zeichnen nach der natur - Doris Claudia Mandel - E-Book

zeichnen nach der natur E-Book

Doris Claudia Mandel

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Beschreibung

Die in diesem Band versammelten Gedichte entstammen einer rund vierzigjährigen schriftstellerischen Tätigkeit der Autorin. Einigen der Texte wird die Leserschaft anmerken, dass sie zu DDR-Zeiten entstanden sind. Dort, wo es angezeigt schien, sind deshalb zum besseren Verständnis die Jahreszahlen der Entstehungszeit vermerkt. Nichtsdestotrotz haben die Gedichte unseres Erachtens nichts an Aktualität und dichterischem Reiz verloren, widrigenfalls wären sie nicht in diese Auswahl aufgenommen worden. Entsprechend vielfältig ist ihre Gestalt. Es finden sich streng metrische Odenformen neben so genannten freien Rhythmen. Gelegentliche Anklänge an das Volkslied sind unübersehbar. Bereits im Jahre 2002 ist der Kern dieser Sammlung unter dem Titel "Mein Feind die Finsternis" ein erstes Mal erschienen. Die jetzt vorliegende Ausgabe ist dem gegenüber korrigiert, bereinigt und um einige neue Texte erweitert.

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Seitenzahl: 57

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Doris Claudia Mandel

zeichnen nach der natur

gedichte.sprüche.gesänge

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

SPRÜCHE

SPIEGEL

GESÄNGE

NARBEN

ANDERE GESÄNGE

AUFBRUCH

Anmerkungen

Impressum neobooks

SPRÜCHE

haeretisches haiku

die götter sind fern.

wie entbehrlich also

wär’n unsre münder.

zweifel

ich -

eine lüge

niemand

fasst mich

eines morgens

früelinc ist kumen

hab gleich dem vogelîn sungen

sint mir diu lungen sprungen

situation kurz vor einbruch der kälte

november ist

die störche ziehen fort

die männer ziehen ein

wo sie einander hätten treffen können

wächst kein gras mehr

(1975)

sehnsucht

nicht

ypernmütig sein

müssen

druckfehler

(34. Woche, 1980)

deutsche banden

haben der polnischen regierung

kredite versprochen.

plötzliche erinnerung an Miro Šelestiak, slowakei

er klagte

er dürfe nicht schreiben

wie er denke und

tötete sich

nun kann er

weder schreiben noch

denken.

(1978)

zigeunerweisheit

meine herzklappen sind aktendeckel

mich die ich zwischen den zeilen zu lesen geübt bin

narrten die schwüre aus kusswunden mündern

um lieben zu lernen

bräuchten wir neununddreißig leben heißt es

um den wir lieben zu verstehen

bräuchten wir sechsundzwanzig leben heißt es

doch einen winzigen Atemzug nur bräuchten wir

um den wir lieben zu verraten.

rundgesang

es regnet

tropfen tropfen

begeg net

net begeg

tropfen tropfen

es regnet

Umzug ins Neubauviertel

O Lob der Bedachtsamkeit!

Am zweiten Tage vermisst’ ich der Platane Wispern.

Am dritten Tage das wollüstige Wirken

einer zögernd sich wärmender Stube.

(1981)

Bäume

Bäume! Fassungslos lauere ich am Fenster meines Arbeitszimmers und

starre auf den Beton zwischen den Plattenhäusern hinab. Auf dem

gegenüberliegenden Parkstreifen ist ein LKW vorgefahren, sein Kranarm

hievt die Stämme von der Ladefläche, feuchtes, graues Holz mit klobigem,

sackleinenumschnürtem Wurzelwerk. Zwischen den Stoffzipfeln hervor

quillt die Muttererde, sepiafarben und festgestampft. Buchen, jetzt

stehen sie auf dem toten Beton und warten, hilflos wie Delegierte in

der Fremde. Ich denke an Karl Kraus, der den Zustand eines Staates

daran maß, auf welche Weise jene, die ihm vorstanden, mit den Bäumen

umsprangen. Ich hoffe: Jetzt wird alles gut. So hoffend, lauere ich am

Fenster meines Arbeitszimmers und starre gläubig hinab auf das Wunder.

(1981)

SPIEGEL

IN DER STADT

AUF DEM LANDE

VOR DEM MEER

Merseburg kurz vorm ende

(1978)

I samstagmorgen

starrkrämpfig tauber nonnenschoß.

der grobe stein schwitzt orgelpunkt

meiner brust bemooste kälte sprengt das spiegelbild

und wie von eisesscherben schneidet scharf das licht kontur:

geil der abrisshäuser ausgestochne augen

der einen grauen stirn ist aufgebrannt:

Ich fürcht mich nicht — der Herr ist bei mir.

Was können mir die Menschen thun?

II in der aue

hier

ist die welt hindurchgezogen

wie weiland blüchers truppe auf napoleonjagd

gerad’

sah man sie noch um den schlossberg toben

schon ist sie weg, vergrämt, verzagt

die wolken hängen tief hier in der aue

und sind nicht echt

damit er den versprechen traue

sei dem daheim Ersatz recht.

