Fatales Erwachen Epubli EPUB - Elke Bulenda - E-Book

Fatales Erwachen Epubli EPUB E-Book

Elke Bulenda

3,0

Beschreibung

Ragnors erstes Abenteuer: Wie alles begann. Vampire sind charmant, verführerisch und geheimnisvoll. Und dann gibt es noch Ragnor. Er hat schlechte Manieren, ist politisch inkorrekt, dauergeil und hat ein Alkoholproblem. Im Mittelalter vom aufgebrachten Mob gelyncht, wird er nach über 600 Jahren wieder erweckt. Und hat die Wahl: Entweder er arbeitet für die geheime Organisation Salomons Ring, oder ihm droht die ewige Gefangenschaft. Die Vorsehung hat Ragnor dazu bestimmt, dem Bösen entgegenzutreten. Allerdings hat er mit zwei Problemen zu kämpfen: Der tückischen Technik und einem mächtigen, magischen Gegner. Ragnor hat Charakter- Auch wenn es kein guter ist.

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Seitenzahl: 512

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Elke Bulenda

Fatales Erwachen

Ein humorvoller Fantasy-Roman

Copyright © 2015 by Elke Bulenda

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.Epubli.de

ISBN 978-3-7375-4474-0

Prolog

Høy Øya (Finsterstes Mittelalter)

Er klopfte an die Tür. Zitternd hielt der Bote die Schriftrolle in der Hand. Schon allein die Reise auf diese verfluchte Insel war die reinste Tour de Force. Warum musste sich dieser große Bursche auch am letzten Ende der Welt aufhalten? Es wurde gemunkelt, wenn man weiter in den Norden fuhr, würde die Welt aufhören und jedes Schiff von dem Rand der Welt-Scheibe fallen. Dass die Erde eine Kugel war, war noch nicht bekannt, und selbst als es bekannt wurde, wollte noch niemand so recht daran glauben. Mit banger Erwartung blickte der Kurier nach oben. Aus gutem Grund, der  Empfänger der Nachricht war ein wahrer Riese. Und das war eigentlich schon ein Ding für sich. Doch dieser Riese hatte auch noch Hörner auf der Stirn und trank Blut. Eusebius, so lautet der Name des Boten, fragte sich, warum Lady Marla ausgerechnet für diesen Kerl, ein Faible entwickeln musste. Dabei hätte sie jeden bekommen können. Aber nein, sie entschied sich, sehr zum Kummer ihres Vaters, für dieses Scheusal von Vampir.

Die Tür wurde geöffnet, doch niemand war zu sehen. Eusebius fragte sich, was sich wieder für eine Teufelei abspielte. Eine Stimme ertönte, mit einem verschnupften Butler-Dialekt.

»Ihr wünscht? Was ist Euer Begehr?«

Eusebius hätte beinahe vor Schreck die Pergamentrolle hinter sich geworfen, besann sich aber eines Besseren und richtete den Blick nach unten.

»Äh, ich bin nur der Bote! Ich soll Sir Ragnor diese Nachricht von Lord Seraphim überbringen!«

Eusebius übergab dem Liliputaner-Butler die Schriftrolle und war so schnell verschwunden, dass sich die Staubwolke nicht einmal legen konnte. Tom, der Butler, machte ein verschnupftes Geräusch, schüttelte den Kopf und schloss die Tür, damit die wohlige Wärme nicht nach draußen entwich. Er räusperte sich und trat an seinen Herren heran.

»Sir, ein Bote gab dies für Euch ab, soll ich es erst bügeln?«

Tom bügelte in diesem Haushalt alles, selbst das Bärenfell, das allerdings nach diesem Vorgang recht platt war und einen eigenwilligen Geruch verströmte. Der Herr des Hauses nahm seine gestiefelten Füße, in der Schuhgröße 53, vom Tisch, rülpste laut, stellte sein Trinkhorn zur Seite und griff nach der ihm dargebotenen Schriftrolle.

»Nein Tom, geht schon so! Wusstest du, dass man Rundschreiben nicht zu schnell lesen soll, weil einem sonst schwindelig wird?«

Ragnor schlug sich mit einem bellenden Lachen auf den Schenkel, ein Geräusch erklang, als würde jemand vom Hieb einer Peitsche getroffen. Tom suchte sich etwas anderes zum Bügeln und verschwand in einem Nebenzimmer. Das war in der Tat etwas seltsam, da Blockhütten im eigentlichen Sinne keine Nebenzimmer besaßen, doch Ragnor schätzte Luxus und dazu gehörte nun einmal auch der Luxus der Intimsphäre. Und die wurde nur durch mehrere Zimmer gewährleistet. Er brach das Siegel seines Schwiegervaters, las und runzelte verärgert die Stirn.

»Ach, was für eine Überraschung. Jetzt steht ihm das Wasser bis zum Hals und ich darf es wieder einmal ausbaden! Er hält doch sonst keine großen Stücke auf mich. Doch sobald es schmutzig, blutig oder unangenehm wird, ist er sich nicht zu schade, nach mir zu rufen. Ich weiß gar nicht, wieso ich das immer wieder mache?«

Stimmte nicht so ganz. Er tat es für Marla. Schließlich war sie seine angetraute Ehefrau und Lord Seraphim ihr Vater. Und des Lords Hochwasser kam nicht von ungefähr. Nicht nur, dass er sich nach dem unerwarteten Tod des jungen Königs, der zufälligerweise ohne Kinder und durch das Schwert des Lords starb, an die Macht geputscht hatte, nein, er brachte es auch noch zustande, ein ganzes Volk gegen sich aufzuwiegeln. Zu hohe Steuerlasten, Eroberungszüge ohne Ende, und dazu die Bespitzelung die er seinem Volk angedeihen ließ, taten ihr Übriges. Und natürlich die stetige Jagd  auf Vampire. Die Menschen ließen sich vielleicht von Seraphim täuschen, doch Ragnor wusste Bescheid. Obwohl sich der Lord "Seraphim" nannte, gleich wie der sechsfach geflügelte Engel, hatte Ragnor schon immer die Vermutung gehabt, dass es sich eher um einen Dämonen, als um ein Himmelswesen handelte. Sein Verdacht wurde dadurch bestätigt, weil er die Aura seines Herren sehen konnte. Von Kopf bis Fuß stiegen stetig giftig - grüne Gase empor. Und das lag nicht an den stark gewürzten Speisen, die der Lord sich gierig einverleibte.

»Marla? Ich muss gehen! Dein Papi steckt wieder einmal in Schwierigkeiten!«

Wieder öffnete sich eine Nebenzimmertür, diesmal eine andere, als die, in der Tom entschwunden war. Lady Marla betrat den Raum und es schien so, als würde der Raum vor ihr zurückweichen. Das taten so ziemlich alle, denn Lady Marla brachte jeden zum Zurückweichen, außer Ragnor, der konnte ihr gar nicht nahe genug sein. Lady Marla war das Sinnbild einer Göttin. Bildschön, schlank und sie kleidete sich ausschließlich in Weiß. Sehr zur Freude von Tom, weil die weiße Kleidung hier auf Høy Øyas unbefestigten Straßen schneller Matsch-farbig wurde, als ein Pfeil den Bogen verließ. Und so hatte Tom immer genug zum Bügeln.

Marla zog eine Braue in die Stirn.  

»Warum tust du das? Ich wäre froh, wenn mein Vater endgültig vom Angesicht dieser Erde verschwinden würde.«

Ragnor sah in Marlas pupillenlose, grünen Augen.

»Für dich? Für Jule? Für Mara? Stell dir vor, der Lord wäre nicht mehr da. Dann würdest du den ganzen Tag regieren und wir würden uns nicht sehen! Du warst schon immer ein Arbeitstier. Mir wäre es lieber, wenn wir hier unter uns bleiben könnten. Die Hauptstadt ist nichts für die Kinder. Nur Mord und Totschlag, Schmutz und Krankheit!«

Marla senkte die Augenbraue und zog die andere hoch.

»Wir leben hier in einem Wikinger-Dorf. Ihr Wikinger seid berühmt für Mord und Totschlag.«

Ragnor winkte ab. »Jahaha! Aber wir tun es nicht Zuhause!«

Marla gab sich geschlagen. »Gut, aber du weißt, dass ich es hasse, wenn du für ihn in die Bresche springst. Geht es ihm wieder gut, versucht er sofort, dich zu ermorden.«

Seit Ragnor mit Frau und Kindern die Hauptstadt verlassen hatte, passierten wirklich seltsame Dinge. Ständig fiel ein scharfer oder spitzer Gegenstand irgendwo herunter und verfehlte den Vampir nur um Haaresbreite. Pfeile verirrten sich ohne Grund. Gestalten schlichen auf Dächern herum und stürzten in die Tiefe, nachdem der Nordmann an ihnen vorbei ging. Auch meinte Ragnor, den tuckigen Leib-Assassinen des Lords, Aimes, gesehen zu haben. Allerdings konnte es sich auch um eine optische Täuschung gehandelt haben, hier auf Høy Øya war fast jeder blond. Obwohl Ragnor immer bestritt, dass es vom Lord geschickte Attentäter waren, musste er zugeben, dass ihm diese kleinen Spielchen ziemlich viel Freude bereiteten, außerdem wollte er Marla nicht beunruhigen.

