Der Ferienhof im Schwarzwald - Der Neubeginn - Sandra Poppe - E-Book

Der Ferienhof im Schwarzwald - Der Neubeginn E-Book

Sandra Poppe

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Beschreibung

Die alleinerziehende Elli weiß kaum, wo ihr der Kopf steht. Tagtäglich stemmt sie Haus, Kinder und die eigene Polsterei. Da erreicht sie die Nachricht, dass Onkel Ludwig ihr und ihrem Bruder Florian seinen Bauernhof vermacht hat. Elli bringt es nicht übers Herz, den wunderschönen alten Schwarzwaldhof, in dem sie unvergessliche Sommer erlebt haben, zu verkaufen. Stattdessen möchten sie und ihr Bruder einen idyllischen Ferienhof daraus machen. Doch Elli hat die Rechnung ohne die Bewohner des kleinen Dorfes gemacht, die wenig von der bunten Wohngemeinschaft und den Umbauplänen halten. Werden der Zauber des Schwarzwaldes und die überraschende Aussicht auf eine neue Liebe siegen?

Folgt Elli auf den WOLKENHOF, den wunderbaren Urlaubsort, wo Herz und Humor zu Hause sind

Auftakt einer frischen und charmanten Reihe rund um eine Patchworkfamilie mit mehreren Generationen


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Seitenzahl: 511

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungWarum nicht einfach ein neues Leben?NachbarschaftsidylleManche Äpfel fallen weiter als andere»Wie soll ich denn da drankommen?«Es war einmal …Große Pläne, kleine HäuserLiebe auf den ersten und zweiten Blick»Brauchen Sie vielleicht meine Brille?«ÄrgernisseWir können alles. Außer Hochdeutsch.Eine echte EseleiIhr gehört doch in den Stall!SchwarzwaldklinikCinderellaWer bringt den Esel zum Tanzen?CanossaSchunkeln für den HofKaterfrühstück für verantwortungslose ErwachseneEs ist ein Sessel!Nichts war. Gar nichts.Vom Ende einer EheSchwarzwaldhochstraßeKeine sachliche RomanzeEin Schnäpsle auf die FeindschaftGäste!ExitstrategieMehr als eine WahrheitEs ist kompliziertDie Wahrheit widerspricht sich nichtNicht den Berg musst du bezwingenUnübersichtliche GemengelageKummer vergehtWie es weitergeht …Ein badisches Gutzele

Über dieses Buch

Die alleinerziehende Elli weiß kaum, wo ihr der Kopf steht. Tagtäglich stemmt sie Haus, Kinder und die eigene Polsterei. Da erreicht sie die Nachricht, dass Onkel Ludwig ihr und ihrem Bruder Florian seinen Bauernhof vermacht hat. Elli bringt es nicht übers Herz, den wunderschönen alten Schwarzwaldhof, in dem sie unvergessliche Sommer erlebt haben, zu verkaufen. Stattdessen möchten sie und ihr Bruder einen idyllischen Ferienhof daraus zu machen. Doch sie haben die Rechnung ohne die Bewohner des kleinen Dorfes gemacht, die wenig von der bunten Wohngemeinschaft und den Ferienhof-Plänen halten. Werden der Zauber des Schwarzwaldes und die überraschende Aussicht auf eine neue Liebe siegen?

Über die Autorin

Sandra Poppe, geboren 1975, lebt mit ihrer Familie in Bonn. Nach dem Geschichtsstudium arbeitet sie heute bei einer NGO, die sich der fairen Mode verschrieben hat. Wenn sie nicht an ihrem nächsten Roman sitzt, arbeitet sie gerne mit den Händen: nähen, Gartenarbeit oder kochen. »Ich liebe es, wenn man am Ende etwas hat, was man anfassen, anschauen oder aufessen kann.«

Ihr erster Roman bei Bastei Lübbe Liebe beginnt, wo Pläne enden punktet mit viel Charme und einem besonderen Setting: einem Freilichtmuseum, in dem ihre Hauptfiguren sechs Wochen lang leben wie im 18. Jahrhundert.

Sandras Romane sind wie leckere Schokotörtchen: Sie machen einfach glücklich!

S a n d r aP O P P E

D E R F E R I E N H O FI M S C H W A R Z W A L D

Der Neubeginn

R O M A N

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für dasText- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Lektorat: Melanie Blank-Schröder

Textredaktion: Heike Brillmann-Ede

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: © Panther Media GmbH/Alamy Stock Foto; © FinePic®, München

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-4793-6

luebbe.de

lesejury.de

Für Heike, Julie und Melanie,meine drei Bücherfeen

Warum nicht einfach ein neues Leben?

Ich lasse das Auto an der Landstraße stehen und gehe zu Fuß weiter. Eine schmale Straße führt stetig den Berg hinauf. Es ist mühsam und gleichzeitig wunderschön. Mit jedem Schritt fliegt eine Erinnerung herbei. Wie oft haben wir gestöhnt, wenn wir die Holzbrücke am Bach mit den üppig bewachsenen Blumenkästen am Geländer erreicht haben und der ganze Weg noch vor uns lag? Danach kommt die Pferdekoppel, auf der, wie früher, Pferde grasen. Zwei von ihnen werfen mir einen Blick zu, und eines der Tiere schnaubt lange, als wolle es mich begrüßen. Autos fahren die Landstraße entlang, doch mit jedem weiteren Schritt verblassen die Geräusche der Zivilisation. Ich gehe langsam und bewusst. Links und rechts erstrecken sich saftige Wiesen, gesäumt von Apfelbäumen, voll mit roten oder grünen Äpfeln. Dazwischen stehen Bienenstöcke. Sie müssen neu sein, denn an Bienen kann ich mich nicht erinnern. Ein Schwarm Spatzen fliegt herbei und lässt sich nieder, nur um nach einem kleinen Konzert wieder davonzufliegen, und ein Hausrotschwanz setzt sich mitten auf den Weg und wippt munter mit dem Schwänzchen.

»Was willst du hier?«, scheint er zu fragen.

»Ich verabschiede mich von meiner Kindheit.«

»Na gut, das erlaube ich dir«, antwortet er und fliegt davon.

Die erste lange Gerade ist geschafft. Ich halte inne und genieße den Blick über das Dorf. In die Enge des Tals gebaut, lang und schmal, wird es dominiert von Schwarzwaldhäusern, alten wie neuen. Die weiße Kirche mit Ecksteinen aus rotem Sandstein wird von der Sonne angestrahlt, als wäre allein das ihre Aufgabe. Zur anderen Seite hin öffnet sich das Tal. Wiesen, Berge und dahinter noch mehr Berge. Die Luft ist klar, die Sicht reicht bis zum Horizont. Hier oben scheint es, als wäre ich allein auf dieser Welt. Dabei leben auf jedem Berg und in jedem Tal Menschen, und vielleicht stehen einige von ihnen so wie ich gerade mitten in der Einsamkeit.

Nach einer engen Kehre führt der Weg weiter hinauf zu den Berghöfen. Ich aber biege auf einen Feldweg. Durch Wiesen hindurch und an Obstbäumen vorbei schlängelt er sich über eine von dunklen Tannenwäldern umrahmte Hochebene, die aussieht, als habe jemand nachlässig eine Tischdecke in Grüntönen ausgeworfen. Mal geht es ein bisschen bergan, mal ein bisschen bergab. Ich bin nun hinter dem Berg, habe die Laute der Zivilisation endgültig abgestreift und genieße eine magische Ruhe. Während ich den Weg entlangwandere, ärgere ich mich ein wenig. Warum habe ich Sandalen angezogen? Ich kenne den Weg doch! Jetzt verirren sich ständig spitze Steinchen unter meine Fußsohlen, und ich muss immer wieder stehen bleiben, um sie aus den Schuhen zu nesteln. Immerhin habe ich die Pumps im Schrank gelassen, die wären noch unpraktischer. Nicht, dass ich eine Frau bin, die oft Pumps trägt, aber ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Die schicken roten hätten wunderbar zu dem Sommerkleid gepasst, das ich nur angezogen habe, weil der Sommer nach wochenlangem Regen endlich ein Gastspiel gibt. Dabei liegt der Geruch des Herbstes bereits in der Luft.

Der Hof liegt am Ende dieser Wiesenlandschaft, eingebettet in eine kleine Senke, dahinter geht es stetig hinauf in die schwarz bewaldeten Berge. Ich atme erleichtert auf, als ich den Bauernhof von Onkel Ludwig erreiche, betrete den geschotterten Hof und blicke rundum. Wehmut. Die spüre ich. Ich lasse mich auf den Findling neben der riesigen Buche am Rande des Hofs plumpsen, deren Blätter langsam gelb werden. Die Reifenschaukel, auf der ich geträumt, gelacht und gealbert habe, hängt immer noch da. Sie war meine Heidi-Schaukel, denn sie schwingt über Berge hinweg und in den Himmel hinein.

Ich betrachte den imposanten, für die Gegend typischen Schwarzwaldhof aus den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Wie die meisten dieser Höfe ist er in den Hang gebaut, trutzig und weithin sichtbar in einer Postkartenidylle. Das tief heruntergezogene Walmdach, die Holzschindeln, die weißen Sprossenfenster und hellbraunen Fensterläden sind typisch für die Gegend. Etwas unterhalb, auf der linken Seite, steht der in den Fünfzigerjahren gebaute Stall, ein lang gezogenes Gebäude, das auch Ludwigs Werkstatt beherbergte. Dahinter mäandert ein kleiner Bach durch die Streuobstwiese, die gleichzeitig auch die Weide ist. Rechts des Haupthauses, ein Stück weiter den Weg hinauf, der in den Wald und in die Berge führt, steht das Gästehaus. Das ehemalige Altenteil sieht aus wie eine Miniaturausgabe des großen Hauses. Und unterhalb des Gästehauses steht natürlich das Backhäusle – windschief und mit roten Schindeln gedeckt, könnte es auch das Haus der kleinen Hexe sein.

