Der Bauernkrieger - Jeremiah Pearson - E-Book
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Der Bauernkrieger E-Book

Jeremiah Pearson

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Beschreibung

Der Deutsche Bauernkrieg beginnt ...

Deutschland, 1525. Zehntausende Bauern erheben sich, um von den Fürsten mehr Rechte einzufordern. Auch der Hörige Lud kämpft an der Seite seines Herrn Florian Geyer für die Bauern, obwohl er nicht an ihre Sache glaubt - ein Schwur, den er einst Florians Vater leistete, bindet ihn. Für Lud gibt es nur einen Grund, warum er in diesem Krieg nicht sterben darf: die Täuferin Kristina, seine große Liebe. Doch während er von Schlacht zu Schlacht zieht, gerät Kristina in die Hände des Feindes. Ihr droht der Ketzertod. Kann Lud lange genug überleben, um sie zu retten?

Band 3 der historischen Freiheitsbund-Saga von Bestsellerautor Jeremiah Pearson

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Seitenzahl: 748

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumZitatDramatis Personae1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.20.21.22.23.24.25.26.27.28.29.30.31.32.33.34.35.36.37.38.39.40.41.42.43.44.45.46.47.48.49.50.51.52.53.54.55.56.57.58.59.60.61.62.63.64.65.66.Anmerkungen des Verfassers

Über das Buch

Der Deutsche Bauernkrieg beginnt … Deutschland, 1525. Zehntausende Bauern erheben sich, um von den Fürsten mehr Rechte einzufordern. Auch der Hörige Lud kämpft an der Seite seines Herrn Florian Geyer für die Bauern, obwohl er nicht an ihre Sache glaubt – ein Schwur, den er einst Florians Vater leistete, bindet ihn. Für Lud gibt es nur einen Grund, warum er in diesem Krieg nicht sterben darf: die Täuferin Kristina, seine große Liebe. Doch während er von Schlacht zu Schlacht zieht, gerät Kristina in die Hände des Feindes. Ihr droht der Ketzertod. Kann Lud lange genug überleben, um sie zu retten? Band 3 der historischen Freiheitsbund-Saga von Bestsellerautor Jeremiah Pearson

Über den Autor

Jeremiah Pearsons Karriere als Schriftsteller begann als Schüler von Stephen King. Schließlich folgte er dem Ruf Hollywoods und arbeitet seitdem mit großem Erfolg als Drehbuchautor von Kino- und Fernsehproduktionen, so schrieb er u.a. das Drehbuch zu Auf der Flucht mit Harrison Ford. Jeremiahs Leidenschaft für das europäische Mittelalter mündete irgendwann in der Idee zur Freiheitsbund-Saga, seinem Herzensprojekt, mit dem er nun die Leser von epischen historischen Romanen begeistert.

JEREMIAH PEARSON

DERBAUERNKRIEGER

DER BUND DER FREIHEIT

Historischer Roman

Übersetzung aus demamerikanischen Englisch von Holger Hanowell

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Villeins Trilogy: The Ausbund«

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2013 by Jeremiah Pearson

 

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Judith Mandt

Kartenzeichnungen: Markus Weber, Agentur Guter Punkt, München

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, München

Einband-/Umschlagmotiv: Johannes Wiebel | punchdesign, München, unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/Zvonimir Atletic (2); | © akg-images/bilwissedition

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7325-3945-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Zitat

Krieg erscheint denen schön, die ihn nicht erfahren haben.

– Erasmus von Rotterdam

DRAMATIS PERSONAE

Es folgt eine Aufstellung der wichtigsten Figuren, wobei die historischen Personen mit einem * gekennzeichnet sind.

DIE GEFLOHENEN TÄUFER IN GIEBELSTADT, SÜDLICH VON WÜRZBURG, HEILIGES RÖMISCHES REICH DEUTSCHER NATION, ZU BEGINN DER REFORMATION

KRISTINA

Witwe Bertholds und Mutter ihres gemeinsamen Sohnes Peter. In einem Nonnenkloster aufgewachsen und ausgebildet, wird sie als Mädchen zum Waisenkind, als ihre Familie wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen stirbt. Kristina flieht nach Kunwald in Böhmen, wo sie bei den Täufern das Drucken erlernt und zur Leselehrerin ausgebildet wird. Dort begegnet sie auch ihrem späteren Ehemann Berthold.

WITTER

Drucker, Künstler und Sprachgenie jüdischer Herkunft. Ein kluger und entschlossener Mann, zugleich undurchsichtig und voller Geheimnisse. Er begehrt Kristina und bewahrt sie und die anderen Täufer mehrmals vor dem Tod.

MARGUERITE

genannt Grit, ehemalige Sängerin und gefeierte Schönheit, die branntweinsüchtig wurde. Von den Täufern gerettet, arbeitet die nun überzeugte Reformatorin als Papiermacherin und Druckerin.

RUDOLF

bekehrter Magistrat, arbeitet als Leselehrer.

SIMON

Drucker, geflohener Höriger und Rudolfs bester Freund.

AUF SCHLOSS GEYER

FLORIAN GEYER*

Erbe von Giebelstadt, Anführer des Schwarzen Haufens.

ANNA VON SECKENDORF*

Dietrichs Witwe, Mutter des Florian Geyer. Eine resolute Frau und fromme Christin.

LURA

Annas Dienstmagd.

LETA

Wäscherin.

WALDO

stummer Stallmeister, Vater einer Tochter namens Kella.

IM DORF GIEBELSTADT

LUD

Höriger, von Dietrich zum Vogt ernannt. Ein kampferprobter, harter Mann mit scharfem Verstand, doch äußerlich entstellt von einer Pockenerkrankung, die ihm Frau und Kinder geraubt hat.

ALMUTH

Hörige, Weberin und Hebamme.

RUTH

Hörige, Kerzenmacherin, Mutter von Matthes.

MERKEL

Höriger, Grobschmied.

SIGMUND

Höriger, Müller, Vater von Kaspar.

AMBROSIUS

Enkel des Schusters und Zeugmachers Gerhard.

DER »KLEINE« GÖTZ

hünenhafter Sohn der Töpfer Franz und Berta.

JAKOB

Pflüger.

LINHOFF

Sohn von Thomas, dem Ackerbauern.

MAX

Sohn der Käser.

GERHARD

Höriger, Schuster und Zeugmacher, Großvater des Ambrosius.

IN DER STADT WÜRZBURG UND DER FESTUNG MARIENBERG, SÜDLICHES FRANKEN

KONRAD II. VON THÜNGEN*

Vetter der Anna von Seckendorf und Taufpate ihres Sohnes Florian, Nachfolger von Lorenz von Bibra im Amt des Fürstbischofs von Würzburg. Er gründet die Druckerei Veritas (= Wahrheit).

MAHMED BEY

osmanischer Edelmann, Gelehrter und Schachmeister, von Lud in der Schlacht besiegt, nun als Geisel in den Händen des Fürstbischofs.

BRUDER BASIL

Mönch und Leibdiener des Konrad von Thüngen. Ein brutaler Mann, der mit inquisitorischem Eifer Ketzer verfolgt.

BALTHUS

Hauptmann der Garde und Leibwächter von Konrad.

HUBER

einst Vogt in Giebelstadt, nun im Gefolge der Landsknechte, in der Hoffnung auf fette Beute.

DER BAUERNKRIEG, HEILIGES RÖMISCHES REICH, 1525

100000 Hörige aus deutschen Landen, darunter Bergknappen, Hütten- und Salzknappen, Weber und Ackerbauern.

ALFRED VON STEINMETZ

ein verarmter Ritter; lebt im Wald, auf Nahrungssuche mit seinen Getreuen.

THOMAS MÜNTZER*

reformatorischer Theologe, Parteigänger Luthers und eine der maßgeblichen Gestalten in der Zeit der Bauernkriege.

VATER MICHAEL

ehemaliger Geistlicher in Giebelstadt.

GÖTZ VON BERLICHINGEN*

der »Ritter mit der eisernen Hand«, fränkischer Reichsritter und Anführer des Odenwälder Haufens bzw. des Hellen Lichten Haufens, später verrät er Florian Geyer.

STOLLER

Ritter in Franken.

GEORG III. TRUCHSESS VON WALDBURG-ZEIL*

genannt »Bauernjörg«, Auftragnehmer des Schwäbischen Bunds, Anführer des Bundesheers gegen die Bauern.

ULRICH

Hauptmann der Landsknechte, in Paulina verliebt.

JÄCKLEIN ROHRBACH*

eigentlich Jakob Rohrbach, ein Anführer im Bauernkrieg (Neckartal-Odenwälder Haufen), mitverantwortlich für die Weinsberger Bluttat.

IN WIEN, AM KAISERLICHEN HOF KARLS V.

KARL V.*

König von Spanien, römisch-deutscher König, »erwählter« Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.

FERDINAND I.*

Erzherzog von Österreich, Bruder Karls V., ab 1521 Herrscher in den habsburgischen Erblanden, Stellvertreter seines Bruders, der Krieg gegen Frankreich führte; Kriegsfinanzier des kaiserlichen Heeres.

ANNA VON BÖHMEN UND UNGARN*

Gemahlin Ferdinands I., bewundert Paulina.

MATTHÄUS LANG VON WELLENBURG*

Salzburger Erzbischof und Kardinal.

JOHANN VON REVELLIS*

Bischof von Wien.

IN PASSAU

FRIEDA

ehemalige Täuferin aus Kunwald, nennt sich nun Paulina.

WILLI

ein Gefängniswärter.

