Der Druide von Mistle End 2: Der Zorn der Götter - Benedict Mirow - E-Book

Der Druide von Mistle End 2: Der Zorn der Götter E-Book

Benedict Mirow

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Beschreibung

Komm zurück in die magische Welt von Mistle End!

Cedrik und seine Freunde konnten den finsteren Plan des Distelordens verhindern und sich gegen die Ordensritter und die Schattendruiden durchsetzen. Doch die Gefahr ist damit noch nicht gebannt und der junge Druide steht im Zentrum eines Kampfes, bei dem nicht klar ist, welche Seite gut und welche böse ist. Denn nun richtet sich der Zorn der Götter selbst gegen die Menschen. Ist Cedrik stark genug, um eine Katastrophe zu verhindern?

Ein phantastisches Kinderbuch über einen jungen Druiden und die magischen Kräfte der Natur. Die besonders hochwertige Ausstattung lädt zum Verschenken ein.

Die neue Staffel der erfolgreichen Reihe: 

  • Der Druide von Mistle End 1: Angriff der Dämonen

Die ersten Abenteuer in der magischen Welt von Mistle End: 

  • Die Chroniken von Mistle End 1: Der Greif erwacht
  • Die Chroniken von Mistle End 2: Die Jagd beginnt
  • Die Chroniken von Mistle End 3: Der Untergang droht

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Das Buch

Im gleichen Moment, als er nach oben schaute und über sich einen Stern im glühenden Himmel entdeckte, brach aus der Oberfläche des Beckens ein gewaltiger, schwarzbeschuppter Schlangenkopf und schnellte, den schrecklichen Schlund mit den riesigen Fangzähnen weit aufgerissen, direkt auf ihn zu. Das Letzte, was Cedrik sah, waren die goldenen Schlangenaugen, bevor er vor Schreck das Gleichgewicht verlor, gegen einen Felsüberhang knallte und ihn Dunkelheit umfing.

www.mistle-end.de

Der Autor

© Emily Binding

Benedict Mirow wurde 1974 in München geboren. Der Ethnologe und Regisseur schreibt und produziert seit vielen Jahren Dokumentarfilme und erstellt Filmporträts über Künstler der internationalen Kunst- und Kulturszene. Nach Zeiten in Afrika und Wien lebt und arbeitet Benedict Mirow nun mit seiner Tochter und zwei Katzen in München und schreibt phantastische Romane für Kinder.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Benedict Mirow

Der Druide von Mistle End 2

Der Zorn der Götter

Thienemann

Für meinen Dad!

Kapitel 1

Die goldene Schlange

Der Mann sprang aus der Dunkelheit, ein teuflisches Grinsen auf den Lippen, und schleuderte die Schlange in ihre Richtung.

»Emily, hinter dir!«

Die junge Gestaltwandlerin war schnell, doch das etwa armlange, goldene Artefakt erwischte sie an der Schulter, bevor sie sich zu Boden fallen lassen konnte. Und noch ehe sie, Cedrik oder Elliot reagieren konnten, rammte das magische Reptil seine metallenen Fangzähne in Emilys Oberarm. Sie schrie vor Schmerz. Vor Entsetzen. Cedrik konnte sehen, wie schwarzes Gift aus dem Maul der Schlange spritzte, als Emily das Biest endlich zu packen bekam und von sich schleuderte.

»SÌOC!« Elliot warf eine klirrende Eislanze in Richtung des Mannes, der sich nach dem Wurf der Schlange sofort wieder in die Schatten der verwinkelten Gasse zurückgezogen hatte. Doch die Sonne stand tief und blendete den Hexenmeister, es war unmöglich zu zielen. Und tatsächlich konnten sie hören, wie der Zauber irgendwo im Dunkeln an einer Wand knirschend zerbrach. Elliot hatte den Angreifer verfehlt.

Cedrik konnte Emilys Schmerz spüren und biss sich heftig auf die Lippen, während er keuchend versuchte, einer riesigen Gottesanbeterin aus Gold auszuweichen, die seltsam schnarrend und mit ausgestreckten, stachelbewehrten Fangarmen in seine Richtung flatterte. Verdammte Artefakte!

Ihr Plan war gründlich schiefgegangen. Dabei hatte alles so gut angefangen, als sie vor weniger als einer Stunde das Antiquariat des Dopplings betreten hatten. Sie hielten es für ein gutes Zeichen, dass die Tür, über welcher der vergoldete Schriftzug Tywyll & Tywyll – Bücher & mehr seit 1813 baumelte, offen gestanden hatte. Keines der zahlreichen Schlösser war verriegelt und auch die Kamera, die beim letzten Mal surrend jede ihrer Bewegungen verfolgt hatte, schien blind geworden zu sein. Nichts hatte auf die Anwesenheit der Eigentümer hingewiesen. Sie hatten den kleinen Verkaufsraum mit dem schweren Schreibtisch und den unzähligen Büchern durchquert und niemand hatte sie aufgehalten, als sie die massive Eisentür zum Archiv des Dopplings geöffnet hatten. Erst als sie vor der Vitrine mit den verzauberten Fabelwesen gestanden hatten, hatte Cedrik das Gefühl beschlichen, dass irgendetwas nicht stimmte. Dass sie einen Fehler machten. Dass sie in eine Falle gelaufen waren.

Emily hatte gerade einen kleinen, versilberten Pegasus aus seinem gläsernen Gefängnis gehoben, als sie angegriffen wurden. Von zwei Seiten gleichzeitig, was allerdings zu erwarten gewesen war, wenn man, wie Tywyll & Tywyll, die seltene Gabe besaß, in zwei Körpern gleichzeitig zu leben. Er war ein Doppling. Er besaß einen Geist, aber zwei Körper. Er war so wütend gewesen! Hatte sie beschimpft und schließlich mit den ägyptisch anmutenden Amuletten und Schmuckstücken beworfen. Verzauberte Artefakte aus Metall, die – kaum hatten sie seine Hand verlassen – lebendig wurden und sich auf sie stürzten: Goldene Käfer, riesige Heuschrecken, mechanische Skorpione, und auch eine Spinne aus goldenem Draht hatten sie mit solcher Heftigkeit attackiert, dass ihnen nichts anderes übrig geblieben war, als die Beine in die Hand zu nehmen und so schnell wie möglich den Laden zu verlassen. Die Schlange zischte bösartig und schlängelte auf sie zu.

Verfluchtes Biest, dachte Cedrik und sprang nach vorne, um Emily aufzuhelfen.

