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Chris Miller

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Beschreibung

Wir denken selten an sie, aber ohne Mikrochips funktioniert heute nichts mehr: kein Auto, kein Stromnetz, keine Börse, kein Internet – keine Armee. Die militärische, wirtschaftliche und geopolitische Macht der Staaten ruht heutzutage auf einem Fundament aus Computerchips. Nur wenige Firmen können bei der rasanten technologischen Entwicklung noch mithalten. Der Kampf um die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist in vollem Gange.  «Der Chip-Krieg» zeichnet eindrucksvoll die Hintergründe im Wettlauf um die immer kleineren, immer leistungsstärkeren Chips nach: von den Anfängen der «digitalen Revolution» im später so getauften «Silicon Valley» über das Kräftemessen mit der Sowjetunion, die mit der Auslagerung der Produktion nach Südostasien einsetzende Globalisierung, bis hin zur technologischen Aufrüstung Chinas und der Chip-Krise während des Corona-Lockdowns: Chris Miller legt die erste vollumfängliche Geschichte der wohl wichtigsten Ressource unserer Zeit vor. Dabei wird klar: Wer den Zugang zu ihr kontrolliert, kontrolliert die Welt. 

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Seitenzahl: 664

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Chris Miller

Der Chip-Krieg

Wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft auf der Welt kämpfen

 

 

Aus dem Englischen von Hans-Peter Remmler und Doro Siebecke

 

Über dieses Buch

Wir denken selten an sie, aber ohne Mikrochips funktioniert heute nichts mehr: kein Auto, kein Stromnetz, keine Börse, kein Internet – keine Armee. Die militärische, wirtschaftliche und geopolitische Macht der Staaten ruht heutzutage auf einem Fundament aus Computerchips. Nur wenige Firmen können bei der rasanten technologischen Entwicklung noch mithalten. Der Kampf um die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist in vollem Gange. 

«Der Chip-Krieg» zeichnet eindrucksvoll die Hintergründe im Wettlauf um die immer kleineren, immer leistungsstärkeren Chips nach: von den Anfängen der «digitalen Revolution» im später so getauften «Silicon Valley» über das Kräftemessen mit der Sowjetunion, die mit der Auslagerung der Produktion nach Südostasien einsetzende Globalisierung bis hin zur technologischen Aufrüstung Chinas und der Chip-Krise während des Corona-Lockdowns: Chris Miller legt die erste vollumfängliche Geschichte der wohl wichtigsten Ressource unserer Zeit vor. Dabei wird klar: Wer den Zugang zu ihr kontrolliert, kontrolliert die Welt. 

Vita

Chris Miller ist Professor für Internationale Geschichte an der Tufts University in Massachusetts und Director am Foreign Policy Research Institute. Er hat in Yale und Harvard studiert und schreibt regelmäßig für die New York Times, das Wall Street Journal und Foreign Affairs. Er hat drei Bücher zur Geschichte der Sowjetunion und Russlands veröffentlicht. Als er sich mit der Technik der sowjetischen Raumfahrt beschäftigte, stieß er auf die faszinierende Geschichte der modernen Halbleiterentwicklung, die schließlich im Chip-Krieg mündete.

Hans-Peter Remmler, Jahrgang 1957, übersetzt aus dem Englischen und Spanischen. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Bill Gates, Ronan Farrow, Carol Leonnig, Maria Ressa und Bob Woodward.

Doro Siebecke, Jahrgang 1960, studierte in Germersheim, Stirling und Hamburg und übersetzt seit vielen Jahren im Bereich Computer und Technik aus dem Englischen und Spanischen.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Chip War. The Fight for the World’s Most Critical Technology» bei Scribner, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2023

Copyright der deutschen Erstausgabe © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Chip War. The Fight for the World's Most Critical Technology» Copyright © 2022 by Christopher Miller

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München,

nach dem Original von Simon & Schuster UK

Coverabbildung Smith Chetanachan/EyeEm/Getty Images

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01934-8

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Inhaltsübersicht

Widmung

Personen

Glossar

Einleitung

Teil 1 Chips im Kalten Krieg

Kapitel 1 Von Stahl zu Silizium

Kapitel 2 Der Schalter

Kapitel 3 Noyce, Kilby und der integrierte Schaltkreis

Kapitel 4 Der Durchbruch

Kapitel 5 Mörser und Massenproduktion

Kapitel 6 «ICH WILL REICH WERDEN!»

Teil 2 Die Schaltkreise der amerikanischen Welt

Kapitel 7 Das sowjetische Silicon Valley

Kapitel 8 «Kopieren Sie das!»

Kapitel 9 Der Transistorvertreter

Kapitel 10 «Die Transistor-Mädchen»

Kapitel 11 Präzisionsangriff

Kapitel 12 Lieferketten-Diplomatie

Kapitel 13 Die Intel-Revolutionäre

Kapitel 14 Die Offset-Strategie des Pentagons

Teil 3 Verlorene Führungsrolle?

Kapitel 15 «Das ist ein harter Wettbewerb»

Kapitel 16 «Im Krieg mit Japan»

Kapitel 17 «Die liefern Schrott»

Kapitel 18 Das Rohöl der 1980er Jahre

Kapitel 19 Todesspirale

Kapitel 20 Das Japan, das auch Nein sagen kann

Teil 4 Amerikas Wiederaufstieg

Kapitel 21 Der König der Fritten

Kapitel 22 Disruption im Hause Intel

Kapitel 23 «Der Feind meines Feindes»: Der Aufstieg Koreas

Kapitel 24 «Das ist die Zukunft»

Kapitel 25 Das Direktorat T des KGB

Kapitel 26 «Massenvernichtungswaffen»: Die Auswirkungen des Offsets

Kapitel 27 Kriegsheld

Kapitel 28 «Der Kalte Krieg ist vorbei, und ihr habt ihn gewonnen»

Teil 5 Integrierte Schaltkreise, integrierte Welt?

Kapitel 29 «Wir wollen eine Halbleiterindustrie in Taiwan»

Kapitel 30 «Alle müssen Halbleiter herstellen»

Kapitel 31 «Gottes Liebe mit den Chinesen teilen»

Kapitel 32 Lithografiekriege

Kapitel 33 Das Dilemma des Erneuerers

Kapitel 34 Schneller sein?

Teil 6 Innovation auslagern?

Kapitel 35 «Richtige Männer haben Fabriken»

Kapitel 36 Die Revolution der Fabriklosen

Kapitel 37 Morris Changs «Große Allianz»

Kapitel 38 Apple Silicon

Kapitel 39 EUV-Lithografie

Kapitel 40 «Es gibt keinen Plan B»

Kapitel 41 Als Intel die Innovation vergaß

Teil 7 Chinas Herausforderung

Kapitel 42 Made in China

Kapitel 43 «Aufruf zur Attacke»

Kapitel 44 Technologietransfer

Kapitel 45 «Es wird zwangsläufig zu Fusionen kommen»

Kapitel 46 Der Aufstieg von Huawei

Kapitel 47 Die Zukunft im Zeichen von 5G

Kapitel 48 Der nächste Offset

Teil 8 Der «Chip Choke» – Wenn Chips zur Mangelware werden

Kapitel 49 «Alles, worüber wir im Wettbewerb stehen»

Kapitel 50 Fujian Jinhua

Kapitel 51 Der Angriff auf Huawei

Kapitel 52 Chinas Sputnik-Moment?

Kapitel 53 Engpässe und Lieferketten

Kapitel 54 Das Taiwan-Dilemma

Fazit

Dank

Register

Bildnachweis

Tafelteil

Für Liya

Personen

Morris Chang: Gründer der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), dem weltweit führenden Halbleiterhersteller; zuvor Vorstandsmitglied bei Texas Instruments.

Andy Grove: In den 1980er und 1990er Jahren Produktionsleiter und CEO von Intel; bekannt für die erfolgreiche Neuausrichtung des Unternehmens und seinen ruppigen Führungsstil; Autor von «Nur die Paranoiden überleben».

Pat Haggerty: Vorstandsvorsitzender von Texas Instruments. Federführend bei der Spezialisierung des Unternehmens auf die Fertigung von Mikroelektronik, auch für das US-Militär.

Jack Kilby: Miterfinder des integrierten Schaltkreises im Jahr 1958; lange Jahre Ingenieur bei Texas Instruments; Nobelpreisträger.

Jay Lathrop: Erfinder der Fotolithografie, eines Verfahrens zur Übertragung von Transistorschablonen mithilfe spezieller Chemikalien und Licht; zuvor Ingenieur bei Texas Instruments.

Carver Mead: Professor am California Institute of Technology (Caltech), Berater von Fairchild Semiconductor und Intel; visionärer Vordenker in technologischen Fragen.

Gordon Moore: Mitgründer von Fairchild Semiconductor und Intel; Urheber des Mooreschen Gesetzes, einer Vorhersage aus dem Jahr 1965, die besagt, dass sich die Rechenleistung von Chips im Laufe weniger Jahre jeweils verdoppelt.

Akio Morita: Mitgründer von Sony. Mitautor von «The Japan That Can Say No»; in den 1970er und 1980er Jahren wichtigster Repräsentant der japanischen Geschäftswelt im Ausland.

Robert Noyce: Mitgründer von Fairchild Semiconductor und Intel; Miterfinder des integrierten Schaltkreises im Jahr 1959 («monolithischer Schaltkreis»); prominentester Wegbereiter der besonderen Firmenkultur des Silicon Valley; erster Firmenchef von Sematech.

William Perry: Von 1977 bis 1981 führender Beamter im Pentagon; von 1994 bis 1997 Verteidigungsminister; propagierte die Verwendung von Chips für neue, präzisere Waffen.

Jerry Sanders: Gründer und CEO von AMD; schillerndster Geschäftsmann im Silicon Valley; in den 1980er Jahren vehementer Kritiker japanischer Handelspraktiken, die er für unlauter hielt.

Ren Zhengfei: Gründer von Huawei, dem Chipdesign- und Telekommunikationsriesen aus China. Rens Tochter Meng Wanzhou wurde 2018 wegen des Versuchs, US-Handelssanktionen zu umgehen, und Verstößen gegen amerikanische Gesetze in Kanada verhaftet.

Glossar

Arm: Britisches Unternehmen, das Chipdesignern Lizenzen für die Verwendung einer Befehlsarchitektur, d.h. Grundregeln zur Steuerung von Chips, erteilt. Die Arm-Architektur hat sich in Mobilgeräten durchgesetzt und wird auch in PCs und Rechenzentren allmählich immer gebräuchlicher.