DAVO

Drucker in Passau, vertreibt pornografische Schriften.

GUNTHER

Musiklehrer, angestellt von Witter, um den Ausbund zu übertragen.

DIE GEFANGENEN DER VESTE OBERHAUS

RUTA

Näherin, wird der Häresie beschuldigt.

HANS BETZ*

Anhänger der Schweizer Brüder, Drucker, lehrt Lesen und Schreiben.

ELISABETH

Frau von Hans, Lehrerin.

GEORG

Anhänger der Schweizer Brüder, Drucker, Lehrer.

MARTA

Anhängerin der Schweizer Brüder, Setzerin, Lehrerin.

LEONARD

Anhänger der Schweizer Brüder, Drucker, Lehrer.

SCHNEIDER

Anhänger der Schweizer Brüder, Drucker, Lehrer, komponierte einige Lieder des Ausbund.

1.

Kristina

Es war spät im Frühling, und das Unwetter der vergangenen Nacht hatte sich gelegt. Dunstschwaden stiegen von Wiesen und Weiden empor, als die frühe Morgensonne schräg auf die alten Wehrmauern des Schlosses Geyer fiel.

Im Gemach von Anna von Seckendorf, Dietrich Geyers Witwe, saß Kristina ungewöhnlich steif auf dem Schemel neben der Frisierkommode und las ihrer Herrin zum wiederholten Mal den furchterregenden Wortlaut aus dem Flugblatt der Veritas-Druckerei vor. Allmählich brach ihr der Schweiß aus. Sie hatte das Gefühl, dass ihr das schlichte Kleid auf der Haut klebte, was nicht an der dunstigen Wärme des frühen Morgens lag.

»Muss ich es noch einmal lesen?«, fragte sie.

Anna von Seckendorf hatte sich von ihrer Kommode erhoben und schritt im Gemach auf und ab. An diesem Morgen trug sie keinen Schleier und hatte sich das Haar streng zurückgesteckt. Das Kleid war so schlicht, dass man die Herrin von Schloss Geyer für eine Dienstmagd hätte halten können.

»Ja, Kristina, lies es noch einmal vor.«

Die Bedeutung dieser Zeilen wird sich nicht ändern, ganz gleich wie oft ich diese Flugschrift vorlese, dachte Kristina. Eine Fliege landete auf ihrem Arm, und sie verscheuchte sie. Sie wollte diesen Worten nicht mehr ihre Stimme leihen; sie drohten ihr im Halse stecken zu bleiben.

»Noch einmal, Kristina«, forderte Anna sie auf und wedelte ungeduldig mit der Hand.

Also dann, dachte Kristina und seufzte innerlich. Sie verspürte ein Kribbeln auf ihrem Arm, genau dort, wo eben noch die Fliege gesessen hatte. Schließlich räusperte sie sich und las laut vor.

»An alle treuen und loyalen Gefolgsleute des Kaisers und alle Gläubigen im Angesicht des Herrn: Hiermit tun wir kund, dass Florian Geyer von Giebelstadt einer Schlangenbrut entstammt, einem Nest von Vipern, das niedergebrannt werden muss, wie man die Höhle eines Aussätzigen ausbrennt. Fortan möge jeder wissen, dass er ein gemeiner und niederträchtiger Apostat ist und die Ehre der ihm anvertrauten Menschen und aller aufrechten Katholiken befleckt hat. Er soll sich der rechtmäßigen Gerichtsbarkeit unseres Heiligen Reiches nicht entziehen. Die Magistrate aus Würzburg werden Florian Geyer kraft ihres Amtes festnehmen, wenn möglich lebend. Sollte der Missetäter auf seinem Grund und Boden bereits durch die Hand eines Verzweifelten erschlagen worden sein, so wisset, dass keinem die Strafen erlassen werden. Alle Hörigen von Giebelstadt werden ihrer gerechten Strafe zugeführt, da sie sich der Aufwiegelung schuldig gemacht haben. Wie Florian Geyers englischer, von Satan besessener Held Wyclif, der auf so schamlose Weise die Heilige Schrift in die niedere englische Volkssprache übertrug, wird der Leichnam des Apostaten – so er denn längst tot ist – ausgegraben und verbrannt werden. Das heilige Wort darf nur von geweihten, im rechtmäßigen Glauben bestärkten Würdenträgern gedeutet werden, nicht vom gemeinen Mann, denn nur auf diese Weise werden die Seelen all unserer Untertanen vor der ewigen Verdammnis bewahrt. Das in die Tat umzusetzen, ist unsere heilige Pflicht.«

Als die letzten Worte der Veritas-Flugschrift verklungen waren, machte sich drückendes Schweigen breit.

Schließlich sprach Herrin Anna, die starr aus dem Fenster blickte, jedoch nichts von der im Morgenlicht liegenden Landschaft wahrzunehmen schien. »Nichts Versöhnliches, keine Aussicht auf Hoffnung in diesen Zeilen«, sinnierte sie. »Konrads Drucker von Veritas haben meinen Sohn Florian verdammt, auch unseren Besitz in jeder erdenklichen Weise geschmäht. Alle braven Leute, die in Giebelstadt leben, werden gebrandmarkt, unser Familiensitz wird als Schlangennest bezeichnet.«

Kristina sah, wie Anna sich unwillkürlich an den schlanken Hals fasste. Ein Aufgebot von Würzburg war auf dem Weg nach Giebelstadt. Das hatte die Veritas-Flugschrift unmissverständlich durchblicken lassen. Kristina befürchtete, dass es wohl keine Macht auf Erden gab, die diesen Häschern hätte Einhalt gebieten können.

Kristina betete im Stillen und bat um göttliche Lenkung. Ich habe so große Angst, Herr. Was soll ich nur tun? Was wird geschehen mit meinen Brüdern und Schwestern? Was wird aus Lud? Und, am allerwichtigsten, aus meinem Kind?

*

Es war seltsam angesichts der Bürde, die der Wortlaut der Flugschrift hinterlassen hatte, aber die tägliche Arbeit auf Schloss Geyer nahm ihren Lauf. Kristina fegte das Gemach aus, vertiefte sich in die Näharbeiten und sorgte dafür, dass Herrin Annas Schlafgemach mit frischen Leinentüchern versorgt war.

Derweil hatte Florian sich in seinen Gemächern eingeschlossen, um in Ruhe nachdenken zu können. Kristina vermutete, dass er seinen Letzten Willen aufsetzte.

Als Peter sich anschickte, die Harfe zu spielen, unterband Herrin Anna das Ansinnen mit klarer, fester Stimme. »Mögen keine lieblichen Klänge uns in unseren düsteren Überlegungen stören«, sagte sie und bedachte den Kleinen mit einem knappen Blick, der viel über ihre innere Unruhe verriet.

Peter kreischte, als Kristina die Harfe so weit wegschob, dass er sie nicht mehr erreichen konnte. Als er nicht nachgab, musste Kristina das Instrument an einen Haken hoch an der Wand hängen, doch auch jetzt zeterte der Junge und sprang hoch, um an seine geliebte Harfe zu kommen. Halb verzweifelt nahm Kristina ihren Sohn bei der Hand und schob ihn zur Tür hinaus. Da er sich nicht beruhigen wollte, musste sie mit ihm die gewundene steinerne Treppe nach unten gehen und ins Freie treten, auf den sonnendurchfluteten Wehrgang, wo sich die letzten Schwaden lichteten.

Der Junge begehrte erneut auf, riss sich von Kristina los, spuckte sie frech an und flitzte über die nächste Treppe davon wie ein Kaninchen. Kristina trat an die Brüstung und sah, wie der Kleine weiter unten über den Burghof sauste, ehe er zum Tor hinauslief und auf die Brücke zuhielt. Dort zwängte er sich an den Fuhrwerken und Hörigen vorbei, die widerwillig ihrer täglichen Fron nachkamen. Das Hämmern aus der Schmiede war zu hören. Kühe muhten, die weiter hinten in den Stallungen gemolken wurden. Unweit des Flusses spalteten einige Knechte Holz.

Ob all diese Leute wussten, was ihnen bevorstand? Gewiss wussten sie es. Dennoch, jeder scheint die Wahrheit zu verdrängen, und was bleibt den Leuten auch anderes übrig?, dachte Kristina. Peter, mein lieber kleiner Peter …

Was würde aus ihm, wenn man sie gefangen nahm? Wie sollte er in dieser Welt überleben? Wer würde sich eines solchen Kindes annehmen und es schützen? Oder müssen wir alle sterben?, schoss es ihr durch den Kopf.

Kristina wusste nicht, was sie tun sollte, sie wusste nur, dass sie dieser furchtbaren Ungewissheit ein Ende setzen musste. Jeder, den sie ins Herz geschlossen hatte, lebte hier auf Schloss Geyer und im Dorf Giebelstadt.

Kurz entschlossen machte sie sich auf die Suche nach Lud und fand ihn schließlich in den Stallungen, die sich an einer Seite des Burginnenhofes erstreckten. Es war düster im Innern, kaum ein Sonnenstrahl vermochte durch die Ritzen der grob gezimmerten Außenwände zu dringen. Als Kristinas Augen sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, bemerkte sie Lud, der gerade damit beschäftigt war, sein Pferd Ox zu striegeln. Der Duft von sonnengedorrtem Heu für die Tiere hing in der Luft, ein willkommener, vertrauter Geruch, der Leben verhieß, überlagert von den starken Ausdünstungen der Pferdeäpfel. Und derweil striegelte Lud sein Tier, als wäre alles in bester Ordnung.

