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Ragnors neuntes Abenteuer: Der Rüpel-Vampir ist hocherfreut, als er vom Ältestenrat der Vampire mit einem außergewöhnlichen Auftrag betraut wird. Er soll einen raffinierten Goldraub untersuchen und die Verursacher ihrer gerechten Strafe zuführen. Doch dieser Fall entpuppt sich als wesentlich komplizierter als zuvor gedacht. Eine Gruppe unberechenbarer Vampire führt alle ermittelnden an der Nase herum. Dazu kommt, dass Ragnor nicht wirklich bei der Sache ist. Nebenbei sucht er immer noch nach Molly, die spurlos verschwunden ist. Und Ragnor würde für seine große Liebe einfach alles tun. Sogar durch die Hölle gehen...
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Seitenzahl: 614
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Elke Bulenda
Der Aushilfsvindicator
Ein humorvoller Fantasy-Roman
Für Mama
Copyright: Elke Bulenda © 2019
Coverdesign: Elke Bulenda
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.Epubli.de
(William Shakespeare »Der Kaufmann von Venedig«)
Man mochte es kaum glauben, wie schnell der Sommer vergangen war. Mittlerweile zog der Herbst ins Land. Jene Art von Herbst, der mit aller Macht zeigte, was Sache war. Schonungslos ließ er seine Muskeln spielen und einen harten Winter vorausahnen. Der dazugehörige, heftige Sturm, der die ganze Nacht hindurch wie ein unbändiges Tier wütete, vergriff sich dabei an den Dachschindeln unseres Hauses, die am harten Boden der Realität in viele tausend Scherben zerschellten.
Schönen Dank auch! Jetzt konnte ich aufs Dach klettern, um den verursachten Schaden zu beheben! Nichts ist schlimmer, als ein Dachschaden, äh… ein undichtes Dach.
Zumindest verschonten die Orkanböen die mächtige Eiche im Rondell der Auffahrt. Es käme recht ungelegen, wenn der alte Baum beim Frühstücken direktemang durch unser Fenster »Guten Morgen!« gesagt hätte.
Und während ich am Nachmittag, nach Dienstschluss, im strömenden Regen, mürrisch das Chaos beseitigte, zupfte jemand energisch an meinem rechten Hosenbein. Zuerst glaubte ich, Schnauze, mein Freund, unser Cane Corso Hund, bettle mal wieder um Aufmerksamkeit. Dieser saß jedoch im Eingang, um nicht nass zu werden, während sein Herrchen regelrecht vor Nässe triefte. »Ja, ja! Soviel zur Treue vom besten Freund des Menschen, bzw. Vampirs!«, grummelte ich Augen rollend.
Besagter Hund hielt den Kopf leicht schräg, und beobachtete mit einem Gesichtsausdruck der absoluten Verwirrung meinen Hosenaufschlag, an dem es noch immer mächtig ruckelte.
»Hey, du! Pass doch mal mit deinem beschissenen Besen auf! Hier ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher!«, fluchte das kleine Männchen. Es trug einen winzigen roten Koffer bei sich, der ungefähr die Größe einer Streichholzschachtel besaß.
»Na, das nenne ich mal eine Überraschung. Detlef!«, begrüßte ich den Kleinen Mann von der Straße.
...Wir machten unsere Bekanntschaft in der Nähe von Hameln, nachdem ich von einem Auto erfasst und anschließend von den Verursachern entführt worden war. Und da sie nicht wussten, dass ich ein Vampir bin, versuchten diese Entführer-Rotznasen doch tatsächlich, mich mit einem Defibrillator wiederzubeleben. Das traf nicht gerade auf meine Zustimmung, weshalb ich meinem Unmut mächtig Luft machte, um anschließend einen eleganten Abgang aufs Parkett zu legen. Leider erfasste mich dabei mein eigener Wagen, der von einem ungehobelten Gargoyle gefahren wurde, der weder einen Führerschein, geschweige denn, die blasseste Ahnung besaß, wie man eine ordentliche Vollbremsung vollführte. Nachdem ich wieder zu mir kam, noch ramponierter als zuvor, leistete Detlef, der Kleine Mann von der Straße, hingebungsvoll Erste Hilfe, die eigentlich nur daraus bestand, mit einem nassen Lappen mein schmutziges Gesicht zu reinigen. - Mit einem Tuch, welches kaum größer als eine Briefmarke war. Nachdem ich mich im Rückspiegel betrachtete - erstaunlicherweise wieder sauber -, schloss ich daraus, dass es für ihn eine immense Arbeit bedeutet haben musste. Aus Dankbarkeit gelobte ich, Detlef über den Winter bei uns zuhause aufzunehmen. Und offensichtlich hatte er mein gegebenes Versprechen nicht vergessen - im Gegensatz zu mir...
Detlef luhrte erwartungsvoll zu mir hinauf: »Ich hoffe, dein Angebot steht noch, was die Überwinterung in deinem Haus betrifft? Langsam werden die Nächte unerträglich kalt, und gestern blies mir dieser liederliche Sturm doch tatsächlich meinen Schuhkarton davon, womit er mich definitiv obdachlos machte. Da gedachte ich deiner Worte. Deshalb nahm ich flugs die Bahn, und den Rest des Weges trug mich ein freundliches Eichhörnchen. Und tja, was soll ich sagen? Hier bin ich!«
»Ernsthaft? Freundliche Eichhörnchen? Davon ist mir noch keines begegnet. Diese miesen Viecher zerwühlen ständig meine Blumenkübel, um darin ihre Nüsse zu verstecken, die sie anschließend einfach vergessen. Haben wohl so eine Art Alzheimer-Erkrankung, was ihre Lagerstätten betrifft. Du sagtest freundlich?«, hakte ich nach.
»Na ja, nachdem man ihren Willen gebrochen hat, sind sie eigentlich ganz umgänglich. Jedenfalls solange du auf ihrem Rücken sitzt, um den scharfen Nagezähnen fernzubleiben«, schmunzelte Detlef verschmitzt. »Wenn du willst, nehme ich mich deines Eichhörnchen-Problems an und verpasse ihnen eine Tracht Prügel, die sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen werden!«, krempelte er demonstrativ die Ärmel auf.
»Nee, nee! Niemand wird hier verprügelt. Ich tendiere eher zur Schusswaffe. Gut, machen wir es kurz, ich habe noch zu tun. Gehen wir rein, ich zeige dir dein neues Reich«, hob ich den kleinen Wicht an, um ihn ins Haus zu tragen.
Detlef sah sich um und pfiff durch die Zähne. »Du wohnst hier ganz allein in diesem riesig großen Haus?«
»Nein, meine Schwiegermutter Annie und drei meiner Kinder wohnen ebenfalls hier. Und natürlich Harry, der Ehemann meiner älteren Tochter Jule-Thuja.«
»Und wo ist deine Frau?«, wollte er wissen.
»Habe keine Frau mehr«, gab ich mich wortkarg.
»Abgehauen, wie?«, feixte der kleine Kerl.
»Nein, Amanda wurde ermordet. Und was ist mit dir? Single, wie?«, hakte ich nach.
»Oh, das tut mir aufrichtig leid. Ich wollte keinesfalls taktlos erscheinen. Ja, Single. Guck mich doch mal an! Für jemanden der fünfzehn Zentimeter misst, ist es echt schwierig, eine passende Partnerin zu finden. Das müsstest du selbst wissen. Du riesiger Kerl bist schließlich auch nicht unbedingt Konfektionsware«, griente Detlef. »Oh, wow! Du hast sogar einen Pool im Keller!«, rief er begeistert aus. »Welch ein Luxus!«
»Das Bassin war bereits hier, als ich das Haus bezog. Dieses Gebäude war einst ein Sanatorium, und der sogenannte ›Pool‹ ist lediglich das Becken für die Hydrotherapie. Also komm mal wieder runter«, winkte ich ab. »Meine Kinder gehen in dem Becken schwimmen; mir hingegen ist das Wasser zu warm, ich schwimme lieber unter freiem Himmel, im See.«
Ich setzte ihn ab und öffnete den Abstellraum, entnahm Saschas altes Puppenhaus, das ich in den Heizungskeller trug, damit es der kleine Kerl schön warm hatte. Hinterher fragte ich mich, wo Detlef abgeblieben war. Der Winzling konnte schnell aus dem Blick und unter den Schuh geraten. »Detlef?«
»Yeeeehaaaa!«, rief er und kam auf unserem Hund herbei geritten. »Brrrrr! Halt, Brauner!«, hielt er sein Reittier an. »Na, da guckste, was? Das war die Hohe Schule der Dressurreitkunst!«
»Lass das, ärgere den Hund nicht! Er gehört zur Familie!«
»Okay«, sagte Detlef und hüpfte flink von SchnauzesRücken. »Wenn ich mich recht entsinne, habt ihr noch eine sprechende Katze. Wie heißt sie doch gleich?«, fragte er listig.
»Er heißt Joey, und ist ein Kater. Allerdings sprach er nur, weil er von einem Dämonen namens Qwertz besessen war. Dennoch, Joey wird ebenso wenig geritten, wie Schnauze.Du wirst ihn in Ruhe lassen!Ist das klar?«, brummte ich genervt.
… Einst hasste ich den Kater abgrundtief, weil er stets wie aus dem Nichts im Haus auftauchte, selbst wennes hermetisch abgeriegelt war. Niemand hat es gern, in seinem eigenen Haus von anderen Lebewesen misstrauisch beobachtet zu werden. Doch mittlerweile habe ich mich an den alten Streuner mit dem charakteristischen Knick-Ohr gewöhnt. Nun ja, ich mag ihn inzwischen, denn er zeigt mir jeden Morgen unmissverständlich, wie gern er mich hat. Joeyist das einzige Lebewesen dieser Welt, welches sich traut, auf meinem Bauch zu schlafen...
