Der Brotdoc: Heimatbrote - Björn Hollensteiner - E-Book

Der Brotdoc: Heimatbrote E-Book

Björn Hollensteiner

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Beschreibung

Nach dem Erfolg seines ersten Buches legt Dr. med. Björn Hollensteiner alias Der Brotdoc nach. Nachdem es im Vorgänger um die ersten Schritte beim Brotbacken und die gesundheitlichen Aspekte geht, widmet sich das neue Buch traditionellen Broten aus deutschsprachigen Regionen. Was bleibt, sind verständliche Anleitungen für gelingsichere Ergebnisse. Selbst gebackenes Brot wie früher – mehr Heimat geht nicht!

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Seitenzahl: 216

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Dr. med. Björn Hollensteiner

Fotografie: Julia Hildebrand

DER BROTDOC

Heimatbrote

Traditionsreiche Brote aus dem eigenen Ofen

Mit Sauerteig, Vorteig & Co.

INHALT

Vorwort

I. Theorie

Heimat- & Traditionsbrote

Was sind Traditions- und Heimatbrote?

Geschichte des Brotbackens

Ursprünge des Brotbackens

Die Industriealisierungszeit in der Bäckerei

Die deutsche Brotkultur heute und in der Zukunft

Traditionsbrote selbst backen

Die Hauptzutaten

Die Nebenzutaten

Technisches Zubehör

Das Wichtigste zum Thema Teig

Die Arbeitsschritte – Brotbacken Step by Step

Hinweise zu den Rezepten

II. Rezepte

Weizenmisch- & Weizenbrote

Roggenmisch- & Roggenbrote

Kleingebäck & Brötchen

III. Anhang

Dank an Hersteller

Über den Autor/Über die Fotografin

Rezeptregister

Quellenangaben

Danksagungen

VORWORT

Die Idee zu diesem Buch wächst in meinem Kopf schon seit fast zehn Jahren. Zu Beginn habe ich vor allem deshalb selbst Brot gebacken, weil ich mich nach dem Geschmack jener Brotsorten sehnte, die ich aus meiner Kindheit oder von Reisen her kannte. Brotsorten, die es in der Nähe entweder nicht zu kaufen gab oder deren Qualität nicht mehr so war wie früher.

Es begann mit dem französischen Baguette. Das Nachbacken von traditionellen Rezepten für Baguette führte mich auf die Fährte mir bislang unbekannter Backmethoden und Rezepten, die mit Vorteigen, Sauerteigen und langer Teigführung mit geringen Triebmittelmengen und natürlichen Rohstoffen arbeiteten. Ich fand heraus, dass in der modernen Bäckerei die traditionelle Herstellungsweise oft verlassen wurde. Aus ökonomischen Gründen kommen lebensmittelchemische Zusätze, künstliche Teigsäuerungsmittel und hohe Triebmittelmengen zum Einsatz. Das lieferte eine schlüssige Erklärung, warum sich der Geschmack der Backwaren in den fünf Jahrzehnten meines Lebens wahrscheinlich nicht nur gefühlt verändert hat. Die Versuche, meine persönlichen Lieblingsbrote aus der Kindheit mit traditionellen Methoden nachzubacken, führten nach kurzer Zeit zum Erfolg. Als Westfale wuchs ich in den 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit Paderborner Landbrot, Kasseler, Bauernstuten und Schwarzbrot auf. Rezepte zu diesen Broten habe ich in den ersten Jahren meiner Bloggertätigkeit häufiger veröffentlicht und sie zählen noch immer zu den beliebtesten Beiträgen auf meiner Seite.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es vielen anderen Menschen auch so geht wie mir. Sie wünschen sich wieder ein Brot, wie sie es aus ihrer Kindheit und Jugend kennen. Für solche Menschen habe ich dieses Buch geschrieben. Nehmen Sie das Heft einfach selbst in die Hand! Dieses Buch bietet Ihnen viele Rezepte für traditionelle Brote und Brötchen, die womöglich Ihre Eltern und Großeltern schon verzehrt haben. Brotsorten aus allen Ecken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz warten darauf, von Ihnen entdeckt und nachgebacken zu werden.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Backen der Traditionsbrote und -brötchen und noch viel mehr Genuss beim Verzehr!

Dr. Björn Hollensteiner

HEIMAT- &

Traditionsbrote

WAS SIND TRADITIONS- UND HEIMATBROTE ?

Traditions- und Heimatbrote sind für meine Begriffe Brotsorten, die es schon lange gibt. Zumindest zwei bis drei Generationen dürften diese Sorten schon kennen. Sie sollten einen gewissen regionalen Charakter haben, eine regionale Entstehungsgeschichte aufweisen oder an ein Brauchtum geknüpft sein. Solche Brote wecken bei vielen Menschen Erinnerungen an die Kindheit, an Reisen oder an besondere Ereignisse in ihrem Leben.

