Der Boden - Peter Laufmann - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Boden E-Book

Peter Laufmann

0,0
17,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Welt unter unseren Schuhen – eine Bodenkunde

Peter Laufmann nimmt den Leser mit in die Tiefe. Wenige Zentimeter von unserer Schuhsohle entfernt beginnt ein Kosmos, der fremdartig ist wie eine verschlossene Kapsel, mit einzigartigem Klima und geheimnisvollen Bewohnern. Neben die Theorie (Urgeschichte, Geophysik, Chemie, Wasserhaushalt etc.) und die Beschreibung des Lebensraums treten Porträts derjenigen, die berufsmäßig Bodenkundige sind, etwa Kleingärtner, Bauern und Bauarbeiter. Laufmann zeigt, wie wir vom Boden abhängen, wie verletzlich er ist und wie sich die Menschheit einen Wettlauf um diese wichtige Ressource liefert, aber auch, was wir zu seiner Erhaltung tun können.

Das Buch wird einen 16-seitigen Farbbildteil enthalten, das die wesentlichen Erkenntnisse des Buches veranschaulicht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 245

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Peter Laufmann nimmt den Leser mit in die Tiefe. Wenige Zentimeter von unserer Schuhsohle entfernt beginnt ein Kosmos, der fremdartig ist wie eine verschlossene Kapsel, mit einzigartigem Klima und geheimnisvollen Bewohnern. Neben die Theorie (Urgeschichte, Geophysik, Chemie, Wasserhaushalt etc.) und die Beschreibung des Lebensraums treten Porträts derjenigen, die berufsmäßig Bodenkundige sind, etwa Bauern und Bauarbeiter. Laufmann zeigt, wie wir vom Boden abhängen, wie verletzlich er ist und wie sich die Menschheit einen Wettlauf um diese wichtige Ressource liefert, aber auch, was wir zu seiner Erhaltung tun können.

Autor

Peter Laufmann hat in Göttingen Forstwissenschaften und Publizistik studiert. Er ist Redakteur beim Umweltmagazin natur und hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht.

Peter Laufmann

Der Boden

Das Universum unter unseren Füßen

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2020 C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildung: Arctic-Images/DigitalVision/Getty Images; Carl Allen/shutterstock

Bildredaktion: Annette Baur

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-05677-3V002www.cbertelsmann.de

Meinen Eltern

Inhalt

Vorwort: Alles auf Anfang

TEIL I: Von der Natur des Bodens

Kapitel 1: Am Anfang war kein Boden

Kapitel 2: Die Farbe von Dreck

Kapitel 3: Kleines chemisch-physikalisches Intermezzo

Kapitel 4: Es kreucht und fleucht im Untergrund

TEIL II: Der Mensch und sein Boden

Kapitel 5: Dreckwühler

Kapitel 6: Stummer Zeuge

Kapitel 7: Ehret eure Erde

Kapitel 8: Goldgrube im Untergrund

TEIL III: Boden zwischen Gefahr und Heilung

Kapitel 9: Schwindende Ressource

Kapitel 10: Heilung für den Untergrund

Dank

Literatur zum Weiterlesen

Bildteil

Bildnachweis

Register

Anmerkungen

Vorwort Alles auf Anfang

Denn du bist Erde und sollst Erde werden.

1. Buch Mose 3,19

Waldboden ist ein cooles Zeug. Zu dieser tiefsinnigen Einsicht kam ich mit vier Jahren. Wir wohnten damals in Sichtweite des Voglers, eines jener kleinen, mit Bäumen übersäten Mittelgebirge, die hinter Hannover verstreut liegen und in denen die Zeit langsamer zu vergehen scheint. Für mich und natürlich alle anderen Kinder unserer Straße war es selbstverständlich, uns unter den Bäumen herumzutreiben, die Rotbuchen und Traubeneichen dort als Spielgefährten zu sehen und sie in alle unsere Fantasien einzubeziehen.

Und unsere Fantasie hatte uns im Waldboden einen Schatz entdecken lassen. Mit Sabine, der Nachbarstochter, war ich förmlich über ihn gestolpert. Die Ecke, die da unter dem Laub hervorlugte, gehörte bestimmt zu einer Truhe. Vielleicht von Räubern vergraben, die hier in früheren Zeiten ihr Unwesen getrieben hatten. Bestimmt. In Wirklichkeit handelte es sich natürlich nicht um eine Truhe. Sondern es war ein großer Brocken Buntsandstein, den die Erosion aus dem Untergrund gekratzt hatte. Aber egal. Den mussten wir einfach heben. Schließlich war es ein Schatz. Wir begannen zu wühlen. Erst die Blätter, dann eine krümelige Schicht verrottendes Irgendwas, dann ein Streifen Schwarzes, und schließlich befreiten wir den Stein aus dem lehmig rotbraunen Erdreich. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber, wenn ich daran denke, kommt mir immer noch dieser leicht pilzige Geruch in die Nase. Ich sehe das Schwarze unter unseren Fingern und den Unterschied in Lagerung und Textur der verschiedenen Schichten.

