Der Feuergott - C. C. Bergius - E-Book

Der Feuergott E-Book

C.C. Bergius

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Beschreibung

Geflüchtet vor der spanischen Inquisition, hinein in das Kreuzfeuer der Konquistadoren. Zusammen mit der temperamentvollen Andalusierin Catalina suchen die jungen Spanier Pedro und Miguel in Südamerika Zuflucht vor der gnadenlosen Inquisition, die Spanien fest im Griff hat. In der neuen Welt versuchen die drei sich ein Leben aufzubauen. Hier werden sie Zeuge, wie die spanischen und portugiesischen Eroberer, die Konquistadoren, in ihrer hemmungslosen Gier nach Gold und Silber den ganzen Kontinent brutal unterwerfen. Der neuentdeckte Reichtum erweckt Neid und die iberische Silberflotte rückt in den Fokus von Piraten. Inmitten gnadenloser Gefechte um Ruhm und Reichtum kämpft Pedro in der schillernden, geheimnisvollen Karibik um seine Liebe zu der heißblütigen Catalina, die sein Herz im Sturm erobert hat. Ein abenteuerlicher Roman, in dem die exotische Welt im Zeitalter der Konquistadoren lebendig wird. Der Millionen-Bestseller von C.C. Bergius, endlich auch als E-Book erhältlich.

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Seitenzahl: 708

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C. C. Bergius

Der Feuergott

Roman

Gewidmet allen, denen Freundschaft Verpflichtung ist.

Merke, erkenne, sieh und schau, was jetzt die Menschenkinder auf Erden vorhaben: wie sie Berg und Tal, Stock und Stein, Gefilde und Wildnisse, des Meeres Grund und der Erde Tiefe um irdischer Güter willen durchwühlen; wie sie Schächte, Stollen und Gruben ausheben und nach glänzenden Materialien suchen, die sie um ihrer Seltenheit willen über alles schätzen; wie sie Holz fällen, Wände, Scheunen und Häuser den Schwalben gleich zusammenkleistern, Mühlwerke bauen, große Viehherden zusammentreiben, viele Knechte und Mägde haben, hoch zu Pferde reiten, Goldes und Silbers, edler Gesteine und reicher Gewänder im Überfluss besitzen, Wollust und Wonnen pflegen, denen sie Tag und Nacht nachstellen … Was ist das alles? Doch nur Eitelkeit, eine Krankheit der Seele, vergänglich wie der Tag. Durch Krieg und Raub gewinnen sie es: denn je mehr gehabt, desto mehr geraubt. Aus: »Der Ackermann aus Böhmen«, geschrieben um 1400 n. Chr.

1

Nichts, gar nichts wusste Don Pedro Garcia de Calatayud von dem Beschluss, den das Ketzergericht Sanctum Officium am Abend vor dem dritten Fastensonntag im nahe gelegenen Kloster der Dominikaner gefasst hatte. Dennoch war er sich darüber klar, dass sein Vater in höchste Gefahr geraten würde, wenn dieser am nächsten Morgen der heiligen Messe in der Kirche Nuestra Señora de la Concepción fernbliebe. Und das wollte der Vater um jeden Preis. Alles Zureden, Bitten und Beschwören half nichts. Er tat, als ob er nicht höre, und niemand ist so taub wie einer, der nicht hören will.

Dem Gesinde des Landgutes Calatayud blieb nicht verborgen, dass ihr Gutsherr gewillt war, es auf eine Machtprobe ankommen zu lassen. Besorgt blickte es dem dritten Fastensonntag entgegen. Würde der junge Nachfolger die Kraft haben, sich über den Schmerz hinwegzusetzen, der seinem Vater und ihm vor Jahresfrist angetan worden war? Würde er zu Kreuze kriechen, um das Gut nicht zu verlieren?

Der erst zwanzigjährige Don Pedro war nicht bereit, kampflos zu kapitulieren. Er besaß die Tugenden der Aragonesen: Freiheitssinn, Mut und eine kaum zu bändigende Energie. Darüber hinaus hatte er von seiner Mutter, die bei seiner Geburt gestorben war, jene Besonnenheit geerbt, die ihn befähigte, selbst in schwierigen Situationen eine Gelassenheit zu zeigen, die es unmöglich machte, seine Gedanken zu erraten.

So war es nicht Auflehnung, sondern der Wunsch, seine Gegner zu irritieren, dass er am Morgen des dritten Fastensonntages sein auffälligstes, für einen Kirchgang geradezu herausforderndes Gewand anlegte. Provozierend war besonders die kardinalsrote, hauteng anliegende Hose, die bis zu den Fußspitzen reichte und seine Männlichkeit ebenso unterstrich wie sein gestutzter Kinnbart. Ein Degen betonte die Bereitschaft zu kämpfen. Dafür sprach auch das Barett, das er als Kopfbedeckung gewählt hatte. Es galt als soldatisches Kleidungsstück und enthob ihn der Verpflichtung, während der Messe den Kopf zu entblößen.

Und dennoch: Er spürte das Pulsieren des Herzens, als er gemessenen Schrittes den Platz vor der Kirche überquerte. Genau vor Jahresfrist, 1533 n. Chr., war hier seine Stiefmutter, die ihn seit seiner Geburt gehegt und gepflegt hatte, in einem Autodafé öffentlich verbrannt worden. Diese unglaubliche Strafe wurde erteilt, weil sie als gebürtige Jüdin auch nach ihrer Taufe und Aufnahme in die christliche Gemeinde den Sabbat in Ehren gehalten und niemals Schweinefleisch gegessen hatte.

Vater und Sohn hatten Zeuge des schrecklichen Geschehens sein müssen, und beide waren seither wie verwandelt. Der alte Gutsbesitzer sprach kaum noch ein Wort, und Don Pedro hatte in seinem Schmerz über den Verlust der stets aufopfernd um ihn bemüht gewesenen Stiefmutter den Entschluss gefasst, ihren Mädchennamen künftig zusätzlich zum väterlichen Namen zu führen. Doch das hatte er nur seinem Vater und einigen Freunden anvertraut, auf die er glaubte, sich verlassen zu können.

Wie sehr er sich täuschte, sollte sich an diesem Morgen erweisen. Und zwar in dem Augenblick, da er das Portal der Kirche erreichte.

Die Inquisitoren hatten vor wenigen Tagen wieder einmal ein Glaubensedikt veröffentlicht, das die Bewohner der Stadt aufforderte, innerhalb einer Woche ein Geständnis abzulegen, falls sie jemals eine ketzerische Äußerung getan oder ein solches Vergehen auch nur in Gedanken begangen haben sollten. Wer sich schuldig bekenne, so hieß es in dem Edikt, werde Verzeihung erlangen und mit einer geringfügigen Strafe davonkommen – sofern er echt bereue und seiner Reue dadurch sichtbaren Ausdruck verleihe, dass er die Personen benenne, durch die er glaube, schuldig geworden zu sein.

Die Betroffenheit über diese entsetzliche, die Denunziation zur Pflicht machende Forderung stand in den Gesichtern der Kirchgänger wie mit einem Meißel geschrieben. Jeder bangte um sein Leben und spähte aus nach einem Opfer, dem er etwas am Zeug flicken konnte, um selbst als reumütiger Bekenner dazustehen.

Die hellblauen Augen Don Pedros, die keltische Vorfahren erkennen ließen und in auffallendem Kontrast zu seiner braunen, typisch aragonesischen Hautfarbe standen, erhielten einen gefährlichen Glanz. Wohin trieb die Inquisition, die sich ›heilig‹ nannte und selbstgefällig verkündete, ›zur höheren Ehre Gottes‹ zu wirken, all jene Gläubigen, die glücklich waren, wenn sie ihre Gebete in Ruhe an den Allmächtigen und an seinen zur Erde herabgestiegenen Sohn richten konnten?

Die Inquisitoren machten das Volk bewusst unsicher. Sie schürten tausend Ängste, um Anschuldigungen zu erhalten, die es ihnen ermöglichten, begehrte Güter und Besitzungen für den Staat und für die Kirche zu konfiszieren. Seit den Reyes Católicos, dem katholischen Königspaar Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón, arbeiteten beide Institutionen Hand in Hand. Ihre ersten Opfer waren Juden gewesen, dann Conversos, getaufte Juden und Mohammedaner, die es zu Vermögen gebracht hatten. Und da solche Opfer im Laufe der Jahre rar geworden waren, fahndete man nun nach Sympathisanten von ›Neuchristen‹. Bei geschicktem Vorgehen und der Erfassung von möglichst vielen Denunziationen bereitete es keine Schwierigkeit, solche Familien ihrer gesellschaftlichen Stellung zu berauben und ihr Hab und Gut ›sicherzustellen‹.

Wahrhaftig, der Mensch ist des Menschen Wolf, ging es Don Pedro durch den Sinn, als er erhobenen Hauptes auf das Portal der Kirche zuging.

In diesem Moment trat ein kleiner, verbissen aussehender Mann, von dem jeder wusste, dass er als sogenannter Familiar Spitzeldienste im Auftrage des Sanctum Officium leistete, aus dem Schatten der Kirchentür und stellte sich dem jungen Hidalgo brüsk in den Weg.

Mit einem derartigen Auftritt hatte Don Pedro nicht gerechnet. Doch es zuckte kein Muskel in seinem schmalen Gesicht. Keine Unmutsfalte wurde sichtbar. Nur der unwillkürliche Griff seiner schlanken Hand zum Degen ließ erkennen, dass er auf der Hut war. »Ihr wünscht?« fragte er, sich verbindlich gebend.

Der Familiar reckte den Kopf. »Stimmt es«, entgegnete er mit hoher Falsettstimme, »dass Ihr den Mädchennamen Eurer Stiefmutter, also einer Sünderin, die zum Tod durch Verbrennen verurteilt wurde, Eurem Namen hinzufügen wollt?«

Die Frage erschreckte den Hidalgo. Was sollte er antworten? Einer seiner Freunde musste ihn verraten haben.