»Warum unternimmt niemand etwas?«, sprach sie ihn ohne Umschweife an. »Warum tun alle so, als würde nichts geschehen?«

Lud strich mit der hölzernen Bürste über das glänzende Fell des Tiers und mied Kristinas Blick. »Was sollen die Leute anderes tun als das, was sie jeden Tag tun?«, antwortete er nach einer Weile.

»Aber will denn niemand versuchen, Florian gut zuzureden? Will keiner ihn überreden, noch rechtzeitig zu fliehen?« Sie trat ein wenig tiefer in den Stall und spürte die Wärme, die von den Tieren ausging.

Lud drehte ihr den Kopf zu, und trotz des Halbdunkels im Stall schien ein Glimmen in seinem Blick zu liegen, fast so wie bei einem Fieberschub. Für einen kurzen Moment war sie sicher, dass er zu ihr herkommen würde, sie berühren würde. Sie wartete darauf, doch Lud blieb steif bei dem Pferd stehen und starrte sie an, mit diesem eigenartigen Blick, der im Zwielicht des Stalls noch unheimlicher wirkte. Als er dann wieder das Wort ergriff, klangen seine Worte beinahe anklagend.

»Dir bleiben noch zwei Tage, um fortzulaufen. Nimm dein Kind, besorge dir etwas Proviant und einen Wagen und mach dich auf den Weg.« Kurz senkte er den Blick, dann sprach er weiter, lauter als zuvor. »Dass alle Menschen Brüder sind – ist es nicht genau das, was du immer wolltest?«

Kristina hörte den Schmerz in seiner Stimme. »Nein, Lud, nicht auf diese Weise, nicht, wenn Tod und Verderben drohen.«

Plötzlich schleuderte er die Bürste gegen die Wand, sodass das Pferd erschrak und schnaubend zusammenzuckte. Mit geübten Griffen trieb Lud das Tier zurück in seinen abgetrennten Bereich. Für Kristina fühlte es sich an, als scheuche er nicht das Pferd, sondern sie davon. Er wandte sich ihr erneut zu. Trauer und Trotz lagen auf seiner Miene. Doch da war noch etwas anderes, etwas, das sie betraf. Kristina spürte, dass er sie mit seinen Worten zu erreichen versuchte.

»Fortan wird es aber nur noch das geben – Tod und Verderben.« Seine vernarbte Wange zuckte. »Versuch nicht, unsere Leute vom Kämpfen abzuhalten, Kristina. Das wird sie gegen dich aufbringen.« Er verschränkte die Arme, fixierte Kristina mit seinem glühenden Blick. »Wenn du und deine Gefährten sosehr davon überzeugt seid, dass nur die Liebe allein uns retten kann, so betet zu Gott. Ich bin gespannt, wie seine Antwort ausfällt. Vielleicht schleudert er gar Blitze auf die Soldaten, wenn sie kommen, um uns zu holen …«

Luds höhnische Worte schmerzten Kristina. Sie wusste ja, was er, ein Mann des Kampfes, von ihrem Glauben an ein Leben ohne Gewalt hielt. Trotzdem betrübte es sie. Doch da ging noch etwas anderes in Lud vor: Er hatte Angst um sie. Nicht um sein eigenes Leben. Das spürte sie, so kraftvoll und deutlich, als hielte er sie in den Armen und sagte es ihr. Als sie sprach, kamen die Worte tief aus ihrer Seele.

»Lud, ich sorge mich.«

Er starrte sie an, stand reglos da, als habe man ihn in Ketten geschlagen.

»Jeder sorgt sich«, erwiderte er schließlich flüsternd.

»Du verstehst nicht, Lud. Ja, ich sorge mich. Um dich.«

Unwillkürlich machte sie einen Schritt auf ihn zu. Sie zitterte, als wandelte sie auf einem schmalen Grat am Rande einer Schlucht.

Lud holte hörbar Luft, ehe er wieder etwas sagte. »Dein sanftes Gemüt und deine Herzensgüte werden dich und den Jungen noch umbringen. Es ist zu spät, um einen wie mich noch zu retten. Dies ist die Welt der Menschen, nicht die von Gott. Nimm deine reformatorischen Träumer gleich mit und flieh. Einige wenige von uns werden Widerstand leisten, aber der Kampf wird nur kurz dauern. Die Häscher werden sich ein paar Tage Zeit nehmen und foltern, vergewaltigen und brandschatzen.«

Kristina traten Tränen in die Augen. »Lud, ich ertrage das nicht … Wirst du sterben?«

Sie wünschte sich so sehr, er möge einen Schritt auf sie zugehen, aber dann war erneut sie es, die tiefer in den Stall trat.

»Du sagst, du sorgst dich um mich«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Bedeute ich dir wirklich so viel?«

Sie antwortete, ohne zu zögern. »Du weißt, dass es so ist.«

Er schüttelte den Kopf, als könne er es nicht glauben, und schwieg.

»Ich bitte dich, Lud, geh nicht da raus, um zu kämpfen«, sprach sie in die angespannte Stille hinein. »Sie werden dich töten!«

Endlich löste er sich aus seiner Starre, streckte erst nur eine Hand nach ihr aus, ehe er sie mit beiden Händen an den Schultern umfasste. Seine schwieligen Hände fühlten sich hart an, und dennoch kam ihr die Berührung unerwartet sanft vor. Kristina sehnte sich danach, dass Lud sie in den Arm nahm. Als er dichter vor sie trat, sah sie ihm in die feucht schimmernden Augen und erblickte die Seele des Jungen, der er einst war – nicht die Narben, die sein Gesicht verunstaltet hatten.

»Wenn du mich hättest gewähren lassen«, sprach er leise, »hätte ich den Rest meines Lebens versucht, deinem traurigen Lächeln die Süße der Hoffnung zu schenken.«

Seine Worte waren so voller Kraft, dass Kristina erschauderte. Hatte er ihr nun damit sagen wollen, dass er sie liebte? Hatte sie sich nicht schon lange danach gesehnt, obwohl ein Teil von ihr sich davor fürchtete? Sie brauchte mehr, brauchte Gewissheit …

»Was sagst du da?«, hauchte sie.

Er umschloss ihre Schultern fester. »Du liegst mir am Herzen, das weißt du. Sag Witter, dass er dich bis zum Ende beschützen muss.«

»Witter?«

»Ja, er ist dir zugetan und muss jetzt für dich einstehen.«

Kristina starrte ihn verwirrt an. Dachte Lud etwa, dass sie Witter liebte? Dabei wollte sie doch nur Lud, wollte ihn lieben, so wie er sich wünschte, sie zu lieben.

»Aber Witter, er ist doch nur …«, setzte sie an.

Lud unterbrach sie, als er sie stürmisch in die Arme schloss und sie lange und fest an sich drückte. Alles, was Kristina in diesem Augenblick wahrnahm, war sein herber, männlicher Duft. Sie schmiegte sich an seine Brust, überrascht von der Intensität seiner Umarmung, und ließ ihr Bedürfnis nach Lebenswärme zu, die sie bis ins Innerste berührte.

»Bitte«, flüsterte sie an seinem Ohr. »Bitte geh nicht fort von mir.«

»Wenn ich dir verspräche, zu bleiben, würdest du dann heute Nacht bei mir liegen?«

Hitze schoss ihr in die Wangen. Sie löste sich ruckartig von ihm und spürte, wie er seinen Griff lockerte.

»Nicht, wenn du mich damit erpresst«, antwortete sie. »Nicht, solange du immer noch willens bist, zu kämpfen und zu töten.«

Er wich von ihr zurück, ließ die Arme sinken, schaute sie aus traurigen Augen an, als habe er nichts anderes erwartet. Schließlich seufzte er tief. »Wenn du deine weiche Seite nicht zeigen magst, Kristina, so sei von nun an hart und unerbittlich. Und versprich mir, dass du für mich betest, auf dass ich so viele wie möglich erschlage, ehe ich sterben muss. Tue es nicht für mich, tue es für dein Kind.«

Ihre Augen weiteten sich. »Ich kann doch nicht dafür beten, dass du mordest!«

Schlagartig war das süße Sehnen ihres Herzens bitterer Abscheu gewichen. Wies er sie nun absichtlich mit seinen harschen Worten zurück, um es sich leichter zu machen, sich von ihr zu trennen?

»Ich bete dafür, dass du mich nicht verlässt«, sagte sie leise. »Dass du nicht tötest.«

»Dann bitte Gott, er möge auf meiner Seite stehen«, erwiderte er genauso leise.

»Du spottest meiner, Lud! Ich bete, dass du auf Gottes Seite bleibst.«

Blitzschnell brachte Lud sein Gesicht dicht vor ihres. »Er hat mich geschaffen, um zu töten, dein feiner Herrgott!«, sagte er traurig und wütend zugleich. »Deswegen werde ich sterben, bevor ich miterleben muss, wie sie dir oder deinem Kind etwas antun. Deswegen werde ich so viele von ihnen mit in den Tod nehmen, wie es mir möglich ist.«

Sie starrte ihn entgeistert an. Ja, er schob sie von sich weg. Nur warum? In Gedanken war sie plötzlich bei ihrer Mutter, ihrer Mutter, die an jenem Tag mit den Magistraten ging und nicht zurückkehrte. Das Entsetzen, für immer verlassen und einsam zu sein, erfasste Kristina erneut mit aller Macht.

