Das Medaillon - C. C. Bergius - E-Book
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Das Medaillon E-Book

C.C. Bergius

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Beschreibung

Isa und Phil wollen heiraten – in einem Zürcher Antiquitätengeschäft stoßen sie auf ein seltsames Amulett, das einen Skarabäus zeigt. Isa stockt der Atem, sie traut ihren Augen kaum, so sehr scheint sie dieses Schmuckstück an etwas zu erinnern. Denn sie ist sich sicher, dass sie den Skarabäus in einem anderen Leben schon einmal in der Hand hielt. Ehe sich Isa und Phil versehen, befinden sie sich auch schon auf einer Reise in die Vergangenheit, die sie ins alte Ägypten, ins pompöse Rom Neros, in das Frankreich der Revolution führt … »Das Medaillon« ist ein faszinierender Roman über Reinkarnation und die echte Liebe, die jede Zeit überdauert.

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Seitenzahl: 774

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C. C. Bergius

Das Medaillon

Roman

Meiner Frau gewidmet

»Ich atme den süßen Hauch, der

aus deinem Munde kommt. Ich

schaue deine Schönheit jeden Tag.

Es ist mein Wunsch, dass ich

deine sanfte Stimme hören möge

gleich Nordwindhauch, dass mein

Gebein verjüngt werden möge durch

die Liebe zu dir. Gib mir deine

Hände, die deinen Geist halten, auf

dass ich ihn empfangen möge

und durch ihn lebe. Nenne mich bei meinem Namen ewiglich –

und es wird nichts fehlen.«

Von unbekannter Hand nachträglich in die Goldverkleidung des Sarges von Echnaton (ägyptischer König 1369-1352 v.Chr.) eingravierte Inschrift.

Die Sonne säumte das zarte Grün der Bäume, die Zürichs Bahnhofstraße ihren besonderen Reiz verleihen, mit goldenen Rändern. Der Föhn, der andernorts wie ein Wasserfall die Berge hinabdonnert und orkanartig durch die Täler braust, über die Dächer der schweizerischen Metropole jedoch lautlos wie eine Katze hinwegschleicht, hatte die Wolken fortgefegt. Es war ein strahlender Tag, herrlich der Anblick des weit im Süden sich erhebenden Kranzes der Hochalpen, deren schneebedeckte Gipfel sich kantig in das Blau des Himmels schoben. Und doch lag etwas Beklemmendes in der Luft, etwas, das die Menschen zu lähmen schien.

Nicht jedoch das junge Studentenpaar, das an diesem Morgen in gehobener Stimmung über die Bahnhofstraße schlenderte und hier und dort vor einem Schaufenster stehen blieb.

Er hieß Phil, war schlank und hatte ein schmales, vom Skilaufen gebräuntes Gesicht, das ein gepflegter Bart umrahmte. Seine dunklen Augen verrieten Intelligenz. Seiner Kleidung war anzusehen, dass ihn finanzielle Sorgen nicht belasteten.

Sie nannte sich Isa, war zierlich und trug kurz geschnittenes Haar, was ihr ein knabenhaftes Aussehen verlieh. Dieser Eindruck wurde durch ihren mädchenhaften Charme jedoch gemildert. Es lag etwas Verwirrendes im Ausdruck ihrer grünblauen Augen, wenn sie verliebt zu ihrem Freund aufblickte, der sie erst vor knapp einer halben Stunde unvermittelt gefragt hatte:

»Wäre dir der Gedanke, meine Frau zu werden, sehr unangenehm?«

Sie war unfähig gewesen, eine Antwort zu geben. Den Traum, Phils Frau zu werden, hatte sie nicht zu träumen gewagt.

Er mochte gespürt haben, was in ihr vorging, denn er hatte seinen Arm wie schützend um sie gelegt und zärtlich gesagt: »Weißt du, was wir jetzt machen? Einen ausgiebigen Bummel, den wir mit einem exquisiten Verlobungsessen krönen! Einverstanden?«

Der stärkste Föhn konnte ihnen nichts mehr anhaben, aber die Bahnhofstraße war ihnen plötzlich zu geschäftig und zu breit. Sie bogen deshalb in eine der zum St. Peter führenden Gassen ein und schlenderten durch die Altstadt, die ihnen verträumter denn je erschien. Ohne auf ihren Weg zu achten, überquerten sie schließlich die zum Limmat-Quai führende Rathausbrücke, auf der Phil seine Schritte mit einem Male beschleunigte.

»Steuerst du ein bestimmtes Ziel an?«, erkundigte Isa sich verwundert.

Er warf ihr einen fragenden Blick zu. »Wie kommst du darauf?«

Sie lachte. »Du gehst plötzlich schneller und schaust weder nach rechts noch nach links, als zöge dich ein Magnet nach vorne.«

Er schmunzelte. »Erraten! Angesichts der vielen Antiquitätengeschäfte dort drüben kam mir eben der Gedanke, irgendeine hübsche Kleinigkeit zur Erinnerung an den heutigen Tag zu kaufen.«

Isa war glücklich, erwiderte jedoch: »Mir scheint, in dir bricht wieder einmal der Verschwender durch.« Damit wies sie über den Fluss hinweg auf den hinter ihnen liegenden Stadtteil mit den Türmen des Frauenmünsters und des St. Peters. »Ist das Bild nicht herrlich?«

Phil nickte. »Es könnte von Saul Steinberg gezeichnet sein. Doch jetzt wollen wir in Antiquitäten wühlen, bis wir das Richtige gefunden haben.«

Wenig später betraten sie einen von alten Gegenständen förmlich überquellenden Laden. Ikonen hingen neben japanischen Kakemonos, Schwertern und Steinschlossgewehren. Barockengel lagen neben peruanischen Äxten, Achatkugeln und Fossilien. Lebensgroße Porzellan-Windhunde standen neben Buddhas, Madonnen und ausgestopften Turakos.