Nach der mühsamen Freilegung stellten wir fest, dass der Stein wohl doch eine Nummer zu groß fürs Heimbringen war, und so stiefelten wir ohne ihn die paar Meter nach Hause. Allerdings brachten wir nach Aussagen unserer Mütter den halben Waldboden mit und waren über und über beschmiert mit Fragmenten diverser Bodenschichten. Die Kleider kamen in die Wäsche, und wir wurden in die Wanne gesteckt. Was aus dem Schatz wurde? Der liegt vermutlich immer noch da …

Kinder haben ein offeneres Gespür für den Boden. Wo viele Erwachsene Dreck, Schmutz, Keime, Pilze, Spinnen und nie wieder herauswaschbare Flecken lauern sehen, eröffnet sich den Kleinen ein Universum.

Kinder lieben den Boden. Nicht nur, dass sie naturgemäß viel näher dran sind, sondern sie erfassen seine Eigenschaften unvoreingenommen. Frische Erde riecht angenehm, sie lässt sich formen, fühlt sich gut an. Man kann sie auftürmen und Löcher in sie graben. Wenn sie feucht ist, gibt es fast nichts Schöneres, als sie zwischen den Zehen durchquatschen zu lassen. Und schließlich finden sich haufenweise spannende Bewohner im Untergrund: Asseln, Spinnen, Regenwürmer … – mysteriöse Geschöpfe aus einer verborgenen Welt.

Dieses Buch soll seinen Lesern wieder ein Stück Begeisterung für den Boden zurückgeben. Es soll die Schippe sein, mit der Sie und Sie und Sie sich ins Mysterium und in die Bedeutung des Bodens für das Leben auf dem Planeten hineinbuddeln können. Sie glauben, die Tiefsee wäre unerforscht? Die Rückseite des Mondes ein weißer Fleck? Der Kleiderschrank Ihrer Frau/Ihres Mannes eine unerforschte Welt? Dann schauen Sie einmal nach unten. Wenige Zentimeter von Ihrer Schuhsohle entfernt beginnt ein Kosmos, der so unglaublich fremdartig ist. Mit einem einzigartigen Klima. Mit Kreaturen, wie sie Ridley Scott nicht fantasievoller durch Raumschiffe hetzen könnte. Kriegsschauplätze gibt es da. Dramen. Chemielaboratorien, die eines Walter Whites würdig sind. Mit Bündnissen und gewaltigen Wanderungen, die Reisen der Zugvögel wie Kaffeefahrten aussehen lassen.

Mir selbst blieb zunächst nur das Buddeln. Zwar war Gartenarbeit für mich als Jugendlichen nicht mein Ding und Landwirtschaft etwas, um das sich die Verwandten kümmerten. Wenn Onkel Gerd und Cousin Christian vom Pflügen, Bodenpunkten und Mistfahren sprachen, hörte man eben in einem gewissen Alter nur mit halbem Ohr hin. Leider. Doch bei der Bundeswehr gehörte die Ausbildung zum Buddeln einfach dazu. Das Schanzen mit Erdarbeitsgerät ist seit Jahrtausenden grundlegendes Soldatenhandwerk. Die Römer taten es jeden Abend nach einem Tagesmarsch. Vielleicht nicht gerne, aber in jedem Fall sehr versiert. Stollen unter Mauern zu treiben, Gräben zu ziehen und natürlich Gefallene zu verscharren blieb auch die nächsten Jahrhunderte im Anforderungsportfolio eines jeden Kriegers. Vor allem im Ersten Weltkrieg wurde das Wühlen zum Sinnbild des Schreckens. Der Boden reduzierte sich auf Schutz und Grab.

Die Waffen mögen sich ändern, das Graben bleibt. Als ich meinen Wehrdienst ableistete, habe ich den bayerischen Boden um Bad Reichenhall verflucht. Die zähe Masse, die schwer und feucht am Klappspaten pappte. Der Lehm, der die Haut austrocknete. Die unzähligen Steine und Wurzeln, die einen daran hinderten, das Loch noch ein paar Zentimeter tiefer zu machen. Vor allem dachte ich: Wie kriege ich den Dreck je wieder aus der Uniform?

Der Dreck ging vorbei, genau wie der Wehrdienst, das Studium begann. Forstwissenschaften in Göttingen. Und auch hier wieder Buddeln. Denn wer denkt, der Förster sieht nur den Bäumen beim Wachsen zu, ist auf dem Holzweg. Der Untergrund ist entscheidend, ob der Wald so aussieht oder so. Der Wald ist quasi die Summe aus Boden, Luft, Wasser und Pflanze, und den Löwenanteil daran macht die Erde aus, auf der Fichte, Kiefer, Tanne, Buche, Esche oder Eiche stocken. Zu sehen und zu verstehen, wie alles ineinandergreift, einschließlich der historischen, wirtschaftlichen und sozialen Komponenten, war ein Erweckungserlebnis. Es hat klick gemacht. Ziemlich laut.

