Der Familie Popolski - Achim Hagemann - E-Book

Der Familie Popolski E-Book

Achim Hagemann

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Beschreibung

Endlich: Das Wahrheit über der (ganze) Welt! Nachdem Piotrek Popolski vor mehr als 100 Jahren beim Pfarrfest in Pyskowice 22 Gläser Wodka auf das Wohl der Jungfrau Maria getrunken hatte, ersann er eine kleine Melodie. Die drei Akkorde dieser genialen Komposition wurden später von erstaunten Fachleuten in 90% aller internationalen Tophits wiedererkannt. Dies ist der Beginn der unglaublichen, hochgradig erfundenen Geschichte der Familie Popolski, die hier erzählt wird: Wie Piotrek Popolski 128.000 Top Ten Hits komponierte, er 1969 eine halbe Stunde vor den Amerikanern auf dem Mond landete und dort eine leere Wodkaflasche hinterließ und schließlich entdeckte, dass Plattenbauten die ältesten Bauwerke der Menschheit sind. Wunderbar skurril, mit anarchischem Humor und allem nur denkbaren Größenwahn schreibt Achim Hagemann die, nun, Menschheitsgeschichte neu – und vor allem die Geschichte der Familie Popolski erstmals auf.

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Seitenzahl: 247

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Achim Hagemann

Der Familie Popolski

Von gestohlenen Triumphen, historischen Momenten und polnischer Lebensfreude

Mit William Wahl und Bruno Pestalozzi

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Endlich: Das Wahrheit über der (ganze) Welt!

Nachdem Piotrek Popolski vor mehr als 100 Jahren beim Pfarrfest in Pyskowice 22 Gläser Wodka auf das Wohl der Jungfrau Maria getrunken hatte, ersann er eine kleine Melodie. Die drei Akkorde dieser genialen Komposition wurden später von erstaunten Fachleuten in 90% aller internationalen Tophits wiedererkannt.

Dies ist der Beginn der unglaublichen, hochgradig erfundenen Geschichte der Familie Popolski, die hier erzählt wird: Wie Piotrek Popolski 128.000 Top Ten Hits komponierte, er 1969 eine halbe Stunde vor den Amerikanern auf dem Mond landete und dort eine leere Wodkaflasche hinterließ und schließlich entdeckte, dass Plattenbauten die ältesten Bauwerke der Menschheit sind.

Wunderbar skurril, mit anarchischem Humor und allem nur denkbaren Größenwahn schreibt Achim Hagemann die, nun, Menschheitsgeschichte neu – und vor allem die Geschichte der Familie Popolski erstmals auf.

 

Über Achim Hagemann

Achim Hagemann, geboren 1965, ist Komponist und Musiker. Er studierte Musik an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Hagemann ist Moderator und Schlagzeuger in der Musikcomedyshow «Der Familie Popolski». Die Show wurde mehrfach ausgezeichnet. Vor allem seine Projekte mit Hape Kerkeling sind bundesweit bekannt (z.B. «Hurz!», oder das Musical und der Film «Kein Pardon»).

Inhaltsübersicht

WidmungMottoVorwortDas verkannte GenieDie Geburt von Piotrek Popolski 1888, im VierkaiserjahrDie ersten JahreSchulzeit und erster AuftrittPiotrek Popolski und die Erfindung der PopmusikDie Liebe und ihre katastrophalen FolgenDie Liebe in den Zeiten der PolkaDie erste WeltreiseDie Rückkehr nach ZabrzeDie Rückkehr der PolkaPiotreks zweite WeltreiseZurück in der HeimatPawel Popolski, der älteste EnkelDie PolkarevolutionDie späten JahreOpa auf dem MondOpas EnkelChits, Chits, Chits!Der Tag, an dem die Popmusik geklaut wurdeDie dyskoteka 54 – eine Zabrzer LegendeThe next PolkagenerationAndrzej Popolski, der Botschafter der LiebeHenjek und Stenjek und die langsamste Polka der WeltElvis in ZabrzeDorota PopolskiOnkel Luschek oder: Das schwarze Polka-SchafJanusz Popolski, der jüngste BruderAbschied und NeuanfangTime to say goodbyeDer Leben geht weiterErste KonzerteEpilogPawelOpa Popolskis Polka-KüchePolkapolnisch fur der Anfänger –Stammbaum der Familie PopolskiDanksagungFotonachweis

Für meinen Vater Willy Hagemann

głęboko na wschodzie,

gdzie zadymione słońce,

jest lepiej,

o wiele lepiej, jak myślisz!

 

(Tief in der Osten,

Wo der Sonne verstaubt,

Ist der besser,

Viel besser, als man glaubt!)

 

 

(Piotrek Popolski, 1910)[1]

Vorwort

Eintagsfliegen leben nur einen Tag, die Erde ist der Mittelpunkt des Universums, und Milli Vanilli haben ihre Hits selber gesungen.

