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Nordfinnland, 1859: Brita Caisa wird nach einer Liebesbeziehung mit einem verheirateten Mann von der Kirche verstoßen und muss ihren Heimatort verlassen. Sie setzt ihre beiden Söhne auf einen Rentierschlitten, nimmt ihre Skier und bricht in einem Tross auf zum norwegischen Eismeer. Dort, so heißt es, soll das Meer vor Fischen brodeln und es ausreichend Arbeit und Essen geben. Als sie unterwegs den Hofbesitzer Mikko kennen lernt und eine vorläufige Anstellung findet, spürt sie, dass sie sich mit ihm eine Zukunft vorstellen könnte. Doch die gegenseitige Zuneigung wird auf eine harte Probe gestellt. Poetisch und voller Intensität schildert Ingeborg Arvola eine junge Frau, die mit den Normen der Gesellschaft hadert und mutig ihren eigenen Weg geht. In einer Welt, geprägt von der nordisch-kargen Landschaft, der Bedeutung des Fischfangs, Gottesgläubigkeit und einer tiefen, von Mystik durchzogenen Verbindung zur Natur.
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Seitenzahl: 605
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nordfinnland, 1859: Brita Caisa wird nach einer Liebesbeziehung mit einem verheirateten Mann von der Kirche geächtet und entscheidet sich, ihren Heimatort zu verlassen. Sie setzt ihre beiden Söhne auf einen Rentierschlitten, nimmt ihre Skier und bricht in einem Tross auf zum norwegischen Eismeer. Dort, so heißt es, soll das Meer vor Fischen brodeln und es ausreichend Arbeit und Essen geben. Als sie unterwegs den Hofbesitzer Mikko kennenlernt und eine vorläufige Anstellung findet, spürt sie, dass sie sich mit ihm eine Zukunft vorstellen könnte. Doch die gegenseitige Zuneigung wird auf eine harte Probe gestellt. Poetisch und voller Intensität schildert Ingeborg Arvola eine junge Frau, die mit den Normen der Gesellschaft hadert und mutig ihren eigenen Weg geht. Geprägt von der nordisch-kargen Landschaft, der Bedeutung des Fischfangs, tiefer Gottgläubigkeit und einer von Mystik und Aberglauben durchzogenen Verbindung zur Natur.
Ingeborg Arvola, geboren 1974, wuchs in Pasvikdalen und Tromsø im hohen Norden Norwegens auf und hat bereits mehrere Romane für Kinder und Erwachsene geschrieben. Ihren internationalen Durchbruch erlebte sie 2022 mit dem Roman Der Aufbruch, dem ersten Buch in der historischen Eismeer-Trilogie. Der Roman, der von der Geschichte ihrer Familie inspiriert ist, wurde sofort ein Bestseller, erhielt den renommierten Brage-Literaturpreis und wurde für viele weitere Literaturpreise wie den Preis des Nordischen Rates und den Norwegischen Buchhändlerpreis nominiert. Auch international sorgte der Roman, der in 12 Länder verkauft wurde, für großes Aufsehen und erhielt überragende Kritiken.
Ingeborg Arvola
Roman
Aus dem Norwegischen von Katharina Martl
Die norwegische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Kniven i ilden bei Cappelen Damm, Oslo
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Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Die Übersetzung der finnischen Lieder stammt von Maximilian Murmann.
Copyright © der Originalausgabe 2022 Cappelen Damm AS
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025 btb Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Covergestaltung: semper smile, München, nach einem Entwurf von © Elisabeth Vold Bjone unter Verwendung eines Motivs von © Stefano Rulli / Shutterstock
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-31266-4V001
www.btb-verlag.de
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Personenverzeichnis und Namensvarianten
Familie Seipajærvi (früher Aikio)
Brita Caisa (finnisch Priita-Kaisa)
Okki Pekka Köngäs, Britas Großvater
Ämmy, Brita Caisas Großmutter
Alexander, »Aleksi«, Britas 11-jähriger Sohn
Hendrik, »Heikki«, ihr 3-jähriger Sohn
Pehr Pudas, Britas ältester Bruder
Simon Marjavara, »Simpa«, Britas zweitältester Bruder
Lille-Mikke, »Mikkolon-Mikke«, Britas jüngerer Bruder
Maria Stina, »Marja«, Britas verstorbene Schwester
Familie Aska
Mikkel Aska (oder Askan-Mikko)
Gretha Lisa, seine Frau (kinderlos)
Familie Opponen
Rijku Opponen (»Ruske-Rijku«), Witwer
Bigga, seine älteste Tochter, fast 12 Jahre alt
Leena, 7 Jahre alt
Malla, 6 Jahre alt
Pekko, sein 4-jähriger Sohn
Familie Ekdahl
Paul Ekdahl, »Pappin-Paulan« (»Priester-Paul«)
Marja, seine Frau
Erik, »Erkki«, sein Sohn
Susso, seine Tochter, verheiratet mit Jussi Enbusk
Ortsnamen norwegisch / finnisch
Vadsø / Vesisaari
Bugøynes / Pykeijä
Varangerfjord / Ruija
Neiden / Näädämä
»Doch dann kam Priita-Kaisa aus Sodankylä in die Gegend, und Mikko verließ Haus und Hof …«
Samuli Paulaharju (1928), Die Menschen der Finnmark
1859
Wer lebte zu jener Zeit in Lappland? Waren es Sami? Kvenen? Finnen? Waren es Menschen, die schon seit urewigen Zeiten die Nordkalotte bevölkert hatten? Oder Siedler aus dem Süden?
Brita Caisas Vater ist unter den Namen Aikio, Syvajärvi und Seipajärvi erfasst. Sowohl die finnischen als auch die samischen Namen änderten sich, als die Familien sesshaft wurden und die schwedische Obrigkeit ein Verzeichnis über die in der Gegend lebende Bevölkerung forderte. Namen wie Aikio und Aska wichen solchen mit Ortsbezug, etwa mit der Endung -järvi, was so viel heißt wie See, oder -niemi, was Landzunge bedeutet, zudem kam es immer wieder zu Fehlschreibungen, wenn die Behörden mit dem breiten Dialekt und der samischen Sprache konfrontiert waren und das Gehörte zu Papier brachten.
Schon immer haben sich Menschen aus Lappland zum Fischen nach Ruija aufgemacht. Als Fischerei und Handelswesen sich entlang der norwegischen Küste etablierten, stieg der Bedarf an Saisonarbeitern, und es kam auch immer häufiger vor, dass Familienmitglieder ganz wegzogen. Brita Caisa Seipajærvi und ihre beiden Söhne sind den Aufzeichnungen nach im November 1859 ausgewandert.
Menschen lassen sich nicht niederschreiben oder wegstreichen. Se ei toimi. Auch wenn meine Schwester tot ist, lebt sie weiter. Der Priester hat in seinem Buch ein Kreuz neben ihren Namen gesetzt, und auf der Seite mit den Toten steht jetzt Maria Stina, aber das sind nur Striche, Kreuze und Buchstaben. Federstriche sind keine Menschen. Was sie zu mir gesagt hat, ihre Arme um meine Schultern, alles, was ich von ihr gelernt habe und jetzt weitergebe, weil ich noch lebe – das ist meine Schwester, das ist Marja. Kein Federstrich kann ausradieren, wie wir Schwestern uns das Haar aus dem Nacken streichen, wenn die Sommerhitze kommt, erst sie, dann ich, und nach mir wieder andere.
Dies ist meine Geschichte. Alles stammt von mir. Ihr alle. Wer wird in kommenden Generationen wütend werden? Was werdet ihr, genau wie die Generationen meiner Zeit, nicht wahrhaben wollen? Über welche Seiten blättert ihr hinweg? Wer wendet sich ab? Wendest du dich ab? Drehst du mir den Rücken zu? Spürst du nicht, wie auch du dein Haar hochhebst, wenn die Hitze kommt? Wie du die Finger ausstreckst, die Strähnen aus dem Nacken streichst, sie hochziehst und weg vom Körper, um Luft an den Hals zu lassen.
Kann man einen ganzen Menschen einfach wegschieben? Voi ei. Kein Mensch passt in ein kleines Kästchen im Kirchenbuch, in schwarze Federstriche, da findet man mich nicht, auch wenn sie mich aufgeschrieben haben. Selbst wenn sie mich auf die Seite der Toten schreiben und hinter den Namen Brita Caisa Seipajærvi ein Kreuz setzen, bleibt mein Leben das, was die über mich erzählen, die mich kannten. Oder von mir wussten.
Ich lächle die Sonne hervor. So hat es meine Schwester gesagt. Als sie noch lebte. Wie groß und schön sie war, mit ihrem langen Hals und ihren geraden Schultern und duftenden Haaren. Wir trugen schwere Eimer, die Wolken wehten weg, und die Sonne schien auf die Wiese, und ich lachte trotz der schweren Last, denn die Wolken spielten am Himmel Fangen und die Sonne kam hervor, um meinen Weg zu erhellen.
Du lächelst die Sonne hervor, meine Brita, sagte sie.
Die Sonne strahlte auf uns herab. Dann hörten die Wolken auf mit ihrem Spiel und überließen uns wieder dem Schatten der Bäume am Wegesrand und der schweren Last.
Ich lächle die Sonne hervor. Ich sage die Worte vor mich hin, während ich voranstapfe, Schritt für Schritt. In mir findet die Dunkelheit keinen Halt.