»Papperlapapp! Marla, du weißt, ich bin nicht tot zu kriegen. Mach dir keine Sorgen, ich bin spätestens in einer Woche wieder bei dir.«

Sicher war er nicht tot zu kriegen, er war ein Untoter und wie tot konnte ein Untoter noch werden? Der Hüne packte seinen Seesack, zog sich seine lederne Tunika an, steckte sich nicht wenige Waffen ein, und schaute noch kurz in ein anderes Nebenzimmer, in dem seine Töchter selig vor sich hin schlummerten. Er gab Jule und Mara einen Kuss und lachte still in sich hinein, als sich Mara angewidert im Schlaf über das Gesicht wischte.

Ach, ja die Kinder, sie werden so schnell groß...

Besorgt blickte er auf Jule, die immer noch am Daumen nuckelte und machte sich gleich noch mehr Sorgen, dass sie dadurch vielleicht schiefe Zähne bekommen könnte.

Als er sich von seinem Weib verabschiedete, bat er sie noch um einen Gefallen. »Öffnest du dein Haar für mich?«

Marla öffnete ihre zum Turm aufgestaute Frisur und kaskadenartig fielen ihre haselnussbraunen Locken über ihre Schultern. Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, danach begann die Haarpracht sich munter zu regen; und als ob sie sich räkeln würde, begann sie sich wie Tentakel zu bewegen.

Auch so etwas, welches Ragnor in der Vermutung bestärkte, dass Seraphim nicht ganz von dieser Welt war, jedenfalls nicht von dem oberen, bewohnten Teil.

»Es wird nicht lange dauern, dann bin ich wieder bei dir und den Kindern. Gib mir einen Kuss!«

Sie saugten sich aneinander fest, wobei sich Marla auf ihre Zehenspitzen stellte, obwohl sich Ragnor schon zu ihr herunter beugte. Nachdem sie sich mit einem hörbaren "Plopp" voneinander trennten, wurde er noch von Marlas Haar-Tentakeln umarmt.

»Bis bald, meine Schöne.« Ragnor winkte seiner Liebsten noch ein paar Mal, wäre beinahe mit einem Baum kollidiert und gestand sich ein, dass er Abschiede hasste.  

»Welcher Idiot stellt einen Baum mitten auf den Weg?«, brummelte er ungehalten.

Marla, oder eher ihr Haar winkte - mit einem gebügelten, weißen Taschentuch.

*

Nachdem Ragnor auf das Festland übergesetzt war, bemerkte er recht schnell, dass im Reich etwas im Argen lag. Überall brannten Strohpuppen, die dem Lord nicht unähnlich sahen. Als die Aufrührer die Anwesenheit Ragnors wahrnahmen, scharrten sie verlegen mit den Füßen und taten so, als würden sie sich die Hände an einem ganz normalen Lagerfeuer wärmen. Die Truppen des Lords waren nirgends zu sehen. Der Hüne fragte sich, wo all die Soldaten geblieben waren.

Was er nicht wusste war, dass sie ihre Rüstungen abgelegt hatten und die Aufständischen munter beim Zündeln und Aufrühren unterstützten. In der Hauptstadt war der Teufel los, nicht etwa weil Ragnor wieder da war, sondern eher, weil er eine ganze Weile durch Abwesenheit geglänzt hatte. Geschäfte wurden geplündert, das Bauernvolk lief durch die Straßen (samt Vieh versteht sich) und tat seinem Unmut Luft, indem sie lautstark den Tod Seiner Lordschaft forderten.

Wo Ragnor ging, teilte sich die Menschenmenge, wie das Rote Meer vor Moses, hinter ihm schloss es sich, nicht ohne sich nass gemacht zu haben.

»Geht nach Hause! Sonst lasse ich euch alle niedermachen!«, brüllte der Nordmann.

Die Menge murrte, überlegte und wurde sich einig, dass es sich nicht unbedingt lohnte, niedergemacht zu werden.

Doch der Eindruck sollte trügen. Sie hatten einen starken Verbündeten. Die Legion der Nacht war schon von jeher, der Hauptfeind der Ritter des Lichtes gewesen. Lord Seraphim legte großen Wert darauf, dass sein Reich vampirfrei wurde. Allerdings stank es ihm gewaltig, dass Ragnor die Statistik versaute, indem Ragnor leider ein Vampir war. Aber das musste Seine Lordschaft wohl oder übel über sich ergehen lassen. Ragnor war der ungeliebte Schwiegersohn und würde es bis in alle Ewigkeiten bleiben. Es war in der Tat ungewöhnlich, dass ein Vampir für den Orden des Lichtes arbeitete. Der ganze Name dieser heiligen Institution lautete: Heiliger Ritterorden des Erzengels Michael. Im Wappen war das flammende Schwert des Lichtbringers zu sehen. Dieser Ritterorden unterstand im Normalfall den Königen, die allesamt Michael hießen. Bis zuletzt. Nun war Lord Seraphim der direkte Stellvertreter des Lichtbringer und Erzengels.

Die Torwachen in der Michaeler-Festung des Lichts, nahmen schleunigst Haltung an, als Ragnor die Burg betrat. Er knurrte sie im Vorbeigehen an.

»Nehmt ordentlich Haltung an, ihr Blecheimer, sonst muss euch der Schmied aus den Rüstungen schneiden.«

Niemals danach stand jemals wieder jemand so stramm, wie die beiden Burschen. Ragnor wurde sich bewusst, dass es selbst hier, in der Festung des Lichts, vor sich hin gärte. Feindliche Blicke war er gewöhnt, ihm war es völlig egal, dass die Ritter des Michael, ihn für einen Verräter hielten. Schließlich war er nicht ganz freiwillig in die Dienste des Lichtordens getreten. Doch es lag etwas in der Luft, das verriet ihm sein Instinkt. Mit langen Sätzen durchschritt er den Burghof und wurde wenig später bei Seiner Lordschaft vorstellig.

Der sonst so unnachgiebige Lord machte sogar den Eindruck, als würde er sich bedingt über die Ankunft seines Schwiegersohns freuen. Jedenfalls nannte er ihn heute nicht - " Einen völlig bescheuerten Blutsauger."

Knapp verbeugte sich Ragnor vor seinem Dienstherren. Diese Masche hatte er sich unter der Ausrede angewöhnt, dass seine Größe ein gewisses Knieproblem mit sich brachte. Er hasste es, vor dem Lord zu knien. Er kniete nur vor Marla, sonst vor niemandem. Der Lord machte eine fahrige Bewegung mit der Hand.

»Wurde aber auch Zeit dass du kommst! Es heißt doch immer die Toten reisen schnell! Was hast du so lange getrieben? Warst du auf See und hast wieder unsere Schiffe geplündert, du und deine komischen Gesellen?«

Ragnor fand seine Gesellen nicht komisch, auch hat er nie bemerkt, dass eines seiner Opfer jemals über ihn, oder die anderen Nordmänner, gelacht hätte. Vielleicht hatten sie aber auch keine Zeit dazu gehabt.

»Nein, ich habe unterwegs noch einen Bären vergewaltigt! Das braucht seine Zeit! Eine ganz schön haarige Angelegenheit!«

Der Lord fand Ragnors Humor alles andere als erfrischend. Er verzog angewidert das Gesicht und versetzte den Turm, der auf dem Schachbrett stand, auf eine andere Position. Lord Seraphim spielte begeistert Schach, allerdings nur gegen sich selbst, weil er ein schlechter Verlierer war. So gewann er jeder Partie.

»Hast du gesehen was da draußen los ist? Dahinter steckt die Legion der Dunkelheit! Sie haben mein Volk aufgewiegelt, diese dreckige Blutsauger-Bande! Du weißt wie sie ticken! Du gehörst ja auch zu ihnen!«

Ja, jetzt ist es soweit! Verfolgungswahn tanzt Ringelreigen.

Der Nordmann behielt seine Gedanken für sich, dachte an die Steuerlast, die Kriege und die Krankheiten. Das hatte nicht das Geringste mit der dunklen Legion zu tun. Nur, dass die Legion der Dunkelheit ihr Land zurückhaben wollten, welches schon ihre Ahnen und Urahnen besiedelt hatten. Auch die Bevölkerung war der Meinung, dass es besser wäre, einen halben Liter Blutzoll an die Vampire zu leisten, als sich von den Rittern des Lichtes völlig ausbluten zu lassen.

Die Stimmen wurden lauter, der Mob brach sich Bahn durch die Festung und die übrigen Soldaten schlossen sich den Entrechteten an. Die aufgebrachten Handlungen des Volkes wurde durch die geplünderten Alkoholika zusätzlich angefacht. Sie hatten sich genug Mut angetrunken, sodass es ihnen völlig egal war, ob sie etwas erreichten oder nicht. Zumindest hatten sie sich einen ordentlichen Schluck genehmigt und der Kater kam erst morgen, falls sie das Morgen noch erleben sollten. Auch den Soldaten war ein guter Weinbrand wichtiger als die Schläge, die sie von ihrem Dienstherren zu erwarten hatten.

Wie ein wilder Derwisch sprang Lord Seraphim von seinem Prunk-Sessel auf und stürmte zum Fenster.

»Ragnor! Tu etwas! Die Soldaten fallen uns in den Rücken!«

Ein Blick aus dem Fenster und der Hüne wusste Bescheid.

»Sire, ich fürchte, dass sich die Menge jetzt auch nicht mehr zur Vernunft bringen lässt. Folgt mir, Herr. Ich kenne einen geheimen Gang, er führt bis zum Hafen. Dort können wir Euch ausschiffen und in Sicherheit bringen.«

Er pflückte eine Fackel aus ihrer Halterung und geleitete den Lord in die Verliese. Dort zog er an einem Ring, ein scharrendes Geräusch erklang und gab eine Öffnung preis.

