Schakale Gottes - C.C. Bergius - E-Book
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Schakale Gottes E-Book

C.C. Bergius

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Beschreibung

Ein historischer Krimi rund um ein Paulanerkloster. Einen Morgen im März 1910 wird Tadeusz Minka wohl nie vergessen: An seinem Gartenzaun hängt ein mit wertvollen Edelsteinen prall gefüllter Seidenbeutel. Während der polnische Gerichtsdiener Tadeusz versucht, die Herkunft des geheimnisvollen Reichtums festzustellen, schwemmt eine grausam zugerichtete Leiche an die Ufer der Warthe. Besteht vielleicht ein Zusammenhang zwischen diesen beiden rätselhaften Ereignissen? Der ehrgeizige Kriminalbeamte Pawel Bobak nimmt die Ermittlungen auf, eine Spur führt zum Paulanerkloster Jasna Góra. Dank Schenkungen und Spenden von Pilgern ist das Kloster sehr wohlhabend und die Mönche wollen an diesem Reichtum teilhaben. Seit Pater Rochus die schöne Natascha mit Geld und teuren Geschenken zu beeindrucken versucht, bedient auch er sich großzügig aus der Klosterkasse. Rochus braucht immer mehr Geld, um Natascha zu halten und schmiedet einen Plan. Pawel Bobak ist entschlossen, ihm auf die Schliche zu kommen ... Der millionenfach verkaufte historische Krimi von C.C. Bergius, endlich auch als E-Book erhältlich.

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Seitenzahl: 400

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C. C. Bergius

Schakale Gottes

Roman

1

Den 5. März 1910 sollte Tadeusz Minka nie mehr vergessen. Er war der Büttel eines kleinen Dorfes in der Nähe von Czenstochau und besaß eine jener hellblau gestrichenen polnischen Hütten, die ein tief herabreichendes Strohdach vor Wind und Wetter schützt. Allmorgendlich führte sein erster Weg ihn ins Freie, um das Federvieh aus dem Stall zu lassen. So auch an diesem für ihn so denkwürdigen Tag. Mit wuscheligem Haar schlüpfte er in seine Hose und schlurfte, die Träger noch hochziehend, in Pantinen auf den Hof hinaus.

Über der hügeligen Landschaft spannte sich ein frühlingshafter Himmel. Der Schnee schmolz in Rinnsalen dahin. Die Strahlen der Sonne wärmten die Mauer der Hütte so stark, dass erste Fliegen auf ihr saßen und regungslos die Wärme genossen.

Tadeusz reckte sich und tat einen tiefen Atemzug. Dann ging er über den Hof. Nach wenigen Schritten aber blieb er stehen. Ganz unvermittelt hatte ihn das Gefühl beschlichen, von jemandem beobachtet zu werden. Sollte ein Beamter der Ochrana, der russischen Geheimpolizei …? Er riss sich zusammen und drehte sich um. Zu sehen war niemand. Sein Instinkt sagte ihm jedoch, dass etwas anders war als sonst. Was war es nur?

Noch während er sich dies fragte, entdeckte er an der Klinke der Haustür einen mit Glasperlen bestickten Seidenbeutel, wie ihn vornehme Damen in den Städten tragen. Der Beutel war prall gefüllt. Wie kam er an die Haustür? Und was enthielt er?

Tadeusz Minka war skeptisch. Er hatte beim Militär gedient und das Vertrauen der Geheimpolizei gewonnen, deren vordringlichste Aufgabe es war, die Beamten der von Russland verwalteten Bezirke Polens zu überwachen. Ihre Rechercheure waren nach gewissenhafter Überprüfung zu der Überzeugung gelangt, dass sich der ehemalige Unteroffizier niemals gegen die herrschenden politischen Verhältnisse auflehnen werde. Sie hatten jedoch nicht herausgefunden, dass er sich mit seinen inneren Nöten an die Muttergottes wandte, die ihm eine liebenswerte Vermittlerin zu Jesus Christus und dem Allmächtigen zu sein schien, vor dem ihm aus unerklärlichen Gründen graute.

Der Seidenbeutel machte Tadeusz zu schaffen. Misstrauisch ging er zur Tür und nahm ihn mit schiefem Gesicht von der Klinke. Dann lockerte er die Schnur, die ihn zusammenhielt, und warf einen Blick auf seinen Inhalt. Heilige Maria! In allen Farben funkelten ihm Edelsteine in den unterschiedlichsten Größen entgegen. Was mochte das zu bedeuten haben? Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Waren das wirklich Edelsteine? Er hielt den Beutel so, dass die Sonne in ihn hineinfiel. Du lieber Himmel, das glitzerte ja wie gefrorener Schnee! Was würde seine Frau dazu sagen? Nur zögernd kehrte er in die Hütte zurück.

Krystyna Minka streifte sich eben einen derben gelben Filzrock über. Unwillkürlich blickte sie ihrem Mann entgegen, sah den Seidenbeutel in seiner Hand und schaute ihn verwundert an.

Da Reden nicht Tadeusz‘ Stärke war, schüttete er den Beutel kurzerhand über dem Küchentisch aus. Ein Haufen funkelnder Steine kullerte durcheinander: rubinrot, smaragdgrün, schneeweiß und azurblau.

»Jessuss!«, entfuhr es seiner Frau. Im nächsten Moment bekreuzigte sie sich, als wäre ihr der Leibhaftige begegnet. Ihr runzeliges Gesicht wurde fahl. »Mein Gott, Tadeusz, wo hast du das her?«

Er deutete nach draußen. »Der Beutel hing an der Tür.«

Sie fasste sich erschrocken an den Mund. »Das kann nichts Gutes bedeuten. Wir werden ins Unglück stürzen. Ja, das werden wir!« schrie sie plötzlich wie von Sinnen.

Obgleich Tadeusz weit davon entfernt war, dies zu glauben, fragte er sich nun doch, weshalb man gerade ihm, dem Büttel des Dorfes, den Beutel an die Tür gehängt hatte. Wollte man seine Ehrlichkeit auf die Probe stellen? Dann würden die Steine allerdings nicht echt sein. Doch gleichgültig, ob es sich um Nachahmungen oder Edelsteine handelte, er musste das Vorkommnis unverzüglich seiner vorgesetzten Dienststelle melden.

»So ein Unglück!«, jammerte Krystyna. »So ein Unglück!«

Tadeusz rieb sich die Bartstoppeln. Er musste seine Frau beruhigen. Schnell schob er die Steine in den Beutel zurück und sagte mit warmer Stimme: »Aber Krystynowna! Warum soll der Fund ein Unglück sein? Ich werde Meldung erstatten, und die Sache ist erledigt.«

Ihre Augen wurden dunkel. Mit einer heftigen Bewegung griff sie nach ihrer Jacke. »Und wer wird dir glauben, dass du nicht ein paar Steinchen beiseite geschafft hast? Niemand! Kein Mensch wird dir mehr vertrauen. Immer wird es heißen …« Sie schluchzte. »Unser Ansehen ist dahin! Man wird dir deinen Posten nehmen!«

Tadeusz kniff die Lider zusammen. Seine Frau hatte recht. Jeder würde annehmen, dass er heimlich einige Steine unterschlagen habe. Auch die Ochrana würde das vermuten. Und mit der war nicht zu spaßen. Was also sollte er tun? Den Beutel mitsamt seinem Inhalt fortwerfen? Unmöglich! Es bestand ja die Möglichkeit, dass man ihn prüfen wollte. Er hielt dies zwar nicht für wahrscheinlich; dafür funkelten und blitzten die Steine viel zu sehr. Sie waren bestimmt wertvoll, unheimlich wertvoll!

