Der Fall Stadler und Des Bäckers Fluch - Doris Claudia Mandel - E-Book

Der Fall Stadler und Des Bäckers Fluch E-Book

Doris Claudia Mandel

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Beschreibung

Der Band vereinigt zwei Kriminalfälle unterschiedlicher Art. Der erste in dem Volksstück »Der Fall Stadler« schildert eine authentische Begebenheit aus dem Württemberg des Jahres 1850 und führt uns ins nachrevolutionäre Biedermeier zu einem Goldarbeiter und seiner Geliebten, einer Näherin, die beide ums nackte Überleben und gegen den gesellschaftlichen Druck eines sinnentleerten Ehrbegriffs kämpfen. Der zweite in »Des Bäckers Fluch« fußt auf zwei Erzählungen des japanischen Autors Haruki Murakami und behandelt einen in der fernöstlichen Gegenwart angesiedelten, rein fiktiven Raubüberfall, der hier zum Libretto für eine Opera buffa verarbeitet und ursprünglich für einen von netzzeit Wien, dem Luzerner Theater und von Opera Genesis London ausgeschriebenen Wettbewerb verfasst worden ist. Ein frisch verheiratetes Ehepaar, sie Designerin, er Rechtsanwalt, trifft sich mitten in der Nacht vor dem heimischen Kühlschrank, weil es von einem unerklärlichen Heißhunger geplagt wird. Bei dieser Gelegenheit erzählt der Mann die Geschichte, wie er, Jahre zuvor, zum Verbrecher geworden ist und deswegen einem Fluch unterworfen wurde, bei dem der Hunger die zentrale Rolle spielt.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2021

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ZUM BUCH:

Der Band vereinigt zwei Kriminalfälle unterschiedlicher Art. Der erste in dem Volksstück »Der Fall Stadler« schildert eine authentische Begebenheit aus dem Württemberg des Jahres 1850 und führt uns ins nachrevolutionäre Biedermeier zu einem Goldarbeiter und seiner Geliebten, einer Näherin, die beide ums nackte Überleben und gegen den gesellschaftlichen Druck eines sinnentleerten Ehrbegriffs kämpfen. Der zweite in »Des Bäckers Fluch« fußt auf zwei Erzählungen des japanischen Autors Haruki Murakami und behandelt einen in der fernöstlichen Gegenwart angesiedelten, rein fiktiven Raubüberfall, der hier zum Libretto für eine Opera buffa verarbeitet und ursprünglich für einen von netzzeit Wien, dem Luzerner Theater und von OperaGenesis London ausgeschriebenen Wettbewerb verfasst worden ist. Ein frisch verheiratetes Ehepaar, sie Designerin, er Rechtsanwalt, trifft sich mitten in der Nacht vor dem heimischen Kühlschrank, weil es von einem unerklärlichen Heißhunger geplagt wird. Bei dieser Gelegenheit erzählt der Mann die Geschichte, wie er, Jahre zuvor, zum Verbrecher geworden ist und deswegen einem Fluch unterworfen wurde, bei dem der Hunger die zentrale Rolle spielt.

INHALT

Der Fall Stadler

Ein Volksstück in fünf Akten

Anmerkugen

Des Bäckers Fluch.

Opera buffa nach zwei Erzählungen von Haruki Murakami »Der Bäckereiüberfall« und »Der zweite Bäckereiüberfall«

Anmerkungen

Die Autorin

Zum dramatischen Schaffen der Autorin

Doris Claudia Mandel

Der Fall Stadler

Ein Volksstück in fünf Bildern

nach einem authentischen Kriminalfall aus dem Jahre 1850

PERSONEN:

Wilhelm Dengler, Goldarbeiter

Vater Dengler, Uhrmachermeister

Emilie Stadler, Denglers Lebensgefährtin, Näherin

Friedrich Frick, Schauspieler

Ein Gendarm

Eine Hospitalschwester

Stimmen aus dem Off (Marschierende, Flüstervolk, Eisenbahnpassagiere, u. U. von Konserve)

KOSTÜME

Biedermeier, bürgerlich, bei Wilhelm Dengler von Bild zu Bild ärmlicher

ORTE DER HANDLUNG:

Werkstatt und Wohnung Wilhelm Denglers in Ludwigsburg

Zimmer Emilie Stadlers in Marbach

Katholisches Hospiz in Ludwigsburg

Bahnhof von Ludwigsburg

ZEIT DER HANDLUNG:

Vom Sommer 1847 bis zum Sommer (22. August) 1850

I. Bild

Sommer 1847. Wilhelms Goldarbeiter-Werkstatt in Ludwigsburg. Emilie, Wilhelm. Später Vater Dengler