Und der sogenannte Lochschein fürs Vordiplom war ein wesentlicher Bestandteil davon. Denn nach der Vermittlung theoretischer Grundlagen der Geologie und Bodenkunde ging es ins Feld beziehungsweise in den Wald. Woche für Woche trafen wir uns in verschiedenen Waldgebieten, an verschiedenen Standorten, wie der Bodenkundler sagt, rund um Göttingen und gingen in den Untergrund. Allerdings stand vor der Wissenschaft der Schweiß. Denn um den Boden zu untersuchen, mussten wir Löcher graben – Einschläge nennt das der Bodenkundler. Mehr oder weniger viereckig, gut einen halben Meter tief, mit sauber abgestochenen senkrechten Flächen.

Dem Kundigen eröffnet sich an so einem Einschlag ein Buch, in dem er lesen kann. Selbst wir Studenten haben auf Anhieb die verschiedenen Schichten erkannt; der Blätterauflage folgte eine Humusschicht, dann Brauntöne. Manchmal war es zuerst eine dicke Schicht Nadeln, darunter wurde die Erde grau. Und an einigen Stellen lag lediglich eine durchgängige Menge fluffigen Mulls über dem Kalkstein.

Die Schichten verraten viel: über das Ausgangsgestein, ob es viel regnet, was oben wächst … Und für all die Eigenschaften haben Wissenschaftler eine wunderbare Sammlung von Fachausdrücken. Da charakterisieren Buchstabenkombinationen Bodentypen, und komplexe Gleichungen bilden die chemikalischen und physikalischen Prozesse dort unten ab. Einiges werde ich Ihnen als theoretisches Rüstzeug mitgeben. Versprochen.

Nüchtern betrachtet ist schnell aufgezählt, was in einem Boden steckt. Wer ein Kochrezept fürs Bodenbacken sucht – bitte: Praktischerweise hat Ihr Kuchen ein einfach zu handhabendes Maß von 100 mal 100 mal 100 Zentimetern. Man nehme also für einen Kubikmeter Boden 47 Prozent Mineralien, das heißt beispielsweise Silikate und Karbonate, würze das mit 3 Prozent organischem Material, also Pflanzenresten, Tierchen, Pilzhyphen, dazu reichlich 25 Prozent Wasser, und lasse in dem Würfel 25 Prozent Luft drin. Dann die Form zumachen und schütteln. Haben Sie jetzt einen Boden? Mitnichten. Sie haben die richtigen Zutaten, aber diese sind ohne Leben vermengt. Denn Boden ist mehr als nur die Summe seiner Teile.

Kein Wunder, dass sich Definitionen von Boden daran abarbeiten. So steht im Scheffer/Schachtschabel, dem Lehrbuch für Bodenkunde schlechthin: »Ein Boden ist Teil der belebten obersten Erdkruste; er ist nach unten durch festes oder lockeres Gestein, nach oben durch eine Vegetationsdecke bzw. die Atmosphäre begrenzt, während er zur Seite gleitend in benachbarte Böden übergeht.«

Das Bundesbodenschutzgesetz geht noch etwas weiter: »Boden im Sinne dieses Gesetzes ist die obere Schicht der Erdkruste, soweit sie Träger der in Absatz 2 genannten Bodenfunktionen ist, einschließlich der flüssigen Bestandteile (Bodenlösung) und der gasförmigen Bestandteile (Bodenluft), ohne Grundwasser und Gewässerbetten.« Zu den Funktionen gehört neben der Tatsache, dass Boden Lebensgrundlage für uns ist, auch, dass er »Abbau-, Ausgleichs- und Aufbaumedium für stoffliche Einwirkungen auf Grund der Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften, insbesondere auch zum Schutz des Grundwassers« darstellt. Zudem sei er Archiv für Kultur und Rohstofflagerstätte, »Ver- und Entsorgungsstätte«.

Doch beide Definitionen sind Beschreibungen, die nicht wirklich dem Boden gerecht werden. Auch ein Mensch kann anhand seiner chemischen Bestandteile, seiner Funktionen und Möglichkeiten beschrieben werden. Aber dabei fehlt immer das lebende Element. Genauso wie der Mensch keine Maschine ist, ist Boden nicht nur Substrat. Boden lebt, er atmet, indem Gase ein- und ausströmen, er schwitzt, trinkt, hat Durst. So wie wir bietet er unzähligen Lebewesen eine Heimat. Boden lässt sich aber auch unter Druck setzen, durch Chemikalien vergiften, töten, wenn man so will. Ja, auf seine Weise lebt Boden.

Das macht einen Teil seines Mysteriums aus.