Die magischen Artefakte waren anders als die silbernen Figuren, die sie eigentlich hatten befreien wollen. Sie hatten es sich gegenseitig versprochen, den seltenen Fabelwesen, die der schreckliche Doppling in kleine, silberne Statuen verwandelt hatte, die Freiheit zu schenken – koste es, was es wolle! Doch nun hatte der Fiesling sie erwischt und seine Armee von magischen Monstern auf sie gehetzt. Sie konnten von Glück reden, dass sie unverletzt geblieben waren.

Bis jetzt, korrigierte sich Cedrik.

Emily stöhnte und kniff schmerzerfüllt die Augen zusammen.

»Ihr Diebe!«, schrie der Doppling irgendwo in der Dunkelheit, wie ein Echo hörten sie seine Worte von beiden Seiten.

»Ihr Halunken!«

»Bestehlen …«

»… wolltet ihr mich!«

»Berauben!«

»Aber nicht …«

»… mit mir!«

»Mit mir …«

»… nicht!«

Der Doppling, der sich als Zwilling ausgab und unter dem Namen Tywyll & Tywyll nicht nur uralte Bücher sammelte, sondern auch magische Artefakte und eben jene unglücklichen Figuren der seltenen Fabelwesen, schleuderte eine goldene Libelle Richtung Elliot, die dieser in letzter Sekunde mit einem Schwung seines Besens aus der Luft peitschte.

»Cedrik! Mach mal was!«, rief der Hexenmeister nervös, als er schon wieder herumwirbelte, um Emily zu stützen, die mit schmerzverzerrtem Gesicht erneut in die Knie gebrochen war.

Cedrik sah sich um. Sie waren nach dem Erscheinen des Dopplings sofort nach draußen gelaufen, zurück in die Gasse, aber hier gab es nichts, was er als Druide einsetzen konnte, um den magischen Doppelgänger und seine eklige Armee von Artefakten zu bekämpfen. Kein Baum, kein Efeu, keine Pflanze, die stark genug war, um es mit einem Menschen, nein, mit zwei Menschen gleichzeitig aufzunehmen. Und er bezweifelte, dass er die komischen Artefakte bitten konnte, den Angriff einzustellen. Das waren verzauberte Maschinen! Mit echten Lebewesen hätte er es probieren können, aber so?! Er kam sich so hilflos vor.

»Ich kann nicht, Elliot!«, rief er wütend, vor allem auf sich selbst. »Du! Du musst ihn mit einem Zauber … aaah!« Er erschrak, als ihm klar wurde, wie knapp er dem Biss der goldenen Spinne entkommen war, die eben über das Kopfsteinpflaster auf ihn zu geschnellt war. Er machte einen Satz über das Wesen und konnte Emily gerade noch auffangen, als Elliot sie loslassen musste, um mit seinem Besen einen goldenen Mistkäfer von seinem Schienbein zu fegen.

Erde! Cedrik brauchte Kontakt zum Erdreich, um sie zu heilen. »Ich kümmere mich um sie, sieh zu, dass du …«

»Oh nein!«, unterbrach ihn Elliot. »Nicht die auch noch!«

Die Panik in der Stimme seines Freundes ließ Cedrik aufschrecken. Auch er erkannte die Frau, die hinter ihnen aus dem Laden gestürmt kam, sofort. Sie war es gewesen, die Aissa und das Einhorn in genau die Art kleiner Statuen verwandelt hatte, die sie eben hatten befreien wollen. Wunderschön war sie und dabei gefährlich wie kaum ein anderes Wesen, das Cedrik kannte. Ein Blick durch einen Spiegel reichte, und schon hatte sie einen in eine der silbernen Figuren verwandelt. Gerade klein genug, um von dem verrückten Sammler in der gläsernen Vitrine aufbewahrt zu werden. Ihre Gabe, wenn man das überhaupt so nennen wollte, verdankte die Frau der Tatsache, dass sie eine Nachfahrin der Gorgonen war. Eine moderne Medusa! Sie kramte hektisch in ihrer Handtasche, in der sie nach nichts anderem als ihrem Spiegel suchen konnte.

Der Doppling hatte sich inzwischen an beiden Enden der schmalen Gasse positioniert und ihnen so geschickt jegliche Fluchtmöglichkeit genommen. Sie saßen in der Falle.

Die beiden Tywylls kicherten.

»Jetzt …«

»… hab ich euch!«

»Jetzt …«

»… seid ihr dran!«

»Kannst du dich verwandeln?«, fragte Elliot seine Schwester mit krächzender Stimme. »Wir müssen hier weg!«

Emily stieß ein verzweifeltes Wimmern aus. »Ich weiß es nicht … es tut so weh!« Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. »Aber du … Elliot! Du … musst mit Cedrik auf dem Besen …«

»Und dich hier zurücklassen?«, rief Elliot empört. »Was für eine bescheuerte Idee! Wir bleiben zusammen! Stimmt doch, Cedrik, oder? Cedrik?!«

Er spürte mehr, als dass er sah, wie die Gorgone erstarrte. Sie hatte mitten in der Bewegung innegehalten und schaute ihn überrascht an. Die eine Hand noch immer in der Handtasche versenkt, fixierte sie den jungen Druiden mit ihren dunklen, mandelförmigen Augen. Still und unbewegt. Und auf einmal schien sie ihn zu erkennen.

»Was ist …«

»… denn? Los, nun greif …«

»… sie schon an!«, schnarrte der Doppling ungeduldig.

»Cedrik?« Die Stimme der Gorgone klang sanft und fast schon liebevoll.

Und obwohl er wusste, dass er sich fürchten sollte vor dieser Stimme, die so weich und freundlich klang, die verführte und betörte, wurde ihm mit einem Mal klar, dass zumindest heute keine Gefahr von der mächtigen Zauberin ausgehen würde. Er nickte.

Und die Gorgone lächelte, nur kurz. Dann wirbelte sie herum und packte den einen Doppling, der ihr am nächsten stand, am Handgelenk.

»He!«

»Hoppla!«

»Was …«

»… soll das!«

»Wieso …«

»… tust du das?!«

Der Doppling schien völlig verwirrt.

Die Gorgone drehte ihm mit einer einzigen, schwungvollen Bewegung den Arm auf den Rücken und presste ihn an die Hauswand. »Geht! Verschwindet! Lange kann ich ihn nicht aufhalten.«

Cedrik riss verdutzt die Augen auf. Sie hatte ihnen eben einen Ausweg aus dem Hinterhalt eröffnet.

»Beeilt euch!«, rief die Frau.

Der Doppling kreischte wie am Spieß.

