Der Feind aus dem Dunkeln - Annie Hruschka - E-Book

Der Feind aus dem Dunkeln E-Book

Annie Hruschka

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Beschreibung

Sonst war alles totenstill draußen. Rosner starrte nach dem Schuppen, dessen Tür offen stand. Wer konnte sie geöffnet und das Licht aufgedreht haben? Wie als Antwort auf seine Gedanken sah der Hauswart jetzt die Gestalt seines Herrn aus dem offenen Schuppen treten und über den Kiesplatz auf die Villa zukommen. »Seltsam,« dachte Rosner, »warum dreht er nur das Licht nicht ab und läßt die Türe hinter sich offen? ... Und wie langsam er geht ...« Da blieb Ingenieur Holzmann, der nur mehr wenige Schritte vom Hauseingang entfernt war, plötzlich stehen und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. »Rosner ... schnell, Rosner ... mir ist nicht gut ...« klang es angstvoll und dringend. Damit sank die Gestalt Holzmanns zu Boden ...

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Annie Hruschka

Der Feind aus dem Dunkeln

Kriminalroman

idb

ISBN 9783961505531

I.

Gerhard Holzmann steckte den Schlüssel in das Torschloß seiner Villa. Ein Griff nach rechts im Innern des Flurs, und das Stiegenhaus lag im hellen Schein des elektrischen Lichtes.

Seine junge Gattin war mit ihm zugleich eingetreten. Jetzt sagte sie, dem Treppenaufgang zuschreitend: »Nun, Gerdy, warum schließt du die Tür nicht wieder ab? Willst du am Ende noch einmal fort?«

»Nein, ich bin wahrlich müde genug! Aber nach dem Schuppen muß ich noch einen Augenblick, um mich zu überzeugen, ob meine Anordnungen ausgeführt worden sind.«

»Muß das sein – jetzt um halb drei Uhr morgens?«

»Ja. Wenn die neue Formmaschine nicht aufgestellt wurde, wie ich anordnete, so wären wir morgen früh bei Arbeitsbeginn aufgehalten. Übrigens komme ich ja in zwei Minuten zurück. Lege dich einstweilen ruhig nieder, Lydia!«

»Ja, auch ich bin todmüde. Auf Wiedersehen, Gerdy!«

Frau Lydia Holzmann stieg die hellerleuchtete Freitreppe hinauf zur ersten Etage und ging durch den geräumigen Korridor zu ihrem Schlafgemach, um sich gleich zur Ruhe zu begeben.

Holzmann war indessen schon draußen am Kiesplatz und schritt eilig einem niedern, schuppenartigen Gebäude zu, das an die ihm gehörende Tonwarenfabrik »Holzmann & Co.« stieß.

Im nächsten Augenblick flammte in den acht großen Fenstern des Schuppens Licht auf, dessen Widerschein grell auf einen Teil der Seitenfront der Villa fiel.

Im Bereich dieses plötzlichen Lichtscheines lagen auch die drei Fenster, die zur Wohnung des Hauswarts Albert Rosner gehörten. Die jähe Helle, die durch die vorhanglosen Fenster sich ins Innere der zwei Stuben ergoß, ließ den alten Hauswart erwachen.

Indes geschah dieses Erwachen so plötzlich, daß Rosner nicht gleich begriff, was geschehen sei. Noch schlafbefangen starrte er verwirrt in die Helle, die jedes Ding im Zimmer deutlich erkennen ließ. Auf der Fabrikuhr schlug es eben ¾3.

Schien der Mond ins Zimmer?

War es Feuerschein?

Brannte am Ende die Fabrik?

Bei dieser Vorstellung wurde Rosner völlig wach. Eilig sprang er aus dem Bett und griff nach seinen Kleidern. Da fiel draußen ein Schuß. Kurz und scharf durchschnitt der Schall die Stille der Nacht.

Was war geschehen? Der Hauswart hatte mit zitternden Händen die Kleider übergeworfen. Ein Sprung brachte ihn ans Fenster, das er instinktiv aufriß.

Gottlob, es war kein Feuerschein, die Fabrik brannte nicht, bloß im Schuppen waren die Lichter aufgedreht, daher die Helle ...

Sonst war alles totenstill draußen.

Rosner starrte nach dem Schuppen, dessen Tür offen stand. Wer konnte sie geöffnet und das Licht aufgedreht haben?

Wie als Antwort auf seine Gedanken sah der Hauswart jetzt die Gestalt seines Herrn aus dem offenen Schuppen treten und über den Kiesplatz auf die Villa zukommen.

»Seltsam,« dachte Rosner, »warum dreht er nur das Licht nicht ab und läßt die Türe hinter sich offen? ... Und wie langsam er geht ...«

Da blieb Ingenieur Holzmann, der nur mehr wenige Schritte vom Hauseingang entfernt war, plötzlich stehen und fuhr sich mit der Hand an die Stirn.

»Rosner ... schnell, Rosner ... mir ist nicht gut ...« klang es angstvoll und dringend.

Damit sank die Gestalt Holzmanns zu Boden.

Der Hauswart war schon draußen, aber er vermochte seinem Herrn nicht aufzuhelfen, der das Bewußtsein verloren zu haben schien und groß und schwer war – viel zu schwer für die schwachen Kräfte des siebzigjährigen Mannes.