Je länger Tadeusz nachdachte, umso mehr beruhigte er sich. Wenn der Fund ein Vermögen darstellte, dann wollte ihn kaum jemand auf die Probe stellen. Dann …

Seine Gedanken kreisten. Aber von welcher Seite er die Dinge auch betrachtete, er kam zu der Überzeugung, dass er nichts unternehmen dürfe, ohne zuvor Gewissheit darüber erlangt zu haben, ob der Seidenbeutel Edelsteine oder Imitationen enthielt. »Hör zu«, sagte er an seine Frau gewandt. »Ich weiß jetzt, was ich tun muss. Alles wird sich zum Guten wenden. Lauf rüber zu Jósef und sag ihm, er soll sein Pferdchen anspannen. Ich müsse in einer dringenden Ermittlungssache nach Czenstochau. Weiter sagst du nichts! Vor allem kein Sterbenswörtchen über den Beutel und seinen Inhalt!«

Krystyna umklammerte ihren Mann. »Was hast du vor?«

Er legte die Arme um sie. »Mach dir keine Sorge. Ich tu alles, um eine Gefahr abzuwenden. Und nun lauf zu Jósef. Ich zieh mich inzwischen an.«

Krystyna wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihren Mann mit weiteren Fragen zu bedrängen. Wenn er energisch wurde, war er wie in früheren Tagen. Da hatte er auf Kasernenhöfen herumkommandiert und keinen Widerspruch geduldet.

Als sie ihn später mit dem Nachbarn davonfahren sah, schöpfte sie neuen Mut. Mit seiner Czapka, der hohen Krakauer Mütze, und in der roten Sonntagshose, die sich prächtig vom grauweißen Schafspelz abhob, den er sich übergeworfen hatte, sah ihr Mann fast majestätisch aus. Der Nachbar war richtig beeindruckt gewesen. Nun ja, er trug auch nur den Sukmana, den weißen Mantel der Bauern, und hatte den üblichen kleinen Flachhut aufgesetzt. Er war eben kein Büttel.

Der Hauptgrund aber, der ihr Zuversicht einflößte, war die Tatsache, dass genau in dem Augenblick, da der Kastenwagen sich in Bewegung gesetzt hatte, ein Schwarm Tauben mit klatschendem Flügelschlag aufgestiegen war und die Davonfahrenden umkreist hatte. Das musste ein gutes Omen sein.

Die Fahrt durch den Frühlingsmorgen, der einen goldenen Schimmer über die Landschaft legte und schon die zarten Adonisröschen erahnen ließ, die bald die besonnten Lößhügel der Hochebene verschönen würden, hätte Tadeusz Minka den aufregenden Grund der Fahrt vielleicht für eine Weile vergessen lassen, wenn sein Begleiter nicht so schrecklich neugierig gewesen wäre. Unentwegt versuchte der herauszubekommen, was den Büttel nach Czenstochau trieb. Das verschwieg dieser natürlich. Als die Stadt aber heranrückte, wies er den Bauern an, nicht zum Verwaltungsgebäude des russischen Bezirksgubernators zu fahren, sondern den Weg zum Uhrmacher zu nehmen.

Der Bauer Jósef spitzte die Lippen und fragte hämisch: »Was willst du denn bei dem? Ich denk, du hast in einer Ermittlungssache …«

»Hab ich auch!«, fiel ihm Tadeusz unwillig ins Wort. »Und sie beginnt beim Uhrmacher!«

Der schmalgesichtige Jósef wies auf das in Zeitungspapier gewickelte und mit einer dicken Kordel verschnürte Päckchen, das der Büttel in der Hand hielt. »Eine Uhr ist da aber nicht drin.«

»Bist ‘n Hellseher«, sagte Tadeusz belustigt. Einem jähen Einfall folgend, fügte er noch hinzu: »Wenn’s ‘ne Uhr wäre, würde ich nicht in einer Ermittlungssache, sondern in einer Reparaturangelegenheit nach Czenstochau fahren.«

Die Stirn des Bauern legte sich in Falten. Was mochte der Büttel damit meinen? Er verstand den Sinn der Worte nicht. Um sich zu rächen, beschloss er, den Beleidigten zu spielen.

Keine einzige Frage stellte er mehr. Er zeigte nicht einmal Interesse, als sie über eine neu angelegte, ungewöhnlich breite und mit jungen Bäumen bestandene Straße zum Marktplatz gelangten, auf dem speziell Leinwand und Tuche, hervorragende Produkte der Stadt, in den herrlichsten Farben angeboten wurden. Erst als sie das im Zentrum gelegene Geschäft des Uhrmachers erreichten, wurde er wieder versöhnlich. »Wirst du nachher ‘ne Barschtsch spendieren?«

»Klar doch! Ist ja ‘ne Dienstfahrt. Ich freue mich schon auf die Pastetchen, die es zur Rote-Rüben-Suppe gibt.«

Auf den paar Metern vom Fuhrwerk zum Geschäft wurden Tadeusz Minka die Beine mit einem Mal schwer. Ihm stellte sich plötzlich die Frage, was der Uhrmacher, der ihm sagen sollte, ob die Steine echt oder unecht seien, von ihm denken würde, wenn er ihm, gewissermaßen aus heiterem Himmel, einen Beutel voller Pretiosen vorlegte. Musste man ihn nicht für einen Dieb halten? Er hatte das nicht bedacht und würde auf der Stelle kehrtgemacht und sich die Sache nochmals gründlich überlegt haben, wenn der Bauer Jósef nicht hinter ihm auf dem Wagen gesessen hätte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in das Geschäft einzutreten.

Eine silberne Glocke ertönte beim Öffnen der Tür. Unwillkürlich nahm der Büttel seine Czapka vom Kopf und wünschte: »Guten Morgen!«

»Dzien dobry!«, antwortete eine eigenartig hohe Stimme aus dem Hintergrund.

Tadeusz schloss die Tür und trat an den Ladentisch. Er kam sich wie in einem Wunderland vor. An den Wänden hing eine tickende Uhr neben der anderen, und in Vitrinen, deren facettenartig geschliffene Scheiben bläulich schimmerten, waren kostbare Silberkannen, Dosen und Kerzenleuchter ausgestellt. Eine gnomenhafte Gestalt mit übergroßem Kopf und zu kurz geratenen Armen und Beinen trat hinter einem Vorhang hervor und stieg mit seltsam eckigen Bewegungen auf eine Erhöhung, die offensichtlich geschaffen war, um ihr die Möglichkeit zu geben, über den Ladentisch hinweg bedienen zu können. »Sie wünschen?«

Der Büttel räusperte sich und blickte unschlüssig auf das verschnürte Päckchen. »Nu, ich bin gekommen … Ich hab da nämlich …« Ein rettender Gedanke kam ihm. »Uhrmacher haben doch eine Lupe, nicht wahr?«

»Ja, natürlich.«

»Da hab ich mir gedacht … Verstehen Sie, ich möchte gerne wissen, ob etwas echt oder unecht ist. Mit einer Lupe müsste man das doch feststellen können, oder?«

Das alt wirkende Gesicht des zweifellos noch jungen Mannes ließ Interesse erkennen. »Um was geht’s denn?«

»Nu …« Tadeusz Minka legte seine Czapka auf den Ladentisch. »Ich hab’s hier.« Er begann das Päckchen aufzuschnüren. »Denken Sie aber nichts Schlechtes von mir. Ich hab es wirklich gefunden. Nein, das stimmt nicht«, korrigierte er sich. »Es hing heute Morgen an meiner Haustür.«

Der mit Glasperlen bestickte Seidenbeutel kam zum Vorschein.

Die Miene des Uhrmachers wurde abweisend.