Nun: Die meisten Menschen kennen inzwischen die Wahrheit über diese kleinen und großen Irrtümer der letzten 1000 Jahre. Eintagsfliegen werden bis zu drei Jahre alt, die Erde dreht sich um die Sonne und Milli Vanilli, na ja, das muss man nun wirklich niemandem mehr erklären.

Aber wie steht es um die großen Irrtümer, von denen bis heute die wenigsten wissen, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben? Irrtümer, denen wir seit langer Zeit erliegen und die wir immer noch für historische Wahrheiten halten?

Wer hätte zum Beispiel gewusst, dass der Pole Piotrek Popolski im Jahr 1969 eine halbe Stunde vor den Amerikanern mit der selbstgebauten Rakete Poljus 12 auf dem Mond gelandet ist und dort ein Tablett mit Gürkchen, ein altes Akkordeon und eine leere Wodkaflasche zurückließ? Wer hätte geahnt, dass es begründete Zweifel gibt, ob die Pyramiden von Gizeh tatsächlich eine Erfindung der alten Ägypter waren oder nicht viel eher eine dreiste Kopie jahrtausendealter Baukunst aus der Gegend von Pyskowice? Oder, und das ist wahrscheinlich der größte Irrtum unserer Zeit, dass die Popmusik nicht aus Amerika oder England stammt, sondern aus Polen, genauer gesagt aus Zabrze. Und dass sie dort vor mehr als hundert Jahren erfunden wurde von ebenjenem Piotrek Popolski, der im 12. Stock seiner Plattenbauwohnung mehr als 128000 Top-Ten-Hits komponierte. Wer hätte zu guter Letzt gewusst, dass man den Polen die gesamte Popmusik geklaut und sie in schrecklich verhunzten Versionen weltweit verhökert hat, ohne dass ihr eigentlicher Urheber auch nur einen Cent zu sehen bekam.

Den wenigen, die die Wahrheit kennen, muss es wie Hohn vorkommen, wenn sie stattdessen die alten, abgestandenen Witze über polnische Autoklauer hören, die immer noch an vielen Stammtischen erzählt werden.

Dieses Buch wird die größten Irrtümer der Gegenwart gerade rücken und dem polnischen Jahrhundertgenie Piotrek Popolski und seiner Familie endlich die gebührende Würdigung und Anerkennung zuteilwerden lassen, die ihnen bis zum heutigen Tag verwehrt geblieben ist.

Es erscheint angesichts des gigantischen Lebenswerkes Piotrek Popolskis ganz und gar unbegreiflich, dass es zwar ein gutes Dutzend Biographien über Dieter Bohlen gibt, aber nicht eine einzige über den wahren Erfinder der Popmusik und seine schrulligen Nachfahren.

Zwar haben die Enkel unter dem Bandnamen «Der Familie Popolski» auf ihren zahlreichen Tourneen die Hits des Großvaters in unverfälschten Originalversionen gespielt und dem verblüfften Publikum die ein oder andere Anekdote über ihren Opa erzählt, aber bisher hat niemand auch nur den Versuch unternommen, die komplette Familiengeschichte der Popolskis über vier Generationen gewissenhaft zu rekonstruieren und niederzuschreiben. Dies geschieht hier erstmals.

Nach vielen Besuchen in Zabrze, unzähligen Gesprächen mit seiner Familie, Zeitzeugen und ehemaligen Weggefährten ist dieses Buch entstanden. Die Nachfahren Piotrek Popolskis öffneten erstmals ihr Familienarchiv und gewährten so einen Einblick in eine der bemerkenswertesten Familiengeschichten unserer Zeit. Zudem trugen lange Wodkaabende mit der Enkelgeneration dazu bei, die oft bruchstückhaften oder unvollständigen Aufzeichnungen des Großvaters mit persönlichen Erinnerungen oder kleinen Anekdoten zu ergänzen.

Die wichtigsten Interviewpartner hierbei waren Dorota Popolski und der älteste Enkel Pawel Popolski.

Dorota Popolski, Sängerin und Frontfrau der Popolskis mit ihrer Vorliebe für die Farbe Rot.

 

Sie wurde 14-mal in Folge zur «Miss Zabrze» gewählt und ist das zweitjüngste Mitglied der Familie. Seit langer Zeit ist sie auf der Suche nach der großen Liebe ihres Lebens. Bislang jedoch ohne Erfolg. Zu ihrem großen Bedauern hat Dorota den gutaussehenden, Polka liebenden und vor allem wohlhabenden Mann ihres Herzens noch nicht gefunden, obwohl die Bewerber Schlange stehen und ihr bei Konzerten regelmäßig Sparbücher und voll eingezahlte Bausparverträge als Zeichen ihrer Zuneigung auf die Bühne reichen.

Pawel Popolski, ältester Enkel und Schlagzeuger der Popolskis.

Pawel versucht das Erbe des Großvaters zu bewahren und leitet seit vielen Jahren die Familienband. Er erzählt gerne Geschichten, die umso ausführlicher werden, je mehr Wodka er getrunken hat.

Prof. B. Tzibulski

Als wissenschaftlicher Berater fungierte der renommierte polnische Polka-Experte Prof. Tzibulski. Er unterrichtet an der Universität Krakau Vergleichende Polkawissenschaften und hat sich intensiv mit dem Werk Piotrek Popolskis befasst.

