Der Erregung verfallen - Nora Darcy - E-Book

Der Erregung verfallen E-Book

Nora Darcy

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Beschreibung

Seine Blicke schienen ihre Haut zu streicheln. Plötzlich lachte er auf. »Da ist ja das kleine Muttermal neben deinem Bauchnabel. Ich erinnere mich noch gut daran.« Michelle fühlte so etwas wie einen leisen Schmerz. Stefan hatte dieses sternförmige Mal oft zärtlich geküsst. Patrick machte einen Schritt auf sie zu und drückte sie an sich. Sie spürte seine warme Haut an ihrer. »Du bist immer noch so schön«, wisperte er. Er begann, ihren Rücken zu streicheln. Seine Hände glitten tiefer hinab zu ihrem runden Po. Ihre Haut schien unter seinen Liebkosungen zu brennen. Es war wie ein Albtraum. Ein Albtraum, der nicht enden wollte. Den Flug nach Marrakesch würde Michelle nie vergessen. Sie konnte nichts essen, nicht lesen und wollte kein Gespräch mit der Frau, die neben ihr saß. Erschöpft schloss sie die Augen. Und schon wieder erschienen diese Bilder ... Sie sah ihren Mann auf dem Bett liegen, den Kopf zurückgeworfen. Die Frau mit dem kurzen schwarzen Haar saß mit gespreizten Beinen auf ihm, den Po hochgereckt. Er wippte langsam auf und ab. Stefan hatte ihn mit beiden Händen umfasst und bestimmte den Rhythmus, der allmählich schneller wurde. Die Brüste der Frau schaukelten. Sie stöhnte. Ein dunkler heiserer Laut. Michelle meinte, ihn zu hören, während die Bilder sie weiter quälten. Jetzt schrie ihr Mann auf. Seine Finger pressten den Po der Frau nieder. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Dann sank sie neben Stefan aufs Laken und fuhr Sekunden später jäh hoch, als sie den Schatten im Türrahmen entdeckte. Michelle krümmte sich bei der Erinnerung an diesen Moment. »Ist Ihnen übel?«

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Der Erregung verfallen – 4 –

Der Erregung verfallen

Nora Darcy

Es war wie ein Albtraum. Ein Albtraum, der nicht enden wollte. Den Flug nach Marrakesch würde Michelle nie vergessen. Sie konnte nichts essen, nicht lesen und wollte kein Gespräch mit der Frau, die neben ihr saß. Erschöpft schloss sie die Augen. Und schon wieder erschienen diese Bilder ...

Sie sah ihren Mann auf dem Bett liegen, den Kopf zurückgeworfen. Die Frau mit dem kurzen schwarzen Haar saß mit gespreizten Beinen auf ihm, den Po hochgereckt. Er wippte langsam auf und ab.

Stefan hatte ihn mit beiden Händen umfasst und bestimmte den Rhythmus, der allmählich schneller wurde. Die Brüste der Frau schaukelten. Sie stöhnte. Ein dunkler heiserer Laut.

Michelle meinte, ihn zu hören, während die Bilder sie weiter quälten.

Jetzt schrie ihr Mann auf. Seine Finger pressten den Po der Frau nieder. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Dann sank sie neben Stefan aufs Laken und fuhr Sekunden später jäh hoch, als sie den Schatten im Türrahmen entdeckte.

Michelle krümmte sich bei der Erinnerung an diesen Moment.

»Ist Ihnen übel?«, drang die Stimme ihrer Sitznachbarin wie aus weiter Ferne zu ihr. »Soll ich die Stewardess rufen?«

Michelle schüttelte den Kopf. Sie konnte nichts sagen. Ihr war tatsächlich etwas übel geworden, als die Liebesszene wie ein Film in ihrem Kopf ablief. Als sie wieder das panische Entsetzen bei ihrem Anblick in den Augen ihres Mannes sah. Als Stefan und seine Freundin hastig die Bettdecke hochzogen.

Unwillkürlich schüttelte sie wieder den Kopf.