Unzählige Erinnerungen sind mit diesem Hof verbunden, jeden Sommer haben wir hier verbracht, gerade sehe ich nur die traurigen Dinge: Wiesen, die niemand mäht, Äpfel, die niemand erntet, Unkraut, Farbe, die abblättert, kaputte Fensterscheiben. Zum Schluss war Onkel Ludwig nicht mehr er selbst. Sein Kopf war leer wie ein weißes Blatt Papier, auf dem der lange Text des Lebens ausradiert wurde. Ich seufze. Wehmütig. Dieser Hof steht für die schönsten Wochen meiner Kindheit. Ich werde Abschied nehmen müssen. Wird sich ein Käufer finden? Ich hoffe es sehr, denn der Hof hat mehr verdient, als weiter zu verfallen.

»Schwesterchen, du siehst aus, als hätte man dir das Herz aus dem Leib gerupft.«

Ich bin so versunken, dass ich zusammenzucke. Dann springe ich vom Felsen und werfe mich meinem Bruder in die Arme.

»Florian! Wo ist denn dein Auto? Und du hast recht. Der Anblick rupft mir das Herz aus dem Leib. Meine Güte, warst du schon immer so groß?«

Florian lacht laut auf. Er ist fast eins neunzig und kann mir auf den Kopf spucken, seitdem ich denken kann. Mit den blonden, immer ein wenig zu langen Haaren, den stahlgrauen Augen und den Sommersprossen auf den Armen kann er nur schwer verbergen, dass wir verwandt sind. Zwei Jahre älter ist er und der beste Bruder, den man sich nur wünschen kann.

»Mein Auto steht unten am Bach neben deinem. Du bist die ganze Zeit vor mir hergelaufen, hast aber mal wieder nichts mitbekommen. Ansonsten werde ich mir Mühe geben zu schrumpfen, damit wir endlich auf Augenhöhe sind, aber ich fürchte, es ist vergebens.«

»Das macht nichts. So kann ich dich wenigstens immer in den Bauch piksen, wenn du mich mal wieder aufziehst.« Ich grinse gemein. Mein Bruder ist bemerkenswert kitzelig.

»Du bist über vierzig, Elli, da sollte sich das mit dem Bauchpiksen langsam auswachsen.«

Lachend pikse ich ihn gleich dreimal. »Ich habe wohl Schwierigkeiten, erwachsen zu werden.«

»Sagt die vernünftigste Erwachsene, die mir je untergekommen ist.«

Ich verziehe das Gesicht. Florian kennt meine Schwächen. »Dann sei froh, dass du mir noch ein wenig Unvernunft entlockst.«

»Los. Piks weiter!«, fordert er mich auf, kneift die Augen zusammen und spannt die Bauchmuskeln an.

»Also, was ist?«, frage ich nach der kleinen Alberei. »Schauen wir uns den Hof an und überlegen, wie wir ihn loswerden, ohne dass es uns das Herz bricht?«

Florian nickt und ein wehmütiger Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht. Es geht ihm wie mir. Viele Erinnerungen hängen an diesem Hof. Es wird nicht leicht, ihn in fremde Hände zu geben.

Ich deute auf die kaputten Scheiben des Stalls. »Ich kann gar nicht fassen, wie verwahrlost es hier ist. Geht es wirklich so schnell, wenn man sich nicht um die Dinge kümmert?«

Florian betrachtet die Gebäude um uns herum. »Es scheint so, und das ist traurig.«

Ich nicke zustimmend. »Wann warst du das letzte Mal hier?«

»Das ist zwei Jahre her. Onkel Ludwig hat mich mit der Mistgabel vertrieben, weil er mich nicht erkannt hat. Danach gab es keine Gelegenheit mehr. Was ich jetzt bereue, aber so ist es eben.«

Ich weiß, wovon er spricht. Die Wege sind weit, ein stressiger Alltag vernichtet die Zeit, und ehe man sich versieht, ist ein lieber Mensch tot und man hat sich nie von ihm verabschiedet. Nach meinem letzten Besuch vor etwa anderthalb Jahren hatte unser Vater versucht, seinen Bruder Ludwig zum Auszug zu überreden, doch der weigerte sich beharrlich. Der Kompromiss war, eine Frau aus dem Dorf auf den Hof ziehen zu lassen, die sich bis zu seinem Tod um ihn kümmerte. Kennengelernt haben wir sie nie, und die Beerdigung fand in aller Stille statt. So wie Ludwig es wollte, neben seiner Käthe im Friedwald. Erst bei der Testamentseröffnung haben wir erfahren, dass er uns den Hof vererbt hat. In Absprache mit meinem Vater, der sich nie für den Bauernhof seines Bruders interessiert hatte. Die Überraschung ist Onkel Ludwig gelungen, und deswegen machen wir gerade diese Reise in unsere Kindheit.

»Ich war auch viel zu lange nicht hier und bereue es. Also sind wir schon zu zweit.«

Zunächst werfen wir einen Blick in den ehemals weiß gestrichenen Kuhstall samt Jungtierstall, der bis auf ein paar Gerätschaften und Strohballen leer steht. Onkel Ludwig hatte nach seiner Alzheimer-Diagnose die Tiere und einen Teil der Maschinen verkauft.

»Hier müssen wir schon mal nichts ausräumen, bevor wir Kaufinteressenten einladen«, stelle ich beruhigt fest.

»Abwarten«, entgegnet Florian trocken. »Wir fangen gerade erst an.«

Er behält recht. Die neben dem Stall im selben Gebäude untergebrachte Hof-Werkstatt ist noch vollständig eingerichtet. Sogar die Pinsel stehen wie früher in den Blechdosen, als warteten sie nur darauf, benutzt zu werden. Wir verlassen die Werkstatt und erklimmen eine kleine Rampe, die links neben dem Haupthaus hinauf zur Scheune führt. Die Scheune, auch Tenne genannt, ist Teil des großen Schwarzwaldhauses und erstreckt sich über zwei Etagen, denn der komplette Dachboden des Hauses gehört dazu. Hier ist viel Platz für das Heu und die Maschinen. Das zweiflügelige massive Holztor lässt sich leicht öffnen, so gut hängt es in den Angeln, und das Geräusch des aufschwingenden Tores, der Geruch nach altem Holz, Heu und Motorenöl weckt neue Erinnerungen. In der Tenne, diffus beleuchtet durch schmutzige Dachluken, lagert immer noch Heu. Wie gerne haben wir da oben gespielt oder es uns bei schlechtem Wetter mit Wolldecken und Taschenlampen gemütlich gemacht. Im Frühjahr bekam die Hofkatze dort ihre Jungen, und weil sie uns vertraute, durften wir mit ihnen schmusen und spielen, und es gab in diesen Wochen keinen schöneren Ort. Unten hatten die Fahrzeuge ihren Platz, doch bis auf den grünen Traktor, mit dem uns Ludwig regelmäßig über die Felder kutschiert hat, steht die Scheune leer.

Wir umrunden das Haus, auf der anderen Seite geht es wieder hinunter, und werfen einen Blick ins Kellergeschoss, das auf Ebene des Hofs liegt und aus roten Sandsteinblöcken gebaut ist. Ursprünglich waren dort die Stallungen untergebracht, doch nach dem Bau des modernen Stalls wurden hier die Wirtschaftsräume eingerichtet.

Wir erklimmen die Holztreppe zur Haustür im ersten Stock. Das Walmdach ist tief heruntergezogen, massive Holzbalken spenden Schutz vor Wind und Regen. Wir atmen kurz durch und tauschen einen vielsagenden Blick, ehe Florian die dunkelbraune Holztür öffnet. Das Haus, das einst vor Leben sprühte, wirkt nun, als betrete man ein Museum. Nichts hat sich verändert, und doch ist alles anders. Zwei Monate ist die Beerdigung erst her, und schon hat sich die Leere das Haus erobert. Auf die Möbel hat sich eine Staubschicht gelegt, tote Fliegen liegen auf den Fensterbänken, Spinnen haben sich ein Paradies geschaffen. Dennoch fühlt es sich an, als wären die letzten Sommerferien gerade ein paar Wochen her.

»Es ist, als wäre ich wieder zwölf«, merke ich an, als wir schließlich in dem Zimmer im zweiten Stock stehen, das wir uns immer geteilt haben.

»Du hast dich auch kaum verändert«, scherzt Florian, »zumindest, wenn man die Falten und den grauen Haaransatz ignoriert.«

»Herzlichen Dank auch.« Ich stöbere in den Schränken und Schubladen und fördere schließlich ein altes Schulheft zutage. »Ich fasse es nicht. Das gibt’s noch!«

Florian reißt die Augen auf. »Zeig her«, sagt er und grapscht nach dem Heft.

»Nix da«, antworte ich und halte es in die Höhe.

»Netter Versuch«, lacht mein Bruder, nimmt mir das Heft lässig aus der Hand, dreht sich von mir weg und blättert darin herum.