»Kein Problem!« Detlef stellte seinen winzigen Koffer im Puppenhaus ab und sah sich um. Vorsichtig setzte er sich aufs Bett und probierte mit seinem Po den Härtegrad der Matratze. »Sehr bequem!«
Anschließendknipsteer neugierig die Lampen an und wunderte sich, wieso siede factofunktionierten. Die Leuchtenwurden voneiner Batterie gespeist, die sichan der Rückwand des Puppenhauses befand.
Zufrieden nickte er. »Ist ja mal ein ganz anderer Schnack als mein schnöder, alterSchuhkarton!«
Als er die kleine Schranktür öffnete, war er daraufhin förmlich entzückt von dem, was er darin erblickte: »Da sind sogar Kleiderbügel in meiner Größe drin!«
»Klar, Sascha legte viel Wert darauf, dass es ihre Puppen komfortabel haben. Inzwischen ist sie aus dem Alter heraus, um mit Puppen zu spielen. Neuerdingsinteressiert sie sich für Jungs. Wie schnell die Zeit vergeht«, sinnierte ich. »Gut, ich bringe dir später ein paar neue Batterien herunter, nur für den Fall, dass die alte ihren Geist aufgibt. Und wenn du Wasser brauchst, in der Ecke steht ein Napf mit frischem Wasser, das du dir allerdings mit dem Kater teilen musst. Hm, und was die Hygiene betrifft... Benutze einfachdas Katzenklo«, schlug ich vor. »Und lass deinen Müll nicht herumliegen, das ist asozial!«
»Kein Problem, Meister. Ich schrecke nicht mal vor Katzenfutter zurück, bin hart im Nehmen. Jawoll, Sir! Ich werde selbstredend alles tipptopp sauber halten, Ehrenwort«, salutierte er stramm. »Ich hoffe nur, hier wohnen keine Kellerwichtel!«
»Kellerwichtel habe ich bisher nicht gesehen. Sind sie etwa ein Problem für dich?«, fragte ich misstrauisch.
»Nö, nicht für mich. Jedoch könnte der Lärm oben stören, wenn ich diese Sau-Kerle verdresche!«, kicherte Detlef. »Ich habe nichts übrig für Winzlinge, die den Sinn ihres Lebens darin sehen, ständig mit Hammer und Säge an unnützen Sachen herumzuwerkeln. Meine Ruhe ist mir heilig, das ist alles«, winkte er lapidar ab. »Und übrigens, vielen Dank dafür!«, zeigte er auf sein neues Heim. »Das ist mehr, als ich mir erträumt habe.«
»Na prima, dann hoffe ich auf ein gutes Miteinander«, verabschiedete ich mich. »Muss jetzt weitermachen, das Dach reparieren.«
»Ja, man sieht sich!«, winkte der kleine Kerl und setzte sich auf die winzige Couch. Dort öffnete er seinen Koffer und entnahm ihm einen Fernseher, der aussah, als hätte er ihn aus einem alten Handy-Display gedengelt.
Beim Verlassen des Kellers hörte ich, wie Detlef sagte: »Mein Heim ist dort, wo mein Fernseher steht! Gut, dass ich dich noch retten konnte!«
Ein kleiner Schmatz ertönte, als er die Mattscheibe küsste…
Das Wetter war mir hold, es regnete zum Glück nicht mehr. Mit den Ersatzziegeln bewaffnet, kletterte ich durch die Dachluke und prüfte den Zustand des Daches. Glücklicherweise war der Schaden nur halb so schlimm, wie zuvor befürchtet. Das Ersetzen der Dachpfannen ging recht zügig vonstatten. Und während ich eine neue Ziegel in die klaffende Lücke einsetzte, landete genau neben mir ein Rabe, der mich kritisch observierte.
»Interessierst du dich neuerdings für die Tätigkeit des Dachdeckens, Cornelius?«, knirschte ich.
Der Rabe wuchs und nahm die Gestalt eines Mannes mit einer ziemlich wilden, grauen Lockenmähne an. Sportlich bekleidet mit einem grauen Sweatshirt-Troyer, trug er dazu eine verwaschene Blue Jeans und Sneaker. »Sieht professionell aus, wie du dort arbeitest!«, bemerkte er trocken und lächelte einnehmend, was ihn wesentlich jünger aussehen ließ. Cornelius ist der Typ Mann, bei dem man das Alter von dreißig bis fünfzig schätzen kann. Man fragt sich, ob der Dreißigjährige früh gealtert ist, oder ob sich der Fünfzigjährige gut gehalten hat.
Da Cornelius mein Vampirbruder ist, kann ich verraten, dass beides falsch ist. Er ist wesentlich älter. Viel älter.
Belustigt musterte ich ihn: »Was glaubst du denn? Ist ja nicht mein erstes Dach. Nanu? Heute trägt der feine Herr keinen obligatorischen Nadelstreifenanzug?«
»Nein, wohl kaum, wenn ich unterrichte. Dabei trage ich lieber legeres Räuberzivil. War wirklich schlimm, der gestrige Sturm, nicht wahr? Hat mächtig gerappelt. Dauert das noch länger bei dir?«, fragte er amüsiert.
»Sag mal, Connie. Kannst du nicht einfach auf Vampir-Art flüstern, oder dein dämliches Smartphone benutzen? Stattdessen machst du diesen Budenzauber und kommst wie der große Zampano auf mein Dach geflattert!«
Irgendetwas war Ambach, denn der Graue machte ein ernstes Gesicht, das für sich schon Bände sprach. Und ehe er anhob, um sich zu erklären, fiel ich ihm ins Wort.
»… Sag nichts, lass mich raten. Du kommst in der Funktion des Vampir-Ältestenrates, richtig?«, fragte ich gerade heraus.
Sein Nicken galt als Bestätigung: »Du weißt, dass du nicht einfach so ungeschoren davonkommst. Das hättest du dir vorher überlegen sollen, als du ich erdreistest, den Kater des Magiers Bovis in einen Vampir-Kater zu verwandeln. Nun, es nützt nichts, dir deshalb weiterhin Vorwürfe zu machen. Ich wollte dir persönlich diese Nachricht überbringen. Zudem muss ich dir sagen, dass du dich in dieser bevorstehenden Angelegenheit nicht überschätzen solltest. Das ist mein voller Ernst.«
»Okay, wollen wir das nicht lieber unten besprechen? Ich bin nämlich mit dem Dach fertig und habe keine Lust, mit meinem Gewicht die restlichen Dachziegel zu beschädigen.«
»Wäre mir recht. Ist ein wenig frisch hier oben. Trotzdem, eine tolle Aussicht, nicht wahr?«, zeigte er sich begeistert.
»Ja, du alter Romantiker. Sei hiermit herzlich eingeladen, über mein Dach zu fliegen, falls du deiner Süßen mal etwas Schönes zeigen willst. Sie wird entzückt sein!«, rollte ich mit den Augen. »So, Abmarsch!«, begab ich mich zurück zur Dachluke. Ich verharrte noch einen Augenblick, doch nachdem ich Cornelius nicht mehr wahrnahm, begab ich mich zurück ins Haus.
»Hier sind deine Unterlagen«, erwartete er mich bereits am anderen Ende der Stiege. Zudem trug er plötzlich einen Diplomatenkoffer bei sich und wedelte mit einer Akte.
»Ehrlich?! Was soll der Scheiß?!«, pöbelte ich ungehalten. »Mir ist durchaus bewusst, dass du magisch begabt bist, im Gegensatz zu mir! Musst du ständig dermaßen damit angeben?«, fauchte ich genervt. »Gib her! Worum geht es dabei eigentlich? Ich meine, außer einem bösen Vampir, der Menschen ermordete, und ich ihn deshalb kalt machen soll!«
»So viel sei verraten: Es geht um Gold«, sagte Cornelius vage.
»Echt jetzt? Um schnödes Gold? Ist ein Scherz, oder?«
»Hier geht es nicht nur um Gold, sondern unermesslich viel Gold!«, gab er zu verstehen.
»Wie viel Gold?«
»Sieh selbst«, tippte er auf die Akte, auf deren Deckel ein roter Stempelabdruck prangte, der »Streng geheim«, proklamierte.
»Warum befindet sich eigentlich auf geheimen Akten stets dieser dämliche Vermerk, dass deren Inhalt streng geheim ist?«, fragte ich enerviert. »Wenn´s nicht draufstünde, käme kein Depp auf die Idee, hineinzugucken! Das ist beinahe so, als würde ich ein dickes rotes X auf die Stelle malen, wo sich mein versteckter Wandsafe befindet! Das ist Schwachmatentum!«
»Willst du jetzt mit mir darüber diskutieren?«
»Nö, kam mir nur in den Sinn«, winkte ich ab und schlug die Akte auf und las. »Holla, die Waldfee! Und ich dachte schon, ich hätte einen beschissenen Tag! Da frage ich mich, wie eine einzelne Person das hingekriegt haben soll!«
»Und genau das ist deine Aufgabe. Die Fakten weisen darauf hin, dass unmöglich eine einzige Person am Werk gewesen sein kann. Dass ein Vampir seine Finger im Spiel hatte, belegen die am Tatort zurückgelassenen Spuren. Darum ist es eine Angelegenheit des Vampir-Ältestenrates. Mir ist klar, dass du nicht unbedingt der Teamplayer schlechthin bist. Jedoch besitzt du durch die Arbeit bei Salomons Ring genügend Erfahrung, um die Ermittlungen voranzutreiben; denn du siehst mehr, als ein gewöhnlich Sterblicher«, erläuterte Cornelius geduldig.