Der Geschmackssinn ist eine unterschätzte Komponente des menschlichen Gedächtnisses, ähnlich dem Geruchssinn. Beide Sinne wecken nach meiner Erfahrung unterbewusstere Erinnerungsstrukturen als das Sehen und Hören. Sie setzen mit der Erinnerung verbundene Gefühle frei, an die wir uns ohne diese Sinne nicht so intensiv erinnern würden.

Nicht selten sind diese Brotsorten nicht mehr oder nicht mehr in der erinnerten Qualität im Handel verfügbar. Sie mussten Rezeptneuschöpfungen und Trendbrotsorten weichen. Bei anderen wurde die Herstellung rationalisiert, indem die alten Rezepte zugunsten vermeintlich wirtschaftlich günstigerer Produktionsmethoden verlassen wurden. Beispielsweise durch Einsatz von Teigsäuerungsmitteln oder Fertigsauerteig.

Brot aus Deutschland und dem deutschsprachigen Raum genießt dennoch auf der ganzen Welt einen hervorragenden Ruf – und das nicht ohne Grund. Die auch heute noch verfügbare Brotvielfalt mit an die 3200 eingetragenen Brot- und Kleingebäcksorten ist weltweit unerreicht und wurde deswegen von der UNESCO zum »immateriellen Weltkulturerbe« ernannt.

Bei aller berechtigten Kritik an der Zunahme von industriellen und industriell anmutenden Prozessen bei der Brotherstellung gibt es noch an vielen Orten traditionelle Sorten und Herstellungsweisen. Im deutschsprachigen Raum kam es nie zu einem breitflächigen Verschwinden kleiner, lokaler Bäckereien und deren weitgehendem Ersatz durch industrielle Brotproduktion, wie es in anderen europäischen Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschah. Zudem sind Sorten erhalten geblieben, die auf eine lange Geschichte zurückblicken und die es so nur im deutschsprachigen Raum gibt.

Grundsätzlich ist es auch heute noch so, dass Bäckereien einen gewissen Grundstock an Brotsorten in ihrem Sortiment behalten haben, den es dort schon viele Jahre oder Jahrzehnte gibt. Die Stammkundschaft hat sich an bestimmte Sorten gewöhnt und bemerkt qualitative Schwankungen. Dennoch gibt es unter vielen Menschen das unbestimmte Gefühl, dass die Brote nicht mehr wie früher schmecken.

Bei Traditionsbroten sollte vollständig auf moderne, lebensmittelchemische Backmittel oder Vormischungen verzichtet werden. Diese sind unnötig, denn die Brote konnten schon in guter Qualität hergestellt werden, bevor es diese Hilfsmittel gab. In Traditionsbrote gehören nur jene Zutaten, die die Natur hervorbringt oder die durch wenige technische Verarbeitungsschritte aus Naturprodukten entstanden sind wie zum Beispiel Malz. Zum Einsatz kommen nur Natursauerteige, die vor der Teigherstellung ausreichend Zeit zur Reifung hatten.

Qualität und Gelingen dieser Brotsorten sind von Erfahrung und Können des Bäckers abhängig, der sich an die Bedingungen täglich neu anpassen kann. Der Konsument schmeckt den Unterschied und wahrscheinlich verträgt er das natürliche und backmittelfrei hergestellte Brot auch besser. Die traditionelle Herstellungsweise von Brot befindet sich auch im Profibereich glücklicherweise wieder im Aufwind. Der Wunsch nach natürlichen und naturbelassenen Lebensmitteln wird auch in den Backstuben der Profis zunehmend verstanden und zum Anlass genommen, wieder nach alten Rezepten zu backen.

WARUM EIN BUCH ÜBER TRADITIONSBROTE?

Es ist an der Zeit zurückzublicken, wie unser Brot früher gemacht wurde. Einen Schritt zurückzutreten und zu rekapitulieren, ob alle Innovationen der letzten 40 Jahre in den Bäckereien wirklich eine Verbesserung gebracht haben. Als Hausarzt muss ich darauf leider eine negative Antwort geben. In den Sprechstunden meiner Kollegen und mir häufen sich die Fälle von Menschen, die Brot schlechter vertragen als früher. Das kann nicht nur mit den Lebensumständen der Bevölkerung zu tun haben.

Es ist zu beobachten, dass die Beschwerden dieser Menschen in vielen Fällen deutlich zurückgehen, wenn sie die Brotherstellung selbst in die Hand nehmen und nach traditionellen Rezepten backen. Oder wenn sie das Glück haben, bei einer Bäckerei einkaufen zu können, die ebenfalls noch traditionelles Brot anbietet.

