Der Brunnen in der Wüste - Clemens Van Ryt - E-Book

Der Brunnen in der Wüste E-Book

Clemens Van Ryt

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Beschreibung

Widerspricht die katholische Marienverehrung der Bibel? Oder sind es einfach nur protestantische Vorurteile, die einen unvoreingenommenen Blick auf die Mutter Jesu erschweren? Was hat die Bibel hierzu zu sagen? In einer kontroversen und offenen Diskussion vertreten hier ein Protestant und ein Katholik ihre jeweiligen Standpunkte vor dem Hintergrund der Heiligen Schrift. Clemens van Ryt gelingt ein beeindruckender Spagat zwischen leicht lesbarem Dialog und wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Zahlreiche Bibelzitate und ein umfangreicher wissenschaftlicher Anhang ermöglichen dabei jederzeit, die Grundlagen der Argumentation zu überprüfen und nachzuvollziehen.

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Seitenzahl: 346

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Impressum

1. Auflage 2017

© Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Erschienen in der Edition »Patrimonium Theologicum«

Patrimonium-Verlag

Abtei Mariawald

52396 Heimbach/Eifel

www.patrimonium-verlag.de

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druck & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Abbildungsnachweis:

Bild »Mutterliebe«, Copyright © by Shamshad Ali,

www.worte-gestalten.de

ISBN-13: 978-3-86417-091-1

Der Brunnen in der Wüste

Hell und warm leuchtete die kleine Dorfkirche im flutenden Sonnenlicht wider, das sich zwischen den dunklen Tannen seinen Weg gebahnt hatte und auf diese Weise den schattigen Grund ein wenig auflockerte. Inzwischen waren die beiden Männer an der Kirche angelangt. Die Türe war jedoch verschlossen und sie betrachteten die Grabplatten an der Außenwand des Gotteshauses. Sie fielen auf durch ihr ehrwürdiges Alter sowie ihre kunstvolle Gestaltung. »Schau!«, entfuhr es Oskar; er zeigte mit dem Finger auf eine Inschrift, auf der zu lesen war: »Heiligstes Herz Jesu, erbarme Dich unser. Unbeflecktes Herz Mariae, sei unsere Rettung!« – »So etwas meine ich: Das kann ich einfach nicht akzeptieren!«, fuhr er aufgeregt fort. Thomas wusste, woran sich Oskar gestoßen hatte: Maria als »unsere Rettung« zu bezeichnen – das war mehr, als ein Protestant einfach hinnehmen konnte. Thomas entschied sich jedoch, einstweilen zu schweigen und sie setzten ihren 3 um das Kirchengebäude herum fort, bis sie an eine Bank kamen, auf der sie sich niederließen. »Darf ich dich in einer Sache um deine Meinung fragen?«, ergriff Thomas schließlich das Wort. – »Gerne«, antwortete Oskar bereitwillig, »worum geht es?«

Am Rande der Sahara gab es einst zwei verfeindete Bedu­inenstämme, die sich bis auf den Tod hassten und bekriegten. Der eine Stamm lebte eher westlich, der anderen eher östlich, so dass ich sie zur Unterscheidung Ost- und Westbeduinen nennen will. Nun geschah es, dass sich eines Tages einer der Boten, den die Ostbeduinen ausgesandt hatten, in der Wüste verirrte. Er irrte so lange umher, bis er alle seine Vorräte verzehrt hatte und zu verdursten drohte. Erst nach tage- und nächtelanger Suche traf er endlich wieder auf bekannte Pfade. Doch durch die langwierige Suche war er bereits so von Durst und Hitze mitgenommen, dass er nicht mehr weiterkonnte und sich schließlich einfach in den glühenden Sand fallen ließ; er glaubte, sterben zu müssen. Er hielt sich für verloren und wälzte sich in seinen Qualen verzweifelt im heißen Wüstensand herum. Doch während er sich verbrannt und dem Wahnsinn nahe solchermaßen im Sand wälzte, stieß er auf einen harten Untergrund. Trotz seines Zustandes war er doch neugierig genug, den Sand ein wenig aufzuwühlen und fand zu seiner freudigen Überraschung – einen Brunnen! Der Brunnen war wohl versteckt worden und nur, wer um ihn wusste, kam hier zu Wasser. Damit war er gerettet!

Nachdem er sich zunächst selbst erquickt und langsam ein wenig erholt hatte, füllte er den Schlauch, den er umhängen hatte und machte sich, zwar immer noch erschöpft aber doch erquickt, auf den Weg zu seinem Stamm. Doch als er schließlich glücklich dort angekommen war, glaubte man ihm nicht. Denn niemand konnte sich vorstellen, dass dort, wo der Bote gewesen war, ein Brunnen zu finden sein sollte. Daher wurde er der Lüge beschuldigt und schließlich gar verdächtigt, ein Spion zu sein, der in Wirklichkeit heimlich zum Weststamm gegangen war. Er hatte nämlich Feinde unter den eigenen Leuten, die sich diese Gelegenheit zu Nutze machten, ihn zu verleugnen. Nun wurde es ernst, denn würde er sich als Spion erweisen – das wusste er – würden sie ihn töten! Es gab nur eine einzige Möglichkeit – er musste seine Leute zum Brunnen führen und zeigen, dass dieser wirklich existierte, dann wäre ja bewiesen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

Da er sich keine Sorgen machte und sich seiner Sache sicher wähnte, ging er seinen Leuten denn auch ganz unbeschwert voraus, führte sie zu der Stelle, wo er damals zu verschmachten drohte, grub auf, öffnete die Abdeckung, deutete auf seinen Fund und erklärte triumphierend: »Das ist der Brunnen, der mich gerettet hat!«

Damit war die Sache geklärt, doch einer seiner Feinde war schlau und als sie schon aufbrechen wollten, um zurück-­zu­kehren, meinte dieser: »Wartet, nicht so schnell! Sollten wir uns so einfach überlisten lassen! Ist nicht schon genug Schaden über uns gekommen? Können wir es uns wirklich erlauben, uns so einfach auf eine Gefahr einzulassen und einem Spion Glauben zu schenken? Fast meine ich, ich bin in einem Stamm von Kindern statt von Männern!« Daraufhin meinte ihr Anführer: »Was redest du da? Was willst du uns damit sagen? Sprich!«

»Unser Bote ist ein Lügner!« – Der Geschmähte fuhr auf: »Wie kannst du es wagen! Willst du deine eigenen Augen der Lüge zeihen? Hast du nicht selbst und wir alle den Brunnen gesehen!«

»Ich zeihe meine Augen ebenso wenig der Lüge, wie meine Ohren«, antwortete der andere, wobei er das Wort Ohren besonders betonte.