Wenn irgend möglich eine naturalistische Einrichtung: Die Werkstatt dient gleichzeitig als Wohnstube. Eine Esse, ein Blasebalg. Ein an einer Seite fest an der Wand verankerter Tisch mit einer massiven Arbeitsplatte aus Holz. In der Tischplatte ist eine große Aussparung in halbrunder Form für den Goldarbeiter freigelassen. In deren Mitte befindet sich der »Feilnagel«, ein Keil aus Hartholz, der in einer Vertiefung in der Kante der Tischplatte verkeilt ist und als Anlegefläche beim Bearbeiten kleinerer Werkstücke dient. Unter der bogenförmigen Aussparung des Werkbrettes das »Fell«, eine sackähnliche Vorrichtung aus Schafleder, in der die beim Bearbeiten der Werkstücke anfallenden edelmetallhaltigen Reste aufgefangen werden. Unter dem Feilnagel Schubladen für Arbeitsgeräte. Auf dem Tisch dahinter eine feuerfeste Abdeckung aus Stahlblech mit der Lötkohle. Überall in Griffweite spezielle Werkzeuge (Feilen, Punze, Stichel, Zangen, Stahlwinkel, Sägen, Reißnadel, Ringriegel usw.). Neben der Arbeitslampe das Bretteisen (ein massiver Stahlwürfel, dessen plan geschliffene und polierte Ober-fläche zum genauen »Richten« der Werkstücke dient). Außerdem ein kleiner Amboss, ein Schraubstock mit diversen Zieheisen usw. Diesem eigentlichen Arbeitsbereich gegenüber die nicht viel gemütlichere Wohnecke mit offenem Regal, darin Wäsche, einem Tisch mit zwei Stühlen und einem Bett vor grell farbiger Biedermeiertapete. Auch eine Kindertrommel findet sich dort. Am Tisch wartet die schwangere Emilie darauf, dass der Mann, mit dem sie in wilder Ehe lebt, der Goldarbeiter Wilhelm Dengler, seine Arbeit beendet und zu ihr herüber kommt. Sie hat Stoff auf dem Schoß und näht.

E

MILIE

Bischt endlich fertig mich deinem Gefiddschl? (

Wilhelm stöhnt

.) Was wird’s diesmal?

W

ILHELM

Ein Kelch. Zwölflötiges Silber. (

Er zeigt ihn

.) Für den muss ich vierundachtzig alte preußische Taler einschmelzen. Ein halbes Jahr Arbeit.

E

MILIE

Du schaffst wie‘n Bronnabuzzr. Wenn‘s danach ginge, müsstest du längst Fabrikbesitzer sein.

W

ILHELM

Würde Arbeit reich machen, hätte der Ochse mehr Geld als der Bauer. Neulich kam jemand, der bot mir Schmuck an. Nachdem ich abgewogen hatte und den Metallwert berechnet, sagte der Herr, er wolle sich für den Betrag einen neuen Schmuck aussuchen. Ich wunderte mich noch. Und war zu blöde zum Misstrauen. Dann stellte sich heraus: Der Schmuck war gestohlen, der Herr ein gewöhnlicher Dieb. Die Polizei hat das Zeug beschlagnahmt, und mir bleibt ein Verlust.

E

MILIE

Den wirst du verschmerzen.

W

ILHELM

Wenn es nur der einzige bliebe.

E

MILIE

Bleibt er nicht?

W

ILHELM

Als ob du das nicht wüsstest. Sieh mich an! Sechzehn Stunden Schufterei jeden Tag. Was kommt dabei herum? Mein Vater muss mir ein Salär zustecken, damit wir nicht verhungern.

E

MILIE

Damit

du

nicht verhungerst.

W

ILHELM

Gehören wir nicht zusammen?

E

MILIE

Wir sind nicht verheiratet.

W

ILHELM

Das liegt nicht an mir. Warum willst du nicht? Dabei heißt es doch, eine Frau mache sich Sorgen um ihre Zukunft, bis sie einen Mann hat.

E

MILIE

Und ein Mann mache sich

keine

Sorgen um seine Zukunft, bis er eine Frau hat. (

Wilhelm lacht.

) Wovon sollen wir leben? Ein halbes Jahr Arbeit für einen Kelch

aus zwölflötigem Silber. Ich müsste eh weiter nähen. Die eine Tretmühle ist mir genug. Die kann ich auch ohne Ehe haben.

W

ILHELM

Als ob’s nur immer ums Geld ginge.

E

MILIE

Es geht immer nur darum. Warum sonst darf niemand heiraten, von Amts wegen, wenn er so arm ist, dass bei ihm die Mäuse verhungern?

