eingezogen worden waren, ersetzen sollten. Während 1942 79000 Arbeiter aus dem „Protektorat“ im Reich arbeiteten, waren es im nächsten Jahr bereits 250000.

Um diese hohe Zahl zu erreichen, wurde von der Protektoratsregierung Wirtschaftsminister Bertsch ermächtigt, Betriebe und Teile von Betrieben stillzulegen, um Arbeiter für das Reich, aber auch für die bedeutende Rüstungsindustrie im „Protektorat“ freizusetzen. Obwohl die Arbeitsämter ein absolutes Vermittlungsmonopol hatten, konnten sie den großen Arbeitskräftebedarf kaum decken. Deshalb wurde 1944 alle unnötige Verwaltung gestoppt, auch wurden alle Theater geschlossen und die 60-Stunden-Woche eingeführt.

In seinem Bericht macht Peter einige Andeutungen über die von den Deutschen im „Protektorat“ eingeführten sozialpolitischen Neuerungen. Zunächst waren die Löhne der tschechischen Arbeiter im Protektorat den deutschen Verhältnissen angeglichen worden. Auch wurde eine allgemeine Arbeitslosenunterstützung eingeführt.

Als im Januar 1945 die Front näher rückte, wurden 40000 Mann zu Befestigungsarbeiten im Raum Brünn und Olmütz eingesetzt. Dass es um deren Arbeitsmoral sehr schlecht bestellt war, können wir dem Bericht von Peter entnehmen.

Waldstetten, im Januar 2015

Professor Dr. Ulrich Müller

Literatur:

Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat, Teil I 1969, Teil II 1975, München und Wien (Oldenbourg) 1969, 1975

Erläuterung

Die Geschichte unserer Heimkehr

aus dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren

in den Monaten April–Juni 1945

Unser Weggang aus Brünn

Es ist Anfang April 1945. Die Osterglocken läuten. Das Mährische Land liegt in tiefem Frieden.

Doch nur äußerlich. Man spürt die Ruhe vor dem Sturm.

Der Feind rückt näher und näher. Zunächst scheint die größte Gefahr von Ungarn und der Slowakei her zu kommen, das Waagtal herauf. Da stürmen auf einmal die Russen gegen die Mährische Pforte, hinter der anscheinend das Industrieziel Mährisch-Ostrau lockt. Auch im Norden ist die Luft nicht mehr rein. Die Russen stoßen aus Schlesien und Sachsen nach Süden und bedrohen Böhmen. Für Mähren besteht die Gefahr einer Abschnürung vom übrigen Reichsgebiet und einer Einkesselung. Die Partisanen im eigenen Land nehmen rapid zu. Die Wälder – später auch Dörfer und kleinere Städte – werden selbst bei Tage immer unsicherer.

Unter den Partisanen sind Russen, Polen, viele emigrierte Tschechen, flüchtige Kriegsgefangene aller Völker, auch deutsche Deserteure. Ihre Anführer setzt der Feind während der Nacht mittels Fallschirm neben vielen Waffen, Lebensmitteln, Munition und Anweisungen ab. Die Tschechen im Lande helfen den Partisanen, wo und wie sie nur können. Bald ist jeder Tscheche Partisane. Sie halten zusammen wie die Kletten. Keiner verrät den anderen.

Im Land siedet und brodelt es an allen Ecken und Enden. Die Tschechen warten auf die Stunde ihrer Befreiung, auf ihren Sieg, für den sie nie offen und ehrlich, aber stets und seit Jahren mit meisterhaftem Geschick versteckt gekämpft haben.

Viele Deutsche sehen ein Ende des Krieges mit Schrecken voraus. Sie sagen ihre Meinung nicht offen. Wenige andere warten immer noch auf das technische Wunder, das eine Kriegswende zugunsten Deutschlands ermöglichen soll und von dem die deutsche Führung seit Monaten so geheimnisvoll spricht. Einheimische Brünner Deutsche prophezeien ein Massaker der Tschechen für den Fall eines für Deutschland schlechten Kriegsausganges.

In dieser gespannten und geladenen Atmosphäre wirkt der äußerliche Osterfriede beunruhigend und nervenaufpeitschend. Die deutsche Bevölkerung sitzt seit langer Zeit schon auf diesem sprichwörtlichen Pulverfass, das zur Explosion drängt.

Das Ratschlagen um das, was die Kriegslage erheischt, ist bei uns wie in den meisten anderen deutschen Familien seit Mitte des Jahres 1944 nicht verstummt. Brünn ist zwar noch verhältnismäßig sicher, wenn auch die täglichen Fliegeralarme, gelegentliche Angriffe mit Bombenabwürfen und Tieffliegerbeschuss und die geschilderte Situation mit ihrer heimlichen Stille die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.