»Ja, und was ist mit dem Killen?«, fragte ich, da ich dringend Abwechslung von meinem langweiligen Arbeitsalltag brauchte.
»Du sollst lediglich vor Ort ermitteln, und nichts anderes! Sobald du den Überblick hast, setzt du dich mit uns in Verbindung, damit wir die zur Verfügung stehenden Vindicatoren zusammentrommeln, um das Problem vor Ort gemeinsam in Angriff zu nehmen. Für einen einzigen Vindicator ist diese Sache definitiv zu groß. Zumal du nur ein Aushilfsvindicator bist. Daher warne ich dich eindringlich, nichts Unüberlegtes zu tun!«, plädierte er an meine Einsicht.
»Was ich brauche, sind Herausforderungen, und du gibst mir zu verstehen, dass du mich von vornherein ausbremsen willst? Aushilfsvindicator?! Glaubst du mich damit zu demütigen?«
Cornelius machte eine bittere Miene. »Denk doch mal an deine Familie! Sollen deine Kinder auch noch ihren Vater zu Grabe tragen, worin bereits Amanda liegt? Denn mir ist es persönlich gar nicht recht, ausgerechnet dich - du, mit deiner Schwäche zur Impulskontrolle - mit dieser Mission zu betrauen. Leider wurde ich von den Ratsmitgliedern überstimmt, die mich daran gemahnten, dass du die ausstehende Schuld abzutragen hast. Hör mir genau zu! Solltest du dich uneinsichtig zeigen und stattdessen vorhaben, auf eigene Faust loszumarschieren, sehe ich mich gezwungen, dir einen Anstandswauwau mitzugeben. In dieser Hinsicht habe ich die Sache bereits mit Ambrosius Pistillum abgeklärt, da sich sowohl die Kompetenzen des Vampir-Rates, als auch die von Salomons Ring hinreichend überschneiden. Jedoch appelliere ich an deine Vernunft, als verantwortungsvolles Mitglied unserer Gesellschaft, wie an den Familienvater, der du bist, keinen Unfug anzustellen und deine Kompetenzen nicht zu überschreiten. Haben wir uns verstanden? Dies sage ich nicht als dein Blutsbruder, sondern als ein Mitglied des Vampir-Ältestenrates.«
»Na gut«, grummelte ich, was so viel heißen sollte, wie: »Na, das werde ich dann wohl selbst beurteilen können!«
Eine Frage stand noch offen: »Wann soll´s losgehen?«
»Packe am besten sofort deine Siebensachen. Annie ist bereits über deine Abreise verständigt. Im Aktenkoffer ist alles, was du für deine Arbeit benötigst. Laptop, Geld usw. Und hier sind deine Papiere«, überreichte er mir die Pässe.
»Was zum Geier… Diplomatenpässe?«, runzelte ich die Stirn, als ich einen Blick hineinwarf.
»Wundere dich nicht. Du wirst als Ermittler in der Funktion eines Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen reisen, deshalb der Diplomatenpass. Du genießt Immunität. Vor allem, damit du nicht wieder im Knast landest, falls du gedenken solltest, über die Stränge zu schlagen. Sobald du mit dem Packen fertig bist, wirst du dich mit mir in Verbindung setzen. Jemand holt dich dann ab. Und mach keinen Unsinn, Ragnor.«
»Du kannst bereits alles in die Wege leiten, es dauert nicht lange bei mir«, winkte ich als gut trainierter Kofferpacker ab.
»Ach ja, und nimm mindestens einen ansehnlichen Anzug mit, denn ich will keine Beschwerden hören, du seist unangemessen gekleidet aufgetaucht. Es reicht schon, wenn du mit dieser Barbarenfrisur auf der Bildfläche erscheinst«, teilte er mal wieder heftig gegen meine Dreadlocks aus.
»Ha! Frisuren-Polizei, wie? Gerade du hast es nötig, meine Frise zu bemängeln. Wenigstens sehe ich nicht wie ein aufgeplatztes Sofakissen aus!«, feuerte ich zurück.
»Sei einfach nur brav, und mach mir keine Schande!«, lächelte Cornelius amüsiert und entblößte dabei die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen, die ihn sofort für jedermann sympathisch machte. Möglicherweise liegt es daran, weil sie zeigt, dass er auch nicht gerade perfekt ist.
»Connie! Sprich nicht mit mir, als sei ich ein geistig minderbemitteltes Kleinkind!«, knurrte ich angefressen.
»Sag nicht immerzu Connie zu mir, das ist ein Mädchenname! Ernsthaft? Dann benimm dich nicht wie eines, klar? Ach ja, Ragnor… Viel Glück und eine angenehme Reise. Und gedenke meiner Worte!«, sagte er zum Abschied.
»Hey, Connie! Apropos… Vergiss nicht, dem Chauffeur Bescheid zu geben«, rief ich ihm hinterher.
»Chauffeur? Es wird keinen geben. Lass dich überraschen«, lachte er herzhaft. »Mach´s gut! Du meldest dich, sobald du etwas Wichtiges in Erfahrung gebracht hast!«, rief er nach oben und verschwand daraufhin.
»Kein Chauffeur? Wie soll das funktionieren?«, fragte ich irritiert. Da mir darauf keine Antwort einfiel, ging ich lieber packen. Immerhin musste ich mich noch von meiner Familie verabschieden.
*
(Simon Dach)
Alle Anwesenden schienen nicht sonderlich betrübt darüber, dass ich sie für eine Weile verlassen musste. Mir kam der Verdacht, ich ginge ihnen vielleicht schon seit geraumer Zeit mit meiner ständigen Anwesenheit und Strenge auf den Geist.
Mein Schwiegerdrachen Annie, alias Fergus, winkte ab.»Mach dir mal keine Sorgen, Ragnor. Schließlich verlässt du uns nicht zum ersten Mal. Wir kommen schon zurecht. Immerhin sind Jule und Harry auch noch da!«
»Harry ist den ganzen Tag im Dienst, Jule hochschwanger und die zwei Teenager befinden sich im Rausch der Hormone, während Ructus, unser Gast in Sachen Kost und Logis, durch ständige Abwesenheit glänzt. Und da soll ich mir keine Sorgen machen?«, brummte ich.
»Sieh zu, dass du mit heiler Haut wiederkommst. Nun gib schon Ruhe, alles ist in bester Ordnung«, wiegelte Fergus ab. Sie warf Sascha und Agnir verschwörerische Blicke zu, die ich nicht ausreichend zu interpretieren vermochte.
Die Kinder wünschten sich lediglich, ich solle ihnen ein Souvenir mitbringen. Schweren Herzens verabschiedete ich mich von ihnen. Obwohl noch nicht weg, ging jeder sofort wieder seiner persönlichen Angelegenheit nach. Augenscheinlich wussten sie, wie sehr ich Abschiede hasse. Selbst mein Sohn Agnir verschwand zurück in die Garage, um an seinem VW Golf herumzubasteln.
… Diesen Wagen schenkte ich ihm, nachdem er seine Führerscheinprüfung bestanden hatte. Da er ständig herum quengelte, ich solle ihm einen meiner Wagen leihen, beschloss ich, einen gebrauchten Golf für ihn zu besorgen. Ich persönlich liebe hochmotorisierte Autos, nenne sogar drei davon mein Eigen. Jedoch sah ich mich nicht geneigt, meine Leibesfrucht mit einer Waffe auf vier Rädern auszustatten. Womöglich hoffte Agnir, er bekäme einen Golf GTI von mir. Stattdessen musste er sich mit einem Hausfrauen-Modell abfinden. Um dessen Defizite zu übertünchen, schraubte und dengelte er ununterbrochen an seinem Wagen herum. Mein Sohnemann ließ der Karre eine Frontschürze, verbreiterte Kotflügel, fette Breitschlappen und jede Menge Spoiler angedeihen. Danach fehlte der Kasperkiste nur noch der passende Sound. Darum bastelte er an Luftfilter und Auspuffanlage so lange herum, bis der Golf wie ein Hirsch in der Brunft röhrte. Dieses scheußliche Gefährt hört man schon lange von Weitem herannahen. Soll mir nur recht sein, so kann mein Junior nicht behaupten, er sei zum vereinbarten Zeitpunkt längst im Bett gewesen. Mal sehen, wann er von selbst darauf kommt…
Im Hausflur passten mich Harry und Jule ab, die gerade auf dem Weg in ihre Wohnung waren. Meine hochschwangere Tochter schleppte sich schnaufend die Treppe hinauf, obwohl sie ebenso gut den Fahrstuhl hätte nehmen können. Trotz der widrigen Umstände behauptete sie, sie sei weder krank noch behindert, und in der Lage, selbst zu gehen. Mittlerweile sah sie rund wie eine Boje aus. Der Fluch der Haraldinger hatte sie ereilt; sie erwartete Zwillinge.
Harrys dunkle Augen musterten mich kritisch, als er sah, dass ich meinen Anzug in einer Schutzhülle bei mir trug. »Ragnor, so viel Gepäck? Sag bloß, du bekamst deinen Marschbefehl? Lass mich raten, sie zwingen dich, eine Umschulung als Versicherungsvertreter zu machen«, meinte er mit ernster Miene.
Harry gilt nicht gerade als ein überbordend emotionaler Mensch. Wie es in seinem Inneren aussieht, weiß nur er allein. Nichtsdestotrotz ist Harry bei allen beliebt, da er eine große Gefasstheit ausstrahlt und sich auch nicht davor scheut, Verantwortung zu übernehmen. Nun ja, das liegt wahrscheinlich daran, dass er einst ein Pharao war.