Aus dem Dunkel der Kirche trat der Superior des Dominikanerklosters. Seine weiße Kutte leuchtete im Licht der Sonne. Nachdenklich blickte er zum Himmel hoch.

Abgekartetes Spiel, dachte Don Pedro Garcia. Ohne ihn hätte der Spitzel nicht den Mut aufgebracht, mir den Weg zu verstellen.

»Nun äußert Euch schon!« insistierte der Familiar. »Habt Ihr vor, den Namen …?«

»Ja«, fiel Don Pedro lebhaft ein. Ihm war ein rettender Gedanke gekommen. Blitzartig hatte er erfasst, wie er sich herausreden konnte, ohne dem Schurken zu widersprechen, der ihn denunziert hatte. »Ihr seid richtig informiert. Ich habe meiner Stiefmutter vor acht Jahren, an meinem zwölften Geburtstag, versprochen, ihren Mädchennamen später, wenn ich das Gut einmal übernehme, mit dem meinen zu vereinen. Unter den gegebenen Umständen werde ich nun wohl bald mit meinem Seelsorger sprechen und ihn entscheiden lassen müssen, ob ich nach allem, was inzwischen geschehen ist, an mein damals gegebenes Wort gebunden bin.«

Das Gesicht des Spitzels glich einem zerknitterten Stück Papier.

»Vielleicht wäre es sogar gut, wenn ich mich in dieser Angelegenheit gleich an den Superior wende, den ich gerade kommen sehe«, fuhr Don Pedro mit erhobener Stimme fort und ging auf den Dominikaner zu.

»Hochwürden, ich möchte mich mit einer Frage …«

Der Ordensvorsteher unterbrach ihn mit abwehrend erhobenen Händen. Er wusste, weshalb der Familiar an den jungen Adeligen herangetreten war. »Zunächst ist es an mir, Fragen zu stellen!«

Don Pedro deutete eine Verneigung an, obwohl es ihm schwerfiel, sich vor diesem Mann zu verstellen. Denn der Superior war es gewesen, der die Verhaftung seiner Stiefmutter befohlen und das furchtbare Todesurteil über sie ausgesprochen hatte. »Ich stehe Euch zu Diensten, Hochwürden.«

»Ihr besucht heute allein die heilige Messe?«

»Ja, mein Vater ist erkrankt und muss das Bett hüten.«

»Er kommt also nicht zur heiligen Messe?«

»Das sagte ich bereits.«

»Aber ich weiß, dass er gestern noch eines dieser braunen Blätter rauchte, die Columbus bedauerlicherweise in unser Land eingeführt hat.«

»Es gibt Menschen, die anders darüber urteilen«, entgegnete Pedro Garcia gelassen und behauptete frech: »Mein Vater raucht den Tabak, weil es heißt, der Qualm räuchere die Luftwege aus und vernichte Krankheitskeime.«

Der Blick des Superiors wurde stechend. »Ihr seid allem Anschein nach nie um eine Antwort verlegen.«

Der Sohn des Gutsbesitzers verkniff es sich nicht zu erwidern: »Wie Ihr wisst, hatte ich ja auch einen sehr guten Lehrer.« Er spielte damit auf einen Franziskanerpater an, mit dem der Ordensvorsteher oft in Streit geraten war. Der Grund war immer der gleiche gewesen. Gemäß der Auffassung seines Ordens vertrat der Franziskaner den Standpunkt, Christus habe nie irgendwelche Güter besessen. Der Dominikaner hingegen bestritt dies lebhaft.

Don Pedros Anspielung auf seinen Lehrer erboste den Superior. »Ihr werdet von mir noch hören!« schnaubte er, wandte sich um und kehrte in die Kirche zurück.

Der junge Hidalgo blickte zufrieden hinter ihm her. Er fühlte sich erleichtert wie jemand, der sich von Hunden angefallen sieht, die plötzlich zurückgepfiffen werden. Euphorie überkam ihn und ließ ihn überheblich denken: Man muss sich nur zur Wehr setzen!

Sein unvermittelt gesteigertes Selbstbewusstsein ließ ihn viel zu großspurig durch das Portal schreiten. Vor den Stufen des Hauptaltars standen Gardisten mit Hellebarden, das Gesicht den Kirchenbesuchern, den Rücken dem Priester zugewandt. Seit der verhasste Inquisitor Arbues in der Kathedrale von Zaragoza beim Zelebrieren der Messe ermordet worden war, achteten die Mitglieder des Sanctum Officiums sehr darauf, dass sie nicht ungeschützt am Altar standen.

Warum haben wir nicht den Mut, den unsere Vorfahren aufbrachten, als ihnen das Treiben der Inquisition zu bunt wurde, dachte Don Pedro und erinnerte sich an den Onkel seiner Stiefmutter, der mit der Taufe den Namen Santangel angenommen hatte und einer der Hauptverschwörer gegen Arbues gewesen war. Freilich wurden er, seine Freunde und einige seiner Nachkommen hingerichtet, doch seinem Neffen Luis gelang es trotzdem, vom König Ferdinand zum Escarbano de ración, zum Kanzler der Intendantur des Herrscherhauses, ernannt zu werden.

Die Fantasie der schwärmerischen Jugend gaukelte Don Pedro verlockende Bilder vor. Im Geiste sah er sich an einen der Höfe des derzeit regierenden Königs Karl I. berufen, der als Karl V. gleichzeitig deutscher Kaiser war. Salamanca, Tordesillas, Segovia! Er hörte das Rauschen der Seidenröcke und Klirren der Degen, sah, wie man sich voreinander verneigte, Knickse andeutete, sich zulächelte und vor Spiegeln verweilte, in denen man bewundernd sich selbst betrachten konnte.

Ein Sonnenstrahl, der durch das Kirchenfenster fiel, blendete Don Pedro beim Durchschreiten des Mittelschiffes. Er schaute zur Säule neben der Kanzel, vor der sich die Familie Gomez für gewöhnlich einfand. Er war verliebt in die achtzehnjährige Bäckerstochter Pilar-Maria und hatte ihr insgeheim die Ehe versprochen. Dass sein Vater nicht erbaut davon sein würde, konnte er sich denken. Er schwieg deshalb vorerst und genoss die Stunden, die er mit ihr an späten Sonntagnachmittagen in einem Gehölz nahe der Stadt verbrachte. Auch heute würde es wieder so sein.

Beim Niederknien zur Konsekration konnte er für einen Moment ihr hübsches Profil sehen. Ein duftiger, bis auf die Schultern herabfallender Spitzenschleier verdeckte ihr dunkles Haar. Ihre mandelförmig geschnittenen Augen erinnerten an weichen Samt.

Sie wird von Woche zu Woche schöner, dachte Pedro Garcia. Was lässt sie nur so aufblühen?

Er ahnte nicht, dass Pilar-Maria in anderen Umständen war. In ›ungesegneten‹, würde der Superior konstatiert haben. Mit Gewissheit wusste sie dies selbst erst seit kurzem, und sie wollte es Pedro an diesem Nachmittag anvertrauen.

Dazu kam es jedoch nicht. Als die beiden sich wenige Stunden später im Wäldchen trafen, war er so aufgeregt, dass sie ihr Geheimnis lieber für sich behielt. Gefährliches hatte sich ereignet. Der Ordensvorsteher war mit einigen Mitgliedern der Kongregation überraschend auf dem Gut erschienen und hatte den Vater zu sprechen verlangt. Glücklicherweise lag dieser im Bett. Allerdings nicht, weil er krank war, sondern weil er versucht hatte, sich über den Jahrestag der Verbrennung seiner Frau mit Weinbrand hinwegzuretten.

»Wäre er noch auf gewesen, hätten sie ihn mitgenommen«, sagte Pedro Garcia bedrückt. »So konnte ihm Gott sei Dank kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er die Messe nicht besucht hatte. Für meinen Vater hätte es das Ende bedeuten können.«

Pilar-Maria sah ihn hilflos an. »Man wird es doch nicht wagen, einen Menschen, dessen Reinheit des Blutes über jeden Zweifel erhaben ist …«

»Den Fehler machen die bestimmt nicht«, fiel er ihr ins Wort. »Dafür sind sie zu schlau.«

»Warum gibt dein Vater sich dann die Blöße, nicht in die Kirche zu gehen?« wagte Pilar-Maria einzuwerfen.

»Verstehst du das denn nicht?« erregte sich Pedro. »Er kann seine brennende Frau nicht vergessen! Ihm ist es völlig gleichgültig geworden, was mit ihm geschieht!«

Sie strich über das saloppe Jackett aus grauem Ziegenleder, das er über einem einfachen Scholarenhemd trug. Die am Vormittag zur Schau gestellte kardinalsrote Hose hatte er gegen eine bequeme Pluderhose und Stulpenstiefel getauscht.

»Nun setz dich erst mal hin«, sagte er und gab ihr einen Kuss. »Ich bin im Augenblick völlig durcheinander.«

»Vielleicht siehst du zu schwarz.«

Er schüttelte den Kopf und hockte sich auf den Boden. »Im Gegenteil, ich befürchte, dass dem Ordensvorsteher der Dunst des Branntweins aufgefallen ist.«

»Dann hätte er das bestimmt gesagt.«

»Täusch dich nicht. Der Hund ist mit allen Wassern gewaschen.«

Sie setzte sich neben ihn. »So solltest du über einen Geistlichen nicht sprechen.«

»Das ist für mich kein Geistlicher«, brauste er auf. »Er wühlt im Dreck und delektiert sich daran, rechtschaffene Gläubige in Angst und Schrecken zu jagen. Aber was können wir von Priestern erwarten, wenn Päpste, Kardinäle und Erzbischöfe sich Konkubinen leisten und ihren unehelichen Kindern Grafschaften oder Herzogtümer verschaffen? Sitte und Recht haben ihre Geltung verloren.«

Pilar-Maria schmiegte sich an Pedro. Vielleicht konnte sie ihm doch noch sagen, dass sie ein Kind erwartete.

