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Eine mutige Frau. Eine unsterbliche Liebe. Ein Land voller Geheimnisse. Bayern, 1893: Seit zwanzig Jahren kennt die junge Fanny nur den eintönigen Alltag im Schwesternorden, denn als Säugling wurde sie vor der Pforte des Klosters Reutberg abgegeben – mit nichts als einem geheimnisvollen Glasperlenarmband in ihrer Hand. Warum haben ihre Eltern sie damals so grausam verstoßen? Auf der Suche nach Antworten begibt sich Fanny auf die Spur der Perlen, die sie bis in die glühende Hitze Namibias führt und zu dem jungen abenteuerlustigen Arzt Ludwig, der zarte Gefühle für sie hegt. Aus vermeintlicher Liebe lässt sie sich auf eine verhängnisvolle Lüge ein, mit der sie alles riskiert … Wird Fanny ihr Schicksal abwenden können und endlich das Geheimnis ihrer Herkunft lüften? »Flottes Tempo und fesselnder Erzählstil« – histo-couch.de Ein atmosphärischer Roman voll großer Gefühle und Abenteuer im fernen Namibia – für Fans von Patricia Mennen und Anne Jacobs.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Bayern, 1893: Seit zwanzig Jahren kennt die junge Fanny nur den eintönigen Alltag im Schwesternorden, denn als Säugling wurde sie vor der Pforte des Klosters Reutberg abgegeben – mit nichts als einem geheimnisvollen Glasperlenarmband in ihrer Hand. Warum haben ihre Eltern sie damals so grausam verstoßen? Auf der Suche nach Antworten begibt sich Fanny auf die Spur der Perlen, die sie bis in die glühende Hitze Namibias führt und zu dem jungen abenteuerlustigen Arzt Ludwig, der zarte Gefühle für sie hegt. Aus vermeintlicher Liebe lässt sie sich auf eine verhängnisvolle Lüge ein, mit der sie alles riskiert … Wird Fanny ihr Schicksal abwenden können und endlich das Geheimnis ihrer Herkunft lüften?
eBook-Neuausgabe August 2025
Copyright © der Originalausgabe 2012 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / shutterstock AI
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mm)
ISBN 978-3-98952-878-9
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Beatrix Mannel
Afrika-Roman
Für meine Eltern Ilse und Werner Mannel, die mir so viel mehr als Glasperlen mit auf den Weg gegeben haben ...
Verstehen kann man das Leben rückwärts,
leben muss man es aber vorwärts.
Sören Kierkegaard
Ich zeigte dir den Mond, und du sahst nichts
als meinen Finger.
Redensart der Sakumba (Tansania)
Fanny verknotete ihr Hutband und kämpfte sich gegen den starken Wind über das Deck vor bis zur Reling, wo sie sich mit beiden Händen festhalten musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nach einunddreißig Tagen auf See wurde ihr wenigstens nicht mehr übel, egal wie sehr das Schiff unter ihr schwankte. Neugierig betrachtete sie die Küste von Deutsch-Südwest, deren Dünen im Abendlicht orangerot wie Stein gewordene Flammen aus dem Wasser ragten und eine Mischung aus Vorfreude und Vertrautheit in ihr auslösten, die sie sich nicht erklären konnte.
Sie atmete die von Gischt durchsetzte Luft so tief ein, wie es ihr eng geschnürtes Korsett eben noch erlaubte, und leckte sich dann das Salz von ihren Lippen, die von den Strapazen der Überfahrt spröde geworden waren.
Morgen früh sollten sie die Küste erreichen, wo sich ihr ganzes Leben ändern würde. Und zwar auf noch einschneidendere Weise, als sie es sich zu Beginn ihrer Reise vorgestellt hatte. Sie hatte ihr Wort gegeben. Ein Versprechen, von dem es nach Charlottes Tod kein Zurück mehr gab.
Der Wind zerrte an ihrem Kleid und wirbelte die Unterröcke hoch, aber Fanny machte keine Anstalten, sie wieder herunterzuschlagen. Es gefiel ihr, all die Dinge zu tun, die bei ihren Mitschwestern im Kloster blankes Entsetzen ausgelöst hätten: Endlich laut sagen, was sie wirklich dachte, endlich ein Korsett tragen und wie eine Frau aussehen, endlich frei sein und nur das tun, was sie selbst für richtig hielt.
Sie betrachtete abwesend die laut flatternden Spitzenbänder ihrer Unaussprechlichen und sah erneut sehnsüchtig zum Land hinüber. Unter Umständen konnte sich morgen in Swakopmund wieder alles ändern, doch das hing nicht mehr nur allein von ihr ab.
Abgemagert bis auf die Knochen hatte Charlotte sich an sie geklammert und sie angefleht, dafür zu sorgen, dass Ludwig, Charlottes Verlobter, nicht umsonst zum Schiff käme. Und Fanny versprach es, zuerst in der selbstverständlichen Annahme, dass dieser Fall ohnehin nicht eintreten und Charlotte wieder gesund werden würde, denn ein Leben ohne das glucksende Lachen von Charlotte und ohne ihre heitere Klugheit konnte sich Fanny gar nicht mehr vorstellen.
In den achtzehn Jahren im Kloster hatte Fanny immer davon geträumt, eine echte Freundin zu haben, eine, der sie ihre geheimsten Gedanken anvertrauen konnte, ohne Angst haben zu müssen, verraten zu werden. Doch sie musste zwanzig Jahre warten, bis sie völlig unverhofft Charlotte kennengelernt hatte. In der Frauenkolonialschule in Witzenhausen, wo sie beide einen Hauswirtschaftsvorbereitungskurs für die Kolonien absolvierten.
Fanny war von der Missionsgesellschaft nach Witzenhausen geschickt worden, Charlotte von ihrer Mutter, die Angst gehabt hatte, eine Tochter aus gutem Hause könnte dem harten Alltag einer Farmersfrau in Südwest nicht gewachsen sein.
Gleich am ersten Abend, während eines Vortrages über »Die Erziehung der Heiden zu ordentlichen Dienstboten und Christenmenschen«, hatte Charlotte ihr zugezwinkert und hinter vorgehaltener Hand so demonstrativ gegähnt, dass Fanny nur mühsam ein Lachen unterdrücken konnte. Von diesem Moment an hatte festgestanden, dass sie Freundinnen werden würden.
Trotzdem fragte Fanny sich nun, welcher Teufel sie geritten hatte, ihrer Herzensschwester ein so folgenschweres Versprechen zu geben, das sie jetzt, wo Charlotte tot war, nicht einfach brechen konnte. Trotzdem vermochte Fanny sich noch nicht vorzustellen, dass sie sich wirklich für Charlotte ausgeben und deren Verlobten heiraten würde.
Plötzlich flammte die karge Küste im Abendlicht lodernd auf, sogar das Meer funkelte orange und rosa. Unwillkürlich betastete Fanny ihr Glasperlenarmband, das sie niemals auszog. Es war ihr einziger, ihr kostbarster Besitz. Sie hielt den linken Arm hoch und vergewisserte sich – tatsächlich, einige der Perlen schimmerten genauso wie das Land, das in der Abendsonne vor ihr lag. Bestimmt war das ein gutes Zeichen. Ich werde es schon schaffen, das Richtige zu tun, beruhigte sie sich.
Der Wind schob ihren Hut trotz des Bandes hinunter in ihren Nacken, und Fanny überlegte einen kurzen Moment, ob sie ihn abnehmen, ihr Haar lösen und es dem Wind überlassen sollte. Aber das hätte ihr nur in Gegenwart von Charlotte Freude bereitet, allein kam sie sich albern vor. Charlotte hätte natürlich nicht mitgemacht, sondern den Kopf geschüttelt und ihr zum hundertsten Mal gesagt, sie würde sich viel mehr wie ein verrückter junger Hund benehmen als eine Dame von Welt. Aber genau das hätte Fanny gefallen. Sie wischte über die Augen, die sich unwillkürlich mit Tränen füllten. Charlotte fehlte ihr so sehr.
Wie würde es sich anfühlen, mit ihrem Namen gerufen zu werden? Auch wenn Franziska nur der Name war, auf den die Nonnen sie als unbekannten Säugling vor zwanzig Jahren getauft hatten, so war sie doch an ihn gewöhnt.
Plötzlich schnellte direkt neben dem Schiff eine riesige, graublaue Schwanzflosse aus dem Wasser empor. Fanny hielt überrascht die Luft an, gespannt, ob sie endlich einen Wal ganz sehen würde. Doch die Flosse verschwand mit einem gewaltigen Klatschen sofort wieder im Ozean. Wie oft hatten Charlotte und sie nach Walen Ausschau gehalten, und jetzt, so nah am Ziel, tauchte einer auf! Das war sicher auch ein gutes Omen.
Du bist nicht ganz bei Trost, ermahnte sie sich, du solltest damit aufhören, überall Zeichen zu wittern wie eine abergläubische alte Jungfer!