»Guck hier: ›Montag, 23. Juli 1988. Der neue Postbote verhält sich verdächtig. Beobachten!‹«

»Jetzt lass mich auch mal!«, rufe ich ungeduldig, und endlich lässt er mich in das Heft schauen, in dem wir unsere detektivischen Bemühungen akribisch dokumentiert haben.

»24. Juli 1988. Tina trifft sich mit Maren am Spielplatz. Tuscheln. Gehen zum Laden. Nach drei Minuten dreiundfünfzig Sekunden kommen sie wieder raus. Zwei Tafeln Schokolade«, liest Florian vor. »Mensch, kannst du dich noch an die Tina-Geschichte erinnern?«

»Natürlich. Wie könnte ich die vergessen?« Ich verdrehe die Augen. »Die Kuh erscheint mir bis heute im Traum.«

»Ich weiß ja, dass die Kuh dich traumatisiert hat, aber deswegen immer noch von ihr zu träumen, ist vielleicht ein bisschen übertrieben?«

»Nicht, wenn man seitdem Angst hat, im Fegefeuer zu landen.«

»Schwester, du spinnst.«

»Ich widerspreche in diesem Fall nicht.«

Mein Bruder klopft mir wohlwollend auf den Rücken. »Schwächen hat jeder. Sie zu akzeptieren ist die Kunst.«

Wir werfen einen Blick ins Backhäusle, in dem Tante Käthe Brot für das halbe Dorf gebacken hat, und ich fälle ein Urteil. »Jetzt fehlt nur noch das Gästehaus, doch ich denke, wenn wir entrümpeln, müsste man den Hof gut verkaufen können, die Bausubstanz ist ja in Ordnung.«

»Hm«, macht Florian.

Wir verlassen das Backhäusle und treten auf den Hof. Oder sagen wir, ich versuche es, denn wie früher denke ich nicht an die Kuhle in der Steinstufe und stolpere. Im letzten Augenblick halte ich mich an Florians Pullover fest, erlange das Gleichgewicht wieder und werde puterrot.

»Es hat sich nichts geändert«, sagt er kopfschüttelnd, »du versinkst bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor Scham im Boden.«

Ich schnappe nach Luft und will was Passendes erwidern, doch just in diesem Moment schießt etwas Braunes, Haariges auf uns zu. Im letzten Augenblick bremst es ab, donnert trotzdem gegen Florian, strauchelt, fängt sich wieder und schaut uns mit zuckersüßen Kulleraugen an. »Bäääh!« Mir steht der Mund offen. Warum steht da eine Ziege vor uns? Und warum trägt sie ein rot glitzerndes Halsband?

»Äh«, mache ich verwundert.

»Schickes Halsband«, schmeichelt mein großer Bruder mit dem weichen Herzen dem zutraulichen Tier, streichelt es zwischen den Ohren und wird zum Dank immer wieder mit der Nase angestupst. »Aber wo kommst du her?«

»Äh«, mache ich ein zweites Mal und starre auf das vertraut wirkende Duo.

»Bambiii«, dröhnt eine schrille und gleichzeitig rauchige Stimme über den Hof. »BAMBI!!!«

Sie schallt aus Richtung des Gästehauses. Verwundert blicken wir uns an. Eine mollige, komplett in Rot gekleidete Frau in ihren Sechzigern stapft energisch den Weg hinunter, mustert uns kritisch und spricht mit typisch badischem Singsang auf das Tier ein. »Bambi, du kommst sofort hierher, sonst verbanne ich dich vom Sofa.«

Bei uns angekommen, stemmt sie die Hände in die Seiten. »Bambi, ab! Und darf ich fragen, was Sie hier suchen? Der Hof ist Privateigentum.«

»Dürfen wir fragen, was Sie und … äh … Bambi hier machen?«, stelle ich vorsichtig die Gegenfrage und wundere mich gleichzeitig, warum die Ziege Bambi heißt. »Der Hof ist nämlich genau genommen unser Privateigentum.«

Ganz kurz entgleisen der Frau die Gesichtszüge, dann fasst sie sich und statt des zuvor strengen Gesichtsausdruckes umspielt ein feines Lächeln ihre Lippen. »Ihr seid die Kinder! Es ist schön, euch kennenzulernen. Ludwig hat gerne von euch erzählt.«

»Nun ja«, entgegnet Florian verschmitzt, »das Kindesalter haben wir schon vor ein paar Jährchen hinter uns gelassen, aber wir waren als Kinder oft hier, das stimmt. Nun wissen wir aber immer noch nicht, wer Sie sind. Ihre Ziege kennen wir ja bereits.«

Die rote Frau grinst breit, beugt sich zu dem zutraulichen Tier, das einen echten Narren an meinem Bruder gefressen zu haben scheint, und flüstert ihm etwas ins Ohr.

»Ich bin die Roswitha, und ich hab mich um den Ludwig bis zu seinem Ende gekümmert. Er hat immer gesagt, ich könne hier wohnen bleiben. Zumindest, solange er noch denken konnte.« Sie richtet sich auf und stützt die Arme auf ihre ausladenden Hüften, die von einem roten Plisseerock umspielt werden. »Ich hoffe, das ist kein Problem für euch.« Ihr Ton ist ein anderer als eben. Freundlich. Bittend.

Wir wechseln einen schnellen Blick.

»Wie Elli schon sagte, sind wir die Erben des Hofes«, erklärt Florian, »allerdings dachten wir, der Hof sei unbewohnt, der Notar hat nicht erwähnt, dass du noch hier wohnst.« Wie selbstverständlich ist auch er zum Du übergegangen.

Rotwitha, wie ich sie in Gedanken bereits getauft habe, nickt wissend und mit besorgter Miene. Sie packt die Ziege am Halsband. »Geh ins Haus, Bambi. Wir zeigen den Kindern mal, was auf dem Spiel steht.« Sie wendet sich an uns. »Ich wusste, dass dieser Tag kommen wird. Ich zeige es euch. Das ist einfacher, als es zu erklären.«

Auf dem kurzen Weg hinauf zum Gästehaus erklärt sie uns ihre Absprache mit Ludwig. »Er wollte, dass ich auf dem Huberhof wohnen bleibe. ›Ich regle das‹, sagte er immer. Aber es ging so schnell bergab mit ihm, irgendwann konnte er nichts mehr regeln. Ich könnte ihm dafür nachträglich die Leviten lesen, dem alten Kauz. Ich hoffe, er hockt mit intaktem Gedächtnis auf seinem Wölkchen und wartet, damit ich das irgendwann einmal nachholen kann.«

Wir erreichen das kleine schwarze Holzhaus mit Walmdach, Holzschindeln und roten Fensterläden. Tante Käthe, die schon zehn Jahre vor Ludwig an Krebs gestorben ist, hatte früher ihren Webstuhl dort stehen. Dorthin hat sie sich gerne zurückgezogen, wenn sie ihr Tagwerk verrichtet hatte. Im Gegensatz zum Rest des Hofes ist es liebevoll gepflegt, Herbstblumen blühen auf den Fensterbänken und in Kübeln, überall findet sich Zierrat aus Keramik, Holz oder Metall. Das kleine Haus besteht nur aus einer heimeligen Wohnküche und zwei Schlafzimmern, und entgegen meiner Erwartung ist das Innere des Hauses nicht rot wie Roswitha selbst, sondern kunterbunt. Es scheint, als hätte sie Hobbys gleich im Dutzend. Gehäkelte Deckchen, genähte Kissen, mit Mosaiken verzierte Töpfe und Tische, gemalte Bilder und Getöpfertes, wo man auch hinblickt. In einer Ecke steht eine Töpferscheibe, in einer anderen der Webstuhl. Hier wohnt eine Frau, die nicht weiß, wohin mit ihrer Kreativität. Florian und ich wechseln erneut vielsagende Blicke.

Roswitha nimmt einen Kupferkessel von der gelben Anrichte, füllt ihn mit Wasser und stellt ihn auf den Herd. »Setzt euch. Wollt ihr einen Tee?«

Wir nicken und setzen uns auf bunte Stühle mit grünen Kissen an den roten Küchentisch. Ich bin fasziniert!

»Schwarz, grün, Kräuter, Früchte?«

Wir bestellen einen Schwarztee, und Roswitha wühlt emsig in den Schubladen ihrer grünen Küche. »Mir ist klar, dass ich keinen rechtlichen Anspruch habe, ich bezahle ja nicht mal Miete. Aber wie ihr seht – es wäre schlimm für mich, wenn ich das hier«, sie deutet rundum, »aufgeben müsste. Leider verfüge ich nicht über die Mittel, um euch das Gästehaus, geschweige denn den Hof abkaufen zu können.«

Während sie redet, begutachtet Florian eine kunstvoll getöpferte Schüssel, die auf dem Tisch steht. »Verkaufst du die Sachen?«

»Manchmal, ja, aber mir fehlt der Ehrgeiz, und ich mag sie viel zu sehr und gebe sie deshalb nur ungern aus der Hand.«

Florian kratzt sich am Kinn. »Wir haben definitiv ein Problem, aber ich halte es gerne mit dem alten Handwerkermotto: Es gibt keine Probleme, nur Lösungen.«

»Du wüsstest wohl auch nicht, was du mit Bambi machen sollst, richtig? Wieso lebt sie überhaupt hier und warum heißt sie Bambi?« Ich deute auf die Ziege, die es sich auf einer bunten Häkeldecke auf dem roten Samtsofa gemütlich gemacht hat, das im hinteren Teil der Wohnküche steht.