Unter den Hobbybäckern ist in den letzten Jahren auch ein Trend entstanden, sich technisch »anspruchsvolleren« Weizenbrotsorten zuzuwenden, deren Herstellung in vielen Fällen nur durch Verwendung von Hochleistungs-Mahlprodukten wie Manitobamehl möglich ist. Die dabei angewandten Techniken und Arbeitsschritte sind spannend, interessant und stellen eine Herausforderung dar, sind aber im Grunde nichts Neues. Eine neue Spielart eines alten Geschäfts. Denn es ist keineswegs banal, ein Kasseler Landbrot in optimaler Qualität zu backen, und noch viel anspruchsvoller, ein Roggenschrot- oder Vollkornbrot ohne Backfehler herzustellen.

Dieses Buch ist ausdrücklich kein Appell zu einer Rückwärtsgewandtheit und gegen Innovationen in deutschen Backstuben und Küchen, sondern ein Versuch, das Gute und Bewährte vergangener Zeiten zu bewahren und den Leserinnen und Lesern wieder bewusst zu machen. Dieses Buch soll einen kleinen Teil dazu beitragen, damit manche Brotsorten nicht irgendwann verschwunden sind.

WOHER STAMMEN DIE REZEPTE?

Authentische Rezepte für solche Brotsorten sind nicht leicht zu finden. Sie werden von den meisten Profis verständlicherweise als Betriebsgeheimnis betrachtet und gut gehütet. Manche haben solche Rezepte auch gar nicht mehr. Während meiner Recherchen und Anfragen im Profibereich stieß ich nicht nur einmal auf eine zwar freundliche, aber dennoch klare Zurückweisung meiner Bitte um Rezeptbeispiele.

In gewissen Grenzen ist das nachvollziehbar. Aber gerade in Zeiten, in denen Transparenz und Authentizität ein wichtiges Auswahlkriterium für Kunden geworden sind, ist es auch sehr kontraproduktiv. Was wäre einfacher als die Preisgabe eines Rezeptes, um nachzuweisen, dass das eigene Produkt »sauber« ist und man es ehrlich meint? Einer der wichtigsten Gründe für den Boom beim Heimbacken ist schließlich die echte oder gefühlte Intransparenz in den Bäckereien.

Schwäbisches Albbrot

Brotrezepte aus dem Mittelalter sind zum Teil zwar überliefert, aber aufgrund der oft fehlenden genauen Mengenangaben und Zutatenbeschreibungen nur schwer zu reproduzieren. Mehle und andere Zutaten sind zudem heute qualitativ nicht mit jenen vergleichbar, die damals verwendet wurden. In antiquarischen Rezeptbüchern aus dem frühen 20. Jahrhundert ist es schon wahrscheinlicher, Rezepte und rezeptartige Beschreibungen zu bestimmten Brotsorten zu finden. Allerdings sind diese in einem anderen Stil verfasst, als es heute üblich ist. Ein gutes Beispiel findet sich im Rezeptbuch des Duisburger Bäckers Georg Schöllgen aus dem Jahr 1920. Dort fasst er unter der Bezeichnung »Sauerbrot auch wohl Graubrot oder Paderbornerbrot genannt« Rezepte von damals üblichen und beliebten Brotsorten im »Industriegebiet« (Ruhrgebiet) zusammen.

»Ein kluger Bäckermeister passt seine Ware immer dem Geschmack seiner Kundschaft an. Nur sind diese Geschmäcke aber sehr verschieden. In einem großen Teile der Rheingegend wird Graubrot fast nur mit Hefe hergestellt. In Westfalen benutzt man zu diesem Sauerteig. Aber es gibt auch dort Gegenden, wo dem Vollsauer etwas Hefe zugesetzt wird. Hefenbrot wird aber leicht trocken und schmeckt dann fade. Auch Brot von Sauerteig und Hefe wird schneller trocken als Brot, welches nur mit Sauerteig hergestellt wird.