W

ILHELM

Wenn i scho koin Baur ben, gohd mr au koin Gaul nedd hee, brichd mr au koin Ochs a Horn, scheissd mr au koi Kaddz ens Korn.

E

MILIE

Sehr witzig!

W

ILHELM

Es tut sich was.

E

MILIE

Was meinst du?

W

ILHELM

Überall rumort es. Unter den Schneidern, den Buchdruckern – und unter meinen Leuten, den Goldarbeitern. Es gibt erste Drohungen gegen die Regierung.

E

MILIE

Von dummen Jungs, die Stoffkappen mit Schirmen tragen, wenn sie auf die Straße gehen, weil sie glauben, dass sie damit die Obrigkeit ärgern.

W

ILHELM

Aber wir gehen auf die Straße!

E

MILIE

Weil in den Wirtshäusern die Bierpreise gestiegen sind.

W

ILHELM

Vor ein paar Tagen ein Massenauflauf in Stuttgart. Der Bäckermeister Mayer hatte kein Brot herausgerückt, obwohl den Bürgern die Mägen knurren. Da sind wir vor sein Haus gezogen. Wir hielten Topfdeckel in den Händen und machten einen entsetzlichen Rabatz.

E

MILIE

Mayers Ofen war kaputt. Der wurde an dem Tag repariert.

W

ILHELM

Behauptet der Bäcker! Und du fällst drauf rein! Mayer wollte den Brotpreis in die Höhe treiben, das war der Grund. Also rufen wir: »Kornwucher! Kornwu

cher!« (

Er fuchtelt mit beliebigen Werkzeugen in der Luft herum

.) Da fliegen die ersten Pflastersteine in die Fensterscheiben. Auch Gaslaternen gehen zu Bruch. Dann die Parole: »Es lebe die Freiheit! Es lebe die Republik!« Der Stadtdirektor eilt herbei, hat die Landjäger im Schlepp, die Bürgergarde vom Rathaus und den Schultheiß. Sie kommen auf den Platz, als ein paar Hitzköpfe gerade versuchen, Mayers Haustür einzutreten.

E

MILIE

Du warst nicht zufällig unter ihnen?

W

ILHELM

Man rückt gegen uns vor, verhaftet uns ...

E

MILIE

Dich nicht.

W

ILHELM

Dann räumen sie den Platz. Aber wir geben nicht klein bei und werfen wieder mit Steinen, weswegen man militärische Hilfe requiriert. Mehrere Reiter-Regimenter rücken an, kriegsmäßig bewaffnet. Der Divisionskommandeur fackelt nicht lange. Er gibt Befehl, auf uns einzureiten und uns auseinanderzutreiben, erst mal mit flacher Klinge. Es dauert aber nicht lange, da soll scharf gehauen werden. An einer Brücke über den Nesenbach werden Barrikaden aufgeschichtet. Dahinter stehen wir, mit Zaunlatten bewaffnet. Sogar der König erscheint, um sich anzusehen, was da los ist. Als wir auch ihn mit Steinen bepflastern, feuern die Soldaten eine Salve in die Menge. Ein junger Bursche, ein Schustergeselle aus Buchheim, erst einundzwanzig Jahre alt, wird getroffen.

E

MILIE

Wie geht es ihm?

W

ILHELM

Er ist gestorben. Ein Märtyrer.

E

MILIE

Ein dummer Junge. Man schmeißt nicht mit Steinen, schon gar nicht nach dem König, das weiß jeder.

W

ILHELM

Ein Postassistent hat Ihre Majestät »Hurenbock« genannt. Jetzt sitzt er wegen Majestätsbeleidigung im Arbeitshaus, die ersten acht Tage bei Dunkelarrest.

E

MILIE

Und Ihr anderen? Habt Ihr Euer Brot bekommen?

W

ILHELM

Was für Brot?

E

MILIE

Na, das vom Bäckermeister Mayer doch.

W

ILHELM

Wieso kommst du jetzt damit? Darum ging’s nicht längst mehr.

E

MILIE

Worum dann?

W

ILHELM

Die Zeit ist reif, dass sich was ändert.

E

MILIE

Indem man Steine schmeißt? Ich mag nicht so bald Witwe werden.

W

ILHELM

Du kannst nicht Witwe werden. Wir sind nicht verheiratet. Im Grunde müsste man es machen wie die anderen und auswandern. Nach Amerika. Dort liegt das Gold auf der Straße.

E

MILIE

Jetzt, wo alles anders wird? Macht dir die Klopperei auf unseren Straßen keinen Spaß mehr?