Der Inhaber des Antiquitätengeschäftes, ein Herr in mittleren Jahren, dessen geschminkte Lippen und rosige Wangen in die seltsame Umgebung passten, ging mit manieriertem Gehabe auf Isa und Phil zu. »Excüsi!«, sagte er verbindlich lächelnd. »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«

Phil schüttelte den Kopf. »Wir wollen uns nur ein bisschen umschauen. Vielleicht finden wir eine Kleinigkeit, die uns gefällt.«

»Bitte, lassen Sie sich durch mich nicht stören«, erwiderte der Inhaber zuvorkommend, zog sich zurück und nahm in einem prächtigen Sessel mit Beauvais-Tapisserie aus der Zeit Ludwigs XV. Platz.

Phil blickte sich eine Weile um und wandte sich dann an Isa. »Würde dir ein Buddha-Kopf gefallen?«

Sie verzog den Mund. »Nicht besonders.«

Er trat an eine Rokoko-Konsole, auf der sich eine pompadourrote Porzellandose befand. »Wie wäre es hiermit?«, fragte er, wobei er die Dose aufnahm und ihre Unterseite betrachtete.

Es entging ihm dadurch, dass Isa wie gebannt auf ein Medaillon starrte, das auf der Konsole lag. Ihr Herz klopfte plötzlich schneller. Woher kannte sie das Medaillon, das einen aus blauem Glasfluss gefertigten Käfer darstellte? Jede Farbnuance seiner wie Fayence glänzenden Oberfläche war ihr vertraut. Sie bildete sich ein, den Käfer bis ins Detail beschreiben zu können. Dann aber, als sie ratlos die kupferne Einfassung seiner Glieder und Deckflügel betrachtete, meinte sie zu sehen, dass die eben noch leer in den Raum greifenden Vorderbeine des Käfers mit einem Male eine glatte, runde Scheibe hielten. Im nächsten Moment verwischte sich das Bild, und zurück blieb der Käfer, wie er gewesen war. Verwirrt schloss sie die Lider.

»Ich hab’s geahnt«, sagte Phil in diesem Augenblick und hielt Isa die Unterseite der Porzellandose hin. »Manufacture Imperiale Sèvres! Möchtest du sie haben?«

Sie hörte ihn nicht, versuchte nur, wieder klar zu denken. Irgendwoher musste sie das Medaillon kennen. Sie hätte schwören können, es nie zuvor gesehen zu haben. Auch kein ähnliches Gebilde. Und dennoch kannte sie es!

Phil bemerkte Isas Verwirrung und betrachtete sie besorgt. »Ist dir nicht gut?«

Sie öffnete die Augen. »Doch, doch.«

»Aber du bist so komisch.«

Sie strich sich über die Stirn. »Sag mal, Phil, hast du schon einmal erlebt, dass du etwas siehst, von dem du weißt, dass du es nie zuvor gesehen hast, und doch ist es dir vertraut?«

Er nickte. »Natürlich. Das geht vielen Menschen so.«

»Und was glaubst du, woher das kommt?«

Phil zuckte die Achseln. »Ich kann es dir nicht sagen, ich vermute aber, dass Assoziationen da eine Rolle spielen, unbewusste Vorstellungsverknüpfungen von Dingen, die man in ähnlicher Form einmal gesehen hat.«

Isa blickte nachdenklich vor sich hin. »Die Möglichkeit, dass Erinnerungen aus einem früheren Leben im Spiel sein könnten, schließt du aus?«

Er lachte. »Aber, Isa! Als vernünftiger Mensch wirst du doch nicht …«

»Moment!«, unterbrach sie ihn energisch und nahm das auf der Rokoko-Konsole liegende Medaillon in die Hand. »Weißt du, was das ist?«

»Gewiss«, antwortete er. »Ein Skarabäus, auch ›Pillendreher‹ genannt.«

»Stimmt«, erwiderte sie und betrachtete die Unterseite des Käfers, in die einige Hieroglyphen eingraviert waren. »Es fehlt aber etwas an ihm.«

Phil stellte die Porzellandose zurück. »Es fehlt etwas?«

Sie gab ihm das Medaillon.

Er betrachtete es eingehend. »Ich möchte wissen, was da fehlen soll. Nicht die geringste Beschädigung ist zu sehen.«

Isa wies auf das fünfzackige Kopfschild sowie auf die obersten Erhebungen der fingerförmig gezahnten Vorderschienen des Käfers. »Hier befand sich einmal eine runde, glänzende Scheibe.«

Phil konnte ein erneutes Lachen nicht unterdrücken. »Und woher weißt du das?«

»Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß aber genau, dass ich mich nicht täusche. Als ich das Medaillon erblickte, stockte mir beinahe der Atem. Ohne es je zuvor gesehen zu haben, hätte ich es auf der Stelle in all seinen Details beschreiben können.«

Phil betrachtete Isa voller Skepsis.

»Doch nicht genug damit«, fuhr sie sichtlich erregt fort. »Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich die runde Scheibe.«

»Das ist doch Nonsens«, entgegnete er unwillig.