Wie konnte er sie nur in ihrem eigenen Haus in Hamburg betrügen? Im Bett ihrer Tochter Jennifer, die auf Klassenreise war. Michelle hatte am Wochenende ihre Mutter in Hannover besucht. Aber dann war es zum Streit zwischen ihnen gekommen, und sie war schon am Sonntagmorgen zurückgefahren.

»Und so kam es, dass ich meinen Mann mit seiner Sekretärin im Bett ertappte«, hörte sich Michelle halblaut sagen.

Die fremde Frau neben ihr starrte sie verwundert an. Sie glaubte wohl, nicht richtig gehört zu haben.

»Ja, mein Mann hat mich betrogen«, erklärte Michelle ihrer fassungslosen Reisegefährtin, die sehr viel älter als sie war.

Warum Michelle sich ihr plötzlich anvertraute, verstand sie selbst nicht. Vielleicht war der innere Druck zu groß in ihr. Das Elend, das sie in den letzten Tagen durchlitten hatte, brach aus ihr heraus. Sie konnte gar nicht mehr aufhören, darüber zu reden.

»Wir sind seit 17 Jahren verheiratet«, erklärte Michelle. »Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Stefan mich betrügt.«

Was man bei so einem langen Flug alles zu hören bekommt, dachte die Frau. Wie gut, dass die Sitze neben uns leer sind. So kann sie mir ohne Scheu ihre Eheprobleme erzählen.

»Ich heiße Gisela Moser«, sagte sie.

Automatisch nannte auch Michelle ihren Namen.

Die Sitznachbarin beugte sich vor.

»Haben Sie nie einen Verdacht gehabt, Frau Behrens?«

»Nie. Unsere Ehe lief in den letzten Jahren zwar nicht mehr gut, aber dass Stefan fremdgeht, hätte ich mir nicht träumen lassen.«

Sie schwieg, fühlte wieder den Schock und die Ungläubigkeit wie vor wenigen Tagen, als sie die Wahrheit über ihre Ehe entdeckt hatte. Sie wusste jetzt, warum die Distanz zwischen Stefan und ihr entstanden war. Sie erschien ihr wie eine unsichtbare Mauer, die sie nicht überwinden konnte. Manchmal kam er ihr wie ein Fremder vor.

Kein Wunder. Er hatte ein Doppelleben geführt, das er vor ihr abschirmte. Michelle kam nicht mehr richtig an ihn heran. Sogar in den intimsten Stunden nicht.

»Wie lange lief die Geschichte mit der Sekretärin denn schon?«, fragte Gisela Moser.

»Danach habe ich meinen Mann später auch gefragt. Er hat mich nicht belogen.«

Wieder schwieg sie einen Augenblick.

»Und?«

»Hätte er mich doch nur belogen«, flüsterte Michelle. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Scham, Wut und grenzenlose Traurigkeit stritten in ihr. »Seit zwei Jahren hat er schon das Verhältnis mit seiner Sekretärin. Diese Sabine Bauer …«

Ihre Stimme versagte. Sie weinte stumm.

Ihre Gesprächspartnerin betrachtete sie voller Mitleid. Die junge Frau sah trotz der verweinten Augen und des verhärmten Gesichts hübsch aus. Das lange rotblonde Haar hatte sie hochgesteckt. Jetzt fielen ihr ein paar Strähnen über die Wangen.

Michelle beruhigte sich langsam. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und das Haar aus dem Gesicht.

»Ich denke, ich werde mich mal etwas frisch machen«, sagte sie verlegen und ging zur Bordtoilette.

»Währenddessen bestelle ich uns beiden ein Glas Wein«, meinte Gisela Moser.

»Rot oder Weiß?«

»Weiß.«

Als Michelle an den anderen Passagieren entlangging, folgten ihr viele Blicke. Die große schlanke Frau erregte Aufmerksamkeit. Sie bemerkte es nicht, war zu versunken in ihren Kummer.

Wenige Minuten später saß sie wieder auf ihrem Platz am Fenster der Maschine und nahm das Glas Wein entgegen, das die Stewardess ihr reichte.

Die beiden Frauen tranken einander zu. Ein Augenblick herrschte Schweigen. Dann erzählte Michelle weiter.