Hinzu kommt, dass auch Berge von Papier, Terabyte an Daten und Heerscharen von Forschern eines nicht mit Sicherheit sagen können: was wirklich wenige Zentimeter vom Tageslicht entfernt abgeht. Denn der Boden ist eine verschlossene Kapsel mit eigenen Regeln, die wir nie beobachten können, weil sie just in dem Moment zerstört ist, in dem wir sie uns eröffnen. Sobald wir die Schaufel ansetzen, verletzen wir das Gefüge, stören die lichtscheuen Lebewesen, verändern die Grundbedingungen, nach denen das System arbeitet. Wir können uns dem Boden nur nähern. Zugegeben ziemlich gut.

Aber das hat eben Grenzen. Den Boden zu verstehen ist für uns schwierig, weil wir zu groß sind und übers Sehen funktionieren, und im Boden sind andere Sinne gefragt. Wir können fliegen und ahnen, wie sich ein Vogel fühlt. Wir können schwimmen und das Wasser spüren. Aber die Welt eines Springschwanzes, eines Maulwurfs bleibt uns fremd. Wir sind nicht mal als Gäste zu der unterirdischen Party zugelassen. Erst wenn der Mensch tot ist und auf dem Friedhof liegt, könnte er hautnah erleben, wie gut sich das Leben im Erdreich organisiert hat. Nur, erzählen wird niemand mehr davon.

Wenn Sie sich vorstellen möchten, wie sich Bodenlebewesen fühlen, schließen sie die Augen. Nehmen wir an, Sie sind ein Pseudoskorpion, einer der interessantesten Bewohner des Erdreichs. Außerdem haben sie zwei beeindruckende Scheren. Sie sind in einem großen Irrgarten, der nach oben, unten, rechts und links Öffnungen hat. Sie sehen nichts. Mal können Sie die Wände spüren, mal ahnen Sie regelrechte Hallen um sich herum. Von überallher stechen kleine und größere Wurzeln auf Ihren Weg ein. Und Sie horchen, fühlen und schmecken die Luft. Oder Sie wollen sich fühlen wie ein Regenwurm. Vielleicht ist dafür ein Bällebad eine gute Methode. Durch das Sie sich durcharbeiten. Natürlich ohne die Arme zu benutzen und in absoluter Finsternis.

Der Boden und seine Bewohner sind uns so fremd geworden. Früher, als die meisten Menschen noch Bauern waren, hatten sie zumindest einen engen Kontakt zur Erde. Auch wenn sie die Zusammenhänge zwischen guten Ernten und dem Umgang mit dem Acker nicht bis ins Detail verstanden haben.

Für uns heute ist Boden weit weg. Wir haben die allermeiste Zeit keinen Zugang. Unsere Wohnungen sind schon lange nicht mehr aus gestampftem Lehm, und auf dem Weg ins Büro gehen wir über eine künstliche Versiegelung der Erdkruste. Selbst das Gemüse im Supermarkt scheint ohne Erdreich gewachsen zu sein, so sauber ist es.

Um den Boden können wir ohne Probleme einen Bogen machen. Was schade ist, denn ohne Kontakt verlieren wir noch schneller das Gefühl für diesen Quell allen Lebens. Erde ist nicht tot, sie ist kein unbelebtes Ding wie eine Tischplatte, kein homogenes Material wie eine Fliese oder ein Stück Teppich. Sie ist auch nicht nur Schmutz. Sie ist eine dünne Kruste, die Leben spendet. Das vergessen wir heute viel zu schnell.

Die Menschen, deren Beruf die Auseinandersetzung mit dem Boden notwendig macht, sind zwar genauso wie diejenigen, die es in ihrer Freizeit tun, für sich genommen eine Minderheit. Doch was sie tun, berührt uns alle; sei es, dass sie Nahrung produzieren oder dass sie Straßen und Häuser bauen. Rund eine Million Menschen beackern in Deutschland berufsmäßig Felder und Wälder, dazu kommen Bodenkundler, Tiefbauer, Architekten, die alle wissen wollen, was unten abgeht. Und schließlich gibt es noch Hobbygärtner. Neben der rund einen Million, die in Kleingartenvereinen organisiert sind, noch ungezählte Gartenfreunde, für die Boden eine tiefere Bedeutung hat, anstatt bloße Standfläche zu sein. Das sind Menschen, die ihren Garten nicht nur zum Aufstellen einer Liege nutzen, sondern regelmäßig experimentieren und gestalten, um etwas zu ernten.

Auch für diejenigen, die sich die Hände nicht schmutzig machen wollen, bleibt der Dreck unter unseren Füßen das Fundament. Das Bild aus der Bibel trifft es ganz gut: Gott hat den Menschen aus Erde gemacht. Und am Schluss wird er wieder zu Erde. Im Grunde sind wir also richtige Bodenlebewesen.