Soll man die Kinder wegtun?

Wo sollen sie hin?

Auf’s Land oder in die Heimat?

Soll die Frau hierbleiben?

Was soll mit der Wohnung und der Einrichtung geschehen?

Soll man etwas von seinen Habseligkeiten nach Hause schicken?

Das sind tägliche bange Fragen, die vor allem beim Abhören des Radios gestellt werden, wenn die Nachrichten neue beunruhigende Meldungen von den Kriegsschauplätzen bringen. Dazu kommt die ungeheure dienstliche Inanspruchnahme, die auch an Sonn- und Feiertagen und während der Nacht für private Dinge und für große Überlegungen keine Zeit lässt.

Unser tschechisches Dienstmädchen gibt immer wieder den Rat, Frau und Kinder mögen flüchten. Sie sagt, die Tschechen würden alle Deutschen totschlagen und dabei keine Rücksicht auf Frauen und Kinder nehmen. Offensichtlich meint sie es gut mit uns, vor allem mit dem kleinen Ulrich, an dem sie sehr hängt, weil sie ihn mit großgezogen hat.

Das Ergebnis unserer kurzen Beratungen im Familienkreis führt zunächst zu keinen weiteren Veranlassungen. Letzten Endes war es auch schon seit dem vergangenen Herbst zu spät. Die Eisenbahnzüge im Reich und nach dem Reich werden bombardiert und brennen aus. Sie sind Tieffliegerangriffen ausgesetzt und verkehren immer unregelmäßiger. Bald ist auch unsere Heimat Württemberg mehr direkt vom kämpfenden Feind bedroht als Mähren und die Stadt Brünn.

Es ist aber nicht allein deswegen nicht möglich oder ratsam, viel von unserem schönen und wertvollen Eigentum sicherzustellen oder die Kinder nach Hause zu schicken, sondern insbesondere weil Partei und SS dies mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern suchen. Der Deutsche soll mit gutem Beispiel vorangehen, sagen sie. Die Reichsbeamten werden besonders scharf überwacht. Man kann nicht einmal unbeobachtet Pakete mit der Post oder Bahn wegschicken oder Geld auf der Bank abheben. Überall sind Spitzel. Ich leide unter diesem Terror, weil ich sehe, dass Prager Herren – also diejenigen, welche diese Anordnung trafen – trotz alledem Teppiche, Möbel, später auch Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht haben oder zu bringen versuchen. Auch darüber bin ich erbost, dass für Reichsbeamte keine zentrale Hilfsmaßnahme durchgeführt wird, um wenigstens Frauen und Kinder aus Feindesland in Sicherheit zu bringen.

Diese Unterlassung ist verantwortungslos. Ich empfinde dies umso mehr, weil ich mich ganz auf die Führung verlassen habe, die doch immer vorgab, so autoritär und stark zu sein und für alles zu sorgen. Manchmal bin ich über die Verhältnisse bitter enttäuscht und denke, dass Tausende und vielleicht Millionen armer und unschuldiger deutscher Menschen, meist Frauen und Kinder, auf diese Art und Weise unnütz dem Tode preisgegeben werden. Dies scheint mir nicht nur verantwortungslos, sondern sogar verbrecherisch. Wenn ich das früher gewusst oder auch nur geahnt hätte, hätte ich für mich, meine Familie und auch meine Leute im Amt viel besser vorgesorgt und längst entsprechend gehandelt. Jetzt ist es zu spät.

An Weihnachten 1944 gaben wir unserem Großvater, als er uns besuchte, wertvollen Schmuck mit. Zwei der vier Kinder sollten ursprünglich auch mitreisen. Die Trennung fiel uns aber zu schwer. Überdies wollte der Großvater den Ältesten, unseren Thomas, mitnehmen, der meiner Frau auf einer Flucht am meisten helfen könnte. Wir ließen dann den Buben in Brünn.

Ich bin fest entschlossen, erst dann meinen Posten zu verlassen, wenn ich dies als anständiger Mensch, der einen Eid geleistet hat und nach den geltenden Bestimmungen tun darf, vor meinem Gewissen verantworten kann. Mir ist durchaus klar, dass das Finden des richtigen Zeitpunktes sehr schwer ist, an dem man nach diesem Grundsatz abhauen kann, ohne weder dem Feinde noch der SS in die Hände zu fallen, die eifrig nach Deserteuren fahndet. Weiter ist mir klar, dass ich mich von Frau und Kindern trennen muss; denn für sie wird dieser Zeitpunkt früher gegeben sein als für mich. Mir ist ferner klar, dass wir praktisch nichts, wahrscheinlich nur noch das Allernötigste von unserem Hab und Gut mitnehmen können.