Tadeusz sah ihn wie hilfesuchend an. Auf seiner Stirn perlte Schweiß. Er lockerte die Kordel, die den Beutel geschlossen hielt. »Sie werden sich vorstellen können, wie betroffen ich war, als ich … Das ist das Werk des Teufels, dachte ich, als ich da hineinschaute.« Er öffnete den Beutel. »Sehen Sie sich das an! Hing einfach an meiner Haustür!«

Der Uhrmacher warf einen Blick in den Beutel und erstarrte. Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Dann aber bewegten sich seine Augen plötzlich wie flinke Wiesel. Gehetzt wanderten sie zwischen den Steinen und dem Mann hin und her, der wie ein Hüne vor ihm stand, das Herz eines Hasen zu haben schien und bei aller Unsicherheit und Ungeschicklichkeit doch einen durchaus vertrauenerweckenden Eindruck machte. »Moment«, sagte er und sprang von der Erhöhung herunter. Seine kurzen Arme schaufelten grotesk durch die Luft. Er eilte zur Ladentür und schob mit energischem Ruck einen Riegel vor. Dann verschwand er mit flatternden Händen hinter dem Vorhang und kehrte gleich darauf mit einer vor das Auge geklemmten Lupe und einem Samttuch zurück, das er auf den Ladentisch warf und glatt strich. Die erwartungsvolle Freude aber, die schon zu erkennen gewesen war, wich schlagartig, als er den Beutel auf das Samttuch leerte. »Um Himmels willen!« rief er bestürzt. »Damit will ich nichts …« Er stockte und griff nach einem Diamanten, der obenauf lag. »Das ist ja …« Schnell hielt er ihn vor die Lupe. »Ohhh …! Das ist fantastisch!« Er drehte den Stein. »Welch ein Feuer! Dieser Brillant dürfte mindestens vier bis fünf Karat haben!« Begeistert wandte er sich an Tadeusz Minka. Seine Augen glühten. Doch dann brach plötzlich wieder alles in ihm um. Finster und abweisend sagte er: »Nein, damit will ich nichts zu tun haben. Sehen Sie«, er nahm einen roten Stein auf, »der Wert dieses Rubins zum Beispiel …« Überwältigt verstummte er und betrachtete den Edelstein durch die Lupe. »Dass es so etwas gibt! Ich wünschte, mein Vater könnte diese Pracht sehen. Er ist Juwelier in Warschau. Ich weiß daher gut Bescheid. Ein Vermögen würde dieses Exemplar kosten. Die Inder nennen den Rubin ›Herr der Edelsteine‹«. Er legte ihn fort und griff nach einem Saphir. »Schauen Sie sich nur diese Farbe an! In der persischen Mythologie heißt es, dass die Erde auf einem riesigen Saphir ruht, dessen Schein den Himmel blau färbt.« Er hielt den Stein vor die Lupe, wurde für eine Weile ganz still und sagte schließlich erregt: »Dieser Saphir wurde aus einer Fassung herausgebrochen. Ich sehe das. Er ist beschädigt. Und das beweist, dass wir es mit Diebesgut zu tun haben.« Er nahm die Lupe vom Auge. »Wie hätte es auch anders sein können. Eine solche Menge …« Mit hastigen Bewegungen schob er die Edelsteine in den Seidenbeutel zurück. »Nein, damit will ich nichts zu tun haben. Und ich flehe Sie an, niemandem zu sagen, dass Sie bei mir waren. Mit der Ochrana möchte ich keinesfalls in Konflikt geraten.«

»Mit der Ochrana?«, fragte Tadeusz erschrocken. »Wie kommen Sie darauf?«

Der Uhrmacher schaute ihn fast mitleidig an. »Sie scheinen wirklich nicht zu wissen, dass diese Steine«, er tippte auf den Beutel, »mit einer Million nicht aufzuwiegen sind. Der Schmuck muss, anders kann ich es mir nicht erklären, aus einem Kirchenschatz stammen. Verstehen Sie nun, weshalb ich ›Ochrana‹ sagte?«

Der Büttel bekreuzigte sich. »Heilige Maria, steh mir bei! Was soll ich tun? Wohin mit dem Zeug?«

Der Uhrmacher hob die Schultern. »Das ist Ihre Sache.«

Tadeusz Minka hörte die Antwort wie ein Echo, das von vielen Felsen zurückgeworfen wird. Ihre Sache …! Ihre Sache …! Der Uhrmacher hatte gut reden. Dabei hatte er eben noch enthusiastisch erklärt, der Saphir färbe den Himmel blau. Und der Rubin sei der »Herr der Edelsteine«. Als wenn das … Sein Atem stockte. Was hatte der Uhrmacher gesagt? Der Schmuck müsse aus einem Kirchenschatz stammen!

Seine Gedanken überschlugen sich. Im Geiste sah er das Bildnis der Muttergottes. Die Muttergottes ist die Königin Polens! Regina Poloniae! Und ihr Bild im Kloster Jasna Góra wurde schon oft wundertätig!

Tadeusz Minka war es, als streife ihn ein Hauch der Madonna. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Natürlich, das war die Lösung! Wenn er den Mönchen, die auf dem Weißen Berg oberhalb von Czenstochau lebten, den Schmuck übergab, ohne jemandem etwas davon zu sagen, dann war er alle Sorgen los und hatte die Gewissheit, dass ihn der Fund niemals belastete. Hingegen würden die Juwelen, wenn er sie bei der russischen Sicherheitspolizei ablieferte, bestimmt verschwinden.

Spontan ergriff er die kleine Hand des Uhrmachers. »Sie haben recht: Wohin mit den Steinen, das ist meine Sache!« Fast übermütig stülpte er sich die Mütze auf und stürmte mit geröteten Wangen aus dem Laden.

Der Bauer Jósef konnte nur staunen. So hatte er den Dorfbüttel noch nicht erlebt. Mit dem Elan eines jungen Mannes schwang der sich auf den Wagen. »Was ist passiert?«, fragte er verblüfft.

Tadeusz lachte. »Ich bin einem Engel begegnet.«

»Ach, nó«, sagte Jósef trocken. »Hatte er eine freudige Botschaft für dich?«

»Ja! Er gab mir den Auftrag, unverzüglich zum Kloster der Pauliner zu fahren. Zieh also die Leine und tritt dein Pferdchen in den Hintern.«

»Soll ich im Ernst da raufkutschieren?«

»Hätte ich es sonst gesagt?«

»Und was ist mit der Suppe, die du mir versprochen hast?«

»Die kriegst du. Von mir aus sogar zwei oder drei Teller. Erst müssen wir aber meinem Engel folgen.«

Der Bauer kicherte. »Möchte wissen, was deine Frau dazu sagt.«

Lachend fuhren sie davon. Der Weg war nicht weit und führte über eine leicht ansteigende Straße direkt auf das Kloster zu, das auf der Höhe eines mächtigen Hügels errichtet und zu einer Festung ausgebaut worden war. Von Weitem erinnerte es an jene Burgen, die zu Weihnachten in Spielwarengeschäften ausgestellt sind. Hinter einem aus roten Ziegeln gemauerten Verteidigungswall, der von vorspringenden Bastionen flankiert wurde, erhoben sich die Baulichkeiten des Klosters, die an diesem Tag im warmen Licht der Mittagssonne besonders imposant wirkten. Der Turm der Basilika reckte sich wie ein warnend erhobener Finger in den wolkenlosen Himmel hinein. Seine unterschiedlichen Stilelemente verrieten, dass jahrhundertelang an ihm gebaut worden war. Unmittelbar neben der Basilika lag das dreistöckige Klostergebäude, das wie ein Schloss aussah und nicht vermuten ließ, dass Mönche in ihm leben. Vor dem gesamten Klosterkomplex breitete sich eine große, freie Rasenfläche aus, auf der bequem hunderttausend Menschen Platz finden können.

»Da möchte ich wohnen«, sagte Jósef, als er den Wagen am Eingangstor anhielt.

Sogleich empörten sich einige Droschkenkutscher, die vor der Anfahrt auf Fahrgäste warteten.

»Macht bloß, dass ihr weiterkommt!«

»Hier dürfen nur Fiaker halten!«

»Ihr müsst euern Wagen unten an der Wiese stehenlassen!«

»Aber wir haben im Kloster zu tun!« begehrte Tadeusz auf.