»Ich konnte die neue Sekretärin meines Mannes von Anfang an nicht ausstehen. Sabine flirtete vor meinen Augen mit Stefan und …«

»Wie sieht sie denn aus?«, wurde Michelle unterbrochen.

»Sie hat schwarzes Haar und ein freches Lachen.«

Was sie ihrer Gesprächspartnerin nicht verriet, war das Tattoo auf Sabines linker Pobacke. Michelle erinnerte sich jetzt daran, wie sich die blaue Rose vor ihren Augen beim Liebesspiel bewegt hatte. Rasch schob sie den Gedanken zur Seite.

»Haben Sie Ihrem Mann ein Ultimatum gestellt?«

»Nein.«

»Er muss die Sekretärin entlassen«, erklärte Gisela Moser energisch.

Das fand Michelle auch. Aber sie hatte es nicht von ihrem Mann gefordert. Nach der ersten Auseinandersetzung, bei der sie beide die Nerven verloren, waren sie sich aus dem Weg gegangen. Ein lähmendes Schweigen hatte zwischen ihnen geherrscht, wenn sie in der Wohnung aufeinander stießen.

Einmal hatte Stefan sich bei Michelle entschuldigt, unsicher und mit gesenktem Blick.

Sie war schweigend aus dem Haus gelaufen, zum Airport gefahren und hatte überstürzt diesen Flug gebucht. Jetzt saß sie in der Maschine, die sie Stunde um Stunde weiter von ihrem Mann wegbrachte.

Wollte Stefan sich überhaupt von Sabine trennen? Michelle­ wusste es nicht. Er konnte die Sekretärin auch nicht so rasch aus seinem kleinen Transport-Unternehmen entlassen, wie ihre Reisegefährtin sich das vorstellte.

»Sie werden Ihre Ehe gewiss retten können, Frau Behrens.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt will. Im Augenblick kann ich mir nicht vorstellen, mit Stefan wieder zusammenzuleben. Dass unsere Ehe sehr kalt geworden war, hat wohl auch unsere Tochter mitbekommen. «

Beim Gedanken an Jennifer erwachten in Michelle alte Schuldgefühle, die sie rasch verdrängte. Sie lebte schon so lange mit ihnen, dass sie sie manchmal gar nicht mehr wahrnahm. Stefan ahnte nichts von dem, was sie ihm vor so vielen Jahren angetan hatte. Ihre Tochter ebenso wenig.

Jennifer hatte eine glückliche und behütete Kindheit erlebt und war jetzt 17 Jahre alt. Sie würde eine Scheidung der Eltern verkraften können. Besser vielleicht als eine unglückliche Ehe.

»Warum reisen Sie eigentlich allein nach Marrakesch, Frau Behrens? Sie sollten den Zauber aus 1001 Nacht gemeinsam mit Ihrem Mann genießen. Vielleicht würden Sie dann wieder zueinanderfinden.«

Michelle seufzte.

»Ich bin vor Stefan geflohen«, gestand sie. »Meine alte Schulfreundin Laura lebt in Marrakesch. Sie hat mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Nach dem Ehe-Drama habe ich mich spontan entschlossen, früher zu ihr zu fliegen.«

Michelle verschwieg ihrer Reisegefährtin, dass sie in Marrakesch auch einen Mann wiedersehen wollte, der ihr Leben vor vielen Jahren verändert hatte. Er war ihre erste Liebe gewesen. Bis heute dachte sie oft an die Zeit mit ihm zurück. Sehnsüchtig und voller Trauer. Stefan ahnte nichts davon.

»Was sagte Ihr Mann zu der plötzlichen Reise?«

»Er konnte mich nicht daran hindern. Vielleicht hofft er auch, dass Laura mich beruhigt. Wir drei kennen uns seit ewigen Zeiten. Laura kam zu unserer Hochzeit, und sie wurde die Patentante meiner Tochter Jennifer.«

Sie schwieg einen Augenblick, sah aus dem Bordfenster in endloses Blau mit ein paar flockigen Wolken. Sie waren schon im Sinkflug über Marokko.