»Kannst du mir sagen, was ich für ein Interesse daran haben sollte, dir eine fantastische Geschichte zu erzählen?«

»Habe ich das behauptet?«, erwiderte er gedämpft, da er den Inhaber des Geschäftes kommen sah. »Mir sträuben sich nur die Haare, wenn ich höre …« Er unterbrach sich und wandte sich an den Antiquitätenhändler. »Wissen Sie zufällig, ob sich an diesem Skarabäus früher eine runde Scheibe befand?«

Der Gefragte schüttelte den Kopf. »Davon ist mir nichts bekannt. Es ist aber möglich, da es sich hier um ein sehr kostbares Stück handelt. Ich weiß nicht, ob Sie informiert sind. Der Skarabäus war den alten Ägyptern heilig, weil er eine Eigenschaft besitzt, die man sich nicht erklären konnte. Er dreht Pillen, die er in den Nilschlamm rollt, und nach einer gewissen Zeit schlüpft ein Käfer aus der kleinen Kugel. In diesem Vorgang erblickten die alten Ägypter einen Akt der Urzeugung; sie wussten nicht, dass die Kugel vor dem Vergraben vom Weibchen mit einem Ei belegt wird. Und da die vom Skarabäus gedrehte Pille ihrer runden Form wegen mit der Sonne vergleichbar ist, wurde das Tier als Sinnbild des schöpferischen Sonnengottes angesehen und vielfach mit einer Sonnenscheibe dargestellt.«

Phil entging es nicht, dass Isa blass wurde. »Hast du das gewusst?«, fragte er sie beklommen.

Sie schüttelte den Kopf.

Merkwürdig, dachte er und blickte nachdenklich auf das Medaillon, das er in der Hand hielt. Wahrscheinlich hat Isa irgendwann einmal die Abbildung eines mit einer Sonnenscheibe dargestellten Skarabäus gesehen und in ihr Unterbewusstsein aufgenommen, das dieses Bild nun projiziert hat. So wird es sein, sagte er sich und wandte sich erleichtert an seine Braut. »Wäre das Medaillon nicht eine schöne Erinnerung an den heutigen Tag?«

Sie nickte lebhaft. Ihre Augen bekamen einen brennenden Glanz.

»Seien Sie vorsichtig!« warnte ihn der Antiquitätenhändler. »Der Skarabäus ist echt und nicht billig.«

Phil gab sich gelassen. »Was kostet er?«

»Ich muss nachsehen. Einen Augenblick, bitte.«

»Können Sie uns auch sagen, was die auf der Unterseite eingravierten Hieroglyphen bedeuten?«, fragte Isa.

»Ich glaube, ja«, antwortete der Antiquitätenhändler im Gehen. »Ich habe den Skarabäus von einem Ägyptologen erworben, der einige Notizen dazu machte.«

Phil legte das Medaillon in Isas Hand. »Es soll für immer bei uns bleiben.«

»Du weißt ja noch gar nicht, was es kostet«, entgegnete sie mit hochroten Wangen.

Er strich über ihren Arm. »Das lass nur meine Sorge sein.«

Der Antiquitätenhändler kehrte zurück und reichte Phil einen Zettel, auf den er den Preis notiert hatte. Dann entfaltete er ein Blatt und erklärte: »Der Skarabäus dürfte aus der Zeit um Echnaton stammen, da auf der Rückseite die Namen eines Paares eingraviert sind, von denen der Frauenname dem des Mannes vorangestellt ist, was für die Epoche des ›Ketzerkönigs‹ spricht. Demnach ist das Medaillon über dreitausend Jahre alt.«

»Und wie lauten die Namen?«, erkundigte sich Phil, dem der Preis doch das Blut in den Kopf getrieben hatte.

Der Antiquitätenhändler warf einen Blick auf das Blatt. »Isis und Phiops.«

Isa entfuhr ein kleiner Schrei.

»Was hast du?«, fragte Phil irritiert.

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Hast du nicht gehört? Isis und Phiops! Und wie heißen wir? Isa und Phil! Ich ahne jetzt, warum ich die runde Scheibe gesehen habe. Es kann nicht anders sein. Eine Erinnerung aus einem früheren Leben … Isis und Phiops! Isis und Phiops!«

ISIS UND PHIOP

1

Die beiden Jungen, die am Westufer des Nils auf einer kleinen Böschung lagen und wie gebannt zum Wasser hinunterblickten, spürten nicht die Hitze des Tages. Sie sahen nicht die unter der Glut der Sonnenstrahlen über Achet-Aton schlierende Luft, hatten kein Auge für den Regierungssitz Echnatons, der innerhalb weniger Jahre mitten in der Wüste entstanden war. Nicht einmal den Palast Nofretetes nahmen sie wahr, obwohl dieser sich wie ein mächtiger weißer Block gegen das vor Hitze blasse Blau des Himmels abhob. Er war umgeben von schattenspendenden Sykomoren, Dumpalmen, Weiden und Granatbäumen; eingefriedet in Rabatten von Papyrusstauden, Mohn und Kornblumen; geschmückt von einem kleinen Tempel und einem mit Mandragobüschen umstandenen Wasserbecken, das blaue Lotosblüten zierten. Auch den weiter südlich gelegenen, alles überragenden Aton-Tempel sahen sie nicht, vor dessen das Einzugstor flankierendem Pylon an hohen Flaggenmasten bunte Wimpel wehten. Selbst das imposante Zentrum der Metropole mit dem Königspalast erregte ihre Aufmerksamkeit nicht. Ihre wie vier schwarze Punkte über die Böschung zum Ufer hinunterstarrenden Augen waren in fiebernder Spannung auf einen rostbraunen Ichneumon gerichtet, der witternd im Röhricht stand. Sein Fell war mit dunklen Grannenhaaren überdeckt.

Millimeterweise bewegte sich das Raubtier, auch ›Ratte der Pharaonen‹ genannt, tiefer in das Ufergewächs hinein, das es mit einigen exakt angelegten Gängen durchzogen hatte. Seine Bewegungen waren so behutsam, dass sie kaum bemerkt werden konnten.