W

ILHELM

Jedzd isch de Zeid und Schdund da, allwo mir ziehe no Amerika; dr Wage schdehd scho vor dr Tür, mid Weib und Kindern ziehe mir.

Amerika, du schöns Land!

Des isch dr ganze Weld bekannd

da wachsch dr Kle drei Elle hoch,

da gibd s Brod und Fleisch genug.

Ihr Freinde alle, wohlbekannd!

Reichd uns zum ledzde Mal die Hand.

Wir sehe uns nun nimmermehr,

ihr Freinde, woid nedd so sehr!

E

MILIE

Lass mich in Frieden mit dem Quatsch! Was soll ich woanders?

W

ILHELM

Nähen, so wie hier. Überall auf der zivilisierten Welt braucht man Kleider.

E

MILIE

Was ich hier nicht packe, das wird mir auch drüben nicht glücken. Überhaupt. Wie hast du dir das mit unserem kleinen Bastard gedacht? Den bring‘ ich dann wohl auf dem Schiff zur Welt, während der Passage? Das würd‘ was geben!

W

ILHELM

(

beendet seine Arbeit, zieht einen Hausrock über, geht zu Emilie hinüber und legt seinen Kopf auf ihren Bauch

) An den hend i boinahe nemme dachd.

E

MILIE

(

am Weiternähen gehindert

) Macht ihr nur Eure Revolutionen. Wir räumen danach den Dreck weg.

W

ILHELM

(

streichelt Emilies Bauch

) Wie schnell das alles gangen ist.

E

MILIE

So schnell es die Natur zulässt.

W

ILHELM

Ich meine doch: mit uns. Ällig.

E

MILIE

Dass wir uns auf einer Hochzeit kennengelernt haben, könnte man für einen Witz halten.

W

ILHELM

Du warst schon damals saumäßig amüsiert. Leider.

E

MILIE

Wieso leider?

W

ILHELM

In Rührung versunken, hätte ich dich lieber gesehen.

E

MILIE

Das wäre schwer zu machen gewesen. Spätestens als der Bräutigam steif und fest behauptete, jemand hätte seinen »Jabod« und seinen »Zylindr« und seinen »Schbenzr« versteckt. Dabei trug er schon alles am Körper. Aber am verrücktesten war, als du dem Paar den Brautbecher überreicht hast.

W

ILHELM

(

Er stürmt in die Werkstatt, wühlt, holt einen Brautbecher hervor. Der hat zwei Kelche, einen großen [Rock] und einen kleineren, die miteinander verbunden und auf einem Gelenk beweglich gelagert sind.

) E

MILIE

Was wird das?

W

ILHELM

So einer war’s.

E

MILIE

So einer?

W

ILHELM

Brautbecher. Nun mach! (

Emilie und Wilhelm setzen die Kelche an, als wollten sie gleichzeitig trinken

.) Was keinem vorher gelungen ist – eine Kunst! –, den beiden glückte es: Sie verschütteten den Wein.

E

MILIE

Ein böses Omen!

Sie lachen, tun, als verschütteten sie, mit zitternden Händen, den Wein und lassen den Brautbecher zu Boden fallen. Da sie einander ohnehin nahe sind, nehmen sie die Gelegenheit wahr, sich zu umarmen und zu küssen.

Es klopft energisch an der Wohnungstür. Die beiden fahren auseinander. Ohne eine Aufforderung abgewartet zu haben, tritt Vater Dengler auf.

W

ILHELM

Vaddr!

E

MILIE

Der hat mir gerade noch gefehlt! (

Sie richtet ihre Kleidung und setzt sich züchtig auf einen der Stühle

.)

V

ATER

D

ENGLER

(

eintretend

) Offe. Wie immr. Bei dir schoid’s wirklich nix ze gebe, was si lohnd, gschdohle ze werde. (

Er blickt sich gründlich und mit der Selbstsicherheit des Eingeweihten um, entdeckt schließlich Emilie

.) Aha, die Kebse. Au wie immr.

W

ILHELM

Du bischd an rechdr Bäffzger.

V

ATER

Schdimmd s edwa nedd?

W

ILHELM

Ich verbiete dir, so von meiner Frau zu sprechen!

V

ATER

Sie isch nedd doi Frau. Nedd no dem Gesedz. Und ze verbiede haschd mir gar nix. Nedd, solang i doi Rechnunge berabbe.

E

MILIE

Seine Rechnungen vielleicht, aber nicht meine!

V

ATER

Kusch! (

zieht ein Papier aus der Tasche

) Es bressierd. Ich bekomm Mahnunge. Vo moin Kunde. Bin im