TEIL I Von der Natur des Bodens

Kapitel 1 Am Anfang war kein Boden

»We learn Geology the morning after the earthquake.«

Ralph Waldo Emerson

Es war Herbst, das Meer rollte mit der ihm typischen Beharrlichkeit auf Islands Südküste zu. Welle um Welle. Grau, Blau, in Dutzenden Varianten mit weißen Krönchen. Das Land scherte sich nicht darum. So war es immer schon gewesen, und so würde es bleiben. Ebenso unbeeindruckt gingen die Männer an Bord des Fischerboots Ísleifur II an diesem Morgen ihrer Arbeit nach. Kristian Guðmundsson, Egill Egilsson und sein Bruder Kristian warteten auf den Fang, der ihnen ins Netz gehen würde. Sie ahnten nichts, als sie an jenem 14. November 1963 über die Reling blickten. Dieser Tag, der so unspektakulär angefangen hatte, ließ sie allerdings zu Zeugen der Erdgeschichte werden. Unaufgeregt deutete es sich an. Zunächst. Doch das Meer vor ihnen war anders als sonst. Sie kamen näher. Die See schien zu kochen, es zischte, dampfte, brodelte. Etwas Großes ging da unten vor. Etwas Unheimliches. Noch mehr als 500 Meter entfernt war die Luft spürbar wärmer als üblich. Wie das ferne Strahlen eines großen Feuers, eines verdammt großen Feuers. Und es schien kein Ende nehmen zu wollen.

Stunden später hatte das Feuer die Meeresoberfläche durchbrochen. Asche und Lava spuckten die Wellen aus. Immer höher. Mehr als sechs Kilometer ragte die Säule aus dem Erdinneren schließlich in den Himmel. Lud Ladung um Ladung ab, aus einem rauchenden Punkt im Meer wurde eine Insel – und ein Modell für die Evolution eines Lebensraums.

»Surtsey« wurde das Eiland genannt, nach Surtur dem Schwarzen aus der nordischen Mythologie, der entschiedener Feind der Götter und Herrscher von Muspelheim war. Ein Feuerriese. Und genau der schien hier am Werk zu sein. Statt zu einer geologischen Fußnote zu werden, weigerte sich Surtsey beharrlich, wieder unterzugehen. Die Fischer rieben sich die Augen. So etwas hatten sie noch nie gesehen und würden so etwas hoffentlich auch nicht wiedersehen. Sie drehten bei.

So ungewöhnlich es für die Fischer auch gewesen sein mag – mit Vulkanen und unruhigem Untergrund hatten die Isländer schon immer ihre Erfahrung machen können. Die ganze Insel ist von den Feuerbergen geprägt. Immer wieder kommt es zu Ausbrüchen, heiße Quellen gehören beinahe zum Alltag. Auch Surtsey ist nicht ganz unerwartet erschienen; zwei Tage vorher hatte sich die Öffnung der Hölle bereits angedeutet; die Bewohner des Dorfes Vík in Mýrdal, unweit von Surtsey, bemerkten einen eigentümlichen Geruch von See her. Es roch nach Schwefel und verhieß nichts Gutes. Besser man blieb wachsam. Und 48 Stunden später war bereits eine zehn Meter hohe Insel dort, wo eben noch Meer hin und her schaukelte.

Auch für die berufsmäßig an solchen Naturerscheinungen Interessierten war es etwas Besonderes. In der globalen Wissenschaftsgemeinde verbreitete sich die Nachricht binnen Stunden. Schon bald umkreisten Flugzeuge und Schiffe die neue Insel, war es doch die erste und beste Gelegenheit, so etwas in Echtzeit mitzuerleben. Vulkanologen, Botaniker, Zoologen … alle waren sie aus dem Häuschen, konnten sie doch hier live miterleben, wie eine neue Welt Gestalt annahm. Ein ungeplantes Freiluftexperiment mit ungewissem Ausgang begann. Die Forscher mussten nichts weiter tun, als die Augen offen zu halten.

Es lohnte sich, die Insel fortan akribisch zu beobachten. Wie würde der Auswurf des Feuerriesen sich entwickeln? Wie würde die Insel aussehen? Pate war das Meer. Praktisch ab dem Moment ihrer Geburt trug es alles Notwendige für das Leben auf Surtsey heran: Sand, Pflanzenreste, Mikroben, selbst mehrzellige Bewohner brachte die See. Was sonst versunken oder weiter abgetrieben wäre, schaukelte jetzt an das noch junge, heiße Gestein. Es zischte, bis die Oberfläche kühl genug für das Leben war. Schnell entwickelte sich aus dem sterilen Untergrund eine Art Protoboden, die Grundlage allen Lebens. Surtseys Karriere als lebensfeindlicher Haufen war kurz und schnell wieder zu Ende. Bereits 1965 klammerten sich erste höhere Pflanzen an das erkaltete Gestein.

Heute, mehr als 50 Jahre später, ist Surtsey immer noch komplett unter Beobachtung. Immer noch verändert sich das Eiland. Es ist immer noch ein unwirtlicher Ort, an dem verschiedene Grautöne und harte Linien das Bild bestimmen. Und auch wenn es nur ein Katzensprung von Island aus ist, waren doch weniger Menschen auf Surtsey als auf dem Mount Everest. Nicht einmal hundert sollen ihren Fuß seit der Entstehung daraufgesetzt haben. Schon 1965 wurde Surtsey zum Naturschutzgebiet erklärt. Außer einer begrenzten Zahl von Forschern darf niemand die Insel betreten. Dieses einzigartige Labor der Natur soll möglichst unverfälscht bleiben.