Um einen möglichst authentischen Eindruck des polnischen Sprachduktus zu vermitteln, werden die meisten Kommentare, Anmerkungen und Zitate im familienspezifischen «Popolski-Deutsch» wiedergegeben.

Besonderer Dank gilt den beiden Co-Autoren William Wahl und Bruno Pestalozzi, die mit unermüdlichem Einsatz recherchiert, Dokumente ausgewertet und vor Ort mit Zeitzeugen gesprochen haben. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden. Bedauerlicherweise litten beide nach Abschluss der Arbeiten unter akuter Wodka-Allergie und mussten sich in mehrwöchigen Kuraufenthalten von ihren promillehaltigen Recherchen erholen.

Das verkannte Genie

Die Geburt von Piotrek Popolski 1888, im Vierkaiserjahr

Das Jahr 1888 wird in vielen Geschichtsbüchern fälschlicherweise auch als Dreikaiserjahr bezeichnet. Gemeint sind die Kaiser Wilhelm der Erste, sein Sohn Friedrich der Dritte und dessen Sohn Wilhelm der Zweite, die in jenem Jahr kurz nacheinander die deutsche Kaiserkrone und den Titel König von Preußen trugen. Wilhelm der Erste starb am 9. März 1888 und überließ die Krone seinem bereits kranken Sohn Friedrich, der nach einer Regentschaft von nicht einmal 100 Tagen ebenfalls das Zeitliche segnete. Als dritter Kaiser bestieg Wilhelm der Zweite am 15. Juni den Thron. Somit gab es im Jahr 1888 drei Kaiser.

Völlig unterschlagen wird hierbei die Geburt des vierten und wichtigsten europäischen Kaisers, Piotrek Popolskis, am 8. Januar 1888 in Zabrze, Polen. Seine Familie, seine Freunde und seine wenigen Anhänger gaben ihm später den Titel:

Piotrek der Erste, Polkakönig und Kaiser der Popmusik.

Dieser Umstand wird bis heute in keinem einzigen Geschichtsbuch erwähnt. Während man den drei anderen Kaisern unzählige Steindenkmäler, kitschige Reiterstatuen, Medaillen, Kirchenglocken oder monumentale Bauten widmete, wurde der vierte Kaiser vollkommen ignoriert, gibt es bis zum heutigen Tag kein einziges Piotrek-Popolski-Denkmal, kein Polka-Museum und keinen Popolski-Kulturpreis. Von einem nationalen Feiertag ganz zu schweigen. Nicht mal eine Sackgasse oder ein kleiner Feldweg sind nach ihm benannt. Ja, sein gesamtes gigantisches Lebenswerk – die Erfindung der Popmusik, seine 128000 Top-Ten-Hits, seine bahnbrechenden technischen Innovationen, selbst seine Landung auf dem Mond – blieb gänzlich ungewürdigt. Piotrek Popolski kann man mit Fug und Recht als das vergessenste Universalgenie der Menschheitsgeschichte betrachten.

Lediglich die «Popolski-Gurke», Kreation des emsigen Gurkenzüchters Jerzy Truszkiewicz, geboren in Zabrze, und der «Popolski-Wodka», selbstgebrannt von Piotreks Nachfahren (mit weit über 98 % Alkohol), ehren den Namen des großen Polkagenies und Erfinders der Popmusik. Das ist eindeutig zu wenig und erscheint bei genauerer Betrachtung ganz und gar unangemessen, ja geradezu grotesk. Denn rückblickend kann man ohne jede Übertreibung konstatieren: Das Werk Piotrek Popolskis hatte weit größeren Einfluss auf die Geschichte der Menschheit als das Wirken der anderen drei Kaiser zusammen.

Er hat ganze Generationen von alten und jungen Menschen in so gut wie jedem Land der Erde mit seiner Musik inspiriert, und es ist kein Wunder, dass die Popmusik bis heute seinen Namen trägt. (Ursprünglich: Popolskimusik, später nur noch mit der kürzeren, griffigeren Bezeichnung Popmusik benannt.)

Mit seinen «Kaiserkollegen» verband ihn nur ein einziges Merkmal: die Vorliebe für den gepflegten Schnauzbart. Allerdings lehnte Piotrek solche Albernheiten wie das Hochzwirbeln des Bartes mit Hilfe von Pomade oder Bartwichse grundsätzlich ab. Stattdessen benutzte er Struvko, ein Bartpflegemittel aus Wodka und Gürkchenextrakt, um seinem Schnäuzer den gewünschten Glanz zu verleihen. Ansonsten könnten die Unterschiede kaum größer sein.