Plötzlich aber schnellte der Kopf des Ichneumons in die Höhe. Seine glänzenden Augen wurden starr, seine Nasenlöcher zuckten, sein Fell sträubte sich. Im nächsten Moment machte er einen Satz, als gelte es einen aufgeflogenen Vogel aus der Luft zu holen.

Doch das Bild täuschte. Von oben stürzte sich das Tier auf eine Sandrasselotter. Die Schlange aber reagierte, als habe sie den Angriff erwartet. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf sie ihren Leib zurück, richtete den Vorderkörper hoch und stieß zischend auf ihren Feind hinab.

Der Ichneumon sprang aufheulend zur Seite.

»Es hat ihn erwischt!«, keuchte der kleinere der beiden Jungen.

»Abwarten!«, widersprach der neben ihm liegende Freund, Sohn eines höheren Beamten. »Der ›Nims‹ wird es der Viper schon zeigen!«

Das Raubtier griff die Otter erneut an und biss wütend in ihren unregelmäßig gezeichneten Nacken.

Die Schlange bäumte sich auf, und es begann ein Ringen um Leben und Tod. Der Viper gelang es jedoch nicht, ihren Giftzahn erneut zum Einsatz zu bringen.

Ihr erster Biss aber blieb nicht ohne Wirkung. Der Ichneumon gab sein Opfer mit einem Male frei und zog sich einige Meter zurück.

Die Sandrasselotter bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung.

»Was habe ich gesagt!«, triumphierte der Sohn des Hofbeamten.

»Sei leise!«, zischte sein Spielkamerad. »Du vertreibst den Nims.«

Tatsächlich hob das Raubtier den Kopf und witterte nach allen Seiten, wobei es vernehmlich schnaufte. Als es sich vergewissert hatte, dass keine Gefahr drohte, bewegte es sich erneut auf die Schlange zu, lief dann jedoch unvermittelt zurück und wälzte sich im Schilf, als sei es von einer Tarantel gestochen worden. Über eine Minute dauerte dieser Zustand, dann setzte der Ichneumon mit zwei gewaltigen Sprüngen zur Otter hinüber, schlug seine Zähne in ihren Leib und zerfleischte ihn in wilder Raserei.

»Und es hat ihn doch erwischt!«, begeisterte sich der kleinere der beiden Jungen. »Wenn du ihm jetzt mit dem Ruder über den Kopf schlägst, haben wir ihn.«

Sein Gefährte machte ein skeptisches Gesicht. »Schau dir nur an, wie er frisst. Da fliegen förmlich die Fetzen!«

»Eben, weil er Gift in sich hat. So gebärdet sich ein Nims normalerweise nicht.«

Der Kleine hatte recht. Eine kurze Weile nur noch fraß der Ichneumon wie in grenzenloser Wut, dann wurde er apathisch und brach zusammen.

Nun zögerte der Sohn des Hofbeamten nicht mehr. Er lief zu einem flussaufwärts gelegenen Boot, mit dem er und sein Freund über den Nil gesetzt hatten, ergriff das Ruder und eilte zum Röhricht zurück, wo er das arg mitgenommene Tier mit einem wohlgezielten Schlag über den Schädel tötete.

Der kleinere der beiden Jungen, der splitternackt war und keinen Schurz trug wie sein Kamerad, vollführte einen wahren Freudentanz.

»Weißt du, was wir tun?«, rief er voller Seligkeit. »Wir lassen ihn einbalsamieren und begraben.«

Sein Freund lachte verächtlich. »Die Zeiten sind vorbei. Echnaton duldet solchen Blödsinn nicht. Er hat die Sitte, Tiere für heilig zu erklären und sie im Stadtzentrum zu vergraben, ebenso abgeschafft wie all die komischen Götter mit Tierköpfen. Nur einen Gott gibt es noch: Aton, die Sonne! Und Echnaton ist der Sohn Gottes. Darum hat er auch den Namen Amenhotep abgelegt und sich Ech-n-aton, ›Herrlich ist Aton‹, genannt. Das kannst du dir ruhig mal merken«, fügte er wichtigtuerisch hinzu und trat in das Röhricht, um den Ichneumon herauszuholen. Im nächsten Moment aber schrie er auf und blieb wie angewurzelt stehen. Keine fünf Meter von ihm entfernt trieb eine Leiche auf den Rand des Schilfes zu. »Ja sâlam!«, schrie er und rannte auf die Böschung. »Ein Toter!«

Die Augen seines Kameraden weiteten sich. »Wo?«

Der Sohn des Hofbeamten wies zum Rand des Röhrichtes hinüber, wo die Leiche angeschwemmt wurde.

»Tatsächlich!«, entfuhr es dem Kleinen. »Wir müssen sofort die Wache verständigen. Er ist ein Asiat. Man sieht es an seinem Bart.«

»Wahrhaftig!«, rief der ältere der beiden. »Vielleicht ist er einer von den Babyloniern, die zurzeit am Hofe sind. Komm, wir rudern zurück und verständigen die Palastwache.«

Wie Wiesel rannten die Jungen zu ihrem aus gebündelten Papyrusstauden gefertigten Boot, stießen es vom Ufer und wriggten mit erstaunlicher Schnelligkeit stromabwärts über den Nil, dessen Wasser im Licht der Nachmittagssonne jadegrün leuchtete und einen wirkungsvollen Kontrast zu den blendendweißen Häusern von Achet-Aton bildete, vor denen sich malerische Barken mit orangeroten Segeln flussauf- und -abwärts bewegten. Doch wie sehr sich die Jungen auch bemühten, es verging fast eine Stunde, bis sie den Palast Echnatons erreichten, wo sie nach einem hitzigen Wortgefecht mit dem Wachtposten zum Hauptmann der Leibgarde geführt wurden. Er saß in einer von Säulen getragenen Halle, auf deren Dach mächtige Luftschaufeln jeden Windzug einfingen, um ihn durch ein sinnvoll angelegtes System von Schächten in die Räume des Königspalastes zu leiten.