... Zu Harry kamen wir, wie die Jungfrau zum Kinde. Die Geschichte passierte in Florenz, genauer gesagt, nachts im Archäologischen Museum. Dabei ließ ich Agnir und seinen Kumpel Ructus nur wenige Minuten aus den Augen. Derweil kam Ructus, das kleine rote Teufelchen, auf die Idee ein paar Verse aus einem Ägyptischen Totenbuch zu rezitieren, und das ausgerechnet in Gegenwart einer Mumie. Diese erwachte, verlangte nach Wasser, regenerierte sich wieder zu einem Menschen, und so kamen wir zu Haremhab, alias Harry. Natürlich hielt ich den Kindern eine Predigt darüber, dass wir jetzt für das Geschehene verantwortlich seien. Deshalb nahmen wir Haremhab mit, was am nächsten Tag im Museum für wahren Trubel sorgte, da sie vermuteten, jemand habe die Mumie gestohlen. Wenig später, wir befanden uns wieder zuhause, lernten sich Harry und Jule kennen. Offenbar war es Liebe auf den ersten Blick. Selbstverständlich zeigte ich mich darüber wenig erbaut, da Harry für Jule doch ein wenig zu alt schien. Aber letzten Endes wollte ich ihrem Glück nicht im Wege stehen. Tja, wo die Liebe eben hinfällt. Wichtig ist mir einzig und allein, dass er Jule ein guter und treusorgender Ehemann ist...
Auf die Frage hin, nickte ich: »Ja, ich habe eben erst von Cornelius Bescheid bekommen. Versicherung? Hast wohl einen Clown gefrühstückt, wie? Ich versichere, dir für diese Aussage nicht allzu sehr weh zu tun, Harry«, verdrehte ich die Augen. Dann wandte ich mich meiner Tochter zu: »Und, Krümel? Wie fühlst du dich?«, küsste ich ihr die Wange.
»Wie ein gestrandeter Wal«, winkte sie ab. »Wir kommen gerade vom Ultraschall. Für mich ist es der TÜV, weil ich mich jedes Mal fühle, als bräuchte ich eine Hebebühne. Mit den Kleinen ist alles in bester Ordnung. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet, bei diesem Radau in meinem Bauch. Sie missbrauchen ständig meine Blase als Hüpfburg. Ich befürchte, die Zwillinge werden sich, wenn sie erst mal das Licht der Welt erblickt haben, draußen genauso weiter streiten, wie in meinem Inneren. Das kann ja heiter werden!«
»Na, so schlimm wie mit deinen älteren Zwillingsbrüdern kann es wohl nicht werden. Die waren die reinste Plage! Immerhin bekommt ihr Junge und Mädchen«, wiegelte ich ab.
»Stimmt, die Klügere gibt nach, heißt es«, grinste Jule. »Nimm´s mir nicht übel, Papa. Ich muss mich ein wenig hinsetzen. Diese elende Schlepperei ist pure Schwerstarbeit. Gute Reise!«, wünschte sie.
Um Jules Wohl besorgt, stützte Harry seine Gemahlin ein wenig. »Ragnor, komm heile wieder. Ich bringe Jule jetzt mal rein. Der Tag war anstrengend für uns alle. Gute Reise, und Hals und Beinbruch«, nickte er aufmunternd.
»Danke, macht´s gut«, nickte ich zurück und betrat mit meinem Gepäck den Lift.
Unten angekommen, warf ich noch einen kurzen Blick in die Garage. Agnir unterhielt sich angeregt mit einer mir unbekannten Zwergin über Vergaser-Probleme - und wie sollte es anders sein - natürlich über Tuning.
»Hör mal, Stöpsel«, sagte ich zu meinem Sohn, »mach keinen Unsinn! Vor allem fahr mit deiner Hausfrauenschüssel nicht schneller als erlaubt. Wenn du brav bist, spendiere ich dir eine Vergaser-Innenbeleuchtung.«
»Keine Bange, ich bleibe am Limit. Immerhin will ich meinen Lappen behalten«, winkte er mit schmierigen Händen ab.
»Noch ein letztes Wort: Wenn du bei den Mädchen landen willst, solltest du deine Hände ordentlich waschen! Das da - ist einfach nur widerlich!«, kommentierte ich den Zustand seiner Hände und Fingernägel.
»Ja, werde ich tun. Gute Reise«, tauchte er wieder mit seinem Kopf in den Motorraum ab.
Zuerst sah die Zwergin auf ihr Tablet, dann zu mir auf. »Da gebe ich dir ausnahmslos recht. Ungepflegte Hände sind ein echtes No-Go. Du bist also Ragnor?« Sie verglich das aufgerufene Foto mit meinem liebreizenden Antlitz.
»Ja, wieso? Vor allem, wer will das wissen?«, fragte ich und nahm die kleine Person genauer in Augenschein, wobei mir auffiel, dass es sich bei ihr ebenfalls um einen Vampir handelte.
»Solana Hanna Lobkowitz ist meine Name«, neigte sie leicht den Kopf zum Gruß. »Ich wurde vom Vampir-Rat beauftragt, dich abzuholen«, erwiderte die Zwergin.«
»Wie abholen?…«, sah ich mich suchend um. »Vor allem, womit? Hast du eine Rikscha dabei, oder willst du mich auf dem Rücken tragen, kleine Hanna Montana?«
»Mein Name ist Solana Hanna, klar?«, knurrte das kleine, dunkelhaarige Fräulein. »Nein, keines von beidem. Folge mir bitte!«, forderte sie mich mit saurer Miene auf.
»Das wird ja wohl nicht allzu schwierig sein, immerhin kannst du mit deinen kurzen Beinen unmöglich vor mir weglaufen!«, bemerkte ich keck. »Niedere Vampire stellte ich mir bisher stets ein wenig anders vor.«
»Gepäck!«, schnauzte sie. »Den Diplomatenkoffer kannst du gerne selbst tragen. Den Anzug natürlich ebenso, sonst schleift er auf dem Boden herum«, knurrte Solana.
»Warum sollte ich dir mein Gepäck geben?«, hakte ich nach.
»Um es gegebenenfalls zu verstauen? Dann eben nicht! Du riskierst eine ganz schön dicke Lippe!«
Wieder einmal hatte ich das Gefühl, soeben den Beginn einer wundervollen Freundschaft erlebt zu haben. Um die kleine Person nicht weiter zu reizen, gab ich Ruhe und folgte ihr.
Zwerge sollte man ohnehin nicht allzu sehr ärgern, weil sie einem ansonsten gerne gegen´s Schienbein treten. Oder noch schlimmer: Das Bein mit einer Axt amputieren.
Wir verließen mein Grundstück und erreichten unweit einen asphaltierten Parkplatz.
»Scheiß die Wand an!…Bei Odin!... Bist du eine von den X-Men?«, fragte ich, als ich des seltsamen Fortbewegungsmittels ansichtig wurde. Dieses silberne Ding war kein gewöhnliches Flugzeug, oder ein Jet, sondern wohl eher ein Raumgleiter.
»Nein, bin ich nicht. Und wenn, wäre ich eine der X-Women, oder etwa nicht?«, kommentierte sie trocken.
»Wow! Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Vampir-Rat solche Mittel besitzt. Das Ding muss ein Vermögen gekostet haben!«
»Da stimme ich dir zu: Du hast überhaupt keine Ahnung! Was denkst du wohl, wie viel Geld man als Vampir im Laufe von Jahrhunderten anspart? Außerdem bekam der Rat von einem guten Freund einen gehörigen Rabatt für diesen Flieger. Weißt schon: Eine Hand wäscht die andere. Und jetzt mach den Mund zu und gib mir dein Gepäck!«, sagte die Vampir-Zwergin.
Meinen Aktenkoffer, den Anzug, als auch den Rucksack, behielt ich als Bordgepäck bei mir; den Koffer und die Reisetasche schob ich der kleinen Madame zu. »Und du fliegst das Ding ganz allein?«, fragte ich misstrauisch.
»Nein, selbstredend nicht. Sollte dem Piloten etwas passieren, was gedenkst du dann zu unternehmen, hä? In der Luftfahrt gibt es grundsätzlich stets einen Co-Piloten.«
»Wenn du schon die Pilotin bist, bin ich gespannt, wer der Co-Pilot ist. Eine Zyklopin mit Glasauge?«, meinte ich amüsiert.
Solana Hanna hustete, dabei meinte ich das Wort »Chauvinist«, vernommen zu haben. »Steig jetzt ein! Zeit ist Geld. In diesem Fall passenderweise wohl eher Gold! Wenn du mir weiterhin eine Sprechblase ins Ohr drückst, werde ich dich über dem Zielort ohne Fallschirm von Bord werfen!«
»Markige Worte«, konterte ich und betrat den Flieger.
»Hey, wohin willst du?«, fragte Solana aufgebracht, als ich schnurstracks zum Cockpit marschierte.
»Meinst du etwa, ich kaufe die Katze im Sack? Zuerst will ich einen Blick auf deinen Co-Piloten werfen!«
»Wenn´s denn sein muss!«, schnaubte die Zwergin entnervt.
Was ich zu sehen bekam, reichte eigentlich schon völlig dazu aus, sofort den Flieger zu verlassen, um einen Linienflug zu buchen. Da jedoch meine Wenigkeit dringend erwartet wurde, musste ich die gegebenen Umstände hinnehmen.
Solana interpretierte meine Miene: »Na und? Woquin ist ein Gigantopithecus, damit ein Nativ und amerikanischer Staatsbürger. Bist du jetzt zufrieden?«, fragte die Zwergin und setzte sich neben den struppigen Riesen, der definitiv zur Familie der Sasquatch (Bigfoot) gehörte.