»Dann müsst ihr drüben hinfahren.« Einer der Kutscher wies nach Westen. »Auf der anderen Seite kommt ihr bis in den Innenhof hinein.«

Jósef war verärgert. »So ist es immer«, sagte er böse. »Nur weil die Vornehmen oben sind, glauben die Diener der Vornehmen, ebenfalls oben sein zu müssen. Diese Affen! Die geben ihren Pferdchen bestimmt kein so gutes Futter wie ich.«

»Reg dich nicht auf«, beschwichtigte ihn Tadeusz. »Wenn wir zu Mittag gegessen haben, wirst du dich wieder wohler fühlen.«

Sein Begleiter schaute pfiffig zu ihm hoch. »Krieg ich dann auch einen Wodka?«

»Versprech ich dir!«

Und da wird behauptet, dass man in Polen nur mit Juden vernünftig reden kann, dachte Jósef zufrieden. Sein Ärger war verflogen. Er hatte nichts mehr dagegen, noch einmal eine Weile warten zu müssen. Der Büttel schien wirklich in einer wichtigen Sache unterwegs zu sein. Erst zum Uhrmacher, dann zu den Paulinern … Von denen hieß es, sie seien arm und führten ein zurückgezogenes Leben. Möglich. Wenn er jedoch ihre Gebäude und Anlagen betrachtete und sich vergegenwärtigte, dass täglich weit über tausend Wallfahrer das Kloster aufsuchten, um die wundertätige Madonna mit beachtlichen Spenden um Gnade anzuflehen, dann konnte er nicht mehr so recht an die Zurückgezogenheit glauben. Aber was ging ihn das an? Es war richtiger, nicht zu grübeln und sich auf Tadeusz’ Rückkehr zu freuen. Einen Wodka bekam er nicht alle Tage.

Unterdessen wandte sich der Büttel an einen Mönch, der die weiße Kutte der Pauliner trug. »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte er und nahm seine Czapka ab.

»In Ewigkeit, Amen!«

»Ich möchte zum Ordensvorsteher.«

»Was wünschen Sie von ihm?«

»Ich hab ihm etwas zu übergeben.«

»Dann wenden Sie sich am besten an den Custos. Sein Officium ist drüben in der ersten Etage.« Er wies auf ein Gebäude, das an die Gnadenkapelle angrenzte. »Gehen Sie durch den Rittersaal und läuten Sie an der Tür hinten links.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Tadeusz und fügte im Bestreben, sich besonders höflich zu geben, gesprächig hinzu: »Es handelt sich um eine sehr wichtige Sache!«

Der Pauliner lächelte. »Gehen Sie nur hinauf.«

Wenn der wüsste, was ich bringe, dachte der Büttel. Wie ein Herold würde er vor mir herlaufen! Er fieberte dem Augenblick entgegen, da er den Schmuck übergeben konnte.

Über eine breite Treppe gelangte er in einen weitläufigen Raum von außerordentlicher Schönheit. Gebannt blieb er stehen. Das musste der Rittersaal sein. Seine mit Stuck und Ornamenten verzierten Wände gingen in ein Kreuzgewölbe über. In den Rundbogen war die Geschichte des Klosters auf großen Gemälden dargestellt, die Tadeusz allerdings weniger beeindruckten als die polierten Fliesen, in denen sich die Fenster spiegelten. Sie schienen ihm glatter als die Eisbahn zu sein, auf der er als Junge geschlittert hatte. Am liebsten hätte er einen Anlauf genommen …

Behutsam einen Schritt vor den anderen setzend, ging er zum Officium und zog die Glocke.

Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde. Aber nur um einen Spalt. »Ja, bitte?«, fragte ein junger Mönch.

Tadeusz verneigte sich. »Ich möchte zum Ordensvorsteher.«

»Der ist nicht zu sprechen.«

»Aber ich muss ihm etwas übergeben! Im Hof hat mir ein Pater gesagt, dass ich mich hier melden soll.«

»Das verstehe ich nicht. Was haben Sie ihm denn erzählt?«

»Dass ich den Ordensvorsteher sprechen muss.«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Der hat wichtigere Dinge zu tun. Wenn Sie etwas für ihn haben, geben Sie es mir. Ich leite es dann weiter.«

»So geht das nicht«, ereiferte sich der Büttel.

»Dann kann ich Ihnen nicht helfen«, entgegnete der Pauliner und schloss die Tür.

Fassungslos starrte Tadeusz Minka auf die Holzmaserung. Edelsteine von immensem Wert wollte er abliefern, und er wurde nicht vorgelassen? Jósef hatte recht. Die Vornehmen sind oben, und die Diener der Vornehmen sind ebenfalls oben. In seiner Auflehnung läutete er Sturm. Er war immerhin der Büttel eines angesehenen Dorfes!

Die Tür wurde erneut um einen Spalt geöffnet. »Was fällt Ihnen ein?«, fuhr ihn der Pater an.

Tadeusz stieß die Tür gewaltsam auf. »Sagen Sie dem Ordensvorsteher, ich hätte etwas zu übergeben, das Millionen wert ist!«

Der Mönch starrte ihn entgeistert an. Hatte er es mit einem Irren zu tun? »Aber, Väterchen«, sagte er beschwichtigend. »Ich kann doch nicht einfach jeden zum Prior vorlassen. Außerdem erscheint es mir unglaubwürdig, dass Sie über etwas so Wertvolles verfügen. Was wünschen Sie also?«

»Den Ordensvorsteher will ich sprechen!«, polterte Tadeusz Minka unwillig. »Und damit Sie es genau wissen: Die Millionen sind hier drin.« Er hob den Beutel. »Und zwar in Form von Edelsteinen!«

Der Pauliner zuckte zusammen, als hätte ein Blitz neben ihm eingeschlagen. »Was sagen Sie da?« Er zog den Büttel förmlich in das Officium und schloss hastig die Tür. »Edelsteine, haben Sie gesagt?«

»Ja.«

»Warten Sie!« Der Pater eilte davon.

Tadeusz fühlte sich schon wohler, und seine Stimmung verbesserte sich noch, als der Mönch nach wenigen Minuten zurückkehrte und ihm überaus höflich versicherte, der Prior sei verständigt und werde gleich kommen. Na also, dachte er zufrieden und registrierte mit Genugtuung, dass sich mehrere Patres in den Raum drängten und ihn wie ein Weltwunder anstarrten. Dann aber falteten plötzlich alle die Hände und neigten ihre Köpfe. Der Vorsteher des Ordens war eingetreten.

Der Büttel kniete unwillkürlich nieder.

»Steh auf, mein Sohn«, sagte der Prior und machte über ihm das Zeichen des Kreuzes. »Mir wurde gemeldet, du hättest etwas zu übergeben?«

»Jawohl, Hochwürden.« Tadeusz Minka erhob sich. »Heute Morgen hing dieser Beutel an meiner Haustür.« Er riss die Schnur auf und entfernte das Papier. »Wie er dahin gekommen ist, weiß ich nicht. Aber er ist prall gefüllt mit Edelsteinen.«

Der Ordensvorsteher warf den Mönchen einen warnenden Blick zu, nahm den Büttel beim Arm und führte ihn in die Bibliothek. Ihnen folgten zwei Pauliner, die anscheinend einen höheren Rang hatten. Jedenfalls war der Stoff ihrer weißen Kutten von besserer Qualität.

Die Pracht der Bibliothek überwältigte Tadeusz. Bis zur gewölbten Decke, die wie ein Himmel bemalt war, aus dem Heilige herausschauten, befanden sich rundum Regale aus Edelholz. Sie waren mit Intarsien versehen und prall mit jahrhundertealten Folianten gefüllt. In der Mitte des Raumes standen zwei große Tische. Auf einen von ihnen ging der Prior zu und forderte seinen Gast auf, Platz zu nehmen.

Als müsse er sich von der ihn umgebenden Pracht befreien, öffnete Tadeusz sogleich den Seidenbeutel und schüttete die Edelsteine auf die Tischplatte. Seine Augen funkelten dabei mit den Juwelen um die Wette.

Atemloses Schweigen trat ein.

»Es ist ein Wunder!«, sagte der Prior schließlich.

Die beiden Mönche stimmten ihm zu und beugten sich über die Steine. »Es sind tatsächlich …«

Der Ordensvorsteher unterbrach sie mit einer gebieterischen Geste und wandte sich freundlich an Tadeusz Minka. »Nun, mein Sohn, ich bin gespannt auf das, was du mir zu erzählen hast. Der Beutel hing heute Morgen an deiner Haustür?«

»Ja.«

»Und wie bist du darauf gekommen, hierher zu eilen?«

Der Büttel berichtete, was er an diesem Tag erlebt und getan hatte.