Hauptmann Phiops, dessen stattliche Figur, dunkle Hautfarbe und ausgeprägte Lippen den Nubier erkennen ließen, stutzte sichtlich, als der Sohn des Hofbeamten von der Leiche berichtete, die er am gegenüberliegenden Ufer entdeckt hatte. »Du weißt bestimmt, dass der Tote einen Bart trägt?«, fragte er, als der Junge schwieg.

»Ganz bestimmt!«

Die samtweichen Augen des Hauptmanns verschwanden hinter engen Schlitzen. Kein Zweifel konnte darüber bestehen, dass es sich bei dem Toten um den seit drei Tagen spurlos verschwundenen Abgesandten des Königs Burnaburiasch von Babylon handelte. Im letzten Jahr hatte der Gesandte im Namen des asiatischen Herrschers für dessen Sohn um die Hand einer der sechs Töchter Echnatons angehalten, und nun war er in einer neuen Mission nach Achet-Aton gekommen. Welche Gefahr konnte durch sein aller Wahrscheinlichkeit nach nicht natürliches Ableben heraufbeschworen werden! Vor Jahresfrist war vereinbart worden, dass die dem Sohne Burnaburiasch’ versprochene vierte Tochter Echnatons, die sechsjährige Nefer-nefru-aton, noch bis zu ihrer Reife in Achet-Aton bleiben sollte.

Hauptmann Phiops, der nur ein um die Hüfte geschlungenes plissiertes Leinen trug, griff kurz entschlossen nach seinem ledernen, mit bunten Steinen besetzten Schulterkragen. »Führt mich zu der Stelle, wo ihr den Toten gefunden habt«, forderte er die Jungen auf.

»Unser Boot ist zu klein für dich«, gab der ältere der beiden zu bedenken.

Das ernste Gesicht des Hauptmanns erhellte sich. »Wir fahren natürlich mit einer Militärbarke«, erwiderte er und legte sich den Schulterkragen um. Dann stülpte er sich seine Offiziersperücke auf, die wie ein Pagenkopf geschnitten war, und griff nach einer golddurchwirkten Peitsche, die ihn als Hauptmann auswies. »Kommt«, sagte er. »Wir wollen keine Zeit verlieren.«

Die Jungen hatten Mühe, ihm zu folgen. Ihre Augen glänzten, und ihr Stolz wurde grenzenlos, als sie wenig später ein Militärboot bestiegen und vom Hauptmann gebeten wurden, die Richtung zu weisen.

Während die beiden den Ruderern zuschauten, überlegte Hauptmann Phiops, was er in die Wege zu leiten habe, wenn sich seine Befürchtung bewahrheiten und der Tote der babylonische Gesandte sein sollte. Den König musste er auf alle Fälle informieren.

Dieser Gedanke bedrückte ihn, da Echnaton in letzter Zeit vom Pech verfolgt war. Religiöse und politische Gründe hatten den Pharao veranlasst, die Macht der allzu selbstherrlich gewordenen Priesterschaft von Theben dadurch zu brechen, dass er Aton zum einzigen Gott erklärte und ihm eine neue Metropole weihte: Achet-Aton, ›Lichtort der Sonne‹. Aber hatte die Verlegung der Verwaltung des Reiches von Theben nach Achet-Aton die Priesterschaft wirklich entmachtet? War nicht vielmehr er, Echnaton, zum Verbannten geworden, umgeben von Ehrgeizlingen, die ihm nur applaudierten, um Karriere zu machen? Was nützte es, wenn er die Wahrheit predigte, jedoch von Lüge, Laster und Korruption umgeben war?

Das Westufer des Nils wurde erreicht, und das Knirschen der auflaufenden Barke riss Phiops aus seinen trüben Gedanken.

»Drüben, wo das Schilf beginnt, liegt die Leiche«, rief einer der beiden Jungen.

»Ihr bleibt hier«, erwiderte der Hauptmann, sprang aus dem Boot und gab vier Soldaten den Befehl, ihm zu folgen.

Phiops Hoffnung, jemand anderen als den vermissten Babylonier aufzufinden, ging nicht in Erfüllung. Weitaus mehr aber als das fast faustgroße Loch im Schädel des Toten, das die Jungen nicht gesehen hatten, entsetzte ihn der Anblick eines blauen Skarabäus, den der Ermordete in seiner verkrampft geschlossenen Hand hielt. Fraglos hatte er das Medaillon seinem Widersacher im Kampf entrissen, und das in die Unterseite des Anhängers eingravierte Zeichen tat kund, dass der Mörder ein ›Sohn des Kep‹ war: Mitglied einer auserwählten Offizierskaste innerhalb des königlichen Palastes, der auch Hauptmann Phiops angehörte.

Achet-Aton, die erste von Architekten und Künstlern auf dem Zeichenbrett entworfene und auf Geheiß Echnatons innerhalb weniger Jahre in Mittelägypten mit einem unbeschreiblichen Aufwand errichtete Stadt, glich eher einem Traumgebilde denn einer von Menschenhand geschaffenen Wohnstätte. Seine blendendweißen, das Sonnenlicht reflektierenden Häuser waren von blühenden Gärten umgeben, die an schnurgerade und rechtwinklig sich schneidende Straßen grenzten, denen Dattel- und Nusspalmen, Ölbäume, Akazien und Sykomoren Schatten spendeten. In den Gärten wuchsen Tamarisken, Persea-, Granatäpfel- und Johannisbrotbäume. Überall waren kleine Teiche mit weißen oder blauen Lotosblüten. Efeuumrankte Pavillons zierten Rasenflächen, und Kornblumen, Mohn sowie Chrysanthemen bildeten farbige Kleckse, die im gleißenden Licht des Tages wohltuend wirkten.