Roswitha lächelt. »Ja, das mit dem Namen ist so eine Sache. Das Tierchen lag eines Morgens auf der Wiese, und im ersten Augenblick dachte ich, es sei ein Rehkitz. Daher der Name. Niemand hat das Tier vermisst, also habe ich ihn – es ist nämlich ein Er, wie der Bambi aus dem Film – mit der Flasche aufgezogen.« Sie zuckt ratlos mit den Schultern.

Ich traue mich nicht, Florian anzuschauen. Sind wir herzlos genug, Roswitha auf die Straße zu setzen? Ich fürchte, ich kenne die Antwort.

Auf dem Rückweg ins Tal besprechen wir das Problem.

»Hast du eine Idee, was wir mit dem Hof und mit Roswitha machen sollen?«, fragt Florian.

»Tja, eigentlich wollte ich Abschied von meinen Kindheitserinnerungen nehmen, den Auftrag an einen Makler geben und von dem Geld den restlichen Kredit abbezahlen, den ich für mein Haus aufgenommen habe. Aber wir müssen uns etwas einfallen lassen. Ich bringe es nicht übers Herz, sie auf die Straße zu setzen.«

Mein Bruder grinst schief und schweigt. Dann stoppt er und dreht sich zu mir. »Ehrlich gesagt«, er macht eine bedeutungsschwangere Pause und legt mir seine Hand auf den Arm, »spiele ich schon länger mit dem Gedanken, neu anzufangen. Ich habe genug vom Stadtleben und von meinem Job auch. Ich brauche was Echtes, was Handfestes. Und …«, er macht erneut eine Pause, »… der Hof böte eine Möglichkeit. Man könnte ihn mit Leben füllen, eine Ferienoase daraus machen. Das geistert mir durch den Kopf, seitdem wir von dem Erbe erfahren haben. Noch ist alles sehr vage, aber ich könnte mir vorstellen, etwas aus dem Huberhof zu machen.«

Ich brauche einen Augenblick. Verstehe ich das richtig? Florian beschließt, sein Leben zu ändern – und tut es? So einfach ist das?

»Und dann wäre das Problem mit Rotwitha keines mehr«, stelle ich fest.

»Rotwitha?« Florian fängt schallend an zu lachen. »Passt! Und ja, das wäre passé. Von mir aus kann sie in dem kleinen Häuschen wohnen bleiben, und über den Rest werden wir uns sicher einig. Auf jeden Fall –«

Ich unterbreche ihn. »Deine Idee überrascht mich, aber ja, ich finde sie gut. Du willst mir also meinen Teil abkaufen und hoffst auf einen guten Preis?« Ich grinse ihn schelmisch an. Ganz so leicht darf man es einem Bruder nie machen.

»Nicht ganz.«

»Sondern?«

»Ich will dich eigentlich überreden, mitzumachen.«

Nachbarschaftsidylle

Es ist eines dieser Neubaugebiete, von denen die Bewohner glauben, es sei anders als alle Neubaugebiete der Republik. Individueller. Origineller. Lockerer. Moderner. Es gibt mehr Zusammenhalt. Nun verhält es sich so vermutlich mit den meisten Neubaugebieten, aber das hören die Anwohner natürlich nicht gern, denn es würde sie »gewöhnlich« machen. Nun denn … Ich richte lieber meinen Blick auf das Sommerfest, das heute Abend die Einwohner der Siedlung über Stabmattenzäune und Steingabionen hinweg vereint.

Es ist der Höhepunkt des Jahres in diesem Flecken im Speckgürtel Hannovers und findet traditionell am zweiten Samstag im September statt. Die Familien sind zurück aus dem Sommerurlaub, die Beine braun gebrannt, die Haare bleich. Die Frauen tischen Büfettkreationen auf, die Männer grillen und zapfen Bier, die Kinder pilgern ohne die üblichen Ermahnungen von Trampolin zu Trampolin. Die Mütter haben die ersten Sektgläser geleert, und die Väter sind froh, ihre Ruhe zu haben. Hinterher werden sie von diesem Fest schwärmen: Einzigartig war es, so wie eben das ganze Neubaugebiet. Noch Jahre später werden sie in Erinnerungen schwelgen – wenn die Kinder längst ausgezogen sind, bei allen fast gleichzeitig die Rentenbescheide in die Briefkästen flattern und aus dem Neubaugebiet ein großflächiges Seniorenwohnheim geworden ist.

Doch wie so oft gibt es kein Licht ohne Schatten. Denn wenn das Sommerfest in vollem Gange und genug Alkohol geflossen ist, dann sitzen die Zungen lockerer, und sie geht los: die muntere Lästerei über die, die nicht hierherpassen.

Eine von ihnen bin ich. Elli. Oder, um korrekt zu sein, Elisabeth Seidel, dreiundvierzig Jahre alt und seit zwei Jahren rechtskräftig geschieden. Singlefrau. Alleinerziehend.

Es war unklug, so früh zu kommen. Jetzt stehe ich hier mit drei Pärchen und fühle mich deplatziert. Wie so oft seit meiner Trennung. Dabei ist die Stimmung gut. Doch die geballte heile Welt gibt Paaranekdoten zum Besten. Und obwohl die Geschichten unterhaltsam sind, kann ich sie nicht genießen, denn ich spüre die Blicke. Ich bin die, die nicht mitreden kann. Nicht mehr.

Bei der nächsten Gelegenheit flüchte ich ans Büfett und lasse mir Zeit. Sorgfältig inspiziere ich das Speisenangebot und nehme hier und da eine kleine Portion. Nicht zu viel, sonst gelte ich als frustriert. Nicht zu wenig, sonst denken sie, ich bin auf Diät, um noch einen abzukriegen. Die Auswahl ist schließlich nicht groß.

Doch, doch!, würde ich am liebsten rufen, rein statistisch gesehen bleibe ich nicht die Einzige. Gebt acht! Der Beton ist schließlich noch nicht trocken. Das mit den Scheidungen geht richtig los, wenn die Stabmattenzäune erste Rostflecken kriegen. Dann habe ich meinen Rosenkrieg lange hinter mir und kann weise und verständnisvoll nicken und lächeln.

Zwei Stunden später hat mich der Alkohol lockerer gemacht. Außerdem stehen Frauen und Männer mittlerweile getrennt zusammen. So ein Fest folgt eben immer denselben Regeln.

Kitty empört sich gerade über ihren Ehemann. »Tausendmal habe ich ihm erklärt, wie die Waschmaschine funktioniert, aber meint ihr, der merkt sich das? Nein. Er will es nämlich nicht. Dafür bin ich schließlich zu Hause.«

Kitty ist eine Frau am Rande der Alkoholsucht. In ihrem Keller gibt es einen Raum nur für Leergut. Jedem, der ab dem späten Nachmittag den Fehler begeht, ihr Haus zu betreten, drückt sie eine Sektflöte in die Hand, und los geht’s. Ihr Mann verdient Unmengen an Geld, sie kümmert sich um Haus und Kinder. Die beiden sind allerdings schon über die Pubertät hinaus, und die Sektflöte ersetzt allzu oft den fehlenden Lebensinhalt. Beate nickt die ganze Zeit. Sie findet grundsätzlich alles toll, was Kitty sagt. Nicole grinst wissend, denn ihr Mann ist ein Totalausfall. (Wenn es nach mir ginge, sollte er Scheidungsopfer Nummer zwei in unserer Straße sein und Nicole endlich mal anfangen zu leben.) Jutta, die Einzige der Frauen, die ich wirklich mag, meint, man wäre nun in einer Phase der Ehe, in der die Männer schlicht vergessen hätten, was Gleichberechtigung ist.

»Die wünschen sich doch insgeheim alle die Fünfzigerjahre zurück. Die Ehefrau begrüßt ihn nach der Arbeit adrett gekleidet mit einem zarten Kuss auf die Wange im Hausflur, das Essen ist gekocht, die Pantoffeln stehen bereit. Nur der Anstand hält sie davon ab. Weitestgehend. Aber irgendwie sind wir auch selbst schuld. Wir lassen es schließlich zu.«

Ich gebe Jutta recht. Bei mir war es nicht anders. Doch zum Glück hat mein Ex sich eine andere Dumme gesucht, die diesen Job übernimmt. So gesehen bin ich fein raus.

Kitty seufzt effektvoll und leert ihr Glas in einem Zug. »Aber, Mädels, was ist die Alternative? Wenn sie sowieso alle gleich sind, dann kann man den eigenen doch behalten. Was kriegt man denn in unserem Alter noch? Reste oder Secondhand. Wer will das schon?«

Betretenes Schweigen. Klar. Denn machen wir uns nichts vor: Ich bin eine bemitleidenswerte Frau. Doch Kitty wäre nicht Kitty, wenn sie nicht gleich den Vorschlaghammer zücken würde.

»Elli, was sagst du? Lohnt sich der Markt? Über vierzig ist ja wieder Bewegung im Spiel. Du könntest uns mal auf den neuesten Stand bringen.«

Aha, ich bin also Expertin für den hiesigen Männermarkt. Das ist so, als hätte man vollen Einblick in die Immobilienbranche, weil man mal ein Haus gekauft hat. Irgendwie ist mir das grad zu blöd. Und weil ich getrunken habe und das immer diese zweite Seite in mir weckt, fällt die Antwort einfach aus mir heraus.