Ich bin 35 Jahre alt. Auf halbem Weg im Leben. Soll das, was gewesen ist, hinter mir verschwinden. Soll das, was noch kommt, meine Gedanken erfüllen.
Jetzt gehe ich weg und kehre nie mehr zurück. Nicht wie sonst, wenn es zur Saisonarbeit ging, die Jahre im Dienst großer Höfe, die Unterstützung brauchten. Ich gehe für immer, betrete nie mehr wieder mit gesenktem Blick die Hütte meiner Eltern. Dort entlang. Vorwärts. Ich muss neu anfangen. In einem neuen Land. Nie mehr werde ich zwischen meiner Schwester und den Jungen im Bett liegen, denn meine Schwester ist tot, und ich will nicht, dass meine Söhne mit meinem Vater als Mann im Haus aufwachsen, weil sie sonst Trunkenbolde und Taugenichtse werden genau wie er. Mein Bruder Pehr hat das auch gesagt, als er ging. Ich solle lieber mitkommen, damit er der Mann für meine Jungen sein könne, bis ich einen Alten zum Heiraten fände.
Meine Gefühle wechseln stündlich, es ist wie ein Sog, ein Schlund im Herzen, alles zu verlassen und zu vergessen, was war. An nichts bleiben die Blicke so hängen wie an mir, ich spüre es im Körper, ein Stich, ein Ruck, wenn ich lache, den Rechen in der Hand, Schweiß auf der Stirn, wenn ich den Weg entlanggehe und mein Kopftuch richte, ich lächle die Sonne hervor, lächle Sonne, lächle mich, ich werde selten müde, ich habe ein ansteckendes Lachen, heißt es, und töricht sei ich, auch das heißt es. Jetzt lasse ich alles zurück, was man mir nachsagt, jetzt ist es an der Zeit für neue Dinge, neue Orte, neue Worte, neue Geschichten.
Ich bin. Im Wandel.
Der Schnee glitzert um unseren Tross. Sokea-Matti Mokkola ist ein geborener Anführer. Er zieht für immer weg wie ich und hat seine Frau Valla und drei Söhne dabei. Der älteste, Tomas, ist neunzehn. Lille-Matti ist vierzehn und damit ein willkommener Reisekamerad für meinen bald zwölfjährigen Aleksi. Der kleine Nachzügler Erman ist vier und bildet ein gutes Gespann mit meinem dreijährigen Heikki. Neben mir, meinen Söhnen und den Mokkolas gehören noch die Brüder Jalko und Iso-Jussi aus Oulu zu unserem Tross, die in Ruija ihr Glück als Fischer versuchen wollen. Ich stoße mich mit beiden Stöcken ein gutes Stück den Hang hinauf, und die Landschaft weitet sich. Voi jumala. Eine Tischdecke. Eine Welt wie eine saubere Tischdecke. Einzelne Strahlen der Novembersonne brechen über den Bergen durch die Wolken und bringen alles zum Funkeln.
»Ist es noch weit, Mama?«, fragt der Kleine. Er schaut aus dem Pulka hervor, das Näschen ganz rot von der Kälte, mehr ist nicht zu sehen von dem Dreijährigen. Onko se kaukana vasemmalla? »Unendlich weit, Heikki. Schau, so weit, schau nur, wie weit es noch ist.«
Harschschnee. Um die zwölf Grad minus. Halb so schlimm, bis Wind aufkommt und das Tageslicht verblasst. Dann wetzt die Kälte ihre Krallen und kriecht näher, knackt in jedem Bachbett, das wir queren, singt in den klirrend berstenden Eiszapfen. Der Wind fegt die oberste, lose Schneeschicht vor sich her, peitscht sie zu nah über den auf dem Boden dahinziehenden Schwaden auf. Wie der Rauch einer Sauna sieht es aus, der Schnee brennt, als ich mich der Grenze zu Norwegen nähere.
»Hinter der Hochebene liegt Ruija«, sagt Sokea-Matti und bleibt neben mir stehen. Er holt mit seinem dick eingepackten Arm aus, als wolle er die Ebene an sich drücken, die gerade vor uns in der Nachmittagsdunkelheit verschwindet. Mattis auffälligstes Merkmal ist sein Auge, das seit einer Krankheit milchig weiß ist. Er macht gerne Scherze darüber, erschreckt seine Kinder mit der Behauptung, er sei allsehend wie der alte Gott Odin.
»Die Eismeerküste«, sage ich und spüre jede Silbe auf der Zunge. Dort kann man das ganze Jahr hindurch fetten Fisch fangen. Ruija, wo die Fjorde nur so sprudeln und schäumen vor Lodde und Dorsch wie ein Füllhorn voll Essen, in das man nur die Angel zu werfen braucht. Ruija, wo niemand hungern muss.
Matti grinst zufrieden und geht weiter. Er ist stabil gebaut, sieht in seiner Winterkleidung aus wie ein Feldstein. Auch seine Frau Valla ist kräftig und kann zupacken. Ihr wunderschönes, langes, glänzendes Haar ist unter der Pelzmütze nicht zu sehen, aber abends bürstet Matti es mit ihr. Ganz sachte und harmonisch sind sie dann, wie ein gut eingespieltes Banjo. An zwei Abenden gab es so schlimme Unwetter, dass wir alle gemeinsam im Zelt der Mokkolaiset ausharrten aus Angst, unsere kleineren Zelte könnten wegwehen und wir nicht stark genug sein, sie festzuhalten. Tomas sonnte sich in der Bewunderung von Lille-Matti und Aleksi. Ständig zieht er sich am Bart, damit er länger und dichter wächst, aber bis er so ein gestandener Mann ist wie sein Vater, gehen noch viele Jahre ins Land. Menschen verrecken auf dem Weg nach Ruija, sagt er betont männlich, und die Jungen nicken eifrig. Zwanzig, dreißig jedes Jahr. Vielleicht mehr. Weil sie nicht Bescheid wissen, wie es geht. Wie man reist. Dann zieht er sich vielleicht wieder am Bart, und ich muss mir ein Lächeln verkneifen. Lille-Matti ist ein kleiner, lebhafter Vierzehnjähriger. Aleksi ist größer, aber noch zierlich. Zart und leichtfüßig wie viele Jungen. Erman hat herrlich üppige Locken, am Morgen sind sie störrisch wie Blaubeersträucher. Neben ihm sieht mein Heikki fast aus, als hätte er gar keine Haare, so hell sind sie, beinahe weiß. Wenn wir uns das Zelt teilen, spielt Erman, mein Heikki sei ein Tier – ein Schaf, Ren, Wolf oder Hase –, das er zähmt, hütet oder fängt. Oder tötet.
Valla gleitet auf Skiern an mir vorbei, dreht sich um, schaut, warum ich stehen geblieben bin, und zieht sich den Schal ganz übers Gesicht, sodass nur die Augen zu sehen sind. Ich folge in ihrer Spur, froh, die Reise gemeinsam mit einer gut gelaunten, willensstarken Familie anzutreten, mit Kindern im selben Alter wie meine. Auf die Brüder aus Oulu, Jalko und Iso-Jussi, könnte ich gut verzichten. Beide haben im Laufe der Tage das ein oder andere angedeutet. Ich bin die Aufmerksamkeit gewohnt, lasse ihre Worte einfach zu Boden fallen, denn ich habe keine Verwendung für sie, aber Aleksi braust immer wieder auf und sagt Sachen wie: Wir gehen nach Pykeijä, und da heiratet Brita einen Fischer mit Boot und Haus und Land.
Die Brüder antworten dann vielleicht, ich bräuchte mehr als einen eigenbrötlerischen, zahnlosen Witwer, da könne der noch so viele Boote und Häuser haben.
Einen guten Fischer, beharrt Aleksi, der mir alles beibringt, was er kann, der weiß, wo die Fischgründe sind und sein Einkommen nicht versäuft. Einen anständigen Mann.
Warum Pykeijä?, fragt Matti nach einem dieser Schlagabtausche. In Vadsø gibt es mehr Möglichkeiten. Hauptstadt der Finnen nennt man es auch, weil so viele dort leben.
Mein Bruder, Pehr Pudas, ist nach Pykeijä gegangen, erkläre ich. Das ist auch ein Fischerort, viele aus Sodankylä ziehen dorthin.
Der Schnee hat einen ganz eigenen Glanz, wenn der Wind nachlässt und die Abendsterne am Nachmittagshimmel funkeln. Der Himmel erstreckt sich in alle Richtungen. Noch nie habe ich so viele Sterne auf einmal gesehen. Wie viele vor uns schauen wir zurück, in Richtung der dichten Wälder, der Seen und Flüsse, in deren Nähe wir gewohnt haben, auf Gebäude, Blaubeerwiesen und Familien, die wir hinter uns gelassen haben. Voi ei. Sie, die anderen, drehen sich um, als die Weite um uns herum alles Gewohnte verschluckt. Ich nicht. Ich begrüße das Neue. Das Offene und Große. Als mit dem Abend der Wind wieder anhebt, halte ich die Wangen, die sich wegdrehen wollen, weiter hinein. Ich schaue nicht zurück. Ich blicke nach vorne. Da entlang, weiter. Ich führe Rakastan am Zügel, die Renkuh, die unseren Pulka zieht, Ski und Pulka gleiten leicht dahin, Schnee und Gelände sind gut. Jetzt, da es flach ist, sitzen beide Jungen im Pulka, Heikki ahnungslos und mit großen Augen, Aleksi in sich gekehrt, er hat oft lange an Ungerechtigkeiten und Groll zu beißen, kaut auf seiner Lippe und auf der Ungerechtigkeit herum wie andere auf Trockenfleisch, das ist eine Eigenschaft, die Dunkelheit ist eine Eigenschaft, wie Licht eine ist, alles kann nützlich sein, er muss lernen, die Stärke zu finden, die Stärke in der Dunkelheit ist groß und tief, solange die Dunkelheit nur nicht zum Widerstand wird und man sich an unwichtigen Dingen aufreibt. Unwichtige Dinge – ich spüre den Worten nach. Unsere restlichen Besitztümer liegen bei den Kindern auf dem Pulka, viele sind es nicht.