Er legte den Arm um sie. »Lass uns von etwas anderem sprechen. Die Zeit, in der wir leben, ist zu scheußlich.«

Ich werde mich ihm ein anderes Mal anvertrauen, dachte Pilar-Maria. Heute scheint für ihn ein unglücklicher Tag zu sein.

Vielleicht wollte es das Schicksal, dass Don Pedro Garcia, der sich, ohne es zu ahnen, mit Riesenschritten der Stunde näherte, die sein bis dahin wohlgeordnetes Leben in eine atemberaubende Odyssee verwandeln sollte, nicht noch in letzter Minute erfuhr, wie es um seine Freundin bestellt war.

An diesem Nachmittag jedenfalls legte er sich mit Pilar-Maria an den Rand einer Waldlichtung, schob seinen Arm unter ihren Kopf und blickte zur untergehenden Sonne hinüber, die Aragonien zu vergolden schien und dem Land seit Menschengedenken keinen so warmen März geschenkt hatte. »Es könnte ein gesegnetes Jahr werden«, sagte er mit ungewohnt feierlicher Stimme. »Auf dem Weg hierher sah ich sogar an Stellen, wo der Boden nur aus Gips und Mergel besteht, zarte Grashalme aus der Erde sprießen.«

Sie rückte näher an ihn heran. »Ich hab’ es gern, wenn du so sprichst.«

Er spürte, dass sie ihn nicht an seinen Vater denken lassen wollte.

»Erzähl weiter«, sagte sie. »Hast du noch mehr entdeckt?«

»Zum Beispiel, dass die Maulbeersträucher sich mit Kätzchen schmücken.«

»Und was noch?«

Er wies auf die hinter ihnen stehenden Bäume. »Dass sich auf den Zweigen der Kiefern bizarre, senkrecht stehende Triebe mit silberglänzenden Schuppen bilden. Alles sprießt so intensiv, dass man meinen könnte, die Natur mache den Versuch, uns vom düsteren Geschehen in der Welt abzulenken.«

Seine Worte waren noch nicht verklungen, da wurde aus nicht allzu großer Entfernung sein Name gerufen.

Betroffen sprangen beide auf.

Pedro warf Pilar-Maria einen bedeutungsvollen Blick zu. »Das ist Pablo! Nur er kennt unser Versteck.«

Sie eilten durch das Gehölz zur Landstraße zurück.

»Es muss etwas geschehen sein. Sonst käme er nicht hierher.«

Sie griff nach seiner Hand.

Zum zweiten Mal wurde sein Name gerufen.

Er rief zurück.

Als sie den Waldrand erreichten und den Bruder Pilar-Marias gehetzt auf sie zurennen sahen, war ihnen klar, dass eine Hiobsbotschaft auf sie wartete.

»Dein Vater wurde abgeholt!« keuchte Pablo Gomez atemlos.

Pedros Schultern sanken herab. »Woher weißt du das?«

»Von eurem Gutsverwalter.«

Der Hidalgo riss sich zusammen, um eine aufkommende Schwäche zu überwinden. »Wann ist das geschehen?«

»Vor einer Stunde. Sie kamen mit einem Wagen und wurden von zwei Hellebardiers begleitet. Nach dir fahnden sie ebenfalls. Das ganze Gut wurde durchsucht, das Gesinde vernommen. Du musst auf der Stelle verschwinden.«

Pilar-Maria umklammerte Pedro.

Er versuchte, sich zu konzentrieren. In der Ferne läutete die Glocke zur Abendandacht. Im Geiste sah er den Ordensvorsteher, der die sonntägliche Feierstunde für gewöhnlich selber leitete. Irgendetwas musste er unternehmen. Aber was? Einen Befreiungsversuch riskieren? Unmöglich. Der Kerker war nicht zu erstürmen. »Hör zu«, sagte er an Pablo Gomez gewandt. »Sobald es dunkel geworden ist, gehst du zum Gutsverwalter und lässt dir die beiden besten Rappen geben. Möglichst auch Nahrung für ein paar Tage.«

Pilar-Maria zitterte am ganzen Körper. »Was hast du vor?«

»Mich nicht einsperren zu lassen! Ich räume das Feld aber nicht kampflos. Ich werde vielmehr versuchen, meinen Vater durch einen Kompromiss freizubekommen. Darum zwei Pferde.«

»Du wirst doch nicht in die Höhle des Löwen gehen«, ereiferte sich der Bäckerssohn.

»In die Höhle nicht. Aber den Löwen werde ich herauslocken.«

»Bitte, mach jetzt keine Dummheit«, flehte Pilar-Maria.

Er setzte sich über ihren wohlgemeinten Rat hinweg. »Beeil dich, Pablo! Mit den Pferden erwartest du mich etwa eine halbe Legua vom Stadtzentrum entfernt in Richtung Zaragoza.«

»Willst du etwa dorthin?«

»Woher soll ich das jetzt schon wissen. Alles hängt davon ab, ob es mir gelingt, meinen Vater den Häschern zu entreißen.«

»Mach keinen Fehler!« beschwor ihn Pilar-Maria. »Deinen Vater wird man in der gegenwärtigen Situation niemals ohne Weiteres freigeben.«

Er nickte. »Ohne Weiteres bestimmt nicht.« Sich unbekümmert stellend, wandte er sich an Pablo Gomez. »Alles klar?«

»Ja.«

»Begib dich aber erst nach Anbruch der Dunkelheit ins Gut. Und reite mit den Pferden nicht durch die Stadt!«

»Du kannst dich auf mich verlassen.«

Pablo Gomez eilte davon.

Seiner Schwester traten Tränen in die Augen.

Pedro umarmte sie. »Wenn du meine Frau werden willst, darfst du in schwierigen Augenblicken nicht schwach werden.«

»Aber ich spüre, dass du Gefahr läufst, dich ins Verderben zu stürzen. Was soll ich tun, wenn auch du verhaftet wirst?«

»Dann musst du das als ein Gottesurteil hinnehmen«, antwortete er unbeirrt.

»Und was wirst du tun, wenn es dir nicht gelingt, deinen Vater zu retten?«

Pedro zögerte einen Moment. »Das kann ich noch nicht sagen, und wüsste ich es, ich würde nicht darüber reden, damit du unbelastet bist und gegebenenfalls schwören kannst, nichts zu wissen. Im Übrigen werde ich die Verbindung zu dir nicht abreißen lassen. Du wirst zu gegebener Zeit erfahren, wohin du dich begeben sollst. Das verspreche ich dir.«

Sie umarmte ihn, als wollte sie ihn festhalten.

Er streichelte ihre Wange. »Wir dürfen keine Minute mehr verlieren. Der Herrgott sei mit dir. Mit uns!« fügte er schnell hinzu.

In diesem Augenblick dominierte in ihm der Hidalgo, der sich durch nichts beirren lässt, wenn er zum Kampf gestellt wird. Er gab sich allerdings keinen Illusionen hin und rechnete damit, dass seinem spontan gefassten Entschluss ein negatives Ergebnis beschieden sein könnte.

Don Pedro Garcia fieberte plötzlich der Begegnung entgegen. Endlich einmal würde er dem Ordensvorsteher unverblümt die Wahrheit sagen können.

Jedes Wort legte er sich zurecht, als er in der eintretenden Dunkelheit durch die unerleuchteten Gassen zur Kirche eilte. Dem Schacher der Inquisitoren um Denunziationen wollte er den fairen Kampf um ein Menschenleben entgegensetzen. Ein Gut für die Freigabe seines Vaters! Hinausschreien wollte er: Erspart Euch den Prozess und behaltet wenigstens ein einziges Mal ein reines Gewissen! Nehmt unsere Besitzung! Wir werden verschwinden und niemals zurückkehren.

Was er sich zurechtgelegt hatte, war unausgegoren und dem Schock entsprungen, den die Verhaftung des Vaters ausgelöst hatte. Seine Gedanken kreisten so sehr um dessen Befreiung, dass er das Unmögliche seines Vorhabens nicht erkannte.

In der Nähe der Sakristei verbarg er sich hinter einem Stützpfeiler des Kirchenschiffes und wartete mit klopfendem Herzen auf das Erscheinen des Superiors. Doch je länger er wartete, umso größere Zweifel kamen ihm. Hatte er sich verrannt?

Die Tür zur Sakristei wurde geöffnet, und der Ordensvorsteher erschien mit einer Laterne in der Hand. Sein Gesicht war von der Kapuze seiner Kutte zum Teil verdeckt. Bedächtig stieg er die Stufen hinab und ging in die Richtung, in der der junge Hidalgo stand.

Sekunden noch zögerte dieser. Dann sprang er vor und stellte sich dem Dominikaner in den Weg.

Der prallte erschrocken zurück und hob die Lampe.

»Jetzt wird abgerechnet!« keuchte Pedro Garcia. Alles, was er sich vorgenommen hatte, war vergessen. Er starrte in das asketisch hagere Gesicht des Superiors, sah dessen tief gekerbte Falten um die Mundwinkel und blickte in zwei brennende schwarze Augen.

»Seid Ihr nicht bei Verstand?« fuhr ihn der Ordensvorsteher an.

Don Pedro war nicht mehr Herr seiner Sinne. Er schlug dem Mönch die Laterne aus der Hand, stürzte sich auf ihn, umklammerte seinen Hals und schüttelte ihn mit aller Gewalt. »Diesmal kommt Ihr nicht ungeschoren davon!«

Der Dominikaner versuchte, sich zu befreien.

Die Hände des Hidalgo griffen zu wie Zangen. »Den Tod meines Vaters werdet Ihr nicht erleben! Heute ist es an Euch …« Er stockte. Ihm war es, als sei im Hals des Superiors etwas gebrochen. Seine Hände spreizten sich, gaben den Inquisitor frei.

Dessen Kopf fiel kraftlos nach vorn. Dann schlug er der Länge nach zu Boden.

Sekundenlang war Pedro Garcia wie erstarrt. Er hatte den Vater retten wollen …

Keinen Gedanken konnte er mehr fassen. Aber ganz unvermittelt überkam ihn ein Triumphgefühl. Und das, obwohl er wusste, dass er nun fliehen musste.