»Dort entlang!«

Wie ein verängstigtes Kind hielt sich der Lord an Ragnors Umhang fest und ließ sich von dem Hünen durch die dunklen Gänge führen. Der Vampir wirkte wie immer zielstrebig, gelassen und verschlossen. Doch unter seiner sorgfältig arrangierten Fassade brodelte es bereits. Ragnor blieb stehen und fluchte leise. Er nestelte an einem Ring herum, der den Durchgang des nächsten Tunnels freigeben sollte. Der Lord fragte genervt:   »Was ist los? Schwächelst du etwa?...«

Ragnor drehte sich um und seine grünen Augen reflektierten das Fackellicht, wie die Iris einer Katze. Er wirkte bedrohlich, denn er hatte einen Plan. Er würde dem Spuk ein Ende setzen, hier und jetzt. Marla würde den Platz von Seraphim einnehmen und ihre Sache hoffentlich besser machen.

»Der Weg ist zu Ende.« Er zog sein Schwert. »Für dich ist er hier zu Ende. Bedanke dich nicht, Seraphim. Das mache ich doch gerne für dich, noch viel lieber für deine Tochter!«

Ragnor stieß dem Lord das Schwert bis zum Heft in die Brust. Auch ließ er sich das Vergnügen nicht entgehen, kräftig daran zu drehen. All die Jahre des Hasses, der Demütigungen, des Ringens und der Querelen mit dem verhassten Lord und seinem verdammten Orden, kamen ihn ihm hoch. Die Augen des Lord blickten ihn verblüfft an, bis das Licht darin erlosch.

»Schade dass jeder nur einmal stirbt! Ich hätte dir, Lord, liebend gern tausend Tode gewünscht.«

Er kostete diesen Moment aus, trank das Blut seines Feindes und hoffte, falls es eine Seele geben sollte, dass diese vom Lord ewig in Helheim gefangen bleiben würde. Die sterblichen Reste Seiner Lordschaft entsorgte der Vampir dank seiner Gabe. Pyrokinese war eine herrliche Angelegenheit. Er zog sich schnell zurück, niemand duftete gern nach verbranntem Fleisch. Nachdem er sich seine Kleider gerichtet hatte, betrat er wieder den Burghof. Sein Plan war ganz einfach. Den gesamten Rückweg grübelte er über eine passende Rede. Nicht gerade mit rhetorischen Qualitäten ausgestattet, bekam er schon leichte Kopfschmerzen. Er würde der meuternden Menge mitteilen, dass Lord Seraphim seine gerechte Strafe bekommen hatte. Er, Ragnor, war der Ankläger, Richter und Henker in einer Person. Sie würden ihm dafür dankbar sein. Und ganz sicher würde Marla ihre Sache besser machen, als ihr jüngst und plötzlich verstorbener Vater. Aber finsterstes Mittelalter wäre nicht finsterstes Mittelalter, wenn es keine Fackeln, Piken, Hellebarden und Mistgabeln gegeben hätte. Statt die freudige Nachricht zu hören, beschloss das aufgebrachte Volk, Schluss mit den gesamten Unterdrückern zu machen. Und da Ragnor quasi zur Familie des Lords gehörte, verstanden sie ihn irgendwie falsch, obwohl er eigentlich noch gar nichts gesagt hatte.

Undank ist der Welten Lohn. Als sie sich der Präsenz des Hünen bewusste wurden, kamen sie einmütig auf folgenden Vorschlag: »Da ist er! Schnappt ihn! Nieder mit der Tyrannei!«

Und da die Soldaten Ragnor nur zu gut als ihren Schleifer verachteten, machten sie gleich fröhlich mit. Lynchen konnte so viel Spaß machen. Vorausgesetzt, man war nicht derjenige der gelyncht werden sollte.

»Hört mir doch erst einmal zu! Der Lord ist tot! Lange lebe Lady Marla!«

Doch wie aufgebrachte Bürger nun einmal so sind, dachten sie nicht daran, auch nur einem aus dieser Familie zu trauen. In ihren Augen war Lady Marla um keinen Deut besser als ihr Usurpatoren-Vater.

Vor, hinter und neben Ragnor, rückte der Pöbel immer näher. Und im Grunde wirkten sie überhaupt nicht, als wollten sie etwas anderes hören, als das Knacken von Knochen und das Hacken der Beile.

»Gut! Ihr wolltet es ja nicht anders haben! Wenn ich schon zur Hölle fahren soll, dann werde ich gleich noch ein paar von euch Pfeifen mitnehmen!«

Ragnor war ein wahrer Berserker, jenes lag wohl daran, dass er fest daran glaubte, nach seinem Ableben in Asgards Walhalla tafeln zu können. Furchtlosigkeit war gewissermaßen eine Grundausstattung in Ragnors Vampir-Dasein.

Als sich die Reihen des Pöbels um den Vampir schlossen, öffnete sich der Kreis  wieder sehr schnell. Köpfe und Gliedmaßen schossen wie Kanonenkugeln durch die Menge. Geschrei, Rauch und Staub stieg in den Festen des Hofes auf. Der verfluchte Vampir ließ mittels Telekinese die Menschen durch die Gegend schießen, wie lebende Geschosse. Helme und Rüstungsteile, mit und ohne Inhalt, wurden unter den Füßen der Menge sichtbar. Obwohl mit übermenschlichen Kräften ausgestattet, war allein die Masse der Angreifer überwältigend. Und niemand hatte im Rücken Augen und konnte an jeder Angriffsflanke gleichzeitig sein. Irgendwo kreischte eine Katze. Es konnte aber auch ein Mensch gewesen sein. Der Pöbel schrie, brüllte, hackte und stach. Ragnor fiel unter der erdrückenden Masse seiner aufgebrachten Angreifer. Nachdem der Vampir sich nicht mehr zur Wehr setzte, wurde beschlossen, dass die Zeit wieder reif wurde, etwas zu plündern. Metzeln macht hungrig. Und da sich der Mob gerade in der Festung befand, wurde ihnen bewusst, dass sie dort noch gar nicht nach dem Rechten gesehen hatten. Der Lord war für seinen außerordentlich exquisiten Geschmack bekannt und da es jetzt keinen Lord mehr gab, mussten die Verbrauchsgüter dringend an den Mann gebracht werden, ehe sie noch verdarben. Alles stürmte ins Gebäude. Anschließend gab es ein festliches Bankett, bei dem das Volk königlich tafelte. Allerdings mit weniger königlichen Manieren.

Im Hof lag der geschundene Körper des Hünen, wahrscheinlich war dessen Seele gerade unterwegs nach Walhalla.

Ragnors Verbündeten, die Kleinwüchsigen, sahen betroffen auf die veranstaltete Sauerei. Sie hatten ihren großen Freund schon in einigen schlimmen Situationen angetroffen, aber das toppte alles. »Maledetto! Lady Marla wird nicht gerade begeistert sein!« Pepe, die Peperoni, drehte seinen Hut in den Händen.

Ricardo Ruccola gab ein schniefendes Geräusch von sich und rotzte auf den Boden. »Porca Puttana! Lady wird uns machen die Köpfe kurz!«

Toni, die Fliege, putzte sich lautstark seine ohnehin schon gerötete Nase. Er litt unter Dauerallergien, es konnte aber auch ein Dauerschnupfen sein. Toni war Kutscher und saß ständig in der zugigen Kälte des Kutschbockes.

»Vielleicht schläft er ja nur? Eh?«

Giacomo, der Geck, stieß Ragnors Kopf mit der Stiefelspitze an. »No! E´tornato! Der isse hinne!«

Tobias, die Tomate, gab einen wimmernden Laut von sich.

»Wie sollen wir ihn hier weg bekommen? Cheffe wiegt mindestens eine Tonne!«

Pepe gab Tobias einen Knuff. »Bisse Stupido? Tonne isse leichter! Wir ständig lassen Tonnen mitgehen!«

Alle kleinwüchsigen Gauner bissen sich auf die Unterlippe. Nur Toni nicht, der biss in sein Taschentuch. Die Kleinwüchsigen sahen sich um. Tobias flitzte quer über den Burghof und kam wenig später mit einer Schubkarre zurück, die verdächtig nach Dung müffelte. Unter lauten Flüchen, Gezeter und Knüffen, hoben sie den toten Vampir in die Schubkarre und eierten aus der Festung, nicht ohne sich mit gegenseitigen Ohrfeigen und Tritten zu malträtieren. »Passe auffe! Cheffes Horn an Mauer hängen gebliebe! Jetzt isse Mauer kaputt! Mache presto! Eh? Stronzo! Heb´ den verdammten Schädel wieder auf, pronto! Wenn er ganz abreisse, dann wir sein mächtig in die Arsche!«

Es folgte ein Knuff und darauf ein protestierendes:

»Aua! Der Kopfe war eh lose, Stronzo se stesso!«

Die kleinen Leute verschwanden unbemerkt in der Innenstadt.

Niemandem schien ein Haufen schimpfender Zwerge als sonderlich auffällig. In dieser Nacht zogen schließlich recht viele, mit Diebesgut durch die Gassen.

Wer hat, der hat...

Im Hafenviertel legte ein nordisches Langboot ab und sein Ziel war Høy Øya.

*

Fatales Erwachen - Ihr hättet mich einfach liegen lassen sollen!

Alles war so verdammt verworren. Mein Kopf fühlte sich leer und hohl an. Außerdem schmerzte meine Stirn. Sie pochte, als hätte mir jemand einen großen und ziemlich harten Gegenstand vor den Kopf geknallt. Ein Verband fiel mir auf, der meine Stirn bedeckte. Mir war zumute, als hätte mich jemand von Kopf bis Fuß in Watte gehüllt. Stimmen? Und wo genau war ich? Ich hörte genau drei verschiedene Stimmen.