Eine Männerstimme drang durch das Tosen des Windes an Fannys Ohr und riss sie aus ihren Gedanken. Hastig schlug sie nun doch ihre Röcke herunter und versuchte sie dort zu halten, was angesichts des schwankenden Schiffes nicht ganz einfach war. »Haben Sie den Wal gesehen?«, fragte der Offizier, der mit respektvoll gezogener Schirmmütze an sie herangetreten war. »Das ist ungewöhnlich, normalerweise schwimmen sie nie so nah an diesen Teil der Küste heran. Es kann gefährlich für sie werden, denn manchmal verlieren sie ihre Orientierung, und dann verenden sie an der Skelettküste. Niemand weiß, wie es dazu kommt.«
So viel also zu den guten Vorzeichen, dachte Fanny und versuchte die Gänsehaut zu ignorieren, die ihr den Rücken hinunterlief.
»Zum Glück sind wir keine Wale und verfugen über jede Menge Technik, die es uns erlaubt, morgen früh dort anzulanden.« Er deutete mit der ausgestreckten Hand zur Küste hinüber.
»Dort drüben?«, fragte Fanny verblüfft nach. So farbenprächtig die Küste im Sonnenuntergang auch war, sie konnte weder einen Hafen noch eine Mole oder andere Spuren von menschlichem Leben entdecken.
»Tatsächlich, Madame. Dafür haben wir bereits in Liberia, im Hafen von Monrovia, die Crew-Neger an Bord genommen. Sie sind Spezialisten darin, die Boote durch die Brandung zum Strand zu steuern.«
»Aber dort drüben ist doch rein gar nichts! Oder liegt Swakopmund vielleicht in einer Senke, die man von hier nicht sehen kann?«
Der Offizier lächelte, setzte seine Schirmmütze wieder auf, tippte an den Rand der Mütze und deutete eine Verbeugung an.
»Das werden Gnädigste morgen früh dann schon sehen.« Fanny wollte ihm nachgehen, aber der starke Seegang
zwang sie, sich festzuhalten. Es war derselbe Offizier, der das Totengebet gesprochen hatte, bevor man Charlottes Leiche eingenäht in einem Jutesack über Bord geworfen hatte. Es hatte nichts mehr zum Beschweren des Sacks gegeben, weil vor Charlotte schon zwei andere Passagiere gestorben waren. Mit Grauen erinnerte sich Fanny daran, wie verloren der puppenhaft winzige Sack auf den Wellen getanzt hatte, bevor er schließlich strudelnd versunken war. Es schien ihr unbegreiflich, dass ihre energiegeladene Freundin wirklich tot sein sollte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte jemand seine Geheimnisse mit ihr geteilt, sich Sorgen um Fanny gemacht und Anteil genommen.
»Du wirst als Lehrerin an der rheinischen Missionsschule in Okahandja genauso unfrei sein wie im Kloster«, hatte Charlotte ihr wieder und wieder gepredigt, während sie in ihrer Koje lag und immer mehr an Kraft verlor. »Und glaube bloß nicht, die Protestanten wären auch nur einen Deut besser als die Katholiken. Im Gegenteil, ich sage dir, sie sind noch viel strenger und intoleranter. Wenn du aber jetzt die Möglichkeit nutzt und meinen Verlobten heiratest, dann kann er dir bei deiner Suche helfen. Er muss ein großzügiger Mann sein, er war schließlich bereit, mich zu heiraten, obwohl es diesen Skandal in meiner Familie gab.«
Je kränker Charlotte wurde, desto eindringlicher redete sie auf Fanny ein. »Man heiratet doch sowieso nicht den Mann aus Fleisch und Blut, sondern nur die Vorstellung, die man sich von ihm macht. Erst in der Ehe findest du heraus, wer dieser Mann wirklich ist. Versprich es mir. Er ist ein guter Mann, und du bist ein guter Mensch. Ich bitte dich. Tu’s für mich.« Kurze Zeit später war sie tot, und Fanny fühlte sich plötzlich noch einsamer als jemals im Kloster, wo sie keinerlei Freundinnen, sondern in der Oberin Seraphina nur eine bösartige Feindin gehabt hatte. Keine Familie, nicht einmal eine Geschichte, nur ihr Glasperlenarmband. Deshalb hatte sie ihre wenige freie Zeit und die vielen Nächte, in denen sie von Albträumen aufgeschreckt worden war, auch damit verbracht, sich für jede einzelne der einundzwanzig Perlen ständig neue Geschichten auszuspinnen. Geschichten, die sich um ihre Herkunft und um ihre Eltern rankten, von denen sie nichts wusste, Geschichten, in denen sie Geschwister hatte und ein Zuhause.
Fanny hatte ihr Glück kaum fassen können, als schließlich ein Mensch das Kloster betrat, der ihr ebenfalls eine Geschichte zu den Perlen erzählen konnte. Eine wahre Geschichte, die ihren Traum von einer Familie hatte näher rücken lassen und sie letztendlich auf dieses Schiff mit Ziel Afrika geführt hatte.
»Vergiss all diese Fantastereien, was du brauchst, ist ein Gefährte, mit dem du deine eigene Familie gründen kannst. Vergiss die Vergangenheit, wie alle, die auswandern, und fang in Afrika ganz neu an.« Ja, Charlotte war sehr überzeugend gewesen. »Niemand wird etwas merken, du nimmst meine Papiere, meine Truhen und all seine Briefe. Er hat mich nie gesehen, warum sollte er daran zweifeln, dass du nicht die bist, die er erwartet?«
Nach Charlottes Tod hatte Fanny dann Ludwigs Briefe gelesen und viel besser verstanden, warum ihre Freundin so besessen davon war, ihn nicht zu enttäuschen. Jeder einzelne Brief war so liebevoll und romantisch, dass Fanny beim Lesen Herzklopfen bekommen und tatsächlich begonnen hatte, von einer Hochzeit mit diesem liebenswürdigen Unbekannten zu träumen.
Während Fanny ihren Gedanken nachgehangen hatte, waren Himmel, Meer und Küste unfassbar schnell grau wie staubiges Zinn geworden, dann grünlich, und plötzlich schillerte alles noch einmal in prächtigem Rosa, bevor es schlagartig dunkel wurde.
Wenn die Sonne wieder aufgeht, dann ist es so weit, dachte Fanny. Und der einzige Mensch, dem sie morgen beim Anlanden aus dem Weg gehen musste, war die dicke Maria von Imkeller, die sich ihnen am Anfang der Reise ständig aufgedrängt hatte, weil sie süchtig nach Klatsch war. Zum Glück war auch Maria lange krank gewesen und deshalb hoffentlich unsicher darin, wer von ihnen beiden denn gestorben war.
Fanny tastete sich über den schwankenden Dampfer zurück in ihre Kabine, wo sie sich für die Nacht fertig machte.
Nachdem sie ein Gebet für Charlotte gesprochen hatte, begann sie sich vorzustellen, wie der fantasievolle Briefeschreiber wohl aussehen würde. Auf keinen Fall sollten seine Augen sein wie die von Schwester Seraphina, grau wie schmutziger Schnee, sondern freundlich, wie die von Charlotte, braun und glänzend. Sein Haar war ihr egal, auch eine Glatze wäre in Ordnung. Aber er sollte oft und viel lachen. Und er sollte so stattlich sein wie die Offiziere auf dem Schiff. Plötzlich schob sich die Vision eines feisten und klebrigen Mannes vor ihre Augen, der wie ein Sack schwitzende Butter in der Sonne überall feuchtfettige Flecken hinterließ. Sie schüttelte sich – nein, das war nur ihre Angst. Ludwig war ein junger Arzt, der beim Militär gedient hatte und mit oder ohne Uniform sicher großartig aussah. Bei diesem Gedanken berührte sie wie immer vor dem Einschlafen ihre Glasperlen, und dann schlief sie ein.
Mitten in der Nacht schreckte sie mit rasendem Herzschlag aus einem ihrer merkwürdigen Träume auf.
Sie war mit Charlotte auf einem Maskenball an einem breiten Sandstrand gewesen, auf den die Wellen aus allen Richtungen heranrasten und dann krachend umschlugen. Dort, wo sonst die Augenöffnungen der Masken waren, befanden sich orange flackernde Glasaugen in den Schattierungen ihrer Glasperlen. Das Orchester bestand aus sieben Klosterschwestern, und Seraphina dirigierte Walzer, eintönig und emotionslos wie eine mechanische Spieluhr. Der breite feuchte Sandstrand war über und über beschrieben mit den immer gleichen Sätzen. Sätze aus einem Brief von Ludwig.
Und wenn du erst einmal hier bist, werden wir keiner Worte mehr bedürfen, denn unsere Küsse sprechen dann direkt von Herz zu Herz. Mein Lieb, Charlotte, wie sehr ersehne meine Hände Dich, meine Lippen küssen Deine Briefe und wünschen sich die Wärme Deines Mundes, meine Augen stellen sich die Deinen vor, und begehren nichts mehr, als für immer in ihnen zu versinken.