Die Kuppen der Berge um Calatayud zeichneten sich vor dem sternenübersäten Himmel ab.

Atemlos erreichte Don Pedro Pilar-Marias Bruder. »Schnell, verschwinde!« rief er noch im Laufen. »Mach, dass du nach Hause kommst! Aber nicht auf dem direkten Weg!«

»Was ist passiert?«

»Ich habe den Ordensvorsteher umgebracht.«

Erschrocken bekreuzigte sich Pablo Gomez.

Pedro Garcia schwang sich auf eins der Pferde und griff nach dem Zügel des zweiten. »Kein Wort darüber!«

»Wie konnte das geschehen?«

»Sag Pilar-Maria, sie soll nicht verzagen. Ich lasse von mir hören.«

Entgeistert blickte der Bäckerssohn hinter dem Hidalgo her, der mit den Pferden wie ein Schemen in der Nacht verschwand.

2

Kein Mond erhellte die Nacht. Gleich erstarrten Wogen hoben sich die Bergrücken gegen den Sternenhimmel ab. Aufmerksam musterte Don Pedro ihre Konturen. Er kannte jeden Winkel der Umgebung seiner Heimatstadt und fand sich auch im Dunkel gut zurecht. Sein Plan war klar. Um mögliche Verfolger in die Irre zu führen, ritt er zunächst auf der Landstraße nach Zaragoza, dann wechselte er nach Norden hinüber, so dass er den weithin sichtbaren, noch mit Schnee bedeckten Gipfel des Moncayo rechts voraus liegen hatte. Bei Einhaltung dieser Richtung musste er auf den Weg nach Cirla stoßen, dem er bis zur Morgendämmerung folgen wollte. Und hier, am Fuße der Cordillera, gedachte er in einem Wald zu rasten.

Der Ritt durch die Nacht, der seine volle Konzentration verlangte, befreite ihn nicht von Gedanken und Vorstellungen, die gleich Wechselbädern über ihn kamen. Immer wieder spürte er, wie unter seinen Händen ein Knochen brach. Immer erneut sah er den Superior der Länge nach hinschlagen. Kein Zweifel, er hatte ihn umgebracht. Aber war er schuldig geworden? Er allein? Er verteidigte sich vor sich selbst in der Überzeugung: Schuld kann nur im Willen liegen, nicht in der Tat. Er hatte weder die Absicht gehabt zu töten, noch hatte er sich auf solche Weise rächen wollen. Keine Sekunde war ihm der Gedanke gekommen, den Ordensvorsteher umzubringen. Der Superior beschäftigte ihn eigentlich nur, weil bestimmte Bilder sich ihm immer wieder aufdrängten. Seine Gedanken weilten bei Pilar-Maria und beim Vater, den niemand mehr retten konnte.

Doch was sollte aus Pilar-Maria werden? Er konnte nur hoffen, dass ihre geheime Beziehung zu ihm nicht bekannt wurde. Die Inquisitoren würden vor nichts zurückschrecken.

Gewaltsam musste sich Pedro Garcia von seinen Grübeleien befreien. Der nächtliche Ritt über unebenes Gelände verlangte seine ganze Aufmerksamkeit. Die Richtung nach Westen hatte er nicht zufällig gewählt. Er wollte versuchen, sich nach Salamanca durchzuschlagen. Dort hoffte er, Hilfe bei einem Verwandten seiner Stiefmutter zu finden, der es, trotz jüdischer Abstammung, als getaufter Neuchrist fertiggebracht hatte, sich zum Kardinal hochzuarbeiten. ›Hochzubezahlen‹, hatte seine Stiefmutter einmal schmunzelnd gesagt, und sie hatte kein Hehl daraus gemacht, dass der hochwürdige Kardinal schöne Frauen über alles schätze und eben darum von einigen namhaften Mitgliedern des Sanctum Officium unerbittlich bekämpft werde. Wahrscheinlich war es ihm deshalb nicht möglich gewesen zu helfen, als sein Vater ihn durch einen Kurier gebeten hatte, sich in den gegen seine Frau angelaufenen Prozess einzuschalten. Doch wie es auch gewesen sein mochte – nach allem, was in der Familie über ihn erzählt wurde, durfte Don Pedro hoffen, bei ihm Unterschlupf und Rat zu finden.

Um Mitternacht machte er eine kurze Verschnaufpause, und da inzwischen am Himmel eine Mondsichel aufgestiegen war, die etwas Licht spendete, unterzog er die den Rappen umgehängten Taschen einer ersten Prüfung. Ihr Inhalt überraschte ihn. Der Gutsverwalter hatte an alles gedacht. Außer Hafer für die Pferde gab es Brot und Hartwürste, einen mit Wein gefüllten Ziegenledersack und vor allen Dingen einen prall mit Maravedís und mehreren Golddukaten gefüllten Lederbeutel.

Es gibt kein böses Ereignis, das nicht gute Menschen auf den Plan ruft, dachte Don Pedro beeindruckt. Hoffentlich bekommt niemand heraus, wie sehr mir der Gutsverwalter geholfen hat. Es wäre sein Ende. Ebenfalls das von Pablo Gomez. Und was dann aus dessen Eltern und Pilar-Maria werden würde …

Von diesem Augenblick an war er sich der Schuld bewusst, die er auf sich geladen hatte. Seine Tat war gewiss im Affekt geschehen, durch seine Flucht aber hatte er andere in Gefahr gebracht.

Der Weiterritt wurde ihm zur Qual. Seine Gedanken kamen nicht los von Calatayud. Was mochte sich dort jetzt abspielen? Erst als er im Morgengrauen an die eigene Sicherheit denken und die Pferde versorgen musste, vergaß er, was hinter ihm lag.

Etwa dreißig Kilometer hatte er zurückgelegt. Er schätzte, dass es bis Salamanca noch über vierhundert Kilometer sein würden.

Nach einem abgrundtiefen Schlaf und einem zweiten Nachtritt erreichte er den Rio Duero, dem er bis kurz vor Valladolid folgen wollte. Doch bald stellte er fest, dass dies unmöglich war. Das Ufer war zu felsig und das Gefälle teilweise so steil, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als den Morgen abzuwarten und die weiteren Strecken bei Tageslicht zurückzulegen. Und das auf der Landstraße!

Dies bereitete ihm große Sorge. Als er aber am nächsten Tag unbehelligt blieb, sah er der Zukunft wieder hoffnungsvoller und gelassener entgegen. Und dann ereignete sich etwas, das seiner Flucht von einer Stunde zur anderen eine abwechslungsreiche und höchst interessante Variante verlieh.

Er hatte das Städtchen Almazán gerade hinter sich gelassen, als ein vor ihm des Weges gehender, schwer bepackter junger Mann sich nach ihm umdrehte und lachend rief: »Na, endlich kommt Ihr! Ich habe schon lange auf Euch gewartet.«

Pedro Garcia hielt die Pferde an und ging auf den Scherz ein. »Euer Rappe war noch nicht beschlagen. Darum die Verzögerung. Ich bitte höflichst um Entschuldigung.«

»Olé!« rief der Bursche, riss sich die Mütze vom Kopf und schleuderte sie in die Luft.

Der Hidalgo betrachtete ihn verwundert. Der Fremde war stämmig und hatte ein bäuerlich rundes Gesicht, das ein flaumiger Bart zierte. Auf dem Rücken trug er eine zusammengerollte Decke. In einer Hand hielt er einen Korb mit getrockneten Fischen. Um den Hals hatte er mehrere Ketten Chorizos, kleine spanische Würste, hängen. Über seiner Schulter baumelten Holzschuhe und ein Schlauch Landwein. Und dennoch war er so beweglich, dass er seine Mütze in die Luft schleudern und wieder auffangen konnte.

»Ihr habt ja ganz schön zu schleppen«, sagte Don Pedro beeindruckt.

»Darum wartete ich ja auf Euch!«

»Seid Ihr schon mal geritten?«

»Und ob!«

Pedro Garcia sprang vom Pferd. »Dann wollen wir umpacken.«

»Ich soll wirklich …?«

»Gewiss doch. Wohin geht Eure Reise?«

»Nach Salamanca.«

»Genau dorthin will auch ich.«

Der junge Mann tat einen Jauchzer. »Das ist das Schöne im Leben: Wo’s Dornen gibt, wachsen auch Rosen.«

Der Hidalgo stutzte. »Diese Erkenntnis hat Euch bestimmt nicht die Landstraße vermittelt.«

»Ich werd’s irgendwo gelesen haben.«

»Seid Ihr etwa Student?«

»Erraten. Bis jetzt hab’ ich mich mit Sprachwissenschaft gefüttert. Nun möchte ich mich der Jurisprudenz zuwenden.«

Sie zurrten an den Pferden herum.

»Und warum der Wechsel?«

Der Fremde warf einen Blick auf Pedros Kleidung. »Ich weiß nicht, wie Ihr darüber denkt, aber ich finde, dass es in unserem Land reichlich viel Unrecht gibt. Dagegen muss man etwas tun, hab’ ich mir gedacht.«

»Was für ein Landsmann seid Ihr?«

»Baske.«

»Dann sind wir ja fast Landsleute«, rief Pedro Garcia erfreut und fügte der Wahrheit entsprechend hinzu: »Unsere Vorfahren kommen aus Navarra. Und zwar aus Pamplona.«

»Und ich bin ein Kind der Küste. Mein Name ist Miguel Jentil de Zumaya. Zumaya ist ein Fischerdorf westlich von San Sebastian.«

Der Hidalgo reichte ihm die Hand und stellte sich als Pedro Garcia de Zaragoza vor. Wozu einem wildfremden Menschen unter die Nase binden, dass er in Calatayud zu Hause war.

Der Baske grinste. »Wenn Ihr jetzt noch sagt, Ihr seid ein Nachkomme des berühmten Sancho Garcia, der Pamplona eroberte und sich den Titel ›König von Navarra‹ zulegte, dann behaupte ich, der Kaiser von Cipango zu sein.«

»Cipango? Habe ich noch nie gehört.«

»Dann habt Ihr den Reisebericht eines großen Italieners nicht gelesen. Seine Aufzeichnungen ließen Columbus den Entschluss fassen, nach Westen zu segeln, um nach Osten zu gelangen. Denn das war seine grandiose Idee: Indien, China und Cipango auf direkter Route über das Meer zu erreichen.«

Beide bestiegen ihr Pferd.