Niemals hat der Polkakaiser Armeen aufgerüstet, Kriege vom Zaun gebrochen oder fremde Kolonien unterworfen. Er hat weder Uniform getragen noch Kanonen gekauft. Stattdessen war er der wichtigste Vorreiter der weltweiten Friedensbewegung. Dieser setzte Piotrek Popolski in den späten 1950er Jahren ein schillerndes Denkmal. Das große dreitägige Polkafestival auf einem matschigen Rübenacker in der Nähe der kleinen polnischen Stadt Wodstockski sollte der Urknall einer neuen Bewegung werden, die ein Jahrzehnt später über den Ozean schwappte und in Amerika begeisterte Nachahmer fand. Selbstredend wurde Piotrek Popolski auf dem inzwischen weltbekannten Festival seiner Epigonen nicht mit einem einzigen Wort erwähnt. Die Idee wurde berühmt, der Erfinder blieb unbekannt. Dieser Mechanismus sollte sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen. Denn die Musik war zwar das wichtigste, aber beileibe nicht das einzige Betätigungsfeld des polnischen Pioniers. Sein Einfluss auf beinahe jede Gattung der Kunst kann kaum überschätzt werden.

Auch der Anteil der späteren Generationen am Popolski-Gesamtwerk sollte nicht unerwähnt bleiben. Die Familie (oder besser: Der Familie, wie sie sich selber nennen) bemüht sich nach Kräften, das Erbe Piotreks fortzuführen.

Zwar hat keiner der zahlreichen Nachkommen das enorme Genie des Polkapatrons geerbt, aber sein Talent hat sich, so kann man es wohl am ehesten beschreiben, auf viele Köpfe verteilt. Jeder der Nachfahren versucht auf seine Weise, dem gewaltigen Erbe gerecht zu werden.

Piotrek Popolski, Erfinder der Popmusik (1888–1994)

Die ersten Jahre

Der 8. Januar 1888 war ein verschneiter Wintertag. Seit zwei Wochen hatte sich die Sonne hinter einer dicken Wolkenschicht versteckt, und eine dichte Schneedecke lag über den Straßen von Zabrze. Nur noch vereinzelte Kutschen fuhren durch die Stadt. Wer nichts Dringendes zu erledigen hatte, blieb zu Hause und warf den Kohleofen an.

Der Wodkalieferant Adalbert Popolski und seine Frau Agnieszka warteten bereits seit Neujahr auf die Geburt ihres vierten Kindes. Doch der kleine Piotrek ließ sich nicht drängen.

In den Wochen zuvor hatte sich das Baby im Mutterbauch kaum gerührt. «Dziecko w brzuchu ciągle śpi»(«Der Baby in meiner Bauch schläft und schläft …») hatte die Mutter verwundert ihre Schwangerschaft beschrieben. Gemeinsam mit der erfahrenen Hebamme Magdalena Matrowka saß die Großfamilie am Frühstückstisch der bescheidenen Etagenwohnung in der Wilcekstraße 24 und aß polnisches Landbrot mit Rübenkonfitüre, als mit einem Schlag die Wehen einsetzten. Agnieszka stieß einen spitzen Schrei aus und hatte Mühe, sich auf ihrem Stuhl zu halten. Sie verglich die plötzlichen Schmerzen später mit dem ungestümen Fortissimo-Einsatz der Bergmannskapelle «Königin Luise», die mit ihren 64 Trompetern Attraktion eines jeden Straßenfestes in Zabrze waren. Die Hebamme reagierte schnell, führte Agnieszka in das elterliche Schlafzimmer und schloss die Tür, um in Ruhe die Geburt einzuleiten.

Sowohl die Mutter als auch die Hebamme und die in der Küche wartende Familie berichteten später übereinstimmend von den ungewöhnlichen ersten Lauten des frisch geborenen Babys. Mit erstaunlich kräftiger Stimme sei eine Art aufsteigende Tonleiter erklungen, die sich Note für Note nach oben geschraubt habe, um schließlich in einem strahlenden hohen C zu münden. Der letzte Ton sei derart durchdringend gewesen, dass die Gläser in den Küchenschränken geklirrt hätten. Eine große Wodkaflasche sei dann tatsächlich mit einem lauten Knall in tausend Scherben zersprungen.

Diese Begebenheit wurde von Piotreks Familie und der redseligen Hebamme so oft erzählt, dass sie bald über die Stadtgrenzen von Zabrze hinaus bekannt war. Viele Jahre später ist sie wohl dem in Danzig geborenen Schriftsteller Günter Grass zu Ohren gekommen und hat ihn zu seiner berühmtesten Romanfigur Oskar Matzerath inspiriert. Der Roman «Die Blechtrommel» enthält jedenfalls eine verblüffend ähnliche Szene und wurde 1990 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, ohne dass Piotrek Popolski in der Dankesrede auch nur ein einziges Mal erwähnt wurde.

Die Geburt endete so ungewöhnlich, wie sie begonnen hatte. Kaum sei der letzte Ton verklungen, erzählte die Familie später jedem, der es hören wollte, habe der kleine Piotrek mit seinen winzigen Fäusten einen derart schnellen Rhythmus gegen den Mutterbusen getrommelt, dass die erschrockene Hebamme den Kleinen aus den Armen der überrumpelten Agnieszka riss, ihn in mehrere Decken wickelte und in eine Holzwiege bettete. Hier hämmerte der Neugeborene, so die Familienlegende, noch eine Zeitlang weiter gegen die Holzstäbe der Wiege, bis er endlich in einen tiefen Schlaf fiel.