Und damit meine ich keinesfalls einen Indianerstamm, sondern Bigfoot persönlich.
Mit Blick auf den Co-Piloten meinte ich lediglich: »Ich habe mich geirrt. Wir sind nicht bei den X-Men, sondern bei Hanna Solo mit ihrem Wookiee Schuhkacker. Bin jetzt fertig. Wir können starten«, kommentierte ich, machte kehrt, verstaute das Handgepäck und nahm Platz im rückwärtigen Teil des Fliegers.
»Schnalle dich gefälligst an, du Rassist!«, keifte Solana.
Außerdem hörte ich, wie sie zum Bigfoot sagte: »Mach dir nichts draus, Woquin. Immerhin ist er nicht der Erste, der nicht einmal bemerkte, welch wundervolle Augen du hast!«
Dann schloss sie, mir einen verächtlichen Blick zuwerfend, die Tür zum Cockpit.
Wenig später hoben wir völlig lautlos ab. Und da der Parkplatz über keine nennenswerte Startbahn verfügte, wunderte es mich nicht im Geringsten, als wir einen Senkrechtstart hinlegten und dabei rasch an Höhe gewannen.
Kurz darauf ertönte die Durchsage der Zwergin: »Sehr geehrter Passagier; die Kotztüten befinden sich unter dem Sitz!«
Zuerst wusste ich nicht, weshalb sie mich darauf aufmerksam machte. Doch nachdem auf gehässige Weise ein paar Loopings geflogen wurden, kam ich von allein drauf.
Und die Moral von der Geschicht´: Ärgre die Piloten nicht…
*
(Bernhard Vriedank)
Einige Menschen behaupten, Reisen bildet.
Na klar doch: Bei mir bilden sich höchstens bösartige Magengeschwüre, vor allem, wenn ich mit einem Flieger unterwegs bin, der von einer launischen Vampir-Zwergin und ihrem haarigen Kompagnon geflogen wird. Schon mal, wenn man gerade seinen ersten suborbitalen Raumflug hinter sich hat, der einen dermaßen flasht, dass man bei der Landung am liebsten vor Erleichterung den heiligen Erdboden küssen will. Jetzt verstehe ich auch den Sinn des Sprichworts: »Die Welt ist ein Dorf«, denn groß sieht sie von dort oben nun wirklich nicht aus.
Versteht mich nicht falsch. Ich fürchte mich nicht vorm Fliegen, eigentlich fürchte ich rein gar nichts. Nur habe ich es nicht gern, wenn ich mich in einem Gefährt befinde und keinerlei Einfluss darauf nehmen kann, wohin es mich bringt. Der einzige Vorteil dieses rasanten Fluges lag darin, relativ schnell am Einsatzort zu sein. Ansonsten kann ich gerne auf Erfahrungen dieser Art verzichten. Ich fahre lieber selbst mit dem Auto. Nur war es in diesem Fall definitiv nicht möglich.
Am Zielort erwartete mich nicht nur mein Dienstwagen, den die Zwergin eigenwillig mit meinem Gepäck belud, um mir anschließend wortlos die Schlüssel zuzuwerfen, in ihr Raumschiff zu steigen und wieder loszubrausen.
Vor Ort stand bereits das Begrüßungskomitee bei Fuß, in Form einer attraktiven Brünetten im Businesskostüm und eines blonden Kerls, bekleidet mit dem typischen, schwarzen Agentenanzug. Daneben parkte ein Jeep, an dessen Steuer ein geduldig wartender Soldat saß.
Da ich mich im Flieger bereits umgezogen hatte, konnte ich mit dem vorherrschen Dresscode locker mithalten.
Wir befanden uns in Kentucky, nahe Louisville, auf einem Militärstützpunkt der dort stationierten Einheiten der ersten US Infanteriedivision und dem IBCT, des Infantry Brigade Combat Teams, so wie eines ansässigen Logistikkommandos.
Vor uns ragte der markante, zweistöckige, weiße, quadratische Bau auf, der von Weitem ein wenig an eine gigantische Geburtstagstorte gemahnt: Fort Knox.
Ganz eindeutig die wohl wertvollste Torte der Welt. Gewissermaßen das Taj Mahal des Goldes. Und offensichtlich hatte hier wirklich jemand eine exorbitant ausgefallene Party gefeiert, ansonsten wäre ich nicht hier.
Todernst zückten Männlein und Weiblein ihre Ausweise und stellten sich vor. Da sie wussten, wen sie erwarteten, nahm ich mir Zeit, einen Blick darauf zu werfen.
»Chief Warrent Officer des ICIS (Infantry Criminal Investigation Service), Isla Nowak (wird Eila ausgesprochen)«, stellte sich die langbeinige Dame vor.
»Special Agent Stuart Dent, United States Department of Homeland Security(Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten). Kannst mich Stu nennen. Wenn ich bitten darf, steig doch ein«, nickte der blonde Kerl knapp und öffnete für mich die Tür des Militärfahrzeugs, das uns durch die Sicherheitskontrolle und damit zum eigentlichen Ziel bringen sollte.
Während der kurzen Fahrt sprach niemand ein Wort. Schweigend gab mir Agent Dent meinen Besucherausweis, den ich mir gut sichtbar ans Revers heftete.
Wir passierten den schwer bewaffneten Eingang zum Gelände. Am Gebäudeeingang warteten, flankiert von bewaffneten Soldaten, die Mitarbeiter des United States Bullion Depository(Schatzamt der Vereinigten Staaten).
Nach der obligatorischen Begrüßung sichtete ich das Grundstück. Wie die Täter es angestellt hatten, blieb mir vorerst ein Rätsel. Zumindest mussten sie fixer als das menschliche Auge agiert haben. An jeder Ecke des Gebäudes befindet sich ein Wachturm, auf dem Bewaffnete ihren Dienst leisten. Und so sah die Situation aus: Vier Wachtürme, dazu hochauflösende Kameras, Bewegungsmelder, die an einen Infrarot-Wärmemesser gekoppelt sind. Mit anderen Worten: Technik ohne Ende, und das nur vom Feinsten. Summa summarum handelt es sich um eines der strengst bewachten Gebäude der Welt.
Die Mitarbeiter des Schatzamtes gaben, jeder einzeln und nacheinander, einen Teil des Zahlencodes ein. Kein einziger Mensch kennt den gesamten, vollständigen Code allein. Fazit: Um diese sechzig Zentimeter dicke und zwanzig Tonnen schwere, legierte Stahltür zu öffnen, braucht man definitiv das Wissen mehrerer. Im Geiste machte ich mir eine Notiz, den Herren später etwas genauer auf den Zahn zu fühlen.
»Zuerst gestatte mir eine Frage, Special Agent Dent. Wieso die Heimatschutzbehörde?«, fragte ich salopp.
»Stu, nennen mich Stu… Ganz einfach, wir werten das, was hier passierte, eindeutig als Form des Terrorismus. Dieser Akt ist ein klarer Angriff auf unser Land, mit der Absicht, unsere Wirtschaft zu schwächen.«
»Gut, das beantwortet meine Frage. Und da wir gerade beim Fragen sind: Gibt es jemand, der, außer den anwesenden Herren, Wissen von der Zahlenkombinationbesitzt?«, hielt ich mich weiter an Agent Dent. »Und noch eins: Existiert ein weiterer Zugang zum Gebäude?«
»Nein, diese Herren sind die absoluten Vertrauensträger. Nur sie haben das Wissen von derZahlenkombination«
CWO Nowak verzog belustigt das Gesicht. »Ein weiterer Zugang? Angeblich gibt es einen Notausgang, der geflutet werden kann.Selbst wenn jemand unterirdisch eingedrungen wäre, könnte es den Sicherheitssystemen niemals entgehen. Die Sensoren registrieren im Innerenminimale Erschütterungen. Niemand ist durch den Tunnel gekommen, davon kannst du dich selbst überzeugen. Gehen wir rein!«, bahnte sie sich den Weg durch die Herren vom Schatzamt, die ihr willig Platz machten. Sie waren sichtlich bemüht, nicht allzu großes Aufsehen zu erregen, denn niemand sollte erfahren, was in der Nacht zuvor vorgefallen war. Wenn die Presse, und damit die Öffentlichkeit, Wind von dieser Sache bekäme, wäre der Teufel los. Unauffällig folgten uns die Verantwortlichen ineinen Raum, der für die Ermittlungen vorerst keine Rolle spielte.
Nach und nach inspizierte ich die achtundzwanzig leeren Abteilungen in denen zuvor die Goldreserven eingelagert waren. Nicht ein einziger Krümel Gold war davon übriggeblieben.
Genaustens untersuchte ich die Umgebung: »Und niemand hat dieses Gebäude verlassen?«, hakte ich nach. »Immerhin müsste es definitiv auffallen, wenn tonnenweise Gold vor den Nasen der Wachhabenden herausgetragen wird. Wie viele Tonnen Feinunzen Gold waren eingelagert?«, las ich im Bericht nach. »4580? Im Werte von 180 Milliarden Dollar?« Ich blickte auf: » Womit soll man eine dermaßen riesige Menge transportieren? Mit einem Containerzug? Einem Schwertransporter?«
Es wäre gelogen, wenn ich nicht vor einem nahezu unlösbaren Rätsel gestanden hätte.