»Du bist unaussprechlich grausam, Lud, in dem, was du sagst«, rief sie und zuckte vor ihm zurück. »Du tust mir leid.«

Ehe er etwas erwidern konnte, eilte sie an ihm vorbei, hinaus aus dem Stall und hinein ins Sonnenlicht.

Als sie quer über den Burghof lief, nahm sie nichts und niemanden um sich herum wahr, sie spürte nur das Pochen in ihrem Kopf. Das ergab doch alles keinen Sinn. Sie spürte das Verlangen zu beten, aber sie fühlte sich innerlich wie ausgehöhlt. Am Eingang zur Burg blieb sie stehen und blickte sich um. Die Hörigen kamen ihren Aufgaben nach wie an jedem anderen Tag, und wahrscheinlich würde der Tod sie alle bei der Arbeit ereilen, wenn die Klingen der Häscher niedersausten. Ganz so, als wäre Mord rechtens und normal in einer Welt wie dieser – als müsste man all das nüchtern ertragen bis zum bitteren Ende.

Kristina betrat die warme Küche, in der es nach frischem Teig roch, und sah Lura, die gerade Laibe Brot in den Ofen schob. Sie bereitete die Mahlzeit zu wie an jedem anderen Tag, schnitt Zwiebeln und zerkleinerte Steckrüben. Ihre Augen tränten.

Kristina band sich eine der Schürzen um, um Lura zu helfen. Lange dauerte es nicht, und die Küchenmagd berichtete, was sich die Leute in den Dörfern erzählten – sie plapperte so unbefangen und aufgeregt drauflos, als tratsche sie über irgendein Stelldichein. Dabei musste doch auch sie längst wissen, dass ihnen allen der Tod bevorstand.

»Leta ist seit gestern unauffindbar. Die Leute im Weiler haben Angst oder vielleicht ist es auch die Empörung, die sie umtreibt«, meinte sie achselzuckend. »Florian sagt, er will, dass wir alle gleichgestellt sind. Hat die Leute mit edlen Worten eingelullt, aber die Leute fragen nur, wer sich dann um Schloss Geyer kümmert. Wer trifft die Entscheidungen, wer kriegt was? Wer hat Stimmrecht, wie empfängt man einen Bischof, oder weist man ihn gleich ab? Einige glauben, die letzten Tage sind angebrochen, und wer lesen kann, zitiert aus der Offenbarung des Johannes … ein fahles Pferd erscheint …«

»Genug jetzt!« Herrin Annas Stimme hallte schneidend durch die Küchenräume.

Lura ließ vor Schreck eine hölzerne Schale fallen und zuckte zusammen. Kristina wappnete sich innerlich. Anna von Seckendorf stand auf den Treppenstufen, die zur Küche führten, und bedachte ihre Dienstmagd mit einem strafenden Blick. Dann nahm sie die letzten Stufen und betrat die Spülküche.

»Vergebt mir, Herrin«, murmelte Lura, »ich wusste nicht, dass Ihr kommt, die Spülküche ist kein Ort für Euch …«

Anna wirkte nicht nur fehl am Platze, sie war einen Moment lang desorientiert. Sie schüttelte den Kopf, und das lange Haar, das sie früher am Tag hochgesteckt hatte, fiel ihr nun lose in ihr unverschleiertes Gesicht. Kristina berührte es eigenartig, ihre Herrin so aufgelöst zu sehen, denn die Witwe von Dietrich war sonst immer das Abbild von Gefasstheit.

»Sagt mir, was ich tun soll«, rief sie schließlich, und jegliche Strenge wich aus ihrer Miene. Zurück blieb ein Ausdruck von tief empfundener Verzweiflung und Ratlosigkeit. »Ihr Mägde, sagt es mir. Soll ich auf den Knien zu Konrad rutschen und um Schonung betteln? Mein Sohn ist Herr des Geyer’schen Guts, und wenn ich jetzt zu Konrad gehe, kommt es Verrat an meinem Sohn gleich. Aber wenn ich die Hände in den Schoß lege, vermag nichts und niemand mehr den drohenden Untergang aufzuhalten.«

»Aber …«, begann Kristina zögerlich, denn der Herrin einen Rat zu geben, stand ihr nicht zu. »Herrin, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Sie tauschte einen Blick mit Lura.

»Komm, Mädchen, sag, was du denkst«, forderte Anna sie auf. »Was ich jetzt brauche, ist gesunder Menschenverstand.«

Kristina schluckte, bevor sie antwortete. »Wenn man das Töten verhindern kann, ist jedes Mittel recht.«

»Jedes Mittel, sagst du? Ist das die Stimme der Vernunft?«

»Herrin, es ist in jedem Fall die Stimme einer Mutter. Meine einzige Sorge gilt meinem Kind.«

Herrin Anna schritt vor dem großen Lehmbackofen auf und ab. »Ich weiß, dass Konrad mir einst in Liebe zugetan war, aber das ist lange her. Ehe meine Schönheit durch Krankheit verunstaltet wurde, hätte ich vielleicht sein Herz erweichen können. Er liebte auch meinen Dietrich, ich weiß das, und er ist der Taufpate meines Florian.« Nach einer kurzen Pause fügte sie aufgelöst hinzu: »Wie konnte mein Sohn unseren altehrwürdigen Besitz nur in so kurzer Zeit zugrunde richten? In nur einer Generation hat er uns in Kummer und Schrecken gestürzt.«

»Herrin«, sprach Kristina, nun etwas mutiger, »wenn die Menschen lesen lernen, dann wird ihnen alsbald bewusst, dass wir in unserer Einschätzung von Recht und Glauben Gleichgesinnte sind. Euer seliger Gemahl hat sich immer gewünscht, dass es zu dieser Erweckung im gemeinen Volk kommt. Das sagte er zumindest auf dem Totenbett.«

Anna stand plötzlich mit hängenden Schultern da, als sei jegliche Luft aus ihrem Leib gewichen. »Ich schwanke hin und her«, bekannte sie betrübt, »zwischen Zorn auf meinen Sohn, weil er sich so töricht benommen hat, und Verzweiflung angesichts eines Schicksals, das wir nicht mehr abwenden können. Du sprichst von Recht und Glaube. Ist der Untergang eines altehrwürdigen Geschlechts denn rechtens und gut? Dietrich bestand darauf, dass unser Sohn eine Ausbildung in England erhält. Ich hatte mich dagegen ausgesprochen, weiß Gott! Aber als Frau hatte ich in solchen Belangen kein Mitspracherecht. Und jetzt? Jetzt stehen wir diesem Unheil hilflos gegenüber.« Sie seufzte und richtete den Blick zur Tür, als erhoffte sie sich, dort draußen im Sonnenlicht Antworten zu erhalten. »Florian wird nie einlenken. Und wir, wir alle werden als warnendes Beispiel für Konrads Richterspruch dienen. Er wird ein Exempel statuieren, der Welt jedoch zeigen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. So wird er seine Hände in Unschuld waschen, auch wenn das für uns bedeutet, dass unaussprechliche Grausamkeiten über uns hereinbrechen.«

Anna suchte Kristinas Blick. Die Angst beraubte eine stolze Frau wie Anna ihrer Kraft; sie wirkte weicher als sonst.

»Nur die Liebe vermag den Hass zu überwinden«, sagte Kristina. »Der Hass allein überwindet nichts, er bringt immer nur neuen Hass hervor.«

»Liebe?« Anna betastete behutsam ihr Gesicht, ihre Finger fuhren über die Narben, die die Pocken auf ihrer Haut hinterlassen hatten. »Wie soll die Liebe daran etwas ändern? Du hast darauf gedrängt, alle mögen teilhaben am Leben, in ausgeglichener Weise, aber dadurch verlangen die Menschen nur mehr. Du hast ihnen Lesen beigebracht, und seither sind sie unglücklich. Ist dir das Schicksal deiner Mutter nicht Abschreckung genug?«

Kristina fasste die verzweifelte Frau scharf ins Auge. Sie hatte das Gefühl, dass das Andenken ihrer Mutter befleckt wurde, und das wühlte sie zutiefst auf.

»Meine Mutter brachte anderen das Lesen bei. Damit alle in der Lage sind, allein zu lernen. Sie war der Überzeugung, die Liebe Christi könne jegliche Grausamkeit auf Erden verbannen. Und für diesen Glauben an das Gute verbrannte man sie.«

»Aber auch du bist eine Mutter«, entgegnete Anna. »Und dein Kind darf nicht sterben. Hat nicht auch deine Mutter dich vor einem solchen Schicksal bewahrt?«

Kristina schwieg, spürte sie doch, dass ihre Herrin trotz ihrer Verzweiflung wieder zu ihrer alten Willensstärke zurückgefunden hatte.

»Begleite mich in meine Gemächer«, beschied Anna ihr und wandte sich zum Gehen, ohne Lura, die geflissentlich geschwiegen hatte, oder Kristina eines weiteren Blickes zu würdigen.

*

Als die Sonne tief am Horizont stand und den Westen in ein flammendes Rot tauchte, war Peter wieder da, verschmutzt und zerlumpt, doch er grinste zufrieden. Kristina wollte ihn mitnehmen, als sie sich anschickte, die Gemächer zu verlassen. Doch der Junge klammerte sich an Herrin Anna und wollte nicht fort. Als Kristina Anstalten machte, ihn fortzuzerren, bedeutete Anna ihr, sie möge ihn gewähren lassen. Denn Anna hatte ihre Freude an dem Jungen, obwohl er an ihren Kleidern zog, ihre Frisur durcheinanderbrachte und sie sogar an der vernarbten Nase berührte.