»Was willst du damit sagen?«

»Hast du nicht soeben gesagt, dass dich dieser Brunnen gerettet habe?«

»Gewiss habe ich das gesagt und ich bin bereit, einen Eid darauf abzulegen, dass…«

»...dass dieser Brunnen deine Rettung gewesen sei?«

»Ja, sofort, wenn es sein muss!«

Indem er lauernd seine Blicke in der Runde schweifen ließ, meinte der andere: »Ihr habt es alle gehört: Er ist bereit, einen Eid darauf zu schwören, dass dieser Brunnen seine Rettung gewesen ist!« – Wieder an den Boten gewandt: »Schwöre also!«

»Sofort, ich kann es mit bestem Gewissen beschwören!«

»So sprich mir nach: Ich schwöre bei Gott, bei meiner Seele und bei allem, was mir heilig ist…«

»Ich schwöre bei Gott, bei meiner Seele und bei allem, was mir heilig ist…«

»…dass dieser Brunnen meine Rettung gewesen ist.«

»…dass dieser Brunnen meine Rettung gewesen ist.«

Der Feind drehte sich nun triumphierend im Kreis und rief allen Männern, die da waren, zu: »Habt ihr es gehört? Jetzt habt ihr es mit eigenen Ohren vernommen, dass dieser Mensch einen Meineid geschworen hat!«

Doch keiner der Umstehenden hatte verstanden, was er meinte. Schließlich fragte der Anführer: »Was redest du da? Rede deutlicher!«

»Kann ein Brunnen eine Rettung sein! Kann ein Brunnen einen Menschen retten?«

»Gewiss, wenn er am verdursten ist…«

»Nein, niemals kann ein Brunnen einen Menschen retten, der am verdursten ist – nur Wasser kann einen Verdurstenden retten!«

Alle staunten über diese Worte und murmelten: »Stimmt, er hat Recht!«

»Also ist er doch ein Lügner und ist des Todes!«

Der Bote begriff nicht, wie ihm geschah und fing in seiner Verzweiflung an zu schreien: »Ich habe doch das Wasser gemeint! Natürlich kann der Brunnen nicht retten, nur das Wasser, aber das muss man doch nicht erklären, jedes Kind weiß, dass das Wasser gemeint ist!«

»Das sind Ausflüchte! Du hast eben selbst mit einem heiligen Eid geschworen, dass es der Brunnen war, der dich gerettet hat und jetzt gibst du selbst zu, dass es nicht der Brunnen war! Du bist ein Lügner und bist des Todes! – Los, töten wie ihn sofort! Diesen Lügner, der mit uns seinen Spott getrieben und uns auch noch hier herausgeführt hat!«

Der andere schrie noch: »Das könnt ihr nicht tun«, aber es half nichts; sie schlugen auf ihn ein, töteten ihn und berichteten dem Rest des Stammes einfach, es habe sich herausgestellt, er habe gelogen und sei damit wohl ein Spion gewesen.

Für eine gewisse Zeit sprach keiner mehr über diese Geschichte und zunächst wuchs Gras darüber. Doch der oberste Stammesführer hatte den Boten sehr gern gehabt und tat sich schwer, dessen Tod einfach so hinzunehmen. Als er sich nun eines Tages mit einem der Männer, die damals beim Brunnen waren, unterhielt und von ihm in seinem Schmerz wissen wollte, wie der Bote genau zu Tode gekommen war, erfuhr er die ganze Geschichte. Der Stammesführer wurde zornig, schlug den Mann, von dem er die Geschichte erfahren hatte, in seinem Zorne auf der Stelle nieder und ließ jenen anderen, der durch seinen damaligen Einfall für den Tod des Boten verantwortlich war, vor Gericht rufen.

Als er geendet hatte, wandte sich Thomas an Oskar: »Wenn du der Richter wärst, was würdest du tun?«

»Du stellst Fragen! Der Feind des Getöteten müsste auf jeden Fall streng bestraft werden! In deiner Geschichte hat er wohl die Todesstrafe erhalten.«

»Ja, er hat die Todesstrafe erhalten! Die anderen Männer, die dabei waren, wurden jedoch begnadigt.«

»Warum denn das! Die hätten genauso bestraft werden müssen!«

»Der Stammesführer begründete sein Urteil damit, dass nur der Feind selbst aus Bosheit diese Spitzfindigkeit erfunden hat, während sich die anderen in ihrer Dummheit und Einfalt einfach haben blenden lassen.«

»So dumm kann doch wirklich keiner sein! Wie kann man denn solch einen Unsinn ernst nehmen! – Ich bleibe dabei, sie hätten alle bestraft werden müssen!«

»Wirklich?«

»Sag mal, fragst du das jetzt im Ernst? Natürlich! Bei einer solchen Dummheit kann sich doch keiner darauf berufen, geblendet worden zu sein!«

»Nun, dann hast du gerade dein eigenes Urteil gesprochen!«

»Wie? Bist du jetzt verrückt? Warum ich?«

»Verurteilst du nicht jene, die den Brunnen als ihre Rettung bezeichnen?«

»So ein Unsinn! – Was willst du eigentlich?«

»Du würdest also nie jemanden verurteilen, der zum Brunnen ›meine Rettung‹ sagt, obgleich klar ist, dass das Wasser die Rettung ist?«

»Das ist doch dummes Zeug! Natürlich würde ich das nicht!«

»Du würdest also keinen Anstoß daran nehmen, wenn jemand Maria als seine Rettung bezeichnet, obgleich nur Christus zu retten vermag?« – Oskar ließ den Mund offen stehen – und schwieg. Nach einer Weile des Schweigens brummte er unwillig: »Aber das ist doch etwas völlig anderes.«

»Ich denke nicht: Maria hat Christus geboren: Wie also der Brunnen das Wasser gibt, so gibt Maria uns Christus. Wenn es aber keinen stört, dass ich einen Brunnen als Rettung in der Wüste bezeichne, warum stört sich dann der Protestantismus daran, dass ich auch Maria als Rettung bezeichne?«

»Aber das lässt sich doch überhaupt nicht vergleichen.«

»Und warum nicht?«

»Wer sagt denn, dass das jeder so versteht wie du?«

»Die Katholiken verstehen es so.«

»Aber du musst doch zugeben, dass es missverständlich ist.«

»Wenn du damit sagen willst, dass sich die Protestanten zu wenig Mühe machen, die Katholiken zu verstehen, gebe ich dir Recht.«

»Ich meine eher allgemein.«

»Ich behaupte, dass es für jeden Katholiken, der seinen Glauben einigermaßen kennt, ebenso verständlich ist, wie es für einen Beduinen klar ist, in welchem Verhältnis Wasser und Brunnen zueinander stehen.«

»Aber es lesen ja auch noch andere, die nicht katholisch sind.«

»Als die Tafel angebracht wurde, gab es hier in der Gegend noch keine Protestanten, die Probleme erfunden haben, die es eigentlich gar nicht gibt.«

»Du bist ganz schön zynisch…«

»Nein, nur offen«, erwiderte Thomas lächelnd.