Eine Sekunde lang stand er ratlos. Dann stürzte er ins Haus und schlug in der Halle an den Gong, der sonst zu den Mahlzeiten rief. Das mußten alle hören – der Diener Paul, die Hausmädchen und der Autolenker Manko, die alle im Oberstock schliefen.

Rosner selbst stürzte weiter in den ersten Stock. An der Türe des Schlafzimmers trat ihm schon Frau Lydia Holzmann in großer Aufregung entgegen.

Sie war bereits im Bett gelegen, hatte aber, als sie unten Unruhe hörte, ihren Pelzmantel über das Nachtkleid angezogen und fragte nun den ihr entgegeneilenden Hauswart mit bleichen Lippen:

»Rosner – was ist denn geschehen? Warum schlugen Sie den Gong? Und mein Mann ... wo ist mein Mann?«

Der Hauswirt nahm sich zusammen.

»Ich wollte Sie eben holen, gnädige Frau. Dem gnädigen Herrn ist schlecht geworden ... unten vor dem Haus ... ich kann ihn nicht allein heraufschaffen ... darum ...«

Lydia hörte nicht mehr. Sie war schon an dem alten Mann vorüber die Treppe hinabgeflogen. Ihr folgte der Hauswart und vom Oberstock her der Diener.

Gerhard Holzmann war noch immer bewußtlos. Sein Kopf lag in Lydias Schoß, die sich vergeblich bemühte, ihn durch zärtliche Worte wieder zum Bewußtsein zu bringen.

Paul und der Hauswart trugen ihn vorsichtig hinauf und setzten ihn in einen Klubfauteuil.

Lydia legte unterstützend den Arm um ihren Mann. Die gesamte Dienerschaft hatte sich bereits eingefunden und blickte von der Tür her halb mitleidig, halb neugierig auf die Gruppe.

Plötzlich stieß Frau Lydia einen Schrei aus. Ihre Hand hatte an der Brust des Gatten in etwas Nasses getastet und war dabei rot von Blut geworden ...

Da erst erkannte man, daß es sich nicht um ein einfaches Unwohlsein, sondern um eine Verwundung – und zwar offenbar um eine schwere – handelte ... Man bettete Holzmann auf das Sofa.

Die Erkenntnis gab Frau Lydia ihre gewohnte Umsicht wieder. Sie befahl Paul, sofort nach dem Hausarzt, einem Rettungswagen und dem Spital zu telephonieren. Letzteres, weil vielleicht ein chirurgischer Eingriff sich als nötig erweisen würde. Dann winkte sie dem Autolenker.

»Herr Wanko, ich weiß, Sie dienten während des Krieges bei der Sanitätstruppe; bitte, helfen Sie mir! Man muß ihn doch von den Kleidern befreien ... und sehen, was eigentlich ...« Ihre Stimme schwankte. Doch nahm sie sich zusammen und holte die Schere, um die Wanko ersuchte.

Vorsichtig wurden Kleider und Hemd um die Wunde herum weggeschnitten. Diese war ganz klein, wie man auf den ersten Blick erkannte, eine Schußwunde. Kleider und Wäsche in ihrer Umgebung waren stark mit Blut getränkt.

»Müßte man nicht auch an die Polizei telephonieren?« sagte der Autolenker leise zu Frau Lydia. Sie sah ihn einen Augenblick erschrocken an, wurde noch bleicher, als sie schon war, antwortete dann aber entschlossen: »Ja, natürlich. Bitte, tun Sie es, Herr Wanko ... und, bitte, telephonieren Sie auch an Herrn Henter. Er soll sofort hieherkommen!«

Hartwig Henter war Holzmanns bester Freund und schon vor dessen Verheiratung sein unzertrennlicher Begleiter gewesen. Auch heute hatte er den Abend in Gesellschaft des jungen Paares verbracht, und es war kaum eine Stunde verflossen, seit man sich getrennt hatte.

Während Wanko sich entfernte und Lydia angstvoll auf den Arzt wartete, schlug der Verwundete die Augen auf, aber nur, um sie mit leerem Blick auf Lydia zu heften und dann sofort wieder zu schließen.

Paul, der seinen Platz am Telephon Wanko überlassen hatte, trat zu seiner Herrin, um leise Bericht zu erstatten.

»Dr. Wille wird sogleich eintreffen, gnädige Frau. Vom Spital aus wird ein Krankenauto geschickt und gleichzeitig ein Zimmer für den gnädigen Herrn bereitgemacht. In einer kleinen halben Stunde wird das Krankenauto mit einem Arzt hier sein. Wäre es nicht Nacht, würde es schon früher hier sein können, so aber müssen die Leute erst geweckt werden ...«

Frau Lydia hörte kaum hin. Ihr scharfes Ohr hatte auf der Treppe einen raschen, wohlbekannten Tritt vernommen, und im nächsten Augenblick trat zu ihrer unaussprechlichen Erleichterung Dr. Wille ein, der schon in ihrem Elternhaus Hausarzt gewesen war und ihr unbedingtes Vertrauen einflößte.