In meiner Erinnerung regte sich etwas, mir war so, als würde ich eine davon erkennen, sicher war ich mir allerdings nicht. Also lauschte ich angestrengt. Es waren zwei männliche und eine weibliche Stimme. Und die weibliche Stimme hatte ein samtig weiches Timbre. Mandelduft...

Sofort gesellte sich meine Begierde, hechelnd wie ein Hund, bei Fuß. Irgendetwas regte sich in meiner Lendengegend - unter dem Tuch, fleißig damit beschäftigt, ein Zelt aufzuschlagen. Einer der Kerle sagte, dass er jetzt gehen müsse, sie hätten ja alles im Griff. Der Patient wäre stabil. Die bekannte Stimme verließ den Raum. Der Mann verharrte einen Moment. Er sagte etwas von anrufen.

… Dämonenbeschwörung? Verdammt!...

Jemand riss mir mein Augenlid bis zum Anschlag hoch und blendete mich mit einem fürchterlich grellen Licht. Sofort versuchte ich das Licht weg zu zwinkern. Wieder diese samtig rauchige Stimme.

»Pupillenreflexe normal, kein Herzschlag, keinen Blutdruck, aber eine ziemlich gewaltige Erektion. Wie ist denn so etwas medizinisch zu erklären?«

… Ja, wie? Vielleicht sollte ich es der Lady erklären ...

Redlich bemühte ich mich, meine Stimmbänder wieder in Schwung zu bringen. Doch mein Hals fühlte sich an wie trockenes Laub und meine Zunge kam mir ungewohnt dick und pelzig vor.

… Eigennotiz an mich - Bei nächster Gelegenheit die Zunge rasieren ...

Nochmals räusperte ich mich und nun konnte ich endlich etwas sagen.

»Das ist Magie! Sitz auf, Süße, ich zeige dir was ich mit diesem Zauberstab alles kann!«

Ein verächtliches Schnauben ertönte.

»Blutsauger! ... Simon, er ist soweit fit. Er hat genug Sedativum bekommen, Ketamin, soviel, um damit eine Horde Stiere umzuhauen. Ich gehe eben vor die Tür, eine Runde kotzen! Wenn er aggressiv wird, dreh´ den Knopf auf 5.«

Samt-Stimme verließ leider den Raum. Schnell versuchte ich zu erhaschen, ob sie auch den passenden Körper zu der umwerfenden Stimme hatte. Mann, das war eine echte Mörder-Braut!

Irgendwie konnte ich mich nicht so richtig aufrichten. Aber als die Dame mit der "Nimm-Mich-Von-Hinten-Kehrseite" den Raum verließ, zogen sich meine angeheizten Gelüste seufzend zurück. Nicht, ohne vorher noch einmal mit der imaginären Faust zu drohen. Doch meine Gier lauerte weiterhin im Hintergrund, wartend, um sich in der nächst bietenden Gelegenheit, wieder zum Einsatz zu melden.

»Vergiss es, sie ist eine Nummer zu groß für dich!«, ertönte eine Stimme an meiner Seite.

Nun schnaubte ich ebenfalls abfällig.

»Blutsauger? Ich bin ein Vampir! Ich nenne Menschen schließlich auch nicht Friedhofs-Erde oder Getränke-Spender!«

Ein blonder Knilch zeigte in Richtung Tür, durch die die heiße Schnitte entschwunden war.

»Taekwondo!«

Ich verzog das Gesicht.

»Hey! Ich glaube sie steht auf mich. Taekwondo? Ist das ansteckend? Normalerweise werde ich nicht krank.«

Scheinbar fand der Blonde es sehr witzig, denn er lachte, als hätte ich einen Witz gemacht.

»Nein, sie ist nichts für dich, sie hat zwei Dr.! Außerdem sind ihr Mundwerk und Verstand so scharf, wie ein medizinisches Präzisionsschneidewerkzeug ... Schön, dass du wach bist. Mein Name ist Simon Friday, ich bin der Leiter der technischen Abteilung und ab heute dein persönlicher Betreuer. Die junge Dame, die jetzt vor der Tür kotzt, ist Dr. Dr. Amanda Ferguson. Molekularbiologin und Chefärztin der Gesundheitsabteilung. Gib dir nicht die Mühe mir die Hand zu reichen, du bist noch fixiert.«

… Kacke! - Und wie ich fixiert war. Die Schweine hatten mich angebunden!...

»Ach so, ich dachte schon, sie treibt es mit zwei Doktoren. Dann ist sie noch zu haben, ja? Warum bin ich angebunden? Bin ich euer Gefangener? Bringt mich sofort zu eurem König!«

Langsam wurde ich doch etwas unruhig, scheinbar wirkte dieses Sedadingsbums nicht mehr. Unter der Aufbietung all meiner Kräfte, versuchte mich loszureißen, doch sichtlich war ich nicht in Form, ich bekam diese verdammten Fesseln nicht los. Normalerweise würde ich sie sprengen, verbrennen oder einfach zerreißen, aber was ich auch unternahm, nichts hatte Erfolg. Simon drehte an einem Knopf .

Bei dieser Gelegenheit nutzte ich das freie Sichtfeld, um mich etwas genauer in diesem weißen Raum umzusehen. Überall standen seltsame Kisten mit blinkenden Lichtern herum. Es summte, brummte, und pumpende Geräusche waren ebenfalls zu hören. Flaschen und Beutel hingen an seltsamen Stöcken und alle Flüssigkeiten schienen sich in Richtung meines Körpers zu bewegen. Bei Odin!

Ein Beutel erregte meine besondere Aufmerksamkeit. Er war mit Blut gefüllt. Mein Magen gab ein grollendes Geräusch von sich. Simon setzte sich wieder an meine Liege.

»Hungrig? Ich weiß nicht, ob ich dir schon etwas geben darf, das entscheidet Amanda. Dabei hast du schon zehn von diesen Beuteln bekommen! Na ja, du bist ja auch ein ziemlich großer Bursche.«

Der Blondling hob etwas von Tisch. »Ich bin auch hungrig, guck, ich habe mir mein Frühstück mitgebracht.«

So langsam ging mir der Kerl auf den Sack. Aber er plauderte ungehemmt freundlich weiter. »Hier, das kennst du sicherlich nicht. Das ist eine Banane. Und dies hier ist eine Kiwifrucht. Und das kennst du bestimmt, das ist ein Apfel!«

Mich interessierte das blöde Obst nicht die Bohne! Als würde ich keinen Apfel kennen. Mann, bin ich auf der Brotsuppe daher geschwommen, oder was?

Ich brauchte dringend Blut und war immer noch angekettet. Entnervt wiederholte ich mein Anliegen.

»Bin ich euer Gefangener? Bringt mich zu eurem König!«

»König?«, schmatzte mir Simon ins Ohr. Er aß seine Banane. Vielleicht bin ich ja bis ins Mark verdorben, aber auf mich machte es einen leicht obszönen Eindruck, wie er sich diese Frucht in den Mund schob. Er kaute zu Ende und schluckte den Bissen herunter. »Wir haben keinen König. Hier herrscht Demokratie.«

Wattig, wohlige Wärme durchströmte meinen Körper, der Blutdurst war vorerst zweitrangig.

»Was?«, nuschelte ich. »Die Griechen haben dieses Land erobert und wischen mit ihren komischen, langen Gewändern durch euren Thronsaal?«

… Kacke, die Griechen! Ich hätte ihnen niemals solche Eier zugetraut, das Reich zu überfallen und es einzunehmen. Dabei befiel mich das Gefühl, dass hier etwas ziemlich schief gelaufen war. Vielleicht sollte mal das Saufen etwas einstellen ...

Der blonde schmächtige Kerl, immer noch mit dieser schrecklichen Banane bewaffnet, spuckte vor Lachen fast seinen Bananenbrei durch die Gegend.

»Wir sind keine Griechen! Wir haben nur ihre Demokratie. Und Könige, sofern es noch welche in den Ländern gibt, sind nur noch zum Repräsentieren da.«

… Ach so. Nur zum Winken? Toller Job ...

Ich gab ein undeutliches Gemurmel von mir. Überhaupt schien ich über der Liege zu schweben.

»Engländer? Was ist mit den Britannen? Die haben doch noch einen König, oder?«

Diese bornierten Gockel konnte ich noch nie leiden, aber auf den Inseln hatten sie reiche Klöster. Es lohnte sich immer mal, dort vorbei zu schauen. Habe ich schon erwähnt, dass wir Nordmänner das Englische Einkaufen erfanden?

Blondchen nickt: »Ich bin Engländer. Ja, dort gibt es noch eine Königin.«

...Aha, jetzt hatten die Engländer also eine Königin...

William der Bastard, der sich selbst "der Eroberer" nannte, war noch ein König von wahrem Schrot und Korn. Was wohl auch daran lag, dass er ein direkter Nachfahre von Rollo, dem Wikinger ist. Er nahm sich das, was ihm seiner Meinung nach zustand. Dabei hatte er sich England ehrlich mit dem Schwert erkämpft. Doch alle, die nach ihm seinen Thron bestiegen, waren ausgesprochene Pfeifen. Egal ob Richard, John, oder dieser verrückte Edward. Ihnen fiel sozusagen das Königreich durch Erbfolge in den Schoß. Die einzige Anstrengung die sie unternehmen mussten war die, den jeweiligen nächsten Verwandten um die Ecke zu bringen, um es sich anschließend auf dem Thron gemütlich zu machen. Und nun musste eine Frau ran, weil es die Männer offensichtlich nicht gepackt hatten. Leuchtet ein.