»Ich brauche ein Zugrentier«, hatte ich zu Aleksis Vater gesagt, als wir uns auf dem Herbstmarkt über den Weg liefen. Weil er ohne seine Frau da war, hätte der Großbauer aus Unari am liebsten in aller Ausführlichkeit über dieses und jenes geplaudert, aber ich wollte einfach nur ein Zugrentier. »Zumindest ein Rentier, das brauche ich.«
Als der erste Schnee liegen blieb, kam einer seiner Nachbarn mit der vor einen Pulka gespannten Renkuh. Während ich sie in Augenschein nahm, begann mir vor der Endgültigkeit der Reise zu grauen. Fortgehen. Viele gehen zum Fischen nach Ruija, gehen dorthin und kommen wieder im Wechsel der Jahreszeiten, wie sie es schon immer getan haben. Widerstandsfähige, wohlgemute Waldfinnen sind wir, gleiten der Nacht entgegen, der Harschschnee trägt uns, Nahrung ist knapp, hungerbrotgespeiste, lederbekleidete Nordfinnen oder Quänen, wie man uns nennt, Kvenen, die Menschen, die schon immer im Norden gewesen sind, die es verstehen, Harz aus Bäumen zu zapfen und sich zunutze zu machen, die es verstehen, mit so gut wie gar nichts zu überleben, die am liebsten am Flussufer wohnen und Häuser aus Holz bauen, die, wenn die Welt freigebig ist, Rinder und Rentiere halten, aber finden, dass Vögel frei sein müssen. Wir kommen mit kleinen Stuben zurecht, mit kleinen Leben und geringen Zukunftsaussichten, außer es wird wirklich nichts daraus, von gar nichts kann niemand leben, dann schnüren wir die Zukunft zu einem Päckchen zusammen und nehmen sie mit, viele gehen auf Skiern, viele bezahlen die Lappen für den Transport, manche nehmen eigene Rentiere mit, sie sind günstig im Unterhalt, wir, die wir Kinder haben, können sie Moose und Birkenrinde für das Nachtlager aus dem gefrorenen Boden ausgraben lassen, solange wir selbst das Zelt aufschlagen, Feuer machen und die dünne Mehlsuppe kochen, bis die Graupen eindicken, während wir über den Fisch sprechen und über die Zukunft, die uns erwartet.
Ich teile den Kindern die Mehlsuppe aus. Wir Erwachsenen kauen Trockenfleisch und gute, harte Stücke Roggenbrot. Schleichend kommt der Schlaf. Unser aller Wangen sind rund und rot vom kalten Wind. Heikki schläft über der Suppe ein. Ich wecke ihn, damit er aufisst. Aleksi lässt seinen kleinen Bruder nah bei sich liegen, während ich mich um das Geschirr kümmere, es in Schnee und Wind sauber mache, bevor ich selbst in ein Rentierfell und in den Schlaf stolpere. Nie mehr werde ich zurückkehren zu diesen dicht stehenden Baumstämmen, den beißenden Bremsen und der feuchten Julihitze. Jeder Schritt ist ein Anfang. Jeder Schritt sagt nie mehr wieder.
Die Kinder haben gelbe Flecken in den weißen Schnee gepinkelt. Mit geübten Handgriffen und mithilfe von Valla und seinen Söhnen packt Matti Mokkola das Zelt und alles andere zusammen. Aleksi und ich kümmern uns um unseren Pulka und unsere Felle. Unsere Renkuh heißt Rakastan. Ich liebe. Sie ist ein gutes Zugtier, stark und breitbrüstig für eine Kuh, aber seit zwei Tagen lahmt sie ein kleines bisschen. Wenn ich nicht aufpasse, driftet sie nach links, doch es gibt schlechtere Zugtiere, träge, alte, schreckhafte. Sobald ich weiß, wo wir leben werden, wird das Ren geschlachtet, Rakastan wird dem Messer begegnen, alle begegnen früher oder später dem Messer, und sie mit ihren lieben Augen wird verstehen, dass es nicht mit böser Absicht geschieht. Ihr Fleisch wird zum Trocknen aufgehängt, ihre Haut wird eine Felldecke, ihre Knochen werden zu Brühe gekocht, und die Brühe gebe ich den Kindern, sie werden essen, bis sie platzen. Aleksi darf das Mark aussaugen, so viel Mark, wie er nur saugen kann, denn er wächst jetzt. Wenn wir uns nicht beeilen, ist er ein Mann, wenn wir in Pykeijä ankommen, und wir müssen uns nach Arbeit für ihn umsehen. Ich kann arbeiten, alles, was in Lappland lebt, kann arbeiten, das liegt im Blut, ein Strom des Willens, etwas zu leisten, etwas zu Ende zu bringen. Aber nicht alle arbeiten gleich viel, das stimmt. Man kann aus fleißigeren Sippen stammen. Aus weniger versoffenen. Enger verbundenen. Weniger unsteten. Ja, das kann man wohl.
Matti Mokkola hat für die Reise in das neue Land eine Bescheinigung vom Pastor erhalten. Die jungen Männer ebenfalls, konfirmiert, aus gutem Hause, können die Bibel lesen, solche Dinge stehen in diesen Bescheinigungen. Bescheinigungen für anständige Leute. Verlässliche Leute. Aus rechtschaffenen, hart arbeitenden Familien. Kirchgänger und Bibelleser. Für Diebe und Taugenichtse gibt es keine Bescheinigung. Ich starre ins Leere. In Norwegen wird man wohl nichts von meiner Kirchenstrafe wissen? Als mein Bruder Pehr wegzog, war mir nicht klar, wie wütend der Pastor war, ich wusste nicht, dass mich vier Sonntage Kirchenstrafe erwarteten, wegen meines unsittlichen Lebenswandels, wie er es ausdrückte, als er an unsere Tür kam, der Pastor, seine Hände ganz sauber, frisch gewaschen, als fasste er den ganzen Tag nichts an, ich hingegen hatte Heikkis Spucke an der Schulter, hielt einen schleimigen Lappen in der Hand, in den meine Schwester gehustet hatte, meine Schürze war schmutzig von der Arbeit mit den Tieren, und ich hatte eben erfahren, dass sie zur Ernte auch in Salla keine Verwendung hatten für eine wie mich, eine mit unehelichen Kindern, und da stand nun also der Pastor mit seinen sauberen Händen und sah mir geradewegs in die Augen, und ich wünschte, ich hätte ihn anschauen und nicken können, als er von der Strafe berichtete, doch ich senkte den Blick. Mit brennenden Wangen sah ich zu Boden, als der Pastor sagte, wenn Heikki getauft werden solle, müsse ich die Strafe über mich ergehen lassen.
Allein die Erinnerung daran lässt meine Wangen wieder brennen, meinen Nacken schwitzen. Hätte ich keine Fäustlinge an, würde ich jetzt schauen, ob meine Fingernägel sauber sind, aber ich kann wohl kaum die Einzige sein, die sich ohne Bescheinigung des Pastors auf die Reise macht. Es gibt viele Gründe, keine zu haben. Der häufigste ist, dass man zu weit vom Pastor entfernt wohnt. Was sagt es schon, wenn jemand keine Bescheinigung hat? Ist es nicht eher so, dass einen, wenn man nun eine Bescheinigung vorweisen kann, ein besonders fester Händedruck erwartet und die Möglichkeit, Land zu kaufen? Ich lächle. Land kaufen. Das steht sowieso außer Frage. Ich habe genau zwei Dinge von Wert im Gepäck: Okkis Gebetbuch, in dem die mächtigsten Verse eingekreist sind, und Ämmys Festtagsbrosche. Für solche Sachen bekommt man kein Land. Außerdem habe ich nicht vor, sie zu verkaufen.
Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe. Zwei Kinder ohne Vater sind eine Sache. Sich als Mutter vier Sonntage hintereinander in der Kirche Schimpf und Schande aussetzen zu müssen, eine ganz andere. Zu Beginn des Gottesdienstes erzählte der Pastor, was Brita Caisa Seipajærvi für ein liederliches Frauenzimmer gewesen sei und dass sie sich nun vor der Gemeinde schämen solle, und ich wagte keinen Mucks zu machen, meine Wangen glühten, und der Gottesdienst nahm seinen Lauf. Mein Bruder Pehr und seine Familie sind schon in Pykeijä. In seinem ersten Brief hat er uns alle eingeladen, nachzukommen. Mich, unseren Bruder Simpa und unseren jüngsten Bruder Mikke.