Viele Jahre später kommentierte Piotrek Popolski die über ihn kursierenden Anekdoten mit dem knappen Statement:

«Miałem od pierwszej minuty życia polkę we krwi …»

(«Ich chatte von der erste Minute der Polka in der Blut …»)

In den folgenden Jahren entwickelte das jüngste Kind der Familie weitere merkwürdige Eigenheiten. Statt, wie seine drei Geschwister, mit Holzklötzen oder Stofftieren zu spielen, richtete sich sein Interesse auf eine kleine, gelbe Blechrassel, die ihm eine Tante aus Katowice geschenkt hatte. Zufrieden lächelnd rasselte er mit zunehmender Geschicklichkeit kleine Rhythmen und gab dabei fröhlich glucksende Geräusche von sich. Kam der entnervte Vater ins Zimmer und nahm ihm die Rassel weg, brüllte Piotrek so lange, bis er das geliebte Spielzeug wieder in den kleinen Händen hielt.

Doch das war erst der Auftakt zu einer Entwicklung, die seine Familie bis an den Rand der Verzweiflung treiben sollte.

Im Alter von drei Jahren schnitzte ihm sein Onkel Jurek aus einem Stück Birkenholz eine kleine Flöte, nicht ahnend, was er damit anrichten sollte. Piotrek liebte die kleine Flöte, mit der er fortan jede Melodie nachtrötete, die ihm zu Ohren kam – er brauchte sie nur einmal zu hören, schon spielte er sie mit erstaunlicher Genauigkeit nach. Grölte der betrunkene Nachbar auf dem Nachhauseweg ein frivoles Sauflied, konnte man sicher sein, dass der kleine Piotrek es an den folgenden Tagen immer und immer wieder intonieren würde. Wurden auf der Straße Spottverse von spielenden Kindern gesungen, erklangen sie am nächsten Tag in Endlosschleife aus dem Kinderzimmer. Pfiff der Schrotthändler eine kleine Melodie, während er mit der Kutsche am Haus der Familie vorbeifuhr, ahnten die Eltern bereits, was sie erwarten würde.

Die Geschwister, die sich das kleine Zimmer mit dem jungen Quälgeist teilten, liefen ein ums andere Mal heulend zum Vater und beschwerten sich. «Piotrek gra znowu na swojej zwariowanej fujarce!»(«Piotrek flotet wieder auf der bekloppste Trote!»), riefen sie und hielten sich demonstrativ die Ohren zu. Schließlich lief der Vater ins Kinderzimmer, riss seinem Sohn kurzerhand die Flöte aus den Händen und verschloss sie im obersten Küchenschrank. Er teilte anschließend jedem aus der Verwandtschaft unmissverständlich mit, dass es gewaltigen Ärger geben werde, sollte irgendjemand auf die Idee kommen, dem Jungen ein weiteres «Folterinstrument» zu schenken.

Kurze Zeit herrschte Ruhe. Dann begann Piotrek zu singen.

Hatte er in Gegenwart der Familie meist leise, beinahe flüsternd gesprochen, so war seine Gesangsstimme ungewöhnlich kräftig. Sie beschallte nicht nur die kleine Wohnung, sondern war auch draußen auf der Straße deutlich zu vernehmen. Und Piotrek hörte gar nicht mehr auf. Er sang im Sommer Weihnachtslieder, morgens Trinklieder, abends Wanderlieder. Ein Lied, das er beim Geburtstag seiner Tante aus Katowice aufgeschnappt hatte, wurde sein Favorit. «Sto lat».

«Sto lat ! Sto lat ! Niech żyje, żyje nam ! Jeszcze raz, jeszcze raz ! Niech żyje, żyje nam!»

«100 Jahre, 100 Jahre soll sie leben …»

Piotrek begann, neue Strophen zu erfinden. Nachdem er jedem Familienmitglied einige Zeilen gewidmet hatte, den Vater, die Mutter und alle Geschwister hatte hochleben lassen, dichtete er Variationen auf den Schrotthändler, den Postboten, schließlich auf den Stoffhasen seiner Schwester, den Küchentisch, den Kohleofen und das Plumpsklo im Hinterhof. Alle sollten 100 Jahre leben und einen Wodka trinken. Kurz: Der jüngste Sohn strapazierte die Nerven der anderen aufs äußerste. Seine Stimme war durchdringender, als es die kleine Flöte je gewesen war. Nun beschwerten sich auch die Nachbarn. «Chłopak jest szalony …»(«Der Junge ist vollig bekloppst …») war noch der freundlichste Kommentar.