Mit ernster Miene musterte er mein wohl eher blödes Gesicht, ich schien vor mich hin zu grinsen. Es fühlte sich jedenfalls so an. Wieder drehte er an einem Knopf, ich bemerkte es, weil der Stuhl über den Boden schabte, als er sich erhob. Also, ein Engländer ... Da muss ich in Zukunft aber aufpassen, dass ich ihm keins überziehe, um ihn auszurauben.

Mit einem leisen Seufzen setzte er sich wieder hin, und machte weiter mit seinem angestrengten Gestiere.

»Mal etwas anderes... Was meinst du, wie lange du weg warst?«

So langsam kam ich mir verarscht vor. Ich hatte es nicht gern, wenn ich von seltsamen Leuten gefangen gehalten wurde und sie obendrein irgendwelche Spielchen mit mir veranstalteten.

»Weg? Was meinst du mit weg? Hör zu Mann! Was ist hier eigentlich los? Falls du es nicht bemerkt hast, ich bin ein Vampir. Meine Feinde habe ich allein schon durch die Erwähnung meines Namens zum Zittern gebracht! Und wenn du mir nicht gleich sagst, was hier los ist, dann … dann … schnappe ich mir die Königin von England, orgle sie kräftig durch und spiele anschließend mit ihrem Blut!«

Mein Gegenüber riss die Augen auf.

»Das willst du sicherlich ganz bestimmt nicht!«

… Oh doch! Da kennt er mich aber schlecht, ich bin immer für einen Spaß zu haben!...

Wieder das Schaben des Stuhls, wohlige Wärme durchflutete meine Adern und wenn ich es ganz ehrlich zugeben muss, die Königin konnte noch ein bisschen warten.

»Bitte, Ragnor, so ist doch dein Name, du kannst nur Ragnor sein! Es ist sicherlich alles ziemlich verwirrend, aber du hast gar nicht gefragt wo du bist. Ich weiß, das Sedativum und alles ... Aber worauf ich hinaus will ist, dass diese Frage nach dem "Wo" sowieso nicht so wichtig ist, eher das "Wann"! Du erinnerst dich doch sicherlich noch an das letzte Datum?«

Ich nickte rhythmisch, weil ich glaubte Musik zu hören.

Diesem Simon war es wohl nicht möglich, sein blödes Maul zu halten.

»Ragnor? Ragnor! Wir schreiben das Jahr 2010!«

Mir wurde schwarz vor Augen.

*

Es ist bitter für einen Menschen, bei all dem Wissen keine Macht zu haben. Doch wie soll ein Vampir damit umgehen?

Das erste Zitat stammt von Herodot, der Anhang ist ein selbst gedengeltes Gedankengut von mir. Nachdem ich mit einem ordentlichen Kater von diesem verdammten Ketamin erwachte, wünschte ich mir sofort eine wiederholte Dröhnung. Nur, damit ich mich nicht mit dem auseinander setzen musste, was gerade durch meinen Schädel tobte. Apropos Schädel, wieso hatte ich eigentlich diese verdammte Binde um meinen Kopf herum? Später. Zuerst musste ich herausbekommen, was Simon damit meinte, wir hätten das Jahr 2010.

»Marla? Jule? und Mara? Heißt das etwa, dass ich sie nie mehr wiedersehen werde?«

Blondie glotzte, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen.

»Wer? Nein, sieht so aus. Tut mir leid.«

Simon blickte scheinbar überhaupt nichts! Was für eine Pfeife!

Verbitterung machte sich in mir breit. Ich hatte sie im Stich gelassen, meine Familie einfach so im Stich gelassen! Konnte nicht ihre Hände halten, wenn sie Schmerzen oder Angst hatten! Ihnen niemals mehr auch nur ein bisschen Trost angedeihen lassen! Hatte verpasst wie meine Kinder erst zu schönen, jungen Mädchen wurden, und später zu noch schöneren Frauen erblühten! Waren sie glücklich? Oder hatten sie mich verflucht, weil ich sie allein gelassen hatte? Nun waren sie schon lange tot und begraben. Staub im Wind. Zum zweiten Mal, in meiner langen Existenz, habe ich eine Frau und meine Kinder verloren. Wenn jemand seine Frau verliert, wird er zum Witwer. Wenn ein Kind seine Eltern verliert, wird es zur Waise. Aber was ist jemand, der seine Kinder verliert? Dafür gibt es keinen Begriff. Wahrscheinlich liegt es daran, dass dieser Zustand einen so mitnimmt, dass man in Wortlosigkeit versinkt. Zurück blieb nichts als gähnende Leere, Zorn und Niedergeschlagenheit. Das Schlimmste war, dass alle Emotionen auf einmal auf mich einstürmten. Marla! Ich hatte sie so geliebt, so sehr, dass es mir weh tat. Ständig, selbst bei ihrer Anwesenheit. Doch da ich jetzt ihren Verlust ertragen musste, hatte ich das Gefühl, als würde es mich zerreißen. Von innen nach außen. Nie wieder würde ich den Duft ihres Haares riechen, nie mehr ihre pfirsichzarte Haut streicheln ...

Wut! Der rote Schleier blinder Wut trübte meine Sicht. Irgend jemand schrie. Ich hoffte, dieser Scheißkerl würde endlich das Maul halten. Bis ich herausfand, dass ich es war, der wie ein angestochenes Tier brüllte.

Gläser gingen zu Bruch, der Inhalt der Beutel kochte über und ihre Hüllen platzten. Deckenplatten lösten sich aus ihrer Verankerung, das Licht ging aus und der Raum bebte. Simon plumpste wie ein nasser Sack zu Boden, nur um wenig später mit voller Wucht an die Wand geschleudert zu werden. Papiere flatterten durch das Zimmer, wie orientierungslos gewordene Vögel und verbrannten. Funken stoben aus den Geräten. Das reinste Chaos. Auf und ab wallendes, schrilles Pfeifen ertönte und Lichter flackerten, wie die Flammen der Hölle. An der Außenseite der Tür versuchte sich jemand Einlass zu verschaffen. Eine gewaltige Feuerwalze rollte durch den Raum und riss die Tür aus den Angeln. Es regnete, inmitten des Raumes. Simon hatte sich wie ein Kleinkind, auf allen Vieren durch den Raum bewegt und rammte mir etwas Spitzes ins Bein. Diese räudige Ratte! Schmerzen spüre ich kaum. Aber als eine unsagbare Ruhe über mich kam, beruhigte sich das Zimmer ebenfalls, und alles was darin war, tat es mir nach. Schwärze und danach nichts mehr.

*

Amanda und zwei Sicherheitsleute kamen atemlos durch die Tür. Missmutig betrachtete die Ärztin ihre ausgebrannten Instrumente und wandte sich an Simon.

»Das hätte unmöglich passieren dürfen! Er war bis unter die Hutschnur vollgepumpt! Ich sagte doch, er ist gefährlich, aber Sal wollte wieder einmal nicht auf mich hören! Die Instrumente wird er mir ersetzen! Und wehe er murrt! Ich werde ihn wie eine Furie bis ans Ende der Welt jagen! Ich hielt es gleich für eine ganz schlechte Idee! Dieses Vampir-Ding ist ein Monster.«

Simon putzte sich Schutt und Staub von der Kleidung. Inzwischen waren die Brände gelöscht und die Sprinkleranlage abgeschaltet.

»Danke Amanda, dass du so besorgt um mich bist! Aber mir geht es gut, danke der Nachfrage. Ja, er ist gefährlich. Das habe ich nie bestritten! Aber überlege doch mal. Ihm ist gerade bewusst geworden, dass die ganze Welt, seine ganze Welt, völlig aus den Fugen geraten ist. Wie würdest du dich fühlen? Ich denke er hatte so etwas wie einen Nervenzusammenbruch.«

Die Ärztin sah betreten auf ihre Füße. Fasste sich aber wieder schnell und setzte ihre gewohnt kämpferische Miene auf.

»Ach, und neuerdings bist du jetzt auch noch Arzt, oder was? Aber ausnahmsweise stimme ich dir zu, es könnte ein Nervenzusammenbruch gewesen sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Na super, ein Monster mit einem Nervenkollaps, Klasse!« Dann besann sie sich, dass ihr Verhalten womöglich etwas unsensibel rüber kam. »Natürlich, du hast Recht, Simon. Du musst dich um ihn kümmern. Versuch sein Vertrauen zu gewinnen, ich glaube er wird jetzt jeden Freund brauchen, den er kriegen kann. Bringen wir ihn in einen etwas freundlicheren Raum. Dieser ist für nichts mehr zu gebrauchen. Der Bursche sollte in der Abrissbranche arbeiten.«

Der Sicherheitsdienst wurde angewiesen, die Liege in einen Nebenraum zu rollen. Sicherheitshalber gab Amanda dem Patienten noch eine großzügige Dosis Sedativum. Sie wollte kein Risiko eingehen. Und erst gar nicht darüber nachdenken, was passierte, wenn der Vampir erwachte und wieder Amok lief.

Ragnors Decke war völlig weg geschmurgelt. Die Matratze auf der er lag, war geschmolzen und hatten den Hünen tiefergelegt.