»Ach, Kitty. Mit dem Männermarkt kenne ich mich leider überhaupt nicht aus. Ich bin nämlich ohne Mann sehr glücklich. Und sollte ich wieder das Bedürfnis haben – du weißt ja: Warum in die Ferne schweifen?« Ich bereue es sofort. Beate hält sich die Hand vor den Mund, Kitty schnappt nach Luft, und Jutta grinst in ihr Sektglas. Ich entschließe mich zur Flucht, brummle eine kurze Entschuldigung und bringe mich auf meiner eigenen Toilette in Sicherheit.

Was stimmt mit uns Frauen eigentlich nicht? Nachdenklich sitze ich zu Hause auf dem Klo. Wir wollen emanzipiert und selbstständig sein, gleichzeitig muss ein Traumprinz her, weil eine Frau ohne Mann scheinbar nur die Hälfte wert ist. Allzu oft sind es leider die Frauen, die einer Frau das Glücklichsein auch ohne Mann absprechen. Es ist absurd.

Ich bin kurz davor, die Party Party sein zu lassen, weil ich keine Lust habe, als Expertin für Singlefrauen in den Vierzigern herzuhalten. Aber das gibt sicher neues Gerede, also kehre ich zurück und freue mich, als mir Tobi, Juttas Mann, eine Flasche Bier in die Hand drückt. Er steht mit Kittys Mann und einem weiteren Nachbarn zusammen. Ich bin die einzige Frau im Distelweg, die Bier trinkt, was mir einen gewissen Respekt bei den Männern einbringt. Außerdem habe ich seit meiner Trennung schon öfter festgestellt, dass Männer gegenüber alleinerziehenden Müttern weniger Vorbehalte haben. Aus einem einfachen Grund: Wenn du dich zum Quatschen zu ihnen stellst, sehen sie dich genau als das, was du in diesem Augenblick bist: ein Kumpel zum Quatschen. Außerdem bin ich durchaus witzig, wenn ich getrunken habe. Dann traue ich mich aus dem Schneckenhaus und verwandle mich in etwas Vorlautes mit einem Hang zu flachen Witzen. In mir wohnen zwei Seelen mit der Tendenz zur Übertreibung, die sich nicht besonders gut leiden können.

Ich stoße mit den Männern an, wir finden herrliche Themen, und manchmal werde ich sogar freundschaftlich in die Seite geboxt. Kurzum, endlich kann ich den Abend genießen. Das geht so lange gut, bis Kitty mich energisch in den Oberarm stupst.

»Kann ich dich mal bitte sprechen, Elisabeth?«

Elisabeth?

»Ähm. Klar. Was ist los?«

»Nicht hier«, verkündet Kitty leicht ungehalten, dreht energisch ab, und ich haste ihr hinterher. Auf einem kleinen Fußweg hält sie an und geht sofort in medias res. »Wir wollten dich bitten, nicht bei unseren Männern rumzuhängen. Warum, kannst du dir vielleicht denken.«

Ich starre sie an und mir schwant, worauf sie hinauswill. »Ich habe doch nur gewitzelt.« Mein Ton ist unterwürfig, und das passt mir gar nicht.

»Das weiß ich natürlich«, entgegnet Kitty zuckersüß, »aber wir wollen die Männer doch nicht auf dumme Gedanken bringen, nicht wahr? Es sind Männer. Als Frau muss man die Zügel in der Hand behalten und Konkurrenz gleich im Keim ersticken.« Sie tippelt ungeduldig mit den Füßen. Leider wartet sie auf eine Antwort vergebens, denn mir fällt partout keine ein.

Kitty lächelt verkniffen und flötet dann: »Das ist total lieb, dass du auf uns Rücksicht nimmst.« Sie haucht mir einen Luftkuss auf die Wange und geht.

Ich bleibe zurück und frage mich: Warum lebe ich eigentlich noch hier?

Manche Äpfel fallen weiter als andere

Es war ein harter Tag. So wie eigentlich jeder Tag, seitdem ich alleinerziehend, selbstständig und Hausbesitzerin bin. Mein Leben besteht aus Listen, die niemals kürzer werden. Gleichzeitig habe ich mich daran gewöhnt und kann es mir nicht mehr anders vorstellen.

So viel zum Thema glücklich sein …

Heute jedoch wollten mich scheinbar alle ärgern. Die ersten Kunden, weil ihnen der Stoff des Sessels, den ich bezogen habe, »am Objekt leider nicht mehr gefällt«. Die letzten Kunden, weil sie den Preis für das Biedermeiersofa unverschämt fanden. Dabei haben sie den Stoff für einhundertvierzig Euro den Meter selbst ausgesucht. Dass meine Arbeit auch kostet, haben sie schlicht ignoriert. Aber was soll ich machen? Gute Arbeit braucht eben Zeit. Und meine Arbeit ist gut, denn ich hatte einen großartigen Lehrmeister. Jakob Simsala war wie ein Vater für mich, und als er mir kurz vor seinem viel zu frühen Tod vor fünf Jahren die kleine Polsterei im Herzen Hannovers überschrieb, habe ich ihm und mir geschworen, sein Werk so fortzuführen, dass er stolz auf mich ist.

Hart war der Tag auch, weil ich im Supermarkt ewig an der Kasse stand, beim Einladen die Wasserkiste fallen ließ, das Finanzamt dringend Unterlagen von mir brauchte … Über die Unordnung im Haus denke ich schon gar nicht mehr nach. Alleinerziehende brauchen nicht nur mehr Geld, sondern Tage, die achtundvierzig Stunden haben.

Zu allem Überfluss hatte die Oma heute einen ihrer schlechten Tage. Die Oma. Hannelore Simsala ist die Mutter meines verstorbenen Meisters, stolze neunundachtzig Jahre alt, rüstig und störrisch. Und doch habe ich es nicht übers Herz gebracht, sie in dem Seniorenwohnheim zu parken, das Jakob für sie ausgesucht hatte. Also wohnt sie weiter in der Wohnung über der Polsterei, ich koche mittags für uns und koordiniere die vielen Geister, die sich um den Rest kümmern. Den Pflegedienst. Den Putzdienst. Den Einkaufsdienst. Freundlich bedankt hat sie sich nie.

Mit einem Knall lasse ich den Kofferraumdeckel meines alten Kombis zufallen, hänge mir zwei Beutel und die Handtasche über die Schulter, wuchte die nur noch halb volle Wasserkiste zum Haus, schließe die Tür auf, stelle alles in den Flur, kicke die Schuhe von den Füßen und falle im Wohnzimmer aufs Sofa. Das könnte ich auch mal neu beziehen. Aber wann?

Ich schließe die Augen und lausche. Sind Annika und Justus zu Hause? Wenn ich es nicht einmal schaffe, meine Kinder zu begrüßen, bin ich fertig. Ausgelaugt. Am Limit. Doch dann wispert dieses helle Stimmchen in meinem Ohr: »Stell dich nicht so an! Du übertreibst! Es geht dir doch gut. Ein bisschen Stress wirst du aushalten.«

»Ach, halt einfach die Klappe«, fauche ich das Stimmchen an.

Es klingelt.

»Ich bin da-ha«, rufe ich, während ich zur Haustür schlurfe. Hoffentlich ist es nicht Kitty. Die klingelt gerne, wenn ihr langweilig ist, aber mein Bedarf nach dem Sommerfest ist erst einmal wieder gedeckt. Obwohl sie tut, als sei es keine große Sache gewesen. Ein Kollateralschaden, ein netter Hinweis, nichts, was unsere gute Nachbarschaft infrage stellt, aber ich hätte schließlich selbst den Stein ins Rollen gebracht mit meiner unangemessenen Bemerkung. Am liebsten hätte ich sie stehen lassen, als sie mir diesen Vortrag am nächsten Tag auf der Straße hielt. Was habe ich stattdessen gemacht? Genickt und gelächelt. Ich bin schon echt blöd.

Zum Glück ist es Jutta. »Hey, Elli. Hast du ein paar Minuten? Oje. Stör ich? Du siehst fertig aus.«

»Danke für das Kompliment«, antworte ich mit einem schiefen Grinsen. »Langer Tag, wie immer, Stau von der Innenstadt bis hier und unangenehme Kunden dazu. Und bei dir?«

»Ich habe keine Lust mehr zu bügeln und brauche Abwechslung. Aber wenn ich störe …«

»Du störst nie. Das weißt du doch. Du bist der unverhoffte Sonnenschein nach einem trüben Tag. Komm rein. Wein oder Butterbrot? Gerne auch beides.«

Jutta lacht. »Wein gerne. Das Butterbrot behalt mal.«

Ich hole zwei Gläser aus dem alten Küchenbüfett, das ich mir letztes Jahr gegönnt habe, und klemme mir eine gekühlte Flasche Grauburgunder unter den Arm. Dann setzen wir uns auf die Terrasse. Wir hatten noch keine Gelegenheit, über das Sommerfest zu sprechen, das holen wir nun nach.

»Es tut mir total leid, dass Kitty wieder übers Ziel hinausgeschossen ist …«

»Kein Problem«, entgegne ich. »Kitty ist eben Kitty.«

Jutta lacht, und wir stoßen an. Sie macht es sich auf dem Gartensofa bequem. »Also, wie geht es dir?«

Ich freue mich über die Frage, denn Jutta ist einer der Menschen, die solche Fragen aus wirklichem Interesse stellen. Sie hat mir in den letzten drei Jahren über viele Jammertäler hinweggeholfen.