»Warum …«

»Wieso …«

»Ich verbitte mir!«

»Mir gefällt das nicht!«

Der Doppling, der von der Gorgone mit erstaunlicher Kraft festgehalten wurde, zischte wütend, während der zweite aufgebracht auf sie zu rannte, um sein anderes Ich aus dem Griff der Frau zu befreien.

Elliot fasste sich als Erster, packte Emily unter den Armen und zog sie raus aus der Gasse, Richtung Straße. Dorthin, wo es Menschen gab, Verkehr, Fish-&-Chips-Buden. Londoner Straßenleben. Dorthin, wohin ihnen die magischen Angreifer nicht folgen würden. Hoffentlich.

Als Cedrik an der Gorgone vorbeistolperte, hörte er ein Flüstern. Sie sprach leise, und doch verstand er nur zu gut, was die Frau ihm zuraunte: »Damit sind wir quitt!«

»Was war das denn?« Elliot klang aufgebracht. Sie hatten es aus der Gasse geschafft, raus, über den benachbarten Platz mit dem Reiterdenkmal und ein paar Ecken weiter, wo Emily erschöpft auf der geschwungenen Metallbank einer Bushaltestelle zusammengebrochen war. Elliot, der sie die ganze Strecke gestützt hatte, lief unruhig hin und her und spähte aufmerksam in alle Richtungen, als erwarte er, erneut angegriffen zu werden. »Was waren das für seltsame Monster, die der Doppling da auf uns gehetzt hat! Die sahen aus wie verzauberte Aufzieh-Monster! Und warum hat uns die Frau, diese Medusa, geholfen?! Das kapier ich nicht. Versteht ihr das?«

»Das Einhorn, in Edinburgh! Erinnert ihr euch?«, rief Cedrik. »Ich … ich habe es aufgehalten, in der Gasse. Als es die Frau fast aufgespießt hätte.« Er schluckte. »Aber ein weiteres Mal hilft sie uns nicht. Das war’s.«

Elliot schnaubte missmutig. »Ich hab sowieso keine Lust mehr, die zu treffen.« Damit blieb er stehen und starrte mit zusammengezogenen Brauen auf seine Schwester. Er hob den Blick und wandte sich Hilfe suchend an Cedrik. »Kannst du ihr helfen? Du musst sie heilen!«

Cedrik konzentrierte sich. Emily sah nicht gut aus. Sie hatte starke Schmerzen, das konnte man deutlich erkennen. Er kniete sich neben sie und versuchte, mit ausgestrecktem Arm seine Fingerspitzen in die Erde des großen Blumentroges zu versenken, während er die junge Gestaltwandlerin weiter am Handgelenk festhielt. Ein Blumentrog in der Stadt hatte zwar nicht die gleiche Kraft wie die Erde selbst, aber überall wo Blumen wuchsen, wo Pflanzen gediehen, war die Kraft des Lebens im Spiel. Es würde reichen.

Er schloss die Augen und die goldene Energie der Erde schlug wie eine Funken sprühende Welle über ihm zusammen. Da waren sie wieder, die Stimmen. Das Lachen und Weinen, die Freude und das Glück, Jung und Alt, in allen Sprachen dieser Erde. Wispern und Brüllen, überwältigend und zart. Er holte tief Luft und ließ vorsichtig die Kraft des Lebens durch sich hindurch zu Emily fließen. Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann konnte er spüren, wie sich die junge Gestaltwandlerin entspannte. Sie seufzte leise und als Cedrik die Augen öffnete, rieb sie sich erleichtert die Schulter.

»Danke, Cedrik! Ich hatte schon Angst, dass mich diese schreckliche Schlange vergiftet hat. War ja kein normales Reptil. Also ich … ich …« Sie stotterte. »Ich mein, die war magisch! Und aus Metall! Fieses Monster! Hätte schon sein können, dass … Ihr Gift hat sich so furchtbar kalt angefühlt!«

»Aber jetzt ist alles okay, oder?« Elliot runzelte die Stirn. »Ich würde nämlich gerne abhauen. Ich kann mir zwar kaum vorstellen, dass uns der Doppling hier mitten unter den Menschen angreift, aber riskieren möchte ich es lieber nicht. Also verwandle dich bitte mal in irgendwas mit Flügeln, dann können Cedrik und ich uns auf den Besen schwingen und wir sind weg hier. Ah! Wie ich London einfach nicht leiden kann!«

»Ist ja gut!«, sagte Emily und biss sich auf die Lippen. Sie rieb sich noch immer ihre Schulter und wirkte fahrig.

Elliot sah sich um. »Dann lasst uns gleich hier hinter das Wartehäuschen gehen. Da sieht uns keiner. Cedrik, kommst du?«

Doch Cedrik reagierte nicht. Aufmerksam beobachtete er Emily, die seltsam abwesend wirkte. Sie … zitterte. Und als sich ihre Blicke trafen, erschrak Cedrik. Sie hatte Angst. Riesige Angst.

»Was ist mit dir?«, fragte er beunruhigt.

Sie keuchte und schüttelte den Kopf.

»Was?! Emily, was ist los?« Irgendetwas stimmte nicht. Das konnte Cedrik jetzt deutlich spüren.

»Ich … ich glaube, es geht nicht mehr!«, flüsterte sie heiser.

»Kommst du, Cedrik? Es ist niemand zu sehen, wäre der perfekte Moment, um auf den Besen zu springen!« Elliot hatte noch nicht mitbekommen, dass irgendwas am Zustand seiner Schwester ganz und gar nicht in Ordnung war.

»Was meinst du damit, Emily?«, fragte Cedrik und bemühte sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Was geht nicht mehr?«

Die Gestaltwandlerin umklammerte jetzt mit der gesunden Hand die Schulter, in die sie die mechanische Schlange gebissen hatte. »Mein Arm … er fühlt sich so an, als ob … als ob er nicht mehr zu mir gehört!«, krächzte sie mit rauer Stimme.

»Was sagst du da?« Elliot war endlich neben Cedrik getreten und sah seine Schwester verwundert an. »Du musst dich doch einfach nur in einen Vogel verwandeln, du wirst schon sehen, dann wird alles wieder so, wie es war!«

Seine Schwester sah ihn zweifelnd an.