»Aber immerhin leben jetzt auch Protestanten hier in der Gegend, die das anders verstehen als du.«

»So wie ich dich verstehe, müssten wir also auch sämtliche Hinweise auf die Dreifaltigkeit aus der Öffentlichkeit entfernen, um zu vermeiden, dass die Moslems uns fälsch­licherweise vorwerfen, dass wir drei Götter anbeten.«

»Nein...«

»Christus hat schon immer Anstoß erregt bei denen, die nicht bereit waren, die Wahrheit mit kindlicher Offenheit anzunehmen.«

»Ja gut, Christus, aber warum Maria?«

»Diese beiden Geheimnisse, Jesus und Maria, hängen eng zusammen – ein Bekenntnis zu Maria ist ein Bekenntnis zu Christus!«

»Das muss du jetzt wirklich erklären.«

»Gerne, warum nicht.«

Ein Dialog über Maria

Maria, die Gottesmutter

Thomas: Im Prinzip ist die Sache ganz einfach, Maria ist Mutter Gottes, und damit ist eigentlich schon alles gesagt.

Oskar: Da machst du dir die Sache ziemlich einfach! Außerdem ist Maria nicht Gottesmutter, das ist ja schon Blasphemie.

Thomas: Wessen Mutter ist sie dann?

Oskar: Die Mutter Jesu.1

Thomas: Und wer ist Jesus?

Oskar: Der Sohn Gottes.2

Thomas: Was heißt das, Sohn Gottes?

Oskar: Na, dass Gott Sein Vater ist.3

Thomas: Ist Gott nicht auch dein Vater?4

Oskar: Natürlich, aber in einem anderen Sinn.

Thomas: Nämlich?

Oskar: Hm, Gott ist nicht mein leiblicher Vater.

Thomas: Und bei Christus ist Gott der leibliche Vater?

Oskar: So in etwa.

Thomas: Aber wie kann Gott der leibliche Vater sein, wenn Gott gar keinen Leib hat?5

Oskar: Du stellst Fragen… – Was weiß ich, auf jeden Fall hatte Er keinen menschlichen Vater wie wir.6

Thomas: Okay, aber immerhin eine menschliche Mutter.7

Oskar: Natürlich, Er nannte sich auch Menschensohn8.

Thomas: Er hatte also einen göttlichen Vater und eine menschliche Mutter.

Oskar: Jawohl.

Thomas: War Er dann Gott oder Mensch?

Oskar: Hm, Gottmensch vielleicht?

Thomas: Heißt das Halbgott?

Oskar: Unsinn!

Thomas: Sondern?

Oskar: Mein Gott, keine Ahnung, Er war halt Gottes Sohn! Was weiß ich, wie man das nennen soll! Wie würdest du denn sagen?

Thomas: Die Heilige Schrift lehrt, dass Christus vom Vater gezeugt9 ist, also ist Er von gleichem Wesen wie der Vater. Doch der Vater ist Gott, also ist auch Christus Gott.10

Oskar: Ja gut, so würde ich auch sagen.

Thomas: Er ist jedoch durch eine Frau Mensch geworden, also ist Er auch Mensch.

Oskar: Sage ich ja.

Thomas: Du gibst also zu, dass Jesus zugleich Gott und Mensch ist?

Oskar: Ja, gewiss.

Thomas: Und Maria ist Seine Mutter?

Oskar: Das ist ja eh klar.

Thomas: Ist Maria dann Gottes- oder Menschenmutter?

Oskar: Menschenmutter…

Thomas: Aber hast du nicht zugegeben, dass Jesus auch Gott ist?

Oskar: Ja, aber…

Thomas: Wenn aber Jesus Gott ist und Maria die Mutter Jesu, ist Maria dann nicht Gottesmutter?

Oskar: Oh, diese Sophisterei?

Thomas: Was hat das mit Sophisterei zu tun? Diese Frage könnte dir nicht nur ein Katholik, sondern z.B. auch ein Moslem stellen. – Was wirst du dann antworten?

Oskar: Aber die Maria steht doch nicht über Gott, wie kann sie dann Mutter Gottes sein?

Thomas: Erinnert dich dieser Einwand nicht an die Frage Jesu gegenüber den Pharisäern: Wenn David den Messias Herr nennt, wie kann dieser dann sein Sohn sein?11

Oskar: Hm… – Und wie erklärst du das?

Thomas: Als Sohn seiner Eltern steht der Sohn unter den Eltern,12 aber kann er nicht in anderer Hinsicht über ihnen stehen? Denke nur an die Geschichte Josefs im Alten Testament: Die Brüder und Eltern standen als Fremde in Ägypten unter ihrem Sohn, der ägyptischer Wesir geworden war.13 Auch sie hatten einst Anstoß an dem Gedanken genommen, dass sie sich einmal alle vor ihm niederwerfen würden,14 weil sie es zunächst nicht verstanden hatten.

Oskar: Aber…

Thomas: Warum sollte also Maria höher stehen als Gott, nur weil Er selbst sie zu Seiner Mutter gemacht hat? Es gibt überhaupt keinen Grund für eine solche Schlussfolgerung – und die Katholiken ziehen diese auch nicht.

Oskar: Ich habe trotzdem irgendwie Schwierigkeiten mit dem Begriff Gottesmutter…

Thomas: Dabei ist er biblisch.

Oskar: Das wäre mir neu.

Thomas: Als Maria zu Elisabeth kommt, sagt diese: Woher geschieht mir dies, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt.15

Oskar: Und?

Thomas: Ob du nun sagst, Herrenmutter oder Gottesmutter bleibt sich gleich.

Oskar: Ach so meinst du. Aber das ist doch nicht das Gleiche.

Thomas: Dann erkläre mir den Unterschied.

Oskar: Gott ist Gott und Herr ist eine Art Titel oder Anrede, keine Ahnung, wie ich das nennen soll, aber das ist doch nicht das Gleiche.

Thomas: Wenn Paulus sagt, keiner könne Herr Jesussagen, außer im Heiligen Geist.16 Glaubst du wirklich, dass er da nur eine Art Anrede oder Titel gemeint hat? Oder ist hier vielleicht doch eher jenes Herr gemeint, welches die Juden an Stelle des Gottes­namens Jahwe zu gebrauchen pflegten?a

Oskar: Du meinst, Elisabeth hätte gesagt, Mutter Jahwes?