»Hm, es geht schon. Ich stelle einfach einen Antrag auf Achtundvierzig-Stunden-Tage.« Ich schenke uns nach. »Klar, manchmal verfluche ich meine geliebte Arbeit, so wie heute, grundsätzlich bin ich aber zufrieden. Ich bin meine eigene Chefin. In der Polsterei und auch hier zu Hause. Ich muss mich mit niemandem absprechen. Ich kann pinkfarbene Glitzervorhänge aufhängen, wenn mir danach ist, und keiner meckert, wenn ich abends früh schlafen gehe. Das ist die coole Seite. Nur glaubt mir das irgendwie keiner.«

Jutta wirkt nachdenklich. »Du bist also wirklich glücklich? Du willst keine neue Beziehung?«

»Du weißt, warum. Aber davon mal abgesehen: Ist nicht diese Frage an sich schon total schrecklich?«

Jutta schaut verdutzt. Ich gebe ihr einen Denkanstoß.

»Alle gehen davon aus, dass eine Frau ohne Mann zwangsläufig unglücklich ist. Im Grunde tun sie häufig so, als wäre ich kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mehr. Erst wenn ich mir einen Neuen geangelt habe, bin ich wieder dabei.«

Jutta nickt. »Du hast recht. Das ist nicht fair.«

»Nicht fair ist noch milde ausgedrückt. Es ist eine Unverschämtheit. Und wenig emanzipiert dazu. Ein für alle Mal: Ich genieße es durchaus, alleine zu sein! Ich brauche keinen Mann! Selbst wenn es Tom Ellis wäre.« Ich grinse sie herausfordernd an. Jutta liebt die Serie Lucifer, in der er die Hauptrolle spielt, und ist hochgradig verknallt in ihn. In einem schwachen Augenblick hat sie mir sogar gebeichtet, dass er in Gedanken ab und an im Ehebett mit von der Partie ist, womit ich sie gerne aufziehe.

»Keinen Tom Ellis?« Jutta grinst mich über den Rand ihres Weinglases hinweg an. »Aber ja, du hast recht. Wir leben in einer Welt, in der Singlefrauen über vierzig so etwas wie Systemfehler sind. Aber den Sex, den vermisst du auch nicht?«

»Gegenfrage: Wie oft schläfst du noch mit Tobi?«

Jutta wird augenblicklich rot. Wie ich ist sie einer dieser Menschen, die bei Verlegenheit ihre Gesichtsfarbe wechseln wie ein Chamäleon. Schon alleine deshalb mochten wir uns vom ersten Augenblick an. Wir sind etwa ein halbes Jahr nach ihnen in die Siedlung gezogen. Jutta wohnt zwei Häuser weiter. Kurz nach unserem Einzug stand sie mit einer Flasche Sekt vor der Tür.

»Brot und Salz ist sicher die gängige Variante, aber ich finde, nach einem Umzug mit zwei kleinen Kindern braucht man einfach ein Glas Sekt. Ich bin übrigens Jutta und wollte dich hier in der Siedlung begrüßen.«

Sie hob mir die Flasche entgegen, mit viel zu viel Schwung, schlug sie gegen die Garderobe und ließ sie dann vor Schreck auf die nagelneuen Fliesen fallen, die seitdem eine kleine Macke haben. Dann wurde sie so rot, dass ich lachen musste. Schallend und völlig unangemessen. Also wurde ich ebenfalls rot, weil ich so gemein gelacht hatte. Wie zwei Tomaten standen wir uns gegenüber, und das war der Beginn einer ganz wunderbaren Freundschaft.

»Touché«, gibt sie sich geschlagen und seufzt, weil eben auch in funktionierenden Ehen vieles nicht funktioniert. Dann trinken wir noch ein Gläschen und finden leichtere Gesprächsthemen.

Nachdem ich Jutta zurück in ihre Doppelhaushälfte geschickt habe, räume ich die Küche auf. Um das Abendessen muss ich mich zum Glück nicht mehr kümmern. Das hat mir mein kriminalistisches Gespür enthüllt, als ich den Wein geholt habe. Es gibt nämlich kein freies Plätzchen mehr auf der Arbeitsfläche. Meine Tochter Annika nutzt die Küche gerne und ausufernd, das Aufräumen überlässt sie großmütig mir. Ich schimpfe grundsätzlich nicht, denn sie versorgt mit ihren dreizehn Jahren immerhin auch ihren drei Jahre älteren Bruder Justus, wenn ich nicht da bin. Gesund, wohlbemerkt. Es ist eines ihrer »Projekte«, das uns schon eine ganze Weile begleitet.

Währenddessen denke ich über das Gespräch mit Jutta nach. Vielleicht ist es an der Zeit, den Kindern endlich von Florians Idee zu erzählen. Seit dem Sommerfest klingt die Vorstellung, dieses Leben hier hinter mir zu lassen, noch verlockender. Immer wieder erwische ich mich beim Pläneschmieden, ohne zu wissen, ob es eine Träumerei oder eine reelle Möglichkeit ist.

Soll ich wirklich neu anfangen?

Alles hinter mir lassen, was ich aufgebaut habe?

Klar ist, ich fühle mich hier einfach nicht mehr wohl. Das ist schon länger so, doch immer habe ich mir eingeredet, es sei eine Art Übergangsschmerz, bis ich mich an das Leben als alleinerziehende Mutter mit all seinen Begleiterscheinungen gewöhnt habe. Ich habe alles darangesetzt, das Haus nach der Scheidung zu behalten, weil ich den Kindern ihr Nest erhalten wollte. Die vertraute Umgebung sollte ihnen die Trennung erleichtern. Dabei habe ich wohl übersehen, dass es nicht die richtige Umgebung für mich ist.

Nun habe ich die Möglichkeit, das zu ändern, und ich sollte endlich eine Entscheidung treffen. Aber wie? Treffe ich sie aus dem Bauch heraus? Würfle ich? Wäge ich die Vor- und die Nachteile ab, schreibe Listen, argumentiere, rechne und entscheide aufgrund von Fakten? Egal, wie ich es drehe und wende, immer tönt diese Stimme im Hinterkopf, es könne womöglich falsch sein. Ganz zu schweigen davon, dass die Kinder auch eine Meinung haben werden. Wie also trifft man eine solche lebensverändernde Entscheidung? Mein Bauch sagt Ja, der Kopf hat nur wenige Einwände, warum also nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen?

Die Küche ist fertig. Zuletzt wische ich die Arbeitsplatte ab, spüle den Lappen aus, hänge ihn über den Wasserhahn und gehe nach oben. Dass ich Justus und Annika noch nicht zu Gesicht bekommen habe, ist nicht ungewöhnlich. Meine beiden Teenies sind nämlich immer beschäftigt und haben nur wenig Zeit für ihre Mutter. Für das Leben, das ich führe, ist das hilfreich. Als Mutter ist es manchmal schwer zu ertragen.

Vor Annikas Zimmer atme ich kurz durch und sammle Mut. Wie werden sie reagieren? Die Zimmertür meiner Tochter ist über und über mit Kunstwerken aus ihrer Da-Vinci-Phase verziert. Wochenlang pauste sie Bilder und Zeichnungen ab und verwandelte sie mithilfe von Tee und Feuerzeug in antike Kunstwerke.

Ich klopfe, lausche auf das leise »Hm« und trete ein. Annika sitzt auf dem Bett und schneidet Hieroglyphen aus. Seit ein paar Tagen befinden wir uns im Alten Ägypten. Im Moment muss es historisch sein, doch sie hatte schon diverse andere Phasen: die Nähphase, die Malphase, die Strickphase – Annika hat stets neue Projekte. Sie kann sich für so vieles begeistern, dass Hobbys nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Manches allerdings bleibt. So wie das Kochen.

»Was wird das?«, frage ich, nachdem ich ihr zur Begrüßung durch die lockigen dunkelblonden Haare gewuschelt habe, und deute auf die ausgeschnittenen Zeichen.

Annika blickt auf, ihre Zungenspitze hängt seitlich aus dem Mund. Sie kann nicht schneiden, ohne dass die Zunge mitarbeitet.

»Magnete. Ich habe mir ein paar Bedeutungen rausgesucht und klebe die jetzt auf unsere Buchstabenmagnete. Die kommen an den Kühlschrank, und dann kann ich Justus beleidigen, ohne dass er es mitkriegt.«

»Also ehrlich. Da meint man, du bist ein schlaues Kind, und dann nutzt du deine intellektuellen Fähigkeiten nur, um deinen Bruder zu triezen.«

Sie verdreht belustigt die Augen. »So muss das bei Geschwistern sein, kein Grund zur Sorge, Mama.«

Ich drücke sie kurz und nehme eines der Bilder in die Hand. »Was bedeutet das?«

Annika deutet auf die einzelnen Zeichen. »Rundherum ist die Kartusche, die rahmt das Wort ein, sodass man auch erkennt, dass es ein Wort ist. Dann kommt das Zeichen für Schlange, das ist ein J, das Wachtelküken steht für U …«

»Da steht Justus!?«

»Genau.« Annika strahlt und erklärt mir die weiteren Zeichen seines Vornamens.

»Ich muss etwas mit euch besprechen«, unterbreche ich sie vorsichtig.

Annika räumt sofort ihre Sachen beiseite. »Klar, was ist los?«

Ich zögere, suche nach den richtigen Worten und entscheide mich dann für den direkten Weg. Meine Kinder mögen es nicht, wenn man drum herumredet. »Florian hat mich gefragt, ob wir mit ihm zusammen den Bauernhof von Onkel Ludwig im Schwarzwald übernehmen, und ich kann mir vorstellen, sein Angebot anzunehmen. Aber nur, wenn ihr zustimmt.«

Annika rückt einen halben Meter zurück und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. Dann hüpft sie vom Bett und schlurft auf Socken zur Zimmertür. Auf halber Strecke dreht sie sich um.