»Er ist schmutzig, Herrin, ich nehme ihn mit«, sagte Kristina, da sich Peters Verhalten nicht ziemte.

»Lass nur«, meinte Anna und lachte. »Was tut es noch zur Sache? Peter ist ein aufgeweckter Junge. Er braucht mich. Ich mag es, ihn um mich zu haben, und höre ihm gern zu, wenn er für mich spielt. Manchmal kleide ich ihn so, wie ich meinen Florian einst gekleidet habe.« Sie ließ sich weiter von dem Kleinen traktieren, und ihre Miene verdüsterte sich. »Ich verstehe meinen Sohn nicht mehr. Manchmal glaube ich, er hat den Verstand verloren. Er schließt sich ein, um nachzudenken, dabei ist alles um ihn herum dem Untergang geweiht.«

»Ich bitte Euch«, drängte Kristina, »soll ich Peter nicht besser mitnehmen, wenn ich mich mit meinen Leuten bespreche?«

»Der Junge ist hier bei mir, wenn du wiederkommst. Du und deine Ketzerfreunde, ihr entscheidet, was ihr tun wollt.«

Die letzten Worte schnitten Kristina in die Seele, doch sie schwieg, ahnte sie doch, dass ihre Herrin angesichts der bedrohlichen Lage kein Blatt mehr vor den Mund nehmen würde.

Anna strich dem Jungen liebevoll über den Schopf und suchte Kristinas Blick. »Ja, ihr entscheidet, wohin ihr flieht. Aber bist du dir auch wirklich sicher, dass du dieses Kind mitnehmen willst, damit es auch gejagt und getötet wird?«

Ein Schauer durchrieselte Kristina. Herrin Anna sprach kühl und abgeklärt und womöglich hatte sie recht, dass Peter besser auf Schloss Geyer aufgehoben wäre als irgendwo im Ungewissen. Aber wie sollte sie als Mutter ihr Kind zurücklassen? Der Gedanke, ihn verlassen zu müssen, drückte ihr schier das Herz zusammen. Und wäre er hier, in der Obhut der Mutter eines Apostaten, nicht ebenfalls in Gefahr?

Ohne zu antworten und mit widerstreitenden Gefühlen, eilte Kristina aus dem Gemach. Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf, sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte und was in dieser Situation ratsam wäre. Fast stolperte sie auf den Stufen der steinernen Treppe, ehe sie in das Zwielicht der Dämmerung trat. Die letzten blassen Rottöne am westlichen Horizont wichen den blauschwarzen Schattierungen des Abendhimmels. Ihre Mutter hatte diese Stunde einst die Zeit zwischen Hund und Wolf genannt: Die gewohnten Dinge verloren ihre Konturen, und die Ängste der Menschen vertieften sich wie die Schatten, die aus allen düsteren Ecken krochen, um zu einer furchterregenden Dunkelheit zu verschmelzen.

… gejagt und getötet … hallte es in ihrem Kopf nach.

*

Leise betrat sie die alte Bruchsteinscheune und sah die Umrisse ihrer Gefährten in der gegenüberliegenden Ecke. Es waren Witter, Grit, Rudolf und Simon, die dort beisammensaßen. Die Luft war verbraucht und schwer. Kristina kannte den Geruch von Furcht, der auch jetzt in der Scheune hing. Offenbar hatte niemand ihr Kommen bemerkt, und so blieb sie stehen und lauschte. In einer Ecke bei der Tür lag die zerstörte Druckerpresse; ein dunkler Haufen, das Holz zersplittert, das Eisen verbogen. Die Metallstücke rosteten wie alte, zerschlagene Zähne – ein stummes Zeugnis der Vorgänge des letzten Jahres, als Lud die Druckerpresse zerstört hatte. Mit einer Eisenstange hatte er wieder und wieder auf die Presse eingedroschen, wie ein Rasender, um Giebelstadt vor Unheil zu bewahren. Umsonst, wie sie nun alle wussten.

Ihre Gefährten unterhielten sich leise, aber Kristina verstand trotzdem jedes Wort.

»Wohin man schaut«, hörte sie Rudolf sagen, »wird es nur schlimmer und schlimmer. Verzweifelte Menschen erheben sich und werden zurückgeschlagen. Wie es scheint, soll ein Exempel an uns statuiert werden, um einen drohenden Aufstand im Keim zu ersticken.«

Kristina lauschte mit angehaltenem Atem und konnte immer noch nicht glauben, dass dies geschehen würde. Sie weigerte sich zu akzeptieren, dass die Welt dort draußen unaufhaltsam näher heranrückte, um ihnen allen die Luft zum Atmen zu nehmen.

»Ehe wir hierherkamen«, sprach Witter, »ehe sie von uns lesen lernten, wussten sie nur wenig über die Welt jenseits ihres Dorfes. Wir waren es, die diese Menschen aus dem Schlummer der Unwissenheit geweckt haben.«

»Das stimmt«, meinte Grit. »Wir haben nur getan, was wir tun mussten. Es war unsere Pflicht, ihnen Lesen beizubringen. Jetzt müssen die Leute ihren eigenen Pflichten nachkommen. Jeder trägt sein eigenes Kreuz. Jeder hat die Wahl.«

»Wir haben keine Gnade zu erwarten, so viel steht fest«, sagte Witter mit Nachdruck. »Wenn Konrad von Thüngen davon spricht, uns zu vernichten, dann meint er es auch so. Ich habe ihn und seine Soldaten nur allzu gut kennengelernt. Sie kennen kein Erbarmen.«

»Die Leute im Dorf sagen, wir müssen entweder alle fliehen oder alle kämpfen«, meldete sich Rudolf zu Wort.

Grit schüttelte vehement den Kopf. »Wenn wir kämpfen und töten, müssen wir bis in alle Ewigkeit brennen. Das kommt nicht infrage.«

»So bleibt uns nur die Flucht«, sagte Simon. »Wir haben zwei Tage Vorsprung. In einer kleinen Gruppe können wir weit kommen, wenn wir uns ranhalten.«

»Wohin sollen wir denn fliehen?«, fragte Kristina.

Erst jetzt bemerkten die anderen sie und drehten sich zu ihr um. Kristina trat tiefer in die Scheune und sah, dass die Gefährten ihren Blick mieden, wie Diebe, die man auf frischer Tat ertappte.

»Wohin soll ich mich mit meinem Kind wenden? Was muss ich alles tun, um Peter zu beschützen? Und was ist mit den Bewohnern von Giebelstadt? Sollen wir sie einfach im Stich lassen? Seit nunmehr fast acht Jahren haben sie uns vor der Welt dort draußen beschützt.«

»Sie hat recht«, sagte Grit. »Die Menschen hier haben uns aufgenommen, manch einer hat uns ins Herz geschlossen. Und wir haben sie verändert. Was jetzt auf Giebelstadt zukommt, wird auch uns erfassen.«

Simon schüttelte den Kopf. »Willst du also zum Messer greifen oder doch gleich zur Axt?«

»Hör auf, so zu reden«, entgegnete Grit verstimmt.

»Witter, du warst lange in Würzburg. Was erzählen sich die Leute dort? Gibt es irgendwo im Reich einen Ort, an dem wir sicher wären?«, wollte Rudolf wissen.

Witter kratzte sich am Kinn. »Der Kaiser, so hört man, hat sich ganz dem Krieg in der Fremde verschrieben, und nun ist sein Hinterhof offen für Füchse. Karl hat gar nicht so viel Einfluss auf die Fürsten, die im Schwäbischen Bund das Sagen haben. Deren Söldner sind ausgedünnt, von ihrem Hauptquartier in Ulm bis zu den südlichsten Zipfeln von Franken und Schwaben. Florian weiß das besser als jeder andere. Aber sollte es zu einem Aufstand kommen, so wird der Bund ein neues Heer zusammentrommeln, koste es, was es wolle. Darauf könnt ihr euch verlassen.«

»Gütiger Gott«, entfuhr es Kristina.

»Ich sage, wir fliehen.« Simon stand auf und blickte die anderen erwartungsvoll an.

»Simon, setze dich wieder«, forderte Witter ihn auf. »Ich bin gewiss kein Kämpfer, aber wenn wir fliehen, werden uns die Hunde hetzen und zur Strecke bringen. Oder wir verhungern.«

»Doch wenn wir kämpfen«, warf Grit ein, »werden wir alle sterben und für immer im Höllenfeuer brennen. Ich sage, wir müssen unsere Seelen retten und auch die Seelen all derer, die wir erreichen können, um jeden Preis.«

»Um jeden Preis?«, wiederholte Simon und begann zu schluchzen. Er setzte sich und schlug die Hände vors Gesicht. »Ganz gleich, was sie uns antun werden, wenn sie uns zu fassen bekommen?«, fragte er durch die gespreizten Finger.

Kristina spürte, wie Witter ihr sacht eine Hand auf den Arm legte. Als sie ihn ansah, entdeckte sie Zuneigung in seinem Blick, aber auch Furcht. Er ist das Gegenteil von Lud, schoss es ihr durch den Kopf. In seinen sanften, dunklen Augen lag zärtliche Fürsorge, in Luds Blick indes glühte eine stürmische, eine leidenschaftliche Liebe, wenn er sie ansah.