»Im Ernst, Emily! Cedrik hat uns schon so oft wieder zusammengeflickt, das fühlt sich am Anfang immer ein bisschen komisch an. Das kennst du doch!«

Cedrik runzelte die Stirn, aber sagte kein Wort, sondern versuchte, Emily aufmunternd zuzulächeln. Sie nickte noch einmal tapfer, dann begann sie sich um ihre eigene Achse drehen. Erst langsam, dann immer schneller, sie wurde zu einem Wirbel aus Haaren, Kleidern, Armen, Federn, bis sie sich mit einem … »AAAAAH!«

Ihr Schrei traf Cedrik bis ins Mark. Emily stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden, heulte noch einmal schmerzerfüllt auf und lag dann wimmernd, den verletzten Arm unnatürlich abgewinkelt, auf dem Bürgersteig. Elliot und Cedrik knieten sich sofort neben sie und stützten sie. Niemand sonst schien ihren Sturz bemerkt zu haben oder nahm Notiz von ihnen.

»Bei den Göttern, was ist passiert?!«, fragte Elliot, sichtlich aufgewühlt. »Emily, sag doch was!«

»Mein Arm … er …« Sie schluchzte. »Nein! Oh nein!«

Cedrik zitterte vor Unruhe. Hatte er etwas falsch gemacht? Er hatte die Wunde vollständig geheilt, mit der Kraft der Erde, da war er sich ganz sicher. Der Angriff der Schlange hatte keine anderen Spuren hinterlassen. Oder doch?

»Was ist mit deinem Arm?«, drängte Elliot, jetzt leicht panisch.

»Er … er hat sich nicht mitverwandelt!«, presste Emily mit tränenerstickter Stimme hervor.

Cedrik erstarrte. »Wie bitte?«

»Als ich mich eben in einen Falken verwandeln wollte, ist der Arm … mein Arm ist ein Arm geblieben. Versteht ihr? Er wurde nicht zu meinem Flügel. Es tat so weh!«

Elliot starrte erst seine Schwester, dann Cedrik fassungslos an. »Aber hast du sie nicht geheilt?! Hast du doch, oder?«

Cedriks Gedanken rasten. »Ja, natürlich hab ich das! Aber …« Er schluckte. »Vielleicht war der Biss der Schlange keine normale Verletzung. Das war ja auch keine normale Schlange! Ich mein … vielleicht hat das Monster mit seinem Gift Emily noch auf eine andere Weise verwundet.«

Die beiden Geschwister sahen ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

Cedrik lächelte gequält. »Blöde Idee?«

Emilys Blick war düster. »Nein, ganz und gar nicht. Du könntest recht haben. Deine Kraft ist das Leben, die Erde selbst. Damit kannst du fast alles heilen, jede Wunde, jede körperliche Verletzung. Aber Magie, insbesondere mechanische Magie …« Sie schauderte und biss sich erneut auf die Lippen. Sie wandte sich ab und sprach nach einer kurzen Pause leise weiter: »Magie hat mit der Erde nichts zu tun. Sie speist sich aus dem Chaos zwischen den Dingen. Aus der Unordnung, nicht aus der Ordnung der Natur. Aus den unendlichen Möglichkeiten des Seins. Wenn die Schlange mit ihrem Gift meine Magie verletzt hat, fürchte ich, kannst du mir nicht helfen.«

Cedrik schluckte. »Aber wer dann?«

Emily zog eine verzweifelte Grimasse. »Ich hab keine Ahnung!«

»Das wird wieder. Auf jeden Fall!«, krächzte Elliot heiser. »So oder so, wir sollten schleunigst hier fort. Langsam wird mir dieser Doppling mit seinen ganzen Tricks unheimlich.«

Emily setzte sich auf, Tränen liefen über ihre Wange. »Du hast recht.« Sie schniefte. »Wie ich diesen Typen hasse!«

Cedrik zog sie vorsichtig auf die Füße und nahm sie kurz in den Arm. »Mach dir keine Sorgen, wir bringen dich nach Mistle End und eure Mutter weiß bestimmt, was zu tun ist. Denkst du nicht?«

Elliot nickte heftig. »Ganz bestimmt!«

Emily schüttelte den Kopf. »Lasst uns lieber zuerst zurück zu Aissa gehen, in ihrem Tempel verehren sie mächtige Götter! Vielleicht kann sie mir helfen! Außerdem hab ich keine Lust auf Mamas Donnerwetter.«

»Guter Punkt, Schwesterherz!« Elliots Stimme klang unheilvoll. »Wenn sie erfährt, dass wir in London nicht nur Aissa, sondern auch den Doppling besucht haben, gibt es mächtig Ärger. Aber wie kommen wir zu Aissas Tempel? Fliegen können wir nicht und wenn wir laufen …«

»Mit dem Bus!«, unterbrach ihn Cedrik. »Die Linie 15 bringt uns ohne Umsteigen bis fast vor ihre Haustür!«

Kapitel 2

Die Tickets! Bitte!

Sie hatten Glück, der Bus war voller Pendler, müde von der Arbeit, mit grauen Gesichtern, aber trotzdem war er nicht überfüllt. Und so achtete niemand auf die beiden Geschwister mit ihren aus der Mode geratenen Mänteln, und die Tatsache, dass Elliot mit einem Reisigbesen in der Hand eingestiegen war, schien ebenfalls niemanden zu stören. Nur der sandfarbene Hund mit der spitzen Schnauze und den wachen Augen wedelte freundlich, als Cedrik sich durch die aussteigenden Fahrgäste in den Bus drängelte. Er hatte zu Hunden schon immer eine besondere Beziehung gehabt, sie waren auf ihn zugekommen, vertrauensvoll, als wäre er einer von ihnen.

So als hätten sie vor mir gewusst, dass ich ein Druide bin, dachte Cedrik leise. Ein Hüter der Erde.

Er streichelte dem Tier sanft über den Kopf und schob sich weiter in den hinteren Teil des Busses.

Sie fanden Platz in der letzten Reihe. Cedrik saß am Fenster und lehnte seinen Kopf an das kühle Glas der Scheibe. Er war müde und aufgedreht zugleich. Der Angriff des Doppling mit den magischen Artefakten wühlte ihn auf. Und dass er Emily nicht heilen konnte, machte ihm Kummer. Bisher hatte er seinen Freunden stets helfen können. Was war das nur für eine seltsame Schlange gewesen? Welches Gift hatte sie in sich getragen? Es war bestimmt magischen Ursprungs. Vielleicht irgendwas aus dem alten Ägypten. Elliot hatte bei dem Angriff auf dem Haupt der Schlange für einen kurzen Moment ein Zeichen sehen können. Eine Kugel in einer Schale, oder ein Ei in einem Nest, hatte er gesagt. Vielleicht eine Hieroglyphe? Und hatte der Doppling nicht irgendetwas von einem »Todesfluch« gerufen?