Während ich arbeite, werde ich mich bei den unverheirateten Fischern bekannt machen. Herausfinden, wer gut fischt, wer ein abbezahltes Boot hat, wer nicht all sein Geld für Schnaps und Tollereien verschleudert, wer eine Kuh hat und eine gute Singstimme und ein schönes Messer. Wenn er dann obendrein noch ein netter Kerl ist, kann ich ihn heiraten. Wenn er sich über mich erkundigt und das mit der Kirchenstrafe herausfindet, sage ich es ihm, wie es ist. Heikkis Vater ist gestorben. Viele sterben. Ich habe seit Heikkis Geburt bei meinen Eltern gelebt, dann aber beschlossen, in Ruija ein neues Leben zu beginnen, wo das Meer nie zufriert und meine Söhne ein Feld bestellen können, das nie leer wird.
Ich habe keine Bescheinigung, aber ich werde auch kein Land kaufen. Mutter hätte mich gerne mit ein paar Silberstücken losgeschickt, aber woher hätte sie die nehmen sollen?
»Das einzige Silber, das dir bleibt, wenn du so weitermachst, ist das deiner Haare«, sagte Mutter. »Sei fleißig und gottesfürchtig, Brita Caisa.«
Wir standen abreisebereit vor der Hütte. Die Sprünge im Fensterglas. Die Eiszapfen am Dach. Die Ritzen im Anbau. Die ausgetretenen Pfade auf der verschneiten Erde. Zum Brunnen, zur Kuh, zum Plumpsklo, zum Weg, zum Fluss. Die Skispuren, die Vater hinterlassen hatte, als er vor dem Morgengrauen aufbrach, um auf dem Markt im Süden Selbstgebrannten zu verkaufen. Die Hütte noch warm von unseren schlafenden Körpern und der Glut im Ofen. Jetzt, wo wir weg waren, würde Mutter morgens frieren.
»Du bist fleißig und gottesfürchtig, meine kleine Mutti«, entgegnete ich und strich ihr über die Wange. »Und was hast du davon, außer einen Narren zum Mann, tote Kinder und einen Schandfleck wie mich?«
»So etwas Schönes wie du kann kein Schandfleck sein«, sagte Mutter und umarmte mich, spindeldürr, stark und runzelig unter dem großen graubraunen Tuch, das ihre Schwester für sie gemacht hat und das sie so gern mag. »Schreib mir, Brita Caisa. Schreib mir, wenn du bei Pehr in Pykeijä angekommen bist.«
Der Abschied zwischen Aleksi und Mutter war schwerer. Sein Rücken war gebeugt, seine Schultern zuckten, und seine Arme klammerten sich fest an die kleine Frau vor ihm.
So sieht Liebe aus, dachte ich, als ich ihre Gesichter sah, einander zugewandt, und Mutter ihn ein wenig von sich wegschob, ihm die Hände an die Wangen legte, lächelte, nickte und flüsterte. Wie ähnlich ihre Nasen sich doch sahen. War es das, was diese beiden Menschen verband, Liebe, diese beiden, von denen die eine mich geboren und der andere von mir geboren wurde?
Mir wurde warm ums Herz, als ich die beiden so sah.
Ist es nicht eine Belohnung an sich, lieben zu dürfen? Geht es darum nicht beim Lieben?
»Ämmy«, sagte Aleksi, immer noch schluchzend im Angesicht von Mutters Falten. »Lass nicht zu, dass sie mich mitnimmt. Ich will nicht weg von dir.«
Mutter flüsterte ihm ins Ohr, redete ihm gut zu, wie nur sie es kann, und das Schluchzen verebbte.
Mit Dreijährigen ist es einfacher.
Dreijährige fügen sich wie dumme Schafe. Sie wissen es nicht besser.
Als der Traum das erste Mal kommt, bin ich zehn, es ist Sommer und warm. So wirklich. Wirklicher, als wach in der Welt zu wandeln. Der Traum fängt damit an, dass ich mich beeile, ich renne und stolpere, meine Beine kennen den Weg, obwohl ich noch nie an diesem Ort gewesen bin, die Luft strömt frisch und salzig, das Gras sprießt kräftig und dicht zwischen gewölbten Steinen, der Weg führt an einer Felswand entlang, Dächer kommen zum Vorschein, kleine, eng stehende Häuser, keine Bäume, kein einziger Baum, ich gehe den Hang hinauf, meine Schritte lautlos in den weichen Lederschuhen, ich halte etwas in den Händen, erst als das erste Fenster auftaucht, schaue ich an mir hinunter und sehe, was ich da trage, einen blutigen Klumpen, einen Darm, an dem etwas baumelt, ein haarloser Tierfötus, denke ich, aber dann sehe ich, dass es ein Kind ist, und bleibe entsetzt stehen. Von meinen Fingern tropft Blut, meine Schürze ist blutverschmiert, im Inneren des blutigen Bündels klopft ein Herz, dort, wo gerade noch Falten waren, öffnet sich jetzt ein grünes Auge. Ich will das Kind fallen lassen, will es nicht halten, will es einfach loslassen.
Ich zwinge mich, den Blick abzuwenden. Ich schaue nach oben. Rufe um Hilfe. Im Fenster des Hauses erscheint das Gesicht einer Frau und sieht mich an. Sie erinnert mich an jemanden. Im Traum ist das Kind in meinen Armen ihres.
»Du wirst ein Kind verlieren«, sagt meine Mutter, als ich ihr davon erzähle. Sie zündet sich die Pfeife an und setzt sich an die Sonnenwand.
»Das Kind gehört zu der Frau im Fenster«, wende ich ein. »Ich versuche nur, es zu retten.«
»Es ist dein Kind«, erwidert meine Mutter. »Du wirst ein Kind verlieren, vielleicht sogar alle. Das ist ein starker Traum. Erzähl Okki davon.«
»Damit er in den Traum reist und sieht, was geschieht?«
»Vielleicht weist er dir den Weg.«
»In den Traum?«
»Dann kannst du selbst reisen.«
»Ist das denn möglich?«
»Von seinem toten Kind zu träumen ist ein mächtiger Traum. Das, was du einen Darm genannt hast, Brita Caisa, das war die Verbindung zwischen Leben und Tod, du hast die Nabelschnur gehalten, mit dem daran baumelnden Mutterkuchen.«
»Ich bin besonders, wie Okki«, sage ich. »Okki Pekka Köngäs, der Zauberer aus dem Wald, der Tote zum Leben erwecken und das Blut von Freund und Feind zum Versiegen bringen kann.«
»Denk so was nicht«, sagt meine Mutter und wischt mich beiseite. »Mein Vater ist dein Großvater, dein Okki, er ist ein Helfer, und ein Helfer nennt sich selbst nicht ›besonders‹«.
»Alle finden, dass ich besonders bin«, sage ich zu meiner Mutter. »Die Sonne findet mich immer, sogar im Schatten des Waldes scheint sie auf mich.«
»Du jagst nur immer allem hinterher, was dein Gesicht zum Leuchten bringt«, entgegnet meine Mutter. »Lob, Sonnenstrahlen, Essen und Trinken, Tanz und Gesang.« Meine Mutter pafft ihre Pfeife, Rauchkringel winden sich die Holzwand hinauf. An der Uferböschung ruft ein Kuckuck. »Aber wo ist die Sonne, wenn der Winter kommt?«
»Da schläft die Sonne«, sage ich. »Oder, Mutter?«
»Sie will, dass du stark bist«, sagt meine Mutter.
»Stark?«
»Es ist nicht immer alles zum Lächeln, Brita Caisa.«
»Das weiß ich, sehr gut sogar«, sage ich. »Du sagst immer, dass nicht alles zum Lächeln ist.«
»Ja, das stimmt.«
»Aber manches ist zum Lächeln«, sage ich entschieden. »Jeder Mund trägt auch ein Lächeln in sich.«
Meine Mutter blickt ins Leere, bleibt sitzen, auf der Wiese nebenan bimmelt die Glocke unserer Kuh.
»Tut dir der Leib weh, Mutter?«, frage ich.
»Weh wie Wintereis«, antwortet sie und legt die Pfeife beiseite.
»Brauchst du einen Schluck?«
»Gibt es denn noch was?«
»Vater hat den Bottich unter die Treppe gestellt, wo du nicht nachsiehst.«
»Hol mir einen Schluck, Brita Caisa, und dann frag deine Schwester, ob sie bei irgendetwas Hilfe braucht.«
»Ich verrate Vater auch nichts.«
»Ja, kein Wort zu dem alten Haderlump.«
»Was ist ein Haderlump?«, frage ich und reiche meiner Mutter den Becher.