Chip (auch «Integrierter Schaltkreis» oder «Halbleiter»): Kleines Bauteil aus Halbleitermaterial (in der Regel Silizium), auf dem Millionen oder Milliarden von Mikrotransistoren Platz finden.

CPU (Central Processing Unit): Zentrale Verarbeitungseinheit und damit eine Art «Vielzweck-Chip», der in PCs, Mobiltelefonen und Rechenzentren als Schaltzentrale der Datenverarbeitung eingesetzt wird.

DRAM (Dynamic Random Access Memory): Einer der beiden Haupttypen von Speicherchips, der für die temporäre Speicherung von Daten verwendet wird.

EDA (Electronic Design Automation): Hoch spezialisierte Software zur Planung der Anordnung der Millionen oder Milliarden von Transistoren auf einem Chip und zur Simulation der Verdrahtung dieser Transistoren.

FinFET: Neue 3-D-Transistorstruktur für eine bessere Transistorsteuerung, die erstmals Anfang der 2010er Jahre eingesetzt wurde, als die Größe der Transistoren auf wenige Nanometer schrumpfte.

GPU (Graphics Processing Unit): Chip mit Parallelverarbeitungsfunktionalität, der sich aufgrund der Parallelverarbeitung für Grafik und künstliche Intelligenz eignet.

Logikchip: Chip, der Daten verarbeitet.

Speicherchip: Chip, der sich Daten merkt.

NAND-Flash: Zweiter Haupttyp von Speicherchips. NAND-Chips dienen zur Langzeitspeicherung von Daten.

Fotolithografie (kurz «Lithografie»): Vorgang, bei dem sichtbares oder ultraviolettes Licht durch Masken mit einem bestimmten Muster geworfen wird. Das Licht löst Reaktionen in Fotolackchemikalien aus, durch die die gewünschten Muster auf die Siliziumscheibe übertragen werden.

RISC-V: Open-Source-Architektur, die sich wachsender Beliebtheit erfreut, weil sie anders als Arm und x86 kostenlos verwendet werden darf. Die Entwicklung von RISC-V wurde teilweise von der US-Regierung finanziert. RISC-V ist derzeit jedoch besonders in China sehr beliebt, da diese Architektur keinen US-Exportbeschränkungen unterliegt.

Siliziumscheibe (auch «Wafer», auf Deutsch: «dünner Keks»): Runde Scheibe aus hochreinem Silizium, aus der Chips herausgeschnitten werden. Die Scheiben haben normalerweise einen Durchmesser von 200 oder 300 mm.

Transistor: Winziger elektrischer Schalter, der eingeschaltet (eine 1 wird erzeugt) oder ausgeschaltet werden kann (eine 0 wird erzeugt) und so die Einsen und Nullen hervorbringt, die das Rückgrat der digitalen Datenverarbeitung bilden.

x86: In PCs und Rechenzentren gebräuchliche Befehlsarchitektur. x86-Chips werden hauptsächlich von Intel und AMD gefertigt.[1]

Einleitung

Am 18. August 2020 erreichte die USSMustin, das Mark-45-Geschütz nach Süden gerichtet, das nördliche Ende der Formosastraße. Der Zerstörer hatte den Auftrag, die Meerenge zu durchqueren und deren Status als internationales Gewässer zu untermauern, das nicht von China kontrolliert wird – zumindest noch nicht. Auf der Fahrt nach Süden peitschte eine steife Brise über das Deck. Am Himmel türmten sich hohe Wolken, deren Schatten bis nach Fuzhou, Xiamen, Hongkong und zu all den kleineren Hafenstädten entlang der südchinesischen Küste zu reichen schienen. Weit im Osten erhob sich die Insel Taiwan, eine weite, dicht besiedelte Küstenebene, die von hohen, in den Wolken verborgenen Berggipfeln überragt wurde. An Deck stand ein Matrose mit blauer Navy-Mütze und Mundschutz und suchte den Horizont mit dem Fernglas ab. Die vielen Frachtschiffe ringsum, die Waren aus asiatischen Fabriken für Käufer auf der ganzen Welt geladen hatten, interessierten ihn nicht.

In einem abgedunkelten Raum an Bord der USSMustin saßen mehrere Matrosen vor großen Bildschirmen, über die grellbunte Bewegungsdaten zu Flugzeugen, Drohnen, Schiffen und Satelliten im Indopazifik flimmerten.[1] Eine Radaranlage über der Brücke des Zerstörers versorgte die Computer mit den aktuellen Daten. An Deck befanden sich 96 einsatzbereite Startanlagen, aus denen Lenkwaffen auf Flugzeuge, Schiffe oder U-Boote in Hunderten von Kilometern Entfernung abgefeuert werden konnten. In den Krisen des Kalten Krieges hatte das US-Militär mit Nuklearwaffen gedroht. Heute stützt es sich auf Mikroelektronik und Präzisionsangriffe.

Während sich die USSMustin dicht bepackt mit computergesteuerten Geschützen durch die Meeresstraße schob, kündigte die chinesische Volksbefreiungsarmee Schießübungen vor der Küste Taiwans an, um das zu trainieren, was eine chinesische Zeitung als «Wiedervereinigung mit Gewalt» bezeichnete.[2] Doch an diesem Tag sorgte sich die chinesische Führung weniger wegen der US-Marine, sondern wegen einer obskuren Sanktionsliste des US-Wirtschaftsministeriums, die den Export amerikanischer Technologie reglementierte. Bis dahin war diese «Entity List» nur dazu genutzt worden, den Verkauf von Rüstungsgütern wie Raketenteilen oder Atomwaffenmaterial an andere Länder zu verhindern. Jetzt aber fasste die USA die Regeln enger, sodass die Liste auch Halbleiter einschloss, die in Rüstungsgütern ebenso wie in normalen Gebrauchsgütern allgegenwärtig waren.

Im Visier dieser Maßnahme stand Huawei, der chinesische Technologie-Riese, der Smartphones und andere Telekommunikationsprodukte, Cloud-Computing-Dienste sowie weitere hoch entwickelte Technologien vertrieb. Die USA waren alarmiert, weil die Produkte von Huawei – teilweise auch aufgrund von staatlichen Subventionen – inzwischen so günstig waren, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein schien, bis sie das Rückgrat der Telekommunikationsnetze der nächsten Generation auf der ganzen Welt bilden würden. Amerikas Vormachtstellung bei der weltweit genutzten technischen Infrastruktur wäre damit untergraben, und Chinas geopolitischer Einfluss würde wachsen. Um dieser Gefahr zu begegnen, hatten sich die USA entschlossen, die Belieferung von Huawei mit komplexeren Computerchips, die mit US-Technologie gefertigt worden waren, zu unterbinden.

Huaweis Expansion auf dem Weltmarkt kam dadurch bald zum Erliegen. Ganze Produktlinien konnten nicht mehr hergestellt werden, die Umsätze brachen ein. Ein Marktriese stand vor dem Ruin, weil er technologisch ausgehungert wurde. Huawei musste feststellen, dass es, wie alle anderen chinesischen Unternehmen auch, bei der Chipproduktion, auf der die gesamte moderne Elektronik basiert, auf fatale Weise von Ausländern abhängig war.

Noch kontrollieren die USA den Markt für Siliziumchips, die dem Silicon Valley seinen Namen gegeben haben. Diese Vormachtstellung ist jedoch bedroht. China gibt inzwischen jedes Jahr mehr für den Import von Chips aus als für Öl. Diese Chips stecken in allen möglichen Geräten – vom Smartphone bis zum Kühlschrank –, die die Chinesen selbst nutzen oder in alle Welt exportieren. Strategen schwadronieren gern über das «Malakka-Dilemma» Chinas – eine Anspielung auf die wichtigste Schiffspassage zwischen Pazifik und Indischem Ozean – und dem in Krisenzeiten bedrohten Zugang des Landes zu Öl und anderen Rohstoffen. Peking fürchtet sich jedoch mehr vor einer Blockade, deren Ausmaß nicht in Barrel, sondern in Bytes gemessen wird. Um die Halbleiterindustrie aus dem Würgegriff Amerikas zu befreien, investiert das Land Milliarden von Dollar in die Entwicklung der eigenen Chiptechnologie und sorgt dafür, dass die klügsten Köpfe des Landes in diesem Bereich arbeiten.[3]

Ist diese Strategie erfolgreich, wird Peking die Weltwirtschaft umgestalten und das militärische Gleichgewicht neu justieren können. Der Zweite Weltkrieg wurde durch den Zugang zu Stahl und Aluminium entschieden. Bald darauf folgte der Kalte Krieg, in dem die Vormachtstellung über Atomwaffen definiert wurde. Jetzt könnte die Rivalität zwischen den USA und China über die Rechenleistung entschieden werden. Strategen in Peking und Washington erkennen derzeit, dass die gesamte moderne Technologie – vom maschinellen Lernen bis zu Lenkwaffensystemen, von fahrerlosen Fahrzeugen bis zu militärischen Drohnen – auf Chips der jeweils neuesten Generation angewiesen ist. Deren Produktion wird von einer sehr überschaubaren Zahl von Firmen kontrolliert.

Wir machen uns selten Gedanken über Computerchips (bzw. Halbleiter oder integrierte Schaltkreise, wie sie auch genannt werden), obwohl wir ihnen unsere moderne Welt verdanken. Das Schicksal ganzer Nationen hängt von ihrer Fähigkeit ab, das Potenzial der Mikroelektronik auszuschöpfen. Ohne den weltweiten Handel mit Halbleitern und den damit hergestellten elektronischen Produkten würde es die Globalisierung, wie wir sie kennen, nicht geben. Die militärische Vormachtstellung der USA beruht zu einem großen Teil auf dem effizienten Einsatz von Chips in der Rüstungsindustrie. Der enorme Aufstieg Asiens in den letzten fünfzig Jahren basiert auf Silizium. Er ist ohne die Spezialisierung der aufstrebenden Volkswirtschaften auf die Chipfertigung und die Montage der Computer und Smartphones, die der Erfindung der integrierten Schaltkreise zu verdanken sind, nicht denkbar.