Nowak bemerkte: »Wie in den Akten vermerkt, hat niemand das Gebäude verlassen, jedenfalls nicht mit dem Gold. Wie und wohin es verschwunden ist, ist uns nach wie vor ein Rätsel.«
Special Agent Dent meldete sich zu Wort. »Offiziell stimmen die Daten. Dazu muss ich anmerken, dass der Staat damals, als der James Bond Film Goldfinger in die Kinos kam, und leider keinen Einfluss auf dessenInhalt nehmen konnte, sah er alarmiert davon ab, weiterhin die gesamten Goldreserven des Schatzamtes an ein und demselben Ort zu verwahren. Immerhin hat der Film allen gezeigt, was passieren könnte, sollte ein Bösewicht, oder eine uns feindlich gesinnte Regierung versuchen, unsere Goldreservenradioaktiv zu verstrahlen. Vor allem glaubtendie Verantwortlichen, man habe gewisse Subjekte mit diesem Film auf dumme Gedanken gebracht. Darum entschied sich die Regierung in einer vertraulichen Abstimmung, die Hälfte des Goldes an einen geheimen, ebenso gut gesicherten Ort zu bringen. Nichtsdestotrotz ist es ein Skandal, was hier passierte. Wir können nicht einfach über zwei getötete Soldaten, die in Ausübung ihrer Pflichten fielen, hinwegsehen. Zudem ist der Verlust eines Vermögens von 90 Milliarden Dollar für uns keinesfalls eine Lappalie. Tun Sie mit den Tätern, was getan werden muss. Aber bringen Sie uns das Gold zurück!«, beendete er seine Aussage.
»Und die anderen Goldreserven sind wirklich in Sicherheit?«, fragte ich skeptisch. Denn nachdem, was hier passiert war, schien rein gar nichts mehr sicher zu sein.
»Todsicher«, bestätigte Stu Dent… Hä?... Student?...
Noch einmal ging ich durch die Räume, untersuchte alles gründlich mit meinem Aurenblick, musste allerdings passen, weil ich nichts Außergewöhnliches entdecken konnte.
Ein wenig zu zynisch für meinen Geschmack, fragte Officer Nowak: »Und, McClane?Hattestdu inzwischen einen Geistesblitz und weißt, wo das Gold geblieben ist?«
Dieser kiebige Ton gefiel mir überhaupt nicht. »Ist doch ganz logisch:Wenn angeblich niemand damit das Gebäude verlassen hat, müsste es rein theoretisch noch immer hier sein, Schätzchen.«
Wenn Blicke töten könnten, wären zu diesem Anlassalle herzlich zu meiner Beerdigung eingeladen. CWO Nowak schoss eine Handvoll Blitze nach mir, gab aber, um Haltung zu wahren, keinen Protest von sich.
Agent Dent runzelte irritiert die Stirn. »Es ist noch hier? Und wie soll das funktionieren? Alle Depots sind leer!«
»Ich habe eine vage Vermutung, muss jedoch zuerst einen Spezialisten um Rat fragen. In Ordnung, wir sollten zunächst die Herren dort draußen abchecken. Möglicherweise hat einer oder gar mehrere von ihnen in letzter Zeit die Bekanntschaft mit ominösen, unwiderstehlichen Damen gemacht. Oder hat vielleicht jemandeine Schwäche für androgyne Knaben? Wurden eventuell Familienmitglieder entführt? Wie sind die Träume der Herren? Klagte jemand über Albträume, oder machte einen erschöpften Eindruck? All das sollten wir berücksichtigen«, schlug ich meine weitere Vorgehensweise vor.
Dent schüttelte den Kopf. »Das können wir uns sparen. Diese Aufgabe läuft zurzeit auf Hochtouren. Unsere Leute sind bereits darauf angesetzt, jeden nachvollziehbaren Schritt zu überprüfen. Sämtliche Telefonate, E-Mails und Kontobewegungen werden genaustens überprüft und nachverfolgt. Und glaubstdu etwa, wir hätten die Herren nicht längst ins Gebet genommen? Ich schlage vor, du siehst dir die vorhandenen Aufnahmen der Sicherheitskameras an. Wir haben dort etwas Seltsames wahrgenommen, allerdings fehlt uns auf diesem Gebiet die Erfahrung, um es richtig zu interpretieren. Danach begleite ich dich zur Leichenschau der beiden getöteten Soldaten.«
Da gab es allerdings etwas, das mich äußerst stutzig machte. Wieso in drei Teufelsnamen sollten die Verbrechergenies, die dermaßen clever, heimlich, still und leise den perfekten Coup durchzogen, eine absolut unlogische Eselei begehen und nach vollbrachter Tat innehalten, um zwei Wachsoldaten zu töten? Das passte überhaupt nicht zusammen. Nun, eventuell wurden die Soldaten auch schon vor der Tat getötet. Dann allerdings hätten die Täter nicht seelenruhig das Depot leeren können, da die Wachsoldaten in den Türmen bemerkt hätten, dass etwas nicht stimmte. Höchste Zeit, mir darüber einen konkreten Überblick zu verschaffen. Waren die Soldaten möglicherweise Mitwisser der Täter; das Ganze für sie ein Insiderjob, weshalb sie daran glauben mussten? Oder waren sie unschuldig und sahen etwas, das sie nicht hätten sehen sollen? Waren einfach nur zur falschen Zeit, am falschen Ort?
Okay, vielleicht taten es die Vampire, weil sie es konnten, gewissermaßen, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren? Ich gehe mal davon aus, dass es sich dabei ummehrere Täter handelte. Niemand zieht so ein Riesending allein durch. Da mussten mindestens noch ein Mastermind und dessen Handlanger dahinterstecken. Wenn ich Genaueres weiß, werde ich mich diesbezüglich korrigieren.Hm, alles sehr mysteriös. Mein Hirn drohte zu verknoten.
Doch insgesamt machtees recht wenig Sinn, jemanden so derbe auf seine Fährte zu locken. Jeder Vampir weiß, was passiert, wenn er mutwillig einen Menschen tötet... Es sei denn, diese Aktiongalt als eine Art Stinkefinger in Richtung des Ältestenrates. Gewissermaßen eine offene Provokation.
Misstrauen regte sich in mir. Da war etwas ganz eindeutig faul im Staate Dänemark.
Wir verließen den Tatort, wobei CWO Isla Nowak vor Ort blieb, um ihrerseits weiter auf dem Stützpunkt zu ermitteln. Sie wollte sich bei den Kameraden der getöteten Soldaten umhören.
Beim Abschied, gab ich den Herren vom Schatzamt meine Visitenkarte mit den Worten: »Sollte euch doch noch etwas Wichtiges einfallen, ruft mich jederzeit an!«
Später, in der Überwachungszentrale, sichteten wir die Kameraaufnahmen des Tatorts. Wir ließen die Videoaufzeichnungen in Einzelbildern ablaufen.
»Da! Genau hier!«, zeigte Stu auf den hochauflösenden Monitor. Und in der Tat, war nur für eine Millisekunde ein nahezu durchsichtiger, verwackelter Schemen zu erkennen, der, nachdem sich die Panzertür lediglich einen kleinen Spalt breit öffnete, darin entfleuchte. Ich ließ die Aufnahmen weiterlaufen, wartete, wartete und wartete. Und während ich mich noch immer auf die Tür konzentrierte, ereignete sich, am Rand des Bildes, erneut dieses Phänomen, diesmal in zweifacher Ausführung, das die beiden Soldaten in Windeseile erledigte. Zuletzt schien einer der Schemen zu verharren, um direkt in die Kamera zu schauen. Ein Prickeln überzog meine Kopfhaut. Mich überfiel der Eindruck, als sei diese Botschaft speziell an mich gerichtet. Ich schaltete die Aufnahme ab.
»Und, Mister McClane? Was sagst du dazu?«
»Sag Ragnor zu mir!«, brummte ich. »Ich kam zu folgender Erkenntnis: Es sind mindestens zwei. Einer von ihnen scheint die Teleportation zu beherrschen, dazu sind alle beide in der Lage, sich in eine Nebelform zu verwandeln. Und sie sind schnell, verdammt schnell, wenn sie mit diesem Affenzahn eine Tür öffnen können, die eine extrem lange Zahlenkombination benötigt.«
»Teleportation?«, echote Dent. »Das bedeutet, jemand kann sich an jeden x-beliebigen Ort befördern?«
»Ja, sofern er einen Durchblick über die Örtlichkeiten besitzt. Ansonsten dürfte es außerordentlich gefährlich für einen Teleportierenden werden. Wenn man sich plötzlich in einer Stahlbetonwand wiederfindet, und lebendig begraben ist. Oder eher untot begraben«, bestätigte ich.
»Und alle Vampire besitzen solche Fähigkeiten?«, wollte er wissen. Dabei wirkte er keinesfalls unsicher, eher neugierig.
»Nicht jeder. Ich habe andere Dunkle Gaben. Es kommt letztendlich darauf an, welche Gabe der Schöpfer des Vampirs seinem Geschöpf bei der Wandlung zukommen lässt. Alte Vampire, solche, die über eine große Macht verfügen, können ihre Geschöpfe mit verschiedenen Gaben ausstatten. Wird allerdings ein Mensch von einem noch nicht so alten, und damit weniger mächtigen Vampir gewandelt, erhält er nahezu die gleiche Dunkle Gabe wie sein Schöpfer«, erklärte ich.
Der blonde Special Agent ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen und sah sich um. Da wir uns allein im abgeschirmten Raum befanden (die Smartphones mussten wir abschalten), warf er seine Zurückhaltung ab. »Und was ist deine Dunkle Gabe, Ragnor?«, fragte Stu, der viel weniger wie ein Agent, sondern eher wie ein recht harmloser Buchhalter aussah.
»Es sind zwei. Telekinese und Pyrokinese«, erklärte ich.