»Einer, der sich nicht gut um seine Sachen kümmert.«
»Kümmert er sich schlecht?«
»Was denkst du?«
»Er hat das Gatter repariert.«
»Was glaubst du denn, warum wir umziehen mussten?«
»Viele ziehen um.«
»Leute mit eigenem Hof nicht.«
»Du meinst, mit einem ordentlichen Hof?«
»Die gehen nicht weg.«
»Nein.«
»Und nicht alle ziehen hierher, oder?«
»Willst du lieber woandershin?«
»Früher ist die Familie deines Vaters hingezogen, wohin auch immer sie wollte, vielleicht kann er deshalb nirgendwo vernünftig leben.«
»Sie sind einfach bei irgendwem eingezogen? In ihre Hütten?«
»Sie sind mit den Jahreszeiten gezogen.«
Meine Kleider sind klamm von Schweiß, als ich aufstehe und in die klirrende Kälte hinausschlüpfe. Wie gut der Frost tut. Dreimal zwinkern, vier Atemzüge, und die Angst lockert ihren Griff. Der Frost kann alles vertreiben, sogar die Angst. Ich stehe da und spüre, wie die nassen Strähnen an meinen Schläfen zu drahtigen Kringeln gefrieren. Im Westen fegt flackernd ein matter Nordlichtstrahl über den Himmel wie eine Schlange, die Schlange im Paradies, die die Frau verführt hat. Voi ei. Der Lichtstrang ähnelt mindestens so sehr einem Lasso, das viele in meiner Familie um den Hals eines Rens werfen, das totgeweihte Kalb strampelt mit den Vorderläufen, wirft sich hin und her, aber das Seil spannt sich, der Ruck kommt. Viele in der Familie meines Vaters sind nie sesshaft geworden, seine Onkel zogen nach Norden, als die Siedler kamen und mit ihnen die Gesetze, Vorschriften und Verordnungen.
Schwester, denke ich und schlüpfe zurück zu den Schlafenden ins Zelt. Niemand kann meine Schwester jetzt mehr finden. Nicht unter den Lebenden. Hin und wieder finde ich sie noch in Gedanken. Manche Erinnerungen sind so schön, dass ich sie aus mir herausweine. Etwa als ich die Kuh molk und daran denken musste, wie sie es mir an unserer eigenen Kuh beigebracht hatte. Manche Erinnerungen hüpfen umher wie Dompfaffen, Spatzen und Blaumeisen im dichten Blattwerk der Büsche.
Eine Gestalt nähert sich auf Skiern. Im Morgengrauen sieht sie aus wie ein wandelnder Rußfleck, zuerst taucht der Rumpf auf, dann der restliche Körper in einiger Entfernung. Einige von uns halten inne und schauen, er scheint die Nacht hindurch gelaufen zu sein, wir selbst sind dabei, in der Dunkelheit unser Lager zusammenzupacken, Frostrauch, die Kinder frösteln, Arme und Beine schmerzen und meutern, bevor schließlich die Wärme der Arbeit das Blut durchströmt. Die Gestalt kommt näher, wir sehen den Schnee im Pelz um sein Gesicht, die Augenbrauen sind reifüberzogen, aber sein Blick ist wach und freundlich.
»Seid ihr also unterwegs«, grüßt er nickend. »Ruft euch Ruija? Wollt ihr zur Küste?« Sokea-Matti Mokkola tritt näher an ihn heran und stellt uns vor, er hat einen guten Händedruck. Während er redet, strömen die Kinder herbei, mein kleiner Heikki, der wachsame Aleksi, der Jüngste von Matti und Valla.
»… und das da drüben ist Brita Caisa Seipajærvi mit ihren Söhnen Aleksi und Heikki. Wir sind alle auf dem Weg nach Ruija, ich selbst gehe wohl nach Vadsø …«
»Seipajærvi?«, wiederholt der Mann und mustert mich.
»Brita Caisa Mikkelstytir Seipajærvi«, sage ich und ergreife seine Hand. »Und wer bist du?«
»Ich heiße Oluf Aikio, und wenn ich mich nicht irre, wird dein Vater Mikkel Seipajærvi auch Mikkel Syvajärvi gerufen.«
»So ist es.«
»Dann seid ihr also auch Aikiolainer. Unsere Sippe kann, wie es heißt, weite Wege zurücklegen.«
»Vaters Familie hieß Aikio, bevor sie nach ihren Wohnorten aufgeschrieben wurden«, sage ich, »und ja, wenn es sein muss, laufen wir weit.«
»Ich bin die ganze Nacht gelaufen, um bei den Skoltsámi drüben in Sevettijärvi Schnaps zu holen.«
»Ist der Durst so groß«, scherzt Matti, »dass ein Mann für einen Schluck durch die Winternacht läuft?«
»Auch das ist wohl schon vorgekommen, aber diesmal war es eher so, dass der Durst schlimm war und wir ihn gelöscht haben, Ville Sirkka und ich in seiner Hütte draußen bei Iiljoki, aber dann hat er sich verletzt, die Wunde hat sich entzündet, und jetzt reitet ihn das Fieber wie einen brunftigen Renbullen. Ich muss die Wunde säubern und ausbrennen.«
Sokea-Matti blickt in die Ferne.
»Jetzt sind wir genau in der Mitte, oder? Wir haben bei Enare übergesetzt und folgen dem Weg zwischen Enare und Iiljoki.«
»Wir sind näher an Iiljoki«, sagt Oluf. »Wenn ihr euch in der Mitte halten wolltet, seid ihr zu weit nach Westen gedriftet.«
»Den schnellsten Weg haben wir im Schneesturm verloren«, sagt Matti. »Wir dachten, wir könnten auch im Gestöber noch navigieren.«
»Das haben schon viele gedacht, und viele davon sind tot«, sagt Oluf lächelnd und richtet den Blick wieder auf mich. »Aber du, Brita, komm doch mit mir zu Villes Gamme. Du und die Kinder. Wir sollten im Laufe des Tages dort sein. Die Wunde ist ernst, und die Aikio-Frauen hatten schon immer ein gutes Händchen für Verletzungen.«
»Ich bin besser mit Tieren als mit Menschen.«
»Wir wollen nach Pykeijä«, fügt Aleksi hinzu und macht einen Schritt auf mich zu. Er ist es gewohnt, dass Männer mir Aufmerksamkeit schenken. Sein Mund ist schmal geworden.
»Das wollen wir wohl alle«, sagt Oluf gutmütig.
»Warst du schon mal dort?« Aleksi vergisst seine Habachtstellung.
»Ich wohne mal hier, mal dort. Ich halte Rentiere bei den Inarisámi. Mein Herz ist in Iiljoki. Ich war in Vadsø und Hammerfest, und ich habe noch einen Wohnsitz in Näädämä, oder Neiden, wie wir es nennen, wenn wir über die Sprachen hinweg sprechen, mit den Norwegern, den Lappen, Skoltsámi, Küstensámi und Russen. Dort will ich mich auch niederlassen, auch wenn es bisher nur für eine Gamme reicht – an der ersten Biegung über dem großen Wasserfall.«
»War es einfach, an Grund zu kommen?«, fragt Matti neugierig.
»Man muss es bestellen, einhegen und bewirtschaften«, sagt Oluf. »Dann wendet man sich an den Lensmann, der misst alles aus, und man bekommt die Papiere ausgehändigt und die Schuld mitgeteilt.«
»Teuer?«, hakt Sokea-Matti nach und sieht Oluf mit dem gesunden und dem weißen Auge an.
»Am besten bezahlt man alle Speciedaler auf einmal, aber wer hat schon so viel? Ich habe Zaunpfähle eingeschlagen, Grenzsteine aufgestellt und die Gamme gebaut, aber das Geld habe ich noch nicht. Ich muss erst etwas anbauen. 20 Speciedaler werde ich schon hinlegen müssen, bis jetzt habe ich vielleicht zwei davon.«
Während wir reden, haben die Oulu-Brüder und die Mokkolaiset fertig zusammengepackt, und die drei Rentiere stehen bereit. Ganz hinten Rakastan neben Aleksi, mit Heikki im Pulka, weil der erste Teil des Weges abschüssig ist.
Ich lasse den Blick von den Kindern zu Oluf und schließlich zu Sokea-Matti wandern, der oft guten Rat weiß. Vielleicht lässt ihn auch nur sein weißes Auge besonders klug wirken.
Er merkt mir mein Zögern an. Wäre es nicht besser, den Weg mit den anderen fortzusetzen?
»Eine gute Tat wird oft vergolten«, sagt er und nickt. »Und wenn du gut mit Wunden umgehen kannst, solltest du dorthin gehen, wo die Wunde ist, Prita-mor.«
»Es ist ein Umweg«, sage ich.
»Nicht unbedingt«, sagt Oluf. »Es gibt viele Wege nach Ruija, und ich kenne die meisten.«
Als unser Tross im Morgengrauen verschwindet, befallen mich Zweifel. Sollte ich mich wirklich zu einem einsamen verletzten Mann führen lassen, der draußen auf der Hochebene vom Jagen und Eisfischen lebt?
Oluf Aikio schiebt sich mit den Stöcken voran und gleitet nach links, wo unser Tross sich geradeaus gehalten hat. Ich fühle in mich hinein. Was hätte Okki getan? Aus unerfindlichen Gründen muss ich plötzlich an den Nachbarshund denken, dem ich die Hoden habe abschneiden müssen. Er lag ganz still, obwohl ich mit dem Messer hacken musste, denn die Klinge war nicht sehr gut und ich noch ein junges Mädchen, aber die Hoden waren groß wie Kuheuter, und der Hund war von selbst zu mir gekommen, mit schleifenden Hinterläufen. Ich wusste, dass die Hoden wegmussten. Es steckte Krankheit darin. Danach versuchte ich, die Blutung zu stillen, aber es wollte einfach nicht aufhören. Erst als Okki kam und seine Hände auf meine legte.
»Du musst glauben, Brita-Kind«, sagte er ruhig, als das Blut zu dicken Klumpen geronnen war, meine Hände schwer von all dem Rot, und der Nachbarshund mich träge anblinzelte.