Lud. Er würde bleiben und kämpfen. Daran zweifelte sie nicht. Und wenn er kämpfte, würde er sterben …

»Es gibt nur eine Möglichkeit«, unterbrach Witter Kristinas düstere Gedanken. »Wir müssen uns trennen und uns allein oder zu zweit durchschlagen. Wenn wir in verschiedene Himmelsrichtungen gehen, können sie uns nicht alle zugleich verfolgen. Einige werden gefangen genommen, das ist wahr, aber die anderen könnten fliehen und sich anderswo in Sicherheit bringen.«

»Nein«, erwiderte Kristina. »Peter würde das nicht durchstehen.«

»Und wir können unsere Brüder und Schwestern hier nicht zurücklassen«, bekräftigte Grit. »Sie brauchen uns jetzt mehr denn je. Wir müssen sie dazu bringen, nicht zu den Waffen zu greifen. Keinem soll ein Leid geschehen.«

Die anderen schwiegen, und Kristina starrte Grit an. Sie versuchte, die Worte ihrer Gefährtin anzunehmen, aber es wollte ihr nicht gelingen. »Aber selbst wenn wir die Leute hier mit der Liebe Christi erfüllten«, erwiderte sie schließlich, »und sie dazu brächten, die Waffen ruhen zu lassen, würde ihnen Schlimmes widerfahren, du hast Witter gehört. Und wären wir dann nicht schuld daran?«

Was immer sie würde tun müssen, sie würde ihren Jungen retten. »Peter«, fuhr sie leise, fast stockend fort, »er ist unschuldig, ich könnte es nicht ertragen, ihn sterben zu sehen.« Grit legte Kristina einen Arm um die Schulter und zog sie an sich.

Es war Rudolf, der das nachfolgende Schweigen brach. »Also sind wir hierhergekommen, um zu sterben? Soll das nun unser Ende sein?« Er schaute von einem zum anderen, als könne er es nicht glauben.

»Die Heilige Schrift lehrt uns, dass uns Ruhm im Himmelreich zuteilwird«, sagte Grit mit fester Stimme. Sie löste sich von Kristina und nahm Simon in den Arm, der immer noch schluchzte. Dann sah sie alle nacheinander an. »Es ist eine Prüfung, wie jeder von uns mit seiner Angst umgeht. Ja, ich gebe zu, auch ich habe Angst. Uns stehen vielleicht fürchterliche Qualen bevor. Aber gehen wir es gemeinsam an, gemeinsam im Glauben.«

Grits Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Als die Gefährten abstimmten, waren alle bis auf Witter dafür, in Giebelstadt zu bleiben.

Kristina wusste, dass es nicht der Glaube war, der sie zum Bleiben bewog – sie sah einfach keinen anderen Ausweg.

Denn Witters Vorschlag führte direkt ins Verderben: Sie würden sterben wie wilde Tiere. Kristina war schon einmal gejagt worden, gemeinsam mit Witter, aber ihren Sohn würde sie niemals diesem Schrecken aussetzen, das hatte sie sich geschworen.

Vielleicht erbarmte sich Gott ihrer Seelen und schenkte ihnen ein Wunder? Kristina wollte dafür beten. Mehr konnte sie nun nicht mehr tun.

Nur noch zwei Tage.

Jetzt erst bemerkte sie, dass Grit ihre Hand ergriffen hatte und sang. Zögerlich, beinahe widerwillig stimmten Rudolf und Simon mit ein. Nur Witter schien die Worte des Psalms, den die anderen sangen, nicht über die Lippen zu bringen:

»Der Kriege beschwichtigt bis ans Ende der Erde, den Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt …«

2.

Lud

Der Hahn krähte, als wäre es ein Morgen wie jeder andere. Doch im Dorf waren alle Türen und Fenster verschlossen wie vor Jahren, als die Pocken gewütet hatten und Lud und Dietrich mit den Jungen vom Krieg an der Reichsgrenze zurückgekehrt waren. Die Bewohner hatten sich geradezu in ihren Häusern verschanzt. Nur die Hunde streiften durchs Dorf, das wie verlassen dalag. Die Besitzer hatten ihre Tiere einfach laufen lassen, damit sie bellten, sobald Fremde eintrafen. Vielleicht verschaffte ihnen das ein wenig Zeit.

Nur die jungen Männer aus Giebelstadt waren tätig geworden trotz der Gefahr, die in der Luft lag. Abwechselnd lagen sie am Dorfrand auf der Lauer, die Straße nach Würzburg fest im Blick. Da ihnen der Fußweg bis zur Grenze der Geyer’schen Besitztümer zu weit war, teilten sie sich ein Pferd, das Waldo ihnen aus den Stallungen von Schloss Geyer überlassen hatte. Als könnten ein paar junge Männer, die einst als Jungen mit Piken in den Krieg gezogen waren, das Unheil aufhalten, das ihnen allen bevorstand.

Es war der dritte Morgen nach dem Eintreffen der Flugschrift auf Schloss Geyer; jeden Augenblick könnten die Magistrate mit ihren Wachen auftauchen. Lud hatte schon Stunden damit zugebracht, sich für den Kampf zu rüsten. Es war ihm gleich, was andere taten. Vielleicht tat der ein oder andere dasselbe. Manch einer mochte bereits geflohen sein, Lud wusste es nicht. Es kümmerte ihn nicht länger. Wer ausharrte, würde sterben oder hart bestraft werden, daher hatten sie alle nichts mehr zu verlieren.

Lud hatte sich vorgenommen, sich schützend vor Florian zu stellen. Ja, als Vogt würde er die Besitztümer verteidigen, komme, was wolle. Es war ihm gleich, wer dort anrückte und in welcher Stärke. Er würde standhalten – es sollte sein letzter Kampf sein. Und dann wäre seine Pechsträhne, die sein Leben war, endlich vorbei.

Vorbei auch seine schmerzende Sehnsucht nach Kristina … Als er quer über die Felder gegangen war, hatte er sie und die anderen in der alten Steinscheune singen hören. Die alten Gesänge von Friedfertigkeit und Gottvertrauen.

Diese Täufer taten ihm leid. Sie hatten dieses Schicksal nicht verdient.

Er musste an Kristinas Kind denken, an Peter – den sie nach dem Apostel Simon Petrus benannt hatte, dem Menschenfischer, der einst Christus mit dem Schwert verteidigte, doch vom Herrn aufgefordert wurde, das Schwert in die Scheide zu stecken. Alles läuft dennoch auf den Tod hinaus, dachte er. Als Lud lesen lernte und daraufhin die Heilige Schrift las, fühlte er sich nicht imstande, einen Gott zu lieben, der es zuließ, dass der eigene Sohn zu Tode gemartert wurde. Kristinas Tod würde er nicht mit ansehen, dazu würde er es nicht kommen lassen; auch das Ende ihres Jungen würde er nicht erleben, jenes Kindes, das so schwer zu bändigen war.

Er dachte daran, wie süß es sich angefühlt hatte, Kristina im Arm zu halten. Ihre Zurückweisung jedoch hatte ihn wie eine Dolchspitze getroffen.

Nicht, wenn du mich damit erpresst. Nicht, solange du immer noch willens bist, zu kämpfen und zu töten.

Hatte er sie mit seinen Worten danach genug gegen sich aufgebracht, auf dass sie sich voller Angst und Unmut von ihm abwandte und endlich die Flucht ergriff? Denn nur das hatte er erreichen wollen. Offenbar nicht, denn sie und die anderen Täufer waren immer noch hier.

Er schüttelte den Kopf. Er musste Kristina aus seinen Gedanken verbannen.

Kein Jammern und Wehklagen mehr für das, was hätte sein können! Jetzt zählte nur noch das, was unmittelbar vor ihm lag: der Kampf. Die Bastarde sollten am eigenen Leib erfahren, aus welchem Holz der Vogt aus Giebelstadt geschnitzt war. Und vielleicht werden sich ein paar von ihnen verwundet nach Würzburg zurückschleppen und ihren Kameraden von dem rasenden Bauernkämpfer auf Gut Geyer berichten … Lud lächelte bei diesem Gedanken.

Während er sich den Waffengurt umschnallte, überlegte er fieberhaft, wo ein Hinterhalt am wirkungsvollsten wäre: am Ende der Straße, an den Hohlwegen der Köhler im Wald, an der Stelle, an der sie für gewöhnlich das Vieh tränkten? Lud hatte noch nie von sich behauptet, ein guter Verwalter zu sein, aber bei Gott, dieser Bande von Mordbrennern würde er einen Handel aufzwingen, den sie so schnell nicht vergessen würden: sein Leben gegen so viele Leben wie möglich.

Nach und nach bedeckte die alte schwarze Rüstung seinen Leib. Zuerst das wattierte Wams, dann das Kettenhemd mit den angelaufenen Ösen, dann der Brustharnisch und die Armschienen. Er dachte an die große Brustplatte für Ox, auch an den Kopfschutz des Pferds. Bei allen Rüstungen kam es darauf an, dass die Platten sich richtig überlappten; man musste die Lederriemen strammziehen, damit kein Bolzengeschoss und keine Klinge in die Ritzen dringen konnten. Je länger die Bastarde brauchten, ihn zu Fall zu bringen, umso mehr von ihnen würde er in die Hölle schicken.

Die schwarze Rüstung, die einstmals Dietrich gehört hatte, war alt und verbeult und mit Rostflecken übersät, beinahe so wie Luds von Pockennarben überzogenes Gesicht. Oftmals hatten feindliche Schwertspitzen ihm nach dem Leben getrachtet, doch die alte Eisenpanzerung hatte ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. Wieder schlich sich ein Lächeln in seine Züge, und er wollte es möglichst lange bewahren. Allmählich erkannte er, dass er dem Kampf bereits mit grimmiger Freude entgegensah.