Ihn schauderte und er starrte beklommen auf die vorbeiziehenden Lichter der Stadt. Er seufzte schwer. Das monotone Brummen des Motors machte ihn müde und er schloss die Augen. Vielleicht konnte er seine Mutter fragen. Sie war eine Nymphe, von ihr hatte er seine Fähigkeiten geerbt. Sie war in der magischen Welt, im Reich der Götter und Geister zu Hause. Vielleicht wusste sie, mit welchem Gegengift sie Emily helfen konnten. Ja, er wollte sie besuchen, in ihrer Eiche, in der sie unweit von Mistle End auf einem Hügel lebte.

»Die Tickets! Bitte!«

Cedrik zuckte erschrocken zusammen und riss die Augen auf. Vor ihm stand ein Ticketkontrolleur. Groß gewachsen, mit tadelloser Uniform, blank polierten Messingknöpfen und einem sorgsam nach oben gezwirbeltem Schnurrbart.

Streng blickte er auf ihn herab. »Den Fahrschein, mein Junge. Dürfte ich den bitte mal sehen?«

Der Mann kam ihm irgendwie bekannt vor. »Wir, äh, wir sind nur eben …« Cedrik wollte sich hastig nach seinen Freunden umdrehen, als ihn der Kontrolleur heftig am Handgelenk packte.

»Da hat wohl wieder jemand kein Ticket gelöst. Das Fahren ohne gültigen Fahrschein ist verboten!«

»He, lassen Sie mich los!« Cedrik wollte sich aus dem Griff des Mannes winden, aber dieser hielt ihn unerbittlich fest.

»Wer kein ordentliches Ticket vorweisen kann, muss bestraft werden! Streng bestraft!«

»Wie bitte?!« Cedrik keuchte. Der Mann umklammerte seine Hand mit so eisernem Griff, dass es wehtat.

»Was wäre bei einem solchen Vergehen wohl eine angemessene Strafe? Hm … mal überlegen …« Der Kontrolleur lächelte böse. »Bei voller Fahrt aus dem Bus werfen vielleicht!«

Wovon zur Hölle sprach der Mann?! Cedrik kannte diesen Typ, aber er wusste nicht woher.

»Nein, das wäre nicht klug.« Die Stimme des Mannes klang auf einmal sanft. Fast zärtlich. »Wir wollen uns doch den Spaß nicht verderben. Dann wäre ja alles vorbei! Viel zu schnell vorbei!«

Cedrik erschrak. Das war ein Traum! Ein Albtraum!

Verdammt! Das hätte nicht passieren dürfen!

Er musste eingeschlafen sein, am Fenster, erschöpft von dem Kampf. Aber während die Erkenntnis, dass es sich um einen Traum handeln musste, bei den meisten Menschen eine gewisse Erleichterung ausgelöst hätte, steigerte sie seine Unruhe in blanke Panik. Denn der Kontrolleur, der Mann vor ihm, war niemand anderes als der Weiße König. Ein Dämonenfürst aus der Anderswelt! Die Morrigan, die Göttin des Krieges, hatte ihn damals ausgeschickt, um Crutch zu töten, aber er, Cedrik hatte ihn aufgehalten und von einer Eiche lebendig begraben lassen.

»Du kannst mich nicht töten!«, hatte der Dämon wütend gebrüllt, als ihn die Wurzeln auf Cedriks Verlangen unerbittlich in die Erde gezogen hatten. Seit diesem Tag verfolgte das Monster ihn und machte Jagd auf ihn. In seinen Träumen. Nachts, wenn er schlief. In seinem Bett. Oder in diesem verdammten Bus!

Der Mann lachte. Es klang leicht, beinahe fröhlich. Er hatte seine Tarnung abgelegt und strahlte ihn an. Seine nun weißblonden Locken umspielten sein Gesicht, und hätte er ihn nicht mit so brutaler Gewalt festgehalten, hätte er fast freundlich gewirkt.

Die Anziehungskraft des Mannes war so groß, dass Cedrik kaum den Blick von ihm abwenden konnte. Mehr noch, er spürte den inneren Drang, eine Sehnsucht, ihm näher zu sein. Wenn er nicht so verdammt wütend auf den Dämon gewesen wäre.

»Lass mich los!«, keuchte Cedrik. »Mir machst du keine Angst!«

Aber das stimmte nicht. Natürlich nicht. Er hatte furchtbare Angst. Denn der Weiße König der Draughar besaß nicht nur die Fähigkeit, Menschen im Schlaf heimzusuchen, sondern auch sie zu verletzen oder gar zu töten. Den Schaden und den Schmerz, den er den Schlafenden in der Halbwelt der Träume zufügte, nahmen seine Opfer mit in die Welt des Wachens und des Lichts.

Cedrik sah sich panisch um. Der Bus in seinem Traum war leer, von seinen Freunden fehlte jede Spur und vorne, wo eben noch die dickliche Busfahrerin gesessen hatte, saß nun eine in sich zusammengekauerte Gestalt, ganz in schwarze Tücher gehüllt. Sie schien kein Gesicht zu haben. Die Stadt, die draußen vor den verregneten Fenstern vorbeizog, war wüst und grau. Sie wirkte zerstört, wie von einem Krieg oder einer gewaltigen Naturkatastrophe. Das war nicht das London, das er kannte.

»Niemand ist hier, um dir zu helfen, Cedrik. Niemand!«, flüsterte der Dämon und beugte sich über ihn, während er ihn in den Sitz presste. Er öffnete den Mund zu einem verzerrten Grinsen und entblößte dabei eine Reihe spitzer Zähne.

Cedrik versuchte sich dem Griff des Wesens zu entwinden, aber hier, im Traum, war er schwach und dem Monster wehrlos ausgeliefert. »Nein … lass mich!« Er wimmerte. Dann spürte er etwas Feuchtes an seiner Hand. Etwas … Warmes … und Weiches strich über seinen Finger, er spürte eine Last auf seinem Oberschenkel. Jemand, nein, ETWAS Klebrig-Feuchtes strich ihm übers Gesicht!

Der Weiße König runzelte die Stirn und sah ihn verblüfft an. Er holte zornig Luft, doch noch ehe er etwas sagen konnte, begann seine Gestalt zu flirren. Er flackerte, wurde unscharf, wie durchsichtig, und verschwand endlich, einen heiseren Schrei ausstoßend, ganz.

Cedrik schreckte auf und schnappte nach Luft. Diesmal in echt.

Er war aufgewacht, weil jemand ihm mit einer langen, nassen Zunge über die Wangen leckte. Der sandfarbene Hund hatte seine Pfoten auf seinen Oberschenkel gestützt und schleckte ihm ausgiebig übers Gesicht.