Ich schiebe mich voran und gleite Oluf Aikio hinterher, der stehen geblieben ist und sich nach uns umdreht. Als ich mich in Bewegung setze, setzt sich auch Rakastan in Bewegung und folgt mir mit Heikki im Pulka und Aleksi auf Skiern daneben in ruhigem Trott.
Ville Sirkkas Gamme ist schön gelegen, geräumig und hat Fenster auf zwei Seiten, aber es riecht nach Krankheit. Zuerst weigert sich Aleksi, mir beim Ausräumen der Hütte zu helfen. Er vermisst unseren Tross, besonders die älteren Mokkola-Söhne, Bart-zieh-Tommi und Lille-Matti haben ihm Dinge beigebracht, die sie von ihrem Vater gelernt haben. Sogar mit den Brüdern aus Oulu hat er sich viel unterhalten, nachdem die aufgehört hatten, mir Blicke zuzuwerfen. Auch sie wollen nach Vadsø wie die Mokkolaiset.
Heikki trägt eifrig Kleinkram aus der Hütte hinaus in den Schnee. Einen Kessel. Eine Kiepe. Einen Bottich.
»Mach Feuer«, bitte ich Aleksi. »Ich brauche heißes Wasser.«
Murrend beginnt er, die Feuerstelle freizuschaufeln, auf die Oluf deutet. Ich packe die Felle, in denen Ville liegt. Draußen in der Kälte dampft er vor Hitze wie ein Suppenkessel in der Abenddämmerung. Zum Glück weht kein Wind. Er kann gut eine Weile draußen bleiben.
»Willst du dich nicht um die Wunde kümmern?«, fragt Oluf und streift nach der Anstrengung den Pelzmantel ab. Sein Brusthaar kräuselt sich am Kragen seines Hemdes. So behaarte Männer sind selten, auf seinem Kopf wachsen die Haare noch kräftiger. Nach Läusen absuchen, notiere ich mir im Stillen. Da kann ich ihm wohl auch gleich den ganzen Schädel rasieren.
»Hier sollte man sich um einiges kümmern«, antworte ich.
Während Ville im Schnee liegt und Aleksi Wasser kocht, entzünde ich ein paar Zweige am Feuer und streife damit über die Hüttenwände. Das hat meine Mutter mir beigebracht: Feuer auf Erdwände. An der einen oder anderen Stelle greift sich die Flamme etwas, flackert auf und verlischt dann. Vielleicht sind es Läuse, die da verbrennen, vielleicht Ausdünstungen. Ich brauche eine ganze Menge Zweige, bis ich das Gefühl habe, fertig zu sein. Die Kälte hat den Gestank schon erträglicher gemacht. Vielleicht kommt er vor allem von dem kranken Mann und seiner Wunde. Mit dem heißen Wasser reinige ich die Pritschen, es gibt drei davon. Ich muss meine eigene Bürste aus dem Gepäck holen, denn in der Gamme gibt es nicht einmal so etwas wie einen Putzlappen.
»Was seid ihr denn für Haderlumpen«, murmle ich vor mich hin. Ich schrubbe die Wände von innen nach außen, gehe sparsam mit dem Wasser um.
»Den Frühlingsputz erledige ich für gewöhnlich im Frühling«, sagt Oluf gutmütig und sieht mich von der Schwelle aus an. Auch seine Augenbrauen sind von der buschigen Sorte.
»Vielleicht manchmal nicht mal das«, sage ich spitz.
»Im Leben eines Menschen gibt es viele Frühlinge«, antwortet Oluf. »Womöglich habe ich sie nicht alle mit Putzen zugebracht. Aber das hier ist Ville Sirkkas Winterwohnsitz, also fragst du besser ihn, wann er zuletzt sauber gemacht hat.«
»Wo Schmutz ist, folgt die Krankheit«, sage ich. »Baut eine Sauna oder putzt!«
»Jawohl, Frau Seipajærvi«, lacht Oluf. »Kann ich dir mit etwas helfen?«
»Klopf alle Felle aus«, sage ich. »Danach reibst du sie mit Schnee ein.«
»Der Schnee ist trocken und kalt, das geht nicht«, sagt Oluf.
»Dann mach ihn nass, du Schafskopf«, lache ich. »Hast du etwa alles vergessen, was deine Mutter dir beigebracht hat?«
Oluf Aikio hängt die Felle über ein Seil zwischen zwei Bäumen und klopft sie mit einem Ski aus, bis sich jedes Kleintier weit und breit aus dem Staub gemacht hat. Dann feuchtet er Schnee an und reibt Haut- und Fellseite damit ein. Ich fege den Erdboden in der Gamme. Wische alle Gegenstände ab, bevor ich sie wieder hineinräume. Dann bitte ich Aleksi, auch drinnen Feuer zu machen. Geschickt bringt er eine Flamme von der Feuerstelle herein.
»Sehr gut«, sage ich. »Du bist tüchtig.«
Aleksi schaut von mir zu Oluf. Dann nickt er leicht. Heikki ist längst im Pulka eingeschlafen. Oluf und ich ziehen Ville, der jetzt nicht mehr dampft, aber nach all der Zeit im Schnee auch noch nicht friert, die Kleider aus und hieven ihn zurück auf die sauberen Felle. Mit einem decke ich ihn vom Bauch abwärts zu, lasse aber den Oberkörper frei, der jetzt voller Raureif ist. Er hat den üblichen Körperbau, stämmig und haarlos, sein Kopfhaar ist glatt und wird langsam grau.
»Ich habe dich nicht hierhergebracht, damit du den alten Kerl umbringst«, sagt Oluf und macht Anstalten, Ville noch weiter zuzudecken.
»Klopf die restlichen Felle aus, auf denen er draußen gelegen hat«, bitte ich. »Vergrab die Kleider im Schnee, hol Heikki und leg ihn auf die Pritsche, aber in eins von unseren Fellen! Nimm das aus dem Pulka.«
Ich setze mich neben Ville. Seine Haut ist übersät von Kratzern und kleinen Narben und überall dort ganz weiß, wo die Sonne nie hinkommt. Er sieht aus, als würde er schlafen, aber von seinem grauen Haaransatz tropfen wieder Schweißperlen. Die Wunde zieht sich über den linken Handrücken, ist geschwollen und glutrot. Und sie riecht.
»Und das wolltest du mit Schnaps übergießen und anzünden?«, frage ich über die Wunde gebeugt.
»Irgendwie so, ja«, sagt Oluf. »Das hat schon öfter geholfen.«
»Wie gut ist dein Messer?«
»Ein besseres gibt es nicht«, sagt er und reicht es mir. Ich wende den Blick von der Wunde ab und betrachte das Messer. Es ist etwas größer als üblich, der Schaft ist stabil, aber schmucklos, die Klinge schimmert im Schein des Feuers. Ich nicke. Ein gutes Messer.
»Halt es zur Reinigung ins Feuer«, sage ich und suche in meiner Tasche nach einer Münze, die ich Oluf reiche, als er mir das Messer zurückgibt.
Erst will er sie nicht nehmen. »Das ist nur geliehen.«
»Nur zur Sicherheit«, sage ich. »Nimm schon, damit kein böses Blut am Messer klebt. Die Wunde ist ernst genug, Oluf, da brauchen wir kein zusätzliches Pech.«
Ich spüre, wie er mich ansieht, schiebe seinen Blick jedoch weg. Schiebe alles weg. Schiebe die Kinder weg, die Gamme, den Gestank und mich selbst. Ich spreche das Vaterunser über der Wunde, dreimal, dann schneide ich das geschwollene, eiternde Fleisch weg. Ville windet sich, wacht aber nicht auf. Sein Arm ist kraftlos. Ich schneide Streifen von ihm ab wie Trockenfleisch von einer Keule. Die ganze Zeit über bete ich, dass Gott uns nicht verlassen möge. Meine Stimme steigt zum Himmel auf und holt guten Willen zu uns armen Seelen herab, die wir hier in der Winternacht sitzen. Bald fließt frisches Blut aus den Wundkanten hervor, immer mehr, denn ich habe eine große Ader geöffnet, ganz innen leuchtet der Knochen, weiß und sauber.
»Schnaps«, sage ich, und Oluf gießt eine ordentliche Menge über die Wunde.
»Das Messer ins Feuer«, sage ich, und Oluf legt die Klinge erneut in die Flammen. Dann spüre ich den Knauf wieder in der Hand und lege das Blatt rasch auf die klaffende Wunde. Am Rand meines Bewusstseins höre ich, wie Aleksi sich übergibt. Spüre, wie die Tür aufgeht und kalte Luft hereinströmt. Aber vor allem sehe ich die Klinge und den vom versengten Fleisch aufsteigenden Rauch. Ich drücke noch fester zu. Ville stößt ein Wimmern aus.
Rücken und Schultern beginnen zu schmerzen, als würde ich mich an einem Hang gegen einen Felsbrocken stemmen. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Zumindest ist es das sonst. Es muss mich Kräfte kosten. Das habe ich inzwischen begriffen. Ich schicke etwas aus mir heraus. Einen Luftstrom und Worte und Bitten und Gedanken. Als ich am liebsten einschlafen würde, lehne ich mich auf das Messer und halte es noch eine Weile, bis es zu rauchen aufgehört hat.
Dann lege ich mich neben Ville, und mir fallen die Augen zu.
»Sollen wir ihn verbinden?«, fragt Oluf.
Ich halte ihm sein Messer hin, er gibt mir die Münze zurück. Ich schüttle den Kopf. Mein Mund ist trocken und gehorcht mir nicht.