»Und der Uhrmacher weiß nicht, wie du heißt?«, fragte der Prior hoffnungsvoll.

»Nein, Hochwürden.«

»Auch nicht, wo du wohnst?«

»Nein. Der Anblick der Juwelen hatte ihn so erregt, dass er über nichts anderes sprach. Und als er erkannte, dass es sich um Diebesgut handelt, beschwor er mich, meiner Wege zu gehen und ja niemandem zu sagen, dass ich bei ihm war. Er hat Angst vor der Ochrana, mit der er nichts zu tun haben will.«

»Verständlich«, entflog es dem Ordensvorsteher.

»Die Ochrana fürchtet jeder«, stimmte ihm der Büttel bei.

Der Prior tat einen Seufzer. »Gott hat dich geleitet und zu uns geführt.«

Tadeusz Minka schmunzelte. »Ich glaube eher, dass es die Muttergottes war. An sie habe ich nämlich gedacht, als ich nicht wusste, wohin mit den Steinen.«

Der Ordensvorsteher warf seinen Mitbrüdern einen bedeutungsvollen Blick zu. »Ich glaube, wir haben es hier mit einem neuen Wunder der Schwarzen Madonna zu tun.« Ergriffen kniete er nieder. »Lasset uns beten.«

Die Mönche und der Büttel folgten seinem Beispiel.

»In nomine patri et filii et spiritus sancti …«

Nach längerem Gebet erhob sich der Prior und sagte an Tadeusz Minka gewandt: »Die Geschichte unseres Klosters wurde mit Blut, Trauer, Hoffnung und mit Tränen der Freude geschrieben. Heute ist ein Tag der Freude. Und dir, Tadeusz, verdanken wir sie! Du sollst deshalb nicht ohne Lohn von uns gehen. Der Custos wird dir ein paar Rubelchen aushändigen, die du gewiss gut brauchen kannst.«

»O ja!«, sagte der Büttel erfreut. »Zumal ich den Bauer Jósef zu Barschtsch und Wodka eingeladen habe.« Die Mönche lachten.

»Erzähle ihm aber nichts von dem Fund!«

»Da können Hochwürden sich ganz auf mich verlassen.«

2

›Nichts macht in Polen so rasch die Runde wie ein wohl gehütetes Geheimnis.‹ Dieses Sprichwort bewahrheitete sich wenige Tage, nachdem Tadeusz Minka das Kloster Jasna Góra aufgesucht hatte. Das Gerücht, das plötzlich kursierte, tauchte aber in so unterschiedlichen Varianten auf, dass der zweifellos bestehende Zusammenhang mit dem Fund der Edelsteine nur für Eingeweihte erkennbar wurde. So hieß es zur Empörung der Bevölkerung, aus dem Kronenschmuck der Schwarzen Madonna, der in jenen Tagen auf 18 Millionen Goldmark geschätzt wurde, seien die kostbarsten Edelsteine geraubt und durch unechte ersetzt worden. Eine andere Version besagte, die Ochrana habe sich des Schatzes bemächtigt, um auf die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen des Klosters aufmerksam zu machen und daraus für sich ein Aufsichtsrecht herleiten zu können.

Dieses Gerücht bewog Oberst Iwan Stepanowitsch, Chef der russischen Verwaltungsbehörde, unverzüglich nach Jasna Góra zu fahren, wo er Prior Rejman zu sprechen wünschte.

Der ansonsten besonnene hohe Ordensgeistliche, der sich der Würde seines Amtes sehr wohl bewusst war, reagierte blitzschnell. Er beauftragte seinen Sekretär, zu erklären, er bereite sich gerade für die Heilige Messe vor, sei jedoch gewillt, den Herrn Kommandanten in der Sakristei zu empfangen. Oberst Stepanowitsch durchschaute nicht, dass der Prior den für einen Empfang ungewöhnlichen Raum wählte, um das Gespräch jederzeit wohlbegründet abbrechen zu können.

»In der Sakristei riecht es wenigstens nach Weihrauch und nicht nach alten Männern«, sagte der Russe bissig, als der Sekretär ihn zur Gnadenkapelle führte.

Prior Rejman hatte in der Sakristei, deren in Pastellfarben bemaltes Kreuzgewölbe sich von der rotbraunen Wandtäfelung wie ein duftiger Blumenhimmel abhob, bereits die Alba angelegt und ließ sich gerade das Cingulum reichen, als Oberst Stepanowitsch eintrat. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier empfange«, sagte er mit zuvorkommender Geste. »Aber da man mir meldete, es sei dringend …«

»Äußerst dringend!«, fiel der Russe mit Nachdruck ein. »Ich komme wegen des unglaublichen Gerüchtes, die Ochrana habe sich der Juwelen des Kronenschmuckes bemächtigt und wolle eine Kontrolle über das Kloster gewinnen.«

Prior Rejman schüttelte den Kopf. »Darüber regen Sie sich auf?«

Dem Oberst schwollen die Adern. »Erwarten Sie etwa, dass ich mich freue?«

»Das wäre zu viel verlangt. Nein, mich setzt nur in Erstaunen, dass Sie deshalb zu mir kommen. Wie kann man ein Gerücht ernst nehmen, das, zumindest was den ersten Teil angeht, jeder Grundlage entbehrt. Der Schmuck ist ja vorhanden! Und was den zweiten Teil anbelangt: Wünscht sich Ihre Regierung nicht schon seit Langem eine Kontrolle über Jasna Góra? Aber da ist nichts zu machen. Zar Nikolaus I. hat uns als einzigen katholischen Orden im russisch besetzten Gebiet anerkannt. Und den Wiederaufbau unserer Verteidigungsanlagen, die Zar Alexander I. hatte schleifen lassen, hat er aus wohlerwogenen Gründen genehmigt. Ihm ging es darum, seine Toleranz vor aller Welt zu demonstrieren.«

»Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht zu unterstellen, wir wünschten das Kloster zu kontrollieren! Ich fordere Sie deshalb auf, der Bevölkerung gleich in der nächsten Messe zu verkünden, dass der Schmuck nicht gestohlen worden ist und auch alle übrigen Behauptungen aus der Luft gegriffen sind.«

Der Prior warf sich die Casula über. »Erwarten Sie im Ernst von mir, dass ich im Gotteshaus Gerüchte dementiere?«

Oberst Stepanowitsch schnaubte. »Wenn Sie meinem Wunsche nicht entsprechen, werde ich … werde ich Konsequenzen ziehen!«

»Und wie sehen die aus?« Der Ordensvorsteher ging gemessenen Schrittes auf den Russen zu. »Nicht einmal 1863, als uns nach dem misslungenen nationalen Aufstand unsere Ländereien genommen wurden, hat Zar Alexander II. das Kloster Jasna Góra angetastet. Und Sie wissen, warum! Das Mysterium der wundertätigen Madonna hielt ihn davon ab! Dem Zaren war bekannt, dass es weder schwedischen noch preußischen oder österreichischen Armeen jemals gelungen ist, dieses Kloster mit Waffengewalt niederzuringen. Sämtliche Kirchen Polens hat man beraubt, Jasna Góra aber blieb unangetastet. Und so wird es bis in alle Ewigkeit bleiben. Das Territorium der Schwarzen Madonna wird niemand ungestraft angreifen können.«

Der Russe nagte an seinen Lippen. »Dann geben Sie wenigstens bekannt, dass der Kronenschmuck nicht gestohlen wurde.«

Prior Rejman lächelte. »Werden Sie mir dann ebenfalls einen Wunsch erfüllen?