Er war ein alter Junggeselle, der nur für seine Patienten lebte und im eigenen Haus wohnte, das ganz nahe bei der Villa Holzmann lag.

Lydia konnte ihm nicht entgegengehen, denn noch immer lag ihr Arm stützend um den Oberkörper des Bewußtlosen, und sein Kopf ruhte schwer darauf.

Der Arzt frug leise, was denn eigentlich geschehen sei, und Frau Lydia erzählte im Flüsterton, was sie wußte. Dann machte Dr. Wille sich daran, den Verwundeten vorsichtig zu untersuchen und ihn in bequemere Lage zu bringen. Frau Holzmann konnte sich erheben und ihren steif gewordenen Arm zurückziehen.

»Ein Lungenschuß,« murmelte der Arzt, nachdem er die vorläufige Untersuchung beendet hatte. »Die Kugel steckt noch irgendwo. Ich würde sofortige Überführung ins Spital vorschlagen, denn vielleicht erweist sich ein operativer Eingriff als nötig.«

»Ich dachte es,« sagte Frau Lydia, die kurz vor ihrer Verheiratung einen Krankenpflegerinnenkurs besucht hatte. »Ich ließ deshalb bereits an das Landeskrankenhaus telephonieren, und man will uns ein Krankenauto schicken.«

»Das ist gut! Warten wir also!«

Frau Lydia legte die Hand auf den Arm des Arztes und sah ihn qualvoll an. »Aber nicht wahr, ... es ist doch Hoffnung, daß ... daß alles wieder gut wird?« flüsterte sie mit zuckenden Lippen.

»Na, gewiß hoffen wir das! Ein so junger, kerngesunder Mann! Nur den Kopf nicht hängen lassen, Frau Lydia!«

In diesem Augenblick vernahm man abermals Schritte draußen. Von Paul geleitet, traten einige Herren ein, begleitet von zwei Wachleuten. Einer der letztern blieb an der Türe stehen.

»Polizeikommissar Heidinger, Dr. Lerch, Polizeiarzt, und Detektiv Silas Hempel,« stellte der Kommissar sich und seine Begleitung vor.

Der Arzt machte sie mit dem, was er von Frau Holzmann soeben erfahren hatte, bekannt. Kaum war das letzte Wort verklungen, als die Tür abermals geöffnet wurde, und ein junger, elegant gekleideter Herr sich trotz des Widerstands des Schutzmanns an der Türe ungestüm Eintritt erzwang.

Ohne die Herren von der Polizei zu beachten, warf er einen entsetzten Blick aus den auf den: Sofa ruhenden, noch immer bewußtlosen Hausherrn und eilte dann auf Frau Holzmann und den neben ihr stehenden Dr. Wille zu.

»Lydia ... um Gottes willen, was ist geschehen? Gerdy ist ... was ist ihm denn zugestoßen?«

Frau Holzmann reichte ihm zitternd die Hand. »Irgend jemand hat auf ihn geschossen ... unten im Schuppen ... gleich nach unserer Heimkehr ... mehr weiß ich selber nicht! O Hartwig ... es ist so entsetzlich ...! Ich bin so froh, daß Sie gleich gekommen sind ... es ist mir eine Beruhigung, daß Sie da sind! Gerdy muß ins Spital geschafft werden ...«

»Darf ich fragen, wer der Herr ist?« unterbrach der Polizeikommissar das Gespräch.

Lydia wandte sich nach ihm um.

»Verzeihen Sie ... ich habe ganz vergessen ... Herr Hartwig Henter, der beste Freund meines armen Mannes.«

Abermals wurde die Türe geöffnet. Paul führte einen jungen Mann herein.

»Dr. Siebert, der Arzt aus dem Krankenhaus, der eben mit dem Krankenauto kam.«

Ohne Zögern trat er an den Kranken heran, der in diesem Augenblick abermals die Augen aufschlug, diesmal nicht mit leerem Ausdruck, sondern bei vollem Bewußtsein. Sein Blick suchte an dem jungen Arzt vorüber nach seiner Frau, die dicht daneben stand. Er sah sie an und blickte dann zu Dr. Wille und Hartwig Henter. Er machte dabei eine Anstrengung, als wolle er sprechen, was den Polizeikommissar veranlaßte, sich rücksichtslos vorzudrängen und seinen Kopf zu Holzmann niederzubeugen, um den ersten Laut von den sich bewegenden Lippen aufzufangen.

Aber es kam keine Silbe von diesen Lippen, die sich nach kurzem Bemühen wieder erschöpft und verzweifelt schlossen.

Die Ärzte drängten den Kommissar unwillig beiseite.

»Sie sehen wohl, daß der Verwundete nicht sprechen kann, Herr Kommissar. An eine Vernehmung ist also vorderhand gar nicht zu denken,« sagte Dr. Wille scharf.

»Und wann glauben Sie ...?«

»Darüber müssen Sie später im Krankenhaus den behandelnden Arzt fragen. Jetzt läßt sich absolut nichts sagen.«

Dr. Siebert hatte inzwischen die Tür geöffnet und zwei mit einer Tragbahre davor stehende Sanitätsdiener hereingewinkt.

Behutsam, mit geübten Händen betteten sie Holzmann darauf und trugen ihn auf einen weitern Wink des jungen Arztes hinaus.