Das zentrale Merkmal der Datenverarbeitung sind Einsen und Nullen. Das gesamte digitale Universum besteht aus diesen beiden Ziffern. Die Tasten Ihres iPhones, Ihre E-Mails, Ihre Fotos und YouTube-Videos, sie alle sind in langen Ketten von Einsen und Nullen codiert. Diese Ziffernfolgen existieren jedoch nicht wirklich. Sie sind lediglich Ausdruck elektrischer Ströme, die entweder ein- (1) oder ausgeschaltet (0) sind. Ein Chip ist ein Gitter von Millionen oder Milliarden Transistoren, winzigen elektrischen Schaltern, die zwischen Ein und Aus wechseln, um diese Ziffernfolgen zu verarbeiten, zu konservieren und Erscheinungen der realen Welt wie Bilder, Töne und Radiowellen in Millionen und Abermillionen von Einsen und Nullen umzuwandeln.

Während die USSMustin nach Süden fuhr, wurden in den Fabriken und Montageanlagen auf beiden Seiten der Meeresstraße mit Hochdruck Komponenten für das iPhone 12 hergestellt, dessen für den Oktober 2020 geplante Markteinführung nur noch zwei Monate entfernt war. Etwa ein Viertel des Umsatzes der Halbleiterindustrie wird mit Mobiltelefonen erzielt.[4] Der Verkaufspreis neuer Mobiltelefone setzt sich zu einem großen Teil aus den Kosten für die integrierten Halbleiter zusammen. In den letzten zehn Jahren enthielt jede neue iPhone-Generation einen der modernsten Prozessorchips der Welt. Jedes Smartphone benötigt ein gutes Dutzend Halbleiter, um zu funktionieren, wobei verschiedene Chips für den Akku, Bluetooth, das WLAN, den Ton, die Kamera und andere Funktionen zuständig sind.

Apple stellt nicht einen einzigen dieser Chips her und deckt den eigenen Bedarf weitgehend mit dem auf dem Markt verfügbaren Standardangebot: Speicherchips der japanischen Firma Kioxia, RFID-Chips von Skyworks in Kalifornien und Audiochips von Cirrus Logic mit Sitz in Texas.[5] Apple selbst entwickelt die hochkomplexen Prozessoren für das Betriebssystem des iPhones. Der Gigant aus Cupertino in Kalifornien ist jedoch nicht in der Lage, diese Chips selbst herzustellen. Auch kein anderes Unternehmen in den USA, Europa, Japan oder China kann das. Die komplexesten Prozessoren von Apple, die die komplexesten Prozessoren auf der ganzen Welt sein dürften, können nur von einem einzigen Unternehmen in einer einzigen Produktionsanlage gefertigt werden, die vermutlich die teuerste Fabrik der Menschheitsgeschichte ist.[6] Diese Fabrik befand sich am Morgen des 18. August 2020 nur etwa 50 Kilometer vom Bug der USSMustin entfernt.

Die Herstellung immer kleinerer Computerchips bleibt die größte technische Herausforderung unserer Zeit. Derzeit gibt es kein Unternehmen, das Chips mit größerer Präzision herstellt als die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, besser bekannt als TSMC. 2020, als die Welt von Lockdown zu Lockdown taumelte, getrieben von einem Virus mit einem Durchmesser von gerade einmal 100 Nanometern – dem milliardsten Teil eines Meters –, wurden in der modernsten TSMC-Fabrik «Fab 18» mikroskopisch kleine Labyrinthe mit winzigen Transistoren aus Siliziumscheiben herausgeschnitten und dazu Formen in Oberflächen geätzt, die weniger als halb so groß wie das Coronavirus und hundertmal kleiner als ein Mitochondrium waren. Die Fertigungsschritte wurden bei TSMC in einer nie da gewesenen Größenordnung wiederholt. Apple verkaufte über 100 Millionen iPhone-12-Modelle, deren Herzstück ein A14-Prozessorchip mit 11,8 Milliarden winzig kleinen, aus einer Siliziumscheibe herausgeschnittenen Transistoren war.[7] Für nur einen einzigen der Dutzend iPhone-Chips wurden mit anderen Worten innerhalb von wenigen Monaten in der TSMC-Fabrik Fab 18 mehr als eine Trillion Transistoren hergestellt – ausgeschrieben wäre das eine 1 mit 18 Nullen. Im vergangenen Jahr hat die Chipindustrie mehr Transistoren hergestellt, als insgesamt Waren von allen anderen Firmen in allen anderen Branchen zusammengenommen in der gesamten Menschheitsgeschichte produziert wurden. Damit hat die Chipindustrie einen Rekord eingefahren, der seinesgleichen sucht.

Die Zeiten, in denen auf einem Hochleistungschip nicht 11,8 Milliarden, sondern gerade einmal magere 4 Transistoren Platz fanden, liegen erst 60 Jahre zurück.[8] 1961 kündigte ein kleines Unternehmen namens Fairchild Semiconductor südlich von San Francisco ein neues Produkt namens Micrologic an, einen Siliziumchip mit vier integrierten Transistoren. Kurz darauf entwickelte Fairchild Möglichkeiten, ein Dutzend und später sogar hundert Transistoren auf einem Chip unterzubringen. Gordon Moore, der Mitgründer von Fairchild, stellte 1965 fest, dass sich die Anzahl der Komponenten auf einem Chip jedes Jahr verdoppelte, weil Ingenieure immer neue Wege fanden, noch kleinere Transistoren herzustellen. Die Prognose, dass die Rechenleistung von Chips exponentiell zunimmt, wurde als «Mooresches Gesetz» bekannt und inspirierte Moore dazu, die Erfindung von Produkten vorherzusagen, die 1965 noch als bloße Hirngespinste abgetan wurden, zum Beispiel eine «elektronische Armbanduhr», einen «Heimcomputer» und sogar «für jedermann erschwingliche, tragbare Kommunikationsmittel». Mit Blick auf die Zukunft sagte Moore 1965 ein Jahrzehnt exponentiellen Wachstums voraus. Der rasante Fortschritt hält jedoch inzwischen seit mehr als fünfzig Jahren an. 1970 stellte Intel, das zweite Unternehmen, das Moore gründete, einen Speicherchip vor, der 1024 Informationseinheiten, sogenannte «Bits», verwalten konnte. Er kostete damals rund 20 Dollar, also etwa 2 Cent pro Bit.[9] Heute bekommt man in den USA für 20 Dollar einen USB-Stick, der weit über eine Milliarde Bits speichern kann.

Wenn wir heute vom Silicon Valley sprechen, verbinden wir damit eher soziale Netzwerke und Softwareunternehmen als die Substanz, die dem Tal seinen Namen gegeben hat. Doch das Internet, die Clouds, die sozialen Medien und die gesamte digitale Welt gibt es nur, weil Ingenieure gelernt haben, die Bewegungen von Elektronen, die in Siliziumschichten umherflitzen, bis ins kleinste Detail zu steuern. «Big Tech» wären nicht so groß geworden, wenn die Kosten für das Verarbeiten und Speichern von Einsen und Nullen in den letzten 50 Jahren nicht um das Milliardenfache gesunken wären.

Dieser unglaubliche Aufstieg ist zum Teil brillanten Forschern und Physikern zu verdanken, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Aber nicht jede Erfindung legt den Grundstein für ein erfolgreiches Start-up-Unternehmen, und nicht jedes Start-up gibt den Anstoß zur Entstehung einer neuen Branche, die die Welt verändert. Halbleiter haben sich in der Gesellschaft durchgesetzt, weil Unternehmen Techniken zur Massenherstellung entwickelt, kompromisslose Manager beharrlich die Kosten gedrückt und kreative Existenzgründer immer neue Wege zu ihrer Nutzung ersonnen haben. Die Entstehung des Mooreschen Gesetzes ist ebenso eine Erfolgsgeschichte von Produktionsexperten, Supply-Chain-Spezialisten und Marketingmanagern wie von Physikern und Elektroingenieuren.

Die Städte südlich von San Francisco, die in den 1970er Jahren erstmals als «Silicon Valley» bezeichnet wurden, waren das Epizentrum dieser Revolution, da sie wissenschaftliche Expertise, produktionstechnisches Know-how und visionäres Unternehmertum miteinander verbinden konnten. In Kalifornien lebten viele Ingenieure aus der Flugzeug- und Rundfunkbranche, die in Stanford oder Berkeley studiert hatten, also an gut ausgestatteten Universitäten, die auf Mittel aus dem Verteidigungshaushalt zurückgreifen konnten, da das US-Militär sich darum bemühte, seinen technologischen Vorsprung zu festigen. Das kalifornische Lebensgefühl war jedoch ebenso entscheidend wie ökonomische Aspekte. Diejenigen, die die Ostküste der USA, Europa oder Asien verließen, um die Chipindustrie aufzubauen, begründeten ihre Entscheidung für das Silicon Valley oft mit dem Klima der unbegrenzten Möglichkeiten. Für die talentiertesten Ingenieure und kreativsten Jungunternehmer der Welt gab es einfach keinen aufregenderen Ort.

Als die Chipindustrie Gestalt annahm, erwies sich ein Standortwechsel als unmöglich. Heute umfasst die Lieferkette für Halbleiter Komponenten aus den verschiedensten Städten und Ländern, aber fast jeder fertige Chip hat nach wie vor eine Verbindung zum Silicon Valley oder wurde mit Anlagen hergestellt, die in Kalifornien entwickelt und konstruiert wurden. Amerikas riesiger Pool an Forschungskompetenz, gestützt durch staatliche Forschungsgelder und seine Attraktivität für die fähigsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Herren Länder, lieferte von Anfang an das Kernwissen für einen rasanten technologischen Fortschritt. Das amerikanische Netzwerk an Risikokapitalunternehmen und die Aktienmärkte versorgten die neuen Firmen mit dem nötigen Startkapital und drängten erfolglose Unternehmen gnadenlos vom Markt. Parallel dazu kurbelte damals wie heute der weltweit größte Verbrauchermarkt in den USA das Wachstum an, das jahrzehntelang Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu neuen Typen von Chips finanziert hat.