Seine Konturen waren fein säuberlich in das weiche Material hinein geschmolzen. Das merkten sie erst, als sie ihn umbetteten. Simon war nicht schwul, musste sich aber eingestehen, dass er nicht abgeneigt war, so einen Körperbau zu haben. Ragnor war groß, ziemlich groß. Aber nicht so, wie es bei vielen großen Menschen häufig der Fall ist. Er hatte keine übermäßig langen Beine, sondern an dem Kerl war einfach alles groß. Dazu hatte er eine Muskulatur, für die jeder Bodybuilder morden würde. Er muss in seiner Vergangenheit verdammt viel Holz gehackt haben...,dachte der technische Leiter. Etwas frustriert schaute Simon auf seinen eigenen, in seinen Augen mickrigen Körper. Er selbst ist nicht groß, gerade einmal 1,75m. Simon trainierte jeden Tag wie ein Besessener im hauseigenem Fitnesscenter des Instituts. Trotzdem sah er wie ein Hungerhaken aus. Er achtete penibel auf eine ausgewogene, gesunde Ernährung. Verzichtete sogar auf Fleisch. Die Tiere würden es ihm wohl niemals danken.

Dr. Ferguson nickte mit dem Kopf zur Matratze, als zwei kräftige Helfer den Bewusstlosen auf die andere Liege wuchteten. Sie keuchten, liefen rot an und bliesen die Backen auf.

»Simon, er hat nicht eine einzige Brandblase, das Zeug musste gekocht haben! Pyrokinese! Ich hielt so etwas immer für eine urbane Legende.«

Simon blickte auf den Ragnor-Abdruck, guckte aber schnell weg, als er merkte, dass er auf den Abdruck des Hintern stierte.

»Jetzt weißt du, warum Sal ihn suchen ließ, er ist der Richtige. Wenn wir sein Potenzial ausschöpfen könnten, wäre er die Ideale Waffe, die uns gefehlt hat.«

Amanda gab ein grunzendes Geräusch von sich.

»Ich hoffe er besitzt genügend Verstand, sich uns anzuschließen. Wenn nicht, müssen wir ihn wegschließen, so etwas wie der, ich mag mir gar nicht vorstellen, was er für weitere Verheerungen anrichten kann.«

Klatschend schlug sie sich an die Stirn.

»Ach ja! Ich hatte ganz vergessen dir zu sagen, dass wir uns bei Sal melden sollen. Er wartet im Konferenzraum. Gut! Unser Baby ist jetzt versorgt und schlummert wie ein Engel, lass uns gehen.«

Sie streifte sich die Gummihandschuhe ab und warf sie in den Mülleimer.

Bevor Simon den Raum verließ, warf er dem weggetretenen Riesen, der auf dem Bett lag, noch einen besorgten Blick zu.

Sein Gefühl sagte ihm, dass es mit diesem Kerl noch riesige Probleme geben würde.

*

„Die Fortschritte der Medizin sind ungeheuer. Man ist sich seines Todes nicht mehr sicher.“

(Hanns-Hermann Kersten)

Erwartungsfroh riss es Sal Ormond aus dem bequemen Stuhl, als sich die Tür des Saales öffnete. Sal ist ein schlanker, hochgewachsener Mann von unbestimmten Alter. Mal munkelte man, er hätte gerade die Dreißig überschritten, andere wiederum behaupteten, er wäre schon um die Fünfzig. Doch das würde wohl immer ein Geheimnis bleiben, denn Sal feierte niemals seinen Geburtstag. Keiner der Ringmitglieder hatte jemals danach gefragt. Und wenn es nach Sal ging, sollte es auch so bleiben. Er trug einen kurz geschorenen, gepflegten Vollbart und das fast schwarze Haar ungewöhnlich lang, sodass es ihm in dunklen Korkenzieherlocken weit über die Schultern fiel. Die weiblichen Angestellten fanden das irre sexy, viele der männlichen behaupteten allerdings, er wäre vom anderen Ufer. Vermutlich war es auch nur Neid derer, denen schon die Haare ausgingen, und nicht mit so einem wilden Haarwust gesegnet waren. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, kleidete Sal sich immer in einem schwarzen Nadelstreifenanzug. Der einzige optische Farbtupfer war ein farbiges Einstecktuch. Die Institutsmitglieder rissen ihre hausgemachten Witze darüber. Sie mutmaßten, dass Sal es so wie Albert Einstein hielt. Dieser trug immer die gleiche Garderobe und hatte von jeder Garnitur mindestens 7 Exemplare im Schrank. So brauchte er sich keinen Kopf zu machen, was er anziehen sollte. Sals Augen funkelten in einem warmen Haselnussbraun. Überhaupt schienen sie immer zu lachen. Nie trat ein bösartiger Ausdruck in diese Augen, was das weibliche Personal nahezu zum Schmelzen brachte. Im Grunde genommen sah Sal aus, als hätte er es von heute auf morgen aufgegeben ein Hippie zu sein. Man konnte sich gut denken, dass er seine Batik-Kleidung samt Gitarre, an den Nagel gehängt hatte, um diese gegen einen maßgeschneiderten Anzug und ein Handy einzutauschen.

»Und?« Sal rückte Amanda den Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte. Auch eine Eigenschaft, die Sal hoch angerechnet wurde. Ein echter Gentleman, der durch und durch gute Manieren besaß. Er behandelte alle, ob nun Astrophysiker, oder Raumpflegerin, mit zuvorkommender Höflichkeit und Respekt. Dieser Umstand trug dazu bei, dass jeder gerne für Sal und die Organisation arbeitete.

»Ihr seht abgekämpft aus. Wie ist euer erster Eindruck?«

Sal und Simon nahmen fast gleichzeitig Platz, während eine nahezu unsichtbare Angestellte, Tee, Kaffee und Mineralwasser servierte. Dazu wurde ein Teller mit Gebäck gereicht.

Simon angelte sich einen Marmeladen-Keks und lutschte darauf herum, bis er sich entschloss ihn zu kauen, damit er Sal, Rede und Antwort stehen konnte. Als Amanda das Wort ergriff, nahm er sich einen weiteren Keks. Denn wenn sie erst einmal los wetterte, konnte es noch etwas dauern.

»Er ist ungehobelt, sexistisch und ein Psychopath. Er erschien mir ziemlich dumm. Aber das kommt ja oft vor, bei solchen Kerlen: Im Bizeps 1000 Volt, aber im Oberstübchen herrscht ein Kurzschluss.«

Sal lächelte wie eine Sphinx. Sagte nichts.

Amanda holte noch einmal Luft.  »Dieser Vampir hat die Sensibilität eines Elefanten. Wir haben ihm fast unsere gesamten Vorräte an Ketamin verabreicht. Und er hatte trotzdem noch genug Energie, um unser Labor zu verwüsten. Übrigens Sal, du schuldest mir eine komplett neue Laborausrüstung! Der Typ hat sich sogar fast durch die Matratze gebrannt. Wenn du mich um meine offene und ehrliche Meinung bittest, sage ich dir, dass Ragnor ein öffentliches Risiko darstellt!«

Sal nippte an seinem Tee, stellte die Tasse ab und nickte Dr. Dr. Amanda Ferguson zu. »Wie ich sehe, bist du auch schon seinem atavistischen Charme erlegen. Selbstverständlich bekommst du schnellstens deine Ausrüstung ersetzt. Allerdings teile ich deine Zweifel nicht. Er ist ja erst erwacht, mit Sicherheit wird er sich auch wieder beruhigen.«

Amanda schnaubte. Die  Aufmerksamkeit von Sal richtete sich nun auf Simon, der sich fast an seinem Keks verschluckte, hustete und versuchte seine Stimme wieder zu finden. Diese Kunstpause füllte Sal dadurch, dass er Simon fragte, wie es zu der Eskalation im Krankenzimmer kommen konnte. Derweil keuchte Simon immer noch. Sal nickte Amanda freundlich zu.

»Willst du ihm nicht helfen? Amanda?«

Amanda zog die Braue hoch: »Drei Minuten. Ein Mensch kann drei Minuten ohne Sauerstoff auskommen und er hustet erst seit einer halben.«

Sal stand auf und klopfte Simon behutsam auf den Rücken. Der Blonde wischte sich die Tränen aus den Augen und nickte seinem Chef zu.

»Danke, Sal.« Giftig traf sein Blick Amanda. »Danke Amanda! Das war wieder einmal sehr aufmerksam von dir!«

Schnippisch erwiderte sie: »Gern geschehen, Simon, das war für die Tür, die mir, dank deines großartigen Einfühlungsvermögens, um die Ohren geflogen ist.«

Diese Frau muss auch immer das letzte Wort haben! Seufzend nickte Simon und nestelte verlegen an seinem Sweatshirt.

»Okay, ich gebe es ja zu! Ich habe Mist gebaut!«

Er riss einen losen Faden ab und wickelte ihn um seinen Finger. »Ich hätte Ragnor noch etwas Zeit zum Akklimatisieren geben sollen. Aber was soll´s, er musste es ja so oder so irgendwann erfahren. Ich bin nun mal kein Psychologe. Hätte ich gewusst, dass er Frau und Kinder hatte ... Ich hätte diesem Projekt niemals meine Zustimmung gegeben. Er hat einen schweren emotionalen Schock erlitten.«

Sal nickte, damit Simon fortfahren konnte. Außerdem signalisierte er ihm damit, dass der junge Wissenschaftler mit keiner negativen Konsequenz zu rechnen hatte.

»Ich teile nicht Amandas Meinung. Ich konnte zu ihm durchdringen. Er unterhielt sich mit mir, hat gefragt und erschien, unter diesen Umständen, recht umgänglich. Wenn er sich gefangen hat, ließe sich mit ihm arbeiten. Und da ich zu seinem persönlichen Betreuer ernannt wurde, bin ich bereit, mich weiter mit ihm zu befassen. Er ist verwirrt und tief verletzt. Geben wir ihm einfach die Zeit, die er braucht, um mit uns warm zu werden.«

»Gut, das sehe ich auch so«, sagte Sal zuversichtlich. »Amanda, du übernimmst weiterhin die medizinische Betreuung und Simon hält unserem großen Kind die Hand, aber übertreibe es nicht, Simon.«

Amanda holte Luft.