Elsässer Bauernbrot

Paderborner, Oehnhauser [sic], Salzkottener, Warburger und auch Waldecker Brot, das in Waggonladungen ins Industriegebiet kommt, und daher erst am dritten oder vierten Tage zum Verkauf kommen kann, ist immer saftig, weil es ausschließlich nur mit Sauerteig gebacken wird. Es kommt ja auch auf den Zusatz von Weizenmehl an. Dieser Zusatz ist immer wieder von den Preisen beider Mehlarten abhängig. 10–20 % Weizenmehl-Zusatz zu Sauerbrot genügt. Es gibt aber auch Bäckereien, in denen nur Roggenmehl zu Sauerbrot verwendet wird, und diese haben auch ihre Abnehmer. Bei einem mit richtig geführtem Sauer hergestellten Roggenbrot (70 % Ausmahlung), auch wenn noch 5 Prozent Weizenmehl zugesetzt sind, duftet uns, wenn geschnitten, ein herrliches Brot-Aroma entgegen. Es kommt aber auf einen richtigen Sauer an, natürlich muss auch das Roggenmehl beste Ware sein. Auch ist ein schnelles Anbacken und ein kurzes scharfes Ausbacken zu einem schmackhaften Brot erforderlich. Ein Zusatz von ½ Pfd. Milliose auf 200 Pfd. Mehl gerechnet, in den Vollsauer lässt bei richtiger Verhandlung das Brot niemals im Geschmack sauer erscheinen. Ebenso sind 3 % Millifarin oder Secafarin ein so großer Vorteil für den Bäcker, den ich schon bei Vollkornbrot hervorgehoben habe.

Alles was oben gesagt ist, gilt bei freigeschobenem (Casseler) Brot. 20–30 Prozent Weizenmehl-Zusatz ist aber erforderlich. Oben genannte Backhilfsmittel wirken sich bei diesem Brot noch besser aus, weil der Teig weicher gehalten wird. Auch ist ebenso ein kurzes scharfes An- und Ausbacken zu einem guten Brot die Hauptbedingung.« (Schöllgen, 1920)

Das ist alles. Keine genauen Zutatenmengen, keine Angaben zur Teigausbeute oder zur Salzmenge. Keine Angaben zur Sauerteigführung oder zu üblichen Reifezeiten. Solche Dinge wurden in den Betrieben wohl individuell anders gehandhabt und waren dem Autor offenbar nicht der Erwähnung wert. Die im Text genannten Backhilfsmittel »Milliose« und »Millifarin« und »Secafarin« waren Produkte des Backmittelherstellers IREKS, den es heute noch gibt. Es handelt sich um Malzbackmittel und Quellmehle, die die Wasseraufnahme unterstützten und damit die Krumen saftiger machten. Andere Rezepte in vorgenanntem Buch enthalten zumindest genauere Angaben zu den Zutatenmengen und ungefähren Herstellungsschritten und Reifezeiten:

»Rheinisches Schwarzbrot. (Für 10 Backkästen der Firma Wülbern)

Es ist erforderlich ca. 130 Pfd. groben Roggenschrot. 5 Stunden vor dem Teigmachen werden 10 Liter lauw. Wasser und 5 Pfd. Sauerteig angesetzt. Dieser Ansatz wird nach 2 Stunden mit 4 l. lauwarmem Wasser aufgefrischt. Beim Teigmachen setze man 1 Pfd. Salz zu. Das erforderliche Wasser nehme man lauwarm. Den Teig lasse man nach Fertigstellung ¼ Std. liegen, bevor man mit dem Aufmachen der Brote beginnt. Die Teigeinlage beträgt für jede Form 6,3 Pfd. Das Brot wird mit einem dazu passenden Brettchen in der Form beigedrückt. Wenn die Brote etwas gegährt [sic] sind, drehe man den Kasten herum, sodaß dieser auf der Deckelleiste ruht und lasse denselben so 15–20 Minuten liegen. Alsdann drehe man denselben wieder herum. Wenn die Brote genug gegährt [sic] sind, kommen die Kästen in den Ofen. Die Außenseite der Kästen setzte man mit nassen Brettern ab. Die Backzeit beträgt ca. 4 ½ Stunden bei 180–190 Grad. […] Die Brote kühl und luftig, wenn möglich im Keller aufbewahren. Dieses Brot bleibt lange frisch und saftig.« (Schöllgen, 1920)

Bauernmädchen mit Pumpernickel um 1920

Auch hier wieder kaum Angaben zur Sauerteigführung und keine Angaben zur Teigausbeute oder zum Vorgehen beim Teigkneten. Doch zumindest kann aus diesen Angaben mit etwas Aufwand ein den heutigen Bedürfnissen entsprechendes Rezept errechnet werden. Ich schließe aus den eher spärlichen Angaben, dass damals noch die Erfahrung des Bäckers über eine möglichst präzise Rezeptbeschreibung gestellt wurde. Brotbacken ist eine Tätigkeit, bei der der Backende flexibel auf den Zustand des Teiges reagieren muss. Zu ausführlich und detailliert formulierte Rezepte verführen deren Nutzer dazu, sich in Zeitangaben und Vorgehensbeschreibungen zu verbeißen, anstatt sich nach dem Teig und seinem Zustand zu richten und dabei ihrem natürlichen »Bauchgefühl« zu vertrauen.