Jetzt kam Leben in Frau Holzmann. Sie wollte durchaus mit ins Spital, und alles Zureden Dr. Willes verhallte ungehört an ihrem Ohr. Dr. Siebert aber flüsterte diesem zu: »Lassen Sie sie keinesfalls mit, sie würde dem Kranken ja doch nichts nützen und uns nur hinderlich sein.«

Hartwig Henter hatte es gehört. Rasch entschlossen trat er dicht an Lydia heran.

»Liebe Lydia, seien Sie vernünftig, es ist ganz unmöglich, daß Sie Gerdy ins Spital begleiten. Aber ich werde mit ihm fahren und ich schwöre Ihnen, daß Sie selbst ihn nicht besser und treuer pflegen könnten, als ich es tun werde!«

Er drückte ihr die Hand wie zur Bekräftigung seiner Worte und eilte rasch dem jungen Arzte nach, der den Transport des Verwundeten überwachte.

Eine Minute später hörte man die Hupe des abfahrenden Autos heraufklingen. Lydia blickte verstört um sich. Alles drehte sich vor ihr, und ein schwarzer Schleier breitete sich vor ihren Augen aus. Lautlos sank sie auf das Sofa. Eine Ohnmacht beraubte sie der Qual weiteren Denkens.

II.

Während sich dies im ersten Stockwerk der Villa abspielte, stand der in Begleitung des Polizeikommissars gekommene Detektiv Silas Hempel längst mit dem Hauswart unten in der offenen Türe des Schuppens.

Silas Hempel, der später weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus berühmt gewordene Privatdetektiv, stand damals noch am Anfang seiner Laufbahn und arbeitete im Dienst der Polizei. Eigentlich war er in Wien angestellt; da aber die G...r Behörde infolge einer Grippeepidemie vorübergehend gerade ihrer fähigsten Leute beraubt war, während anderseits dringende Fälle einer raschen Erledigung harrten, so hatte man in Wien um Zuweisung einiger tüchtiger Leute gebeten, ein Ersuchen, dem umgehend willfahrt wurde.

Unter den vorübergehend der G...er Polizeidirektion zugeteilten Beamten befand sich dann auch Silas Hempel, der sich trotz seiner Jugend bereits den Ruf eines klugen und findigen Kopfes erworben hatte.

Nachdem er oben den Bericht des Hausarztes aufmerksam mitangehört, einen scharfen prüfenden Blick auf den Bewußtlosen und seine Umgebung geworfen hatte, verließ er still und unbemerkt das Zimmer, um sich nach dem Schauplatz der Tat, dem Schuppen, zu begeben, wo der Hauswart eben das Licht ausdrehen und die Tür schließen wollte, als ihn das Erscheinen des Detektivs daran verhinderte.

»Sie sind, wie ich vermute, der Hauswart Rosner?« begann Hempel das Gespräch.

»Ja, der bin ich ...«

»Und Sie waren der erste Mensch, der Herrn Holzmann beisprang nach dem Unglück? Wollen Sie mir so genau und ausführlich als möglich erzählen, welche Wahrnehmungen Sie dabei machten?«

Bereitwillig berichtete der alte Mann alles von seinem plötzlichen Erwachen an bis zu dem Augenblick, wo er mit Pauls Hilfe seinen Herrn ins Wohnzimmer hinauf geschafft hatte.

»Sie hörten also den Schuß, der Ihren Herrn verwundet hat? Waren Sie sich klar darüber, aus welcher Richtung der Schall kam?«

»Nein, ich dachte auch gar nicht darüber nach, meine Gedanken waren nur mit dem Schuppen beschäftigt, in dem ich zu so ungewöhnlicher Stunde alles hell erleuchtet sah.«

»Hm, ja – es war ja Viertel vor drei Uhr morgens. Aber nun besinnen Sie sich noch einmal auf den Schuß, den Sie hörten. Klang es so, als wäre er im Freien abgegeben worden – etwa hier am Kiesplatz – oder als wäre er drin im Schuppen gefallen? – Sie verstehen – das müßte doch einen bedeutenden Klangunterschied ergeben!«

Der Hauswart überlegte. Dann sagte er nachdrücklich: »Ja, ich verstehe und ich bin nun ganz sicher, daß der Schuß im Innern des Schuppens fiel. Hier draußen hätte er ganz anders, lauter erklingen müssen. Der Schall war kurz und scharf, erstarb aber sofort ohne Echo oder Nachklingen, wie es im Freien gewiß der Fall gewesen wäre. Niemand sonst im Haus hat den Schuß vernommen, was mir gleich auffiel; auch war der gnädige Herr sicherlich schon verwundet, als er aus dem Schuppen trat, denn ich wunderte mich, daß er sehr langsam ging, wie wenn ihm jeder Schritt Mühe machte.«

»Welche Zeit verstrich zwischen dem Schuß und dem Augenblick, als Herr Holzmann aus dem Schuppen trat?«

»O, höchstens eine Minute!«

»Bemerkten Sie außer Herrn Holzmann noch eine Person, die den Schuppen verließ?«

»Nein, wenigstens nicht, so lange ich mich außerhalb des Hauses befand. Was später geschah, weiß ich nicht.«