Anderen Ländern fiel es schwer, da mitzuhalten. Es erwies sich oft als lukrativer, eine Stellung als unverzichtbares Glied in den Lieferketten des Silicon Valley zu erobern. In Europa gibt es einige isolierte Inseln mit Halbleiterexpertise, vor allem bei der Produktion von Maschinenwerkzeugen für die Chipherstellung und bei der Entwicklung von Chiparchitekturen. Taiwan, Südkorea und Japan haben sich in einem harten Wettbewerb ihren Weg in die Chipindustrie gebahnt, indem sie staatlich koordiniert Firmen subventioniert, Ausbildungsprogramme finanziert, für die Unterbewertung ihrer Währung gesorgt und Zölle auf importierte Chips erhoben haben. Dadurch haben sich Schlüsselkompetenzen entwickelt, die andere Länder nicht kopieren können. Was sie erreicht haben, beruht jedoch auf einer Partnerschaft mit dem Silicon Valley: Sie sind nach wie vor auf Werkzeuge, Software und Käufer aus den USA angewiesen. Die erfolgreichsten Chipunternehmen in den USA haben in der Zwischenzeit Lieferketten aufgebaut, die sich über die ganze Welt erstrecken, die Kosten immer weiter gesenkt und das Know-how erweitert, auf dem das Mooresche Gesetz basiert.

Dank des Mooreschen Gesetzes sind Halbleiter heute in jedem Gerät zu finden, das Rechenleistung benötigt, was im Zeitalter des Internet of Things bedeutet, dass nahezu jedes Teil Halbleiter enthält. Selbst in Maschinen, die bereits vor hundert Jahren entwickelt wurden wie das Automobil, stecken heute Halbleiter im Wert von rund tausend Euro. Das Bruttoinlandsprodukt wird inzwischen hauptsächlich mit Dingen erwirtschaftet, die auf Halbleiter angewiesen sind. Für ein Produkt, das es vor 75 Jahren noch gar nicht gab, ist das eine ziemlich erstaunliche Karriere.

Während die USSMustin im August 2020 nach Süden fuhr, ging der Welt erstmals auf, in welche Abhängigkeit von Halbleitern – und damit von Taiwan, wo ein Drittel der jährlich von uns eingesetzten Rechenleistung hergestellt wird – sie sich begeben hatte.[10] Fast alle komplexeren Prozessorchips stammen vom taiwanesischen Unternehmen TSMC.[11] Als Covid-19 2020 über die Welt hereinbrach, legte das Virus auch die Chipproduktion lahm. Einige Fabriken wurden vorübergehend stillgelegt, Chips für Autos wurden zur Mangelware. Die Nachfrage nach Chips für PCs und Rechenzentren schnellte in die Höhe, da Unternehmen auf der ganzen Welt begannen, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Der Produktionsrückgang wurde 2021 zusätzlich durch eine Reihe gravierender Ereignisse verschärft: ein Brand in einer japanischen Chipfabrik, eisige Winterstürme in Texas und damit in einer der amerikanischen Schlüsselregionen für die Chipherstellung sowie erneute Corona-Lockdowns in Malaysia, einem Land, in dem viele Chips montiert und getestet werden. Unversehens hatten viele Industriezweige fernab vom Silicon Valley mit einem bedrohlichen Mangel an Chips zu kämpfen. Große Autohersteller von Toyota bis General Motors mussten ihre Fabriken wochenlang schließen, weil die benötigten Halbleiter nicht beschafft werden konnten.[12] Engpässe selbst bei den simpelsten Chips führten dazu, dass Fabriken auf der anderen Seite der Welt schließen mussten. Die Krise schien ein Sinnbild für eine fehlgeleitete Globalisierung zu sein.

Politiker in den USA, Europa und Japan hatten sich in den Jahrzehnten zuvor wenig mit Halbleitern befasst. Wie wir alle, nahmen auch sie an, dass sich das Modewort «Tech» auf Suchmaschinen und soziale Netzwerke bezog, nicht auf Siliziumscheiben. Als Joe Biden und Angela Merkel sich ein Bild davon machen wollten, warum in ihren Ländern Autofabriken schließen mussten, stießen sie auf verwirrend komplexe Lieferketten. Das Design eines typischen Chips kann von Ingenieuren in Kalifornien und Israel mithilfe von Entwurfssoftware aus den USA und Bauplänen der Firma Arm entworfen worden sein, die sich in japanischer Hand befindet, ihren Sitz aber in Großbritannien hat. Das fertige Design wird anschließend an eine Produktionsstätte in Taiwan geschickt, die hochreine Siliziumscheiben und spezielle Gase aus Japan bezieht. Mit den präzisesten Maschinen der Welt, die extrem dünne Materialschichten mit einer Stärke von wenigen Atomen ätzen, abscheiden und messen können, wird das Design anschließend auf das Silizium übertragen. Diese Maschinen werden hauptsächlich von fünf Unternehmen – einem niederländischen, einem japanischen und drei kalifornischen – konstruiert. Ohne sie ist die Herstellung komplexerer Chips praktisch unmöglich. Danach wird der Chip – vorwiegend in Südostasien – in ein Gehäuse gepackt und getestet, bevor er schließlich nach China verschifft und dort in ein Mobiltelefon oder einen Computer eingebaut wird.

Gibt es auch nur bei einem dieser Produktionsschritte der Halbleiterherstellung eine Unterbrechung, ist die weltweite Versorgung mit neuer Rechenleistung gefährdet. Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz heißt es oft, Daten seien das neue Öl. Die eigentliche Versorgungslücke, mit der wir jederzeit konfrontiert sein können, ist jedoch nicht eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Daten, sondern von Rechenleistung. Es gibt eine begrenzte Menge an Halbleitern, die Daten speichern und verarbeiten können. Ihre Herstellung ist unvorstellbar komplex und aberwitzig teuer. Anders als Öl, das aus vielen Ländern bezogen werden kann, sind für die Produktion von Rechenleistung mehrere Elemente unverzichtbar, die jedes für sich zu einem Engpass führen können: Werkzeuge, Chemikalien und Software werden oft nur von einigen wenigen Unternehmen produziert, manchmal sogar nur von einem einzigen. Kein anderer Bereich der Wirtschaft ist derart abhängig von so wenigen Firmen. Chips aus Taiwan haben einen Anteil von 37 Prozent an der weltweit jährlich neu produzierten Rechenleistung. Zwei koreanische Unternehmen produzieren 44 Prozent der weltweiten Speicherchips.[13] Eine niederländische Firma baut 100 Prozent der Maschinen für die EUV-Lithografie (EUV ist die Abkürzung für Extreme-Ultraviolet Lithography), ohne die die Herstellung modernster Chips praktisch unmöglich ist. Dagegen nimmt sich der 40-prozentige Anteil der OPEC an der weltweiten Erdölförderung verschwindend gering aus.

Das globale Netzwerk von Unternehmen, das jährlich Unmengen von Chips im Nanomaßstab produziert, ist ein Triumph der Effizienz. Und gleichzeitig eine kritische Schwachstelle. Die Turbulenzen während der Pandemie waren nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, was ein einziges Erdbeben in einer entsprechenden Region für die Weltwirtschaft bedeuten kann. Taiwan liegt auf einer tektonischen Bruchlinie, die erst 1999 ein Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richterskala verursacht hat. Glücklicherweise wurde die Chipproduktion damals nur für wenige Tage lahmgelegt. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis Taiwan von einem stärkeren Beben heimgesucht wird. Auch Japan, das sich in einer seismisch aktiven Zone befindet und 17 Prozent zur weltweiten Chipproduktion beisteuert, könnte von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht werden. Das Gleiche gilt für das Silicon Valley, das heute zwar nur noch einen kleinen Beitrag zur Chipproduktion leistet, aber über Produktionsstätten für wichtige Maschinen zur Chipherstellung verfügt, die mitten im San-Andreas-Graben liegen.

Doch die seismische Verschiebung, die die Versorgung mit Halbleitern heute am meisten gefährdet, ist nicht das Aufeinanderprallen tektonischer Platten, sondern der Zusammenstoß großer Mächte. In ihrem Ringen um die Vorherrschaft versuchen China und die USA, die Kontrolle über die Zukunft der IT-Technologie zu erlangen, und diese Zukunft ist in beängstigendem Maße von einer kleinen Insel abhängig, die Peking als abtrünnige Provinz betrachtet und Amerika mit Gewalt verteidigen will.

Die Chipindustrien in den USA, China und Taiwan sind auf vielen Ebenen sehr eng miteinander verflochten. Es gibt kein besseres Beispiel dafür als den Gründer von TSMC, der Firma, deren größte Kunden bis 2020 Apple aus den USA und Huawei aus China waren. Morris Chang wurde auf dem chinesischen Festland geboren, wuchs im Hongkong des Zweiten Weltkriegs auf und studierte in Harvard sowie am MIT (Massachusetts Institute of Technology) und in Stanford. Während seiner Anstellung bei Texas Instruments in Dallas trug er maßgeblich zum Aufbau der amerikanischen Chipindustrie bei und verfügte über eine Freigabe für den Zugriff auf Informationen der höchsten Geheimhaltungsstufe, um auch Elektronik für das amerikanische Militär entwickeln zu können.[14] Durch ihn entwickelte sich Taiwan zum Epizentrum der weltweiten Halbleiterfertigung. Einige außenpolitische Strategen sehnen eine Entflechtung der Technologiesektoren in den beiden Ländern herbei, aber das hocheffiziente internationale Netzwerk aus Chipdesignern, Chemiezulieferern und Maschinenherstellern, zu dessen Aufbau Persönlichkeiten wie Morris Chang beigetragen haben, lässt sich nicht so einfach auseinanderdividieren.

Es sei denn, etwas explodiert. Peking hat sich explizit geweigert, eine Invasion in Taiwan zur «Wiedervereinigung» der Insel mit dem Festland auszuschließen. Aber es bedarf keines dramatischen Ereignisses wie eines militärischen Angriffs, damit die Weltwirtschaft durch halbleiterbedingte Schockwellen ins Schlingern gerät. Schon eine Teilblockade durch chinesische Truppen hätte verheerende Folgen. Ein einziger Raketenangriff auf die modernste TSMC-Chipfabrik könnte leicht zu Schäden in Höhe von Hunderten von Milliarden Dollar führen, wenn man die Verzögerungen bei der Produktion von Mobiltelefonen, Rechenzentren, Fahrzeugen, Telekommunikationsnetzen und anderen Technologien zusammenzählt.