Thomas: Ob sie das so gesagt hat, weiß ich nicht, vermutlich nicht, aber sie hat es gemeint.

Oskar: Nein, also das übertrifft ja wirklich alles! Maria als Mutter Jahwes!

Thomas: Wenn Jesus Gott ist, dann ist der Name Jahwe17 ebenso auf den Sohn anwendbar wie auf den Vater,18 oder nicht?

Oskar: Ich weiß nicht…

Thomas: Es führt uns vermutlich zu weit weg, wenn wir nun auf den Namen Jahwe eingehen wollten, aber darin sind wir uns ja einig, dass Jesus Gott ist.

Oskar: Ja.

Thomas: Und einfach Tatsache ist, dass das Neue Testament an sämtlichen Stellen, wo von Jahwe die Rede ist, den Begriff Herr einsetzt. Denn das Neue Testament zitiert zuweilen Stellen aus dem Alten Testament,19 wo nach dem hebräischen Grundtext der Name Jahwe eigentlich auftauchen müsste, fügt stattdessen aber Herr beziehungsweise auf Griechisch kyrios ein. Der Name Jahwe taucht im ganzen Neuen Testament kein einziges Mal auf.

Oskar: Und was schließt du daraus?

Thomas: Dass das Wort Herr, also das griechische kyrios im Neuen Testament, ähnlich wie in der Septuaginta, synonym zu dem Wort Jahwe gebraucht wird.

Oskar: Gilt das für alle Stellen, wo in der Bibel das Wort Herr auftaucht?

Thomas: Das nun nicht; es findet auch als eine Art Titel beziehungsweise im Sinne unseres Begriffes Herr Verwendung, schließlich wird von den Juden auch Pilatus als Herr angesprochen.20 Das schließe ich aber dort aus, wo eine gewisse Betonung auf diesem Wort liegt, wie etwas bei der besagten Paulusstelle.

Oskar: Und du meinst, dass Elisabeth das ebenfalls so gemeint hat?

Thomas: Liegt das nicht nahe?

Oskar: Aber Gott kann doch nicht von einem Menschen abstammen.

Thomas: Auch nicht, wenn Er gleichzeitig auch Mensch ist?

Oskar: Das ist ja der Punkt, die Maria kann nur den Menschen, aber nicht den Gott Jesus hervorbringen, darum kann sie nicht Mutter Gottes sein!

Thomas: Oskar! Kann eine Frau einen Menschen hervorbringen?

Oskar: Natürlich, wir haben ja alle eine Mutter!

Thomas: Nein, kann sie nicht, es braucht immer auch einen Vater.

Oskar: Logisch, aber was hat das mit unserer Frage zu tun?

Thomas: Nun, ist deine Mutter die Mutter Oskars oder nur eines Teils von dir?

Oskar: Unsinn, sie ist einfach meine Mutter, da gibt es keine Teile.

Thomas: Obwohl du genauso auch von deinem Vater hervor­gebracht wurdest?

Oskar: Natürlich.

Thomas: Und dein Vater ist der Vater von Oskar und nicht nur eines Teils von ihm?

Oskar: So ein Quatsch! Hier ist genau das Gleiche!

Thomas: Dein Vater ist also der Vater von Oskar und deine Mutter die Mutter von Oskar, obwohl beide gleicherweise an deiner Entstehung teilhatten.

Oskar: Natürlich, darum heißt es ja auch Vater und Mutter und nicht einer allein Vatermutter!

Thomas: Wenn aber die Mutter die Mutter des ganzen Oskar ist, obwohl der Vater mindestens genauso viel zur Entstehung Oskars beigetragen hat wie die Mutter und umgekehrt, dann verstehe ich nicht, warum du dich scheust, Maria als Mutter des ganzen Christus anzu­erkennen, weil Er die Gottheit vom Vater hat.

Oskar: Das tue ich doch gar nicht, ich anerkenne Maria ja als Mutter von Jesus, aber nicht als Mutter Gottes!

Thomas: Moment, ich sagte, des ganzen Christus.

Oskar: Was heißt hier des ganzen Christus, Christus ist eine Person, da gibt es kein Halb und kein Ganz, das macht gar keinen Sinn, Er ist einfach Christus! – Punkt, aus!

Thomas: Das spricht ja umso mehr dafür, Maria als MutterGottes anzuerkennen!

Oskar: Du treibst mich noch zum Wahnsinn! Warum das schon wieder?

Thomas: Eben weil Gottheit und Menschheit in Christus vereint sind und eine Einheit bilden.

Oskar: Aber Maria hat Jesus doch nur geboren.

Thomas: Nur ist gut. Aber wenn das für dich einen Unterschied macht, wärst du dann mit dem Begriff Gottes­gebärerin für Maria einverstanden?

Oskar: Meinetwegen.

Thomas: Dann haben wir ja jetzt wenigstens mal einen gemeinsamen Nenner gefunden. Aber warum man eine Gebärerin nicht auch Mutter nennen soll, ist mir nicht ganz klar; zumal zuweilen ja sogar adoptierte Kinder ihre Ziehmütter mit Mutter ansprechen.

Oskar: In diesem Sinne kann man Maria meinetwegen ebenfalls als Mutter bezeichnen.

Thomas: Du gibst also zu, dass Maria zugleich Gottes­gebärerin wie auch Ziehmutter Christi war und lehnst doch den Begriff Gottesmutter ab?

Oskar: Weil Gott als Gott nicht von der Maria abstammt!

Thomas: Aber das behauptet ja auch kein Katholik, der Maria als Gottesmutter bezeichnet, und solchen Unsinn hat die Kirche auch nie gelehrt. Doch ich will dir noch einen anderen Punkt vorlegen: Hast du deine Seele von deinem Vater oder von deiner Mutter?

Oskar: Was soll jetzt diese Frage schon wieder? Weder noch, würde ich sagen.

Thomas: Sondern?

Oskar: Von Gott?21

Thomas: Du hast deine Seele, also eigentlich das Entscheidende von dir,22 was dich überhaupt zu einem Menschen macht, von Gott?

Oskar: Ja, sagte ich ja.

Thomas: Und trotzdem nennst du jene, die dich geboren hat, deine Mutter, obwohl das Entscheidende von dir gar nicht von ihr kommt.

Oskar: Ich ahne, worauf du hinaus willst: Wie meine Mutter die Mutter des Oskar ist, obwohl meine Seele von Gott kommt, so ist Maria auch Gottesmutter, obwohl seine Gottheit von Gott kommt, habe ich Recht?