Einen Fluchtplan für die Familie habe ich mir im Stillen zurechtgelegt. Zu dessen Verwirklichung habe ich auch schon mit Kollegen Hauger in Tabor telefoniert, der meine Frau und Kinder zunächst aufnehmen soll.

An Ostern ist, wie gesagt, scheinbarer Friede, Osterfriede im schönen mährischen Lande. Wir machen mit der uns befreundeten Familie Uxa eine erste Frühjahrswanderung. Ein Zug bringt uns nach Strelitz. Auf der kurzen Fahrt treffen wir einen Flüchtling aus Pressburg, das der Feind schon besetzt hat, der zu Verwandten fährt und Schreckliches erzählt. Ergeht es uns einmal ähnlich?

Darüber sprechen wir, als wir zu Fuß durch das herrliche Tal der Obrava mit seinen knospenden Wiesen und Bäumen dem Flüsslein entlang zu dem deutschen Bauerndörfchen Morbes wandern. Feindliche Flieger, die gegen Mittag in mehreren Geschwadern am blauen Himmel hängen und über unseren Köpfen surren und dröhnen, stören uns wenig. Wir finden im Walde Schutz. Die Kinder wälzen sich lustig in den ersten Leberblümchen und Himmelschüsseln. Thomas ist nicht dabei. Er ist auf Fahrt in den Pollauer Bergen.

In Morbes treffen wir eine SS-Polizeitruppe. Sie musste sich angeblich aus der Slovakei absetzen und macht uns einen schlechten Eindruck. Die Autos sind voll von gestohlenen Dingen wie Stoffen, Radios, Lebensmitteln usw. Frauen sind in dem Wagen. So ist der Krieg nicht mehr zu gewinnen, sagen wir zueinander.

Thomas kommt abends gesund, aber aufgeregt von seiner Wanderung nach Hause. Er kam in Lundenburg in den angeblich letzten Zug, der das von den Russen eingeschlossene Wien Richtung Norden verlassen konnte, und erzählt aufgeregt von Flüchtlingen und ihren Sorgen und Nöten. In der Woche nach Ostern wird in Göding, bei Zisterndorf und Lundenburg, im ganzen Waagtal, rund 60 km vor Brünn, gekämpft. Die Fliegertätigkeit über der Stadt wird reger und reger. Truppen kommen und gehen. Eisenbahnzüge können von Brünn aus nur noch nach Norden, Richtung Prag fahren. Die Linie nach Westen, die eigentliche Fluchtlinie, ist von Partisanen bei Iglau durch Sprengung einer Brücke unterbrochen. Brünn wird allmählich zur Etappe und Frontstadt. Es ist schon vor Wochen zur Festung erklärt worden. Entsprechende Vorbereitungen zur Verteidigung sind getroffen.

Jetzt glaube ich, Frau und Kinder Richtung Westen schicken zu müssen. Flüchtlingszüge verlassen bereits die Stadt. Meine Frau will nicht weg und weint, auch als ich ihr sage, dass entsprechende Anweisungen endlich da und bekannte Frauen schon weg sind. Der zu erwartende Abschied fällt ihr und mir schwer. Ich setze die Abreise auf Samstag, den 7. April fest. Nach langem Drängen meiner Frau und Kinder verschiebe ich den Termin auf Montag, den 9. April, damit die Familie noch einen letzten Sonntag in unserem wohnlichen Heim beisammen sein kann.

Der 8. April ist ein wolkenloser Sonntag.

Welch herrlicher Frühling! Kein Wölkchen trübt das unendliche azurblaue Himmelszelt. Ich bin wie an allen vergangenen Sonntagen im Amt und habe die Fenster offen, damit die Frühlingsluft so richtig in die nicht winterlichen Räume strömen kann. Dieses Jahr gibt es ja keinen Ski-Urlaub. Von der Front hört man heute keinen Kanonendonner. Es ist Ruhe wie schon seit Tagen nicht. Gegen Mittag erscheint meine Frau mit Frau Busch, mit der sie ihre ungewisse Reise antreten soll, um zu bitten, nicht reisen zu müssen. Bei mir ist gerade Kollege Kleinboeck aus Villingen, der als Wirtschaftsoffizier und Kriegsverwaltungsrat bei einer vor Brünn eingesetzten deutschen Armee Dienst tut und mich unerwartet besuchte, als er von meiner Anwesenheit erfuhr. Er rät trotz der vermeintlichen Ruhe dringend zur Abreise und wundert sich, dass Frau und Kinder noch da und im Kriegsgebiet sind. Ich bleibe unerbittlich und verlange die Abreise, obwohl mein Herz blutet. Die Trennung in dieser Ungewissheit ist mir schrecklich. Kann meine Familie überhaupt noch unbehelligt fortkommen? Wohin sollen sie gehen? Diese Frage drängt sich mir immer wieder auf. Bis in die Heimat können Frau und Kinder ja nicht mehr kommen, weil dort schon der Amerikaner kämpft.