Elliot hatte das Tier am Halsband gepackt und versuchte vergeblich, es von Cedrik herunterzuzerren. »Oh Mann, sorry, Cedrik! Ich habe versucht, ihn davon abzuhalten! Du hast so erschöpft ausgesehen, da dachte ich, der Köter soll dich mal schlafen lassen und …«

Cedrik hatte seinen Freunden noch nichts von den Angriffen in seinen Träumen erzählt. Er wollte sie nicht verunsichern.

»Ist schon gut, Elliot!«, krächzte er heiser. »Lass ihn ruhig los!« Cedrik packte den Kopf des Hundes mit beiden Händen und drückte kurz sein Gesicht in das Fell des Tieres. Danke, mein Freund!

Er überlegte, ob ihm das Tier gerade das Leben gerettet hatte.

»Komm her, mein Junge! Das hast du gut gemacht!«, hörte Cedrik auf einmal eine ältere Frauenstimme, ein paar Sitze weiter vor ihnen. Eine Dame mit dunkel umrandeten Augen und etwas verfilzten, silbergrauen Haaren hatte sich zu ihnen umgedreht und lächelte ihm freundlich zu. Sie schnalzte leise mit der Zunge, und nachdem der Hund ein letztes Mal über Cedriks Hand geleckt hatte, warf er sich herum und trottete zurück zu der Frau, wo er sich offensichtlich zufrieden zwischen die Sitze und Beine der Passagiere auf den Boden des Omnibusses quetschte.

Cedrik versuchte zu erkennen, wer die Frau war, zu der der Hund gehörte, aber sie hatte sich schon wieder nach vorne gedreht und war hinter den Rückenlehnen kaum noch zu erkennen. Sie trug einen schmutzigen Mantel, und hatte mehrere prall gefüllte Einkaufstüten neben sich auf den Boden gestellt. Er schluckte, als er bemerkte, dass er den festen Griff des Draughar noch immer an seinem Handgelenk spürte. Die Abdrücke der Finger waren an der Stelle, an der ihn der Weiße König gepackt hatte, deutlich zu erkennen.

»Doofer Köter!«, grummelte Elliot, sichtlich verlegen. »Der kam wie aus dem Nichts, ist auf dich draufgesprungen und hat dich abgeschleckt, als wärst du aus Leberwurst. Verrücktes Tier!«

Cedrik schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln. »Das ist schon in Ordnung, und danke, dass du mich … mich schützen wolltest. Der Hund hat es bestimmt nicht böse gemeint.«

Im Gegenteil. Für einen kurzen Moment durchzuckte Cedrik der Gedanke, dass der Hund ihn vielleicht absichtlich hatte wecken wollen. Aber warum sollte er das tun?

»Mann, du siehst echt bleich aus, Cedrik.« Elliot betrachtete ihn misstrauisch. »Alles okay bei dir?«

Cedrik winkte ab, zuckte aber zusammen, als er neben sich ein leises Stöhnen hörte. Emily!

»Wie geht es deiner Schwester?«, fragte er, als er sich besorgt nach ihr umdrehte.

Die junge Gestaltwandlerin hatte die Knie nach oben gezogen und sich auf dem Sitz wie ein Eichhörnchen zusammengekauert. Obwohl sie zu schlafen schien, war der Ausdruck auf ihrem Gesicht angestrengt.

Elliot zuckte bekümmert mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, antwortete er mit belegter Stimme. »Ich hab sie auch noch nie so gesehen.«

Cedrik nickte. Er konnte Elliots Sorge um seine Schwester gut verstehen. »Wecken müssen wir sie jetzt aber trotzdem. Wir müssen die nächste Station aussteigen.« Außerdem wissen wir nicht, wovon sie gerade träumt, dachte er düster.

Als Cedrik sich beim Aussteigen noch einmal nach dem Hund und seiner Besitzerin umdrehte, konnte er sie nirgends entdecken.

Komisch, dachte er. Und hatte sie im nächsten Augenblick schon wieder vergessen.

Kapitel 3

Boxhandschuhe & Rum

»Ihr habt WAS?!«

WUMMS!

Ihr rechter Haken prallte mit so einer Wucht gegen den Boxsack, dass sich eine lederne Naht löste und Sand aus dem Inneren leise auf den Steinboden rieselte. Aissa funkelte die drei Freunde empört an. »Hab ich euch nicht ausdrücklich erklärt, dass ihr den Doppling in Ruhe lassen sollt?!«

Die Freunde standen wie drei gescholtene Grundschüler vor der wütenden Hohepriesterin im roten Jogginganzug. Cedrik war von der geschmeidigen Kraft Aissas mehr als beeindruckt.

»Habt ihr immer noch nicht kapiert, wie gefährlich der Doppling sein kann? Und ihr marschiert da einfach rein?!«

BAMM!

Den nächsten Haken hatte die Hohepriesterin mit links geschlagen, was seine Wucht aber keineswegs schmälerte. Sie war kaum größer als Cedrik, dabei allerdings deutlich durchtrainierter.

»Ihr hättet verletzt werden können!«, rief sie aufgebracht. »Schlimmer! Es ist nämlich genau andersherum: Ihr habt keine Vorstellung davon, was passiert wäre, wenn ihr ihn erwischt hättet! Das gibt so einen Riesenärger!«

Elliot, der die ganze Zeit auf seine Füße gestarrt hatte, murmelte leise: »Aber wir, also, äh, wir haben den Doppling ja gar nicht angegriffen! Wir wollten nur die Figuren befreien! Wir haben uns nur verteidigt! Und Emily, also … sie wurde erwischt! Von ihm. Er hat sie verletzt. Sie, äh, er hat eine komische Schlange auf sie geworfen und der Biss …«

»So furchtbar kann das ja nicht sein!«, unterbrach ihn Aissa streng. »Ich sehe kein Blut. Und soweit ich es erkennen kann, guckt auch nirgendwo ein Knochen aus ihrer Haut. Raus mit der Sprache! Was habt ihr euch dabei gedacht?!«

CHONK!

Noch so ein Schlag und der Boxsack ist im Eimer, dachte Cedrik fasziniert.

»Aissa. Sei bitte nicht böse«, flüsterte Emily heiser. »Es geht mir nicht gut.«

Der seltsame Klang in ihrer Stimme ließ die Hohepriesterin mitten in der Bewegung innehalten. Erschrocken drehte sie sich zur jungen Gestaltwandlerin und musterte sie aufmerksam. »Was ist mit dir?« Der Zorn in ihrer Stimme war schlagartig verflogen.