Thomas: Ja.

Oskar: Aber meine Mutter wird ja auch nicht Seelenmutter, sondern Mutter des Oskar genannt. Dann müsste man ja auch Maria Mutter Jesu, statt Gottesmutter nennen? – Langsam finde ich das Ganze ein wenig verwirrend…

Thomas: Nun, Jesus ist der Name einer Person, wie auch Oskar der Name einer Person ist. Menschheit und Gottheit bezeichnet nur das Was, nicht das Wer. Allerdings ist Jesus eine göttliche Person, Oskar eine menschliche. Daher ist deine Mutter die Mutter eines Menschen, die Mutter Jesu aber die Mutter Gottes, obwohl Jesus Seine Gottheit ebenso wenig von Maria hat, wie du dein Menschsein in Hinblick auf die Seele von deiner Mutter hast. Von deinen Eltern hast du nur den Leib, wie auch Christus von Maria nur den Leib hatte.

Oskar: Wäre es dann falsch, Maria als Mutter eines Menschen zu bezeichnen?

Thomas: Nun, wenn man damit sagen wollte, dass Christus Seinen Leib aus Maria hatte, dann kann man das schon sagen. Allerdings sprechen wir, wenn wir das Wort Mutter verwenden, ja immer von der Mutter einer Person. Und die ist bei Christus einfach göttlich.

Oskar: Aber sagtest du nicht, dass Jesus Gott und Mensch zugleich ist?

Thomas: Richtig, aber nicht in gleicher Hinsicht. Er hat zwar alles, was zum Menschsein gehört, angenommen, nämlich Leib und Seele, aber die Person blieb göttlich. Daher sind in Christus Gottheit und Menschheit zwar auf das Innigste vereint, aber nicht vermischt: Es handelt sich um eine göttliche Person mit zwei Naturen.

Oskar: Verstehe ich nicht.

Thomas: Die Person ist der Handlungsträger, also das, was etwas tut, nicht die Natur. Es war jedoch Gott, der Mensch geworden ist,23 nicht ein Mensch, der Gott geworden wäre. Dabei hat sich Gott jedoch nicht verändert,24 sonst hätte Er ja aufgehört, Gott zu sein.25 Also ist die göttliche Person Gott geblieben,26 hat aber zu Seiner göttlichen Natur nun auch eine menschliche Natur angenommen27 und ist somit in vollem Sinne Gott und Mensch in einer gött­lichen Person vereint.

Oskar: Das ist zu hoch für mich. Aber klingt jedenfalls irgendwie plausibel, dass Jesus eine göttliche Person ist.

Thomas: Wenn wir das aber zugeben und alle voran­gegangenen Überlegungen berücksichtigen, gibst du dann auch zu, dass Maria Gottesmutter genannt werden kann, zumal wir dazu sogar eine Bibelstelle haben?

Oskar: Aber nur, wenn du damit nicht sagen willst, dass Jesus Seine Gottheit von Maria hat!

Thomas: Eigentlich sollte ich dir dafür schon fast böse sein, dass du ernsthaft denkst, die Katholiken wären sämtlich so strutzedoof, wirklich zu glauben, dass Christus Seine Gottheit von Maria haben könnte!

Oskar: Ist ja gut; woher soll ich denn wissen, was ihr damit meint?

Thomas: Erstens würde ich umgekehrt fragen, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, dass es anders sein soll. Zweitens ist genau das das Problem, dass die Katholiken immer wieder in eine bestimmte Ecke geschoben werden, weil sich keiner die Mühe macht, einfach erst einmal nachzufragen, wie sich die Dinge denn nun wirklich verhalten.

Oskar: Aber warum macht ihr auch so ein Galama darum, ob man die Maria jetzt Gottesmutter nennen kann oder nicht?

Thomas: Das Bekenntnis zur Gottesmutterschaft Mariens ist schlicht ein Bekenntnis zur Gottheit Christi. Wer bekennt, dass Christus Gott ist, bekennt ohne Weiteres auch, dass Maria Gottesmutter ist.b Das ist dann einfach nur eine logische Schlussfolgerung. Wer jedoch die Gottesmutterschaft Mariens leugnet, dessen Glaube an die Gottheit Christi ist erst einmal zu prüfen.

Oskar: Dann kann man ja auch gleich prüfen, ob er glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist.

Thomas: So sollte man meinen; doch die Zeugen Jehovas z.B. leugnen zwar die Gottheit Christi, sprechen aber trotzdem vom Sohn Gottes.c Sie wollen den Titel Gottesmutter ebenfalls nicht akzeptieren. Doch abgesehen davon wird erst dann deutlich, was einer tatsächlich glaubt, wenn er auch die Konsequenzen aus diesem Glauben zu ziehen bereit ist. Der Titel Gottesmutter ist nur eine Konsequenz aus der Tatsache, dass Christus Gott war. Wer felsenfest von dieser Tatsache überzeugt ist, unerschütterlich daran festhält und von diesem Geheimnis geradezu erfüllt ist, für den ist es selbstverständlich, Maria als Gottesmutter anzuerkennen. Wer diesen Titel jedoch ablehnt, zeigt, dass er bereits auf der rein theoretischen Ebene die Konsequenzen flieht, die sein Glaube hat. Wie mag es da erst mit dem praktischen Leben als Christ aussehen? Und werden Glaubenssätze wie die Gottheit Christi, wenn sie ohne Konsequenzen bleiben, damit nicht zu leeren Sätzen, die man zwar kennt, die aber sonst keine Bedeutung und Folgen haben, sondern ganz für sich isoliert sind und vom Rest des Glaubens geradezu abgeschirmt werden? Ein solcher Glaube ist steril, fruchtlos und letztlich tot.

Methodischer Exkurs

Oskar: Übertreibst du da nicht ein wenig?

Thomas: Sieh nur das Beispiel Christi: Aus selbst so neben­sächlich klingenden Tatsachen, wie etwa dass sich Gott als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs offenbart, die Notwendigkeit der Auferstehung folgert! Denn Gott ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten. Und sieh nur, wie Christus den Sadduzäern Vorwürfe macht, weil sie eben das nicht erkennen wollen, und wie Er ihnen daher vorwirft, sehr im Irrtum zu sein.28

Oskar: Meinetwegen. Aber was ist mit all den anderen Dingen: Himmelfahrt, Unbefleckte Empfängnis und der ganze Kram, von dem nicht das Geringste in der Bibel steht! Du tust jetzt so, als wäre das einzige Problem zu diesem Thema die Frage nach irgendeinem Begriff!