»Und jetzt, als sie herabkamen, um den Schuppen zu verschließen, betraten oder durchsuchten Sie da denselben?«

»Nein, denn da das Licht brannte, konnte ich den ganzen Raum in allen Teilen genau übersehen. Er war völlig leer, bis auf die paar Maschinen, die darin stehen.«

»Es steht also fest,« faßte Hempel das Ergebnis zusammen, »daß der Schuß im Innern des Schuppens auf Herrn Holzmann abgegeben wurde, daß sich der Mörder zur Zeit, als der Ingenieur den Raum verließ, noch darin befand, daß er aber bereits fort war, als Sie kurz darauf herabkamen, um den Schuppen zu verschließen?«

»Ja, so muß es gewesen sein.«

»Welche Bedeutung hat der Schuppen für die Fabrik? Übrigens ist es ja gar kein Schuppen, sondern ein festes Gebäude ...«

»Das ist es erst seit einem halben Jahr. Früher war es ein einfacher Holzschuppen, in dem Gerümpel untergebracht war. Als sich aber die Arbeitsräume in der Fabrik zu klein erwiesen für den erhöhten Betrieb, ließ Herr Holzmann den Schuppen aufmauern, mit elektrischem Licht versehen und stellte darin ein paar besonders heikle Maschinen auf, die der verfeinerten Ausführung bestimmter Erzeugnisse dienen.«

»Der Raum steht mit der Fabrik durch eine Tür in Verbindung?«

»Ja, aber diese ist stets versperrt, und nur Herr Holzmann, der allein den Schlüssel dazu hat, benützt sie zuweilen. Dies deshalb, weil das verfeinerte Verfahren wie auch die dazu verwendeten kleinen Maschinen seine eigene Erfindung sind. Das Verfahren ist zur Zeit noch nicht patentiert, also Geheimnis, und nur fünf als gewissenhaft erprobte Arbeiter sind dabei beschäftigt. Gestern kam eine neue Maschine, die heute in Gebrauch genommen werden sollte. Da denke ich mir, Herr Holzmann, der mit seiner Frau spät heimkam, wollte sich vielleicht noch überzeugen, ob bei der neuen Maschine alles in Ordnung sei.«

»Möglich, daß dies die Veranlassung zu dem späten Besuch im Schuppen war, aber dies ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, daß sich die Spuren des Menschen, der auf den Ingenieur geschossen hat, im Schuppen finden. Ich werde den Raum also einstweilen absperren und später wiederkommen. Übrigens – ist denn kein Hund im Haus?«

»Doch, Herr Holzmann hat kürzlich einen Schäferhund angeschafft, weil er meinte, es wäre gut, die Fabrik nachts durch einen Hund gegen Einbrecher bewachen zu lassen. Wenn die Leute wüßten, daß ein Hund da sei, ließen sie sich oft schon dadurch abschrecken.«

»Und dieser Hund? Läuft er frei herum?«

»Ja, sein Lager ist dort in der Ecke zwischen Schuppen und Fabrik, wo ich ihm einige alte Decken über Stroh legte. Sie können ihn von hier aus liegen sehen.« Der Hauswart rief den Hund, der sogleich schweifwedelnd herankam.

Es war ein junges, schönes Tier.

»Und der Hund hat nachts nicht angeschlagen? Wo doch ein fremder Mensch in den Schuppen eindrang?«

»Nein, ich hörte keinen Laut von ihm und fand ihn vorhin ganz ruhig schlafend auf seinem Lager.«

»Seltsam!«

»Ja, ich wunderte mich auch, aber dann erklärte ich es mir damit, daß Robby noch sehr jung ist und keine Dressur hat.«

»Immerhin – der natürliche Instinkt müßte ...«

Der Detektiv sprach nicht weiter, war aber sehr nachdenklich geworden. Schweigend versperrte er den Schuppen, nachdem er das Licht abgedreht hatte, steckte den Schlüssel in seine Tasche und verlangte dann noch, daß der Hauswart ihm die Fabrik aufsperre.

Er müsse sich selbst überzeugen, ob die Tür vom Schuppen dahin wirklich versperrt gewesen in dieser Nacht.

Die Tür erwies sich als versperrt und völlig intakt. Durch sie also konnte der Mörder nicht in den Schuppen eingedrungen sein.

Inzwischen hatte Kommissar Heidinger, nachdem man die ohnmächtige Lydia in ihr Schlafzimmer geschafft und sie dort Dr. Wille und ihrer Jungfer überlassen hatte, die Dienerschaft im Eßzimmer zusammengerufen und jede Person einzeln einem Verhör unterworfen.

Es waren außer der Jungfer Rosa und dem Hauswart sechs Personen, die alle bereits seit der vor zwei Jahren erfolgten Verheiratung des Ehepaares Holzmann im Hause angestellt waren.

Über den Hergang des Verbrechens wußte keines von ihnen auch nur die geringste Aufklärung zu geben. Denn alle hatten in tiefem Schlaf gelegen, bis zu dem Augenblick, wo Rosner an den Gong geschlagen.

Was aber die Verhältnisse und Gepflogenheiten im Haus anbetraf, so gaben sie willig jede Auskunft und zeigten sich auch sonst in den Angelegenheiten ihrer Herrschaft sehr unterrichtet.