Hauptmann Phiops sah nicht die gepflegten Straßen und Häuser, als er zum Königspalast zurückkehrte. Er bemerkte nicht einmal das aufreizende Gehabe einiger junger Mädchen, die entsprechend der neuen Mode mehr ent- als bekleidet waren und ihm unmissverständlich zu verstehen gaben, dass sie sich gerne an seine breite, wie Kupfer glänzende nubische Brust legen würden. Seine Gedanken kreisten um das Medaillon, das ihn mehr bewegte, als es die raffinierteste Entblößung eines Mädchenkörpers jetzt vermocht hätte. Wie würde Echnaton reagieren, wenn er erfuhr, dass der Mörder des Gesandten jener auserwählten Offizierskaste angehörte, deren Mitglieder auf Grund ihrer besonderen Erziehung das Reservoir der Elitebeamten bildeten!

Hauptmann Phiops dachte an die Probleme, die sich nun ergeben könnten, bis er nach dem Durchschreiten einer von Lotossäulen getragenen Eingangshalle in den Palastgarten eintrat, wo er Merit-aton, die elfjährige älteste Tochter Echnatons, in Gesellschaft ihrer Erzieherin an einem Zierfischteich sitzen sah. Sie gab sich wie eine Erwachsene und trug, wie ihre Begleiterin, außer einem kleinen Dreieck, das die Scham bedeckte und von einem über ihrer Hüfte liegenden Silberband gehalten wurde, nur einen hauchdünnen Umhang aus königlichem Leinen.

Phiops, der die Nacktheit der Landbevölkerung von Kindheit an gewöhnt war, lehnte sich innerlich gegen die neue Mode auf, die jede Fantasie im Keim erstickte. In diesem Augenblick jedoch empfand er nur Mitleid mit der Prinzessin, weil er wusste, dass sie von ihrem Vater ein Kind erwartete. Er konnte nicht begreifen, dass Pharaonen ihre Töchter schwängerten; im Interesse der Bluterhaltung, wie es hieß. Aber war ›Bluterhaltung‹ wirklich so wünschenswert? Wenn er den langgezogenen Schädel der Prinzessin betrachtete, kamen ihm erhebliche Zweifel. Dennoch faszinierte ihn die Lehre Echnatons, der sich als ›Sohn Gottes‹ bezeichnete. Es war schon erhebend, zu denken, dass es nicht mehrere Götter, sondern nur einen Gott gibt, für den alle Menschen gleich sind. Gewiss, Arme und Reiche gab es auch in Achet-Aton. Die Häuser der einfachen Handwerker waren aber ebenso von Gärten umgeben wie die Villen der höchsten Regierungsbeamten. Sie waren nur kleiner, verfügten jedoch ebenfalls über einen Dusch- und Salbraum sowie über eine an die Kanalisation angeschlossene Toilette.

Seine Gedanken beiseite schiebend, betrat Hauptmann Phiops den eigentlichen Königspalast und forderte den im kühlen Vorraum diensttuenden Offizier in knapper Form auf, ihn Seiner Majestät zu melden.

»In welcher Angelegenheit wünschst du ihn zu sprechen?«, erkundigte sich der Wachhabende pflichtgemäß.

»In einer dringenden«, antwortete Phiops ausweichend, fügte nach kurzer Überlegung jedoch gedämpft hinzu: »Es betrifft den vermissten Gesandten.«

Der Wachhabende, der nur einen kurzen Schurz und die Wollperücke der niederen Offiziere trug, eilte davon, und Phiops, der einige Sklaven auf sich zukommen sah, schob das bei dem Ermordeten gefundene Medaillon in den Gurt seines um die Hüfte geschlungenen Shentis. Dann führte er seine Hände über eine von den Sklaven gehaltene Schale aus getriebenem Kupfer, um die vorgeschriebene Waschung vorzunehmen. Danach trocknete er seine Hände in einem blütenweißen, nach Myrrhe und Ginster duftenden Tuch, das ihm gereicht wurde.

Der Offizier kehrte zurück und meldete dem Hauptmann, dass der König ihn empfangen werde. Er möge sich in den Säulensaal begeben und dort warten.

Durch einen mit Wandgemälden geschmückten Gang begab Phiops sich in den gewiesenen Saal. Dort reichte ihm ein Diener eine aus Weihrauch und Honig geknetete Pille, die vor der Audienz einzunehmen war, um den Geruch des Atems zu verbessern. Während Phiops die Tablette kaute, betrachtete er die zwischen den Säulen stehenden Skulpturen, unter denen unschwer die entblößt dargestellte Gemahlin Echnatons, Nofretete, sowie seine Nebenfrau Kija zu erkennen waren. Die Nacktheit beider Frauen war von einer sublimen Sinnlichkeit und wirkte besonders eindrucksvoll, weil der Künstler als Werkstoff keinen gewöhnlichen grauen, sondern einen feinkörnigen, rotbraunen Quarzsandstein gewählt hatte.

Eine hohe, aus kostbarem Zedernholz gefertigte Tür wurde geöffnet, und Hauptmann Phiops erhielt das Zeichen, in den Arbeitsraum des Königs einzutreten. Er tat dies mit schnellen Schritten, blieb jedoch unmittelbar hinter der Schwelle stehen, um sich tief zu verneigen und die Hände in Kniehöhe vorzustrecken.

»Erhebe dich!«, befahl Echnaton mit einer Stimme, die wie gesprungenes Glas klang.