Dass die Weltwirtschaft bei einem der gefährlichsten politischen Konflikte in Geiselhaft genommen werden kann, mag als ein Irrtum historischen Ausmaßes erscheinen. Die Konzentration der Fertigung komplexer Chips in Taiwan, Südkorea und anderen ostasiatischen Ländern ist jedoch kein Zufall. Die weitverzweigten Lieferketten, die uns heute Kopfzerbrechen bereiten, sind das Resultat bewusster Entscheidungen von Regierungsvertretern und Unternehmern. Das riesige Reservoir an billiger Arbeitskraft lockte Chiphersteller an, die günstig produzieren wollten. Die Behörden und Unternehmen vor Ort nutzten die ausgelagerte Chipmontage, um fortschrittlichere Technologien kennenzulernen und letztendlich unter eigener Regie zu produzieren. Für außenpolitische Strategen in Washington waren die komplexen Lieferketten der Halbleiterindustrie eine willkommene Gelegenheit, Asien an eine Welt unter amerikanischer Führung zu binden. Der unausweichliche Drang des Kapitalismus nach wirtschaftlicher Effizienz führte zu einem permanenten Zwang, die Kosten zu senken und zu fusionieren. Das stete Innovationstempo, das das Mooresche Gesetz untermauerte, verlangte nach immer komplexeren Materialien, Maschinen und Verfahren, die nur über globale Märkte bereitgestellt und finanziert werden konnten. Und unsere gigantische Nachfrage nach immer höherer Rechenleistung wächst und wächst.

Aufbauend auf Recherchen in historischen Archiven auf drei Kontinenten, von Taipeh bis Moskau, und über hundert Interviews mit Wissenschaftlern, Ingenieuren, Firmenchefs und Regierungsvertretern, wird in diesem Buch dargelegt, dass Halbleiter die Welt, in der wir leben, nachhaltig verändert haben. Sie haben die Ausprägung der internationalen Politik, die Struktur der Weltwirtschaft und das militärische Gleichgewicht bestimmt. Dieses modernste Bauteil unserer Zeit hat jedoch eine komplexe und kontroverse Geschichte. Seine Entwicklung wurde nicht nur durch Unternehmen und Käufer beeinflusst, sondern auch durch ambitionierte Staaten und militärische Logik. Um zu verstehen, wie unsere Welt von Trillionen von Transistoren und einer Handvoll unersetzlicher Firmen definiert werden konnte, müssen wir zunächst einen Blick auf die Anfänge des Siliziumzeitalters werfen.

Teil 1Chips im Kalten Krieg

Kapitel 1Von Stahl zu Silizium

Japanische Soldaten haben den Zweiten Weltkrieg als «Taifun aus Stahl» beschrieben, und so muss es sich für Akio Morita, einen ehrgeizigen jungen Ingenieur aus einer Familie wohlhabender Sake-Händler, auch angefühlt haben.[15] Akio Morita entging nur knapp einem Einsatz an der Front, er hatte das Glück, einem Ingenieurslabor der Marine zugeteilt zu werden. Doch der Taifun aus Stahl wütete auch in Moritas Heimat, als amerikanische B-29-Superfortress-Bomber japanische Städte angriffen und weite Teile Tokios und anderer Ballungszentren in Schutt und Asche legten. Zu den Verwüstungen durch die Bomben kam eine amerikanische Handelsblockade, die eine große Hungersnot auslöste und das Land zu verzweifelter Gegenwehr trieb. Moritas Brüder wurden gegen Ende des Krieges zu Kamikaze-Piloten ausgebildet.

Auf der anderen Seite des Ostchinesischen Meeres bildeten Kanonendonner und Luftschutzsirenen, die vor einem bevorstehenden Angriff warnten, die Geräuschkulisse, die Morris Chang mit seiner Kindheit verband.[16] Als Jugendlicher floh er vor den japanischen Truppen, die über China hinwegfegten, zunächst nach Guangzhou, dann in die britische Kolonie Hongkong und schließlich in die chinesische Kriegshauptstadt Chongqing, um nach der Niederlage der Japaner nach Shanghai zurückzukehren. Doch auch zu diesem Zeitpunkt war der Krieg noch nicht wirklich beendet, denn kommunistische Partisanen nahmen ihren Kampf gegen die chinesische Regierung wieder auf. Schon bald marschierten Mao Zedongs Truppen auf Shanghai zu, und Morris Chang musste erneut fliehen. Hongkong wurde zum zweiten Mal sein Zufluchtsort.

Budapest lag auf der anderen Seite der Welt, aber auch Andy Grove lernte den Taifun aus Stahl kennen, der über Asien hinweggefegt war.[17] Andy Grove (oder besser András Gróf, wie er damals noch hieß) erlebte in Budapest mehrere Einmärsche fremder Truppen. Die rechtsextreme Regierung Ungarns behandelte Juden wie die Grófs als Bürger zweiter Klasse. Das hinderte sie jedoch nicht daran, Andy Groves Vater zum Militär einzuziehen, als der Krieg in Europa ausbrach. An der Seite der nationalsozialistischen Alliierten Ungarns musste er gegen die Sowjetunion kämpfen und wurde schließlich in Stalingrad als vermisst gemeldet. 1944 marschierten die Nationalsozialisten in Ungarn ein, das dem Papier nach zu ihren Verbündeten zählte. Panzerkolonnen rollten durch Budapest, und es wurde begonnen, Juden wie die Grófs in groß angelegte, industriell organisierte Vernichtungslager zu deportieren. Monate später hörte der achtjährige Grove erneut Kanonendonner, als Truppen der Roten Armee in die ungarische Hauptstadt einmarschierten, das Land «befreiten» und die nationalsozialistische Regierung durch ein brutales Marionettenregime ersetzten. Seine Großmutter wurde von Russen vergewaltigt.

Endlose Panzerkolonnen, unzählige Wellen von Luftangriffen, Tausende Tonnen Bomben, die vom Himmel fielen, Schiffskonvois beladen mit Lastwagen, Militärfahrzeugen, Erdölprodukten, Lokomotiven, Eisenbahnwaggons, Artillerie, Munition, Kohle und Stahl – der Zweite Weltkrieg war eine auf Zermürbung angelegte Materialschlacht. Die Vereinigten Staaten wollten es so: Aus einem Abnutzungskrieg würden sie als Sieger hervorgehen. Während Amerika seine Produktionsleistung in militärische Stärke ummünzte, maßen die Ökonomen des War Production Board, das 1942 eingerichtet worden war, um den Umbau der Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft zu koordinieren, den Kriegserfolg an den Produktionszahlen von Kupfer und Eisen, Kautschuk und Öl, Aluminium und Zinn.

Die Vereinigten Staaten produzierten mehr Panzer als alle Achsenmächte zusammen, mehr Schiffe, mehr Flugzeuge und doppelt so viele Geschütze und Maschinengewehre. Ganze Schiffskonvois, voll beladen mit Industriegütern, schwärmten an amerikanischen Häfen aus, um Großbritannien, die Sowjetunion, China und andere Alliierte über den Atlantischen und den Pazifischen Ozean mit überlebenswichtigem Material zu versorgen. Der Krieg wurde von Soldaten in Stalingrad und Marinetruppen vor den Midwayinseln ausgefochten, für die Kampfkraft sorgten jedoch die amerikanischen Werften der Kaiser Shipbuilding Company und die Fließbänder der Ford-Werke am River Rouge.

Im Jahr 1945 verkündeten Rundfunksender auf der ganzen Welt das Ende des Krieges. In der Nähe von Tokio legte der junge Ingenieur Akio Morita seine Uniform an, um die Kapitulationsrede von Kaiser Hirohito zu verfolgen. Während der Ansprache hielt er sich bewusst von anderen Marineoffizieren fern, um nicht zum rituellen Selbstmord gedrängt zu werden.[18] Auf der anderen Seite des Ostchinesischen Meeres feierte Morris Chang das Ende des Krieges und die Niederlage der Japaner, indem er sein früheres entspanntes Teenagerleben wieder aufnahm, mit Freunden Tennis und Karten spielte und ins Kino ging.[19] Andy Grove und seine Mutter krochen vorsichtig aus ihrem Luftschutzkeller, doch unter der sowjetischen Besatzung sollten sie ebenso leiden wie unter dem Krieg selbst.

Der Ausgang des Zweiten Weltkriegs wurde durch die industrielle Produktion bestimmt, aber es zeichnete sich bereits ab, dass neue Technologien das Wesen militärischer Stärke neu definierten. Die Großmächte hatten zu Tausenden Flugzeuge und Panzer produziert, aber sie hatten auch Forschungslabore eingerichtet, in denen neue Raketen, Radargeräte und Ähnliches entwickelt wurden. Die beiden Atombomben, die Hiroshima und Nagasaki zerstört hatten, gaben Anlass zu Spekulationen, dass ein kommendes atomares Zeitalter die Ära von Kohle und Stahl ablösen würde.

Morris Chang und Andy Grove waren 1945 noch zu jung, um sich für Technik oder Politik zu interessieren, Akio Morita war jedoch schon über zwanzig und hatte die letzten Kriegsmonate mit der Entwicklung thermischer Zielsuchverfahren für Raketen verbracht.[20] Japan war weit davon entfernt, funktionierende Lenkwaffen herzustellen, für Morita war das Projekt jedoch ein faszinierender Blick in die Zukunft. Es waren nun Kriege denkbar, die nicht von Arbeitern am Montageband, sondern von Waffen entschieden wurden, die Ziele erkannten und über ein automatisches Lenksystem gesteuert wurden. Die Idee klang wie Science-Fiction, aber Morita hatte eine vage Vorstellung von neuen Entwicklungen im elektronischen Rechnen, die es Maschinen ermöglichten zu «denken», indem sie mathematische Aufgaben wie Addition, Multiplikation oder das Ziehen von Quadratwurzeln lösten.

Die Idee, Hilfsmittel zum Rechnen einzusetzen, war natürlich nicht neu. Seit Homo sapiens das Zählen entdeckt hat, behelfen sich die Menschen mit ihren Fingern. Die alten Babylonier erfanden den Abakus für das Rechnen mit großen Zahlen, und jahrhundertelang wurden Holzkugeln zur Multiplikation und Division in hölzernen Rahmen hin- und hergeschoben. Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts erforderte die wachsende Bürokratie in Verwaltung und Wirtschaft ganze Heerscharen zweibeiniger «Rechner», Büroangestellte, die mit Bleistift und Papier und manchmal auch einfachen mechanischen Rechenmaschinen bewaffnet addierten, subtrahierten, multiplizierten, dividierten und einfache Quadratwurzeln zogen.