»Wenn ich es kann.«

»Ohne jede Schwierigkeit. Sie brauchen nur zu veröffentlichen, dass die russische Bezirksverwaltung nicht beraubt worden ist. Ich erkläre dann, dass auch hier kein Einbruch stattgefunden hat.«

Oberst Iwan Stepanowitsch ballte die Fäuste. »Das ist … das ist …«

Prior Rejman deutete eine Verneigung an. »Entschuldigen Sie mich jetzt, bitte. Ich habe die Messe zu lesen.«

Das Gerücht, die russische Regierung wolle eine Kontrolle über das Kloster der Pauliner erringen, trieb unzählige Gläubige nach Jasna Góra. Offen wurde gegen diese angebliche Absicht demonstriert. Einem aufmerksamen Beobachter konnte freilich nicht entgehen, dass der Orden die Erregung der Bevölkerung noch schürte. Um die Gefahr von Unruhen zu bannen, entschloss sich die russische Polizei, zur Abschreckung einige Verhaftungen vorzunehmen.

Dann aber änderte sich die Situation mit einem Schlag. Es begann mit einem Fund, den ein Bauer aus Gidle machte. Er kehrte mit seinem Jungen vom Markt in Nowo-Radomsk zurück und entdeckte am Ufer der Warthe einen ungewöhnlich großen, rechteckigen Korb, der schräg aus dem Wasser herausragte und offensichtlich angeschwemmt worden war. »Den sollten wir mitnehmen«, sagte er und hielt den Wagen an. »Lauf runter und schau nach, ob er brauchbar ist.«

Der Junge eilte über ein noch schneebedecktes Feld zum Ufer und bemühte sich, den Korb an Land zu ziehen. Das gelang ihm jedoch nicht. »Er sieht wie neu aus, ist aber verdammt schwer«, rief er nach vergeblichen Bemühungen.

Der Vater stieg vom Wagen. »Warte, ich komme.« Er band sein Pferd an und ging zum Ufer. Zu seiner Verwunderung stellte er dort fest, dass der Korb mit einem dicken Seil verschnürt war. »Versuchen wir es zusammen«, sagte er und fasste in den Handgriff, der sich an der Stirnseite des Strandgutes befand.

Gemeinsam zogen sie den Korb an Land.

»War ein ganz schönes Stück Arbeit«, keuchte der Junge.

Der Vater nickte und zog sein Klappmesser aus der Tasche. »Bin gespannt, was drin ist.«

»Und ich möchte wissen, wie der Korb in den Fluss gekommen ist. Den kann man doch nicht verlieren.«

Der Bauer schnitt die Verschnürung auf. »Wir werden gleich mehr wissen.«

Sie schlugen den Deckel zurück und blickten auf ein gut erhaltenes, mit Wachstuch bezogenes Liegesofa.

Der Junge schaute verblüfft seinen Vater an.

Der kratzte sich den Hinterkopf. »Ohne Wodka ist das nicht zu begreifen. Man hätte das Gestell doch einfach ins Wasser werfen können. Wozu also der Korb und die starke Verschnürung?«

»Du meinst, da stimmt was nicht?«

Der Bauer zuckte die Achseln. »Heben wir das Ding mal raus.«

Das Sofa war unerwartet schwer, ließ sich jedoch ohne große Mühe herausheben. Aber dann stutzten Vater und Sohn. Am Boden des Korbes lag ein von Blut verschmiertes Kopfkissen.

Ein unheimliches Gefühl veranlasste den Bauern, das Wachstuchsofa auf einer Seite hochzuheben und umzustoßen.

Der Junge schrie auf und bekreuzigte sich.

Sein Vater stand wie gelähmt da.

Eingeklemmt zwischen den Matratzenfedern lag ein Toter mit zertrümmertem Schädel.

»Fahr nach Hause und hole den Polizisten«, sagte der Bauer, als er den ersten Schreck überwunden hatte. »Ich bete inzwischen drei Ave Maria.«

Der Junge rannte wie gehetzt davon.

Es dauerte keine Stunde, bis der Polizeibeamte eintraf. Der Gemeindeschreiber begleitete ihn. Ihnen folgten mehrere Wagen mit Neugierigen; die Gelegenheit, einen Ermordeten zu sehen, wollte man sich nicht entgehen lassen.

Nachdem der Polizist sich einen kurzen Überblick verschafft hatte, schickte er ein Fahrzeug nach Nowo-Radomsk, um die Kriminalpolizei zu verständigen. Er selbst setzte mit dem Gemeindeschreiber ein erstes Protokoll auf und notierte gewissenhaft, was der Bauer zur Sache aussagen konnte. Soweit es ihm möglich war, gab er auch eine Beschreibung des Toten, den er auf dreißig Jahre schätzte. Im Übrigen drängte er die Schaulustigen zurück. Es war ihm unverständlich, dass es Menschen gab, die sich freiwillig ansahen, was er sich notgedrungen ansehen musste. Umso dankbarer war er für die anerkennenden Worte, die der herbeigerufene Kriminalist an ihn richtete, nachdem er das Protokoll überprüft hatte.

Kriminalmeister Pawel Bobak, ein untersetzter kleiner Mann mit rundem Gesicht, pfiffig aussehenden Augen und struppigem Bart, lobte den Beamten in erster Linie, weil dieser ihm jene unumgänglichen Schreibereien abgenommen hatte, die stets zunächst zu erledigen sind. Kopfüber konnte er sich nun in die Aufklärung des Mordfalles stürzen. Seit Jahren träumte er von einem Kapitalverbrechen in seinem Bereich. Immer und immer wieder hatte er nur Vieh- und Holzdiebstähle aufzuklären. Endlich war es ihm möglich zu zeigen, welche Fähigkeiten er besaß. Im Geiste sah er sich schon nach Warschau berufen.

»Sind die angegebenen Maße geschätzt oder gemessen?« fragte er den Polizisten.

»Nur geschätzt.«

Der Kriminalmeister gab sich nachsichtig. »Hat’s dir vor der Leiche gegraust?«

»Na ja …«

»Trotzdem hättest du dir den Toten genauer ansehen müssen. Dann wäre dir beispielsweise nicht entgangen, dass er an Händen und Füßen gefesselt ist.«

Der Polizeibeamte blickte schuldbewusst zum Ermordeten hinüber. »Ich hab noch nie …«

»Schon gut«, unterbrach ihn der Kriminalist. »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.« Er wandte sich an den Arzt, den er gleich mitgebracht hatte. »Was ist Ihr erster Eindruck?«

Der Mediziner richtete sich auf. »Die Tatwaffe könnte ein schwerer Hammer oder ein Beil gewesen sein. Der Schädel scheint mindestens drei Frakturen aufzuweisen. Genaueres kann ich erst nach eingehender Untersuchung sagen.«

»Sollen wir die Leiche aus den Matratzenfedern herausziehen?«

»Um Gottes willen! Der Tote liegt seit Tagen im Wasser! Es würde sich bei der erforderlichen Obduktion nichts mehr feststellen lassen.«

Kriminalmeister Bobak sah sich den Aufgefundenen nochmals an. »Wann, schätzen Sie, ist sein Tod eingetreten?«

Der Arzt hob unschlüssig die Schultern. »Vor vier bis fünf Tagen.«

Pawel Bobak war enttäuscht. Der Täter hatte also genügend Zeit gehabt, um seine Spuren verwischen zu können. Er wandte sich an die Dorfbevölkerung. »Kennt einer von euch den Toten?«

Allgemeines Kopfschütteln.

Der Kriminalist wollte sich schon wieder dem Polizisten zuwenden, als ein junger Mann vortrat. »Mit Bestimmtheit kann ich’s nicht sagen, ich glaube aber, dass er im Hotel Polski gewohnt hat.«

»In Nowo-Radomsk?«

»Ja. Ich bin dort Kellner.«

Kriminalmeister Bobak winkte ihn heran. »Schau dir den Toten genau an.«

Der junge Mann trat näher. »Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte er nach einer Weile. »Ich hab ihn nur einmal bedient. Ich weiß aber, dass der, den ich meine, mehrere Tage im Hotel gewohnt hat. Am besten sprechen Sie mit dem Wirt.«

Mein erster Weg wird mich zu ihm führen, dachte Kriminalmeister Bobak erfreut. Schneller als erhofft hatte er eine Fährte gefunden. Die Erwartungen, die er daran knüpfte, verflüchtigten sich jedoch, als er über den Fluss blickte. Die Warthe fließt von Süden nach Norden. Der Korb musste somit, wenn der Aufgefundene schon vor vier oder fünf Tagen ermordet worden war, weit südlich von Nowo-Radomsk in den Fluss geworfen sein. In Czenstochau vielleicht. Oder noch südlicher. Dann aber konnte der Tote nicht der Gast aus dem Hotel Polski sein.