Phiops richtete sich auf und sah den Pharao unweit vor sich stehen. Er trug nicht das bei den Würdenträgern des Hofes beliebte Obergewand mit Ärmeln, sondern einen fein plissierten Schurz, der vorne zu einer Doppelfalte zusammengelegt war und von einem Gürtel gehalten wurde. Sein nackter Oberkörper zeigte, dass er zu Fettansatz neigte. Arme und Beine waren schlaff, und die fleischigen Polster an seinen Knien verstärkten noch den Eindruck von Verweichlichung.

In erstaunlichem Kontrast dazu stand das schmale und lange Gesicht des Königs, dessen nervösen Zügen alle Merkmale einer Überzüchtung anhafteten. Seine schräg gestellten Augen sowie die hängende Unterlippe seines wulstigen Mundes ließen ihn dekadent erscheinen. In seinem wie in die Ewigkeit gerichteten Blick aber lag etwas, das die Größe seines Wesens erkennen ließ. Gottkünder und Mensch, durchdrungen von der Gewissheit, der ›Sohn der von Aton gekommenen Ewigkeit‹ zu sein, ging der große Reformator dem unbedeutenden Hauptmann seiner Leibgarde mit dem Blick eines Mannes entgegen, dessen Geist in anderen Sphären schwebt.

»Was ist mit dem Gesandten?«, fragte Echnaton. In seiner brüchigen Stimme schwang der Wunsch, nichts hören zu müssen.

Phiops straffte sich. »Er wurde erschlagen, Majestät. Zwei Knaben fanden ihn im Röhricht am Westufer.«

Um den Mund des Pharaos spielte ein krankhaftes Zucken. Seine Augen wurden zu Schlitzen. Er ballte die Fäuste, öffnete sie jedoch gleich wieder und ließ die Arme schlaff hängen. Ist das der Beginn eines Kesseltreibens, fragte er sich und blickte gequält zu Hauptmann Phiops hinüber. »Woher weißt du, dass er ermordet wurde?«

»In seinem Schädel klafft ein Loch, Majestät.«

So könnte eines Tages auch mein Ende aussehen, dachte Echnaton voller Bitterkeit und trat dicht an seinen Hauptmann heran. »Wer kann ein Interesse daran haben, den babylonischen Gesandten zu erschlagen? Doch nur jemand, der Burnaburiasch aufhetzen will! Der Zeitpunkt ist niederträchtig gut gewählt«, schrie er plötzlich mit sich überschlagender Stimme und stieß Phiops vor die Brust. »Der babylonische Abgeordnete kam, um im Namen seines Königs Beschwerde darüber zu führen, dass Nofretete es unterließ, ihm für die kostbare Halskette zu danken, die er ihr anlässlich der Verlobung unserer Tochter übersandt hatte. Des Weiteren beklagte er sich darüber, dass meine Gemahlin es nicht für nötig erachtete, ihm Genesungswünsche zu übermitteln, als er krank darniederlag. Zu Recht beschwerte er sich! In beiden Fällen hätte Nofretete ihm eine Nachricht zukommen lassen müssen. Die Königin aber …« Er unterbrach sich und rang nach Luft. »Und jetzt wurde sein Gesandter erschlagen! Burnaburiasch muss glauben, wir hätten es mit der Verlobung unserer Tochter nicht ernst gemeint. Womöglich hat Nofretete …« Er stockte und verbarg sein Gesicht in den Händen.

Phiops blickte betroffen zu Boden. Wenn er auch das Vertrauen des Pharaos besaß, es war nicht gut, Zeuge eines Schmerzes zu sein, den der König zu verbergen suchte.

Echnaton ging auf eine zum Garten hinausführende Tür zu. »Welch herrliches Leben habe ich mit Nofretete geführt«, sagte er dabei in einem Tone, als wollte er die Vergangenheit heraufbeschwören. »Umschlungen fuhren wir im goldenen Wagen durch die Stadt. Vor aller Welt küssten wir uns. Die besten Künstler stellten uns dar. Aton senkte seine Strahlen auf uns herab. Und nun …?« Er drehte sich um. Seine Augen blickten fiebrig. »Sag die Wahrheit! Was redet man über Nofretete?«

Phiops wurde es heiß. Er wusste, dass der König die Wahrheit kannte und sie von ihm nur hören wollte, um seinen Schmerz in selbstquälerischer Lust zu steigern. Wenn er nicht Gefahr laufen wollte, von diesem Wahrheitsfanatiker als Feigling bezichtigt zu werden, musste er aussprechen, was jeder wusste. »Man sagt, die Königin sei sich nach der Geburt ihrer fünften Tochter wie ein krankes Tier vorgekommen«, begann er und bemühte sich, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. »Ihre Enttäuschung darüber, wieder keinem Sohn das Leben geschenkt zu haben, soll ihr bitterer als der Tod gewesen sein. Sie spürte nicht mehr Atons Licht in ihrem Herzen. Gute, böse, fromme und hässliche Gedanken drängten sich ihr auf. Sie wollte Euch mit einem Sohn beglücken, vermutete nach allen Erfahrungen aber, dass Euer Samen ihr nur Töchter bescheren würde. Da soll sie sich einem anderen hingegeben haben.«

Echnaton stand plötzlich unmittelbar vor Phiops. »Wem?«, keuchte er mit heißem Atem.

Hauptmann Phiops riss sich zusammen.