»Diese Telekinese...ist was genau?«, fragte er interessiert.
»Das ist die Gabe, den Geist über die Materie triumphieren zu lassen«, war meine Antwort.
»Wie das denn?«, fragte er verständnislos.
…Okay, da hatte ich die Beschreibung wohl ein wenig zu blumig aufpoliert...
»Mann! Sag bloß nicht, ich soll sie dir wie ein Zirkusäffchen vorführen? Nicht dein Ernst, oder?«
»Wann bekommt man denn schon mal die Gelegenheit, solch eine außergewöhnliche, der Physik widersprechenden Sache zu sehen?«, meinte Dent. »Die Regierung betreibt auf diesem Feld schon seit vielen Jahren ihre Forschungen. Leider erfolglos. Ich weiß ja nicht, ob du vom Projekt Ziege hörtest?«
»Du meinst doch nicht etwa diese absurde Geschichte, die verfilmt wurde? Sollten die Soldaten nicht versuchen, mittels Geisteskräfte Gegenstände, bzw. Lebewesen zu beeinflussen?«, fragte ich jetzt wiederum leicht ungläubig.
»Natürlich sind diese Forschungen in etwa so abgelaufen. Stell dir mal vor, du könntest mittels Gedankenkraft deine Feinde nass regnen lassen, oder gar töten.«
»Dann müsste der Soldat ein Vampir sein, ansonsten funktioniert so etwas nicht«, winkte ich ab.
»Es verstößt gegen das Völkerrecht, Vampire in den Militärdienst aufzunehmen, falls du es noch nicht weißt. Man befürchtet, sie könnten als Supersoldaten missbraucht werden. Vor allem zeigt sich der Vampir-Ältestenrat um die Anonymität der Vampir-Rasse besorgt. Falls die Öffentlichkeit erfährt, dass es Vampire wirklich gibt, kann niemand mehr für die Sicherheit des anderen garantieren. Es wird immer raubeinige Helden geben, die glauben, sie seien zur Vampir-Jagd prädestiniert. Du weißt, dass jeder Amerikaner das Recht auf eine Schusswaffe besitzt? Dabei weiß niemand, welchen Gegner er vor sich hat. Nun, ich hege keine Vorurteile, aber soweit ich weiß, sind Vampire für Menschen nicht zu unterschätzende Gegner. Darum wird nach wie vor dieses Wissen unter Verschluss gehalten.«
»Das wird auf jeden Fall besser sein«, nickte ich. »Glaub mir, ich weiß, wie fatal so etwas enden kann. Viele Menschen halten uns entweder für hirnlose, blutrünstige Wesen, oder schmachtende Glitzertypen, wobei die Filmindustrie nicht gerade unschuldig an diesem Image ist, da sie Haarsträubendes zustande bringt. Gut, dass du keine Vorurteile hegst. Immerhin bin ich noch nicht über dich hergefallen. Also gut, dann mal her mit deinem Kugelschreiber!«
Dent gab einen Ton der Überraschung von sich, als sein Kugelschreiber wie magnetisch in meine Finger sauste. »Wow! Ich bin wirklich tief beeindruckt. Diese Fähigkeit erspart dir sicherlich viel Gelaufe. Unglaublich. Und das sage ich, der schon sehr viel gesehen hat!«
»Du hast ja gar keine Ahnung!«, winkte ich ab.
CWO Isla Nowak kam herein und hörte wohl den ein oder anderen Wortfetzen, verdrehte die Augen und sagte: »Kerle! Seid ihr jetzt fertig mit dem Pimmelfechten?«
»Dent winkte ab: »Mach mal halblang. Ragnor und ich haben uns ganz normal unterhalten. Hast du etwas Erhellendes bei der Befragung der Kameraden herausgefunden, Isla?«
»Ragnor? Das klingt wirklich sehr nordisch«, bemerkte sie beiläufig, nahm ihren Notizblock und las daraus vor. »Laut Aussage, waren beide Soldaten hochdekorierte Veteranen, die hier eigentlich nur eine ruhige Kugel schieben wollten. Einer von ihnen, Sergeant Steven Roberts, war Familienvater und hinterlässt seine Frau und zwei Kinder. Der andere, Sergeant William Forbes, ist geschieden. Nichts Auffälliges, keinerlei Schulden. Den befragten Kameraden fiel nichts Außergewöhnliches auf. Sie meinten, beide hätten sich völlig normal gegeben. Vorläufig müssen wir davon ausgehen, dass sie nicht an dieser Aktion beteiligt waren«, klappte Isla Nowak den Notizblock zu.
»Sieht so aus, als würden wir wieder mal auf der Stelle treten«, sagte Stu. »Gut, wir sind hier fertig, und sollten nun in die Pathologie fahren«, schlug er vor.
Selbst als Untoter, fühle ich mich in der Pathologie unwohl. Dieses grelle Licht, die Schilder an den kalten Füßen der Toten, der blanke Stahl, die niedrige Raumtemperatur. All das wirkt ziemlich deprimierend. Zudem war mein letztes Erlebnis in der Pathologie alles andere als erhebend. Damals musste ich den toten Körper meiner Frau Amanda identifizieren. Solcherlei Erfahrung wünsche ich niemanden.
Zusätzlich fragte ich mich, weshalb die meisten Pathologen von der Art her eher dazu neigten, Frohnaturen zu sein. Möglicherweise retten sich Menschen durch schwarzen Humor vor dem Wahnsinn. Der Typ, der uns zu den Leichen der toten Soldaten brachte, sagte Folgendes zur Begrüßung: »Dr. James Ingram. Meine Herrschaften, zuerst heiße ich euch willkommen im Hause der Verschiedenen. Klingt seltsam, nicht wahr? Denn alle die hier liegen, sind nicht verschieden, sondern gleichermaßen tot! Ha, ha, ha!«
Wir drei sahen den Pathologen ohne jede Regung an.
»Äh... ja, folgt mir bitte«, sprach´s und führte uns durch einen Gang. Wir betraten einen Kühlraum. Dort öffnete er zwei Schubfachtüren und zog die beiden toten Körper heraus. »Hier sind die beiden«, merkte er an. »Links Steven Roberts, rechts Billy Forbes. Beide, bis auf die zerfetzten Kehlen, gut in Form. Muss Kannibalismus gewesen sein. Hierbei handelt es sich eindeutig um menschliche Bisse. Wahrscheinlich trugen die Täter Prothesen mit Reißzähnen. Niemand kann mir erzählen, es gäbe Vampire! Ha, ha, ha!« lachte die Frohnatur.
Interessiert musterte ich die Halswunden. Roberts und Forbes waren nicht durch normale Vampirbisse getötet worden. Stattdessen waren ihre Kehlen aggressiv zerfetzt, wie nach einem wilden Tierangriff. Roberts´ Kehlkopf lag sogar herausgerissen neben ihm. Dies zeugte für einen reinen, brutalen Tötungsakt. Beide Männer starben am starken Blutverlust.
Stu wurde eine Spur käsiger um die Nase, was meinen Verdacht erhärtete, er arbeite noch nicht allzu lange im Außendienst. Offenbar erblickte er bisher nicht viele Tote in natura. Wer weiß, an welchem Schreibtisch in Washington er jetzt fehlte. »Irgendwelche Spuren am Körper, oder Fingernägeln? Faser-Anhaftungen an der Kleidung?«, fragte er mit belegter Stimme, woraufhin er sich heftig räusperte.
»Keine fremde, menschliche Haut unter den Fingernägeln, wenn du das meinst. Allerdings habe ich bei Forbes eine interessante Entdeckung gemacht, als ich seine Kleidung untersuchte. Ich fand ein menschliches Haar«, berichtete Dr. Ingram.
»Ja, und? Was ist daran so besonders?«, fragte ich.
Der Pathologe grinste: »Eine gute Frage. Laut Massenspektrometrie ist dieses Haar über dreihundert Jahre alt. Na, wenn das nichts Besonderes ist, fresse ich einen Besen!«
*
(Woody Allen)
Das Erste, was ich wahrnahm, war das Summen von Insekten und die Weichheit eines warmen Schoßes, in dem mein Kopf gebettet lag. Das Zweite: Wärmende Lichtstrahlen, die durch meine geschlossenen Lider alles in ein warmes Rot hüllten. Das Dritte waren... leise, weibliche Stimmen, die flüsternd miteinander sprachen? Ja, in der Tat...