Dennoch kommen heutige Rezeptautoren nicht um eine präzisere Formulierung herum. Eine Offenbarung ist deshalb für mich seit Jahren die Buchreihe »Brotland Deutschland Band 1 bis 3« von Franz Josef Steffen. Für Profis verfasst, enthält sie eine Vielzahl traditioneller Brotsorten und deren Herstellungsanleitung inklusive der fachlichen Hintergründe. Die Bücher sind ausschließlich in der Fachsprache verfasst, für Laien ohne Weiteres nicht gut verständlich und zum Teil auch nur noch antiquarisch erhältlich. Manche der Profis, die ich um Rat und Hilfe bat, verwiesen mich auf diese Bücher.

Steffen hat sich, beginnend in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts, die Mühe gemacht, Rezepte für Traditionsbrote und regionale Spezialitäten im deutschsprachigen Raum zu recherchieren, zu sammeln und in relativ puristischen Grundrezepturen auszudrücken. Die Bücher sollten Anregung für Bäckereibetriebe sein, diese Grundrezepturen als Leitschnur zu nehmen, um eigene Produkte zu entwickeln und zu etablieren.

Vor allem in Band Nr. 1 (1989) sind die Rezepte also noch so, wie sie in den Kindheits- und Jugendtagen der inzwischen älteren Generation gewesen sein müssen. Zu einer Zeit, in der den meisten Bäckereien die großen Herausforderungen der Marktkonzentration und wachsenden Konkurrenz durch Supermarktbrot, Backshops und Aufbackstationen noch bevorstanden. Sie konservieren auch das Wissen um die unterschiedlichen Sauerteigführungen und die damaligen Vorgehensweisen. Leider enthalten sie keine oder nahezu keine Angaben zur Herkunft der Brotsorten und ihrer Geschichte.

Seit Jahren dienten mir diese Bücher als Inspirationsquelle und Leitfaden, wenn ich auf der Suche nach Herstellungsweisen von traditionellen Brotsorten war. Andere Anregungen bekam ich in Diskussionen mit anderen Hobbybäckern oder bei anderen Brotbloggern sowie in Kursen für Profis an der Akademie Deutsches Bäckerhandwerkin Weinheim. Fündig wurde ich, wie oben beschrieben, auch in teils über 100 Jahre alten Lehrbüchern für die Bäckerausbildung. Die in diesem Buch befindlichen 50 Rezepte sind jedoch keine Kopien aus den genannten Werken. Es sind Eigen- bzw. Weiterentwicklungen, die sich grundsätzlich nach den traditionellen Herstellungsanleitungen und Zutatenverhältnissen richten, aber im Interesse einer Tauglichkeit für das Heimbacken angepasst wurden. Und zwar sowohl in Bezug auf die Zutatenmengen, die Zutatenverfügbarkeit als auch viele Rezeptparameter. Wenn in Profirezepten Backhilfsmittel enthalten waren, wurden diese weggelassen und die Rezepte so modifiziert, dass sie auch ohne funktionieren.

Schon in den »nur« etwa 40 bis 50 Jahren, die seit dem Verfassen von »Brotland Deutschland Band 1« vergangen sind, hat sich die Getreide- und Mehlqualität wesentlich verändert, und zwar weitgehend zum Besseren. Heutige Mehle benötigen mehr Flüssigkeit und sehr oft auch eine angepasste Sauerteig- oder Vorteigführung, damit mit ihnen ein mit früher vergleichbares Backergebnis entsteht.

Der Grund dafür ist, dass durch Optimierungen im landwirtschaftlichen Anbau und aufgrund geänderter klimatischer Bedingungen im Mehl die Aktivität getreideeigener Enzyme nachgelassen hat. Das führt zwar zu einer besseren Eignung für lange Teigführungen, bringt aber auch eine Neigung zum Trockenbacken mit sich. Manche Profibäcker vermissen heute die etwas enzymreicheren Mehle »von früher«, mit denen sich saftigere Brotkrumen erreichen ließen. Auf der anderen Seite eignen sich aktuelle deutsche Mehle inzwischen sehr gut für die mediterranen Gebäcke, die im Trend liegen.

Letztlich mag es sein, dass die Rezepte nicht hundertprozentig authentisch sind oder bis auf das Prozent genau jenen Rezeptparametern entsprechen, die früher verwendet wurden. Eine gewisse schöpferische Freiheit vermochte ich in Anspruch zu nehmen, wo es sinnvoll und nötig war. Das ist auch im Profibereich üblich und der Grund dafür, dass Sie in keiner Bäckerei völlig identisch schmeckende und optisch gleiche Brote finden.