Ähnlich wie auf Surtsey lässt sich das Wachsen einer Bodenkrume auch auf und in der Nachbarschaft von anderen Vulkanen beobachten. Nach einer Katastrophe, bei der Lava und Asche alles unter sich ersticken, nachdem Explosionen und pyroklastische Ströme die Ökosysteme nahezu sterilisiert haben, erhält die Natur einen regelrechten Schubs. Aus leblosem Material wird etwas Lebendiges. Etwas sehr Lebendiges, und seit alters her sind die fruchtbaren Böden an den Hängen der Feuerberge bei Bauern eine beliebte Wachstumsgrundlage. Der Grund dafür ist einfach: Was das Erdinnere ausgespien hat, ist extrem reich an Mineralien, die so wichtige Nährelemente wie Natrium, Kalium und Phosphor enthalten.1 Zudem hat das Material oft eine besondere Struktur, in der Pflanzen gut wurzeln können. Deswegen nehmen Bauern das Risiko immer wieder in Kauf, dass ihnen ein Vulkan beim nächsten Ausbruch die Früchte ihrer Arbeit wieder wegnimmt.

Beispiele gibt es zuhauf. Der Vesuv bei Neapel ist nicht nur ein Killer, der bei seinem legendären Ausbruch im Jahr 79 nach Christus Pompeji und Herculaneum vernichtet hat. Er wirkt auch als Lebensspender, im Grunde ist diese Ecke Italiens nämlich eher unfruchtbar. Doch die zahlreichen Ausbrüche haben die Bedingungen für Landwirtschaft extrem verbessert. Wein und Gemüse wurden bereits seit der Antike dort angebaut. Auf Fresken, die in den verschütteten Städten gefunden wurden, zeigt sich, dass der Vulkan fast bis zum Gipfel mit Weinreben und Pinien bewachsen war.

Auch Lanzarote zeigt, dass das Zerstörerische schöpferisch sein kann. Auf der Vulkaninsel im Atlantik haben seit 36 Millionen Jahren Eruptionen immer mehr Lava, Asche und Schlacke angehäuft und ihr eine überaus markante Landschaft beschert. Eine der Spezialitäten Lanzarotes ist der Weinbau auf kleinen Steinchen, den Lapilli. Das sind zersprengte Reste von Vulkanausbrüchen. Und die feinporigen Asche- und Schlackesteinchen können Wärme, die sie während des Tages gespeichert haben, wieder abgeben und im Gegenzug nachts Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen. Ein klarer Standortvorteil auf der ansonsten recht trockenen Insel.

Auch die junge Erde war im Wesentlichen eine Ansammlung von Vulkanen, von Lavaseen, geschmolzenem Fels. Unterm Strich eine ziemlich lebensfeindliche Landschaft, die nicht im Traum an das hübsche blau-grüne Plätzchen denken ließ, das unser Planet heute ist.

Allein diese Erkenntnis ist im Verhältnis zur Erdgeschichte keinen Wimpernschlag alt. Jahrhundertelang waren die unermesslich großen Zeiträume, in denen das Facelifting der Erde abläuft, schlicht nicht vorstellbar. Und ehrlich gesagt sind sie es noch heute kaum. Wer kann sich denn ausmalen, was es bedeutet, eine Million Jahre lang zu warten? Eine Stunde, ja. Ein Jahr, okay. Doch schon 100 Jahre fallen fast aus unserem Horizont. Erdgeschichtliche Zeitalter aber sind außerhalb unserer Vorstellungskraft. Warum auch? Evolutionär betrachtet ist alles, was jenseits einer Generation liegt, für uns als Einzelne nahezu irrelevant. Der menschliche Verstand ist eben nicht dafür gemacht, in langen, in wirklich langen Zeiträumen zu denken.

Nimmt man 30 Jahre für eine Generation, dann ist die Eroberung Jerusalems durch ein Kreuzfahrerheer im Jahr 1099 gerade einmal 30 Generationen her, das heißt, unsere eigenen Ururururururururururururururururururururururururururururururgroßväter könnten seinerzeit in der Sonne Palästinas geschwitzt und sich wieder in die erträgliche Kühle zwischen Nordsee und Alpen gesehnt haben. Das ist schwer vorstellbar und schon recht unübersichtlich, nicht? Noch einmal ungefähr 30 Generationen ist es her, dass im selben Landstrich Jesus mit dem römischen Imperium aneinandergeriet. Und bereits mehr als 2300 Generationen mussten leben und sterben, seitdem der Mensch vor 70000 Jahren aus den Savannen Ostafrikas zu seiner großen Welttournee aufgebrochen ist.