Thomas: Nein, das nicht; aber immerhin gibt es hier tatsächlich ein zentrales Problem; denn wie soll man über eine Sache diskutieren, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht? Und auf jeden Fall hat unser bisheriges Gespräch gezeigt, dass du offenbar ganz andere Verknüpfungen mit einem Begriff hergestellt hast als ich. Würde es nicht viele Probleme von Anfang an beseitigen, wenn man erst einmal danach fragt, was der andere überhaupt meint, und – um mich nun den Begriffen zu nähern, die du zuletzt eingeworfen hast – wie der andere das begründet? Anschließend kann man die Begründung ja immer noch ablehnen; aber glaubst du wirklich, dass die Katholische Kirche einfach mal so aus einer Laune heraus irgendwelche Lehren erfindet und diese über 2000 Jahre gegenüber zahlreichen Einwänden aufrecht erhält und das auch noch ohne irgendwelche Gründe dafür zu haben?

Oskar: Ich traue ihr tatsächlich viel zu!

Thomas: Nun, bei einem solchen Ansatz frage ich mich schon, wie fair das ist! Und für mich ist diese Bemerkung auch nicht gerade schmeichelhaft.

Oskar: Okay, tut mir leid. Und wie begründest du nun diese Dinge?

Thomas: Bevor ich darauf antworte, möchte ich wenigstens kurz etwas über die Quellen des Glaubens sagen. Schließlich hast du ja behauptet, dass von der Unbefleckten Empfängnis ebenso wenig in der Bibel steht wie von der Himmelfahrt Mariens.

Oskar: Ich ahne schon, in welche Richtung das geht: Ihr Katholiken behauptet, es gibt zwei Quellen des Glaubens, die Bibel und die mündliche Überlieferung der Kirche. Ist es nicht so?

Thomas: In der Tat.d Auch dies würde es nun gelten, zu begründen, beziehungsweise zu beweisen, dass es sich tatsächlich so verhält. Doch das ist nicht ganz unser Thema, daher würde ich es gerne einfach mal so stehen lassen.

Oskar: So so, wo es brenzlig wird, weichst du aus.

Thomas: Nun, ich möchte behaupten, dass das Thema Un­befleckte Empfängnis auf gewisse Weise weitaus brenz­liger ist als die mündliche Überlieferung der Kirche. Und ich bin sogar sehr gerne bereit, auch über die Frage nach den Glaubensquellen zu diskutieren; ja mir scheint es sogar geradezu notwendig, diesen Punkt näher zu klären und zu beleuchten. Aber gibst du nicht zu, dass es vom Gegenstand her doch ein wenig ein anderes Thema ist als das bisher diskutierte?

Oskar: Okay, zugestanden.

Thomas: Gut. Warum ich diesen Punkt dennoch erwähnt haben wollte, ist dies: Selbst wenn wir annehmen würden, dass in der Heiligen Schrift tatsächlich kein einziger Hinweis auf die Un­befleckte Empfängnis zu finden ist…

Oskar: Ist er auch nicht.

Thomas: Nicht so voreilig, ich wollte etwas anderes sagen. Selbst wenn wir das also annehmen würden, ist es nicht berechtigt, der Kirche einen Vorwurf dafür zu machen.

Oskar: Warum?

Thomas: Ganz einfach: Weil die Kirche eben zwei Quellen der Offenbarung kennt und es daher überhaupt kein Argument gegen ihre Lehre wäre, wenn man feststellen würde, dass der ein oder andere Punkt nicht ausreichend in der Heiligen Schrift begründet wäre.

Oskar: Aber eben, dass sie mit ihren zwei Quellen Recht hat, stelle ich ja in Frage.

Thomas: Dann darf deine Kritik auch nur dort ansetzen, nicht aber an den fehlenden biblischen Belegen.

Oskar: Verstehe ich nicht.

Thomas: Du kannst doch der Kirche keinen Vorwurf machen, etwas zu lehren, was in der Bibel nicht eindeutig belegt ist, wenn die Kirche noch eine andere Quelle der Offenbarung kennt. Du kannst ihr höchstens vorwerfen, dass sie eben noch diese andere Quelle hat.

Oskar: Ich verstehe: Ich kann jemandem nicht vorwerfen Haschisch zu rauchen, wenn ihm nicht klar ist, dass das schädlich ist. Ich muss ihm erst die Schädlichkeit von Haschisch erklären oder wenigstens erklären, dass er etwas Verbotenes tut.

Thomas: (Lachend) Ich hoffe, das ist nur ein Beispiel, aber genau das wollte ich sagen.

Oskar: Dann können wir ja unser Gespräch gleich abbrechen, denn immer wenn du anderer Meinung bist, kannst du dich – wie ein Zaubermittel – auf die Überlieferung der Kirche berufen.

Thomas: Nicht ganz: Erstens muss man auch zeigen, dass diese Lehre tatsächlich Teil der beständigen Überlieferung der Kirche ist. Zweitens haben wir auch hier wieder ein Beispiel, an dem man sehen kann, dass ein richtiges Verständnis über die Katholische Kirche manches einfacher machen würde; manche Vorwürfe kämen dadurch jedenfalls erst gar nicht auf. Und schließlich kann man ja trotzdem untersuchen, inwieweit es a) noch weitere Missverständnisse gibt, b) wieweit uns die Vernunft und die Heilige Schrift doch Auskunft über diese Geheimnisse geben.

Oskar: Die Vernunft? Hier ist die nächste Trickkiste: Alles, was ihr nicht beweisen könnt, ersetzt ihr durch Spekulationen.

Thomas: Dieser Vorwurf ist ungerecht und wäre ebenfalls ein eigenes Thema wert. Möglicherweise gibt es aber auch hier schon wieder ein Missverständnis und wir meinen etwas Verschiedenes. Daher frage ich dich: Worauf hast du deine Argumente gegründet, als du dem Begriff Mutter Gottes widersprochen hast, indem du sagtest, dass Christus Seine Gottheit nicht von Maria haben könne.

Oskar: Auf die Bibel.

Thomas: Hm, ich kann mich täuschen, aber soweit ich weiß, findet sich in der Heiligen Schrift an keiner Stelle der Satz: Christus kann Seine Gottheit nicht von Maria haben.

Oskar: Natürlich steht es nicht wörtlich in der Bibel. Aber Maria ist nur ein Mensch, also von Gott erschaffen worden, also kann aus der Maria keine Gottheit kommen. Ist doch logisch!

Thomas: Ich widerspreche dir ja gar nicht, ich will nur sicher gehen, dass wir uns richtig verstehen. Du ziehst also aus dem, was in der Heiligen Schrift steht, weitergehende Schlüsse, die von der Vernunft nahegelegt werden. Das tust du, auch wenn die Schlussfolgerung nicht wörtlich in der Heiligen Schrift enthalten ist.