Die in diesem Buch enthaltenen 50 Rezepte für traditionelle Brotsorten können Ihnen auch als Grundstock für eigene Rezept-Weiterentwicklungen dienen. In den meisten Fällen bieten die Rezepte Spielraum für Ergänzungen und Modifikationen, um sie Ihren Bedürfnissen anzupassen.

Reifender Teigling (Berliner Landbrot)

GESCHICHTE

des Brotbackens

Frankenlaib

Dieses Kapitel fasst die Entwicklung des Brotbackens in Deutschland und den deutschsprachigen Ländern zusammen und erklärt, wie die große Brotvielfalt entstanden ist.

URSPRÜNGE DES BROTBACKENS

Die Anfänge der Herstellung von Getreideerzeugnissen wie Brot als Nahrungsmittel liegen bereits weit in der vorchristlichen Zeit. Schon bevor mit dem Getreideanbau begonnen wurde, fanden die Menschen Wege, die harten und schwer verdaulichen Samenkörner der wild wachsenden Süßgräser wie Einkorn und Strandbinsen besser verzehrbar zu machen.

Hierzu zerrieben sie die Getreidekörner zwischen Steinen und bereiteten aus dem Schrot und einer Flüssigkeit eine Art Grütze zu, die sie entweder roh oder gekocht verzehrten. Es ist nachgewiesen, dass schon damals das vermahlene Getreide grob gesiebt wurde. Später wurde der Brei zur Haltbarmachung und besseren Transportfähigkeit an der Sonne in Schalen getrocknet.

Um den Trocknungsvorgang zu beschleunigen, wurden aus dem Getreidebrei flache Teigfladen geformt und in heißer Asche, Glut oder in erhitzten Tontellern oder Tontöpfen abgebacken (vgl. Deutsches Brotinstitut). Durch das Backen wurde das Getreideprodukt noch haltbarer und einfacher lagerfähig. Die auf diese Weise entstandenen Brote waren noch nicht fermentiert und ohne die heute üblichen Poren in der Krume. Entsprechende archäologische Funde lassen sich bis in das Jahr 14 400 v. Chr. zurückdatieren (vgl. Süddeutsche Zeitung).

Die Nutzung der Getreidepflanzen als Rohstoff ist bei fast allen Hochkulturen der Welt archäologisch nachvollziehbar. Die Verfügbarkeit von lagerbaren, nahrhaften und energiereichen Lebensmitteln aus Getreide stellt sogar eine wesentliche Voraussetzung für das Bestehen vieler Hochkulturen dar. Den Berufsstand des Bäckers gab es in dieser Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht. Familien und Hausgemeinschaften stellten Getreidebrei und -grütze sowie in der Herdasche gebackene Teigzubereitungen einzig zur Selbstversorgung her.

In Ägypten scheint im 3. Jahrtausend v. Chr. eine erste »Hochkultur« des Brotes entstanden zu sein. In dieser Zeit wurde mit großer Sicherheit die Teigreifung und Fermentierung durch Sauerteig entdeckt und weiterentwickelt. Die hierdurch erfolgende Auflockerung des Getreideteiges vereinfachte den Verzehr und verbesserte den Geschmack und die Bekömmlichkeit des Brotes.

Aus dieser Zeit sind auch primitive »Backöfen« erhalten geblieben. Das waren üblicherweise aus Lehm oder Steinen geformte gewölbeartige Konstruktionen oder Erdöfen, die durch ein Holzfeuer erhitzt wurden. Nun gab es auch erstmals Menschen, die die Herstellung von Brot zu ihrem Beruf machten, die ersten Bäcker. Sie wurden wahrscheinlich vor allem in größeren Hausständen, Landgütern oder bei Hof tätig.

Die ägyptische Backkultur verbreitete sich über den Nahen Osten und Griechenland bis nach Südeuropa. Aus römischer Herstellung stammen die ersten Backöfen in Kuppelbauweise, die auf einem Unterbau standen (vgl. Deutsches Brotinstitut). Sie wurden von römischen Ingenieuren technisch auf einen Stand gebracht, der als sehr ausgereift gelten darf. Diese Bauweise hatte wesentliche Vorteile bei der Speicherung der Ofenhitze und der Backraum war einfacher zu beschicken. Es gab sie sowohl in kleinerer Ausführung als Hausbackofen als auch in größeren Ausführungen in Bäckereien.

Teilrekonstruierte Ruine einer römischen Bäckerei mit Steinbackofen, Kegelmühle und Mehltrögen in Pompeji

Einer dieser Öfen findet sich in der Ausgrabungsstätte von Pompeji. Um den Ofen herum standen die Kegelmahlsteine, mithilfe derer das Getreide gemahlen wurde. Es gibt Hinweise auf Backtröge, in denen die Teige gemischt wurden und in denen sie reiften. Das Getreide wurde in dieser Zeit meist in den Bäckereien selbst gemahlen.