»Bis vor einigen Jahren lebte Laura noch bei uns in Hamburg. Dann kaufte ihr Mann Frank ein Stadthaus in Marrakesch. Er ließ es in ein kleines Hotel umbauen, und sie zogen nach Marokko.«

»Wie mutig, in einem fremden Land ein neues Leben zu beginnen.«

»Es dauerte nicht sehr lange«, sagte Michelle traurig. »Bald danach verlor Laura ihren Mann durch einen Herzinfarkt. Er kam ganz plötzlich. Frank ist auf dem christlichen Friedhof in Marrakesch begraben. Er liebte diese Stadt, und Laura blieb dort. Sie lebt noch immer in dem idyllischen Riad, einem dieser Häuser mit Innenhof.«

Ihre Reisegefährtin lächelte. »Sie müssen mir nicht erklären, was ein Riad ist. Ich bin in einem aufgewachsen, inmitten der mittelalterlichen Medina von Marrakesch. Im Innenhof plätscherte ein kleiner Springbrunnen. Von unserer Dachterrasse aus sah man den Turm der berühmten Koutoubia-Moschee.«

Jetzt sah Michelle die Frau aufmerksamer an. Sie blickte in ein kluges Gesicht, in dem das Leben Spuren hinterlassen hatte. In ihrem Haar schimmerten schon graue Strähnen.

»Laura kann diesen Turm auch sehen«, sagte Michelle. »Sie hat mir davon bei einem unserer Telefonate erzählt. Ich kenne ihn bisher nur aus dem Internet.«

»Sie haben Ihre Freundin noch nie besucht?«

»Leider nein. Stefan hat Flugangst, und in den letzten zwei Jahren wollte ich ihn in Hamburg nicht allein lassen, weil ich um unsere Ehe bangte. Außerdem hatte Jennifer plötzlich Schulprobleme.«

Laura hatte Michelle im Internet Fotos von dem hübschen Haus in Marrakeschs Altstadt übermittelt. Man sah auf ihnen Torbögen im ockerfarbenen Mauerwerk, kunstvolle Fenstergitter und einen prächtigen Zitronenbaum im Innenhof.

Michelle wollte in diesem kleinen Paradies eine Entscheidung treffen. Vielleicht würde sie ihr durch die Begegnung mit ihrer ersten Liebe leichter fallen. Beim Gedanken an das Wiedersehen schlug ihr Herz schneller. Gleichzeitig erfüllten sie wieder alte Schuldgefühle.

Das Flugzeug sank. Ein riesiger rechteckiger See in leuchtendem Blau tauchte vor den Fenstern auf. Er funkelte nur so im Sonnenschein.

»Wir sind da«, sagte die Frau auf dem Nebensitz. »Gleich landen wir auf dem Flughafen Menara.«

Sie zog eine Karte aus ihrer Tasche. »Das ist die Telefonnummer und Adresse meines Bruders. Er arbeitet als Arzt in Marrakesch. Nach dem Studium in Göttingen ist er nach Marokko zurückgekehrt. Er hat eine Praxis in der modernen Neustadt. Ich mache bei ihm Urlaub. Der Riad unserer Eltern ist inzwischen zu einem Hotel umgebaut.«

Überrascht nahm Michelle die Karte entgegen.

»Vielleicht treffen wir uns mal in einem der Cafés oder Restaurants der Innenstadt«, sagte ihre Reisebegleiterin. »Ich möchte gern wissen, wie es mit Ihnen weitergeht. Rufen Sie mich doch an.«

*

»Du hast der fremden Frau tatsächlich deine Eheprobleme erzählt?«, fragte ihre Freundin Laura ein paar Stunden später in ihrem Innenhof ungläubig. Sie waren allein. Die anderen Gäste machten einen Ausflug.

Michelle lachte. »Ich kann es selbst kaum glauben, was die arme Frau sich alles anhören musste.«

Die beiden saßen in der samtenen Abenddämmerung auf großen Kissen. Vor ihnen ein rotes Lacktischchen. Über ihnen der alte Zitronenbaum. Seine gelben Früchte leuchteten. Nach dem Lärm in Marrakeschs Innenstadt hatte sie Stille umfangen.