Oskar: Meinetwegen. Aber keine Philosophie bitte!

Thomas: Nun, ich will mal davon absehen, dich zu bitten, den Begriff Philosophie genauer zu definieren. Aber was hältst du von dem Vorschlag, dass wir auf so Schubladen wie z.B. Philosophie usw. mal verzichten und einfach überlegen, wie weit wir bei unserem eigentlichen Thema mit Hilfe der Vernunft tatsächlich kommen? Das müssen ja zunächst gar keine gesicherten Ergebnisse sein. Wir können ja auch einfach überlegen, ob eine Lehre, wenigstens wahrscheinlich oder immerhin, ob sie überhaupt möglich ist.

Oskar: Und was soll das bringen?

Thomas: Erstens wären wir uns, glaube ich, ein ganzes Stück näher gekommen, wenn der einzige Vorwurf an die Lehre der Kirche der ist, dass sie zwar sehr vernünftig, aber einfach nur nicht biblisch begründet ist.

Oskar: Ha, das wage ich zu bezweifeln!

Thomas: Was?

Oskar: Dass die Lehre der Kirche vernünftig ist.

Thomas: Siehst du, dann lohnt es sich also auf alle Fälle, sich darüber zu unterhalten. Im Übrigen brauchen wir uns, sollten wir irgendwo zu dem Ergebnis kommen, dass die Sache absolut unmöglich ist, gar nicht erst darüber streiten, ob es in der Bibel stehen kann oder nicht. Denn wir sind vermutlich der gleichen Ansicht, dass Gott und die Bibel nicht der Vernunft widersprechen können.

Oskar: Okay, aber der Mensch kann sich irren.

Thomas: Gewiss; das muss man auch immer im Hinterkopf behalten. Wobei Christus gegenüber den Sadduzäern interessanter­weise mangelnde Schriftkenntnis als eine der Quellen von Irrtum ausmacht.29 Es lohnt sich also durchaus, die Heilige Schrift für unsere Fragestellungen einmal näher zu betrachten, eben um diese Quelle des Irrtums auszuschließen. Und wenn wir am Ende doch vor Fragezeichen stehen, ist auch das ein Fortschritt, weil wir damit auf ein Problem gestoßen sind, das wir bisher einfach noch nicht gesehen haben.

Oskar: Wobei für mich von vorneherein ausgeschlossen ist, dass die Bibel sich irrt.

Thomas: Mit Fragezeichen meine ich auch nicht, dass wir damit die Bibel in Zweifel ziehen, sondern dass wir ein Problem erkannt haben. Ob es uns gelingen wird, das Problem zu lösen, ist eine andere Frage; es bedeutet aber nicht, dass wir deshalb die Bibel oder die Vernunft in Frage stellen müssen. Denn diese können sich, da die Heilige Schrift von Gott kommt, der nicht unvernünftig ist, nicht widersprechen. Aber wir haben dann eine Türe entdeckt, die uns vielleicht verschlossen ist, die wir aber immer­hin einmal gefunden haben. Gelingt es uns, sie zu öffnen, werden wir noch tiefer in die Geheimnisse Gottes eindringen. Gelingt es uns nicht, müssen wir vielleicht mehr beten, bis sie Gott für uns öffnet, aber immerhin haben wir diese Türe mal gefunden. Und genau das wäre der zweite Punkt, weswegen ich es für sinnvoll erachte, die Vernunft hinzuzuziehen: Sie hilft uns, tiefer in die Geheimnisse Gottes einzudringen. Denn aufgrund unserer Schwäche erkennen wir nicht bei jedem Wort automatisch, welche Fülle an Wahrheit und Weisheit Gott in die Texte der Heiligen Schrift hineingelegt hat. Hier muss man oft lesen, beten und nachdenken, um immer tiefer in die Geheimnisse des Wortes Gottes einzudringen. Die Vernunft ist ein Werkzeug,30 wenn sie sich nicht überhebt,31 der Heilige Geist ist Licht von Gott32 und wenn Gott uns gnädig ist, lässt Er uns Seine Geheimnisse erkennen.

Oskar: Zugestanden; aber ist es nicht so, dass bei euch nur die Kirche das Wort Gottes auslegen darf?

Thomas: Das ist nicht ganz falsch, aber ein wenig verkürzt. Zunächst weist jedoch die Schrift selbst darauf hin, dass ein prophetisches Wort der Schrift nicht Sache eigener Deutung33 ist. Die Kirche ist Maßstab, oberste Lehrerin und Hüterin des Wortes Gottes, denn sie ist, wie die Schrift sagt, Säule und Grundfeste der Wahrheit.34 Schließlich ist die Heilige Schrift zuweilen schwer zu verstehen35 und du selbst hast schon darauf hingewiesen, dass die Vernunft irren kann.

Oskar: Allerdings muss man hier fragen, was die Bibel mit Kirche überhaupt meint! Außerdem hast du den Heiligen Geist vergessen.

Thomas: Es ist ein Irrtum zu glauben, der Heilige Geist überkomme einen Menschen einfach mal so, nur weil er seine Nase in die Bibel steckt, so dass er alles verstehen könnte.36 Der Heilige Geist ist kein Automat. Petrus weist vielmehr darauf hin, dass ungebildete und ungefestigte Leute die Schrift zu ihrem eigenen Verderben verdrehen.37

Oskar: So gesehen ist der Heilige Geist auch für die Kirche kein Automat!

Thomas: Hierauf zu antworten macht nur Sinn, wenn wir tatsächlich zunächst klären, was Kirche überhaupt ist. Allerdings kommen wir auch hier wieder auf ein anderes Thema und es würde mich sogar freuen, wenn wir im Anschluss an unser aktuelles Thema tatsächlich nochmals darauf zurückkommen könnten. Für jetzt würde ich gerne zu unserem eigentlichen Kapitel zurückkehren, um eben in einem ersten Schritt zu versuchen, uns dem Geheimnis der Gottesmutter auf der Basis der Heiligen Schrift und mit Hilfe der Vernunft anzunähern. Dies soll uns helfen, tiefer in das, was uns Gott hier geoffenbart hat, einzudringen. Einverstanden?

Oskar: Ich bin gespannt.

Maria, Tempel und Bundeslade des Neuen Bundes

Thomas: Das erste, was ich betrachten möchte, ist Maria als Tempel.

Oskar: Nach Paulus sind alle unsere Leiber Tempel des Heiligen Geistes.38

Thomas: Du bist also einverstanden, wenn wir dies auch für Maria in Anspruch nehmen?

Oskar: Freilich.