Was Kommissar Heidinger aus diesen Einvernehmungen erfuhr, war ungefähr folgendes:

Lydia, die einzige Tochter eines ehemaligen Offiziers, des Majors von Marchstätten, hatte den Ingenieur Holzmann vor drei Jahren auf einem Unterhaltungsabend im Militärkasino kennengelernt, und beide verliebten sich sogleich ineinander. Aber obwohl Holzmann sehr tüchtig und von Haus aus vermögend war – er gehörte der Tonwarenfabrik seines Vaters als Teilhaber an – waren Marchstättens doch von Anfang an gegen die Wahl ihrer Tochter.

Selbst vermögend und aus einem alten Adelsgeschlecht stammend, fanden sie, daß Lydia viel höhere Ansprüche zu stellen berechtigt war, als die Gattin eines einfachen Ingenieurs und kleinen Fabrikmitbesitzers zu werden, der eigentlich gar nicht ihren Kreisen angehörte. Auch behaupteten sie, der junge Mann, der ernst und strebsam, aber zugleich von trockener Nüchternheit sei und keinerlei Interessen außerhalb seines Berufes habe, passe durchaus nicht zu ihrer lebenslustigen, verwöhnten und in der Gesellschaft so gefeierten Tochter.

Es gab deshalb viele stille Kämpfe zwischen den Eltern und der verliebten Tochter, und man unternahm zahllose Versuche, Lydia von dieser Heirat abzubringen. Aber die Liebe Lydias hielt allem stand, und nach einem Jahr hatte sie doch die Einwilligung der Eltern erkämpft, und ihre Hochzeit mit Gerhard Holzmann fand statt. Kurz danach starb Gerhards Vater, und jener trat in den Alleinbesitz der Fabrik, der er mit Leib und Seele angehörte und die er nunmehr allmählich immer mehr vergrößerte.

Die junge Ehe ließ sich anfangs sehr glücklich an, solange nämlich Holzmann sich ganz den Neigungen seiner Frau anpaßte. Es wurde ein großes Haus gemacht, und wenn man nicht selbst Gäste hatte, suchte man auswärts Zerstreuung. So war es Frau Lydia aus ihrem Elternhaus gewöhnt.

Aber allmählich fand Holzmann keinen Gefallen mehr an diesem bewegten Leben, das ihn viel zu sehr von der Arbeit abzog.

Er sprach mit seiner Frau darüber, aber Lydia konnte nicht ohne Menschen und Zerstreuungen leben. Sie schlug vor, er solle also in Gottes Namen sich in seine Fabrik vergraben und sie werde mit ihren Eltern ausgehen wie früher.

Das aber lehnte er schroff ab. Er hatte sie viel zu lieb, um bei einem solchen Vorschlag nicht vor Eifersucht rasend zu werden. Und da sie nicht nachgab und er nicht in ihre Vorschläge willigte, setzte es in letzter Zeit viel Streit und Szenen ab. Alle Hausangestellten vom Hilfsmädchen in der Küche bis zum Autolenker Wanko waren oft Zeugen davon gewesen, aber alle gaben auch einmütig zu, daß sich das junge Paar nachher doch immer wieder aussöhnte und im Grunde sehr lieb hatte.

Wenn es manchmal ganz schlimm wurde, nahm Hartwig Henter die Sache in die Hand und brachte dann immer wieder das schönste Einvernehmen zwischen den Ehegatten zustande.

Hartwig Henter war Holzmanns bester Freund seit den Kindertagen. Henter besaß keine Eltern mehr und war arm. Ingenieur wie sein Freund, war sein Name durch eine flugtechnische Erfindung bekannt geworden, doch hatte er sich danach nicht, wie man allgemein erwartete, dem Flugwesen zugewandt, sondern ein Bureau für bautechnische Arbeiten in der Stadt eröffnet. Er galt als sehr tüchtig und genial und bekam so viel zu tun, daß er bald alle Hände voll Arbeit hatte und ein schönes Stück Geld verdiente.

Henters Bureau lag in der Nähe von Holzmanns Fabrik, und bis zu dessen Verheiratung hatten die Freunde jede freie Stunde gemeinsam verbracht. Später beschränkte sich der Verkehr beider auf die Abende und arbeitsfreien Tage. Henter verstand sich auch mit Frau Lydia sehr gut, und so war es nur selbstverständlich, daß, was immer das junge Paar auch unternahm, der gemeinsame Freund stets mit von der Partie war.

Als indes der Polizeikommissar auf den Strauch schlagend fragte, ob Herr Henter nicht vielleicht auch Frau Lydia besonders den Hof mache, verneinten alle entschieden.

O nein, das sei durchaus nicht der Fall. Er und Frau Holzmann sprächen einander wohl bei den Vornamen an, und diese ziehe Henter bei allen Vorkommnissen zu Rat, aber trotz der Ausnahmestellung, die er im Holzmann'schen Haus einnehme, habe es nie die geringste Vertraulichkeit zwischen ihm und der Frau seines Freundes gegeben. Wenn das je der Fall gewesen wäre, hätte man es sofort bemerken müssen, denn in diesem Hause gäbe es keine Geheimnisse. Sowohl der Herr als die Frau lebten ihr Leben offen vor aller Augen und hätten vor ihren Leuten nie ein Hehl aus ihren gelegentlichen Stimmungen oder Verstimmungen gemacht.