Doch beim Tanzen über den Sand verwischten die Säume der prächtigen Ballroben die Schrift. Immer wenn ein Kleid die Schrift berührte, wurden die Buchstaben blutig, verloren die Form und begannen zu zerfließen. Je mehr von der Schrift verwischt wurde, desto blutiger wurde der Sand, das Blut stieg von den Säumen in die Kleider hoch und verfärbte alles dunkelrot. Das Schleifen der Kleider auf dem Sand und der mechanische Walzer vermischten sich und dauerten eine quälend lange Zeit an. Fanny wollte weglaufen, aber sie konnte nicht, sie musste sich drehen, wie die Ballerina auf einer Spieldose, und der Sand wurde zu Blut, das immer höher stieg und ihr Kleid tonnenschwer machte. Als es schon an ihrer Taille angekommen war, führte Charlotte einen Mann mit einer weißen Maske zu ihr und raunte ihr ins Ohr: »Fanny, du heiratest doch sowieso keinen Mann aus Fleisch und Blut.« Mein Retter, dachte Fanny. Mein Retter. Als sie Charlotte danken wollte, war diese davongeflogen. Der Mann zog sie an sich und nahm seine Maske mit großer Geste ab. Doch darunter befand sich eine weitere Maske. Eine grauenhafte, schwarz glänzende Maske, die einen Widderkopf darstellte.
Fanny war schweißgebadet aufgewacht, mit dem Geruch von Blut in der Nase, dem Geräusch der schleifenden Ballkleider im Ohr und dem Widderkopf vor ihrem inneren Auge. Nachdem sie sich etwas gefasst hatte, zermarterte sie sich den Kopf, warum sie gerade jetzt einen ihrer Albträume hatte. Morgen würde ihr neues Leben beginnen, ein Leben ohne diese Albträume.
Sie hatte etwas von dem lauwarmen Wasser auf ihrem
Nachttisch getrunken und nach den Briefen von Ludwig gegriffen, um sich zu beruhigen.
Alles steht schon für meine liebe Braut bereit, ja ich habe sogar unser Hauspersonal um drei Eingeborene verstärkt, damit es Dir an nichts fehlt.
Dein neues zuhause unter dem blauen afrikanischen Himmel, dem schönsten Himmel der Welt, ist geschmückt wie für eine Prinzessin. Denn das sollst Du für mich sein. Nicht nur meine Herzensfrau und mein Kamerad, nein, darüber hinaus möchte ich Dein Dich feurig anbetender Prinz sein, der nicht müde werden wird, deine Schönheit und Klugheit zu preisen.
Nun schilst du mich bestimmt angesichts all meiner Worte, die mir von Herzen in die Feder strömen, doch mach dir keine Sorgen, kein Patient muß deshalb leiden, nein, ganz im Gegenteil. Meine Zuversicht überträgt sich auch auf diese, sodass sich unser gesamter Haushalt in freudiger Erwartung auf dich befindet.
Wie immer bezauberten sie seine Worte, es war herrlich, so sehnlichst erwartet zu werden. Es war genau diese Sehnsucht, die seine Briefe zu einem aufregenden Versprechen machten, das in ihren Augen viel schöner war als alles, was sie bisher über Afrika gehört hatte, schöner als Zebras, Giraffen, Elefanten und Palmen.
Trotzdem schlief sie erst wieder ein, als draußen schon die Morgendämmerung anbrach.
Wenige Stunden später wurde sie vom aufgeregten Treiben an Bord geweckt. Als sie vollkommen übermüdet aus dem winzigen Bullauge nach draußen sah, stellte sie enttäuscht fest, dass dicker Nebel das Schiff umhüllte. Doch die Männer schien das nicht an ihrer Arbeit zu hindern, denn sie brüllten Kommandos, Gegenstände wurden über das Deck gezerrt, es rumpelte an allen Ecken und Enden.
Fanny beschloss, ihren Traum endgültig zu vergessen, und beeilte sich mit dem Anziehen. Sie hatte zwei Jahre lang eisern gespart und sich für Deutsch-Südwest zwei weiße Kleider aus leichtem Baumwollmusselin nähen lassen sowie ein Reitkleid, Wäsche und ein zweites Korsett. In dem Kursus der Frauenkolonialschule in Witzenhausen, bei dem sie Charlotte vor über einem Jahr kennengelernt hatte, war immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es zwar sehr heiß im Schutzgebiet war, dies aber kein Grund für die deutsche Frau sein sollte, sich gehen zu lassen oder gar wie die Hottentottinnen herumzulaufen.
Damit war Fanny mehr als einverstanden. All die Jahre im Kloster hatte sie es verabscheut, in einem lose hängenden Sack herumlaufen zu müssen, und sie genoss es, endlich wie eine Frau auszusehen. Sie fand, das Einschnüren brachte einem zu Bewusstsein, dass man einen Körper hatte, und sie liebte es, diesen Körper mit weichen Stoffen zu umhüllen.
Fanny strich über den cremefarbenen Rock aus schimmerndem Baumwollsatin mit den breiten Spitzenbordüren und dachte daran, wie Charlotte ihr mit einem wissenden Grinsen unterstellt hatte, sie würde für ein schönes Kleid glatt über Leichen gehen.
Plötzlich hörte sie in ihrem Kopf wieder das Geräusch von den schleifenden Ballroben mit der Walzermusik, und sie bekam trotz der Hitze eine Gänsehaut. Höchste Zeit, an die frische Luft zu kommen, vergiss den Traum, Fanny. Sie beeilte sich, die Manschettenknöpfe der bauschigen Keulenärmel zu schließen und den breitkrempigen Hut auf ihrem widerspenstigen, krausen schwarzen Haar zu befestigen. Sie hatten beide die gleiche Haarfarbe gehabt, allerdings war Charlottes Haar glatt und glänzend wie Seide. Ihre Figuren waren jedoch sehr unterschiedlich. Fanny begann, ihre Truhe zu packen, hielt inne und stopfte dann kurz entschlossen ihre wenigen Sachen in die Truhe von Charlotte, deren Eisenbeschläge mit einem Monogramm versehen waren. Ganz nach oben packte sie den Brief an Charlottes Eltern, den Charlotte in ihren letzten Stunden diktiert hatte. Ihnen müssen wir die Wahrheit sagen, hatte Charlotte mit letzter Kraft geflüstert, das bin ich ihnen schuldig. Nachdenklich betrachtete Fanny den Brief. Egal, ob sie Charlottes Versprechen halten würde oder nicht, sie musste diesen Brief einem der Offiziere übergeben, damit sie ihn zurück nach Deutschland brachten. Sie nahm den Brief und begab sich an Deck. Mittlerweile hatte der Wind den Nebel vertrieben, und die Sonne schien unbarmherzig vom Himmel herab. Niemand war zu sehen, aber der starke Wind wehte vom oberen Vorderdeck Fetzen von Gelächter und Schreie in Fannys Richtung. Neugierig schlenderte Fanny hinüber und war überrascht von dem Schauspiel, das sich ihr bot.
Man hatte eine Seilwinde aufgebaut, an deren Ende ein riesiger geflochtener Korb aus Bambus hing, in dem eine korpulente Frau saß. Fanny erkannte Maria von Imkeller – ausgerechnet. Fanny hoffte, dass sie ihr in Deutsch-Südwest nie wieder begegnen würde. Jedes Mal, wenn sich der Korb im Wind ein wenig bewegte, kreischte Maria schrill wie zehn Papageien, womit sie die gesamte Mannschaft zum Grölen brachte.
Und dabei sieht sie noch aus wie ein verkleideter Gorilla im Käfig, dachte Fanny und hatte zum ersten Mal seit Charlottes Tod das Verlangen, laut und heftig zu lachen. Doch sie beherrschte sich. Sie hielt ihren Hut fest, damit er trotz diverser Hutnadeln nicht davonflog, und sah gespannt dabei zu, wie der Korb über Bord gezogen und dann in eine kleine Schaluppe hinabgelassen wurde. Dieses schwierige Unterfangen wurde durch die heftige Brandung zusätzlich erschwert. Unten tanzte das kleine Boot machtlos auf den Wellen, und oben schwankte der Korb mit Maria im Wind derart hin und her, dass die Schwarzen die allergrößte Mühe hatten, ihn in das Boot zu bekommen. Sechs Mann versuchten, den Korb mit Tauen genau über das Boot zu dirigieren. Fanny wurde es schon beim Hinsehen übel, und sie fragte sich, wie die Männer es schafften, dabei ihr Gleichgewicht zu halten. Obendrein spritzte von allen Seiten Gischt in das schaukelnde Boot.
»Die Damen werden so in das Boot hinabgelassen, es ist sicherer.« Der Offizier von gestern Abend war aufgetaucht und stand dicht neben ihr. »Sie sind die Nächste.«
Ganz egal, wie viel Angst ich habe, dachte Fanny, und wie schlecht es mir wird, ich werde auf keinen Fall so ein Schauspiel abgeben wie Frau von Imkeller.
»Und unsere Truhen?«
»Darum kümmern wir uns später. Zuerst müssen wir die Passagiere von Bord bringen.«
Fanny reichte dem Offizier den Brief an Charlottes Eltern und bat ihn, dafür zu sorgen, dass er seine Empfänger erreichte. Er salutierte und versicherte ihr, dass ihr Wunsch Ehrensache für ihn sei. Er steckte den Brief in seine Jackentasche und nickte Fanny zu.
Mit einem lauten Rums plumpste der Käfig mit Maria von Imkeller unten auf das Boot. Ihr Kreischen war jetzt nur noch gedämpft zu hören, doch Fanny konnte sehen, wie sie die Männer an Bord anschrie, und als man ihr aus dem Korb half, verteilte sie zum Dank freigebig Ohrfeigen. Das passte zu Maria von Imkeller, die sich als zukünftige Königin von Deutsch-Südwest gab, nur weil ihr Mann in Windhuk angeblich Bürgermeister war.