Thomas: Gibst du auch zu, dass dies für Maria in noch hervor­ragenderer Weise gilt als für die anderen Christen?

Oskar: Das ist wieder so eine Frage, wo man schon ahnt, dass da jetzt gleich wieder etwas kommt, dem man lieber nicht zustimmen möchte.

Thomas: Nun, wir sind nicht bei der Polizei: Mir geht es nicht um Fangfragen, sondern um die Wahrheit. Und mir ist auch klar, dass man leicht einmal etwas Falsches sagt, oder etwas, das nicht genügend durchdacht ist. Niemand verbietet dir, das dann auch wieder zurückzuziehen. Warum also so ein Misstrauen?

Oskar: Okay. Wie war nochmals die Frage?

Thomas: Kann man sagen, dass Maria in hervorragenderer Weise Tempel ist als die übrigen Christen?

Oskar: Mir scheint irgendwie, als wäre die Antwort ja, weil sie ja die Mutter Jesu ist, aber vermutlich kannst du das genauer erklären.

Thomas: Ich will es versuchen: Der Mensch ist gewissermaßen von Natur aus ein Bild für den Tempel, weil in einem materiellen Leib eine geistige Seele wohnt. Der Christ ist jedoch wirklich Tempel Gottes, insofern der Geist Gottes in ihm wohnt.39

Oskar: Und Maria?

Thomas: In ihr40 ist das Wort Gottes Mensch geworden und hat Fleisch angenommen.41 In ihr war Gott also geradezu leibhaftig gegenwärtig, so dass sie mit weit größerem Recht und im eigentlichsten Sinne Tempel Gottes genannt werden kann: Sie ist eine neue Bundeslade, die Bundeslade des Neuen Testaments, weit größer als die Bundeslade des Alten Testaments.

Oskar: Moment! Du vergleichst die Maria mit der Bundeslade? Die Bundeslade, über der Gott selbst thronte,42 die so heilig war, dass im Alten Testament einer sterben musste, der es gewagt hatte, sie anzufassen,43 und die in der Offenbarung im Tempel Gottes als das Heiligste gezeigt wird mit Donner, Blitz und Beben?44 Das wagst du mit Maria zu vergleichen?

Thomas: Ja.

Oskar: Nein, also da kann ich nicht mehr mit. Das kann ich nicht akzeptieren.

Thomas: Wo ist das Problem?

Oskar: Die Bundeslade! Verstehst du? Das Heiligste! Wenn ihr so denkt, dann ist natürlich klar, dass ihr die Maria verehrt und sie über alles setzt!e

Thomas: Interessant! Also wenn Maria tatsächlich mit der Bundes­lade vergleichbar ist, dann ist deiner Meinung nach die katholische Marienverehrung plausibel.

Oskar: Darüber brauchen wir gar nicht erst nachzu­denken, denn die Maria ist nicht die Bundeslade!

Thomas: Aber warum war denn die Bundeslade so heilig?

Oskar: Sie war im Bundeszelt, im Allerheiligsten, wo Gott mit Seiner Herrlichkeit war,45 in ihr waren die Gesetzestafeln,46 das Gesetz Gottes.

Thomas: Was ist größer: Gott oder Seine Herrlichkeit und Sein Gesetz?

Oskar: Das ist ja wohl eine sinnlose Frage! Gott und Seine Herrlichkeit – da ist doch kein Unterschied!

Thomas: Einverstanden. Können wir also sagen, dass, wenn Gott irgendwo gegenwärtig ist, dasjenige dann mit der Bundeslade vergleichbar wäre?

Oskar: Wenn dort Gott so gegenwärtig ist wie in der Bundeslade.

Thomas: Wie war Er denn dort gegenwärtig?

Oskar: Mit Seiner Herrlichkeit und Gottheit.

Thomas: Wenn Gott also irgendwo mit Seiner Herrlichkeit und Gottheit gegenwärtig ist, dann wäre dasjenige also mit der Bundes­lade vergleichbar?

Oskar: Auf jeden Fall nicht Maria!

Thomas: Aber ist Christus nicht der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und Abbild Seines Wesens?47

Oskar: Eben, Christus, aber nicht die Maria.

Thomas: Und hast du nicht selbst gesagt, dass Christus Gott ist?

Oskar: Hm, ja, habe ich – ich ahne auch schon, worauf du hinauswillst, aber das ist doch nicht das Gleiche…

Thomas: Warum nicht?

Oskar: Das ist doch einfach nicht das Gleiche… Ich meine, also Jesus haben viele Menschen berührt,48 aber keiner ist deswegen gestorben.

Thomas: Gut, aber du gibst zu, dass Christus Gott ist und dass in Christus die Fülle der Gottheit und Herrlichkeit gegenwärtig ist, und zwar nicht weniger als in der Bundeslade.

Oskar: Hm; wenn Jesus Gott ist, kann man ja wohl nicht leicht widersprechen… Aber du musst doch zugeben, dass es hier trotzdem einen Unterschied gibt – die Herrlichkeit Gottes war ja auch bei Jesus selbst irgendwie trotzdem nicht so da wie bei der Bundes­lade! Also ich meine, sie war schon da, aber eben, es musste keiner sterben, der Jesus berührt hat!

Thomas: Nun, lass uns doch in Ruhe betrachten, wo wir genau die Unterschiede ausmachen können. Hinsichtlich der Gottheit und Heiligkeit können wir zwischen der Bundeslade und Christus kaum unterscheiden; höchstens insofern als Christus noch heiliger ist als die Bundeslade.

Oskar: Warum?

Thomas: Die Bundeslade ist heilig durch Gott. Christus aber ist Gott. Also ist Christus die Quelle der Heiligkeit der Bundeslade. Doch die Ursache der Heiligkeit ist natürlich heiliger als die Wirkung oder der Gegenstand, der geheiligt wird.

Oskar: Kann man das so sagen, dass die Bundeslade durch Jesus heilig ist? Ich meine, war das da nicht eher der Vater?

Thomas: Die Dreifaltigkeit ist nicht teilbar; vielmehr sagt Christus, wer mich sah, hat den Vater gesehen49 und ich und der Vater sind eins.50 Daher ist es völlig korrekt, zu sagen, dass Christus Quelle der Heiligkeit der Bundeslade ist, auch wenn die Dreifaltigkeit im Alten Testament noch nicht explizit ge­offenbart worden ist.

Oskar: Jesus ist also heiliger als die Bundeslade… ebenso heilig wie Jahwe…

Thomas: Völlig richtig!

Oskar: Und was ist nun der Unterschied zur Bundeslade, also ich meine, warum ist niemand gestorben, der Christus berührt hat?

Thomas