»Es ist, als ob man in eine andere Welt eintaucht«, murmelte Michelle. »Irgendwie traumhaft …«

»Ja, du hast jetzt Zeit, Abstand von eurem Drama zu gewinnen«, sagte Laura weich.

Eine große schwarze Katze schritt über die türkisfarbenen Fliesen des Innenhofs. Ihre grünen Augen funkelten in der zunehmenden Dunkelheit.

»Das ist Khalid«, stellte Laura den Kater vor. »Er ist etwas arrogant.«

»Aber längst nicht so arrogant wie ich«, sagte eine heitere Stimme.

Michelle hatte sich gerade niedergebeugt, um den Kater zu streicheln, und den jungen Mann nicht bemerkt, der jetzt in den Innenhof kam. Attraktiv, braun gebrannt, mit einem weiten Hemd über Jeans.

»Und das ist Jim, mein Freund«, sagte Laura.

Der Mann stellte eine Staffelei ab und lehnte eine große Tasche an die Wand.

Er gab Michelle die Hand und küsste Laura auf den Mund.

»Geht es dir wieder besser?«, fragte er zärtlich.

Erschrocken blickte Michelle ihre Freundin an. Beim Wiedersehen war ihr schon aufgefallen, dass Laura auffallend abgenommen hatte. Sie sah blass aus.

»Ach, eine Magengeschichte«, winkte Laura ab. Sie lächelte Jim zu. »Ja, es geht mir wieder besser.«

Es war eine Lüge. Doch Michelle beruhigte sich. Sie wusste, dass ihre alte Schulkameradin schon als Teenie diätverrückt gewesen war. Also hatte sie mal wieder eine harte Hungerkur hinter sich, die ihr nicht gut bekommen war.

»Ich gehe jetzt auf mein Zimmer unter die Dusche«, erklärte Jim. »Später bin ich in eine Kunstgalerie eingeladen.«

Der Kater folgte ihm. Khalid hatte einen würdevollen Gang.

»Jim ist Maler. Er lebt seit ein paar Monaten bei mir. Die Farben von Marrakesch entzücken ihn. Gestern hat er mir wieder stundenlang von den Orangetönen der alten Stadtmauer im Abendrot vorgeschwärmt. Du wirst das ja alles noch sehen.«

Sie stellte ihr Glas mit dem traditionellen Minztee ab, den sie nach dem Abendessen getrunken hatten.

»Möchtest du jetzt ein Glas Wein? Ich habe einen guten Tropfen, aus Frankreich importiert.«

»Darf man hier Alkohol trinken?«

»Nicht in Sichtweite einer Moschee«, erklärte Laura.

Sie selbst trank keinen Wein.

»Momentan vertrage ich ihn nicht«, sagte sie kurz.

Jetzt kam eine hübsche junge Frau in den Innenhof. Laura hatte sie ihrer Freundin schon vorgestellt.

Wanda war Polin und hatte schon in Hamburg für sie gearbeitet. Sie lebte jetzt bei ihr in Marrakesch und fühlte sich wohl. Inzwischen war sie im Hotel unentbehrlich geworden.

»Wo ist der schwarze Teufel?«, fragte Wanda. Sie blickte suchend um sich und entdeckte den Kater im Schatten des Zitronenbaums.

»Ich hab etwas Feines für dich«, lockte sie das Tier. Aber Khalid hob nicht einmal den Kopf.

»Er frisst, wann er will«, sagte Laura amüsiert. »Und nur dann.«

Michelle blickte zu ihrer Freundin. Sie war nicht nur durch die Gewichtsabnahme verändert. Warum hatte Laura bisher so wenig Interesse für die Ehekrise gezeigt? Sie wirkte seltsam abwesend.

Michelles Handy klingelte. Sie sah, wer sie anrief und beschloss, sich zu melden. Sie konnte den Kontakt mit ihrem Mann nicht vermeiden. Vielleicht wollte er ihr etwas Wichtiges über Jennifer berichten.

»Ja, Stefan, ich bin gut gelandet«, sagte sie kühl.