Oder doch …? Bestand nicht die Möglichkeit, dass der Unbekannte weitergereist war?

Dem Kriminalisten kam ein neuer Gedanke. Eine Person allein konnte den Korb unmöglich zum Fluss getragen haben. Mindestens drei oder vier Männer waren dazu nötig. Also gab es Mitwisser. Das musste die Untersuchung erleichtern.

Fast beschwingt gab er die noch notwendigen Anweisungen. Dann verabschiedete er sich von dem Polizisten, den er verpflichtete, die Matratze mit der Leiche sofort in das Totenhaus von Nowo-Radomsk zu schaffen und den Korb bis auf weiteres in Gidle sicherzustellen.

Pawel Bobak zählte zu jenen Menschen, die hinter einem Silberstreifen am Horizont gleich massives Gold wittern. Dies verleitete ihn, die Aussage des Inhabers vom Hotel Polski viel zu hoch zu bewerten. Für ihn rückte die Auflösung des Mordfalles bereits in greifbare Nähe, als der Wirt, den er zur Identifizierung in das Totenhaus gebeten hatte, nach anfänglichem Zögern glaubte bestätigen zu können, dass der Ermordete einem Mann ähnlich sehe, der über eine Woche sein Gast gewesen war. Er habe Kielce als seinen Wohnsitz angegeben, Waclaw Wojkowski geheißen und sich mehrmals mit einem Makler getroffen, der sich seit Monaten bemühe, eine größere landwirtschaftliche Besitzung zu verkaufen.

Der hinzugezogene Makler bestätigte die Angaben des Hoteliers. Auch er vermeinte in dem Toten Waclaw Wojkowski wiederzuerkennen, fügte seltsamerweise jedoch hinzu, dies sei fast ein Trost für ihn. Er habe schon geglaubt, Wojkowski hätte ihm einen üblen Streich gespielt; denn er habe mit ihm einen Kaufvertrag über 56000 Rubel abgeschlossen und Wojkowski habe ihm versichert, nur noch nach Kielce fahren zu müssen, um das Geld bei seiner Bank abzuheben. In spätestens drei Tagen würde er zurück sein. »Das war vor einer Woche«, schloss der Makler betrübt. »Unnötig zu sagen, dass Wojkowski bis heute nicht wieder erschienen ist.«

Raubmord in einem Ort, der in der Nähe des Oberlaufes der Warthe liegt, dachte Kriminalmeister Bobak und kombinierte: Wer von Kielce nach Nowo-Radomsk fährt, muss in Czenstochau umsteigen. Womöglich hat Wojkowski sich dort einen vergnügten Abend gemacht, dabei mit seinem Geld geprotzt, und dann ist es passiert.

Pawel Bobak setzte sich unverzüglich mit der Kriminalpolizei von Kielce in Verbindung. Er musste wissen, wann Waclaw Wojkowski das Geld abgehoben hatte und wieder nach Nowo-Radomsk gefahren war. Die Nachricht aber, die er vierundzwanzig Stunden später erhielt, verblüffte ihn. Sein Kollege teilte ihm am Telefon mit, nur die Mutter von Frau Wojkowski angetroffen und von ihr erfahren zu haben, ihre Tochter sei nach Warschau gereist und ihr Schwiegersohn halte sich seit über einer Woche in Nowo-Radomsk auf, wo es ihm gelungen sei, ein Gut zu kaufen. Voller Stolz habe sie eine Postkarte gezeigt, auf der Waclaw Wojkowski seiner Frau dazu gratulierte, dass sie Gospodyna, Hofherrin, geworden sei. »Leider«, so habe es wörtlich auf der Karte geheißen, »kann ich wegen der Übernahme der Liegenschaften und Geräte nicht vor zwei Wochen zurückkehren. Nutze also die Zeit und besuche deine Bekannten. Später wirst du nicht mehr dazu kommen. Hier wartet harte Arbeit auf uns.« Auf dem Kartenrand sei noch vermerkt gewesen: »Vom Geld, das ich mitgenommen habe, sind 14000 übriggeblieben!«

Da scheine ich ja auf eine faule Sache gestoßen zu sein, dachte der Kriminalist. Vor Erregung röteten sich seine etwas feisten Wangen.

Der Kollege, mit dem er telefonierte, schloss seinen Bericht mit der Feststellung: »Merkwürdige Sache, was?«

»Allerdings. Wann wird Frau Wojkowski zurückerwartet?«

»Morgen oder übermorgen.«

»Schick sie dann gleich rüber. Am besten begleitest du sie. Eine Leichenschau ist für eine Frau eine böse Sache. Und für dich würden zwei schöne Tage und Reisespesen herausspringen.«

»Werd sehen, was sich machen lässt.«

Nachdenklich hängte Pawel Bobak den Hörer auf. Warum hatte dieser Wojkowski seine Frau belogen? Um Zeit zu gewinnen? Zeit wofür? Bestimmt nicht für das Gut, das er allem Anschein nach überhaupt nicht kaufen wollte. Aber warum hatte er dann so viel Geld abgehoben? Vermutlich 70000 Rubel, nämlich 14000 mehr, als der vom Makler genannte Kaufpreis ausmachte. Wenn Wojkowski tatsächlich der Ermordete war, dann hatte der Mörder, wahrscheinlich ohne es zu ahnen, in einer verteufelt undurchsichtigen Sache den Schlusspunkt gesetzt.

Bobaks Ehrgeiz wuchs wie ein subtropisches Gewächs. Das Glück schien ihm zwei Verbrechen auf einmal beschert zu haben. Unverzüglich wollte er all jene Orte aufsuchen, die südlich von Nowo-Radomsk in der Nähe der Warthe lagen. Es würde gewiss mühselig und strapaziös werden, mit dem Fahrrad von Dorf zu Dorf zu fahren, aber das war immer noch besser, als daheim zu sitzen und von einem Kriminalfall zu träumen, wie er ihn jetzt bekommen hatte. Außerdem waren überall Bauernfuhrwerke unterwegs. Da bot sich immer wieder die Möglichkeit, das Rad auf einen Wagen zu werfen und sich ein Stück mitnehmen zu lassen. Und dabei ließen sich, ohne Aufsehen zu erregen, tausenderlei Fragen stellen. Irgendwer musste den Korb gesehen haben. Bei seiner Größe bot er fast eine Garantie dafür, dass er jemandem aufgefallen war.

Kriminalmeister Bobak täuschte sich nicht. Am zweiten Tag seiner Fahrt durch den Czenstochauer Jura, dessen Straßen an vielen Stellen noch nicht völlig schneefrei waren, erklärten ihm einige Bauern, die er auf dem Marktplatz von Rudniki ansprach, sie hätten vor knapp einer Woche ein merkwürdiges Erlebnis gehabt. Auf dem Weg vom Wirtshaus seien ihnen in der Nacht zwei offene Fiaker ohne Lampen begegnet. Da hätten sie sich natürlich gefragt: Was machen Droschken zu so später Stunde in unserer Gegend? Merkwürdiger aber noch sei gewesen, dass in einem der Wagen überhaupt niemand gesessen habe. Im anderen hätten zwei Männer gehockt. Einer von ihnen habe gefragt, ob sie wüssten, wo man noch eine Flasche Kwass bekommen könne, jenes in Russland so beliebte Erfrischungsgetränk, das aus Malz, Zucker, Pfefferminz und Rosinen hergestellt wird. Da hätten sie gelacht und gesagt: »In Rudniki wohnen richtige Männer. Also gibt es hier nur Wodka zu saufen.« Nun ja, sie seien betrunken gewesen und hätten die Unbekannten kräftig gefoppt.