Darum seien sie alle der Herrschaft auch so ergeben, weil sie nie hochmütig als Dienstboten behandelt worden seien, sondern immer freundlich als Hausgenossen, die man für treu erkannt und vor denen man gelegentlich sich auch nicht zu verstellen brauchte, wenn es mal was gäbe.

Auch die Frage, ob Herr Holzmann vielleicht in der Fabrik einen Streit mit einem der Arbeiter gehabt oder sonst einen Feind besessen habe, wurde einstimmig und auf das bestimmteste verneint.

Die Arbeiter in seiner Fabrik seien ihm gerade so ergeben und gingen genau so für ihren Herrn durchs Feuer, wie sie selbst. Man brauche nur die Betriebsräte zu fragen, die würden es bestätigen.

Der Kommissar entließ die Leute endlich und ersuchte darum bei Frau Lydia anzufragen, ob er nun auch sie um eine Unterredung bitten dürfe, was ihm sofort gewährt wurde.

Indes bestätigten Frau Lydias Antworten auf alle gestellten Fragen nur, was der Kommissar bereits gehört hatte.

Es gab keine Geheimnisse im Haus, und Gerhard Holzmann hatte keinen Feind besessen ...

»Aber irgend jemand muß doch auf ihn geschossen, und das muß schließlich auch einen Grund gehabt haben! ...« dachte der Beamte kopfschüttelnd.

III.

Seit vielen Jahren hatte nichts in der Provinzhauptstadt G. solches Aufsehen erregt und die Gemüter so nachhaltig beschäftigt wie der Mordanfall auf den Ingenieur Holzmann.

Denn nur ein solcher konnte es gewesen sein.

Täglich brachten die Zeitungen spaltenlange Berichte, und wo Menschen zusammentrafen, wurde kaum etwas anderes besprochen als der Fall Holzmann, der so viel Dunkles, Unbegreifliches enthielt und gerade darum der Phantasie so weiten Spielraum ließ.

Man bedauerte die arme junge Frau, die nach kurzem Eheglück so jäh aus allen Himmeln gerissen worden war, man bewunderte in Hartwig Henter das Ideal eines aufopfernden Freundes, denn er war seit dem Unglück noch keinen Augenblick von Holzmann gewichen; aber es gab auch Leute, die sich mit vielsagendem Blick allerlei häßliche Dinge zuflüsterten ...

Die Polizei wurde täglich nervöser. Denn über den eigentlichen Hergang des Mordversuches wußte man noch nicht mehr als am ersten Tag. So oft man auch Holzmann darüber befragen wollte – immer wurde der Polizeikommissar von den Ärzten im Spital mit der Erklärung zurückgewiesen: Ingenieur Holzmann sei durchaus nicht vernehmungsfähig, sein Zustand sei sehr ernst, er vermöge derzeit überhaupt noch nicht zu sprechen. So lange er zwischen Tod und Leben schwebe, müsse man alle Besuche ausnahmslos vom Kranken fernhalten.

Selbst den Schwiegereltern, ja sogar Frau Lydia verweigerte man den Eintritt ins Krankenzimmer. Ihren Bitten und Tränen gelang es endlich, in Begleitung des Arztes von der Türschwelle aus wenigstens einen Blick auf den Gatten zu tun.

Aber man schärfte ihr vorher ein, daß ihr Gatte sie dabei durchaus nicht sehen dürfe, weil er sich sonst aufregen würde und jede Erregung tödlich wirken könne.

Die arme Lydia fügte sich in alles und verhielt sich bei dem einseitigen Wiedersehen so tapfer und mäuschenstill, daß ihr Mann wirklich nichts von ihrer Nähe ahnte. Aber er war ihr so schrecklich verändert erschienen, daß sie nachher draußen in Weinkrämpfe verfiel und von den erschrockenen Eltern mit in die elterliche Wohnung genommen wurde.

Dort bekam sie solche Nervenanfälle, daß man sie zu Bett bringen mußte und schleunigst um Dr. Wille telephonierte.

Von ihm erfuhr man dann auch Näheres über Holzmanns Zustand. Man hatte Holzmann damals gleich die Kugel auf operativem Weg entfernt, doch war durch den starken Blutverlust nachher ein beunruhigender Schwächezustand eingetreten, der sich nicht sogleich beheben ließ. Die Kugel hatte die Lunge durchbohrt, und was den Ärzten derzeit am meisten Bedenken verursachte, war die Befürchtung, es könnte durch die Schußverletzung eine Lungenentzündung hervorgerufen werden, in welchem Fall der Kranke verloren wäre.

Diese Gefahr zu beschwören, war unbedingte Ruhe erstes Gebot.

Bange Tage verstrichen. Hartwig Henter, der Tag und Nacht unermüdlich, schweigend und mit größter Hingebung um die Pflege des Kranken bemüht war, hielt sich kaum noch auf den Beinen. 5 Tage und 5 Nächte war er nicht aus den Kleidern gekommen, hatte kaum etwas gegessen, keine Minute geschlafen und fühlte nun selbst, daß er am Ende seiner Kräfte war.