»Es ist mein Arm«, fuhr Emily müde fort. »Er … er verwandelt sich nicht mehr mit.«

Aissa runzelte die Stirn. »Und was hast du eben gesagt, Elliot? Sie wurde von einer Schlange gebissen? In London?«

»Ja, ein mechanisches Riesenteil. Aus Gold! Magisch! Aus Ägypten oder so! Hat der Doppling geworfen!«, bestätigte Elliot eifrig.

Cedrik räusperte sich. »Ich habe die Wunde, so schnell ich konnte, geheilt, aber die Verletzung muss tiefer stecken. Oder … auf einer anderen Ebene. Vielleicht ist das Gift so eine Art Fluch. Keine Ahnung, woher Tywyll diese Monster hatte, aber das Gift … wir glauben, es schränkt ihre Magie ein.«

Emily schniefte. »Und es breitet sich aus. Am Anfang war es nur der Arm. Inzwischen fühlt sich auch meine ganze Schulter komisch an … so … so als ob sie nicht mehr zu mir gehört.«

Cedrik erschrak. Dass sich das seltsame Gefühl ausbreitete, hatte Emily bisher noch nicht erzählt.

Aissa nickte düster. »Das ist eine der Angewohnheiten von Gift. Ob magisch oder nicht. Wenn du es erst einmal im Blut hast, verteilt es sich langsam in deinem Körper.« Sie begann die Boxhandschuhe mit ihren Zähnen von ihren Händen zu zerren und sah sich um. »Ich weiß, wer sich das mal ansehen muss.« Dann lauter: »Lahtifa?! Wo ist Lahtifa? Holt sie her! Wir brauchen sie!«

Sofort brach geschäftige Unruhe bei den anwesenden Novizinnen aus und zwei, drei der jungen Mädchen rannten los, um die Gerufene zu suchen.

Aissa hatte von den Vampiren, die über die magische Welt von London herrschten, am östlichen Rand der Stadt, unweit der Themsesperre, diese ehemalige Konservenfabrik bekommen, um hier mit ihren Schülerinnen einen Tempel zu errichten. Was in ihrem Fall bedeutete, dass sich nun in der riesigen Halle mit dem Steinboden und hölzernen Gewölbe nicht nur verschiedene Altare und Schreine befanden, sondern auch diverse Trainingsgeräte, ein Boxring, ein Basketballkorb, Hanteln sowie verteilt einzelne Zielscheiben, an denen fleißig mit Wurfsternen und Armbrüsten geübt wurde.

Cedrik wusste, dass das harte Training in den verschiedenen Kampfstilen den bitteren Erfahrungen entsprang, denen die meisten ihrer Schülerinnen aufgrund ihrer Hautfarbe bereits in ihren jungen Jahren ausgesetzt gewesen waren.

Aissa, die selbst mit ihrer Großmutter vor vielen Jahren aus Westafrika über das Meer nach Großbritannien gekommen war, hatte den »unsichtbaren Mädchen«, wie sie ihre Schülerinnen nannte, mit dem Tempel eine Heimat gegeben, unabhängig davon, ob sie Magie in sich trugen oder eben nicht. Sie waren alle willkommen, unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Herkunft.

Lahtifa, die wie die anderen Novizinnen einen weißen Jogginganzug mit goldenen Streifen trug, kam aus dem oberen Stockwerk, wo sich die Schlafkammern befanden, die metallene Wendeltreppe nach unten gehastet. Sie gehörte zu den ersten und ältesten der Priesterschülerinnen und Cedrik wusste, dass sie bald ihre Prüfung ablegen wollte. Erst wenn sie von ihrem Gott ganz akzeptiert werden sollte, würde auch sie endlich rote Kleidung tragen dürfen. Ihr Gott war Papa Loco, daran konnte sich Cedrik noch von ihrer letzten Begegnung bei der Schlacht um Mistle End erinnern, als sie das Drachenei bewacht hatte. Ein Gott aus der Welt des Voodoo, ein kraftvoller Heiler und Schutzgott. Sie um Hilfe und Rat zu bitten, war bestimmt eine gute Idee.

Natürlich hatte auch Aissa, als Hohepriesterin, Zugang zu den Göttern ihrer Welt, sogar zu jedem. Was sie mächtiger machte als alle ihre Tempelschülerinnen. Wer aber – wie Lahtifa – sein Leben nur einem Gott weihte, konnte von seinem Gott leichter und zuverlässiger Hilfe erwarten als Aissa, die oft mit den Göttern streiten musste, bis sie ihr ihre Bitte erfüllten.

Lahtifa hatte die Kapuze ihres Hoodies nach hinten geschoben und neigte zur Begrüßung ihr Haupt. Cedrik sah die Zeichen auf ihrem rasierten Kopf golden schimmern. Nur Aissa und aus irgendeinem Grund er, Cedrik, konnten sie sehen. Vielleicht weil die Voodoo-Zeichen der westafrikanischen Götter den nordischen Runen ähnelten, deren Kraft er erst zu verstehen begann. Unsichtbar für die meisten, aber bindend für die Götter und Geister, konnte man mit ihrer Hilfe mächtige Wirkzauber erschaffen.

Aissa wechselte mit Lahtifa ein paar Worte in einer Sprache, die er nicht verstand, und Cedrik konnte sehen, wie Lahtifa erst heftig den Kopf schüttelte, während Aissa ungeduldig auf sie einredete. Dann, nach kurzem Schweigen, schenkte Lahtifa Emily ein schiefes Grinsen und nickte.

Aissa lächelte und winkte die Gestaltwandlerin zu sich. »Lahtifa ist jung, aber sie ist eine der besten meiner Schülerinnen.« Sie grinste das Mädchen an. »Außerdem ist sie unheimlich ehrgeizig. Sie wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um dir zu helfen.«

Emily strahlte dankbar und doch bemerkte Cedrik die Schmerzen unter ihrem Lächeln.

Lahtifa zeigte auf Emily und sagte: »Du!« Damit drehte sie sich um und eilte in einen Gang, der in den hinteren Teil der alten, verschachtelten Fabrikanlage führte. Auf Cedriks fragenden Blick hin lächelte Aissa ihnen aufmunternd zu. »Geht schon vor. Ich komme gleich nach, ich muss noch etwas besorgen.«

Und so folgten die drei Freunde der zukünftigen Priesterin.

Der Gang, in den sie einbogen, schien irgendwie düster, hier waren die dicken Holztüren alle mit schweren Vorhängeschlössern verriegelt und Cedrik fragte sich, wer oder was damit geschützt werden sollte. Vielleicht war etwas Wertvolles hinter diesen Türen? Oder waren in den Zimmern Wesen eingesperrt, die ihnen hier draußen gefährlich werden konnten? Ihn schauderte, als er aus einem der Räume ein leises Knurren vernahm. Er sah rüber zu seinen Freunden, aber niemand außer ihm schien etwas bemerkt zu haben.