Miguel Jentils lebhafte Augen glänzten. »Reitet Ihr wirklich nach Salamanca?«

»Ja. Ich habe die Pferde einem Onkel zu bringen«, flunkerte Pedro Garcia.

Der Baske reckte die Arme. »Ich scheine wahrhaftig ein Glückspilz zu sein.«

Der Hidalgo lachte. »Ich allem Anschein nach nicht minder.«

»Wieso?«

»Nun, von Euch kann ich offensichtlich viel erfahren. Zum Beispiel: Wie kam Columbus auf den Gedanken, er werde nach Indien gelangen, wenn er nach Westen segelt?«

»Das ist ganz einfach. Er hatte in Portugal den Deutschen Martin Behaim kennengelernt und bei ihm dessen erste Darstellung der Erde in Gestalt einer Kugel gesehen. Alle bekannten Länder waren darauf eingetragen. Und da im Westen von Europa nur Wasser angedeutet war, gelangte Columbus zu der Auffassung, dass man die östlichen Länder auch erreichen könne, wenn man nach Westen fahre.«

»Deshalb also nannte er das von ihm entdeckte Land Westindien.«

Der Baske nickte. »Ein tolles Gefühl, zu Pferde nach Salamanca zu reisen.« Er riss eine von den kleinen Würsten ab, die ihm in Ketten um den Hals hingen. »Da, nehmt! Sie ist von meiner Mutter gemacht. Die getrockneten Fische hab’ ich vom Vater. Den Korb hat meine Schwester geflochten, und den Wein habe ich einem Gutsherrn abgeschnorrt. Geld zum Studium wollte er nicht geben. ›Wissen macht aufsässig‹, meinte er. ›Da spendiere ich Euch lieber Wein‹.«

»Ein Gemütsmensch.«

»Ganz Unrecht hat er nicht. Je mehr man weiß, umso größeren Einblick gewinnt man. Und umso weniger lässt man sich gefallen.«

Ein sich weit ausdehnendes, fast ebenes und deshalb ›Meseta‹, Tisch, genanntes Hochplateau lag zu beiden Seiten des Rio Duero, der tief in die Landschaft einschnitt.

Pedro biss in den Chorizo.

Miguel schaute erwartungsvoll zu ihm hinüber. »Gut?«

»Sehr gut sogar! Ich lade Euch dafür heute Abend zu einer Olla podrida ein.«

»Olé!« begeisterte sich der Student. »Den Wein stifte ich!«

»Den spart Euch für Salamanca auf. Bis dorthin seid Ihr mein Gast.«

Der Baske zog die Mütze. »Dafür werde ich Euer Hochwohlgeboren auf Wunsch sogar in den Hintern kriechen.«

Eine ausgelassene Stimmung kam auf, die sie jedoch nicht davon abhielt, über alle möglichen Probleme zu sprechen. So griff Miguel Jentil, als das Gespräch einmal verstummte, das von seinem Reisegefährten benutzte Wort Westindien nochmals auf. »Heute«, sagte er, »also fast vierzig Jahre nach der denkwürdigen ersten Fahrt von Christoph Columbus, scheint festzustehen, dass er nicht Westindien, sondern eine bis dahin völlig unbekannte Welt entdeckt hat. Mir kam kürzlich ein interessantes Traktat in die Hände. Es ist in Deutschland gedruckt worden. In ihm schildert ein Italiener namens Vesputius Americus eine Reise in jene Region, die Columbus entdeckt hat. Der Italiener segelte von dort aus aber noch weiter in viel südlichere Zonen, erreichte neue, unbekannte Gebiete mit hohen Gebirgen und folgert daraus, dass die ptolemäische Auffassung, jenseits des Äquators gebe es kein Land, nicht aufrechterhalten werden kann. Für ihn ist das, was er zu sehen bekam, ein Beweis dafür, dass es sich bei dem von Columbus entdeckten Westindien nicht um einen Teil Indiens oder Asiens, sondern um eine ›Neue Welt‹ handelt. Und der deutsche Verleger der Schrift empfiehlt seinen Lesern, diesem neuen Erdteil nach Vesputius Americus den Namen America zu geben.«

Pedro Garcia reckte sich. »Es muss herrlich sein, soviel zu wissen.«

Der Baske zuckte die Achseln. »Wissen kann sich jeder aneignen. Zum Studium braucht man nur drei Dinge: Neugier, Begeisterungsfähigkeit und die Bereitschaft, einige Jahre krumm zu liegen.«

»Da bin ich etwas anderer Meinung«, widersprach der Hidalgo. »Ich habe einmal angefangen zu studieren. Nicht wie Ihr an einer Universität, sondern für mich allein. Und Ihr werdet’s kaum glauben: Auch ich interessierte mich für Sprachen. Aus naheliegenden Gründen; denn in unserem Bereich wird ja spanisch, arabisch, französisch und baskisch gesprochen.«

»Euskarisch!« warf der Student mit erhobenem Zeigefinger ein.

»Ihr habt recht«, pflichtete ihm Pedro bei. »Aber gerade Eure Sprache wurde trotz meiner Bereitschaft, Neugier und Begeisterungsfähigkeit zu einer unüberwindbaren Klippe für mich. Sie machte mich so schwindelig, dass ich jeden Spaß am Studium verlor.«

Miguel Jentil lachte hellauf. »Ja, so ist unsere Sprache. Nur wir selbst werden mit ihr fertig. Kein Gelehrter weiß, wohin sie gehört. Manche ordnen sie dem Ungarischen zu. Es war Euer Fehler, sich ausgerechnet mit unseren komplizierten Wort- und Satzbildungen zu befassen. Da musstet Ihr scheitern. Versucht es mit Medizin, Geschichte oder einer anderen Wissenschaft.«

Keine schlechte Idee, dachte Pedro Garcia. Der Kardinal wird mich gewiss unterstützen. Ob mir allerdings ein echtes Studium liegen würde …?

»Vielleicht solltet Ihr jedoch etwas ganz anderes machen«, unterbrach Miguel seine Gedanken mit unvermittelt ruppig klingender Stimme. »Ihr seid doch ein Hidalgo, nicht wahr?«

»Ja und …?«

»Dann kauft Euch einen Degen und eine schmucke Uniform und verdreht jungen Mädchen die Köpfe.«

Don Pedro schaute seinen Begleiter betroffen an. »Was ist in Euch gefahren? Warum seid Ihr plötzlich so aggressiv?«

»Entschuldigt«, bat der Student, über sich selbst erschrocken. »Das baskische Naturell ist mit mir durchgegangen. Wenn wir unsere Kraft nicht auf Äxte übertragen können, hacken wir leicht mit Worten herum.«

»Die Ursache Eurer jähen Attacke ist damit nicht erklärt«, entgegnete der Hidalgo scharf.

Miguel Jentil stieß einen Unmutslaut aus. »Ich könnte mich selbst ohrfeigen! Als ich Euch empfahl, dieses oder jenes zu studieren, sah ich plötzlich einen Adeligen vor mir, dem ich vor Jahren etwas Ähnliches sagte wie Euch. Jener junge Herr aber kaufte sich einen Degen und so weiter und verdrehte meiner Schwester den Kopf. Jetzt sitzt sie mit einem Kind da.«

Pedro hielt dem Basken die Hand hin. »Nun verstehe ich Euch.«

Miguel schlug ein. »Ihr seid großzügig und nachgiebig.«

Der Hidalgo wischte das Lob mit einer Handbewegung fort. »Hat die Kirche Eurer Schwester Schwierigkeiten bereitet?«

»Weil das Kind ›in Sünde‹ gezeugt wurde?« Der Baske lachte. »Was sollen die Pfaffen da schon sagen? Ihnen ist die Eheschließung bekanntlich verboten. Also leben sie unentwegt in Sünde und haben somit für dieses Delikt durchaus Verständnis. Sogar die Mitglieder des Sanctum Officium sind da großzügig.«

Eine Weile ritten sie stumm dahin. In gleichmäßigem Rhythmus ertönte der Hufschlag. Hin und wieder passierten sie kleine Kiefernwälder oder mit Gestrüpp und Heide bewachsene Hügel. Zumeist aber war das Land mit weiten Weizenfeldern bedeckt.

»Wenn im Mai die Ernte eingebracht ist, breiten sich in dieser Gegend riesige, gelbrote, staubige Flächen aus«, sagte Miguel Jentil. »Dann kommen die Merinoschafherden und weiden auf den Stoppelfeldern.«

»Wart Ihr schon mal hier?« fragte Pedro Garcia verblüfft.

»Das nicht. Ich kenne das Land aus Beschreibungen. Weiter südlich beginnt die Tierra del Vino, das gesegnete Weinbaugebiet. Übrigens sagt man, dass in diesem Distrikt drei Monate Winter und neun Monate die Hölle herrscht.«

»Eine typisch spanische Übertreibung!«

Wieder trat eine Gesprächspause ein. Jeder hing seinen Gedanken nach.

Der Baske fragte sich: Wieso bringt ein Hidalgo Pferde über eine so weite Strecke zu seinem Onkel? Da stimmt doch etwas nicht. Wie will er denn nach Hause zurückkommen? Zu Fuß?

Don Pedro hingegen fragte sich, was zu dieser Stunde in Calatayud geschehen mochte. Würde der Vater es darauf anlegen, wie seine Frau auf dem Scheiterhaufen zu enden? Und wie mochte es Pilar-Maria ergehen?