Fanny konnte an Schlägen nichts Königliches finden. Es war nur eine besonders erbärmliche Art, Macht auszuüben, und erinnerte sie mit Ekel an Seraphina, die sie im Namen Gottes schonungslos gezüchtigt hatte. Weg damit, weg mit alldem, ermahnte sich Fanny. Ich bin jetzt am anderen Ende der Welt. Einer Welt voller Sonne und voll aufregender Möglichkeiten.
Der Offizier kam und führte sie zum bereits wieder hochgezogenen Korb. Fanny setzte sich hinein, und weil sie es ganz anders als Maria machen wollte, winkte sie gelassen in die Menge, als wäre sie die Kaiserin auf dem Weg zur Weltausstellung. Und alle winkten ihr zurück.
Doch je höher sie gezogen wurde, desto schwindeliger wurde ihr. Sie umklammerte ihr Glasperlenarmband wie einen Talisman. Die Perlen hatten sie schließlich hierhergeführt. Sie vermied es, durch die dünnen Bambusrohre nach unten zu blicken, aber sie schaffte es nicht ganz und schauderte unwillkürlich. Das Meer schäumte, brüllte und schlug um sich, und es kam ihr vor wie ein hungriger Drache auf der vergeblichen Suche nach einer Jungfrau. Sie hob ihr Gesicht zur Sonne und schloss die Augen. Doch so schien ihr das Jaulen des Windes wesentlich lauter, und sie spürte das Schwanken und Schaukeln des Korbes noch viel stärker. Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf ihr Perlenarmband und zählte die Perlen, obwohl sie natürlich genau wusste, wie viele es waren. Sieben rote böhmische Perlen, sieben gelbe afrikanische Perlen und die sieben Traumperlen, die zwischen den Farben eines flammenden Sonnenuntergangs und denen eines Regenbogens changierten. Alle Perlen schlichen sich zuweilen in ihre ohnehin schon merkwürdigen Träume, aber diese Zauberperlen waren die einzigen, die ihr zuwisperten und einen seltsam hohen, singenden Ton von sich gaben. Heute Nacht waren sie in ihrem Traum zwar als Maskenaugen aufgetaucht, dabei aber stumm geblieben.
Ihr Korb näherte sich dem Boot, und diesmal dauerte es nicht lange und sie war daraus befreit. Nach einigen Minuten hatte sich Fanny an das Schlingern im Boot gewöhnt und begann den Männern bei der Arbeit zuzusehen, bis ihr klar wurde, dass sie die Eingeborenen geradezu anstarrte. Ihre Augen wurden magisch von den muskulösen, nackten und schwitzenden Oberkörpern angezogen. Beschämt wandte sie ihr Gesicht ab und betrachtete das Meer.
»Unglaublich, welchen Anblicken hier weiße Frauen ausgesetzt sind!«, ließ sich Maria von Imkeller säuerlich vernehmen und nickte Fanny zu.
Obwohl sie sich für ihr respektloses Starren gerade noch geschämt hatte, amüsierte es sie, dass Maria ihr Verhalten missverstanden hatte, und sie verbiss sich ein Grinsen – auch weil sie auf keinen Fall ein Gespräch mit dieser Frau riskieren wollte.
Nachdem der Korb wieder zurück zum Schiff hochgezogen worden war, begannen die Eingeborenen gemeinsam durch die teils halbmeterhohen Wellen Richtung Strand zu paddeln, und obwohl niemand ein Kommando gab, waren ihre Bewegungen vollkommen synchron.
Eine große Welle brach am Bootsrand und schwappte über Maria und Fanny. Fanny schnappte nach Luft, Maria schrie laut auf. Das unerwartet kalte Wasser hatte Maria vollkommen durchnässt und ihre Frisur in ein zerfallenes Krähennest verwandelt. Ihre Hüte flatterten zusammen im Wind davon.
»Diese verdammten Nigger, es macht ihnen Spaß, uns zu quälen!«
Fanny glaubte nicht recht zu hören. »Was für ein Unsinn!«, rief sie. »Sehen Sie denn nicht, wie schwierig es ist, hier an Land zu kommen?«
Maria schnaubte verächtlich. »Damit verdienen die Nigger ihr Geld. Sie werden hier noch viel lernen müssen, man darf nicht zu weichherzig sein.«
Da bestand bei dieser Person sicher keine Gefahr, dachte Fanny. Maria hätte sich bestimmt gut mit Seraphina verstanden.
Obwohl die Strömung sehr stark war, paddelten die Eingeborenen langsam, aber beständig näher ans Ufer. Fanny entdeckte zwei Gebäude, die sich flach an den Strand zu schmiegen schienen, und einige Zelte. Der Strand selbst wimmelte von Menschen. Männer in weißen Anzügen, halb nackte Schwarze und Eingeborene in bunten Kleidern. Je näher sie dem Strand kamen, desto schneller schlug Fannys Herz. Dieser Strand, das war der aus ihrem Traum, so breit, so kahl, so ungestüme Wellen. Wie war das möglich?
»Machen Sie sich bereit, gleich müssen Sie sich von so einem Kanaken durchs Wasser tragen lassen!« Maria von Imkeller deutete auf schwarze Männer mit aufgekrempelten Hosen und Hemden, die durchs Wasser auf sie zugeeilt kamen.
Verständnislos sah Fanny von den Männern zu Maria.
»Die bringen uns durch das Wasser an den Strand«, erklärte diese.
Fanny wollte lieber zu Fuß durchs Wasser gehen, als sich transportieren zu lassen wie ein Sack Mehl. Sie fragte sich, wie viele Männer es brauchen würde, um Maria an Land zu schleppen.
»Ja, das ist eine Zumutung für uns Frauen!« Maria hatte Fannys Schweigen schon wieder missverstanden. »Dass wir uns von solchen anfassen lassen müssen. Mein Gatte wird dafür sorgen, dass Swakopmund eine Mole bekommt.«
Die ersten Männer waren am Boot angelangt. Fanny ließ Maria den Vortritt, um zu beobachten, was zu tun war. Dann sprang auch sie auf den Rücken eines Mannes und ließ sich huckepack durchs Wasser tragen. Ihr Träger lehnte sich nach vorn und marschierte langsam und bedächtig durch das etwa oberschenkeltiefe Wasser. Dazu musste er sich bei jedem Schritt fest gegen den Wind und das Wasser stemmen. Wellen umbrandeten sie und leckten an ihren Säumen. Am liebsten wäre Fanny heruntergesprungen, denn sie hatte große Mühe, sich an dem Mann festzuhalten, weil ihr Kleid so eng war, dass sie die Beine wie eine Meerjungfrau geschlossen halten musste.
»Entschuldigen Sie«, begann sie, als sie merkte, dass sie sich nicht mehr lange würde festhalten können. Aber der Wind trieb ihre Worte davon, und der Schwarze reagierte nicht. »Entschuldigen Sie!«, rief sie deshalb lauter.
Ihr Träger drehte ihr den Kopf zu und stolperte genau in diesem Augenblick nach vorne, sodass Fanny mit ihm zusammen ins kalte Wasser stürzte.
Sie wurde ganz untergetaucht, verschluckte sich, wunderte sich über den überraschend starken salzigen Geschmack, kam sofort wieder hoch, rang nach Luft, doch ihre Füße wurden von einer starken Macht weggerissen, und sie fiel der Länge nach ins Wasser. Schlagartig verstand sie, warum die Männer sie an Land trugen. Nicht Schicklichkeit oder Rücksicht waren der Grund, sondern einzig und allein die Strömung.
Sie strampelte, kam nach oben, schnappte nach Luft, atmete Wasser ein, spürte für eine Sekunde den sandigen Grund unter ihren Schuhen, dann wurde sie wieder unter Wasser gezogen.
Sie hatte keine Luft mehr in ihren Lungen. Nein, ich werde auf keinen Fall sterben, dachte sie, nicht hier, nicht so kurz vor dem Ziel. Sie spannte all ihre Muskeln an, um wieder an die Wasseroberfläche zu kommen. In diesem Moment wurde sie von zwei starken Händen gepackt, hochgezogen und festgehalten. Sie japste nach Luft und konnte nichts sehen, weil das Salzwasser in ihren Augen brannte und noch dazu die Sonne sie blendete. Erst als sich ihre Augen an die Sonne gewöhnt hatten, erkannte sie, dass es sich bei ihrem Retter um einen anderen dunkelhäutigen Mann handelte, der mit einem vollkommen durchnässten hellbraunen Anzug bekleidet war. Er trug sie, als wäre sie ein krankes Kind. Fanny legte, ohne lange nachzudenken, ihre Arme um seinen Hals und klammerte sich fest. Sie wollte »Danke« sagen, aber sie würgte immer noch an dem Salzwasser, das sie verschluckt hatte.