Lahtifa öffnete eine verrostete Gittertür am Ende des Ganges und so traten sie über ein paar Stufen in einen quadratischen Innenhof hinunter, dessen gläsernes Dach schon vor Jahren eingebrochen sein musste. Als er den Kopf reckte, konnte Cedrik weit über ihnen die blanken Dachverstrebungen und den Himmel erkennen. Die moosbewachsenen Ziegelwände ringsum waren mit verschlungenen Zeichen und Mustern verziert und ein kleiner Schwarm Tauben flog auf, als sie den Raum betraten. Die untergehende Sonne schoss quer durch die verstaubten Fenster der angrenzenden Lagerhalle und tauchte die ganze Szene in rot-goldenes Licht. Der Ort wirkte friedlich und irgendwie … heilig. Was Cedrik am meisten faszinierte, war der Baum, der sich in der Mitte des kleinen Platzes dem Himmel und Licht entgegenstreckte. Cedrik hatte ein Exemplar wie dieses noch nie gesehen und er fragte sich, ob die Pflanze vielleicht aus Afrika stammte. Die Blätter hatten eine dunkelgrüne Farbe und waren rund und glänzend. Der Boden um den glatten, grauen Stamm war sorgsam freigefegt und Kerzen stand ringsum, auf Mauervorsprüngen und Stufen.

Bewundernd stellte Cedrik fest, dass die Wurzeln des Baumes den dicken Zementboden einfach aufgesprengt hatten, und ihn erfasste ein wohliges Schaudern, als ihm einmal mehr klar wurde, welche Kraft in den Pflanzen steckte. Der Baum vor ihnen strotzte nur so vor Leben und er fragte sich erstaunt, wie es Aissa und ihre Mädchen wohl geschafft hatten, den Baum hier so schnell wachsen zu lassen.

Lahtifa kniete sich auf den Boden und begann, mit weißer Kreide in raschen, fließenden Bewegungen erst einen großen Kreis, dann, davon ausgehend, verschlungene Muster auf den Boden zu zeichnen. Ohne aufzusehen, wandte sie sich erneut an Emily. »Komm her und stell dich in den Kreis!«

Emily, die viel zu bleich wirkte und ihre schmerzende Schulter fest umklammert hielt, tat, wie ihr geheißen wurde.

Elliot stellte sich neben Cedrik. »Was macht sie da? Die Muster erinnern mich an einen Drudenstern.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Die Dornhexen zeichnen so ähn-liche Muster auf den Boden, wenn sie einen Geist beschwören. Das ist Blutmagie, oder?«

»Oh, wirklich?« Cedrik sah sich nervös um. Warum war Aissa noch nicht hier? »Ich glaube, Lahtifa ruft damit ihren Gott. Sie öffnet ihm ein Tor in diese Welt und die Muster sind so eine Art Beschwörungsformel.«

Lahtifa stand auf, eilte zu einer dunklen Nische und zog eine kleine Holzkiste daraus hervor. »Was auch immer passiert, du darfst den Kreis nicht verlassen«, sagte die junge Novizin. Sie sah Emily immer noch nicht dabei an. »Und du darfst auf keinen Fall die Muster berühren. Hast du mich verstanden?«

Emily nickte ernst.

Lahtifa öffnete den kleinen Kasten und entnahm ihm weitere Kerzen, schwarze diesmal, und stellte sie rings um Emily auf die Spitzen der Zeichnung, die eine Art Stern aus verschnörkelten Linien darstellte. Dann begann sie zwischen ihren Händen getrocknete Kräuter zu zerreiben und in einem Kreis um den Baum zu verteilen. Dabei ließ sie immer wieder einzelne Blätter in die Kerzen fallen, wo sie zischend aufflammten und rauchend verbrannten.

»Was …?«, fragte Elliot. »Und was ist das?«

Cedrik schürzte die Lippen. Er hatte nach ihrer ersten Begegnung mit Aissa in den Büchern seines Vaters über die magische Religion Westafrikas gelesen, was er finden konnte. »Um die Götter des Voodoo zu rufen, verwenden die Priesterinnen oft Blut und Schießpulver, aber Papa Loco ist der Gott der Heilung und Geburt. Vielleicht sind das so eine Art Heilkräuter.«

»Blut?! Wusste ich’s doch!«, keuchte Elliot.

»Nein, kein Menschenblut wie bei den Dornhexen«, antwortete Cedrik hastig. »Hühnerblut!«

Die Luft war erfüllt von der süßen, schweren Würze der verbrannten Kräuter.

Lahtifa drehte sich zu ihnen um und rieb ihre Hände an den Hosenbeinen ab. »Und? Habt ihr ihn?«

Sie wirkt so angespannt, dachte Cedrik. »Wen?«, fragte er ratlos.

»Hier!« Aissa eilte hinter ihnen durch die quietschende Gittertür und überreichte Lahtifa eine kleine Papiertüte.

Und Cedrik verstand endlich. Aissa war zurückgeblieben, um zu besorgen, was Lahtifa für ihren Zauber brauchte. Er schüttelte sich.

In der Papiertüte war Rum. Eine ganze Flasche. Cedrik wusste, dass die Priesterinnen den Alkohol brauchten, um die Götter milde zu stimmen. Niemand wollte einen schlecht gelaunten Gott um einen Gefallen bitten. Er musste an Taranis denken, den nordischen Gott des Donners und der Stürme, und zog eine Grimasse. Hatte er den Hünen eigentlich schon einmal nüchtern gesehen? Und beim Abendmahl, bei der Messe in der Kirche, gab es da nicht auch Wein? Irgendwie waren sich die Götter doch alle ähnlich, egal woher sie kamen. Immer brauchten sie Blut und Alkohol. Er rümpfte die Nase.

»Dann fange ich jetzt an.« Der Ausdruck in Lahtifas Gesicht war konzentriert und ernst. Sehr ernst. »Bist du so weit?«, fragte sie Emily.

Die nickte nur. Cedrik konnte spüren, dass sie Angst hatte. Die himmlischen Herrscher waren unberechenbar, auch das galt für ihre Götter genauso wie für die der südlichen Welt.

Die junge Novizin drehte sich zu ihnen und begann ihre Schultern zu lockern.

Wie ein Boxer vor einem Kampf, durchzuckte Cedrik der Gedanke.