»Hm«, macht sie nachdenklich. »Hast du Justus schon gefragt?«

Ich schüttle den Kopf.

»Dann machen wir das jetzt zusammen.«

Sie öffnet die Zimmertür, ich folge ihr, und fünf Sekunden später stehen wir im Zimmer meines sechzehnjährigen Sohnes. Wie immer sitzt er vor seinen Bildschirmen und rettet die Welt. Justus bezeichnet sich selbst als Cyber-Umwelt-Aktivist, ist erschreckend intelligent und im Grunde seines Wesens ein echter Kavalier.

Annika tritt hinter ihn und tippt ihm auf die Schulter, weil er wie immer dicke Kopfhörer trägt. Er dreht sich um – denn natürlich weiß er längst, dass wir da sind – und nimmt sie ab. »Wie kann ich den Damen helfen?«, fragt er höflich.

»Mama will auf den Hof von Onkel Ludwig ziehen und fragt, ob wir dazu Lust haben.«

Justus blickt von Annika zu mir und wieder zurück. Seine Miene ist unbewegt. »Und? Hast du Lust?«

Annika schiebt nachdenklich die Unterlippe vor. »Hm, ich weiß nicht genau – da muss ich sicher drüber nachdenken, aber warum eigentlich nicht? Ist mal was anderes und für meine persönliche Entwicklung bestimmt förderlich. Auch wenn es wahrscheinlich nicht leicht ist.« Sie macht eine kurze Pause und blickt in sich hinein. »Ich denke aber, nach dem Nachdenken würde ich zu demselben Ergebnis kommen.«

Justus zuckt daraufhin beiläufig mit den Schultern. »Mir ist es eigentlich egal, wo wir wohnen. So viele Freunde habe ich ja nicht, die mich vermissen würden, und meiner Community ist es egal, wo ich sitze. Ihr könnt also die Koffer packen, wenn Annika ihr Okay gibt.«

Ich schüttle amüsiert den Kopf, weil meine Kinder es wieder einmal schaffen, mich zu überraschen. Ein bisschen ist es, als gehe die Sonne auf. Da mache ich mir so viele Gedanken, und dann ist es ganz einfach. Tränen der Rührung steigen mir in die Augenwinkel. Dankbar drücke ich erst Annika und dann, in einem Anfall von Verwegenheit, auch Justus. Sie lassen es milde lächelnd über sich ergehen.

»Ich hätte ja mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ich dachte, ihr braucht dieses Nest. Unser Haus.«

»Wir brauchen WLAN, Bücher und eine entspannte Mutter. So geil fand ich es hier in dieser Vorstadt eh nie«, erklärt Justus. Er setzt sich die Kopfhörer wieder auf, nickt uns freundlich zu und erklärt das Gespräch damit für beendet.

Beschwingt laufe ich die Stufen hinunter. Mitunter unterschätze ich meine Kinder, dabei sollte ich längst wissen, dass sie die besten der Welt sind.

Ich bin schon unten am Treppenabsatz, als Justus aus seinem Zimmer kommt und mir hinterherruft. »Was machst du denn dann mit der Oma?«

»Wie soll ich denn da drankommen?«

Es ist schon fast unheimlich, wie eine Sache nach der anderen gelingt und ein Rädchen in das andere greift. Alle Bedenken, alle Sorgen, die ich mir im Vorfeld mache, sind letztendlich keine. Es wirkt, als müsse alles so sein, und das ist ein schönes Gefühl. Eines, das mich vorwärtstreibt und weitere Entscheidungen treffen lässt. Als bedeute es nichts, ein Leben hinter sich zu lassen, das in der Rückschau nur halb so attraktiv war wie gedacht. Auch wenn ich alles darangesetzt habe, das Haus zu behalten – erst jetzt kann ich dieses Kapitel meines Lebens abschließen. Meine Ehe, an die ich nur noch denke, wenn ich muss. Zu groß ist der Schmerz. Immer, auch noch nach drei Jahren.

Ich habe das Gefühl, dass ich endlich weitergehen kann und hinter mir lasse, was damit zusammenhängt. Mit jedem Schritt fällt eine Last von mir ab. Und an ihre Stelle treten Neugier, ein gewisses Maß an Aufgeregtheit und Vorfreude.

Und so war auch das Problem mit der Oma letztendlich keines.

»Was soll ich denn ohne die Polsterei? Wenn die nicht mehr ist, bin ich auch nicht mehr. Also gehe ich dahin, wo die Polsterei hingeht«, sagte sie überraschend pragmatisch, als ich ihr vorsichtig von meinen Plänen erzählte. Und obwohl ihre Reaktion durchaus cool war, blieb das dumpfe Gefühl, ein Eigentor geschossen zu haben.

***

Sechs Monate später

Nach einer dreistündigen Fahrt am Morgen – wegen der Oma haben wir unsere Fahrt in den Schwarzwald auf zwei Tage verteilt und eine Nacht in der Nähe von Fulda übernachtet – erreichen wir endlich unseren Bauernhof. Unsere neue Heimat zeigt sich im schönsten Licht. Es ist Ende März, in einer Woche ist Karfreitag, und der Schwarzwald hat sich herausgeputzt. Klare Sicht und eine Sonne, die wohlig strahlend gegen die Kälte ankämpft. Nicht, dass das die Oma irgendwie beeindruckt hätte. Ich helfe ihr vom Beifahrersitz und klappe den Rollator auf, den Justus aus dem Kofferraum geholt hat.

»Wie soll ich denn da drankommen?«, krittelt sie prompt. »Ich kann meine Arme nicht ausfahren, Kind.«

Ich schiebe den Rollator drei Zentimeter näher in ihre Richtung. Weitere drei Zentimeter müsste sie sich jetzt vorbeugen, um entspannt an die Griffe zu gelangen. Ich bin gemein, ich weiß. Die Oma ist alt, und drei Zentimeter sind vermutlich vergleichbar mit einem Flug zum Mond. Gleichzeitig ärgere ich mich. Ich möchte in diesem Moment lieber die staunenden Augen meiner Kinder sehen und die Landschaft mit ihren Augen. Es ist ein wichtiger Augenblick für mich, doch Hannelore schafft es, ihn zu trüben.

»Und wie soll ich hier gehen?«, schimpft sie weiter. »Der Boden ist ja eine Zumutung.«

Stirnrunzelnd betrachte ich den geschotterten Hof. Sie übertreibt. Er ist uneben, die Steinchen sind nicht angenehm, sicher, aber die Reifen des Wägelchens sind breit genug. »Versuch es wenigstens, und wenn es nicht geht, lassen wir uns etwas einfallen.«

»Darüber hättest du vorher nachdenken sollen.« Hannelore hängt sich an den Rollator und zuckelt im Schneckentempo Richtung Haupthaus.

»Halt! Wir müssen da oben hin.« Ich deute auf den Weg, der zu Roswithas Häusle führt. »Du weißt doch, die Treppe, die ins Haus führt, und die Treppe innerhalb des Hauses wären für dich zu steil. Bis die Umbauten fertig sind, wohnst du bei Roswitha.« Ich spreche langsam mit ihr, nehme Rücksicht auf ihr Alter. »Nimm dir Zeit, Hannelore. Schau mal, der Blick, die Ruhe. Spürst du die frische Luft? Ist es nicht schön hier?«

Mit zusammengekniffenen Augen fixiert sie das Haus, ignoriert meinen Versuch, sie aus der Reserve zu locken, und schnaubt. »Davon weiß ich nix. Ich werde ja nicht gefragt. Macht mit mir, was ihr wollt. Sperrt mich ruhig ins Hexenhaus.«

Natürlich haben wir mit ihr gesprochen, doch ihr Gedächtnis ist nicht mehr das beste. Dazu kommt ihr Starrsinn. Hannelore hat ihren Sohn Jakob alleine großgezogen und musste ihr Leben lang kämpfen. Ich will es ihr erneut erklären, doch nun sind wir entdeckt worden. Florian stapft mit breitem Grinsen die Treppe zum Hof hinunter.

»Hallo, liebe Hannelore«, begrüßt er sie mit entwaffnender Freundlichkeit. »Willkommen! Schön, dass du da bist.«

Hannelore schüttelt unwirsch den Kopf. »Junger Mann, du kennst mich gar nicht. Ob du das schön findest, kannst du mir vielleicht in einem Jahr sagen. Wenn ich dann noch lebe.«

»Keine Sorge«, antwortet Florian gelassen, »wir werden schon klarkommen, da kannst du granteln, so viel du willst.«

Hannelore steht der Mund offen, und ich beglückwünsche meinen Bruder stumm für die richtige Antwort. Man muss ihr immer mal wieder Kontra geben, sonst dirigiert sie alle nach Lust und Laune. Florian drückt nun Annika an sich, was sie mit einem verschämten Lachen über sich ergehen lässt. Justus klopft er kumpelhaft auf den Rücken.

»Toll, dass eure Mutter euch rumgekriegt hat, ans Ende der Welt zu ziehen.«

Justus grinst. »Wir sind eben tolle Kinder, die verstanden haben, dass eine glückliche Mutter eine glückliche Kindheit bedingt.« Ich lächle ihm dankbar zu, doch natürlich hat Justus eine kleine Finte versteckt. »Und da ich mich als Aktivist am Rande der Legalität bewege, brauche ich im Gegenzug die volle Unterstützung meiner Mutter, falls mal was in die Hose geht.«

»Bitte was?«, frage ich, doch meine männliche Verwandtschaft ignoriert mich.