»Willkommen in Swakopmund!«, murmelte der Mann und lächelte Fanny schwer atmend an. Er blieb mit ihr auf dem Arm stehen, um zu verschnaufen. Ihr Kopf war so nah an seinem Gesicht, dass sie nicht nur die schwarzen Bartstoppeln auf seiner dunklen Haut, sondern sogar die glitzernden Wassertropfen in seinen dichten Wimpern sehen konnte. Seine Haut war tiefbraun, doch längst nicht so schwarz wie die der anderen Träger. Seine Augen schimmerten braungrün und erinnerten sie an weich bemooste Baumstämme. Er besaß eine breite Nase, und seine Lippen waren sehr voll und die Oberlippe fein geschwungen. Durch die nassen Kleider spürte Fanny nicht nur seinen hämmernden Herzschlag, sondern auch, wie hart seine Armmuskeln waren, und ihr wurde schlagartig bewusst, dass ihr weißes Kleid jetzt nahezu durchsichtig sein musste.
»So empfängt Swakopmund seine Gäste.« Der Mann stieß ein kehliges Lachen aus, das vom freundlichen Leuchten seiner dunklen Augen ergänzt wurde. Unwillkürlich lächelte Fanny zurück.
»Trotzdem ein herzliches Willkommen, Fräulein von Gehring.« Er schritt langsam weiter durch das aufgewühlte Wasser.
Fräulein von Gehring? Wie kam er darauf, dass sie Charlotte war? War das etwa Ludwig, Charlottes Verlobter? Während Fanny darüber nachdachte, wie sie reagieren sollte, bemerkte sie, wie sich überall dort, wo ihre Körper sich berührten, ein fremdes, durchaus angenehmes Gefühl ausbreitete, das sie verwirrte. Sie räusperte sich, weil ihre Kehle noch wund war vom Salzwasser. »Woher wissen Sie, dass ich Charlotte bin?«, krächzte sie schließlich.
Er blieb im immer noch schenkeltiefen Wasser stehen und holte Luft. Schweiß tropfte über seine kräftigen Augenbrauen. »Ich lasse Sie kurz runter, aber halten Sie sich gut an mir fest.«
Fanny nickte. Doch kaum hatten ihre Füße den Grund berührt, zerrte die Strömung schon wieder an ihnen. Fanny drückte sich dichter an den Mann, sodass sie fühlen konnte, wie sich sein Bauch beim Atmen bewegte. Sein Geruch verwirrte sie genauso wie seine Nähe, was auch daran lag, dass ihr noch nie ein Mann so nahe gekommen war. Sie musste dringend einen klaren Kopf behalten und durfte keinen Fehler machen.
»Also, woher wissen Sie, wer ich bin?«, schrie sie gegen den Lärm der Brandung an.
»Es war abgemacht, dass Fräulein von Gehring als Zweite von Bord gehen sollte – und außer ihr und den verheirateten Frauen war sonst nur noch die bedauernswerte Lehrerin an Bord.«
Fanny ärgerte diese Herablassung. »Warum nennen Sie sie bedauernswert? Weil sie für Geld arbeitet?«
»Nein.« Seine Stimme klang plötzlich hart. »Weil Okahandja, die Missionsstation, zu der wir sie hinbringen sollten, vor drei Tagen niedergebrannt wurde und alle Missionare und Lehrerinnen ermordet worden sind.«
Fanny schluckte, in ihrem Hals schnürte sich alles zusammen, sie rang nach Luft. Ermordet. Charlotte hatte recht gehabt. Es war viel gefährlicher, in der Mission zu arbeiten, als sie das je für möglich gehalten hatte.
»Aber warum? Wie konnte das passieren?«
Seine Augen verdunkelten sich, und neben seinem Mund zeigten sich plötzlich traurige Linien.
»Niemand weiß genau, was passiert ist. Sicher ist nur, dass alle tot sind. Ich glaube ...« Er zögerte, dann straffte er seine breiten Schultern, räusperte sich und fuhr fort. »Es ist ein abscheuliches Verbrechen. Dieses Land wird noch lange nicht zur Ruhe kommen. Aber gehen wir weiter, Sie werden erwartet.« Er umfasste sie wieder, hob sie auf seine Arme und suchte vorsichtig den Weg durch die kreuz und quer auf die Küste zulaufenden Wellen.
Erschüttert dachte Fanny an Pater Gregor, den überzeugten Missionar, der vor drei Jahren in das Kloster Reutberg gekommen war und sie überhaupt erst auf die Idee gebracht hatte, nach Afrika zu gehen. Sie betete, dass ihm niemals so etwas Grauenhaftes zustoßen möge.
»Für mich ist diese Lehrerin deshalb bedauernswert, weil niemand weiß, was jetzt mit ihr werden soll«, unterbrach der Mann ihre Gedanken. »Es gibt für eine weiße Frau nicht viele Optionen zum Geldverdienen.«
»Ich habe gehört, es herrscht in den Schutzgebieten ein großer Mangel an weißen Frauen.«
»Ach was! Die Hübschen oder die mit Geld, die können vielleicht heiraten. Aber die anderen, die enden im Bordell. Was glauben Sie, wie viele Taugenichtse hier herumlungern? Die warten nur darauf, eine junge Frau zu verderben, und danach bleibt auch nur das Bordell.«
»Aber gibt es denn keine Arbeit als Lehrerin oder Gouvernante?«
Was tue ich hier eigentlich?, dachte Fanny im nächsten Moment. Ich muss mich damit abfinden: Mir bleibt nur noch eine Möglichkeit, und die hat Charlotte mir geschenkt. Es ist, als würde sie ihre Hand über mich halten. Ich sollte nach vorne schauen und anfangen, wie Charlotte zu denken.
»Noch gibt es wenig Anständiges für weiße Frauen. Vielleicht ändert sich das, wenn die Kolonie wächst. Als Bedienstete stellen die Weißen nur Schwarze ein, weil man denen kaum etwas zu bezahlen braucht, und sobald die weißen Kinder alt genug sind, um in die Schule zu gehen, werden sie in ein deutsches Internat geschickt. Man will damit verhindern, dass sich die Kinder mit den Eingeborenen zu sehr anfreunden.«
»Warum denn das?«
Der Mann gab ein unbestimmtes Schnauben von sich. »Wie auch immer, Fräulein von Gehring, ich denke doch, Sie haben ein Herz und werden sich der armen Lehrerin so lange annehmen, bis klar ist, was aus ihr werden soll, oder nicht?« Bevor sie etwas erwidern konnte, stellte er Fanny behutsam auf den weichen Sand und wischte sich mit dem Ärmel über seine schweißglänzende Stirn. »Wir sind da.«
Fanny war erleichtert, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Trotzdem war ihr schwindelig von all den entsetzlichen Neuigkeiten, die sie gerade gehört hatte, und sie hätte sich gern noch einen Moment an den Fremden angelehnt, doch der hielt nun Abstand zu ihr.
Ein großer, blonder Mann trat zu ihnen, betrachtete Fanny eingehend, während ein Leuchten über sein breites, kantiges Gesicht ging. Seine Augenbrauen waren rotblond und struppig und über der Nase zusammengewachsen. Ein großer gezwirbelter Schnurrbart verdeckte seine Oberlippen und verlieh seinem Gesicht ein fröhliches Aussehen.
»Danke, John«, sagte er zu dem Mann im nassen, hellbraunen Anzug, »dass du mir meine Charlotte aus den Fluten gerettet hast.«
»Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen.« John deutete eine Verbeugung vor Fanny an.
Fanny blickte verwirrt zwischen den Männern hin und her. Der große blonde Mann deutete auf ihren dunkelhaarigen Retter. »Das ist John Madiba, mein Verwalter. Ich bin Ludwig Falkenhagen, dein Bräutigam.«
Überrascht betrachtete Fanny ihn genauer. Er lächelte sie so vergnügt an, dass sie zurücklächelte, obwohl sie kaum klar denken konnte und sich in ihrem Kopf alles drehte. Vielleicht war es die Sonne oder der Sturz in die reißende Brandung, jedenfalls kreiselten die Bilder und Gedanken immer schneller und schneller. Ludwigs Schnurrbart, die Maske aus dem Albtraum, eine brennende Kirche, Charlottes Leiche auf dem Meer tanzend, Maria von Imkeller im Käfig, die nackten Männerschultern, die Augen ihres Retters und ihr Versprechen. Fanny kniff sich in den Arm, um sich zu sammeln. Jetzt oder nie. Sie konnte ihr Versprechen brechen und Ludwig erklären, dass sie nicht Charlotte war, oder sie musste für immer schweigen.
Ludwig nickte ihr verständnisvoll zu. »Liebes, du musst vollkommen erschöpft sein. Die Januarsonne ist auch viel zu stark für dich und wird deine schöne helle Haut ruinieren.« Er klatschte zweimal in die Hände, woraufhin eine schwarze Frau angerannt kam.
Jetzt, Fanny, jetzt musst du es ihm sagen, diesem freundlich besorgten Mann, dass du nicht Charlotte von Gehring bist, sondern nur ein Waisenkind aus dem Kloster. Und wenn ich das tue, dachte Fanny, was wird dann aus mir? Sie betrachtete den blonden Mann, der sie immer noch mitfühlend ansah. Würde er sie hassen, wenn er je dahinterkäme, dass sie ihn belogen hatte?
Er konnte sich offensichtlich nicht an ihr sattsehen. Es schien, als wäre Fanny für ihn nicht nur eine annehmbare Verlobte, sondern ein großer Gewinn. Fannys Augen schweiften hinüber zu John, der sich erschöpft in den Sand gesetzt hatte.