Des Nachmittags sitzen wir gemütlich beim letzten Kaffee und wägen dies und jenes hin und her. Da, auf einmal ein Riesenkrach! Die Fenster klirren. Das Haus zittert. Was ist los? Wir fahren von den Stühlen hoch. Sind das nicht Bomben? Wir schauen durch das Fenster und sehen Rauchwolken aufsteigen. Aber es ist doch kein Alarm! Das Radio spielt die schönste Musik. Das kann doch nicht sein! Das gibt es doch nicht! Alles ist mäuschenstill. Noch mal dröhnt es, und wiederum, diesmal entfernter. Tatsächlich, es müssen Bomben sein. „Flieger mit deutschem Abzeichen, ganz nieder!“, ruft der Bub, der am Fenster steht. Kein Alarm. Meine Frau rast, den kleinen Ulli auf dem Arm, in den Keller. Ich gehe auf die Straße. Die Sirene bläst. Alles ist jedoch schon vorbei. Nach 10 Minuten kommt schon Entwarnung.

Ich gehe durch die Stadt zum Amt. Mein Weg führt über das Glacis; hier fielen Bomben in spielende Kinder. Viele sind tot. Die harmlosen Geschöpfe liegen unter zerstörten Bäumen und Kinderwagen in ihrem Blut. In der Stadt sind viele Schäden zu erkennen. Es waren russische Flieger, die sich mit deutschen Abzeichen getarnt hatten, erzählen die Leute. Frau und Kindern wird die Abreise leichter. Sie erkenne den unerbittlichen Krieg und die unmittelbare Gefahr, in der sie jetzt in Brünn leben.

Die Abreise soll um 2 Uhr nachts in zwei Dienstwagen erfolgen. Das Ziel ist Tabor in Böhmen, wie ich mit Kollegen Hauger ausmachte. Busch soll mitfahren. Ich selbst will in Brünn bleiben.

Die Nacht ist kurz. Wir holen die Kinder aus ihren Betten und sind zeitig und termingemäß bereit. Schon lange warten wir. Immer wieder öffne ich das Fenster und schaue in die Nacht hinaus. Die Autos kommen nicht. Ist das Sabotage der tschechischen Fahrer? – Wer weiß es! Bei ihnen ist man ja immer angelogen.

Nach bangen Minuten hupt es endlich. Nur ein einziger Wagen steht unten vor dem Haus mit Frau Busch und ihren beiden Kindern. Der zweite Wagen ist angeblich kaputt. Ich packe eiligst Frau und drei meiner Kinder in den geräumigen Horch. Wir sagen uns kurz Lebewohl. Das Auto ist weg.

Die Abfahrt bleibt nicht unbemerkt. Auch tschechische Mitbewohner haben sich unter Tränen von meiner Frau und den Kindern verabschiedet. Sie wünschten gute Reise, schenkten den Kindern Bonbons und Kekse und meinten, ihnen könne nichts Böses zustoßen, da sie immer gut und gerecht zu ihnen gewesen seien.

Thomas hat gebeten, bei mir bleiben zu dürfen, weil er nicht in das überbesetzte Auto ging. Ich musste seine Bitte erfüllen, obwohl ich angesichts der aussichtslosen Lage Hemmungen habe. Was soll ich mit dem Buben anfangen?

Der zweite Wagen wird auf mein Verlangen, aber unter deutscher Aufsicht sofort repariert. Er kann noch am selben Tage nach Tabor fahren und Gepäck nachbringen, das zunächst dableiben musste. Thomas bleibt bei mir in Brünn. Ich will ihn dem tschechischen Fahrer nicht allein anvertrauen.

Wenige Tage vergehen. Ein weiterer schwerer Luftangriff, dem kein Sirenensignal vorangeht, folgt am Donnerstag. Ich fahre gerade auf der alten Reichsstraße Richtung Wischau und höre und sehe die Flieger in einer leichten Kurve Richtung Brünn einschwenken. Noch während des Bombardements lasse ich das Auto kehrtmachen. Ich strebe zum Amt. Trümmer in der Ölmützergasse versperren mir zunächst den Weg. Endlich komme ich zur Zeile durch. Im Amt sind Hunderte verschüchterte Tschechen nicht mehr aus den Kellern zu bringen. Ich bemühe mich persönlich, die vielen Menschen zu beruhigen. Dann suche ich Thomas, den ich nicht zu Hause, sondern auf der Straße finde. Dieser Angriff der Russen war viel stärker als der vom Sonntag.