Die Bewaffneten würden, hochnäsig wie sie waren, in geordneter Formation auf der Straße marschieren. Keiner von ihnen käme auf den Gedanken, sich auf geheimen Pfaden durch den Wald zu schlagen.

Wenn das Glück ihm hold war, würden die Wachen aus der Festung Marienberg in leichter Rüstung heranrücken, falls sie sich in ihrer Überheblichkeit überhaupt die Mühe gemacht hatten, sich entsprechend für den Kampf gegen einfache Hörige eines abtrünnigen Gutes zu rüsten. Vermutlich hatten die Wachen seit Wochen an keiner Waffenübung mehr teilgenommen, wenn überhaupt je. Lud kannte diese Kerle. Verweichlicht und verwöhnt waren sie vom feinen Stadtleben. Dort nahmen sie allenfalls an Festumzügen oder Paraden teil, aber zum Sterben war keiner von ihnen ausgerückt, geschweige denn bereit dazu.

Die Magistrate und Mönche würden hinter der Vorhut unterwegs sein. Lud nahm sich vor, die Männer der Vorhut passieren zu lassen, um sich dann auf die Geistlichen zu stürzen, die leichte Beute wären. Gewiss, die Magistrate würden versuchen, die Mönche zu schützen, aber in all dem Durcheinander würde er viele von ihnen töten können.

Falls der Fürstbischof jedoch auch Landsknechte schickte, wäre das Unterfangen sehr viel schwieriger. Dennoch, auch die Landsknechte verspürten keine Lust, ihr Leben zu lassen für einen Haufen Hörige. Keiner von ihnen war gewillt, in den Tod zu gehen – ganz anders Lud: Sein Entschluss stand fest, er würde bis zum letzten Atemzug kämpfen. Bei dieser Vorstellung durchströmte ihn eine neue, ungeahnte Kraft.

Inzwischen hatte er den letzten Lederriemen seiner Rüstung festgezurrt. Dann reckte er sich, ließ die Arme kreisen und traf die letzten Vorkehrungen. Er lockerte die Schultern und spürte, dass er genug Bewegungsfreiraum hatte. Sein Leib war ausreichend geschützt, und so griff er zu den Waffen. Sie lagen neben seinem Lager. Seine kleine Familie aus Stahl. Immer treu und zu Diensten.

Die Armbrust für einen möglichen Hinterhalt. Das lange Schwert für den Kampf Mann gegen Mann. Der kleine Dolch für die letzte Gegenwehr: wie geschaffen, um einem Bastard den Bauch aufzuschlitzen. Doch zusammen wogen die Waffen zu viel. Er müsste sie besser verteilen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Waldo, der stumme Stallmeister, gestikulierte wild und machte Zeichen.

Allmählich begriff Lud, was Waldo ihm sagen wollte.

Jemand sattelte ein Pferd.

Jemand ritt davon.

Florian.

In Richtung Würzburg.

Bewaffnet.

3.

Witter

Die Welt um ihn herum war im Wandel, das spürte Witter deutlich. Doch es war ihm, als erhaschte er nur einen Blick darauf, als spähte er durch einen Spalt in der Tür seiner alten Kammer, in die er sich vor all den Jahren oft zurückgezogen hatte, um zu trauern.

Die Menschen in Giebelstadt lernten lesen und erkannten fortan viel mehr Dinge, doch jetzt forderten sie Freiheit und Gleichheit ein. Dafür würden sie kämpfen und sterben. Die Ironie daran war, dass ihnen das Lesen von friedliebenden Täufern beigebracht wurde und dass das Gelesene sie aufgestachelt hatte – nicht zum Frieden, sondern zur Gewalt.

Ihre Lage war aussichtslos. Kristina war nicht bereit, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Die ganze Nacht hatte er versucht, jeglichen Gedanken an sie zu verscheuchen und den Mut aufzubringen, diesem Ort allein und auf eigene Faust den Rücken zu kehren. Je mehr Zeit verstrich, desto weniger Strecke würde er zurücklegen können, um dem drohenden Unheil zu entfliehen. Aber es musste doch eine Möglichkeit geben, dieser Bedrohung Einhalt zu gebieten; es musste ihm gelingen, Kristina zu retten, zu schützen. Doch er hatte bloß seinen Dolch und seinen Verstand, und beides wäre zu wenig in diesem Fall.

Die anderen hatte er in der Bruchsteinscheune zurückgelassen, in der die alte, zerstörte Druckerpresse lag. Allein und auf den Knien hatte er in der Hütte beim Dorfplatz zu Jahwe und Judah, seinem Vater, gebetet und sich Führung erhofft. Aber es war so gewesen wie erwartet. Er hatte keine Antworten erhalten, nur den fernen Widerhall der Stimme in seinem eigenen Kopf.

Nun, im matten Grau des anbrechenden Tages, als die Luft kühl und feucht war, zwang Witter sich, zu den Stallungen zu gehen. Der Mond war verschwunden, und das Land schlummerte, als gäbe es den Tod nicht, der unaufhaltsam auf Giebelstadt vorrückte.

Witter wollte aus einem bestimmten Grund zu den Stallungen: Er wollte die junge Stute, die Waldo großgezogen hatte, holen und allein fortreiten. Aber als er sich dem Stalltor näherte, blieb er verdutzt stehen, denn er sah, wie Lud fluchend sein Pferd Ox ins Freie führte. Der Vogt trug seine alte, verbeulte Rüstung und war bis an die Zähne bewaffnet.

Rasch trat Witter hinter eine der Stallungen und wartete, bis Lud davonritt.

Plötzlich erklang lautes Hundegebell im Dorf. Witter spähte von seinem Versteck aus in den Burghof, denn auch dort tat sich etwas.

Die Herrin Anna war hinaus in den Burghof getreten, neben sich ihre Magd Lura, die eine Laterne hochhielt. Nur im Schlafgewand und ohne Schleier verließ die Herrin den Hof, überquerte die Brücke und eilte ins Dorf.

Was geht hier vor?

Mit raschen Schritten verfolgte Witter die zwei Frauen. Als er auf den Dorfplatz gelangte, bot sich ihm ein merkwürdiger Anblick: Die Herrin Anna flog von einer Behausung zur nächsten und hämmerte mit den Händen gegen die Türen. Das Haar flog ihr um den Kopf, sie schrie, und ihr vernarbtes Gesicht war verzerrt vor Entsetzen.

»Florian ist auf und davon, um gegen sie zu kämpfen! Hört ihr, mein Florian ist losgeritten! Zu den Waffen. Kommt heraus, ihr Leute!«

Es dauerte nicht lange, und die Dorfbewohner liefen aus ihren Hütten. Junge und alte, Männer wie Frauen. Einige hatten Laternen angezündet, die meisten trugen Waffen wie alte Schwerter, Erntemesser, Sensen, Äxte, Hacken oder Schaufeln. Sigmund hatte einen riesigen Dreschflegel geschultert, Merkel schleppte seinen großen Schmiedehammer.

»Helft meinem Florian!«, schrie Herrin Anna aufgelöst.

Die Menge wogte auf dem Dorfplatz vor und zurück, unschlüssig und verwirrt. Die Leute riefen durcheinander. Witter hielt sich etwas abseits und beobachtete, wie Kristina und Grit herbeigerannt kamen.

»Nein, meine Freunde«, rief Grit und stellte sich mit erhobenen Armen vor die Dorfbewohner. »Lasst euch nicht von diesem Irrsinn anstecken, ich bitte euch! Haltet inne und betet gemeinsam mit uns!«

Kristina zog ihre Gefährtin zurück, da die Leute sich an ihnen vorbeizwängten, als würden sie die beiden Frauen gar nicht bemerken.

Kristina entdeckte Witter und rief ihm zu: »Hilf uns, sie aufzuhalten, Witter!«

Doch auch in ihm brannte das Verlangen, sich auf den Weg zu machen. Die Hörigen aus Giebelstadt schwärmten aus, als würden sie angetrieben von einem inneren Feuer, dessen flackernder Schein zurückwies auf eine uralte Stammeskraft aus grauer Vorzeit, alt und ungezügelt. Witter sehnte sich danach, zu diesen Leuten zu gehören, sich ihnen anzuschließen, Teil dieser vorwärtsdrängenden Woge zu werden. Einige der Dörfler liefen an ihm vorbei, und obwohl vereinzelt welche stehen blieben und auf ihre Freunde oder Nachbarn einzureden versuchten, waren die meisten in Bewegung. Kinder versuchten, sich dem Strom anzuschließen, doch die Frauen und älteren Bewohner hielten sie zurück und wiesen sie barsch zurecht.

»Giebelstadt!«, ertönte es allenthalben. »Für Florian! Für Giebelstadt!«

Schließlich gelang es Witter, den Blick abzuwenden von der Unruhe auf dem Dorfplatz. Er eilte zurück zu den Stallungen und sattelte seine Stute. Entschlossen zurrte er den Sattelgurt fest, schwang sich auf den Rücken des Tieres, das sich zuerst unruhig auf der Stelle drehte, ehe Witter es ins Freie lenken konnte. Er war im Begriff, dem Pferd die Fersen in die Seiten zu stemmen, als er Kristinas Stimme vernahm.

»Nein, Witter, bleib hier!«

Doch er hatte seine Entscheidung längst getroffen, beugte sich weit über den kraftvollen Hals des Pferds und trieb es zu äußerster Eile an. Es gehorchte, machte einen Satz nach vorn und galoppierte über den Burghof, die Brücke und ins Dorf hinein. Die rasende Menge ließ Witter hinter sich, als er seine Stute zum Tor hinauslenkte und auf die Straße zuhielt, geradlinig wie ein Falke, der zum Sturzflug ansetzte. Er glaubte dahinzuschweben.