Stimme eins: »Da! Ich hab´s genau gesehen! Seine Lider bewegen sich!«
Stimme zwei: »Ja, Mädels! Er kommt zu sich!«
Stimme drei: »Passt doch auf, Skuld! Du dumme Nuss hast mir Wasser über den Fuß geschüttet!«
Stimme Nummer vier: »Euer Voyeurismus nervt. Könntet ihr nicht einfach verschwinden? Habt ihr etwa noch nie etwas von Privatsphäre gehört?«
Diese Stimme war mir nur allzu sehr bekannt. Sie riss mich sofort aus meinem Dämmerzustand…
»Amanda?«, fragte ich verwirrt. »Wie kann das sein? Du bist doch tot.«
»Na und? Du doch auch!«, antwortet sie gewohnt schnippisch. »Könntest du diesen aufdringlichen Damen bitte selbst sagen, sie sollen abdampfen?«
Vorsichtig begab ich mich in eine sitzende Position und betrachtete das muntere Damentrio. »Oh, wir kennen uns! Urd, Skuld und Verdandi… Ihr seid die drei Nornen!«
Die blonde Norne namens Skuld nickte, so wie ihre beiden Begleiterinnen. »Ja, es ist verdammt lange her, Ragnor. Trotzdem muss ich deine Gattin darauf hinweisen, dass ihr euch nicht im Reich der Toten aufhaltet, sondern in der Zwischenwelt.«
»Ja, das stimmt. Ich war schon einmal hier, um meinen Vater zu suchen.« Ich sah nach oben. Über mir breitete der Weltenbaum Yggdrasil seine mächtigen Äste aus, die uns Schatten spendeten. »Okay, ich kann mir durchaus erklären, warum ihr hier seid. Ihr hütet den Weltenbaum. Aber du, Amanda… Was machst du hier?«, fragte ich verwirrt. »Habe ich einen Dachschaden? Irgendwie passt das überhaupt nicht zusammen!«
Die rothaarige Urd winkte ab. »Nein, hast du nicht, zumindest nicht so einen gravierenden, wie du stets glaubst. Warum sie hier ist, kann Amanda dir natürlich nicht erklären, obwohl sie eine ganz Naseweise ist, nicht wahr, Kindchen?…«, fragte sie spöttisch. »Amanda ist hier, weil sie sonst nirgendwo hingehen kann. Zu Lebzeiten gab es für sie keinen festen Glauben. Folglich gibt es für sie weder Himmel, noch Hölle. Nur eine Zwischenwelt, die sie nicht ruhen lässt. Und damit sie nicht so rastlos durch die Gegend spukt, brachten wir sie auf Odins Befehl hin, hier her. Uns tat das arme Ding irgendwie leid.«
Urds letzten Worte wurden von Verdandis und Skulds mitfühlendem Kopfnicken bestätigt.
Amanda grunzte und verdrehte die Augen: »Jetzt tut mal nicht so, als sei ich nicht anwesend! Habt ihr nichts zu tun?«
»Wir haben natürlich alle Hände voll zu tun«, sagte die brünette Verdandi, »doch anstatt uns beim Bewässern der Wurzeln des Weltenbaums zu helfen, verlangst du nach einem Mikroskop, um eine entnommene Wasserprobe mikrobiologisch zu untersuchen! Aber so läuft das hier nicht!«
»Von wegen! Mich hat niemand gefragt, ob es mir überhaupt recht ist, zurück in die Steinzeit zu gehen!«, erwiderte Amanda angefressen.
»Na, so eine Frechheit! Du undankbares Ding!« Und schon keiften die Weiber wild durcheinander. Von zivilisiertem Verhalten keine Spur.
Ehe es zu einem handgreiflichen Streit kommen konnte, rief ich die Damen zur Vernunft… »Meine Damen! Wir können zwar zusammen singen, jedoch nicht alle durcheinanderreden.«
»Amanda hat angefangen!«, meinte Urd beleidigt.
»Ich weiß. Ihr seid schwer beschäftigt, und eure Aufgaben sind sehr wichtig. Könnte ich darum ein paar Minuten mit meiner Frau reden? Falls es hier überhaupt so etwas wie Zeit gibt. Wenn ich wirklich nur in der Zwischenwelt weile, kann es durchaus möglich sein, nicht mehr allzu lange hier zu sein. Wenn ich recht in der Annahme gehe, würde ich ansonsten jetzt bei einer schräg singenden Walküre über dem Sattel hängen und wäre längst unterwegs nach Walhalla, richtig?«
Die drei Nornen nickten unisono. »Ja«, sagten sie im Chor.
»Gut, dann sind wir uns ja einig. Lasst euch nicht von eurer überaus wichtigen Arbeit abbringen«, verabschiedete ich sie.
Murrend gingen die drei Nornen wieder zu den freiliegenden Baumwurzeln, nahmen ihre Tonkrüge auf und bewässerten mit frischem Quellwasser den Weltenbaum Yggdrasil.
»Wir werden alt, Mädels!«, sagte Verdandi im resignierten Tonfall. »Früher hätte uns niemand so dermaßen respektlos davon schicken können!«
»Ja, ja… Heutzutage sind wir in die Bedeutungslosigkeit herab gesunken«, sagte Urd. »Dank eines gutbezahlten Therapeuten meint jeder, er könne sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Als seien wir irgendwelche versponnenen Tee-Tanten, die sich zum Makramee treffen! Tzzzz!«
»Trotzdem war es schön, mal wieder ein anderes Gesicht zu sehen. Vielleicht sollten wir ihm seinen Schicksalsfaden mitgeben, denn bei uns liegt das unglaublich lange Ding sowieso nur herum! Letztens bin ich darüber gestolpert und habe mir die Knie aufgeschlagen!«, meinte Skuld daraufhin und lupfte den Rock, damit die anderen die facti speciem betrachten konnten.
Leider bekam sie, statt des erhofften Mitgefühls, einen Anschiss: »Bist du bescheuert? Das geht doch gar nicht! Wir spinnen noch immer daran, du blonder Holzkopf!«, sagte Verdandi, rollte mit den Augen und schöpfte erneut Wasser…
Nachdenklich betrachtete ich Amanda, die genauso schön war, wie an dem Tag als ich sie zum ersten Mal sah. »Weißt du, wie oft ich mir überlegte, was ich dir sagen sollte, falls wir uns eines Tages im Jenseits wiedersehen? Wir besuchen dein Grab sehr oft; Annie, die Kinder und ich. Und jedes Mal spreche ich mit dir. Und jetzt sehe ich in deine warmen, braunen Augen und weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll«, meinte ich ergriffen.
»Dafür, dass du nicht weißt, was du sagen sollst, redest du verdammt viel«, schmunzelte sie. »Und ja, ich höre jedes Wort, das du zu mir sprichst, denn ich habe euch nie wirklich ganz verlassen.«
»Entschuldige, Liebste. Normalerweise rede ich nicht so viel, aber ich bin völlig aus dem Häuschen. In San Marino, der Schemen, der sich schützend zwischen die Dämonen und unsere Familie stellte, das warst du, nicht wahr? Das habe ich sofort gespürt«, erwiderte ich daraufhin.
Amanda kniff die Lippen zusammen und nickte: »Ja, ich tat, was ich konnte. Schließlich ist es meine Familie.«
»Das war großartig von dir. Natürlich ist es eine dumme Frage, aber wie geht es dir?«, zog ich sie zu mir. Dankbar schmiegte sie sich an mich.
»Wie sollte es mir gehen? Ihr fehlt mir. Zuerst verstand ich nicht, was vor sich ging. Doch als ich über meinem Körper schwebte und die Wunde sah, wusste ich, was geschehen war. Ragnor, es tut mir so leid. Ich dachte, wir hätten mehr gemeinsame Zeit. Es war schrecklich mit anzusehen, wie die Kinder trauerten, wie du beinahe bis zur Selbstzerstörung trauertest... Leider war ich damals nicht stark genug, mir fehlte die Kraft, mich zu offenbaren. Mehr als einen leichten Nebel brachte ich nicht zustande. Nun ja, zumindest scheine ich jetzt wieder eine gewisse Stofflichkeit zu besitzen. Jedenfalls hier, in der Zwischenwelt«, hob sie ihre Hand, betrachtete sie und streichelte damit meine Wange. »Du kratzt und bräuchtest mal dringend eine Rasur«, meinte sie scherzhaft.
»Das ist unwichtig… Und momentan, echte Zeitverschwendung«, grinste ich. »Unser Agnir nahm dich wahr. Er sah dich an seinem Bett sitzen«, streichelte ich wiederum ihre Hand.
»Dort saß ich beinahe jede Nacht. Ich kenne doch meinen Jungen. Wie oft riss er uns aus dem Schlaf, weil er schlecht träumte«, sagte sie lächelnd. »Nun, offensichtlich hat sich das nun geändert. Groß ist er geworden, und genauso stattlich wie sein Vater. Ich bin sehr stolz auf ihn, und natürlich auf Sascha. Eine richtige kleine Lady ist sie geworden. Sie sind beide auf dem richtigen Weg, auch wenn es für dich und Annie sicherlich nicht leicht war.«
»Sascha und Agnir haben beide deinen scharfen Verstand geerbt. Agnir hatte zwar kurzzeitig eine üble Phase, jedoch ging diese glücklicherweise rasch wieder vorüber. Und ja, ich denke, wir beide haben alles richtig gemacht.«
»Wieso wir?«, wollte sie wissen.
»Nun ja, selbst wenn es ein wenig grausam klingt, habe ich dich als Erziehungsmittel eingesetzt. Wenn sie etwas Schlimmes taten, sagte ich ihnen, wenn du das erfahren würdest, seist du schrecklich enttäuscht von ihnen«, gab ich zu.
»In der Tat ist das mehr als grausam. Aber offenbar wirkte es«, lächelte sie in sich hinein.
»Ach, es tut so gut, dich wieder bei mir zu haben«, küsste ich sie. Amanda erwiderte meinen Kuss. Trotzdem zog sie sich nach diesem Kuss zurück und schien bekümmert.
»Was hast du, Amanda?«, fragte ich irritiert. »Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich zu weit gegangen?«
»Das ist nicht richtig. Ich merke, wie du mich wieder begehrst. Trotzdem werden wir scheiden müssen, und dann bleibst du zurück, mit einer neuen, frischen und schmerzenden Trauer, wie einer erneut aufgebrochenen Wunde. Bitte, lass uns wie vernünftige Leute miteinander reden. Du musst dein Augenmerk nach vorn richten, nicht zurück. Was ist mit Molly?«
»Wieso steht Molly eigentlich immer wie ein Bollwerk zwischen uns? Was soll mit Molly sein? Sie ist weg. Weiß der Geier, ob sie nicht gefunden werden will, oder in einem üblen Schlamassel steckt. Ich tippe da eher auf letzteres.«
»Du solltest sie suchen«, drängte Amanda.
»Amanda…