»Elli«, sagte Ludwig zu der schwarzen Frau, »wir brauchen einen Schirm und einen leichten Umhang für meine Braut. Und etwas zu trinken.«
»Ich glaube, ich muss mich auch setzen«, murmelte Fanny, und weil sie nirgends einen Stuhl oder etwas Ähnliches entdecken konnte, ließ sie sich neben John auf den goldfarbenen Sand fallen. Sie umklammerte ihr Glasperlenarmband, als könnte ihr das helfen.
Ludwig ging neben ihr in die Hocke. »Liebes, es tut mir leid, aber wir müssen noch auf die arme Lehrerin warten, ich habe versprochen, dass wir uns um sie kümmern.« Er stand auf und wandte sich an John, diesmal mit der Stimme eines Mannes, der das Befehlen gewohnt war. »John, deine Hilfe wird bei den Karren gebraucht.« John nickte, erhob sich und klopfte den Sand vom feuchten Anzug.
»Sorg dafür, dass sie alles aufladen, was mit zu uns nach Keetmanshoop kommen soll, auch die Koffer der Lehrerin.«
Fanny war nahe daran, in hysterisches Kichern auszubrechen, doch sie riss sich zusammen. Das immerhin hatte sie im Kloster gelernt: zu verbergen, was wirklich in ihr vorging.
»Wir müssen nicht länger warten«, sagte sie leise. »Franziska Reutberg wird nicht kommen.«
»Was sagst du?« Ludwig beugte sich wieder näher zu ihr hin, sodass sie direkt in seine fragenden, blaugrauen Augen sehen konnte.
»Franziska Reutberg ist tot.« Fanny flüsterte nur noch und schaffte es nicht mehr, sich zu beherrschen, sie weinte. Ich habe mich entschieden, dachte sie. Charlotte, schau, ich halte mein Versprechen, obwohl ich mich selbst damit für tot erkläre. Ich muss verrückt sein, aber ich tu’s. Für dich und für mich. Denn nur so kann ich hierbleiben und mehr über meine Vergangenheit herausfinden.
Ludwig sah auf Fanny herab und wusste offensichtlich nicht, was er tun sollte. Er drehte sich nervös nach den anderen Menschen am Strand um, doch niemand beachtete sie. Alle waren damit beschäftigt, die ständig weiter eintreffenden Boote abzuladen und zu den Karren oberhalb des Strandes zu transportieren.
»Wein doch nicht«, sagte er schließlich und streichelte zaghaft über ihren feuchten Arm. »Ich werde alles tun, damit du niemals einen Grund hast zu weinen, das verspreche ich dir. Liebes, eine so schöne Frau wie du sollte nicht weinen. Du bist nur von den Strapazen der Reise ein wenig durcheinander.«
Elli war zurück und hielt Ludwig einen weißen Spitzenschirm hin, den er ihr wortlos abnahm und aufspannte.
Sie füllte einen Becher mit Flüssigkeit aus einem Lederschlauch und bedeutete Fanny zu trinken.
»Das wird dir guttun.« Ludwig hielt den Schirm fürsorglich über Fanny und nickte ihr aufmunternd zu.
Während Fanny den lauwarmen, fremdartig schmeckenden Tee hinunterschluckte, versuchte sie, sich zu sammeln, aber alles in ihr bebte. Hatte sie sich wirklich richtig entschieden? Ihr Blick wanderte zu John, der zu einem der zahlreichen Ochsenkarren lief, die oberhalb des Strandes darauf warteten, beladen zu werden.
Als ob er ihre Augen in seinem Rücken gespürt hätte, drehte er sich kurz um und winkte ihnen zu. Ohne zu überlegen, winkte sie ihm zurück und fühlte sich bestärkt.
»Er ist ein guter Verwalter«, sagte Ludwig, »wirklich erstaunlich gut für einen Mischlingsbastard. Ich kenne ihn schon eine Ewigkeit und ich vertraue ihm.« Ludwig lächelte ihr glücklich zu. »Ich bin so froh, dass du endlich hier bist.«
Fanny wich seinem Blick aus, sah aufs aufgewühlte Meer hinaus und betastete wieder ihre Perlen. Plötzlich, inmitten des Lärms, den die Arbeiter beim Entladen der Boote verursachten, dem Klatschen der Wellen und dem Kreischen der Möwen, wurde sie ganz ruhig. Sie hätte nicht sagen können, ob es an dem feinen Sand zwischen ihren Fingern lag oder an dem ungewöhnlichen Duftgemisch von Staub und Salz, Ochsen und Honig. Doch es kam ihr auf einmal so vor, als wäre Charlotte ganz nah bei ihr und würde sie umarmen.
Fannys Blick wanderte vom Horizont wieder zu Ludwig. Charlotte hatte recht. Er wusste so wenig über seine Verlobte wie sie über ihn. Es war kein Betrug, es war für sie beide ein Anfang. Sie suchte seinen Blick und lächelte ihm zu. »Ludwig«, sagte sie.
»Charlotte, ich will nicht drängen, du sollst erst einmal zur Ruhe kommen, aber verrate mir bitte eines.« Er nahm ihre Hand und klopfte den Sand ab. »Warum trägst du den Verlobungsring nicht, den ich dir geschickt habe? Hat er irgendwie dein Missfallen erregt?«
Weil er mit Charlotte auf dem Meeresgrund liegt. O Gott, und was jetzt?
»Nein, nein, er war wirklich wunderschön ...«, flüsterte Fanny tonlos.
»Nach dem Skandal in Berlin hätte ich gedacht, es wäre dir wichtig, der Gesellschaft zu zeigen, dass du verlobt bist.« Schatten wanderten über seine blaugrauen Augen.
»Das stimmt, Ludwig, und natürlich habe ich ihn auch getragen«, antwortete Fanny, während sie nach einer logisch klingenden Ausrede suchte. Wie hatten sie den Ring nur vergessen können?
»War er vielleicht nicht nach dem Geschmack deiner Familie?« Seine Stimme bettelte geradezu um eine Erklärung.
Fanny konnte sich nicht einmal erinnern, wie der Ring an Charlottes Hand ausgesehen hatte, denn er war so schlicht gewesen, dass er sich ihr nicht eingeprägt hatte, und genau deshalb hatten sie ihn auch bei ihrem Plan vergessen.
»O doch, er war wunderschön. Ich habe ihn immer getragen, doch dann sind wir alle so krank geworden.«
»Ich verstehe nicht?« Ludwig zog seine Augenbrauen fragend nach oben.
»Anlässlich der Äquatortaufe hat die Woermannreederei ein großes Fest veranstaltet, bei dem es auch Geflügelsalat mit Mayonnaise gab.« Fanny merkte, wie ihr allein bei dem Gedanken daran flau wurde. »Doch die Mayonnaise und das Geflügel waren durch die Hitze verdorben. Und die Passagiere wurden krank. Einige Passagiere sind sogar daran gestorben, so auch die arme Franziska.«
Ludwig schüttelte den Kopf. »Das ist unverantwortlich. Ich werde dafür sorgen, dass das Konsequenzen hat.«
»Das ist nicht nötig, Ludwig, denn ich lebe ja noch.«
Ludwig tätschelte ihre Hand. »Du bist eben zäh. Und das ist gut, denn hier brauchen wir gesunde und starke Frauen, die anpacken können. Für Salondämchen ist in diesem Land kein Platz, und ich bin sehr froh, dass du dir trotz deiner Herkunft nicht zu schade warst, dich so gut auf das Land hier vorzubereiten. Aber was hat das alles mit meinem Verlobungsring zu tun?«
»Ich konnte lange nichts bei mir behalten. Und weil es den anderen so viel schlechter ging als mir, habe ich dabei geholfen, sie zu versorgen, und nicht bemerkt, wie dünn meine Finger dabei geworden sind. Und dann ist es passiert, er ist mir vom Finger gerutscht, bei der Trauerfeier zu Char ... Franziskas Seebestattung ...« Ich rede mich noch um Kopf und Kragen, dachte Fanny, was für ein Gefasel.
»Oh, ich verstehe.« Ludwig sah erfreut aus. »Du hast dich selbstlos um die anderen gekümmert. Das gefällt mir, schließlich heiratest du mit mir einen Arzt. Um den Ring ist es allerdings schade, denn er hat meiner Großmutter gehört. Nun, dann kaufen wir einen neuen. Für dich soll mir nichts zu teuer sein. Bist du bereit aufzubrechen?« Er streckte ihr seine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Sie war trotz der Hitze trocken und kühl und so groß, dass Fannys darin vollkommen verschwand. Als sie sich erhoben hatte, nahm er ihren Arm und führte sie über den Sandstrand weg vom Meer zu einem gestampften Pfad, auf dem zahllose Karren und Ochsen standen. Fanny hängte sich bei ihm ein, denn das Gehen fiel ihr schwer. Ihre Unterkleider waren noch feucht vom Salzwasser und scheuerten und brannten auf der Haut. Darüber hinaus versank sie bei jedem Schritt tief im heißen Sand. Seraphina hätte die Verwandlung des sündhaften Kleides in ein Büßergewand sicher als Strafe Gottes begrüßt. Fanny musste trotz ihres Elends lächeln. Wann endlich würde sie aufhören, darüber nachzudenken, was Seraphina gedacht, getan und gesagt hätte? Sie war nicht mehr im Kloster Reutberg.