III stiftskirche st. sixi

was übrig bleibt sind nicht einmal die mauern,

ist sonne auf den trümmern wasser wind

solange wir die wir im wetter sind

uns vag erinnern dass da mal was war

wir glauben eine wasserpumpe scheu im kirchhof

die schlürfend schlug wie unser phosphorherz

und müde einen schlag dem anderen nachschleifend

entspiegeln hieß der zeit furchtsames werk

das zögerliche ab und ab und ab

das man dem wasser nachsagt über müllersteinen

dem wind der wie die spreu zerstreue die gottlosen

solange wir die wir im wetter sind

uns vag erinnern dass da mal was war

wir glauben glauben eine

glauben

IV zeitlos

verätzt die brust von den nebelschleiern im dreiflusstal

röchelnd sackt die stadt in den schwaden vergessen

blind zwischen den gestaltlosen fronten

schmecke ich JETZT nichts als JETZT

das helle klicken der wanduhr ist sinnestäuschung

die sagen: undsiebewegtsichdoch

sind immer die

draußen

V am sand während der großen abrechnung

als ob mein herz zu staub zerpuffte

platzt blutrot ziegel auf

stiebt einen schreck lang

längst vergessnes hoch

als ob die lahme lunge

schlauchleib der tiefseeassel

mir krachend bärste im brachwasser

brüll ich übers laue lößland

dem kreischenden rammbock hinterher

einETWAS kann nicht

zu NICHTS werden

doch schon am morgen

bin ich ein durchgelaufner schuh

und weggeworfen in den schoß

der bettlerin erde

VI ungebetener besuch

feind hein mit dem kupfernen knöchel des frauenfingers tockt an des

domstuhls lehne herr kämmerer ruft ruft er katarrhalisch entstaubt steht

Medziborije starr stumm mitten im tannenwald aus destillierkolonnen

bin nicht der kämmerer da straft mich lügen mein ornat die hand mit

dem siegelring stöpselt den mund mir jetzund drei lächerliche wochen

noch die zeit in büscheln ab gesenst zertockt zerklopft zerstampft der

rettende griff nach den lott-toto-scheinen bin nicht der kämmerer

wetten dass ruft kreischt feind hein katarrhalisch im damenalt und

seine stimme umzüngelt die batistballen vergessener messen verraten

ich der schlüssel zum wundergral weist mich aus wo hinaus fort fort

zum fort flatternden herzens die hände hoffend entgegengestreckt dem

schwur kopflos feind hein ein höflicher transvestit ein irrtum wessen

auch immer ich bin nicht der kämmerer wirklich nicht wirklich ich nicht

naum —

wo sich mir lärchen erinnern laubbäumlich samten

und schillernd zerhämmerte köpfe

barocker eisenstifte in rostigen fensterriegeln

sprengt mein handballen die marientormauer

und die jahrhunderte pudern herab

wie von einer belle-epoque-perücke aus dem fundus

dort hängt der herr heiland am türpfeiler

gekreuzigt mit verschränktem schienbein wadenbein

tief hängt er schwebend inmitten der menschen

die ihn durchschreiten als wären sie seinesgleichen

auf aller stirnen wie von ungefähr und scheu

grüngelbrotblau von der apsis her eine gemalte freundlichkeit

reisewarnung

nächtens im stuckernden gleisblechkäfig,

zwischen des dammkieses springschatten

verlier ich mein drittes gedächtnis

da mahnt mich die stählerne trommel

nicht un ter die r ä der kom men,

nicht un ter die r ä der kom men

hauptbahnhof

I

eines tages begegnen einander auf den bahnhöfen

die längst entzweiten

sie grüßen höflich und gehn aneinander vorüber

auch sollten ihre hüften gelähmt sein vor schreck

einsam in den schnellzügen und in verschiedene richtungen

entfernen sie sich von ihrem ursprung

II

ein freitag wie landregen

graue unendlichkeitsschleife rund um den taxistand

gleichförmige wiederholung ein und desselben themas

am wegrand eines baumes wurzel sprengte

behutsam die platte aus stein

ich wundre mich kurz

so viel kraft

kurz wundre ich mich

jene platte aus stein behutsam

gesprengt von des baumes wurzel am wegrand

gleichförmige wiederholung ein und desselben themas

rund um den taxistand die graue unendlichkeitsschleife

ein freitag wie landregen

rosenmontag in der provinz

verwandlung

sehn sucht

anderssein

mittags sind die

schatten schatten

(manchmal klart der himmel auf)

traum birst

männer lippen pink

sind männer

ballustraden glimmernd:

Gips

des abends im konzert

von kerzen sind nicht

schatten schatten

skandiert der beifall

für die toten meister

verwandlung

anderssein

und draußen die schon

verwesenden tauben starten

vom second-hand-shop

flattern

steigen

stürzen

ab

Das dramatische Gedicht vom Ruhm

Und es begab sich in jenen Tagen, da Zarin Natalia

niedergekommen mit einem Sohne, Peter dem Ersten,

dass ihr Herr Aleksej Michajlovič, Zar über Russland,

würdig zu feiern gedachte dies epochale Ereignis.

Nicht wollt für Fürsten wie Diener ein rauschendes Gastmahl er richten,