Trotzdem konnte er sich nicht entschließen, seinen selbstgewählten Posten zu verlassen und ihn wenigstens vorübergehend einer Pflegeschwester zu übergeben, um sich ein wenig auszuruhen, ehe Holzmanns Zustand sich nicht gebessert hatte.

Am sechsten Tag endlich trat diese sehnsüchtig erwartete Wendung zum Bessern ein. Holzmann schien frischer, er nahm zum erstenmal ohne Widerwillen etwas flüssige Nahrung, die man ihm einflößte, und sagte, dem Freund die Hand drückend, ohne besondere Anstrengung: »Danke dir, Hartwig!«

Er sprach dann auch mit dem Arzt und verlangte nach seiner Frau, die sofort von der Besserung und dem Wunsch ihres Mannes verständigt wurde.

Henter, der sich endlich entschlossen hatte, für einen Tag sein Amt Schwester Angela zu übergeben, begab sich nach seiner Wohnung.

Lydia durfte eine Viertelstunde bei ihrem Gatten bleiben. Sie strahlte vor Glück, denn sie fand, Gerhard sähe schon viel besser aus, und in ihrem Glück machte sie tausend Zukunftspläne, die alle darin gipfelten, daß sie fortan nicht mehr in Gesellschaft gehen, sondern nur allein für ihren Gerdy leben wolle ...

Da die Nacht nachher gut verlief und dem Kranken das Sprechen nicht geschadet hatte, auch die Heilung der Wunde einen guten Verlauf zeigte, gestattete man am nächsten Tag endlich auch dem Polizeikommissar eine Unterredung mit dem Kranken.

Am folgenden Tage durfte Lydia, die eben gekommen war, auf Wunsch ihres Mannes der Einvernahme beiwohnen. Sie war wohl ebenso gespannt wie der Kommissar, nun endlich zu erfahren, wie und durch wen ihr Gatte die schwere Verletzung erlitten habe.

Aber seine Mitteilungen enttäuschten sehr. Holzmann erzählte, wie er in jener Nacht den Schuppen, dessen Schlüssel er bei sich trug, nur betrat, um sich zu überzeugen, ob man die neue Maschine genau seinen Anweisungen entsprechend aufgestellt habe.

»Als ich eintrat,« berichtete er, »drehte ich zuerst das Licht an, dessen Schalter sich rechts unmittelbar neben der Tür befindet. Der Raum war nun taghell beleuchtet, und ich erblickte zu meiner Überraschung am linken Seitenfenster einen fremden Menschen, der, mir zugekehrt, mich stumm anstarrte.

›Was tun Sie hier?‹ fragte ich scharf. Der Mann antwortete keine Silbe, erhob aber die Hand, in der ich erst jetzt einen Revolver blitzen sah, und schoß auf mich. Ich fühlte, daß ich getroffen war, und da ich keine Waffe bei mir hatte und auch auf Hilfe von außen nicht rechnen konnte, sah ich mein Heil nur in schleuniger Flucht.

Ich wandte mich also um und verließ den Schuppen, was indes nicht so rasch ging, als ich wünschte, denn ich fühlte mich plötzlich sehr elend und unsicher und hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten.

Knapp vor der Tür strauchelte ich und fiel zu Boden, raffte mich aber rasch wieder auf. Alles in mir drängte instinktiv fort von dem unheimlichen Menschen, der regungslos auf seinem Platz stehengeblieben war und mich nur mit den Augen, die hell und scharf wie Stichflammen nach mir zuckten, verfolgte.

Nur fort aus dem Schuppen ... hinaus auf den dunklen Vorplatz, wo er mich nicht mehr sehen konnte ...

Endlich war ich draußen und schwankte auf die Villa zu, um Leute zu holen. Aber mir war todübel. Wie eine Vision sah ich den Hauswart an einem offenen Fenster stehen.

›Rosner,‹ rief ich, ... ›schnell Rosner ... mir ist nicht gut ...‹ Da vergingen mir auch schon die Sinne und ich stürzte zu Boden.«

Der Kommissar starrte den Sprecher ungläubig an.

»Wie – das ist alles? Er schoß auf Sie, ohne daß vorher ein Streit oder Wortwechsel stattfand?«

»So war es. Meine Frage an ihn waren die einzigen Worte, die fielen, und seine Antwort war der Schuß.«

»Und wer war der Mann?«

»Ich habe ihn nie zuvor gesehen!«

»Wie sah er aus?«

»Es war ein schlanker, großer, noch junger Mann mit bartlosem Gesicht und unheimlich hellen, stechenden Augen – wenigstens erschienen sie mir in diesem Augenblick seltsam stechend. Auf dem dunklen Haar saß ein weicher, breitkrämpiger Hut. Der Anzug des Menschen, der offenbar besseren Kreisen angehörte, war dunkel und wirkte elegant.«

»Würden Sie den Mann wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?«

»Unbedingt! Sein Bild, wenn ich es auch nur auf Augenblicke sah, hat sich mir durch die Umstände unauslöschlich eingeprägt.«

»Hatten Sie den Eindruck, daß der Mann Sie dort erwartete, um Sie zu töten?«