Nachdem alle Ermahnungen und Singverbote wirkungslos geblieben waren, wurde die Vorratskammer leergeräumt, ein kleines Bettchen reingestellt und die Wände mit alten Teppichresten schallgedämmt. Zu guter Letzt nagelte der Vater eine alte Matratze von innen an die Kammertür. Piotrek hatte nun sein eigenes Zimmer. Es hatte zwar kein Fenster und war erheblich kleiner als die ohnehin beengten Räume der kleinen Etagenwohnung, aber hier störte ihn niemand bei seiner Lieblingsbeschäftigung. Und die Familie hatte ihre Ruhe. Lediglich zu den Mahlzeiten verließ Piotrek seine Kammer, setzte sich zu den anderen an den Tisch, sprach nur das Nötigste, schlang sein Essen herunter, kehrte alsbald in sein Refugium zurück und begann wieder zu singen. Bald entschloss sich der Vater, seinem Sohn die Flöte zurückzugeben. Nicht aus Mitleid, sondern weil die Flötentöne durch die verrammelte Tür besser gedämmt wurden als die durchdringende Stimme. Wortlos drückte er sie Piotrek in die Hand, verließ die kleine Kammer und schloss die Tür.

Schließlich unternahmen die Eltern, die der Musik von jeher nicht besonders zugetan waren und sie für reine Zeitverschwendung hielten, einen letzten Versuch, ihren renitenten Sohn mit anderem Spielzeug von der «głupia fujarka» («der bloden Trote») wegzulocken.

Zu Piotreks sechstem Geburtstag schenkten sie ihm einen nagelneuen Ball aus Ziegenleder, zu jener Zeit ein teures Geschenk, um das ihn seine Geschwister und die Nachbarsjungen beneideten. Vergebens. Der Kleine starrte den Ball nur verständnislos an, drehte und wendete ihn, klopfte drauf, schüttelte und rüttelte ihn und stellte dann enttäuscht fest, dass er keinerlei brauchbare Töne hervorbrachte. Schließlich warf er ihn in die Ecke und rührte ihn nie wieder an. Ab jetzt war für jeden ersichtlich, dass Piotrek anders war als seine Geschwister. Anders als alle anderen Mitglieder der großen Familie. Er war anders als jedes Kind, das die Hebamme Magdalena Matrowka jemals zur Welt gebracht hatte.

Schulzeit und erster Auftritt

Piotrek wurde kurz vor seinem 7. Geburtstag in Zabrze eingeschult. Seine Eltern waren erleichtert, da von nun an zumindest an den Vormittagen Ruhe in der Wohnung herrschte. Piotrek ging auf eine normale Volksschule, aber er bekam eine sehr strenge und ehrgeizige Klassenlehrerin, Alicenka Coprowska, eine rassige Mittzwanzigerin mit langem schwarzen lockigen Haar, deren Lebenstraum es war, nach Amerika auszuwandern.

Obwohl es nicht auf dem Lehrplan stand, unterrichtete sie die Kinder bereits im ersten Jahr in «Englisch» – sehr zum Ärger aller Kollegen und der Eltern. Doch Alicenka hatte ein Verhältnis mit dem Sohn des Schuldirektors, und der Schuldirektor wiederum hielt seine schützende Hand über sie. Man ging sogar so weit, sich zu fragen, ob der Schuldirektor nicht selbst ein Auge auf die junge Lehrerin geworfen hatte, was verständlich gewesen wäre, denn wenn sie einen mit ihren großen dunklen Augen ansah, die geheimnisvoll schwarz geschminkt waren, dann konnte es schon um einen geschehen sein, auch wenn man Schuldirektor war.

Nun, wie dem auch sei, der kleine Piotrek kam jedenfalls in den Genuss ihres Englischunterrichts, quasi vom ersten Schultag an. Und es gefiel ihm. Es war nicht so, dass ihn die Sprache als Sprache besonders fasziniert hätte oder dass sie in ihm den Wunsch erweckt hätte, nach Amerika auszuwandern, das alles interessierte ihn überhaupt nicht. Piotrek fand, dass sich die englische Sprache sehr gut dafür eignete, Lieder zu singen. Die Lieder wirkten anders, als wenn sie auf Polnisch oder Russisch gesungen wurden. Nicht, dass er etwas gegen polnische oder russische Lieder gehabt hätte, aber er fand die englische Sprache irgendwie spannender. Vielleicht einfach auch nur deshalb, weil sie neu für ihn war, die Klangfarbe, die Phonetik. Für ihn klang es jedenfalls so, als ob ihm die Musik mit einem englischen Text eine neue Dimension eröffnete, und so fasste er einen Entschluss. Er wollte seine Lehrerin überraschen.

Am Ende eines jeden Schuljahres gab es eine große Schulaufführung, für die alle Klassen etwas einstudieren mussten. Das war keine kleine Angelegenheit, denn die Schulaufführung fand in der großen Aula statt, und es waren alle Eltern, das Lehrerkollegium und auch der Schuldirektor anwesend.

Piotrek meldete sich schon Monate vorher freiwillig und bot an, ein Lied zu singen, aber er stellte eine Bedingung. Es sollte eine Uraufführung sein, und niemand dürfe das Lied vorher hören. Er wolle deshalb auch nicht zu den Proben erscheinen. Und er wolle als Letzter auftreten.