»Kann ich irgendetwas tun?«, fragt Aleksi besorgt. Er hilft mir, mich aufzusetzen, und reicht mir Wasser. Ich lächle und trinke.
»Könnt ihr das abgeschnittene Fleisch verbrennen?«, frage ich. »Draußen.«
Danach lege ich mich neben Heikki schlafen. Mein lieber kleiner Junge. Wie gut er riecht. Sein kurzer Hals dicht an meiner Nase. Aleksi liegt Kopf an Fuß neben uns. Wir haben es warm und gut. Auf der dritten Pritsche liegt Oluf. Draußen vor der Hütte ist das Wundfleisch im Feuer verkohlt, das mit Anbruch des neuen Tages langsam erlischt.
»Du musst die Finger bewegen«, sage ich streng. »So viel wie möglich.«
»In die Luft greifen wie ein Narr?«, scherzt Ville.
»Wenn du die Finger nicht bewegst, stirbt die Hand ab.«
Er kneift die Augen zu, schlägt sie dann wieder auf und zwinkert mir zu, während er sich aufsetzt und anfängt zu singen.
Siloin se tyttö niin sievältä näytää kun seitsemän toista täytää silmät semän toista täytää.
Silmät on siniset ja posket on punaset
ja itsensä siivosti käytää.
Das Mädchen sieht so hübsch aus
mit seinen siebzehn Jahren.
Die Augen blau, die Wangen rot,
es weiß, sich zu benehmen.
Die nächsten paar Verse singe ich mit und denke einen Augenblick lang an mein eigenes 17-jähriges Ich zurück und daran, wie jung ich damals war. War ich nicht von morgens bis abends auf den Beinen? Ist es nicht so gewesen? Wie mühsam der Tag auch war, abends konnte ich immer lachen, solange ich nur jemanden zum Lachen hatte.
Draußen sind Aleksi, Heikki und Oluf mit Holzhacken beschäftigt. Sie haben Schlingen ausgelegt und Hasenfallen aufgestellt. Fleisch haben wir genug. Auf dem Herd kocht der Kessel vor sich hin. Morgen wollen sie Eisfischen gehen. Ville hat sich gut erholt, seit ich ihn wie Schlachtvieh unterm Messer hatte. Ich höre draußen Stimmen, Grüße, eine neue Stimme und Glockengeläut. Jemand ist vorbeigekommen. Wir treten hinaus ins helle Tageslicht. Es ist so rein nach der Dunkelheit, so gut, der Himmel leuchtet in kräftigen Blautönen.
Draußen sitzt ein Mann in einem schwer beladenen Pulka mit zwei Rentieren. Er ähnelt Oluf und hört zu, während der erzählt, wie ich Ville gerettet habe.
»Päivää«, grüßt er und nickt mir zu. »Parantatko ihmi? Hast du schon viele Menschen geheilt?«
»Ich bin besser mit Tieren«, entgegne ich. »Es war nur eine Wunde, auch wenn sie schlimm war.«
»Du musst mit in die Siida meiner Familie kommen«, sagt der Mann ernst. »Unser Winterwohnsitz ist nicht weit.«
»Wir wollen nach Pykeijä«, sage ich. »Über Neiden, wo Oluf uns hinbringt.«
»Wir fahren euch danach dorthin«, sagt er bestimmt.
»Wir haben schon einen Umweg gemacht«, sage ich. »Jetzt wo Ville wieder gesund ist, soll Oluf uns den Weg zeigen.«
»Mit Pehr Oinas’ Magga ist etwas nicht, wie es sein soll«, sagt der Mann, als erkläre das alles.
»Deine Schwägerin?«, fragt Oluf. Der Mann nickt.
»Du bekommst ein Rentier mit auf den Weg«, sagt er. »Zwei gute Rentiere sollst du haben. Ich heiße Antti Oinas und gebe dir mein Wort.«
»Oinas-Pehr hat die meisten Rentiere von allen«, sagt Oluf an mich gewandt. »Sie sind Bergsámi und dürfen umsonst die Grenze überqueren. Da haben sie es besser als die Varangersámi, die seit der Grenzschließung nicht mehr wissen, wohin mit ihren Rentieren.«
»Ist es weit?«, frage ich.
»Eine Nacht«, sagt er. »Wenn ihr gleich fahrbereit seid.«
»Ich bin besser mit Tieren«, wiederhole ich.
»Sie kann den Himmel auftun«, sagt Oluf. »Sie ist eine Enkelin von Pekka Köngäs aus Sodankylä.«
»Was fehlt Magga denn?«, frage ich.
»Sie trägt Schatten in sich«, sagt Oinas-Antti und hält unverwandt meinen Blick.
1860
Laut der Volkszählung von 1845 bestand die Bevölkerung der Kommune Sør-Varanger damals aus 109 Haushalten mit insgesamt 597 Menschen. 17 Siedlungen werden erwähnt, darunter auch Neiden. Dort gibt es 4 Haushalte mit 28 Ostsámi und 10 Haushalte mit 45 finnischen Einwanderern, die sich in den zehn Jahren zuvor angesiedelt haben. Unter ihnen sind Mikkel und Gretha Lisa Aska.
Die Hälfte der Einwanderer in Neiden, damals wie auch in den folgenden Jahrzehnten, stammen aus Sodankylä. Die Reise war weit und hart und wurde meist etappenweise und über einen langen Zeitraum zurückgelegt. Zwischen der Gegend um Sodankylä und dem Varangerfjord liegen 300 bis 400 Kilometer Landweg. Manche hatten schon an anderen Orten in der Finnmark gewohnt, bevor sie sich in Neiden niederließen. Für viele war Neiden eine Station auf dem Weg nach Vadsø bzw. Vesisaari, der sogenannten Hauptstadt der Kvenen, in andere kleinere Fischereistandorte wie Bugøynes, auch Pykeijä genannt, auf die russische Halbinsel Kola oder gleich weiter nach Amerika.
Aleksi und Heikki fahren mit Rakastan. Ich fahre mit Oinas-Antti, der stärkere Rentiere vor dem Pulka hat.
»Niemand liebt seine Frau so sehr wie mein Bruder«, sagt er nach langem Schweigen.
»Und sie?«, frage ich.
»Magga hat ihn und die Kinder genauso geliebt …«
»Aber?«
»Das letzte Kind wurde verkehrt geboren, die Milch blieb aus, der Sturm pfiff in rasenden Böen, die Wölfe holten sich drei halbwüchsige Renbullen und heulten den Vollmond an, und da hat sie sich hingelegt. Sie ist ins Zelt gegangen und hat sich mit dem Gesicht an die Zeltwand gelegt.«
Verkehrt, verkehrt, verkehrt, kreist es in meinem Kopf herum, aber manchmal ist der verkehrte Weg der richtige, vielleicht kann ich helfen, vielleicht wird mir Pehr Oinas dankbar sein und sich an mich erinnern, vielleicht kommt mir das irgendwann zugute.
Wir erreichen die Siida zur hellsten Stunde des nächsten Tages. Es sind nicht viele Zelte. Acht. Ich hieve mich aus dem Schlitten hoch, will mich strecken, aber meine Füße haben sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie kennen ihr Ziel. Mir ist so warm, dass ich trotz des Frostes Schweiß auf der Nase habe. Ich muss nicht nach dem Weg fragen, halte genau auf das größte Zelt zu. Schlüpfe ins Halbdunkel. Dort sitzt Pehr Oinas mit einem Baby im Arm, das von einer alten Frau gefüttert wird, indem sie ein Stück Stoff in eine Holzschale taucht, in der vermutlich Rentiermilch ist. Zwei Kinder in Heikkis Alter sitzen am Feuer. Eine Gestalt liegt zusammengerollt unter Fellen, zwei andere ältere Frauen stehen auf, als ich komme, machen mir Platz. Magga zieht mich zu sich. Alles an ihr ist weich, nachgiebig und doch widerwillig.
Ein kurzes Gespräch im Zelteingang, die gedämpften Stimmen der Brüder. Dann Bewegungen hinter mir.
»Magga«, flüstert Pehr über meine Schulter, ohne das Baby jetzt, »das ist die Enkelin von Okki Pekka Köngäs, sie wird dir helfen.«
»Psssst«, zische ich und schiebe ihn weg. Dann lehne ich mich vor und rieche an ihrer Haut. Im Hintergrund höre ich meine Söhne reden, sie wollen ins Zelt, wundern sich, wo ich bin, ich hoffe, Oinas-Antti oder jemand anders gibt ihnen etwas zu essen und bringt sie ins Warme, versorgt Rakastan, ich kann mich jetzt nicht um sie kümmern, der liegende Körper zieht mich zu sich, und ich stecke fest wie ein Fuß im Moor, obwohl ich sie noch nicht einmal richtig berührt habe. Sie macht mir Arme und Beine schwer. Wie damals, wie ich ohnmächtig wurde, als ich mit Aleksi schwanger war, es aber noch nicht wusste. Ich lege mich dicht neben Oinas-Magga, breite die Felle wieder über uns aus und lasse die Wärme von mir zu ihr strömen, so viel Wärme, ich schwitze am ganzen Körper, sie muss sehr zugänglich sein, eine offene Frau unter dem Himmel, nicht immer ist es gut, so offen zu sein, vieles kann Einzug halten, wenn alles offen steht, aber jetzt ist es gut, denke ich vor mich hin, jetzt gilt es nur noch, die im Kessel brodelnde Wärme auszugießen, sie damit vollzugießen, Magga zu wärmen und zu wecken, zu finden und zu füllen. Die ganze Wärme, die ich habe, fließt in sie hinein, strömt wie das Flusswasser im Frühling. Weit weg höre ich die anderen im Zelt, sie sprechen darüber, wie warm es ist, jemand will die Zeltwand am Eingang beiseiteschieben, andere protestieren, nein, noch nicht. Als Magga sich aufsetzt, sind ihre Wangen glutrot. Sie geht geradewegs hinaus in die kalte Nacht und bleibt dort stehen. Ich hingegen schlafe ein, weine vor Erschöpfung.