Die Öfen waren so wie ihre ägyptischen und griechischen Vorbilder direkt befeuert. Sie wurden also vor dem Backen mit Brennmaterial gefüllt und dieses im Ofen kontrolliert abgebrannt. Die Hitze speicherte sich im Ofenboden und in den Steinen der Kuppel. Nach Entfernen der Glut und Asche backte der Bäcker in diesen Öfen die vorbereiteten und gereiften Brotlaibe.

Im gesamten Römischen Reich bestand vor allem in den Städten schon eine fortschrittliche Backkultur, die unterschiedliche Rezepte und Brotsorten kannte. Wie erhaltene Texte nachweisen, verspeisten die wohlhabenderen Römer schon Brötchen und Brotpasteten in großer Vielfalt. Einzelne Bäcker wie zum Beispiel Marcus Vergilius Eurysaces gelangten zu solcher Berühmtheit und Wohlstand, dass noch im heutigen Rom große Grabmäler an sie erinnern (vgl. Stahl, 1911).

Von Rom aus wurde diese hohe Backkultur im ganzen Römerreich verbreitet. So gelangte sie etwa um das 4.–5. nachchristliche Jahrhundert herum in das Gebiet, in dem Deutschland, Österreich und die Schweiz heute liegen. An der Technik und Bauweise der nach römischem Vorbild gebauten Backöfen änderte sich derweil bis in das beginnende 19. Jahrhundert hinein wenig. In Deutschland nannte man sie »Brustfeueröfen« oder »altdeutsche Backöfen« (vgl. Deutsches Brotinstitut).

Römischer Steinbackofen in Pompeji

Auch heute schaffen sich Laien wie Profis, die besonders traditionelles Brot backen wollen, Steinbacköfen an. Sie funktionieren genauso wie vor 2000 Jahren. Dem darin gebackenen Brot haftet aufgrund der sehr langen Backtradition eine besondere Hybris an, obwohl sie aus technischer, optischer und geschmacklicher Sicht keine besseren Backergebnisse hervorbringen als moderne Backöfen.

DIE BÄCKER IN DEUTSCHLAND

Die ersten Bäcker wurden in Deutschland um das Jahr 700 urkundlich in der »Lex Alamannorum« (alemannisches Rechtsbuch) erwähnt. Sie waren Leibeigene oder Unfreie, befanden sich also im Besitz eines Herren. Man bezeichnete sie damals als »pistor«, was zugleich Müller, Mehlstampfer und Bäcker bedeutet. Aus diesem Namen leitet sich das Wort »Pfister« ab, das heute noch als Familienname existiert. Eine »Pfisterei« war früher die Mühle und Bäckerei von Klöstern und größeren Landgütern (vgl. Stahl, 1911). Feinere Backwaren aus besseren Mehlen wurden schon damals nach römischem Vorbild vor allem in den Klosterbäckereien hergestellt. Es handelte sich um Semmeln, Brezen, Pasteten und sogenannte Gebildbrote, deren Formgebung zum Beispiel Tiere oder religiöse Symbole darstellten. Ganz anders war es auf dem Land.

»Draußen, in der Allgemeinheit, ist die Brotbereitung immer noch Sache des Hausfleißes, im kleinen Haushalte wird die Hausfrau damit fertig, in größeren werden Leibeigene herangezogen. Brot ist um diese Zeit noch ein sehr begrenzter Begriff, nichts anderes, als aus grob zermalmtem Hafer mit Wasser angerührte, zu einer steifen Masse geknetete Grütze, von der noch Unkraut und Spelz nicht abgesondert sind, und die in der Herdasche zu kleinen Kuchen gebacken wird.« (Stahl, 1911)

In der ländlichen Bevölkerung im deutschsprachigen Gebiet wurde solcher Getreidebrei als Hauptnahrungsmittel noch bis weit in das 17. Jahrhundert hinein täglich hergestellt (vgl. Brude, 1964).

Karl der Große sorgte während seiner Regierungszeit Anfang des 9. Jahrhunderts dafür, dass in seinem ganzen Herrschaftsgebiet Kornspeicher errichtet und leistungsfähige Backöfen in den Landgütern und Klöstern erbaut wurden. Zugleich begann man in dieser Zeit auch damit, durch intensive Rodungen für einen effektiveren Ackerbau Platz zu schaffen. Damit waren die Grundvoraussetzungen gegeben, dass sich eine deutsche Backkultur entwickeln konnte.