»Erzähl mir noch was«, bat er, um sich ablenken zu lassen. »Ich würde zum Beispiel gerne erfahren, auf welche Weise Columbus sich verständigen konnte, als er in wildfremde Länder kam?«

»Ein schwieriges Problem, das Ihr anschneidet. Columbus verpflichtete für seine erste Fahrt einen Dolmetscher. Der aber konnte ihm nicht helfen, weil er Experte für Hebräisch war. Warum Columbus gerade ihn anheuerte, ist mir nicht bekannt. Es könnte jedoch sein, dass Luis Santangel, der damalige Kanzler am Hof des Reyes Católicos, da Einfluss genommen hat.«

»Woraus schließt Ihr das?« fragte Pedro überrascht. Von seiner Stiefmutter hatte er viel über ihren Verwandten Luis Santangel gehört.

»Es ist nur eine Vermutung«, antwortete Miguel. »Sie stützt sich darauf, dass Luis Santangel der eigentliche Finanzier der Expeditionsflotte war. Siebzehntausend Dukaten hat er zur Verfügung gestellt! Wer so viel investiert, hat bestimmt ein Wörtchen mitzureden.«

»Das ist anzunehmen. Aber er wird sich nicht ausgerechnet um den Dolmetscher gekümmert haben.«

»Vielleicht ändert sich Eure Meinung, wenn Ihr bedenkt, dass Luis Santangel Converso, also Neuchrist, war. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die viele Angehörige auf dem Scheiterhaufen verlor. Anfang 1492 wurden alle Juden, die nicht zum Christentum übergetreten waren, des Landes verwiesen. Sie hatten ihre Kleidung schon seit geraumer Zeit durch ein gelbes Stück Stoff kennzeichnen müssen. Ist es da so abwegig, anzunehmen, dass Luis Santangel das Unternehmen in der Hoffnung finanzierte, für die schwer drangsalierten Juden eine neue Heimat zu finden?«

»Das wäre denkbar«, pflichtete ihm der Hidalgo bei. »Die Mitnahme eines Dolmetschers für die hebräische Sprache lässt sich daraus aber nicht ableiten.«

»Vergesst nicht, dass Columbus annahm, er werde nach Osten gelangen, wenn er nach Westen segeln würde. Und dass es im Alten Testament heißt, Salomo, der Sohn Davids und König von Israel, sei in das sagenhafte Land Ophir gesegelt. Von dort soll er mit großen Mengen Gold, Edelsteinen, Sandelhölzern und Elfenbein zurückgekommen sein. Niemand vermag jedoch zu sagen, wo Ophir zu finden ist. Liegt es da nicht auf der Hand, dass ein Mann wie Luis Santangel insgeheim hoffte, Columbus werde auf seinem Weg über West nach Ost das im Alten Testament erwähnte reiche Land Ophir finden? Und dass er ihm deshalb einen Dolmetscher für Hebräisch empfahl?«

»Glänzend kombiniert«, begeisterte sich Pedro Garcia. »Leider ist damit aber meine Frage, wie man sich in einem wildfremden Land verständigen kann, nicht beantwortet.«

»Eine grundsätzliche Lösung gibt’s nicht. Columbus ließ einige Eingeborene gefangen nehmen und an Bord bringen, um auf längere Sicht eine Verständigungsmöglichkeit mit ihnen zu schaffen. Genützt hat ihm diese Methode wenig, da er auf seinen vier Fahrten immer neue Inseln mit völlig verschiedenen Völkern und Sprachen erreichte. Dagegen hatte Hernán Cortés, der Eroberer von Neu-Spanien, mehr Glück. Als er von Kuba, das Columbus entdeckt hatte, zum ersten Mal auf das Festland übersetzen wollte, riss ein Sturm seine Flotte auseinander und verschlug ihn auf eine Insel. Hier wurde ihm von den Bewohnern durch Zeichen bedeutet, dass es gegenüber der Insel auf dem Festland zwei Menschen gebe, die, wie er selbst, einen Bart hätten und über die gleichen Helme und Brustpanzer verfügten. Sofort sandte Cortés einen Boten mit einem Schreiben zu ihnen, und es stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um zwei Landsleute handelte, die vor Jahren nach einem Schiffbruch in der Karibik an die unbekannte Küste verschlagen worden waren. Während der eine von ihnen nicht gewillt war, nach Spanien zurückzukehren, eilte der andere beglückt über die unverhoffte Rettung zu Cortés, dem er künftig als Dolmetscher hervorragende Dienste leistete. Übrigens konnte er die Bedeutung des Namens erklären, den Francisco de Córdoba, der zwei Jahre vor Cortés versuchte, auf dem Festland Fuß zu fassen, einer weit in das Meer hineinreichenden Halbinsel gegeben hatte. Er nannte sie Yucatán, weil ihre Bewohner auf seine Frage nach dem Namen des Landes geantwortet hatten: ›Yucatán‹. Das aber heißt: ›Wir verstehen Euch nicht!‹«

Der Hidalgo schlug sich auf den Schenkel. »Schön, dass auch die Geschichte manchmal Humor hat.«

»Francisco Córdobas Ende ist umso trauriger. Bei einem zweiten Landungsversuch wurde er so schwer verletzt, dass er nach seiner Rückkehr in Santiago de Kuba starb. Erst Hernán Cortés war es vergönnt, ungeheure Schätze zusammenzutragen.«

»Woher kommt es, dass es in Neu-Spanien so viel Gold gibt?«

Der Baske zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Die Eingeborenen nennen das Gold ›Tränen der Sonne‹. Vielleicht sind sie der Sonne näher als wir.«

Don Pedros Ritt über das Hochland von Kastilien hatte mit Flucht nicht mehr das Geringste zu tun. Niemand stellte sich ihm in den Weg. Zumeist nur vor dem Einschlafen und in den frühen Morgenstunden wanderten seine Gedanken nach Calatayud zum Vater und zu Pilar-Maria zurück. Die Kulisse der fremden Landschaft und die fesselnde Unterhaltung mit dem baskischen Studenten verdrängten alles, was ihn bedrückte. Er sah die Zukunft wie einen rot glühenden Feuerball am Horizont aufsteigen und vergaß darüber, dass die Schergen des Sanctum Officiums nicht untätig sein und nach ihm fahnden würden. So ritt er bedenkenlos mit seinem Begleiter durch die Puerta del Carmen in Valladolid ein und mietete in einer Herberge, die in der Nähe der Kirche Santa Maria la Antigua lag, ein Zimmer mit zwei Betten.

Seit über einer Woche hatte er nur in Wäldern und Scheunen übernachtet. Der Baske kannte es nicht anders. Don Pedro aber fiel es schwer, des Morgens auf Wasser verzichten zu müssen. Im Laufe des Tages wurde freilich irgendwo ein Bad genommen – die Landstraße führte ja vielfach am Rio Duero entlang –, doch auch das schönste Bad kann eine erfrischende Morgentoilette nicht ersetzen.

Miguel Jentil bezeichnete es als Verschwendung, Maravedís für eine Übernachtung auszugeben. Aber er stöhnte vor Wonne, als er am Abend in sein Bett kroch. »Dass es so etwas gibt«, begeisterte er sich. »Noch dazu nach einer Olla podrida, die wie sieben Ziegenställe roch!«

»Ihr Aroma war mir zu streng«, entgegnete Pedro Garcia, obgleich er wusste, dass die mit Wurst, Schinken und Geflügel angereicherte Gemüsesuppe erst dann als ausgezeichnet gilt, wenn ihr der erwähnte scharfe Geruch anhaftet.

Auch für ihn war es ein Labsal, wieder einmal im Bett zu liegen, und er unterhielt sich bei flackerndem Kerzenlicht noch lange mit dem Basken. Diesmal über Valladolid. Die Stadt war Sitz der christlichen Könige. Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón hatten in ihr geheiratet. Columbus verbrachte hier die letzten Jahre seines Lebens. Nun war sie Residenz Kaiser Karls V., und ihre Bewohner betrachteten sich als Mittelpunkt seines Imperiums. Da konnte es nicht ausbleiben, dass sie neben berechtigtem Selbstbewusstsein auch unverkennbare Arroganz zur Schau trugen.

Ganz anders bot sich Salamanca dar, die Hochburg der Wissenschaften, die Pedro Garcia und Miguel Jentil nach einem weiteren Ritt von über einer Woche erreichten. Ihre Silhouette war in der baumlosen Ebene weithin sichtbar. Schon aus der Ferne glaubte man, den gesunden Atem der Stadt zu spüren. Aus ganz Europa strömten die Studenten in dieses geistige Zentrum. Unwillkürlich dachte Don Pedro an den Kardinal, den er aufsuchen wollte. Würde der Verwandte seiner Stiefmutter Verständnis für ihn aufbringen? War nicht zu befürchten, dass der hohe Kirchenfürst, dem wahrscheinlich auch ein Inquisitionstribunal unterstand, ihn verdammte, wenn er erfuhr, zu welcher Tat er sich hatte hinreißen lassen? Sollte er lieber schweigen?

Je näher die Stadt kam, umso größer wurde seine Unsicherheit.

Ähnlich, wenngleich aus anderen Gründen, erging es Miguel Jentil. Er sah sich am Ziel seiner Wünsche, konnte sich aber nicht darüber freuen. Ihm graute plötzlich vor dem Abschiednehmen. Zwischen ihm und Pedro Garcia hatte sich eine Freundschaft entwickelt, die er nicht missen mochte. Er vermutete, dass sein neuer Freund in eine ungute Sache verstrickt sei und nicht in Salamanca bleiben werde.

»Können wir uns demnächst hin und wieder sehen?« fragte er, um auf den Busch zu klopfen.

Don Pedro zuckte die Achseln. »Kommt darauf an. Ich weiß nicht, ob mein Onkel …«

»… die Pferde haben will?« fiel Miguel anzüglich ein.

»Die Pferde hab’ ich ihm überhaupt nicht zu bringen«, gestand der Hidalgo in einer jähen Anwandlung von Bekennerwut. »Die Inquisition ist hinter mir her!«

Der Baske war nicht überrascht. »Etwas Ähnliches hab’ ich mir gedacht.«

»Wieso? Hab’ ich einen Fehler gemacht?«

»Ja. Ich fragte mich, wie du zurückkehren willst, wenn du die Pferde abgegeben hast. Etwa zu Fuß? Von Salamanca bis nach Calatayud?«

Sie hatten die förmliche Anrede längst fallen lassen.