Aus Januar wird Februar, und der Himmel lässt jeden Tag mehr Licht durch. Aleksi und Heikki sind willkommene Spielgefährten für die Kinder der Siida. Ich sehe sie kaum. Ein Mädchen namens Isa mit großen grünen Augen führt Heikki zu jeder sich bietenden Gelegenheit an der Hand herum. Jakko und Olli, die Jungen aus dem zweitgrößten Zelt, spielen mit Aleksi, sie ringen und toben und prahlen. Wenn ich sie sehe, ist es, als sähe ich sie eigentlich gar nicht. Die andere Seite des Feuers ist weit weg. Oinas-Pehrs Mutter Salla kocht mir jeden Tag Fleisch mit Brühe. Frisches Rentierfleisch. Noch nie habe ich jeden Tag so gut gegessen, nicht im Januar, nicht im Februar. Oinas-Pehr liebt seine Frau. Jedes Mal, wenn ich Magga zum Aufstehen gebracht habe, dampfend vor Hitze, nickt er mir zu, er sieht wohl nicht, dass ihr Blick noch immer leer ist. Sie wendet die Augen ab, wie auch ihre Finger meinen Griff nicht erwidern. Die ersten Wochen habe ich die Wärme strömen lassen. Es hat sich richtig angefühlt. Es kam von selbst. Die Hitze strömt noch immer, ich sehe Magga und spüre das Feuer flackern, sie braucht es, niemand hat es je so gebraucht wie sie, aber sie ist bodenlos, und in den letzten Tagen spüre ich ein Grauen, alles, was ich von mir in sie habe fließen lassen, wie viele Tage, Stunden, wie viel mehr kann ich noch geben? Magga füllt sich mit meiner Wärme, setzt sich auf, erhebt sich und tritt aus dem Zelt, starrt in die Dunkelheit, bis die Wärme sie wieder loslässt und die Kälte nach ihr greift.
Zartes Fleisch und Brühe voller Geschmack. Ich schlürfe sie in mich hinein. Auch meine Kinder essen. Wie viele Rentiere habe ich schon vertilgt?, frage ich mich beim Essen. Werden die ganze Zeit über Rentiere geschlachtet, Fleischstücke abgeschnitten und Kessel zum Kochen gebracht, damit ich Kraft zu geben habe?
»Iss, meine Gute«, sagt Salla. Sie tätschelt mir schüchtern die Hand. Nickt und lächelt. Klein und schön, freundlich und bestimmt. Sie gibt mir zu essen. Dann legt sie mir die Hand auf den Rücken und führt mich zu den Fellen und der darunterliegenden Gestalt. Magga. Nachdem sie lange genug in die Dunkelheit gestarrt hat und die Kälte wieder nach ihr gegriffen hat, hat sie ein paar Worte mit ihrem Mann gewechselt, vielleicht ihren Kindern über die Wange gestreichelt, aber dann legt sie sich wieder hin, zuerst mit dem Gesicht zum Feuer und der Andeutung eines Lächelns im Blick, bevor sie sich schließlich umdreht und für uns verschwindet, und wir anderen bleiben klagend zurück, wenn sich die Felle wieder über ihrem Kopf schließen.
Als alle schlafen, geht Magga hinaus in die Kälte der Nacht. Wir entdecken es am nächsten Morgen. Pehr und sein Bruder machen sich auf Skiern auf. Sie müssen lange suchen, die Fußspuren sind vom Schneegestöber verweht, sie kann viele Wege eingeschlagen haben. Als sie sie finden, liegt sie leicht bekleidet im Schnee, die Haut mit Raureif bedeckt und der Blick starr. Oinas-Pehr weint wie ein Kind, als er mit ihr in den Armen zurückkommt. Mit traurigen Augen versammelt sich die Siida um ihn. Die Kinder umarmen den Vater, der die Mutter im Arm hält. Die Rentiere in der Nähe heben die Köpfe und betrachten die Trauernden.
Ich habe die Wärme wieder versiegen lassen, denke ich und sehe den schluchzenden Mann an. Noch nie habe ich jemanden so offen lieben und trauern sehen. Dies ist kein gewöhnliches Weinen. Das ist ein ungeheuerlicher, donnernder Kummer. Schluchzen und Worte und Wehklagen verschmelzen zwischen den Zelten zu einem Joik, der Rest der Siida weint um ihn, der sie hält, und um sie, die tot ist. Als ihm jemand Magga aus dem Arm nehmen will, lässt er sie nicht los. Lange nicht. Ich stehe am Rand und denke, dass ich es nur habe tröpfeln statt strömen lassen aus Furcht vor dem Frost.
Der Frost sitzt mir unter der Haut. Seit Magga verschwunden ist, friere ich an den Füßen, am Rücken, schaudere dem Morgen entgegen, die Arme schwer, während der Mond langsam voll wird.
Ich sitze im Zelt und betrachte meine Finger. Sie sollten etwas tun, aber suchen einander, verschränken sich, lösen sich wieder, streichen über die kalte Haut. Das vorderste Glied des Zeigefingers ist weiß.
Wir hätten nicht herkommen sollen. Es war nicht unser Weg, ich sollte nicht in Seelen einbrechen, wir sollten zum Fjord, zum Meer, meine Finger sollten Fische zerlegen, Dorschzungen schneiden und auf eine Schnur fädeln, Leinen beködern, all das tun, was andere nützliche Frauen an der Küste tun, meine Finger sollten nicht hier sein und Schatten sammeln.
Ich stecke die Finger in den Mund, es ist seltsam, die Wärme des Mundes gleichzeitig zu spüren und nicht zu spüren. Vielleicht ist das jetzt so: ein wenig Tod in einem Finger. Maggas Frost sitzt darin und erinnert mich daran, dass wir alle sterben. Es kann wohl niemand erwarten, den Tod aus dem Körper eines anderen Menschen zu ziehen, ohne selbst versehrt zu werden.
Die Sonne scheint den Schnee mit jeder Stunde weicher. Wir haben Rakastan, den Pulka und zwei Rentiere. Das eine ist ein Bulle, den Aleksi gezähmt hat, das andere eine ältere Kuh. Ich bin froh, dass wir die Tiere bekommen haben, obwohl Magga gestorben ist. Jetzt wird die alte Rentierkuh sterben und zu Nahrung für meine Kinder werden.
Der Weg verläuft westlich des Flusses, erst haben wir die breiten Wasser des Iiljoki überquert. Keine Spur von Villes und Olufs Eisfischerei, kein Schornsteinrauch. Ein Neffe von Oinas-Pehr begleitet uns. Nach einer besonders wilden Stromschnelle, an der große überfrorene Felsbrocken aus dem Flusseis ragen, wird der Fluss zu einer ebenen Eisdecke, und der junge Mann führt uns aufs Flusseis hinaus, wo wir eine Weile mit dem Nachtwind dahintreiben. Als das Tageslicht die Oberhand gewinnt und die Welt mit Frühlingsdüften füllt, bleibt er stehen.
»Ich muss zurück«, sagt er und wendet sein Rentier. »Es wird Frühjahr. Wir müssen die Herde weitertreiben, bevor das Schmelzwasser kommt.«
»Sind wir in Ruija?«, frage ich und sehe mich um. »In der Nähe der Küste?«
»Dort liegt der Neidenelva«, sagt er und deutet auf den Fluss. »Wenn ihr so weitergeht, seid ihr bald in Norwegen. Der Harsch trägt euch noch eine Nacht, aber jetzt müsst ihr ein Lager aufschlagen.«
»Gibt es hier viele Höfe?«, frage ich. »Am Neidenelva?«
»Ein paar«, sagt der Junge. »Ein oder zwei im oberen Neiden, die anderen liegen unterhalb des großen Wasserfalls.«
»Ist es weit dorthin?«, frage ich. »Zu den Höfen im oberen Neiden?«
»Wenn ihr in der Nacht Harschschnee bekommt, seid ihr morgen dort«, meint er.
Wir danken ihm für seine Hilfe und sehen ihn erleichtert umkehren. Wir hingegen haben zu viel Gewicht für diese Schneeverhältnisse. Wir müssen die Nacht abwarten. Wir sind gut vorangekommen, aber seit einigen Stunden flacht das Gelände ab und die Pulkas versinken immer wieder, die Schneedecke gibt unter den Rentieren nach. Wir warten bis in die frühen Morgenstunden, bis wir uns wieder auf den Weg machen, bis der Schnee genug Frost in sich hat, um uns zu tragen.
Der Geruch des nahenden Frühlings ist nicht der schlechteste, der einem zur Begrüßung entgegenschlagen kann.
Weiter, immer weiter, mein Wille