»Na, dann hast du ja vorgesorgt«, beglückwünscht ihn Florian. »Außerdem habe ich einen Freund, der ist ein fantastischer Anwalt, sollte Elli dir nicht mehr helfen können. Ich freue mich auf jeden Fall sehr, dass ihr hier seid!« Damit dreht er sich einmal um die eigene Achse. »Und? Wie findet ihr den Hof? Typisch Schwarzwald, sage ich nur.«

Bevor die Kinder antworten können, meldet sich noch einmal die Oma. »Worauf wartet ihr noch? Ich bin müde und muss mich jetzt hinlegen. Wohin auch immer. Euren Familienkram könnt ihr später besprechen.«

Ich eile an ihre Seite und helfe ihr, den Rollator über den buckeligen Untergrund zu schieben. Im Schneckentempo. So sanft es geht, laufen wir beide Richtung Gästehaus. Auf halber Strecke kommt uns eine freudestrahlende Roswitha entgegen. In ihrem seidig glänzenden roten Jumpsuit leuchtet sie wie Rotkäppchen im dunklen Wald. Ich werfe einen Blick auf die Oma, ihre Mundwinkel berühren fast den Boden, und mir schwant, dass es vielleicht nicht die beste aller Ideen war, sie mitzunehmen. Sie wird Unruhe stiften. Das ist sicher.

»Hallo, Elli, wie schön, ihr seid da! Den ganzen Tag bin ich schon aufgeregt, weil das Leben endlich wieder auf den Hof zurückkehrt. Meine Güte, ich dachte immer, ich brauche meine Ruhe, und nun freue ich mich auf ganz viel Trubel. Das ist doch verrückt.«

Roswitha versprüht so viel Energie und Lebensfreude, dass ich mich ernsthaft frage, ob sie etwas genommen hat. Gleichzeitig bin ich gespannt, ob ihre Charmeoffensive Anklang findet.

»Und du bist sicher Hannelore. Ich freue mich schon darauf, dich kennenzulernen. Ich habe das Gästezimmer frei geräumt und so umgestellt, dass du auch mit deinem kleinen Helferlein klarkommst. Hach, ich bin mir sicher: Wir werden uns verstehen.«

Roswithas Liebenswürdigkeit beeindruckt Hannelore nicht im Mindesten.

»Warum meint eigentlich jeder, dass es schön wird? Das weiß keiner vorher, und wenn man das so oft sagt, kann es nur schiefgehen.«

Hatte ich bereits erwähnt, wie unnachahmlich Hannelore sein kann?

Ich werfe Roswitha einen entschuldigenden Blick zu, doch sie schüttelt nur freundlich den Kopf. »Positives Denken, liebe Hannelore«, trällert sie, »das ist der Schlüssel zum Glück. Elli, nimmst du das Wägelchen? Das letzte Stück ist etwas holprig, aber keine Bange, ich helfe dir.« Mit diesen Worten klemmt sie sich die Oma, die kaum größer ist als eine Zehnjährige, an den Arm und führt sie zu ihrem Haus.

Schon jetzt ist klar, dass Roswithas Unterstützung mit Geld nicht zu bezahlen sein wird. Als wir ihr sagten, dass sie auf dem Hof bleiben könne und wir sie darüber hinaus gerne für die Pflege und Betreuung der Oma einstellen möchten, sagte sie, ohne zu überlegen und überglücklich, zu – und zur Feier des Tages tranken wir ihren selbst angesetzten Holunderlikör. Doch unser Glück ist noch lange nicht Omas Glück, wie sich heute zeigt, und so löst auch Roswithas Häuschen – ihr Häusle, wie sie es liebevoll nennt – keine Begeisterungsstürme aus. Zu voll, zu bunt, zu klein und das Bett ist zu weich. Ganz sicher ist es das, da reicht ein kurzes Anstupsen mit dem Fingerknöchel.

»Wie soll ich denn da drin schlafen?«

»Dein Bett und auch die anderen Sachen, die du mitnehmen wolltest, kommen in ein paar Tagen mit dem Umzugswagen aus Hannover, weil wir hier noch einiges vorbereiten müssen«, erkläre ich geduldig. »Das hier ist nur eine Notlösung.«

»Bis dahin ist mein Rücken kaputt und ich kann mich gar nicht mehr bewegen.« Mit verschränkten Armen hat sich Hannelore nach der Besichtigung ihres Zimmers, störrisch wie ein Kleinkind, auf dem Sofa in der Wohnstube niedergelassen. Bambi liegt zusammengekauert neben ihr und schläft. Hoffentlich bekommt sie keinen Herzinfarkt, wenn sie merkt, dass sie neben einer Ziege sitzt. Was hat mich eigentlich dazu gebracht, Jakobs Mutter zu fragen, ob sie mit uns umziehen möchte?

Roswitha hantiert derweil behände am Herd, setzt den Wasserkessel auf und verströmt beste Laune. »Hannelore, ich kenne ganz tolle Übungen, die auch im Alter gut zu machen sind. Du wirst dich zehn Jahre jünger fühlen.«

Hannelore beäugt Roswitha ungläubig. »Komm du in mein Alter, dann reden wir weiter.«

»Ich koche uns jetzt einen wohltuenden Tee, und dann lernen wir uns in Ruhe kennen. Ich brenne darauf zu erfahren, was mich alles erwartet, wenn ich alt bin. Elli? Wir brauchen dich hier nicht mehr. Geh zu deiner Familie. Zu tun ist ja genug.«

Annika und Justus sitzen Rücken an Rücken auf der Reifenschaukel, spielen auf ihren Handys und sind blind für das Panorama, das sich vor ihnen ausbreitet. Andererseits, so einträchtig sehe ich sie selten. Weil sie mich noch nicht entdeckt haben, verschanze ich mich hinter einem Busch, ziehe mein Handy aus der Hosentasche und schieße heimlich ein paar Bilder. Die Zeiten, in denen ich meine Kinder hemmungslos fotografieren durfte, sind lange vorbei. Ich verstehe das, trotzdem ist es schade. Die echten Fotos, die, die den Menschen zeigen, wie er ist, entstehen nun mal in den unbeobachteten Momenten, und ausgerechnet die verwehren sie mir. Mit dezent schlechtem Gewissen packe ich das Handy wieder ein und schlendere zu ihnen. »Habt ihr mit der Besichtigung auf mich gewartet? Das ist lieb.«

»Florian meinte, du bist traurig, wenn wir den Hof ohne dich anschauen. Ich hasse es zu warten, das weißt du, aber ich dachte, am ersten Tag bin ich mal nett.« Annika sagt es trocken und ohne aufzublicken.

»Ich will auf Mama warten«, macht Justus seine Schwester mit mädchenhafter Stimme nach. »So hast du das gesagt und mich gezwungen hierzubleiben.« Er springt von der Reifenschaukel, weil er ahnt, was kommt. Sofort hechtet Annika hinterher, doch ihr Bruder ist schneller. »Sorry, Schwesterchen, war nicht böse gemeint.«

Annika streckt ihm die Zunge raus, dann hakt sie sich bei mir ein. Ich liebe diese Foppereien. In diesen Augenblicken sind sie Teenies – albern und unlogisch, wie es sich gehört. Bei meinen Kindern hat das Seltenheitswert.

Und dann zeige ich ihnen unseren Schwarzwaldhof, unser neues Zuhause.

Im ersten Stock, über den Wirtschaftsräumen, befinden sich neben einem Bad und einem kleinen Wohnzimmer die Küche und die Wohnstube. Hier treffen wir auch Florian wieder. Die beiden Räume sind durch eine doppelflügelige Tür miteinander verbunden, die vielen Sprossenfenster auf zwei Seiten spenden Licht und bieten einen herrlichen Ausblick über die Gipfel. Ein wohnlicher Dielenboden, gekalkte Wände und massive Deckenbalken sorgen für ein rustikales Flair. Den Mittelpunkt der Stube aber bildet der dunkelgrüne Kachelofen samt Ofenbank, auf der man sich wie eine Katze fühlt, wenn man sich an kalten Tagen darauf einkuschelt. Er wird von der Küche aus befeuert und wärmt so beide Zimmer gleichermaßen. Die Einrichtung ist so alt wie das Haus selbst, mit einem altertümlichen Herd, einem steinernen Spülbecken, Eichenholzschränken in der Küche und einer Eckbank samt Tisch in der Stube, licht und hell durch die vielen Fenster im Rücken; die Küche ist seit fast hundert Jahren der Mittelpunkt des Familienlebens.

Danach zeigen ihnen Florian und ich gemeinsam den zweiten und dritten Stock und eine ganze Reihe fast leer stehender Zimmer, die nie richtig genutzt wurden. Das Haus war einfach viel zu groß für zwei Menschen, die keine Kinder hatten.

Anschließend geht es über die kleine Rampe hoch zur Tenne.

Vor allem Justus ist beeindruckt. »Die hatten alles unter einem Dach. Das ist echt nicht dumm. Aus ökonomischer und auch ökologischer Sicht. Die Wärme, die die Tiere abgeben, wärmt von unten, das Heu darüber dämmt von oben. Echt gut.« Justus hat einen der Vorteile, die die alten Schwarzwaldhöfe boten, sofort erkannt.