Pedro biss sich auf die Lippen. »Daran hätte ich wirklich denken müssen.«

»Ist dein Onkel vermögend?«

»Als Kardinal dürfte er das wohl sein«, antwortete der Hidalgo und erzählte vom Schicksal seiner Stiefmutter, von der Verhaftung seines Vaters und vom halbverwandtschaftlichen Verhältnis zur Familie Santangel und zu Kardinal Bermudez. Wohlweislich verschwieg er den Mord an dem Inquisitor von Calatayud. Auch seine Freundin Pilar-Maria erwähnte er nicht.

»Wenn dein Onkel dir die erhoffte Unterstützung nicht gewähren sollte, kommst du zu mir«, erklärte Miguel in einem Tonfall, als verfüge er über unbegrenzte Mittel. »Wir studieren dann eben zusammen. Sollst sehen, es wird dir Spaß machen. Es gibt nichts Schöneres, als sich auf einen interessanten Stoff zu konzentrieren.«

Pedro dirigierte sein Pferd an das des Basken heran und streckte ihm die Hand entgegen. »Wir bleiben in Verbindung!«

Salamanca rückte näher heran. Die friedliche Silhouette der Stadt wirkte beruhigend auf den Hidalgo. Kardinal Bermudez würde ihm gewiss helfen.

Als sie den Rio Tormes erreichten, an dessen saftig grünen Ufern Frauen ihre Wäsche zum Bleichen ausbreiteten, hielten sie ihre Pferde an. Das romantische Bild, das noch durch goldfarbene Wasserblumen belebt wurde, die auf dem träge dahinfließenden Fluss schwammen, deuteten sie als gutes Omen. Wie befreit lachten sie sich an.

Über den Puente Romano ritten sie in die Stadt. Gleich hinter der Brücke lag die Kathedrale, an die sich das weitläufige Universitätsgelände mit der Plazuela de Anaya anschloss. Hunderte von Studenten, zumeist einfach gekleidet, standen oder saßen in Gruppen beisammen und diskutierten lebhaft.

»Hier also wirst du künftig deine Tage verbringen«, sagte Pedro, als sie von ihren Pferden abgestiegen waren.

»Vielleicht zusammen mit dir«, antwortete der Baske mit einem Augenzwinkern. »Wenn du mich aufsuchen willst, geh zur Verwaltung. Ich hinterlasse dort, in welchem Gang oder unter welcher Treppe ich mich häuslich niedergelassen habe.«

»Du willst wirklich ohne Quartier leben?«

»Die meisten von uns kennen es nicht anders«, fiel Miguel unwillig ein. »Wie oft soll ich dir das noch sagen?« Mit wenigen Griffen schnappte er sich seine Decke, warf sich den Weinschlauch über die Schulter und bleckte die Zähne: »Erwarte nicht, dass ich nun zu weinen anfange. ›Me despido a la francesa!‹ – ›Ich empfehle mich auf Französisch!‹« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging er auf den Eingang der Universität zu, beladen wie in jener Stunde, da sie sich auf der Landstraße begegnet waren: zusammengebundene Holzschuhe und Ketten von Chorizos um den Hals gehängt.

Pedro Garcia blickte ihm nach, bis er im Gebäude verschwunden war. Dann erkundigte er sich bei einem Studenten nach der Wohnung des Kardinals.

»Gleich drüben, an dem kleinen Platz hinter den Arkaden«, wurde ihm bedeutet.

Ohne nochmals aufzusitzen, ging er in die gewiesene Richtung und stand bald vor einem verträumt anmutenden Haus, dessen Front von Efeu und wildem Wein bedeckt war. Von den Simsen der Fenster, die mit schmiedeeisernen Gittern versehen waren, hingen Kaskaden duftender Blumen herab.

Kurz entschlossen band er die Pferde an einen Baum und ging in den Innenhof des Hauses, in dem ein kleiner Brunnen plätscherte. Hier lässt es sich leben, dachte er und zog an einer Glocke, die an der aus dunklem Holz gearbeiteten Eingangstür befestigt war.

Auf der Schwelle erschien ein stämmiger Mann in bunter Tracht, mit geschlitzten Hosenbeinen und breiten Sandalen. »Ihr wünscht?«

Der Hidalgo nannte seinen Namen, erwähnte die familiäre Bindung zum Kardinal und bat um eine Unterredung mit ihm.

Schon nach wenigen Minuten kehrte der Uniformierte mit einer jungen Magd zurück. Sie begrüßte Don Pedro untertänig und führte ihn in einen Empfangsraum, in dem nur schlichte Holzstühle und ein Tisch standen, auf dem ein Gebetbuch lag. In einer Nische befand sich die Statue der Mutter Gottes mit dem Kind. »Ich werde Seine Illustrissimi verständigen«, sagte sie und verschwand.

Bald darauf kehrte die Magd zurück und forderte den Hidalgo auf, ihr zu folgen. Sie führte ihn in eine Bibliothek, deren luxuriöse Einrichtung ihn staunen ließ. In die getäfelten Wände waren Etageren eingelassen, deren Schnitzwerk mit den kostbaren Folianten, die in ihnen untergebracht waren, zu wetteifern schien.

Es dauerte nicht lange, bis Kardinal Bermudez erschien. Er neigte zur Körperfülle und verbarg seinen Leibesumfang unter einer weit geschnittenen rot-lila Soutane. Den Kardinalshut hatte er abgesetzt; er hing ihm, von einer Schlaufe um den Hals gehalten, auf dem Rücken. Seinen rötlichen, etwas schwammigen Wangen war nicht anzusehen, dass er sich dem achtzigsten Lebensjahr näherte. Mit dem Elan eines jungen Mannes breitete er die Arme aus und ging auf den Hidalgo zu. »Welch eine Überraschung!« rief er erfreut. »Endlich ist es mir vergönnt, den Sohn meiner geliebten Base kennenzulernen.«

Pedro Garcia registrierte zufrieden, dass der Kardinal ihn nicht als Stiefsohn bezeichnete.

Der Kirchenfürst legte ihm die Hände auf die Schultern. »Lasst Euch anschauen!«

»Ihr seid sehr gütig.«

»So ungefähr habe ich mir Euer Aussehen vorgestellt. Der schmale Kopf des Vaters und der edle Schnitt des Gesichtes Eurer lieblichen Mutter, deren Trauung ich hier in Salamanca vornahm. Damals war ich noch Domherr. Ich habe nie wieder eine schönere und begehrenswertere Frau gesehen.«

Don Pedro blickte in zwei lebhafte braunschwarze Augen, die Intelligenz und menschliche Wärme verrieten. Das zwar leicht angegraute, aber noch dichte krause Haar des Kirchenfürsten und seine kühn gebogene Nase ließen ahnen, dass seine Vorfahren Juden gewesen waren.

Kardinal Bermudez führte seinen Gast zu einer Sesselgruppe. »Nehmt Platz und erzählt, was Euch zu mir führt.«

Der Hidalgo suchte nach Worten. Es war ihm anzusehen, dass er mit sich rang.

»Eine böse Nachricht?« fragte der Kirchenfürst besorgt.

»Ja!« antwortete Pedro Garcia mit einem Seufzer.

»Ist Eurem Vater etwas zugestoßen?«

»Er wurde verhaftet. Die Inquisition hat ihn geholt. Man will unser Gut.«

Der Kardinal ballte die Hände, dass die Knöchel weiß wurden. Seine Lippen wurden zu einem Strich.

»Das ist noch nicht alles«, fuhr Don Pedro fort. »Ich habe eine schwere Schuld auf mich geladen.«

Seine Illustrissimi sah ihn betroffen an. Doch dann beugte er sich abrupt vor, wandte sein Gesicht zur Seite und hielt eine Hand hinter das Ohr. »Ich höre«, sagte er und zeichnete ein Kreuz in die Luft. »Ihr könnt mir alles sagen. Dies ist eine Beichte.«

»Ich habe den Superior, der meine Mutter zum Tode durch Verbrennen verurteilte und nun auch meinen Vater verhaften ließ, im Affekt umgebracht.«

Der Kardinal schrak zusammen und schlug, wie in einer Reflexbewegung, ein zweites Mal das Kreuz. »Ego te absolvo! Zur Buße werdet Ihr fünfzig Paternoster und fünfzig Ave Maria beten!«

Don Pedro sah ihn verblüfft an. »Das ist alles, was Ihr …«

Der Kirchenfürst streckte abwehrend die Hände von sich. »Kein weiteres Wort! Ihr habt gebeichtet – ich habe die Absolution erteilt.

Und ich habe es nicht leichtfertig getan! Menschliche und göttliche Gründe geben mir das Recht dazu. Der Herrgott verzeiht allen. Im Übrigen«, er erhob sich und begann eine ruhelose Wanderung, »werde ich nicht damit fertig, dass ich meiner Base und Eurem Vater die seinerzeit erbetene Hilfe versagen musste. Und Ihr sollt wissen, warum. Auch ich habe Dinge getan, denen ich gerne ausgewichen wäre. Nicht Verdienst und Würde brachten mir meine heutige Stellung ein. Im Interesse vieler bedrängter Conversos, die mir die benötigten Mittel zur Verfügung stellten, habe ich mir den Kardinalshut gekauft. Simonie! Doch was sollte ich tun? Als Domherr war ich machtlos. Seit jenem Tage aber kann ich vielen Menschen helfen. Leider nur in meinem Bezirk. Hätte ich mich für Eure Mutter eingesetzt, würde sich der Generalinquisitor sofort eingeschaltet haben, und ich wäre gezwungen gewesen, einen von mir seit Jahren verfolgten Plan, nämlich die Bestimmungen des Sanctum Officiums aufzuweichen, für immer zu den Akten zu legen. Doch zurück zu Eurer unseligen Tat. Erzählt, wie es dazu kam und wie Ihr es fertiggebracht habt, hierher zu gelangen, ohne festgenommen zu werden.«

Dieser Aufforderung kam der Hidalgo nur zu gerne nach. Wenn ihn der Tod des Superiors auch nicht niederdrückte – dazu war seiner Familie zu viel angetan worden –, so hatte er doch das Bedürfnis, sich einmal restlos zu offenbaren und auszusprechen. Detailliert berichtete er von der Stunde an, da sein Vater zum ersten Mal erklärt hatte, am Jahrestag der unmenschlichen Verbrennung seiner Frau dem Gottesdienst ostentativ fernbleiben zu wollen. Er schilderte die vergeblichen Versuche, ihn umzustimmen, bekannte offenherzig, in welch provozierender Kleidung er selber die Messe aufgesucht hatte und zu welchem Zwischenfall es am Portal der Kirche gekommen war. Er unterschlug weder sein Treffen mit Pilar-Maria noch machte er ein Hehl daraus, dass er ihr die Ehe versprochen hatte. Sachlich und nüchtern gab er ein vollständiges Bild von den sich überstürzenden Ereignissen am Abend und von seiner Flucht. Als er aber auf Miguel Jentil zu sprechen kam, geriet er ins Schwärmen. In den höchsten Tönen schilderte er das umfassende Wissen des baskischen Studenten, lobte seine Bescheidenheit und pries seinen Charakter.