Fanny blieb stehen und atmete tief durch. Sie war der einzigen Spur, die sie hatte, gefolgt, um etwas über ihre Herkunft zu erfahren: die Spur der Glasperlen. Jetzt war sie endlich an dem Ort angekommen, wo die jahrelange Suche sie hingeführt hatte, in Afrika, dem Ziel ihrer Träume.
»Heyyyyaahh, Napoleon, Admiral Nelson, Schiller, Goethe, hey-a hey-a!« Der Ochsenwächter schlug mit der Peitsche auf die Ochsenpaare ein, die sich nicht in Bewegung setzten. Langsam ruckelnd und laut ächzend kam der schwer beladene Karren in Fahrt. Alles geriet leicht ins Wanken, und die Kochtöpfe, die an den Seiten der großen Wasserkisten angebracht waren, schepperten leise.
Tatsächlich, dachte Fanny staunend, die Viecher hörten auf ihre Namen, genau wie Ludwig vorhin behauptet hatte. Sie saß in ihren dank der Hitze längst wieder trockenen Kleidern auf einer der vorderen Kisten, rutschte auf den Decken, die Ludwig fürsorglich unter sie gelegt hatte, hin und her und konnte sich an der Landschaft nicht sattsehen. Eine scheinbar unendliche Ebene lag vor ihr, nur gelegentlich durchbrochen von ungewöhnlichen Felsformationen und Steinhaufen. Es gab Büsche, manchmal Sträucher, ab und zu auch einen Baum. Alles war von feinem Staub überzogen, den der ständige Wind mit sich führte.
Pad nannte man diesen Pfad, auf dem sie entlangzogen und der nur aus platt getrampelter Erde bestand und keinerlei Ähnlichkeit mit den befestigten Wegen ihrer Heimat hatte. Dennoch beschlich sie wie schon am Strand ein eigentümliches Gefühl von Vertrautheit, ja, es war fast, als ob sie schon einmal hier gewesen wäre. Als ob sie all das wiedererkennen würde, die rotgoldenen Steine, das staubige Buschgras zu ihren Füßen, die vereinzelten hohen Bäume mit ihren grauen, rissig wirkenden Stämmen und den breit verzweigten, feinen Blätterdächern, die in der Hitze von Weitem blaugrün schimmerten wie Pfützen.
Das muss an meiner Übermüdung liegen, dachte Fanny. Schließlich hatte sie noch keine Minute gehabt, um sich auszuruhen.
Nach ihrer abenteuerlichen Anlandung in Swakopmund hatte Ludwig darauf bestanden, sofort in Richtung Windhuk aufzubrechen. »Wir wollen doch so bald wie möglich heiraten, meine Liebe, oder?«, hatte er sie lächelnd gefragt. »Vielleicht schaffen wir es sogar noch bis zum 21. Januar, dem Geburtstag des Kaisers.«
Fanny, die gerade erst den Tee getrunken und sich langsam von dem Sturz ins Wasser wieder erholt hatte, war bei dieser Frage mulmig geworden. Sie war so damit beschäftigt gewesen, anzukommen und keinen Fehler zu begehen, dass sie die Hochzeit für einen Moment vollkommen vergessen hatte. Besonders beunruhigte sie die Vorstellung, Ludwig könnte im großen Stil heiraten wollen und womöglich die Honoratioren von Windhuk einladen. Allein beim Gedanken an Maria von Imkeller krampfte sich ihr Magen nervös zusammen.
Während sie noch nach der richtigen Antwort suchte, wurde Fanny dann aber klar, dass Ludwig nur höflich sein wollte und die Hochzeit keineswegs der Grund für den überstürzten Aufbruch war.
Vielmehr waren Ludwig und John einer Meinung darüber, dass es nur von Vorteil sein konnte, wenn sie einer der ersten Ochsenkarren auf dem Pad wären und nicht im aufgewirbelten Staub der anderen fahren müssten. Deshalb hatte John die Männer zur Eile angetrieben und Kiste um Kiste zu riesigen Türmen aufpacken lassen. Als dann noch ein Sack Kichererbsen vorne auf der Deichsel festgezurrt wurde, hätte Fanny darauf gewettet, dass sich ein derart vollgepackter Karren nicht einen Millimeter bewegen würde.
»Warum wird der Sack hier verstaut und nicht bei den anderen Lebensmitteln?«, hatte sie Ludwig gefragt. »So ein Gewicht auf der Deichsel ist doch eher hinderlich, oder?«
»Das wirst du gleich sehen.« Er drehte sich zu John um. »Hol mir den Hendrik! Es geht los!«
John war wenige Minuten später mit einem zarten jungen Mann von gelbbrauner Hautfarbe zurückgekommen. »Das ist Hendrik, unser Ochsenwächter, der beste von Keetmanshoop, sagt man.« Hendrik starrte kommentarlos auf den Boden, die Peitsche in seiner Hand hing schlaff herunter. Ludwig trat zu ihm, und sofort rückte Hendrik ein Stück von ihm ab.
»Hendrik hat unseren Ochsen beigebracht, auf ihre Namen zu hören.«
»Die Ochsen hören auf ihre Namen?« Die Männer wollten sich wohl einen Scherz mit ihr erlauben. »Ich verstehe, genauso wie Schweine und Kühe, vielleicht auch Nashörner und Elefanten, ja?«
»Das werden Sie gleich sehen«, mischte sich John ein. »Leider mussten wir zu den unsrigen ein paar fremde Ochsen dazumieten, das verfälscht den Eindruck.«
»Hendrik hat den prächtigen Kerlen genau die richtigen Namen verpasst«, hatte Ludwig erklärt und ihr zugezwinkert, während sich Hendrik auf den Sack setzte und die Ochsen mit ihren Namen rief.
Und wirklich hatten sich Napoleon, Admiral Nelson, Goethe und Schiller zu Fannys großer Verblüffung auf ihre Namen hin erhoben.
John trabte auf einem Fuchs neben dem Ochsentreck her und vergewisserte sich, dass nichts herunterfiel oder locker wurde. Außerdem beaufsichtigte er fünf weitere Schwarze, die den Zug zu Fuß begleiteten.
Kaum hatten sich die zwölf Ochsenpaare in Bewegung gesetzt, wirbelten sie rötlichen Staub auf, den der Wind fein auf Fannys Kleid, ihrem Gesicht und in den Haaren verteilte. Sowohl ihr Korsett wie auch ihr weißes, mittlerweile schon reichlich verknittertes und vom Salzwasser ruiniertes Kleid kamen ihr nun vollkommen lächerlich vor. Sie hätte es gern aufgeschnürt und ausgezogen, denn es scheuerte auf der Haut und verstärkte das Schwitzen. Sie war nur froh, dass sie in ihrer Truhe noch einen weiteren großen Hut gehabt hatte, denn die Sonne schien brennend auf sie herunter. Sie beneidete die Männer um ihre locker sitzenden Hemden mit den hochgekrempelten Ärmeln. Ja, sogar Hendrik um das lose hängende hellbraune Fell, das er trug. Alles war besser, als hier in Salonkleidern herumzulaufen. Der Gedanke daran, wie sie nur mit einem Fell bekleidet aussehen würde, belustigte sie und lenkte sie von ihrem schmerzenden Körper ab. Sie knöpfte ihre engen Keulenärmel auf und krempelte sie hoch.
»Warum lächelst du?«, fragte Ludwig, der sie ganz offensichtlich schon eine Weile betrachtet hatte.
Sie drehte sich zu ihm und antwortete immer noch amüsiert, ohne auch nur einen Moment nachzudenken. »Ich habe mir vorgestellt, wie viel angenehmer es wäre«, sie zeigte auf Hendrik, »so ein Fell zu tragen statt dieses Kleides.«
Ludwig zog seine Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.
»Liebste, meine Braut möchte ich nur in den schönsten Kleidern sehen!«
Fanny wurde sofort klar, dass sie Ludwig mit Charlotte verwechselt hatte, die hätte mit ihr zusammen über diesen Einfall herzhaft gelacht.
»Meine liebe, liebe Charlotte, angesichts der Skandale in deiner Familie müssen wir gerade hier in Südwest, wo so viel mehr geklatscht wird als in Deutschland ...«, begann Ludwig auch schon, und diesen Ton kannte Fanny aus ihrer Vergangenheit nur allzu gut. Er verhieß eine Predigt, weshalb sie ihm zunickte und dann schnell ihre Hand ausstreckte und auf einen der Bäume am Rand des Pad deutete. »Was sind das für Bäume, die man hier immer wieder sieht?«, fragte Fanny.
»Das ist Kameldorn. Aber, meine Liebe, was ich dir wirklich ans Herz legen möchte, weißt du, hier in ...«
Fanny unterbrach ihn erneut, legte aber ihre Hand begütigend auf seinen Unterarm. »Kameldorn, was für ein seltsamer Name, was hat es denn damit für eine Bewandtnis?«
»Ich weiß es nicht.« Ludwig seufzte und gab seine Predigt endgültig auf. Er rief nach John und befragte ihn.
John ritt näher heran. »Der Name leitet sich von der Giraffe ab, die die Zoologen ›Giraffa camelo pardalis‹ nennen.«
»Aber was haben denn Giraffen mit dem Kameldorn zu tun?«, hakte Fanny nach. »Ich habe hier nirgends eine Giraffe gesehen.« Eigentlich hatte sie bis zu diesem Moment gar keine Tiere gesehen.