Sal hob die Hand, um die sich anbahnenden Proteste, im Keim zu ersticken. »Er hat eine Menge aufzuarbeiten, hätschelt sein Ego, schmiert ihm Honig ums Maul, bewegt ihn dazu mit uns zu kooperieren. Je eher, desto besser. Wir sollten ihn sobald wie möglich ins Aufbau-Programm schicken. Belohnt ihn, wenn er etwas gut macht und tadelt ihn nicht zu sehr bei Fehlern. Er kommt aus einer anderen Zeit und wir müssen ihn so schnell wie möglich für dieses Zeitalter fit bekommen. Uns läuft leider die Zeit davon. Böse Kräfte sind am Werk und unsere wichtigstes Ziel ist nach wie vor, Menschenleben zu retten. Und Ragnor ist der Einzige, der laut Orakel-Aussage, diesen finsteren Kräften gewachsen ist.« Sal nickte den beiden zu. »Danke, das war´s. Abtreten. Es wartet eine Menge Arbeit auf euch.«

Verlegen wandte sich Amanda an Sal.

»Danke, dass du Blut gespendet hast. Wir waren ein wenig knapp, das war großartig von dir. Ich habe ja nicht ahnen können, dass der Vampir sich wie ein Schwamm, mit dem Zeug vollsaugt. Zum Glück haben wir Nachschub bekommen. Gut, ich gehe dann mal wieder.«

Sal nickte und meinte: »Gern geschehen, ich helfe doch immer gerne.« Und schloss hinter sich die Tür.

Simon und Amanda machten sich auf den Weg.

*

Etwas störte meinen Schlaf. Wenn ich es genauer betrachte, war es das Aufwachen. Mein Schöpfer, ein Verfechter der Selektiven Vampir-Wandlung, hatte mich leider dazu auserkoren, einen äußerst leichten Schlaf zu haben. Falls sich niemand etwas unter Selektiver Vampir-Wandlung vorstellen kann, werde ich das mal kurz erläutern.

Malfurion, so heißt mein Schöpfer, verfolgte folgende These: Glotz dir das Frischfleisch an, und wir werden sehen, was dabei raus kommt! Vor allem die Repressalien des König und seiner Ritter des Lichtes, hatten die Reihen Malfurions Kämpfer arg ausgedünnt. So war er gezwungen, nicht nur irgendwelche Vampire zu erschaffen, sondern solche, die auch effizient genug waren. Wenn man ein Vampir wird, bekommt man Dunkle Gaben von seinem Schöpfer vererbt. Malfurion war der älteste, existierende Vampir im Land. Somit auch sehr mächtig. Es wäre in seinen Augen eine Verschwendung gewesen, wenn er seine Zeit und Kraft für unbrauchbare Vampire vergeudet hätte. Ich war damals Söldner und geriet während der Schlacht um die Vampir-Festung in vampirische Gefangenschaft. Und mit mir, unser Feldarzt Cornelius. Wir wurden vor die Wahl gestellt, entweder in Malfurions Speisekammer zu wandern, oder uns ihm anzuschließen und den Status des Vampirismus zu erlangen. Da wir nicht als Futter enden wollten, entschlossen wir uns zur Mitarbeit. Cornelius haderte mit sich selbst. Er konnte den Gedanken vom Humanismus, nicht mit dem ein Vampir zu sein, vereinbaren. Dieses Weichei! Mir dagegen machte es nichts aus, ob ich nun Menschen oder Vampire abschlachtete...

Alles was blutet kann man töten.

Seltsam fand ich es schon, dass uns Malfurion die Freiheit zum Wählen gab. Er hätte mit uns machen können, was er für richtig hielt. Aber ich finde es doch, selbst jetzt im Nachhinein denkwürdig, dass er uns überhaupt um unsere Meinung bat. Vielleicht wollte er unsere Gesinnung prüfen? Wer weiß...

Da ich schon als Sklave die Kampfarena der Hauptstadt überlebt habe und nahezu für den Kampf bestimmt zu sein schien, wandelte mich mein Schöpfer mit der Absicht, mich in seine Elitegarde einzureihen. Diese Garde war auch für den Schutz ihres Herren und seiner Feste bestimmt. Cornelius wurde mit der Gabe des Gestaltwandelns beschenkt, und der des Heilens. Zu meiner Ausstattung als Krieger, wurde mir die Dunkle Gabe der Telekinese gegeben. Da Malfurions Krieger zu allen Zeiten gebraucht wurden und nicht tagsüber schlafen durften, bekam ich eine Tageslicht-Resistenz und dazu einen verdammt leichten Schlaf. Niemals kam ich in den Genuss, so wie die meisten Vampire, dass ich in einen todesähnlichen, tiefen Schlaf fallen durfte.

… Genaugenommen, leide ich seit meiner Wandlung, an Schlafstörungen ...

Und deshalb weckte mich etwas aus meiner Betäubung. Es war ein Duft. Mandelduft. Ich verrenkte mir fast den Hals, als meine Nase dieser Duftspur folgte. In der Ecke des Raumes stand ein Behälter, aus dem ganz deutlich dieses liebliche Fluidum drang. Ja, sie war hier gewesen. Frau Dr. Dr. Amanda.

Meine Nahsicht war noch nicht ganz wieder hergestellt. Und wenn ich es zugeben muss, meine Gedanken waren auch noch recht wirr. Aber diese Fährte konnte ich ganz klar der hübschen Lady zuordnen. Ich ließ mich wieder zurückfallen, beschloss noch ein wenig zu dösen und mir dabei vorzustellen, wie die Ärztin wohl unter ihrem Kittel aussah. Dabei musste ich in tiefere Gefilde abgetaucht sein. Na ja, ich hatte scheinbar ziemlich viel Sedativum intus, die Geräte pumpten ständig etwas nach. Ein Schnippen und ein Schatten über meinen Kopf, rissen mich dann doch wieder aus Morpheus' Armen.

»Cedric?«...Wie kam Cedric hier her?

Mann war ich froh, dass ich nicht allein in diese schreckliche, neue Welt geworfen wurde. Er, mein einziger und wahrer Freund, war auch mit von der Partie!

»Cedric, ich weiß, dass ich immer ziemlich garstig zu dir war. Mir gingen deine aufdringlichen Freudenreaktionen schon immer auf den Geist. Erst recht dieses grausige Wangenreiben und Anspringen. Aber du bist mein einziger Freund und ich freue mich, dich zu sehen. Was machst du hier? Geht es dir gut?«

Erleichterung machte sich in mir breit, dass ich es ihm gesagt hatte. Cedric ist der Halbbruder meiner Frau, und eine wirklich schrecklich, naive Nervensäge. Er glaubt doch tatsächlich an das Gute in Jedem. Sein Motto ist: "Schönheit kommt von innen."

Echter Blödsinn! Ich habe schon viele aufgeschlitzt und was da so alles aus dem Inneren raus kam … Das ist nicht schön, überhaupt nicht schön. Aber nun war er hier und ich musste diese ganze Scheiße nicht allein durchziehen.

»Äh, Ragnor? Ich bin nicht Cedric, ich bin es, Simon. Geht es dir wieder besser?«

Da ich immer noch festgebunden war, schoss mein Kopf hoch, um ihm einen ordentlichen Dehnemann auf die Nase zu verpassen, diesem Pisser! Leider nicht mit der gewünschten Wirkung. Die war nämlich alles andere als erfolgreich. Nicht nur Simon schrie ein lautes »Aua!« - Auch ich brüllte.

»Verdammt Ragnor! Du hättest mir beinahe die Nase gebrochen!«

Worauf ich erwiderte: »Das war auch meine Absicht, du Vollpfosten! Nun erzähl mir mal, was das mit dieser blöden Kopfbinde auf sich hat! Wieso hat es nicht geknirscht?«

… Habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich eigentlich seit meinem letzten Metamorphose-Schlaf vor ein paar hundert Jahren, zwei prächtige Hörner auf der Stirn hatte? Nein?...

Okay. Alles ist im Wandel. Wir Vampire fallen ab und zu in einen Metamorphose-Schlaf, um uns weiter zu entwickeln. Natürlich war ich wenig erbaut darüber, dass ich diese grässlichen Hörner bekam. Aber immerhin hatte ich auch die Pyrokinese bekommen. Was mich zusätzlich feuerfest macht. Und weil eben nie etwas wirklich perfekt läuft - leider auch diese hässlichen und lästigen Hörner. Egal was ich unternahm, ich wurde die Hörner nicht los. Die Axt brach, die Säge ging kaputt, selbst der Hufschmied war ratlos. Also musste ich mich damit abfinden, dass ich aussah wie der Leibhaftige, den die Kirche so fürchtete. Dieser Umstand verschaffte mir einen enormen Vorsprung in Sachen Respekt. Sehr zu meinem Leidwesen, aber auch den Spitznamen "Hornochse". Meine liebe Marla fand meine Hörner allerdings sehr erotisch. Und nun waren sie weg! Alle drei! Meine zwei Hörner und eine Marla ...

Näselnd antwortete dieser blonde Trottel.

»Wir haben sie entfernt, wir mussten extra einen stärkeren Laser bauen, und ich kann dir sagen, dieser Gestank hing noch mehrere Tage im Labor. Heutzutage sind Hörner out. Zu auffällig und zu gefährlich.«

...Was? Hä? Nee, ne?... So was Blödes habe ich noch nie gehört! Sie sollten doch gefährlich sein! Das allein ist der Sinn dieser Auswüchse! Jemanden damit aufzuspießen!