»Den Burschen muss ich kennenlernen«, erwärmte sich der Kardinal, ohne sich anmerken zu lassen, dass ihm unvermittelt ein Gedanke gekommen war, den er im Interesse von Pedro Garcia hoffte, verwirklichen zu können. »Wenn mir Euer Freund gefällt, kann er das Zimmer mit Euch teilen. Ladet diesen Basken also zum Abendessen ein.«

»Perdón, Illustrissimi, unsere Kleidung …«

Der Kirchenfürst schlug sich vor die Stirn. »Wo war ich mit meinen Gedanken!« Er griff in die Falten seiner Soutane und förderte einen kleinen Lederbeutel zutage, den er dem Hidalgo zuwarf. »Kauft, was ihr beide braucht. Und vergesst die Badestube nicht! Um neun Uhr wird gegessen. Ihr habt also genügend Zeit.«

Don Pedro erhob sich. »Ich wollte, ich könnte mich in irgendeiner Form erkenntlich zeigen.«

»Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen«, erwiderte der Kardinal mit unverkennbarem Schalk in den Augen.

Der Hidalgo sah ihn erwartungsvoll an.

»Über ungelegte Eier soll man nicht sprechen«, wehrte Seine Illustrissimi ab. »Es könnte jedoch sein, dass sich für euch beide eine treffliche Aufgabe ergibt. Mehr darüber heute Abend. In der Angelegenheit muss ich selbst noch Rücksprache nehmen.«

Pedro Garcia glaubte zu träumen, als er nach draußen eilte, um Miguel Jentil zu verständigen. So schnell er konnte, lief er zur Universität, wo er den Basken, der sich noch nicht hatte immatrikulieren können, im Geschäftszimmer der Verwaltung antraf. Mit ihm warteten weitere Studenten darauf, an die Reihe zu kommen. »Miguel!« rief er. »Ich habe ein Zimmer für dich! Du kannst mit mir bei meinem Onkel wohnen!«

Das Gesicht des Freundes rötete sich. »Ist das dein Ernst?«

»Ja doch!«

»Hombre, das wäre …« Er unterbrach sich. »Ich kann hier aber unmöglich weg – muss mich erst einschreiben lassen.«

»Das kannst du später machen. Der Kardinal hat mir Geld gegeben. Wir sollen uns neue Kleidung kaufen und heute Abend mit ihm essen. Er hat eine Aufgabe für uns!«

Der Baske verdrehte die Augen. »Du scheinst noch nicht begriffen zu haben, dass ich hierhergekommen bin, um zu studieren.«

»Das braucht dich doch nicht zu hindern, vorher eine Stange Geld zu verdienen.«

Miguel Jentil griff in das Wams des Hidalgos. »Du treibst keinen Spaß mit mir?«

»Nein!«

Der Freund rieb sich die Ohren. »Ich kann mir nicht helfen: Ich höre plötzlich Vogelgezwitscher.« Mit einem Aufschrei wandte er sich an seine Kommilitonen. »Señores, der Herrgott hat mir eben einen Verführer geschickt. Gestattet, dass ich mich empfehle.«

Unnötig zu sagen, dass sich auf der Nase des Türstehers Falten bildeten, als er des Basken ansichtig wurde. Chorizos um den Hals gehängt! Holzschuhe! Und der Zustand der Kleidung …! Zugegeben, auch der junge Hidalgo sah nicht gerade salonreif aus, aber er war immerhin ein Verwandter des Kardinals.

Pedro nahm Miguel ein Stück nach dem anderen von den Schultern und packte alles dem nun völlig konsternierten Hausgeist auf. »Sorgt dafür, dass die Sachen gut aufbewahrt werden«, sagte er und schob ihm einige Maravedís zu. »Irgendwann werden sie wieder gebraucht.«

»Du hast dich ja schnell eingelebt«, stellte der Baske mit Bewunderung fest, als sie in ausgelassener Stimmung in die Stadt gingen, um Wäsche, Hemden, Beinkleider und Schuhe zu kaufen. »Aber wie kommt der Kardinal dazu, auch mich mit seiner Gunst zu überschütten?«

»Er interessiert sich für dich und möchte dich kennenlernen.«

Miguel wiegte den Kopf. »Hoffentlich kommt da kein Pferdefuß zum Vorschein.«

Seine Sorge war verständlich. Wie sollte er auch begreifen, dass ein Mensch, den er noch nie gesehen hatte, ihm dazu verhalf, sich völlig neu einzukleiden?

Der Nachmittag ging schnell dahin, und als am Abend zu Tisch gebeten wurde, waren beide kaum wiederzuerkennen. Ihre Gesichter glänzten wie polierte Äpfel. Die Haare waren geschnitten, die Bärte gestutzt.

Der Baske hatte eine ärmellose, halblange Jacke erstanden, dazu ein derbes Leinenhemd, dessen weiter Kragen die Schultern des Jacketts bedeckte. Eine schlichte Bundhose und halbhohe Stulpenstiefel unterstrichen den bürgerlichen Charakter der Kleidung.

Im Bestreben, nicht hervorzustechen, hatte Pedro sich ebenfalls ein einfaches Leinenhemd gekauft.

Der Kardinal empfing sie in der Bibliothek und betrachtete Miguel Jentil prüfend. »Pedro erzählte mir, dass Ihr Euch bis jetzt dem Sprachstudium gewidmet habt.«

»So ist es, Illustrissimi.«

»Und ausgerechnet in Salamanca, wo dieses Lehrfach an erster Stelle steht, wollt Ihr umsatteln?«

»Mich interessiert die Sprachwissenschaft als solche. Und da bin ich an eine Grenze gestoßen. Die hiesige Universität hat sich andere Ziele gesetzt. Sie möchte unserem Land eine einheitliche Sprache geben, das heißt, das Kastilische zur Landessprache erheben.«

Der Kardinal lächelte und ging mit einer Geste, ihm zu folgen, auf den angrenzenden Speiseraum zu. »Und weshalb habt Ihr Euch für die Jurisprudenz entschieden?«

»Überspitzt ausgedrückt: Weil das Recht in unserem Land einer Hure gleicht, die sich von Inquisitoren aushalten lässt«, antwortete der Baske unbekümmert.

Seine Illustrissimi blieb betroffen stehen. »Ich gebe zu, dass im Kirchenstaat vieles nicht in Ordnung ist. Die Herren des Sanctum Officiums bedienen sich tatsächlich …« Seine Hand fuhr durch die Luft, als wollte er etwas fortwischen. »Lassen wir das. Angesichts Eurer Kühnheit, schonungslos die Wahrheit zu sagen, drängen sich mir andere Fragen auf. Doch zunächst: Wie steht’s mit Eurem Appetit?«

»Mein Magen knurrt bereits seit Stunden.«

»Großartig! Ich schätze Gäste, die meinen Hunger noch übertreffen.« Er griff nach Don Pedros Arm, hakte sich ein und trat in das Esszimmer. »Euer Freund gefällt mir. Ich war übrigens inzwischen nicht untätig. Aber darüber später mehr.«

Der Hidalgo warf dem Basken einen vielsagenden Blick zu.

Der Kardinal führte seine Gäste an einen geschmackvoll gedeckten, von silbernen Kerzenleuchtern erhellten Tisch und faltete die Hände zu einem kurzen Gebet.

Als Vorspeise gab es Gebirgsforellen. Danach wurden gefüllte Täubchen gereicht. Den Abschluss bildete ein Pudding, auf den der Kirchenfürst besonders stolz war, weil es nur selten Gäste gab, die ein Schokoladengericht kannten. Die Kakaobohne war aus Neu-Spanien (Mexiko) eingeführt worden und der Pudding in seiner Küche nicht mit Honig, sondern mit einem Stoff gesüßt, der Zucker genannt und aus einer Rohrpflanze gewonnen wurde, die ein Augsburger Unternehmer namens Welser seit geraumer Zeit auf den Kanarischen Inseln für den europäischen Markt anbaute. Zum Fisch gab es Weißwein, zu den Täubchen einen herben Vino tinto.

Da der Kirchenfürst darum gebeten hatte, beim ersten Gang wegen der Gefahr, eine Gräte zu verschlucken, nicht zu sprechen, hatte Pedro Garcia reichlich Gelegenheit, den Basken unauffällig zu beobachten. Obwohl dieser aus einem kleinen Fischerdorf stammte, verhielt er sich wie jemand, der es gewohnt ist, an festlichen Tafeln zu sitzen. Stammte er womöglich aus anderen Kreisen, als er angab? Manches sprach dafür. Er selbst hatte sich ja auch nicht gleich in die Karten schauen lassen. Erst kurz vor Salamanca hatte er sich dekuvriert. Und das nur zum Teil. Die Ermordung des Superiors hatte er verschwiegen, und über Pilar-Maria hatte er nicht sprechen wollen.