Seine Stimme war rau. »Wir sind vor deiner Abreise nicht mehr dazu gekommen, in Ruhe miteinander zu reden.«

»Was gibt es da noch zu bereden?«

»Es war das erste Mal, dass ich mit Sabine im Bett unserer Tochter …« Er stockte.

»… sonst nur in deiner Firma«, ergänzte sie wütend.

In diesen Sekunden stieg wieder eines der Bilder in ihr auf, die die eifersüchtige Phantasie ihr vorgaukelte: Spät abends, wenn die Fahrer die Speditionsfirma verlassen hatten, zog Stefan seine verliebte Sekretärin aus. Sofort riss sie auch ihm die Kleidung vom Leib. Er legte Sabine mit dem Rücken auf den großen Schreibtisch in seinem Büro, öffnete ihre Beine und drang in sie ein. Sie liebten sich in Michelles Vorstellung so wild wie im Bett ihrer Tochter. Einen Augenblick lang glaubte sie, die erregten Atemstöße ihres Mannes und Sabines Stöhnen zu hören.

»Dieses geschmacklose Tattoo«, flüsterte sie.

»Was hast du gesagt?«

Natürlich hatte er es verstanden. Wahrscheinlich wand er sich vor Scham.

»Beenden wir das Gespräch.«

Laura starrte sie entgeistert an.

»Ein kleiner Ehestreit«, erklärte Michelle abweisend. Jetzt schämte auch sie sich. Hoffentlich hatte ihre Freundin nicht die ganzen Intimitäten mitbekommen.

»Ich habe deinen Mann und Jennifer zu meinem Geburtstag miteingeladen«, sagte Laura nach einer Weile. »Das ist eine Chance, Stefan und dich zu versöhnen.«

»Nein«, stieß Laura hervor, während ihr Herz immer noch vor Wut und Eifersucht zu hämmern schien. »Nein, ich will ihn nicht sehen.«

»Aber du musst ihm verzeihen. Deine Familie darf nicht zerbrechen. Denk an Jennifer.«

Glaubte Laura denn, dass ihre Tochter noch ein kleines Mädchen war? Jennifer würde in wenigen Monaten ihr Abitur machen und wäre bald erwachsen. In diesem Alter hatte Michelles eigenes Leben eine Wendung genommen, mit der sie nicht gerechnet hatte.

»Er muss diese Sekretärin zum Teufel schicken«, sagte Laura in ihre Gedanken hinein und klang wie die Frau aus dem Flugzeug.

»Er muss gar nichts«, rief Michelle trotzig. »Soll er doch bei seiner Geliebten bleiben. Ich will ihn nicht zurück. Ich will die Scheidung.«

»Nun sei doch nicht so borniert. In einer langen Ehe geht jeder Mann mal fremd. Sicher dauert es eine Weile, bis seine Frau das verzeihen kann. Aber die Familie geht vor.«

Jetzt war Michelle außer sich.

»Auch ich habe ein Recht auf Glück«, sagte sie. »Jennifer hat eine gute Kindheit gehabt. Jetzt muss ich mal an mich denken.«

Sie lief aus dem Patio zu ihrem Zimmer. »Wie hart und egoistisch du bist«, rief Laura ihr hinterher. Es war der erste ernste Streit zwischen den Freundinnen gewesen.

Das Gitter vor ihrem Fenster hatte ein Blumenmuster. Michelle blickte daraus auf den dunklen Innenhof, der inzwischen von Laternen erhellt wurde. Sie sah Laura reglos auf ihrem Kissen sitzen.

Die Freundin konnte nicht wissen, warum sie so heftig auf ihre Vorhaltungen reagiert hatte.

Sie wusste nichts von dem Opfer, das sie vor so vielen Jahren gebracht hatte, damit ihr Kind sorglos und geborgen aufwachsen konnte.

Michelles Gedanken gingen zurück. Sie erlebte noch einmal, was damals vor 17 Jahren ihren schon vorgezeichneten Lebensweg so völlig verändern sollte.