Aber das ist noch nichts im Vergleich zu den Zeiträumen, die es beispielsweise braucht, um biologische Innovationen wie Flügel, Beine, ein großes Gehirn voranzutreiben oder aus umhervagabundierenden Elementen komplexes Leben zusammenzusetzen; und gar für die Erde, ihre Kontinente hin- und herzuschieben oder jene Böden bereitzustellen, in denen heute unsere Erdbeeren oder Rosen gedeihen. Daran, wie die Erdoberfläche so geworden ist, wie wir sie kennen, haben Menschen lange geknobelt. Denn das Gestein ist gleichsam der Grundstoff, auf dem Böden aufgebaut sind. Die Elemente, die Art der Minerale und die Zusammensetzung der Gesteine sind entscheidend für den Charakter eines Bodens. Und es dauert, bis aus nacktem Fels fruchtbare Erde entstanden ist.

»Ewigkeit ist, wenn man versucht, den Himalaya abzutragen, indem man mit einem Gazeschleier alle zehntausend Jahre einmal über ihn darüberstreicht«, heißt es in einem asiatischen Sprichwort. Das ist verdammt lang und wenig hilfreich. Ein gängiges und anschaulicheres Mittel ist es, die Zeit auf ein Modell zu übertragen, einen 24-Stunden-Tag beispielsweise. Danach passierte die ersten neun Stunden in Sachen Leben nichts, daran änderte sich weitere zwölf Stunden nicht viel. Doch immerhin hatten sich bis dahin erste Vielzeller entwickelt. Das heißt, aus herumflottierenden Kohlenstoffmolekülen organisierte sich Leben und begann, die Evolutionsleiter emporzuklettern. Fische sind nach zwei weiteren Stunden aufgetaucht, die ersten Urmenschen zehn Minuten vor Mitternacht. Unsere Spezies, den Homo sapiens, gibt es erst seit den letzten zwei Sekunden. Und unsere Kultur ist nicht mal einen Wimpernschlag lang im Vergleich zum Alter der Erde. Auf diese Weise wird unsere Geschichte im Vergleich zur Erdgeschichte bedeutungslos. Anders ausgedrückt: 150000000 Menschengenerationen sind seit der Entstehung unserer Welt vergangen. Und wir überblicken bestenfalls die letzten paar Tausend.

Es ist kein Wunder, dass sich niemand bis in jüngste Zeit mit seinen Schätzungen über das Alter der Erde auch nur annähernd dem tatsächlichen Alter näherte. Und weil wir beim Gedanken an erdgeschichtliche Zeiträume schnell Knoten in die Gehirnwindungen bekommen, haben unsere Schöpfungsmythen schon allein in Sachen Dauer des ganzen göttlichen Gebastels die eine oder andere Schwachstelle. Die Geschichte der Erde und ihrer Geologie ist damit noch verwirrender als die Geologie selbst. Zu langsam geschieht alles in unserem Maßstab. Meistens.

Dabei ist die Frage nach dem Alter der Erde wichtig, wenn man der Antwort näher kommen will, wie die Erde überhaupt zu dem wurde, was sie ist. Im 17. Jahrhundert glaubte man es denn auch genau zu wissen, wann die Welt ihren Anfang genommen hatte: »Dieses Werk fand statt, und der Mensch wurde von der Dreifaltigkeit erschaffen am 23. Oktober 4004 vor Christus um neun Uhr am Morgen.« Das behauptete zumindest der irische Theologieprofessor James Ussher. 1650 hatte er für die Schöpfung einen recht genauen Hergang errechnet. Es war ein Sonntag, war sich Ussher sicher. James Ussher kam bei seinen Überlegungen auf 4004 Jahre vor der Zeitenwende, weil er davon ausging, dass Jesus eben nicht im Jahr null, sondern vier Jahre früher geboren wurde. Und was das Oktober-Datum (nach julianischem Kalender) betrifft, eine Berechnung, die scheinbar auf Wissenschaft fußte, so hätte er genauso gut irgendein anderes Datum annehmen können.

So seltsam heute diese Präzision anmutet, so gang und gäbe war sie doch. Eine ganze Reihe von klugen Köpfen seit dem heiligen Beda im frühen Mittelalter kam mehr oder weniger auf ein Alter der Erde von 6000 Jahren. Ussher und seine Kollegen hatten einfach die Bibel wörtlich genommen, nicht als Kanon willkürlich zusammengefügter Texte, als immer wieder übersetzter und veränderter Quell religiöser Unterweisungen und Beispiele gottgefälligen Tuns, sondern für sie war sie schlicht das Wort Gottes. Da man dem Schöpfer keinen Fehler zutraute, konnte man die Daten guten Gewissens übernehmen. Beispielsweise wurden die exakt verzeichneten Altersangaben von Adam bis Salomon addiert, schließlich andere Daten aus persischen und römischen Quellen sozusagen als Pflöcke in ihrer Zeitskala benutzt, und so hangelte man sich immer weiter in die Vergangenheit. Doch die Schwächen lagen auf der Hand. Wie wahrscheinlich muss es einem klugen Menschen vorgekommen sein, dass selbst ein mit bester Gesundheit gesegneter Mann wie Methusalem, der mit 187 Jahren noch Vaterfreuden erlebte, wirklich 969 Jahre alt wurde?