Nach dieser Erklärung überlegte Kriminalmeister Bobak: Wenn eine der Droschken leer gewesen ist, besteht die Möglichkeit, dass sie als Transportmittel für den Korb gedient hat. »Gibt’s in Czenstochau viele Fiaker?«, fragte er die Männer.

»Mindestens dreißig!«

»Ein Teil von ihnen steht unten am Bahnhof. Die anderen warten oben am Kloster.«

»Ein Schweinegeld verdienen die Brüder.«

Pawel Bobak spürte, dass er auf der richtigen Fährte war. Wenn er alle Droschkenkutscher vernahm, musste er seinem Ziel näher kommen. Dennoch fuhr er nicht schnurstracks nach Czenstochau. Er befragte vielmehr auch auf der letzten Wegstrecke jeden, der ihm möglicherweise eine Auskunft geben konnte. So ließ er auch den Büttel Tadeusz Minka nicht aus. Der saß mit seiner Frau gerade in der Küche beim Nachmittagskaffee und lud ihn sogleich zu einem Stück Babka ein. Es roch nach schwelendem Holz, Vanille und frisch gerösteten Bohnen.

Wie üblich unterhielt man sich zunächst über das Wetter. Dann kam das Gespräch auf den Mord, von dem die Zeitung berichtet hatte.

»Es wird immer schlimmer«, seufzte Krystyna Minka. »In meiner Jugend hätte es so was nicht gegeben.« Mit Unbehagen dachte sie an die Edelsteine und an die fünfzig Rubel, die der Prior ihrem Mann hatte geben lassen. Fünfzig silberne Rubelchen! Sie hatte natürlich dafür gesorgt, dass sie im Hühnerstall vergraben wurden.

Während sie so plauderten, erschien ein Mönch in der weißen Kutte der Pauliner. Er war von mittlerer Statur, hatte einen außerordentlich gepflegten Bart und auffallend volle Lippen. Seine Augen waren von verschleiertem Grau und wirkten traurig. »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte er mit weicher Stimme.

»In Ewigkeit, Amen!« antworteten das Ehepaar und der Kriminalist.

Krystyna Minka eilte mit flinken Schritten auf den Pater zu, küsste seine Hand und bat ihn, Platz zu nehmen. Ihre runzeligen Wangen röteten sich und verrieten die Freude, die ihr der ehrenvolle Besuch bereitete.

Der Pauliner entsprach jedoch nicht ihrer Bitte. Er legte vielmehr dem Büttel, der sich ebenfalls erhoben hatte, die Hände auf die Schulter und schaute ihn lange an. »Mich wirst du wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Vielleicht hilft es dir aber, wenn ich sage, dass seit unserem letzten Zusammensein sechzehn Jahre vergangen sind.«

Tadeusz Minka betrachtete den Mönch aus zusammengekniffenen Augen. »Sechzehn Jahre …? Da war ich noch Unteroffizier in Warschau.«

»Und ich war einer von denen, die du gezwiebelt hast.«

»Ich hab’s!«, rief der Büttel aufgeregt und umarmte den Pater. »Du bist Dabrow!«

Der Mönch lachte. »Das war mein Geburtsname. Heute heiße ich Pater Rochus.«

Dem früheren Unteroffizier stiegen Tränen der Rührung in die Augen.

»Schon lange wollte ich dich aufsuchen«, fuhr der Pauliner fort. »Ich kam nur nie dazu. Dies ist umso unverzeihlicher, als ich seit Jahren weiß, dass du hier der Büttel bist.«

»Von wem hast du das erfahren?«

»Pjetro Kiszka erkannte mich während einer Messe, die ich zelebrierte. Du wirst dir denken können, dass wir bis spät in die Nacht palavert haben.«

»Da ähnliches auch heute wieder eintreten dürfte, möchte ich mich schnell verabschieden«, sagte der Kriminalist und erhob sich.

Pater Rochus bat ihn, Platz zu behalten. »Sie stören uns ganz gewiss nicht.«

»Das glaube ich gerne«, entgegnete Pawel Bobak. »Mich ruft aber die Pflicht.«

»Leider keine schöne«, sagte der Büttel, an seinen einstigen Rekruten gewandt. »Der Herr ist vom Kriminalamt und hat den scheußlichen Mord aufzuklären, von dem in der Zeitung berichtet wurde.«

Pater Rochus horchte auf. »Ach, das ist interessant. Haben Sie schon etwas herausgefunden?«

Kriminalmeister Bobak schüttelte den Kopf. Seine Wangen wabbelten. »Gesichert scheint mir nur zu sein, dass der oder die Täter des Nachts mit zwei Droschken durch Rudniki gefahren sind. Ich bin deshalb unterwegs nach Czenstochau, um mir alle Kutscher vorzuknöpfen. Ob etwas dabei herauskommt …« Er hob die Schultern. »Vielleicht hab ich Glück. Ein Holzsplitter wiegt ja oft schwerer als eine Eiche.«

Pater Rochus reichte ihm die Hand. »Dann kann ich Ihnen nur guten Erfolg wünschen.«

Der steckt in keiner guten Haut, dachte Pawel Bobak, als er das Haus verließ. Die Hand des Mönches war kalt und feucht wie die eines Kranken gewesen.

Es wurde schon Abend, als der Kriminalist in Czenstochau eintraf. Er mietete sich in einem kleinen Gasthaus ein bescheidenes Zimmer und war enttäuscht, als er auf einem ersten Rundgang durch die kaum erhellte Stadt am Bahnhof feststellte, dass dort nicht eine einzige Droschke stand. Der Wirt, ein Mann mit breiter Brust und polternder Stimme, bedeutete ihm, das sei verständlich. Fahrgäste seien fast ausschließlich Besucher des Klosters Jasna Góra. Sie kämen des Morgens mit dem ersten Zug und führen spätestens am Nachmittag wieder fort. Ausnahmen bildeten nur einige wenige, hauptsächlich reiche Leute, die neben der Wallfahrt auch Interesse für Land und Leute hätten und zum Teil versuchten, ihr Geld mit Hilfe versierter Grenzgänger in das von Österreich besetzte Gebiet hinüber zu schmuggeln.

Da Pawel Bobak an diesem Tag nichts mehr unternehmen konnte, lud er den Wirt zu einem Wodka ein. Er hoffte etwas über die Gerüchte zu erfahren, die über den Kronenschmuck der Schwarzen Madonna in Umlauf waren.

»Jetzt heißt es sogar, die Pauliner stecken mit der Ochrana unter einer Decke«, raunte der Gastwirt verstohlen. »Sie sollen Edelsteine gegen Imitationen ausgetauscht haben.«

»Das gibt’s doch nicht«, ereiferte sich Pawel Bobak.

Der Wirt blinzelte mit schlauer Miene. »Und was ist, wenn die Mönche einige Geheimpolizisten bestochen und verpflichtet haben, durch einen raffinierten Tausch die echten Steine vor der russischen Regierung in Sicherheit zu bringen? Ja, mein Lieber«, fuhr der Gastwirt gewichtig fort, »den Paulinern ist alles zuzutrauen. Denen kommt so schnell keiner bei. Als damals die Schweden mit schweren Geschützen hier anrückten, haben sie gedacht: Jetzt kriegen wir den Schmuck. Co pan sobie wyobraza! Da war nichts zu machen. Die weißen Patres hatten längst vorgesorgt. Und zwar sehr geschickt. Ihr Prior Kordecki hatte tief in die Schatztruhen gegriffen und so viel Waffen und Schießpulver wie möglich gekauft. Darüber hinaus hatte er Emissäre mit riesigen Geldbeträgen nach Schlesien, in das Krakauer Land und in die Karpaten geschickt. Ihr Auftrag lautete: Söldnertruppen organisieren und im Rücken des Feindes operieren. Der schwedische General Müller erkannte die Gefahr, nahm seine Geschütze und haute ab. Und so wird’s auch heute wieder sein. Wenn es darauf ankommt, verpulvern die Pauliner Millionen. Ihren Klosterschatz aber geben sie nicht her.«