Alicenka stimmte nur zögernd zu, denn sie wollte sich als verantwortliche Lehrerin auf keinen Fall blamieren, wohl wissend, dass die Elternschaft, das Kollegium und der Bürgermeister sehr konservativ waren. Am Ende überwog die Freude über den einzigen Schüler, der sich freiwillig für eine Aufführung gemeldet hatte.

Als sich das Schuljahr dem Ende zuneigte, probten alle Kinder wochenlang, und dann war es so weit – die große Schulfeier fand statt. Es war ein gelungenes Programm, bei dem ein Märchen von Kazimierz Władysław Wóycicki aufgeführt wurde, «Hasenherz», an dem sich alle Klassen der Grundschule beteiligt hatten.

Als die Aufführung vorbei war, klatschte die ganze Aula begeistert. Alle waren zufrieden, auch der Schuldirektor. Nun ging Alicenka auf die Bühne und kündigte den kleinen Piotrek, sozusagen als Höhepunkt des Programms, an. Piotrek habe etwas ganz Besonderes getan, nämlich ein eigenes Lied geschrieben, das er heute und hier vor dem ehrenwerten Publikum uraufführen wolle. Ein Raunen ging durch den Saal, und alle waren gespannt, was nun kommen würde.

Und da kam der kleine Piotrek. Er trug eine Perücke mit langem schwarzen Haar und hatte sich die Augen so geschminkt wie seine Lehrerin Alicenka: schwarz umrandet mit einem Kohlestift und zusätzlich noch einem senkrechten schwarzen Strich nach oben und nach unten. Sein Oberkörper war nackt, und er trug eine enge schwarze Hose. Um den Hals hing zum Entsetzen der Anwesenden eine kleine Schlange, deren Kopf er mit beiden Händen festhielt.

Ohne Zögern trat er nach vorne, stellte sich breitbeinig vor das Publikum und fing an zu singen – auf Englisch:

School’s out for summer

School’s out forever

School’s been blown to pieces

 

No more pencils no more books

No more teacher’s dirty looks

 

Well, we got no class

And we got no principals

We ain’t got no innocence

We can’t even think a word of rhymes

 

School’s out for summer

School’s out forever

My school’s been blown to pieces

 

(Quelle: Lyrics.com)

Piotrek hüpfte dabei in wilden Bewegungen auf der Bühne herum und hielt sich den Kopf der Schlange vor den Mund, als wäre er ein Mikrophon. Die Schlange wand sich dabei um seinen Hals. Es war ein skurriles Bild, und als Piotreks Vortrag geendet hatte, war es totenstill in der Aula. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Bis plötzlich jemand anfing zu klatschen. Es war der Schuldirektor. Nicht dass es ihm gefallen hätte, aber er wusste, dass niemand in Zabrze Englisch konnte außer ihm und Alicenka, und er wollte sich keinesfalls blamieren. Er war ja immerhin der Schuldirektor und für die Schule verantwortlich. Als nun der Schuldirektor klatschte, klatschten auch die anderen, und die Kinder stürmten auf die Bühne – sie hatten übrigens kein Wort verstanden, wollten aber die Schlange aus nächster Nähe sehen.

So blieb der Auftritt von Piotrek allen im Gedächtnis als «szalona piosenka z wężem»(«der verrückte Schlangensong»). Es war übrigens das letzte Mal, dass ein Schüler einen Beitrag zur Aufführung gestalten durfte, ohne dass die Lehrerschaft wusste, was aufgeführt werden sollte. Alicenka allerdings bekam das Angebot einer amerikanischen Grundschule, dort zu unterrichten. Es hieß, der Schuldirektor sei daran nicht ganz unbeteiligt gewesen. Sie wanderte nach Amerika aus, führte dort ein wildes Leben unter dem Namen Alicenka Cooper und zog ihren Enkel, den unehelichen Sohn ihrer Tochter, auf, den sie Alice Cooper nannte, da sie lieber eine Enkelin gehabt hätte. Alice wollte die Geschichte mit dem Schlangensong immer und immer wieder hören, er konnte gar nicht genug davon bekommen. Warum dem so war, stellte sich erst sehr viel später heraus.

Piotrek Popolski und die Erfindung der Popmusik

Als sich die Schulzeit dem Ende zu neigte, drohte der Familienfrieden erneut in Gefahr zu geraten. Während seine drei Geschwister in die Fußstapfen des Vaters traten und ihm bei seiner Arbeit halfen, war der junge Piotrek bereits an einfachsten Aufgaben gescheitert und hatte sich als völlig untauglich für den Beruf des Wodkalieferanten erwiesen. Mal hatte er die Kutsche nicht richtig beladen, sodass die Flaschen herunterfielen und auf dem Kopfsteinpflaster zerbarsten, ein anderes Mal hatte er unterwegs die Lieferadresse vergessen und kehrte unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Am meisten ärgerte den Vater jedoch, dass sein jüngster Sohn jede Gelegenheit nutzte, um sich heimlich aus dem Staub zu machen und vor der Arbeit zu drücken. Oft saß er stundenlang unter einem Baum und spielte Mundharmonika.