»Ja? Hörner sind out? Ich bin ein verdammter Vampir, und das waren MEINE Hörner! Das grenzt schon an Entmannung! Wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich dir deinen Kopf von den Schultern reißen!«

Spontan beschloss ich ein wenig zu schmollen. Es gestaltet sich immer schwierig zu schmollen, wenn man sich nicht umdrehen kann, weil man angebunden ist. Nach einer Weile bekam ich einen steifen Nacken, und die Wand schien auch nicht sonderlich interessant zu sein. Aber ich hielt durch, auch wenn es sehr unangenehm war. Neben mir wurde Blödchen etwas unruhig.

»Glaub mir, ohne Hörner siehst du viel besser aus!«

»Glaube ich nicht. Ich werde mir vorkommen, als hätte ich eine Stirnglatze!«, erwiderte ich. »Spiiiiiegel!«, war mein eindeutiger Befehl. Worauf Simon los stiefelte, um den Spiegel über dem Waschbecken abzunehmen und ihn zu mir herüber zu tragen. Knarrend drehte ich meinen Kopf und begutachtete den Schaden, den diese Trottel angerichtet hatten. Krachend zeichneten sich die ersten Risse im Glas.

»Hm...Geht so, hättet trotzdem mal fragen können«, war meine knappe Antwort.

Innerlich jubilierte ich, weil ich diese sperrigen Dinger endlich los geworden war. Und noch etwas war glasklar. Ich brauchte dringend eine Rasur. Meine untere Gesichtshälfte sah aus, wie ein aufgeplatztes Sofakissen.

Simon betrachtete das Zerstörungswerk.

»Was hast du mit dem Spiegel gemacht? Er ist kaputt!«

Verdutzt starrte er den gecrashten Spiegel an. Sein Spiegelbild war völlig verzehrt. Echt lustig.

… Upps, ach ich vergaß ... Der Volksmund behauptete immer wieder, Vampire hätten kein Spiegelbild. Das ist totaler Blödsinn. Bei mir war es weniger das Problem eines fehlenden Spiegelbildes, als die blöden Spiegel an und für sich. Sie konnten mich einfach nicht ausstehen. Vielleicht gefiel ihnen nicht was sie sahen. Oder sie hatten eine ernsthafte Abneigung gegen mich. In meinem trauten Heim hatte ich nur extra dicke Spezialanfertigungen. Aber nicht nur Spiegel hatten eine Aversion gegen mich, auch Milch hatte mich zum Feind auserkoren. Als Mensch habe ich gern Milch getrunken. Nun, nachdem ich untot bin, wurde sie in meiner Nähe auf der Stelle sauer. Ob ihr es glaubt oder nicht. Ich hatte sogar schon erlebt, wie ein Becher mit Milch umkippte, der Inhalt sauer wurde und in versteifter Form von mir weg kriechend, über den Tisch flüchtete. Wenn das keine Abneigung ist? Das Gleiche passierte mir mit Blumen. Hänge mir einen Blumenkranz um den Hals und er ist in weniger als einer Minute Kompost. Es bedeutete für mich immer eine nahezu unlösbare Aufgabe, meiner Liebsten frische Blumen mit nach Hause zu bringen. Zum Glück hasste Marla Schnittblumen. Damit war das Problem gelöst und für mich nicht mehr relevant. Mein Schöpfer erklärte mir, es hätte etwas mit meiner Aura zu tun. Für mich scheint es eher ein schlechtes Karma zu sein …

»Ich? Ich habe gar nichts mit dem Spiegel gemacht! Du hast ihn von der Wand genommen!«

So schob ich diesem Simon einfach die Schuld in die Schuhe. Schnell lehnte er das lädierte Teil an die Wand.

»Tu den nicht weg, ich brauche ihn noch zum Rasieren!«, bemerkte ich.

»Seit wann rasieren sich Vampire?«, fragte er.

Ich hüllte mich in Schweigen.

… Seit wann ich mich als Vampir rasieren muss? Immer! Ich musste mich jeden Tag rasieren. Bevor mich Malfurion wandelte, war ich Tage und Nächte lang im Einsatz gewesen. Zum Rasieren und Schönheitspflege blieb da wenig Zeit. Und so wie man gewandelt wurde, würde man bis in Ewigkeiten bleiben. Oder auch nicht, schließlich sprach ich schon die Metamorphose an. Also hatte ich immer kurz nach der Rasur wieder einen Bartschatten. Kacke, meine Frau beschwerte sich ständig über das Kratzen meiner Stoppel. Dabei soll Peeling doch gut für die Haut sein ...

Simon nahm wieder Platz.

...Mann! Wollte er denn gar nicht wieder weg gehen?...

Er beugte sich vorsichtig zu mir hin.

»Frag´ mich ruhig etwas, wenn du willst.«  

Wie ich dieses anbiedernde Fraternisieren hasse! Erst einschleimen und später kommt das dicke Ende.

»Nö«, war meine Antwort. Früher oder später würde Schwatzbacke alles erzählen, warum sollte ich mir also die Mühe machen?

»Willst du denn gar nicht wissen, wie wir dich gefunden haben? Das war nämlich gar nicht so einfach. Scheinbar war irgendjemand tierisch sauer auf dich und hat quasi alle deine Spuren verwischt. Du wurdest sozusagen aus der Geschichte entfernt. Und als wir das Hünengrab auf Høy Øya fanden, waren wir uns gar nicht sicher, ob du das überhaupt warst. Aber wir haben gut recherchiert. Außerdem hattest du ja die Hörner, die waren wirklich nicht zu übersehen. Kaum zu glauben, als wir deinen völlig vertrockneten Leichnam fanden, hätte niemand gedacht, dass aus dem mumienartigen Ding so ein stattlicher Kerl werden würde. Ohne das Wissen von Amanda wärst du immer noch mausetot.«

Soweit ist es also gekommen! Marla musste wirklich eine Stinkwut auf mich gehabt haben, weil ich nicht pünktlich nach Hause gekommen war, so wie ich es ihr versprochen hatte. Oder sie tat es, damit weder sie, noch die Kinder unter irgendwelchen Konsequenzen zu leiden hatten. Aber ich tippe da eher auf die erste Möglichkeit. Es ist schon hart für stolze Krieger, aus den Annalen der Geschichte gestrichen zu werden. Man sollte Heldenepen über uns schreiben, oder Moritaten von unseren Taten singen. Nichts ist schlimmer für einen wahren Schlachtenbummler, als von der Zeit tot geschwiegen zu werden. Und dieser Amanda hatte ich es zu verdanken, dass ich in diesem grauenvollen Schlamassel steckte. Schönen Dank auch, Weib! Und dann hat sie mich auch noch in diesem bemitleidenswerten Zustand gesehen ... Klein, hutzelig, vertrocknet. Wie viel muss man eigentlich noch ertragen? Bei den Göttern! Ach, Scheiße! Die halfen mir auch nicht weiter! Sie wollten nur angebetet werden und steckten ihre Opfer ein. Aber wenn es mal hart auf hart kam, pfiffen sie, guckten weg und polierten sich die Nägel. Sonst wäre ich jetzt in Walhalla und nicht hier in diesem Narrenhaus. Von den Göttern und der Welt enttäuscht, blieb mir nichts anderes übrig, als zu schmollen.

»Geh weg! Du weißt rein gar nichts über mich!«

Papier raschelte. Mein neuer Intimus begann zu lesen:

»Du wurdest so um die 800 unserer Zeitrechnung in...Das kann ja niemand aussprechen... Äh, in der Nähe von Sorgjosen, Sørgjosen? Nord Norwegen geboren ...«

Zum Glück bekam er den Namen, der heilige Stätte meiner Geburt, nicht auf die Reihe. Hätte er es getan, und ich die Hände frei gehabt … Na ja.

»Dein Vater war der Nordmann-Häuptling Skryrmir Einauge. Deine Mutter war eine Skythin, mit Namen Numa. Du bist das siebte Kind deines Vaters und das erste deiner Mutter. Seine vorherige Frau, Hildburga, war verstorben.«

… Donnerwetter! Dafür, dass ich aus der Geschichte getilgt wurde, hatte er eine Menge in Erfahrung gebracht. Woher hatte er das nur?...

Simon fuhr fort. »Du warst viel auf See, hast früh geheiratet. Nachdem euer Dorf von den Rittern des Lichts ausgetilgt wurde, nahm man dich bei eurem Vergeltungsschlag gefangen. Du wurdest als Sklave in die Reichshauptstadt gebracht, wo dich ein Kerl erwarb, der Kämpfe für die Arena ausrichtete. Scheinbar warst du wirklich gut, denn Jahre später wurdest du in alten Pergamenten erwähnt. Nach deiner Freilassung hattest du dich als Söldner von den Lichtrittern des Königs anwerben lassen. Warum hast du die Seiten gewechselt?«

Erwartungsvoll sah er mich an. Ich zuckte mit den Schultern.

»Von irgendwas muss man leben. In der Armee gab es genug zu essen, man konnte kämpfen und wenn man gut war, kam man wieder heile da raus. Du hast wohl nie Hunger gelitten, was? Wenn du in der Gosse lebst, bist du froh, wenn du etwas im Magen hast und ein Dach über dem Kopf! Ich bin nun mal ein Frontschwein und kein Kesselflicker!«

Diese Antwort schien ihn zu befriedigen. Er leierte weiter.