»Warum interessiert dich das?« Ludwig schien verwundert.
»Weil ich alles über dieses Land lernen will. Es ist doch meine neue Heimat, oder nicht?«
Ludwig nickte erfreut. »Ja, meine Liebe, du hast recht.«
»Aus ›camelopardalis‹«, meldete sich John wieder zu Wort, »wurde in Afrikaans das Kamelpferd. Und genau dieses Kamelpferd liebt die Blüten, frisst die Hülsen und sogar das Laub dieses Baumes.« Etwas leiser fügte John noch hinzu: »Meine Mutter nennt ihn omombonde, und Hendrik würde ganab zu ihm sagen.«
»Omombonde«, wiederholte Fanny fasziniert vom ungewöhnlichen Klang des Wortes.
»Wichtiger als der Name des Baumes scheint mir jedoch, dass Funken sprühen, wenn man einen Kameldornbaum mit der Axt schlägt.« Ludwig klang jetzt energisch, als wollte er das Gespräch endlich abschließen. »Sein inneres Holz ist so hart, dass man Rad und Maschinenlager daraus fertigen kann. Und wenn man sie gut genug ölt, dann sind sie meiner Meinung nach haltbarer als die aus Messing. Es ist der Nutzen, der zählt, und nicht die Schönheit. Wenngleich ...«, er küsste, nun wieder besänftigt, Fannys Hand und ihren nackten Unterarm, » ... es nicht unangenehm ist, wenn die Damen schön und nützlich sind!«
Fanny war zwar froh, dass er gewillt war, ihre dumme Bemerkung über Kleider und Felle endlich zu vergessen, aber gleichzeitig wunderte sie sich ein wenig über ihn. Durch all seine Briefe war beständig ein Lächeln geschwebt, und deshalb hatte sich vorgestellt, dass er viel und oft lachen würde. Aber vielleicht gab es eben Dinge, über die er unter keinen Umständen lachen wollte. Sie durfte ihn auch nicht mit Charlotte gleichsetzen. Er war schließlich ein Mann.
»Nun, mir erscheint es wie ein Wunder, dass die Natur trotz dieser Trockenheit und Hitze einen so schönen und nützlichen Baum erschaffen kann.«
»Was man von den Weibern, die dieses Land hervorbringt, nicht gerade behaupten kann, was, John?« Ludwig zwinkerte seinem Verwalter zu. Doch der verzog keine Miene und wandte sich wieder an Fanny.
»Wir trecken hier im Swakoprivier.«
»Rivier?« Das Wort hatte Fanny noch nie gehört, obwohl sie bei den Nonnen neben Latein auch Englisch und Französisch gelernt hatte. Sie kannte das englische Wort ›river‹ für Fluss oder das französische ›rive‹ für Ufer und das deutsche Wort ›Revier‹, aber ein ›Rivier‹ war ihr unbekannt.
John nickte ihr freundlich zu und begann zu erklären.
»Riviere sind die Trockenbetten der Flüsse. Die meisten füllen sich nur zur Regenzeit mit Wasser, dann muss man sehr vorsichtig sein, denn manchmal regnet es kilometerweit entfernt, und das Wasser kann dann so überraschend herbeifluten, dass Menschen und Tiere ertrinken. Es gibt sogar Flüsse, die aus Mangel an Wasser auch in der Regenzeit in der Namib wüste versickern, wie der Tsauchab oder Kuiseb. Aber ungefähr alle zehn Jahre einmal bekommen sie während der Zeit des großen Regens so viel Wasser, dass sie es durch die Wüste bis in den Atlantik schaffen. Das letzte Mal war es, glaube ich, in dem Jahr, das die Herero Ojonjose, das Jahr des Kometen, nennen. 1883.« John seufzte. »Aber diese Wassermassen sind genau zehn Jahre her, wir bräuchten dringend eine ergiebige Regenzeit. Denn nach der Regenzeit versickert das Wasser wieder, und man muss ein Loch in das Flussbett graben, um auf Wasser zu stoßen, und je weniger Regen, desto tiefer muss man graben.« John suchte ihren Blick. »Überall dort, wo es unterirdisch Wasser gibt, da findet man auch den omombonde, weil er sehr lange Wurzeln bilden kann. Es ist sehr ungewöhnlich, dass der Swakop um diese Jahreszeit noch immer kein Wasser führt, es ist nun schon das fünfte Jahr, in dem es fast keinen Regen gibt.« Er sah in den strahlend blauen Himmel und schüttelte den Kopf.
»John, mir scheint, du ermüdest Fanny mit deinen Ausführungen.«
Fanny wollte gerade schon widersprechen, als ihr auffiel, wie ungehalten Ludwig aussah. Blitzartig wurde ihr klar, dass Ludwig ihre ganze Aufmerksamkeit wollte. Er war offenbar eifersüchtig. Ein warmes Gefühl flutete durch Fannys Körper: Noch nie hatte jemand so deutlich sein Interesse an ihr gezeigt.
Sie warf John einen entschuldigenden Blick zu und überlegte, was sie noch zu Ludwig sagen könnte, um ihn zu besänftigen. John trabte mit einem Schulterzucken nach hinten, galoppierte dann wieder vor zum Ochsenwächter. Zwischen beiden entspann sich ein immer lauter werdender Wortwechsel, in dem viele Schnalz- und Klicklaute gebraucht wurden. Danach trieb Hendrik die Ochsen stärker an.
»Benutzt du den Kameldorn auch in der Medizin?«, fragte Fanny schließlich in der Hoffnung, es würde Ludwig gefallen, über seinen Beruf zu sprechen. »Ist er für irgendetwas nützlich?«
»Die Kaffern und Mischlinge benutzen ihn, aber ich schätze, was eigentlich wirkt, sind vielmehr die abergläubischen Rituale. Nein, meine Liebe, ich verabreiche meinen Patienten nur Medizin, die nachweisbar Wirkung hat.« Er suchte ihren Blick. »Sonst könnte ich mir auch gleich Federamulette umhängen und bei Vollmond Hühner ausbluten lassen.«
Der Gedanke, wie Ludwig mit dem großen blonden Schnurrbart vor einer Gruppe Eingeborenen ein blutendes Huhn schwenkte, brachte sie zum Kichern. Sie konnte gar nicht mehr aufhören.
»John, wir brauchen Wasser. Ich glaube, meine arme Braut hat einen Sonnenstich.« Ludwig packte sie am Arm und nahm dann ihre Hand ganz fest in seine. »Meine liebe Charlotte, ich denke, dieses Klima ist sehr gewöhnungsbedürftig.« Er streichelte über ihre Hand. »Es war keine gute Idee von mir, so schnell aufzubrechen, für gewöhnlich meiden wir die Mittagszeit. Verzeih mir also.«
Er half ihr, aus dem wasserfesten Leinensack Wasser zu trinken, sie verschluckte sich, dann merkte sie, wie angenehm das kühle Wasser war, und beruhigte sich. Das durfte nicht mehr geschehen. Sie musste sich besser unter Kontrolle haben. Das war schon das zweite Mal an diesem Tag, dass sie die Beherrschung verloren hatte.
»Nun geht es wieder«, stellte Ludwig befriedigt fest. Er gab John den Wasserschlauch zurück und nahm erneut Fannys Hand, dabei streifte er ihr Glasperlenarmband. »Liebe Charlotte, was ist denn das für ein ungewöhnliches Schmuckstück? Woher hast du es?« Er berührte die Perlen, und Fanny kam es so vor, als würden die Perlen auf ihn reagieren. Jede Perle, die er anfasste, wurde schlagartig heiß.
»Von ... meiner Mutter.« Fanny hoffte, er würde nicht weiterfragen und sie so zum Lügen zwingen.
»Eigenartig, diese gelben Perlen hier, die kommen mir sehr bekannt vor, mir ist, als hätte ich die schon einmal bei den Kaffern oder Hottentotten gesehen.«
Ja, dachte Fanny, da hat Ludwig recht, die gelben Perlen waren afrikanische Bodomperlen, das hatte ihr Pater Gregor damals bei seinem Besuch erzählt. Und genau das hatte den letzten Ausschlag dafür gegeben, dass sie nach Afrika gehen wollte, denn alle anderen Spuren waren in einer Sackgasse geendet. Aber das konnte sie Ludwig wohl kaum sagen, also log sie weiter.
»Ich weiß nicht genau, woher meine Mutter diese Perlen hatte.« Und ich weiß sogar nicht einmal, wer meine Mutter überhaupt war, dachte Fanny und biss sich auf die Lippen. Sie versuchte sich zu erinnern, was Charlotte über ihre Mutter erzählt hatte.
»Da drüben, Herr, seht mal: Springböcke!« Hendrik deutete nach links, wo in einiger Entfernung ein paar Felsen und Bäume standen. Fanny spähte dorthin und sah gerade noch, wie eine Gruppe gazellenartiger Tiere hinter den Felsen verschwand.
Ludwig sprang auf und griff nach dem Gewehr, das er zu seinen Füßen deponiert hatte.
»Die holen wir uns!« Ludwig lächelte Fanny zu und winkte John heran. John sprang vom Pferd ab und reichte Ludwig die Zügel. Dieser schwang sich unverzüglich in den Sattel und preschte davon.