Die Lage eskalierte, als Piotrek zwei alte Waschzuber mit dünnen Lederdecken bespannte und so zu riesigen Kesselpauken umfunktionierte. Die dumpfen Paukenschläge schallten bald in jeden Winkel des Hauses. Als er zu guter Letzt Teile der Badezimmerarmaturen abschraubte und zu einer monströsen Ventiltrompete umbaute, riss dem entnervten Vater endgültig der Geduldsfaden.

Die erste dreiköpfige Trompete der Musikgeschichte.

Es musste dringend ein anständiger Beruf für den schwierigen Sohn gefunden werden. Zu Hause konnte er auf keinen Fall länger bleiben. So entschied Adalbert Popolski, dass Piotrek eine Stelle als Kirchenkantor in der kleinen Gemeinde der Nachbarstadt Pyskowice antreten solle. Das war einer der wenigen Berufe, in denen man mit Musik zumindest etwas Geld verdienen konnte.

Die Eltern waren der Auffassung, dass eine solche Tätigkeit für die charakterliche Festigung ihres Sohnes wichtig wäre. Sie hofften insgeheim, dass der erzieherische Einfluss des strengen Pfarrers helfen würde, den renitenten Jungen auf den richtigen Weg zu bringen.

Wie dem auch sei, Piotrek arbeitete von nun an als Kantor in der Kirche St. Stanislaus in Pyskowice und hatte die Aufgabe, den Kirchenchor «Capella crucis» zu leiten und bei der Messe die Orgel zu spielen.

Piotrek war davon zunächst wenig begeistert. Er war nicht besonders gläubig, der alte Pfarrer galt als sturer Kopf, und die Aussicht, einen Kirchenchor zu leiten, war für ihn wenig verlockend. Außerdem war er inzwischen ein junger Mann, und sein Interesse für das weibliche Geschlecht war erwacht. Viel lieber hätte er noch eine Weile in den Tag hinein gelebt, auf seiner Trompete gespielt und den Dorfschönheiten seiner alten Heimatstadt hinterhergeschaut.

Doch schon die erste Chorprobe belehrte ihn eines Besseren. Entgegen seiner Erwartung bestand der Kirchenchor nicht nur aus betagten Gemeindemitgliedern, Großmüttern und senilen Greisen, sondern es befanden sich einige durchaus attraktive Sängerinnen darunter, die das Herz des jungen Kantors höher schlagen ließen. Und das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit.

War sein Vorgänger ein alter, glatzköpfiger Griesgram gewesen, der die alten Kirchenlieder missmutig runternudelte und keinerlei Freude an der Musik zu haben schien, so begann nun eine neue Zeit. Der junge Kantor sprühte vor Energie, liebte Musik, unterlegte die alten Lieder mit feurigen Mazurka- oder Polka-Rhythmen und verhalf ihnen so zu ungewohntem Schwung.

Pawel Popolski

Der musikalische Faszination, der von der Opa ausging, war der eine Sache … Man kann aber ohne Ubertreibung sagen, er chatte eine milostka (Techtelmechtel) mit jeder zweite Sopranistin von Pyskowice!

Piotreks Wirken führte ziemlich bald dazu, dass der Kirchenchor enormen Zuspruch fand und die Zahl der Mitglieder, genauer gesagt der weiblichen Mitglieder, von Tag zu Tag stieg. Bei jeder Probe mussten weitere Stühle herbeigeschafft werden, um den neuen Sängerinnen Platz zu bieten. Schließlich war man gezwungen, einen Aufnahmestopp zu verhängen, da der Chor stimmlich aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte.

Dorota Popolski

Der Weiber brullten alles nieder. Sie sangen wie verruckt unter der Leitung von der Opa. Von der Tenore chat man praktisch nichts mehr gechort …

Manche hielten Piotreks, hm, sagen wir, «unkonventionelle Chorleitung» für die Ursache des Mitgliederanstiegs, andere wiederum sahen den Grund in seinen Parodien, mit denen er die Proben gerne eröffnete. Bevorzugtes Ziel seines Spotts war dabei ausgerechnet der alte Pfarrer, dessen näselnde Stimme er täuschend echt imitieren konnte und den er auf diese Weise – natürlich in seiner Abwesenheit – anzügliche Scherze erzählen und schlüpfrige Lieder singen ließ, was dem Pfarrer allerdings nicht lange verborgen blieb.

Piotreks Wirken als Kirchenkantor gipfelte am Ende des dritten Jahres seiner Tätigkeit, genauer gesagt am 22. März 1908, in einem Skandal, der nicht nur seine Karriere als Kirchenkantor beendete, sondern auch zu einer Versetzung des Pfarrers führte und darüber hinaus auch in die denkwürdige Geschichte der Pfarrfeste von Pyskowice einging.

Wie jedes Jahr feierte nämlich die Gemeinde am dritten Wochenende im März ihr Pfarrfest, das sich allergrößter Beliebtheit erfreute. Bereits um die Mittagszeit begannen die Vorbereitungen.