Es begann an einem heiteren Sommertag in Hamburg. Sie saß auf einem Bootssteg am Alsterufer, hörte unter den Holzbohlen das Wasser glucksen und genoss die Sonne auf ihrer Haut.

Michelle hatte für ein paar Minuten die Augen geschlossen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie Laura mit einem jungen Mann auf sich zukommen, den sie im ersten Augenblick nicht erkannte. Ihm schien es ähnlich zu gehen.

Doch dann lachte Lauras Bruder sie an. Es war dieses herzliche Lachen, in das sie sich sofort verliebte. Auch in Patricks braune Augen, in denen goldene Fünkchen zu tanzen schienen. »Michelle«, rief er ausgelassen. »Du hast dich in den paar Jahren, seit ich in Berlin studiere, total verändert.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Michelle hielt den Atem an, als sie seine warmen Lippen auf ihrer Haut spürte.

»Patrick ist ganz überraschend gekommen«, sagte Laura. »Ich habe ihn zu unserer Verabredung mitgebracht. Es ist dir doch recht?«

Es war Michelle mehr als recht. Patrick hatte Semesterferien. In diesen Wochen erlebte sie mit ihm die schönste und aufregendste Zeit ihres Lebens, die erste Liebe. Er verführte sie im Haus ihrer Mutter, die sich damals scheiden ließ und eine Beziehung zu einem Mann in Hannover hatte.

Danach waren Michelle und Patrick unzertrennlich. Sie waren wie in einem Fieber, liebten sich, wo immer es möglich war. Im Gartenhaus ihrer Mutter, auf einer Bank im Sachsenwald oder auch mal im Auto, wenn sie einen Ausflug machten.

Laura hielt es für einen Flirt. Für Michelle war es mehr. Sie träumte von Hochzeit. Doch dann erhielt Patrick die Möglichkeit, ein Semester in London zu studieren und verschwand aus ihrem Leben.

Michelle hatte damals das Gefühl, dass es ihr das Herz zerrisse. Sie war bodenlos verzweifelt. Ein paar Wochen später erfuhr sie von ihrer Frauenärztin, dass sie schwanger war. Da betrank Michelle sich zum ersten Mal in ihrem Leben und ging mit ihrem guten Freund Stefan ins Bett, der zu dieser Zeit schon im Transportgeschäft seines Vaters arbeitete. Was zwischen ihnen nun ablief, hielt Stefan für Liebe. Für Michelle­ war es Trost und Ablenkung von ihrem Kummer.

Sie heirateten, als die ersten Blätter von den Bäumen fielen. Der Sommer war vorbei, und Michelle glaubte, dass sie nie wieder glücklich sein würde.

In der ersten Zeit ihrer Ehe dachte sie immer wieder an Patrick. Sie liebte und hasste ihn. Stefan ahnte nichts von ihren Gefühlen. Er glaubte, dass ihre Launen durch die Schwangerschaft hervorgerufen würden.

Wenn Michelle mit ihrem Mann schlief, stellte sie sich manchmal vor, es sei Patrick. Dann empfand sie wieder die wilde Leidenschaft und den Rausch des vergangenen Sommers.

Als das Kind zur Welt kam, kehrte das Glück in Michelles Leben zurück. Ein anderes und stilleres Glück. Stefan war ein wunderbarer Vater, und allmählich begann Michelle, ihn zu lieben. Gleichzeitig fühlte sie sich all die Jahre hindurch schuldig.

Vielleicht habe ich es verdient, dass er mich jetzt betrogen hat, dachte sie, während sie vom vergitterten Fenster ihres Zimmers in Marrakesch zurücktrat. Aus dem Innenhof drangen Stimmen zu ihr empor, und sie schüttelte die Schatten der Vergangenheit ab. Vor ihr lag ein neues Leben. Sie war noch jung. Sie konnte wieder eine Liebe finden, die nicht so schuldbeladen war.

Sie hörte Laura lachen und ging zum Fenster zurück. Der Maler war zurückgekommen und hielt ihre Freundin in den Armen. Er sagte etwas zu ihr, und sie lachte wieder. Dann küssten sie sich und gingen zu seinem Zimmer.