Sobald er auf offener Straße war, griff das Pferd weit aus und jagte dahin, als sei es heilfroh, dem Gedränge der schreienden Menschen entkommen zu können. Immerzu wippte der kräftige Kopf auf und ab, entwichen warme Atemstöße den weichen Nüstern.

Da er so schnell ritt, fühlte sich die Morgenluft noch kühler an. Weiter voraus erahnte Witter im Licht der Dämmerung andere Reiter; ihm war, als hinge noch der von den Hufen aufgewirbelte Staub in der Luft, unmittelbar über der Straße. Irgendwo dort vor ihm musste Lud sein.

Die Kleinen und die Großen haben sich eingefunden; und der Knecht ist frei von seinem Herrn …

Eine Zentnerlast war ihm von den Schultern gefallen. Witter ritt in gestrecktem Galopp, erfüllt von derselben berauschenden Wut wie einst, als er mehrere Magistrate über den Haufen geritten hatte. Die unbändige Freude damals hatte ihn befreit, wenn auch nur für wenige Herzschläge.

Kurze Zeit darauf sah er einige Hunde auf der Straße. Zweifellos waren sie Florian und Lud gefolgt, hingen aber inzwischen als Meute hinter den Reitern zurück.

Witter hielt sich krampfhaft an der Mähne seiner Stute fest und nahm die Hunde nur undeutlich wahr, als er an ihnen vorbeisprengte. Sie erschraken, scherten aus und machten den donnernden Hufen des Rosses sofort Platz. Als Witter einen Blick zurückwarf, meinte er zu sehen, dass die Hunde sich wieder zu einer Meute zusammenfanden. Zwei, drei größere Tiere liefen vorweg, die anderen indes, ob klein oder groß, blieben zusammen wie ein Schwarm Fische. Rasch hatte Witter sie abgehängt.

Das Reiten kam ihm mit einem Mal wie die natürlichste Sache von der Welt vor, und so beugte er sich weit über den Nacken des Pferds. Er konnte nicht mehr an sich halten und stieß einen Jubelschrei aus, so lebendig und befreit fühlte er sich in diesem Moment des Jagdfiebers und der Schwerelosigkeit.

Seine eigenen Rufe kamen ihm wie die eines Irrsinnigen vor. Er machte seiner rebellischen Freude Luft, spürte, dass er sich von all den Dingen und Gefühlen lossagte, die ihn bislang behindert hatten.

Das Pferd schien das Tempo noch zu erhöhen, und fast war es Witter so, als berührten die Hufe gar nicht mehr den Boden. Er wusste, dass Florian beschlossen hatte, erhobenen Hauptes in den Tod zu reiten. Lud und Waldo – es konnte sich bei dem anderen Reiter eigentlich nur um den Stallknecht handeln – wollten ihrem Herrn beistehen, und jetzt flog auch er, Witter, dahin, um sich diesen mutigen Leuten anzuschließen, ohne Furcht, ohne lästige Selbstzweifel. Allerdings hatte er keine Ahnung, was er tun sollte, falls er die anderen einholte …

Er würde sich und die Aufrechten aus Giebelstadt verteidigen. Ja, er würde sich vor die Mordbande werfen, die aus Würzburg kam, er würde die Menschen auf Schloss Geyer schützen, vor allem Kristina. Ob er nun überlebte oder unterging, war nicht mehr von Belang, denn er kostete das Gefühl aus, über seinen von Vernunft geprägten Geist gesiegt zu haben.

Zum ersten Mal seit Kindheitstagen fühlte Witter sich absolut frei. Befreit von der Angst, die ihn so lange beherrscht hatte.

Ich bin ein freier Mann.

4.

Lud

Lud trieb sein Pferd an und ließ den Verlauf der Straße nicht aus den Augen. Mit einem Mal jedoch fiel ihm ein Buch ein, das er einst gelesen hatte, damals in Dietrichs Bibliothek. Er hatte sich für dieses Buch entschieden, da es so abgegriffen aussah; er ahnte, dass Dietrich es oft zur Hand genommen hatte. Es handelte sich um eine Übersetzung der Psychomachia des Prudentius. Dietrich hatte einst auf dem Titelblatt den handschriftlichen Vermerk hinterlassen, Psychomachia bedeute »der Kampf der Seelen«. Eine Passage hatte der einstige Herr des Geyer’schen Guts mit Tinte unterstrichen. Lud hatte die Zeilen auswendig gelernt:

Als Erster unter den Kämpfern, die sich dem Feld

und dem Zweifel an dem Schicksal des Kampfes stellten,

trat der Glaube vor, mit wirrem Haar und schmutzig,

gekleidet wie ein Bauernmädchen aus dem weiten Land:

das volle Haar ungeordnet, ohne Kopfzier oder schöne Tracht,

die Schultern frei, um dem Rund der Arme Luft zu geben.

Die Hitze, Ruhm zu erlangen, hatte es überkochen lassen

mit einem Mal, für diese neue Tat.

Weder Krieg noch Waffen noch der Rüstung Schutz – es war

ihm alles gleich.

Auf die Kraft seines Herzens und seiner Hände vertrauend, rasend und waghalsig,

fordert es das Kriegsschicksal heraus,

mit der Absicht, es zu zerschmettern.

Warum ihm ausgerechnet diese Zeilen in den Sinn kamen, während er dem sicheren Tod entgegenritt, vermochte er auch nicht zu sagen. Er wusste nur, dass diese Worte ihm bedeutsam vorkamen, als enthielten sie eine geheime Kraft der Weissagung. Es kam ihm wie ein Traum vor, dessen Bilder und rätselhafte Symbole Licht auf ein früheres Ereignis warfen oder kommende Ereignisse vorwegnahmen.

Als er der Wegbiegung folgte, sah er Florian in einiger Entfernung vor sich. Der Erbe von Schloss Geyer hatte sein Ross auf der Mitte der Straße zum Stehen gebracht, genau auf Höhe des Grenzverlaufs der Geyer’schen Besitztümer. An jener Stelle nämlich gingen die offenen Äcker und Felder über in das Dunkel des großen Waldes.

Breite rosige Streifen bedeckten den östlichen Horizont. Lud konnte erkennen, dass sein Herr nicht die neue glänzende Rüstung angelegt hatte; er trug die alte schwarze Eisenpanzerung, die einst seinem Großvater gehört haben musste.

Lud verlangsamte das Tempo und lenkte sein Pferd zu Florian, gefolgt von Waldo, der wenige Längen hinter ihm geblieben war.

»Ah, so habt ihr mich also doch gefunden«, sagte Florian. »Und wie ich sehe, hast du das Türkenschwert bei dir. Bist du auf Kampf aus, Lud?«

»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du dich allein dem Feind stellen und den Narren abgeben würdest«, antwortete Lud. »Denn du warst doch immer derjenige, der die Aussprüche der weisen Männer aufsagen konnte.«

»Du meinst, hier probt ein Narr den Aufstand?« Florian suchte Luds Blick, mit undurchdringlicher Miene.

»Stolz allein ist nicht genug, Florian.«

Florian wandte den Blick von Lud und schaute hinauf zum Himmel, an dem allmählich die helleren Töne der Dämmerung die Oberhand gewannen. »Es ist der Morgen des dritten Tages. In Konrads Flugschrift stand geschrieben, dass sie zu dieser Stunde kommen. Und das werden sie. Geh nach Hause, Lud.«

»Glaubst du etwa, dein Tod allein würde sie abhalten, weiter zu morden? Sie kommen hierher, um alle zu holen, alles und jeden.«

Florian wandte sich Lud wieder zu, und Entschlossenheit, aber auch ein Anflug von Starrsinn lagen in seinem Blick. »Das ist nicht dein Kampf, Lud.«

»Natürlich ist es das«, beharrte Lud. »Ich warte hier mit dir. Oder wir reiten beide weiter, um sie abzufangen.«

»Nein, ich bleibe hier.« Florian deutete auf den Waldrand, auf den Feldrain. »An der Grenze meines Besitzes. Dies hier ist mein Grund und Boden.« Seine Miene verhärtete sich. »Geh nach Hause, Lud. Ich befehle es dir.« Doch er sah seinem Vogt nicht in die Augen.

In Florians harten Zügen glaubte Lud die Starrköpfigkeit derer von Giebelstadt zu entdecken. Er spürte, wie sehr er seinem Herrn zugetan war. »Du hast gesagt, wir seien gleich, wie Brüder. Deine Befehle bedeuten nichts, es sei denn, du hast nicht aus wahrem Herzen gesprochen.«

»Kehre zu denjenigen zurück, die du liebst, und geh fort mit ihnen.« Florian versuchte, seinen Worten Nachdruck zu verleihen, doch mit einem Mal wirkte er beinahe jungenhaft und gar nicht wie ein entschlossener Grenzwächter.

Insgeheim bewunderte Lud seinen Herrn für dessen Mut und lächelte. »Ich schlage eine Wette vor, Florian«, sagte er in aufmunterndem Ton. »Du schlägst dich linker Hand in den Wald, ich rechter Hand. Und ich wette, dass ich dreimal so viele Wachen und Magistrate erschlage wie du, ehe sie davonlaufen.«

Florian lachte trocken auf und wandte sich seinem Vogt zu. »Und wie sollen wir die Wette begleichen? Im Jenseits?«