Diese lebendigen, atmenden Rechner konnten Lohnzahlungen tabellarisch ordnen, Zahlungen nachverfolgen, Volkszählungsergebnisse erfassen und Daten zu Bränden und Dürreperioden für die Berechnung von Versicherungstarifen liefern. Während der Großen Depression richtete die amerikanische Arbeitsbeschaffungsbehörde Works Progress Administration ein Rechentabellenprojekt ein, um arbeitslose Büroangestellte wieder in Lohn und Brot zu bringen. Mehrere Hundert «Rechner» saßen in einem Bürogebäude in Manhattan an langen Tischreihen und erstellten im Rahmen des Mathematical Tables Project Tabellen mit Logarithmen und Exponentialfunktionen. Im Laufe des Projekts wurden 28 Bände mit den Ergebnissen komplexer Funktionen veröffentlicht. Der Band mit den Kehrwerten der ganzen Zahlen von 100000 bis 200009 etwa enthielt 201 Seiten mit Tabellen voller Zahlen.[21]

Diese Rechenstuben demonstrierten das Potenzial mathematischer Berechnungen, zeigten aber auch die Grenzen des menschlichen Gehirns auf. Selbst wenn das Rechnen durch Rechenapparate unterstützt wurde, blieben die zweibeinigen Rechner langsam. Wer die Ergebnistabellen des Mathematical Tables Project nutzen wollte, musste einen der 28 Bände durchblättern, um das Ergebnis für einen bestimmten Logarithmus oder Exponenten zu finden. Je mehr Rechenoperationen erforderlich waren, desto mehr Seiten mussten durchforstet werden.

Währenddessen stieg der Bedarf an Rechenleistung weiter an. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war Geld in Projekte zur Entwicklung leistungsfähigerer Rechenapparate geflossen, und der Krieg hatte den Hunger nach Rechenleistung nur noch verstärkt. Ingenieure der Luftstreitkräfte verschiedener Länder entwickelten mechanische Bombenvisiere, um die Zielgenauigkeit der Flieger zu erhöhen. Die Besatzungsmitglieder der Bomber gaben Windgeschwindigkeit und Flughöhe ein, indem sie an Knöpfen drehten, die wiederum Metallhebel bewegten, mit denen Spiegel eingestellt wurden. Diese Drehknöpfe und Hebel «berechneten» Höhen und Winkel genauer als jeder Pilot und stellten das Visier scharf, während das Flugzeug sein Ziel ansteuerte. Die Grenzen dieser Apparaturen waren jedoch offensichtlich. Die Bombenvisiere berücksichtigten nur wenige Parameter und lieferten nur ein einziges Ergebnis: den Zeitpunkt für den Bombenabwurf. Unter perfekten Testbedingungen waren die amerikanischen Bombenvisiere genauer als das Gespür der Piloten. Beim Einsatz im Luftraum über Deutschland landeten jedoch nur 20 Prozent der amerikanischen Bomben in einem Radius von weniger als 300 Metern um das anvisierte Ziel.[22] Der Krieg wurde durch die Menge der abgeworfenen Bomben und abgefeuerten Artilleriegranaten entschieden, nicht durch die Drehknöpfe an den Rechenapparaten, die präzise lenken sollten, in der Regel jedoch versagten.

Eine höhere Genauigkeit konnte nur mit mehr Rechenoperationen erreicht werden. Schließlich begannen Ingenieure, in den neuen Rechnern Zahnräder durch elektrische Ladungen zu ersetzen. Die ersten elektrischen Rechner arbeiteten mit Vakuumröhren (im deutschsprachigen Raum oft auch schlicht «Elektronenröhre» genannt), bei denen ähnlich wie in einer Glühbirne ein Metalldraht in einen Glaskolben eingeschlossen war. Der elektrische Strom, der durch die Röhre floss, konnte ein- und ausgeschaltet werden und so eine Rechenfunktion ausführen, ähnlich einer Abakuskugel, die auf einem Holzstab vor- und zurückgeschoben wird. Eine eingeschaltete Vakuumröhre war als 1 codiert, eine ausgeschaltete Röhre als 0. Mit diesen beiden Ziffern ließen sich auf der Basis eines binären Zahlensystems alle Zahlen erzeugen – und damit im Prinzip auch viele Arten von Berechnungen durchführen.

Darüber hinaus ermöglichten die Vakuumröhren eine Umprogrammierung der digitalen Rechner. Eine Zahnradmechanik, wie sie in einem Bombenvisier verwendet wurde, konnte nur eine einzige Rechnung durchführen, da jeder Drehknopf fest mit bestimmten Hebeln und Zahnrädern verbunden war. Die Kugeln eines Abakus wiederum ließen sich auf den jeweiligen Stäben lediglich hin- und herbewegen. Die Verbindungen zwischen den Vakuumröhren konnten jedoch neu angeordnet werden, sodass die Rechner verschiedene Berechnungen durchführen konnten.

Das war ein großer Fortschritt – oder hätte ein großer Fortschritt sein können, wären da nicht die Motten gewesen. Da die Vakuumröhren wie Glühbirnen leuchteten, zogen sie Insekten an und mussten deshalb regelmäßig gewartet werden (weshalb man bei der Problembehebung am Computer noch heute vom «bugs» bzw. «debugging» spricht).[23] Außerdem brannten die Vakuumröhren wie Glühbirnen oft durch. Der ENIAC, ein Rechner, der 1945 an der University of Pennsylvania für das amerikanische Militär nach dem damaligen Stand der Technik gebaut wurde, enthielt 18000 Vakuumröhren.[24] Im Schnitt brannte jeden zweiten Tag eine der Röhren durch und brachte die gesamte Anlage zum Stillstand, woraufhin gleich mehrere Techniker auf der Suche nach der zu ersetzenden Röhre in der Anlage herumlaufen mussten. Pro Sekunde konnte der ENIAC Hunderte von Zahlen multiplizieren und war damit schneller als jeder Mathematiker. Da aber jede der 18000 Röhren so groß wie eine Faust war, war der Rechner so groß wie ein ganzes Zimmer. Die Vakuumröhrentechnik war offensichtlich zu sperrig, zu langsam und zu störanfällig. Solange Computer mottengeplagte Monstrositäten waren, würde ihr Einsatz auf Nischenanwendungen wie die Entschlüsselung geheimer Codes beschränkt bleiben, es sei denn, Wissenschaftler fänden kleinere, schnellere und billigere Ein-/Ausschalter.

Kapitel 2Der Schalter

William Shockley war schon seit geraumer Zeit davon überzeugt, dass bessere «Schalter», wenn es sie denn jemals geben sollte, aus Elementen bestehen würden, die man als Halbleiter bezeichnete.[25] Shockley wurde in London als Sohn eines reiselustigen Bergbauingenieurs geboren und wuchs in dem verschlafenen Städtchen Palo Alto inmitten von Obstplantagen im Süden Kaliforniens auf. Als Einzelkind war er von seiner eigenen Überlegenheit gegenüber allen anderen in seiner Umgebung überzeugt – und ließ das auch alle wissen. Er studierte am Caltech im Süden Kaliforniens, promovierte am MIT in Physik und trat nach dem Studium seine erste Stelle bei den Bell Laboratories in New Jersey an, die damals zu den weltweit führenden Forschungs- und Technologiezentren gehörten. Seine Kollegen fanden ihn ziemlich unerträglich, aber alle mussten zugeben, dass er ein brillanter theoretischer Physiker war. Sein feines Gespür für physikalische Vorgänge veranlasste einen seiner Kollegen zu der Bemerkung, Shockley könne anscheinend sehen, wie Elektronen durch Metalle flitzen und Atome aneinander binden.[26]

Halbleiter, Shockleys Spezialgebiet, bilden eine besondere Stoffklasse. Die meisten Materialien leiten elektrischen Strom (wie Kupferdraht) oder sind elektrisch isolierend (wie Glas). Bei Halbleitern ist das anders. Für sich genommen, verhalten sich Halbleitermaterialien wie Silizium oder Germanium wie Glas und leiten elektrischen Strom nicht. Fügt man jedoch bestimmte Stoffe hinzu und legt ein elektrisches Feld an, kann ein Stromfluss entstehen. Wird Halbleitermaterialien wie Silizium oder Germanium beispielsweise Phosphor oder Antimon hinzugefügt, stellt sich ein negativer Stromfluss ein.

Dieses Dotieren von Halbleitermaterialien mit anderen Elementen eröffnete die Möglichkeit, neuartige Bauteile zu entwickeln, die elektrische Ströme erzeugen und steuern konnten. Die Steuerung des Elektronenflusses in Halbleitermaterialien wie Silizium oder Germanium war jedoch ein ferner Traum, solange die elektrischen Eigenschaften dieser Stoffe ein Rätsel blieben und nicht erklärt werden konnten. Bis Ende der 1940er Jahre konnte trotz aller in den Bell Labs versammelten physikalischen Intelligenz niemand sagen, warum sich Platten aus Halbleitermaterialien so rätselhaft verhielten.

Im Jahr 1945 entwickelte Shockley erstmals Theorien über eine Steuerungsmöglichkeit, die er in Anlehnung an die bis dahin gebräuchlichen Vakuumröhren als «Halbleiterröhre» bezeichnete, und skizzierte in seinem Notizbuch ein Stück Silizium, das an eine 9-Volt-Batterie angeschlossen war.[27] Er vermutete, dass die Gegenwart eines elektrischen Feldes bei einem Gegenstand aus einem Halbleitermaterial wie Silizium dazu führen kann, dass sich «freie Elektronen» aus dem Inneren des Gegenstands am äußeren Rand des Gegenstands sammeln. Würden genügend Elektronen durch das elektrische Feld angezogen, würde der Rand des Halbleiters leitend werden, ähnlich einem Metall, das immer über eine große Anzahl freier Elektronen verfügt. Wenn dem so wäre, würde dies bedeuten, dass ein Stromfluss in einem Material entstehen kann, das zuvor nicht leitend war. Kurz darauf baute Shockley ein entsprechendes Gerät in der Erwartung, dass sich das Silizium durch das Anlegen und Entfernen eines elektrischen Feldes über dem Stück Silizium wie eine Art Ventil verhalten würde, das den Elektronenfluss ermöglicht, wenn es sich öffnet, und ihn verhindert, wenn es sich schließt. Bei seinem Experiment konnte er jedoch keinen Effekt feststellen. «Nichts messbar», stellte er fest. «Sehr seltsam.» Tatsächlich waren die einfachen Messinstrumente, die in den 1940er Jahren verwendet wurden, zu ungenau, um den winzigen Strom, der durch das Silizium floss, messen zu können.