Allein die verschiedenen Bibelversionen machten das Ganze zu einem Ratespiel. Die Septuaginta genannte Fassung etwa gilt als älteste griechische Übersetzung der hebräischen Thora. Und mit ihr kamen Gelehrte in der Antike auf das Jahr 5508 vor Christus als Nullpunkt der Schöpfung.2

Natürlich gab es auch kritische Stimmen, doch war es nicht unbedingt die Epoche, die Bibel als historische Quelle in Zweifel zu ziehen. Und warum auch? Es passte doch. Irgendwie.

Die Zeitrechnung war von alters her eine verwirrende Angelegenheit. Zumal sie für die meisten Menschen keine Bedeutung hatte, zählte für sie doch im Wesentlichen, dass es neben einer kalten eine warme Jahreszeit gab.

Rund ein Menschenalter nach Ussher stellte Sir Isaac Newton seine eigene Berechnung vor, bei der er Bibeldaten und astronomische Daten miteinander verband. Schließlich war er ein Mann der Wissenschaft. Und, wie sollte es anders sein, auch der geniale Gelehrte lag sehr, sehr, sehr weit daneben. Seine Erde war sogar noch mehr als 500 Jahre jünger als die von Ussher.

Und weil schon die Zeit so schwer fassbar war, wie sollte man mit dem scheinbaren Wirrwarr in der Landschaft umgehen – den gestürzten Gesteinsschichten, den Wellen im Fels und dem Nebeneinander von Mineralien? Einfache Erklärungen waren angesagt. Wie anders konnten Fossilien von Muscheln gedeutet werden, die auf Bergen zu finden waren, als mit einer gewaltigen Flut? Eben jener Sintflut, von der die Bibel doch so eindringlich berichtete. Nichts ist einfacher, als sich einen Schöpfer vorzustellen, der wie ein Uhrmacher in seiner Kammer sitzt und die Welt zusammenfügt; einschließlich versteinerter Knochen, Berggipfel, Meere und dem uns umgebenden Bestiarium.

Mehr als 2000 Jahre lang fragten sich Menschen, wie die Erde zu ihrem Gesicht kam. Immer wieder waren dabei Einzelne der Lösung des Rätsels ein Stück näher gekommen. Einer der frühen Beobachter war der Grieche Xenophanes von Kolophon. Er vermutete, dass versteinerte Muscheln sich deswegen im Gebirge finden lassen, weil die Berge sich einst aus dem Wasser erhoben hatten. Sein vielversprechender Ansatz ist allerdings wieder in der Versenkung verschwunden.

Natürlich äußerte sich Aristoteles zum Thema. Wie ohnehin zu fast allem. Der Grieche vermutete, Minerale und Metalle seien Ausdünstungen der Erde. Punkt. Zum Leben hatte er auch seine Ideen; es könnte aus feuchter Erde entstanden sein. Immerhin habe sich dieses niedere Leben dann zu höherem Leben weiterentwickelt. Seine Theorie der Urzeugung hatte noch im 19. Jahrhundert ihre Anhänger.

Auch der persische Universalgelehrte Ibn Sina (latinisiert als Avicenna bekannt) hat sich im 11. Jahrhundert zur Geologie geäußert. In seinem Kitab es-Schifa, dem Buch des Heilmittels, schreibt er über die Entstehung von Steinen. Sie könnten das Produkt einer Erstarrung oder einer Austrocknung sein. Sein Ansatz war ein anderer als der vieler griechischer Naturkundler: Statt ein Problem theoretisch zu zerpflücken, beobachtete er und zog dann seine Schlussfolgerungen. In seiner Jugend habe er an einem Fluss gesehen, wie aus Lehm binnen 23 Jahren Stein wurde. Seiner Ansicht nach gab es zwei Arten, wie Berge entstehen. Entweder durch Erdbeben, die das Gestein emporheben und verwerfen. Oder durch Wasser, das gleichermaßen die Berge aus der Oberfläche herausschälte. Notwendig sei dafür aber ein langer Zeitraum, so vermutete Ibn Sina.

Doch wirklichen Erkenntnisgewinn gab es seit der Antike kaum. Grundsätzlich war man sich einig: Alles Inventar des Planeten war seit Anfang an da und bereit, genutzt zu werden. Erst mit der Neuzeit kam langsam Bewegung in die Sache. Ein Sachse gilt dabei als Vater der Geowissenschaften. Georgius Agricola, der eigentlich Georg Pawer hieß, versammelte das Wissen um die Geologie in seinen Werken. Damit schuf er quasi das Fundament für die nächsten Jahrhunderte. In Büchern wie De ortu et causis subterraneorum in fünf Bänden oder