»STADTLUFT MACHT FREI«

Zur Zeit der Stadtgründungen im 11. Jahrhundert gelang es vielen Bäckern, die Leibeigenschaft abzuschütteln. Sie zogen in die neu entstandenen Städte und ließen sich dort als Gewerbetreibende nieder. »Stadtluft macht frei« hieß es damals. Da die kontinuierliche Versorgung mit Lebens- und Genussmitteln für eine Stadt unerlässlich war und ist, erlangten Bäcker, Fleischer und Brauer bald eine wichtige und anerkannte Position.

Illustration Bäcker im 16. Jahrhundert

Wirklich »frei« im heutigen Sinne waren die meisten Bäcker in den Städten jedoch nicht. Auch dort herrschten Grundherren, die über das Gewerbe zu entscheiden hatten, die die Backhäuser besaßen, die den Bäckern Geld verliehen und Zins und Tribute einforderten. Die Bäcker hatten sich jedoch eine Stellung zwischen den »Hörigen« und den freien Bürgern erworben und waren so der Leibeigenschaft entflohen. Wie andere Gewerbetreibende auch gründeten die Bäcker »Zünfte«, deren Aufgabe die gegenseitige Unterstützung, die Qualitätskontrolle, die Wahrung der gemeinsamen Interessen und die Regelung der Ausbildung war.

Die Bäckerzünfte, -gilden oder -innungen können auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. In manchen Städten erlangten sie großen Einfluss und Eigenständigkeit, in anderen Städten wurden sie von der Obrigkeit einer strengen Kontrolle unterworfen. Gesichert ist durch viele Quellen, dass sie fast immer auch einem großen klerikalen Einfluss unterlagen. Oft war es ihre wichtigste Aufgabe, zwischen ihren Mitgliedern bei Konflikten zu vermitteln. Die zunehmende Zahl der Bäckereien in den Städten führte dazu, dass etwa ab dem 12. Jahrhundert mit Sauerteig oder Hefen fermentiertes Brot zum Hauptnahrungsmittel der Menschen wurde.

Mittelalterlicher Brotbackofen

WEISS – UND SCHWARZBROTBÄCKER

Das Mittelalter kannte unterschiedliche Arten der Bäckerei. Die einen stellten vorwiegend dunklere, festere Brote aus Roggen und Hafer her, die »Fest-Bäcker« (Schwarzbrotbäcker) oder »protpechen«. Die anderen nutzten hellere Mehle aus Weizen oder Dinkel, um lockerere Gebäcke zu backen. Man nannte sie »Los-Bäcker« (Weißbrotbäcker) oder »phistur« (vgl. Stahl, 1911; vgl. Deutsches Brotinstitut).

Hinzu kamen die sogenannten »Süß-Bäcker«, die Feinbackwaren herstellten. Weißbrotbäcker und Süß-Bäcker wurden in vielen Fällen wohlhabender als Schwarzbrotbäcker. Sie besaßen eigene Backstuben und Öfen und belieferten jene, die sich helleres Brot und Feinbackwaren leisten konnten. Abseits der Städte waren Weißbrotbäcker eher eine Seltenheit.

Die Schwarzbrotbäcker hingegen backten oft ihre Brote in öffentlichen Backhäusern und verkauften sie über die sogenannten »Brotbänke« (vgl. Stahl, 1911). Das waren nichts anderes als Verkaufsstellen für Brot. Im Mittelalter galt auf Märkten die Regel, dass gleichartige Waren am gleichen Ort verkauft werden mussten. Die Brote wurden gewogen und grob auf ihre qualitativen Eigenschaften geprüft, bevor sie zu festen Preisen in den Verkauf gingen. Für die Nutzung der Brotbänke mussten die Bäcker Miete oder Zins entrichten.

In den Städten führte der zunehmende Wohlstand der Patrizier zu Konkurrenz und Missgunst unter den Bäckern. Die besseren Einkünfte der Weißbrotbäcker weckten große Begehrlichkeiten. Die Zünfte sorgten lange Zeit recht streng dafür, dass sich die Schwarz- und Weißbrotbäcker nicht gegenseitig ins Gehege kamen. Damit hatten sie ihre liebe Not, wie viele Dokumente beweisen (vgl. Stahl, 1911).

An dieser Trennung wurde dennoch jahrhundertelang festgehalten. Erst im 17. und 18. Jahrhundert wurde sie von Amts wegen in immer mehr Städten aufgehoben, nachdem die Streitigkeiten zwischen den Schwarz- und Weißbrotbäckern überhandnahmen. Fortan konnte jeder Bäcker selbst entscheiden, was er herstellte.

BROT UND BROTBACKEN IM MITTELALTER