Zwei Jahre später entwickelten zwei von Shockleys Kollegen in den Bell Labs ein ähnliches Experiment mit einem anderen Apparat. Im Gegensatz zu Shockley, der durch Arroganz und Starrsinn aneckte, traten seine Kollegen Walter Brattain, ein brillanter Experimentalphysiker, aufgewachsen auf einer Rinderfarm im ländlichen Washington, und John Bardeen, der in Princeton studiert hatte und später als einziger Wissenschaftler zwei Nobelpreise für Physik erhalten sollte, bescheiden und zuvorkommend auf. Inspiriert von Shockleys Ideen, konstruierten sie ein Gerät, bei dem zwei Goldfäden, die an einer Stromquelle und einem Metall befestigt waren, auf einem Germaniumblock endeten, wobei die beiden Kontaktpunkte weniger als einen Millimeter voneinander entfernt waren. Am Nachmittag des 16. Dezember 1947 schalteten Bardeen und Brattain den Strom ein und konnten den Stromanstieg im Germanium kontrollieren. Shockleys Theorien über Halbleitermaterialien hatten sich als richtig erwiesen.[28]

Für die Telefongesellschaft AT&T, zu der die Bell Laboratories gehörten und die ihr Geld nicht mit Computern, sondern mit Telefonen verdiente, war die Erfindung, die bald darauf den Namen «Transistor» erhielt, vor allem deshalb interessant, weil sich damit Signale verstärken ließen, mit denen Telefongespräche im weitverzweigten AT&T-Netz übertragen wurden. Bald darauf erkannte man, dass sich Transistoren aufgrund ihrer Fähigkeit, elektrischen Strom zu verstärken, hervorragend für Hörgeräte, Radios und ähnliche Geräte eigneten und die weniger zuverlässigen Vakuumröhren ersetzen konnten, die bis dahin zur Signalverstärkung genutzt wurden. Die Bell Labs begannen kurz darauf, Patentanmeldungen für die neue Erfindung vorzubereiten.

Shockley war außer sich, dass es seinen Kollegen gelungen war, seine Ideen experimentell zu bestätigen, und setzte alles daran, sie zu übertrumpfen. An Weihnachten schloss er sich zwei Wochen in einem Hotelzimmer in Chicago ein, um aufbauend auf seinem herausragenden Wissen in der Halbleiterphysik andere Transistorstrukturen zu entwickeln. Im Januar 1948 war sein Konzept für einen neuen Transistortyp fertig, der aus drei Lagen Halbleitermaterial bestand. Die beiden äußeren Lagen wiesen einen Überschuss an Elektronen auf, die mittlere einen Mangel. Wurde ein winziger Strom an die mittlere Lage dieser Sandwichstruktur angelegt, floss ein wesentlich stärkerer Strom durch das gesamte Teil. Diese Umwandlung eines schwachen Stroms in einen stärkeren entsprach dem Verstärkereffekt, den Brattain und Bardeen mit ihrem Transistor demonstriert hatten. Doch Shockley dachte bereits an andere Anwendungsmöglichkeiten, die auf seinem Konzept einer «Halbleiterröhre» basierten. Er konnte den stärkeren Strom ein- und ausschalten, indem er den schwachen Strom veränderte, der am mittleren Teil seines Transistorsandwiches anlag. An, aus. An, aus. Shockley hatte einen Schalter entworfen.[29]

Als die Bell Labs im Juni 1948 auf einer Pressekonferenz bekannt gaben, dass zwei ihrer Wissenschaftler den Transistor erfunden hatten, war die besondere Bedeutung dieser Erfindung, die aus zwei miteinander verdrahteten Germaniumklötzen bestand, schwer zu verstehen. Die New York Times vergrub die Meldung auf Seite 46. Das Time Magazine machte es etwas besser und veröffentlichte den Bericht über die Erfindung unter der Überschrift «Eine kleine Gehirnzelle». Doch selbst Shockley, der nie Gefahr lief, seine eigene Wichtigkeit zu unterschätzen, hätte sich zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen können, dass bald Tausende, Millionen und Milliarden dieser Transistoren in mikroskopisch kleiner Ausführung das menschliche Gehirn bei Rechenoperationen und der Verarbeitung von Daten ersetzen würden.[30]

Kapitel 3Noyce, Kilby und der integrierte Schaltkreis

Transistoren konnten die Vakuumröhren jedoch nur ersetzen, wenn es gelang, ihre Konstruktion zu vereinfachen und sie in großen Stückzahlen zu verkaufen. Das theoretische Wissen über Transistoren und der Bau eines Prototyps war nur der erste Schritt. Die neue Herausforderung bestand darin, sie zu Tausenden herzustellen. Brattain und Bardeen hatten wenig Interesse daran, ein Geschäft aus ihrer Erfindung zu machen oder eine Massenproduktion von Transistoren aufzuziehen. Sie waren mit Leib und Seele Forscher und setzten auch als Nobelpreisträger ihre Arbeit an der Universität und im Versuchslabor fort. Shockleys Ehrgeiz hatte dagegen neue Nahrung erhalten. Er wollte nicht nur berühmt werden, sondern auch reich. Bekannten erzählte er, er wolle seinen Namen nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen wie der Physical Review, sondern auch im Wall Street Journal lesen.[31] 1955 gründete er in Mountain View, einem Vorort von San Francisco ganz in der Nähe von Palo Alto, wo seine betagte Mutter immer noch wohnte, eine Firma namens Shockley Semiconductor.

Sein Ziel war es, die besten Transistoren der Welt zu bauen. Möglich war das überhaupt nur, weil AT&T, Eigentümer der Bell Labs und Inhaber des Transistorpatents, anderen Firmen entsprechende Lizenzen für 25000 Dollar anbot – für die damals innovativste elektronische Technologie war das ein Schnäppchen.[32] Shockley ging davon aus, dass es einen Markt für Transistoren geben würde, zumindest als Ersatz für Vakuumröhren in vorhandener Elektronik. Wie groß dieser Markt sein würde, war allerdings nicht klar. Transistoren galten als eine geniale Technologie, die auf den neuesten physikalischen Erkenntnissen basierte. Sie würden sich jedoch nur durchsetzen, wenn sie besser in der Anwendung oder billiger in der Herstellung waren als Vakuumröhren. Shockley sollte zwar bald darauf den Nobelpreis für seine Untersuchungen zu Halbleitern erhalten, die praktische Anwendung von Halbleitern war jedoch kein Gebiet der theoretischen Physik, sondern eine Frage für Ingenieure.

Tatsächlich wurden Transistoren schon bald anstelle von Vakuumröhren in Computern eingesetzt, aber die Verdrahtung zwischen Tausenden von Transistoren führte zu einem dschungelartigen Gewirr. Jack Kilby, Ingenieur bei Texas Instruments, verbrachte den Sommer 1958 in seinem Labor in Texas mit der Suche nach einer Möglichkeit, die komplizierte Verdrahtung, die bei Systemen mit Transistoren erforderlich war, zu vereinfachen.[33] Kilby war ein Mann der leisen Töne, kollegial, neugierig und auf seine ruhige Art ein brillanter Ingenieur. «Er verlangte nie etwas», erinnerte sich ein Kollege. «Wir wussten, was er wollte, und wir gaben unser Bestes, das Gewünschte zu liefern.» Ein anderer Kollege, der gern an die regelmäßigen Grillabende mit Kilby zurückdachte, bezeichnete ihn als «den nettesten Menschen, dem man begegnen konnte».

Nachdem sein erster Arbeitgeber, Centralab in Milwaukee, von AT&T eine Lizenz für die Technologie erworben hatte, war Kilby einer der Ersten außerhalb der Bell Labs, der einen Transistor verwendete.[34] 1958 verließ er Centralab und wechselte zur Transistorabteilung von Texas Instruments (TI). Das in Dallas ansässige Unternehmen war ursprünglich auf Geräte zum Aussenden seismischer Wellen spezialisiert, mit denen Erdölfirmen ergiebige Bohrstellen aufspüren konnten, hatte aber im Zweiten Weltkrieg im Auftrag der US-Marine begonnen, auch Sonargeräte zum Aufspüren feindlicher U-Boote herzustellen. Nach Kriegsende erkannten TI-Manager, dass die dabei erworbenen Elektronikkenntnisse auch für andere militärische Systeme nützlich sein könnten, und stellten Ingenieure wie Kilby ein, um entsprechende Geräte zu bauen.[35]

Kilby kam im Juli während der Betriebsferien der Firma in Dallas an. Da er keinen Urlaubsanspruch angespart hatte, saß er mehrere Wochen allein im Labor. Mit viel Zeit zum Tüfteln widmete er sich ganz dem Problem, wie sich die Anzahl der Drähte verringern ließ, mit denen die verschiedenen Transistoren miteinander verbunden waren.[36] Statt wie bisher für jeden Transistor ein eigenes Silizium- oder Germaniumplättchen zu verwenden, versuchte er, mehrere Komponenten auf einem Halbleiterplättchen anzuordnen. Als seine Kollegen aus ihrem Sommerurlaub zurückkehrten, erkannten sie, wie revolutionär Kilbys Idee war. Mehrere Transistoren konnten in einem einzigen Silizium- oder Germaniumplättchen untergebracht werden. Kilby nannte seine Erfindung «integrierter Schaltkreis», in der Öffentlichkeit setzt sich jedoch die Bezeichnung «Chip» durch, denn die integrierten Halbkreise wurden aus runden Siliziumscheiben gefertigt, die von einem Stück Silizium abgetrennt (engl. to chip sth. – etwas abschlagen, abspalten) worden waren.

Etwa ein Jahr zuvor hatte eine Gruppe von acht Ingenieuren, die in William Shockleys Halbleiterfirma in Palo Alto arbeiteten, bei ihrem Chef gekündigt. Shockley, der inzwischen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war, war gut darin, talentierte Ingenieure zu rekrutieren, als Chef jedoch eine Fehlbesetzung. Er liebte Auseinandersetzungen und schuf ein vergiftetes Arbeitsklima, das die intelligenten jungen Ingenieure, die er um sich versammelt hatte, abstieß. Die acht Ingenieure verließen also Shockley Semiconductor und gründeten mit dem Geld eines Ostküsten-Millionärs als Startkapital ihr eigenes Unternehmen.

Diese acht abtrünnigen Ingenieure gelten gemeinhin als Gründerväter des Silicon Valley. Einer von ihnen, Eugene Kleiner, sollte in den 1970er Jahren ein Unternehmen namens Kleiner Perkins gründen, das zu einem der einflussreichsten Risikokapitalgeber der Welt wurde. Gordon Moore, der die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des neu gegründeten Unternehmens Fairchild Semiconductor leitete, stellte später das Mooresche Gesetz auf, das das exponentielle Wachstum der Rechenleistung beschreibt. Am wichtigsten war Bob Noyce, der charismatische Anführer der sogenannten «Traitorous Eight» (etwa: Die acht Verräter), der dank seiner Leidenschaft für Mikroelektronik und visionären Begabung ein untrügliches Gespür für nützliche Innovationen hatte, die das Potenzial besaßen, Transistoren kleiner, billiger oder zuverlässiger zu machen. Die Verbindung von technologischen Neuerungen mit kommerziell lohnenden Anwendungen war genau das, was ein Start-up-Unternehmen wie Fairchild brauchte, um erfolgreich zu sein – und was der Chipindustrie zum Durchstarten verhelfen konnte.[37]

Als Fairchild gegründet wurde, waren die wissenschaftlichen Grundlagen von Transistoren weitgehend geklärt, die Probleme, die einer zuverlässigen Herstellung entgegenstanden, waren jedoch noch nicht gelöst. Die ersten kommerziellen Transistoren bestanden aus einem Germaniumblock, auf den unterschiedliche Materialien geschichtet wurden. Diese Schichten wurden hergestellt, indem man einen Tropfen schwarzen Wachses auf einen Teil des Germaniums auftrug, den nicht mit Wachs überzogenen Teil des Germaniums mit einer Chemikalie wegätzte und schließlich das Wachs entfernte, sodass auf dem Germanium eine Struktur in der Form eines Tafelbergs (engl. mesa) entstand, wie sie in den Wüstenregionen Arizonas zu finden sind.

Ein Nachteil dieser Mesa-Struktur war, dass sich Verunreinigungen aus Staub oder anderen Partikeln auf dem Transistor festsetzen und mit den Materialien an der Oberfläche des Transistors reagieren konnten. Jean Hoerni, ein Kollege von Noyce aus der Schweiz mit einer Leidenschaft fürs Bergsteigen, erkannte, dass die Mesa-Struktur überflüssig war, wenn der Transistor nicht auf dem Germanium aufgebracht, sondern in das Germanium eingebettet wurde. Er entwickelte eine Methode zum Anfertigen der gesamten Transistorteile, bei der eine Schutzschicht aus Siliziumdioxid auf eine Siliziumplatte aufgebracht, dann an den gewünschten Stellen ein Loch in die Schicht hineingeätzt und anschließend weiteres Material abgeschieden wird. Durch diese Methode zum Abscheiden von Schutzschichten wurde verhindert, dass die Materialien mit Luft in Kontakt kamen oder Defekte durch Verunreinigungen entstanden. In Bezug auf die Zuverlässigkeit war das ein großer Fortschritt.

Einige Monate später kam Noyce auf die Idee, dass es mit Hoernis «Planartechnik» möglich sein müsste, mehrere Transistoren auf einer einzigen Siliziumplatte anzuordnen.[38] Während Kilby, ohne dass Noyce davon wusste, einen Mesa-Transistor auf einer Germaniumbasis angefertigt und dann mit Drähten verbunden hatte, nutzte Noyce Hoernis Planartechnik, um mehrere Transistoren auf einem einzigen Chip unterzubringen. Da die Transistoren bei der Planartechnik mit einer Isolierschicht aus Siliziumdioxid überzogen waren, konnte Noyce direkt auf dem Chip «Drähte» anbringen, indem er Leitungen aus Metall auf den Chip aufbrachte, die den Strom zwischen den Transistoren eines Chips leiteten. Wie Kilby hatte auch Noyce einen integrierten Schaltkreis entwickelt – mehrere elektrische Komponenten auf einem einzigen Stück Halbleitermaterial –, in der Version von Noyce gab es jedoch keine separaten Drähte mehr. Die Transistoren waren in einen einzigen Materialblock eingebettet. Die von Kilby und Noyce entwickelten «integrierten Schaltkreise» sollten bald als «Halbleiter» oder – noch kürzer – als «Chips» bekannt werden.

Noyce, Moore und ihre Kollegen bei Fairchild Semiconductor wussten, dass ihre integrierten Schaltkreise wesentlich zuverlässiger sein würden als das Labyrinth aus Drähten, auf das andere Elektronik angewiesen war. Es schien viel einfacher zu sein, Transistoren mit dem «planaren» Fairchild-Design in Miniaturgröße herzustellen als die standardmäßigen Mesa-Transistoren. Kleinere Schaltkreise wiederum verbrauchten weniger Strom. Noyce und Moore waren sich ziemlich sicher, dass die Kombination aus Miniaturformat und reduziertem Stromverbrauch unschlagbar sein würde: Kleinere Transistoren mit geringerem Stromverbrauch würden neue Anwendungsgebiete für ihre integrierten Schaltkreise erschließen. Allerdings kostete die Herstellung der integrierten Schaltkreise von Robert Noyce anfangs fünfzigmal mehr als die simplere Variante mit separaten, miteinander verdrahteten Komponenten.[39] Alle hielten die Erfindung für großartig, ja sogar genial, allein es fehlte der Markt.

Kapitel 4Der Durchbruch

Drei Tage, nachdem Noyce und Moore Fairchild Semiconductor gegründet hatten, erschien um 20.55 Uhr die Antwort auf die Frage, wer für die integrierten Schaltkreise zahlen würde, über ihren Köpfen am nächtlichen Himmel Kaliforniens. Sputnik, der erste Satellit der Welt – gestartet von der Sowjetunion – umkreiste die Erde von West nach Ost mit einer Geschwindigkeit von knapp 30000 Stundenkilometern. «Russischer ‹Mond› umkreist Erde» titelte der San Francisco Chronicle und brachte damit die Befürchtungen der Amerikaner zum Ausdruck, dass dieser Satellit den Russen einen strategischen Vorteil verschaffte.[40] Vier Jahre nach dem Sputnik-Schock gelang der Sowjetunion ein weiterer Weckruf, als der Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch ins All flog.

Das sowjetische Raumfahrtprogramm erschütterte ganz Amerika.[41] Die USA, die sich für die wissenschaftliche Supermacht der Welt gehalten hatten, schienen plötzlich degradiert zu sein. Washington startete ein Sofortprogramm, um den Rückstand gegenüber dem sowjetischen Raketen- und Flugkörperprogramm aufzuholen, und John F. Kennedy verkündete, dass die Amerikaner einen Menschen auf den Mond schicken würden. Bob Noyce hatte plötzlich einen Markt für seine integrierten Schaltkreise: Raketen.

Der erste große Auftrag für seine Chips kam von der NASA, die in den 1960er Jahren über ein riesiges Budget für bemannte Mondflüge verfügte. Da die USA sich mit der Mondlandung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hatten, beauftragte die NASA die Ingenieure des MIT Instrumentation Lab mit der Entwicklung eines Computers für die Steuerung des Apollo-Raumschiffs, der einer der kompliziertesten Computer aller Zeiten sein würde. Alle Beteiligten waren davon überzeugt, dass Computer mit Transistoren ihren Pendants mit Vakuumröhren, die im Zweiten Weltkrieg Codes geknackt und die Flugbahnen von Artilleriegeschossen berechnet hatten, weit überlegen waren. Aber konnten sie wirklich ein Raumschiff zum Mond leiten? Ein MIT-Ingenieur errechnete, dass ein Computer, der die Anforderungen der Apollo-Mission erfüllte, die Größe eines Kühlschranks haben müsse und mehr Strom verbrauchen würde, als im gesamten Apollo-Raumschiff voraussichtlich bereitstehen würde.[42]

Das MIT Instrumentation Lab hatte 1959, gerade einmal ein Jahr, nachdem Jack Kilby den integrierten Schaltkreis erfunden hatte, seine ersten Chips von Texas Instruments erhalten: 64 dieser Chips zu einem Preis von 1000 Dollar sollten für ein Raketenprogramm der amerikanischen Navy getestet werden. Letzten Endes verwendete das MIT-Team keine Chips für die damalige Rakete, fand die Idee der integrierten Schaltkreise jedoch hochinteressant. Etwa zur gleichen Zeit begann Fairchild, die eigenen «Micrologic»-Chips zu vermarkten. «Geh los und besorg uns richtig viele von diesen Dingern. Wollen wir doch mal sehen, ob da was dran ist», beauftragte ein MIT-Ingenieur im Januar 1962 einen Kollegen.[43]

Fairchild war eine neue Firma, die von dreißigjährigen Ingenieuren ohne Branchenerfahrung geleitet wurde, aber ihre Chips waren zuverlässig und wurden pünktlich geliefert. Im November 1962 entschied Charles Stark Draper, der berühmte Ingenieur und Leiter des MIT Instrumentation Lab, beim Apollo-Programm auf die Fairchild-Chips zu setzen. Er rechnete aus, dass ein Computer mit diesen integrierten Schaltkreisen um ein Drittel kleiner und leichter sein würde als ein Computer mit diskreten (also einzelnen) Transistoren – und dabei auch noch weniger Strom verbrauchen würde.[44] Der Computer, der Apollo 11 schließlich zum Mond brachte, wog 32 Kilogramm und nahm 0,03 Kubikmeter Platz ein – tausendmal weniger als der ENIAC der University of Pennsylvania, der im Zweiten Weltkrieg die Flugbahn von Artilleriegeschossen berechnet hatte.

Das MIT betrachtete die Entwicklung der Computer für die Navigation des Apollo-Raumschiffs als eine der größten Errungenschaften des Labors, aber Bob Noyce wusste, dass es seine Chips waren, die die Apollo-Computer zum Laufen brachten. Er brüstete sich damit, dass die integrierten Schaltkreise in den Apollo-Computern in 19 Millionen Betriebsstunden nur zweimal ausgefallen waren, davon einmal wegen eines Transportschadens. Der Verkauf von Chips für das Apollo-Programm verwandelte Fairchild von einem kleinen Start-up in ein Unternehmen mit tausend Mitarbeitern. Der Umsatz stieg von 500000 US-Dollar im Jahr 1958 innerhalb von zwei Jahren auf schwindelerregende 21 Millionen Dollar.[45]

Während Robert Noyce die Produktion für die NASA ausweitete, senkte er die Preise für andere Kunden. Integrierte Schaltkreise, die im Dezember 1961 noch 120 Dollar gekostet hatten, wurden im folgenden Oktober für nur 15 Dollar angeboten.[46] Das Vertrauen der NASA