»Thot.«

»Dem Bildhauer?«

»Ja.«

»Und was sagt man vom Maler Imhotep?«

»Er soll nach der Geburt der sechsten Tochter …«

»Wirklich erst nach deren Geburt?«, schrie Echnaton mit dem Blick eines Wahnsinnigen. »Erst nach Setepen Re soll er seinen Samen in Nofretete ergossen haben?«

»So sagt man. Ihre Majestät habe gehofft …«

»Ich weiß, ich weiß!«, schrie der Regent mit abwehrend erhobenen Händen. »Einen Sohn wollte sie mir schenken! Einen würdigen Nachfolger für den ägyptischen Thron! Lust hat sie nie empfunden. Niemals! Im Gegenteil, sie hat sich elend gefühlt, wenn sie ihr Lager mit einem Mann aus dem Volke teilen musste. Ich spüre förmlich, wie ihr dabei zumute gewesen sein muss. Spürst du es nicht auch, Hauptmann?«, kreischte er mit sich überschlagender Stimme. »Stell dir vor, deine Frau würde sich für dich opfern, damit du einen schönen Jungen bekommst. Hättest du da nicht auch Mitleid mit ihr?«

»Ich bin nicht verheiratet«, antwortete Phiops ausweichend.

Echnaton stutzte.

»Warum nicht?«

Der Hauptmann machte eine hilflose Geste. »Die Frau, die ich liebe, hat mich abgewiesen, weil ich von der Richtigkeit Eurer Lehre überzeugt bin und den alten Göttern entsagte.«

Das Antlitz des Regenten entspannte sich. »Die Frau lebt in Theben?«

»Ja, Majestät.«

»Und wie heißt sie?«

»Isis, Majestät.«

»Hier hast du keine Geliebte?«

»Nein, Majestät.«

Echnatons Augen blickten mit einem Male verschleiert. »Leg deinen Schulterkragen ab, Hauptmann. Es ist entsetzlich heiß heute. Ich glaube, wir bekommen den Khamseen-Wind.«

»Das ist gut möglich«, erwiderte Phiops und tat, wie ihm geheißen.

Der Pharao sah ihn wohlgefällig an und klatschte in die Hände. »Du bist gut gewachsen. Ich werde uns Bier[1] bringen lassen. Setzen wir uns drüben hin.« Echnaton wies auf einige Hocker, die um ein Tischchen standen. »Ich weiß nicht warum, aber ich möchte mich mit dir unterhalten.« Er wandte sich an einen Diener. »Bring einen Krug Bier! Und ein paar in Honig eingelegte Vögel!«

Phiops wusste nicht, wie ihm geschah. Der König galt als außerordentlich zurückhaltend, und nun lud er ihn, den unwichtigen Hauptmann der Leibgarde, zu einem vertraulichen Gespräch ein?

Als hätte Echnaton die Gedanken seines Hauptmanns erraten, erklärte er, wie um sich zu entschuldigen: »Ich lebe normalerweise von der Hirse des Volkes und dem Wasser des Nils. Mich gelüstet es aber plötzlich, mit dir … Nein, das ist nicht wahr«, korrigierte er sich hastig. »Es ist auch nicht richtig, dass ich, wie ich eben sagte, nicht weiß, warum ich mich mit dir unterhalten will. Während du von der in Theben lebenden Frau deines Herzens sprachst, erkannte ich eine unerhörte Chance, die sich mir bietet, wenn ich dich zu meinem Vertrauten mache.«

Der Hauptmann glaubte nicht richtig zu hören.

»Meine Worte werden dich verwundern«, fuhr der König nach kurzer Pause fort. »Aber sag selber: Wird irgendjemand auf den Gedanken kommen, dass du in meinem Auftrage handelst, wenn du morgen nach Theben fährst, um noch einmal zu versuchen, die geliebte Frau für dich zu gewinnen? Verstehst du, worauf ich hinaus will? Als mein geheimer Vertrauter sollst du nach Theben reisen!«

In ungläubiger Verwunderung starrte Phiops den Pharao an, dessen Gesichtsausdruck mit jedem Wort verschlagener geworden war. Doch das bemerkte er kaum. Im Geiste sah er Isis vor sich, deren nilgrüne Augen er nicht vergessen konnte.

»Nun, was sagst du dazu, Hauptmann?«, fragte Echnaton gönnerhaft.

Phiops hob ratlos die Schultern. »Ich begreife nicht, wieso ich …«

»Das wirst du verstehen, wenn ich dir den Auftrag genannt habe, den du übernehmen sollst«, unterbrach ihn der König.

Gleich darauf wechselte er das Thema, weil das Bier und die in Honig eingelegten Vögel gebracht wurden.

Sklaven eilten herbei und übergössen die Hände des Pharaos und seines Gastes mit duftendem Wasser. Dann reichten sie Leinentücher und verschwanden so lautlos, wie sie gekommen waren.

»Ich will dir sagen, warum ich einen geheimen Vertrauten brauche«, nahm Echnaton das Gespräch wieder auf, nachdem er und Phiops ein wenig gegessen und getrunken hatten. »Es sind Kräfte am Werk, die mich aus dem Verborgenen heraus bekämpfen, und solange ich diese nicht kenne, kann ich nichts gegen sie unternehmen. Deine Aufgabe soll es nun sein, herauszufinden, ob zwischen der verruchten Amon-Priesterschaft und Nofretete, die vor wenigen Tagen mit meinem erst neun Jahre alten Bruder Tut-ench-Aton nach Theben gereist ist, eine Verbindung besteht. Sie behauptet, ihren Vater Eje besuchen zu wollen, den ich zum Oberpriester des dortigen Aton-Tempels ernannte. Ich traue der Geschichte aber nicht. Ich traue überhaupt niemandem mehr. Nicht einmal meinem General, der in Memphis auf Vorposten steht.«

»Das hat Haremhab aber nicht verdient«, entfuhr es Hauptmann Phiops. »Gerade bei unserem letzten Zusammensein zitierte er ganze Partien Eures Lobliedes auf die Sonne.«

Echnaton blickte verklärt vor sich hin und deklamierte mit halber Stimme: »›Schön ist dein Erscheinen im Lichtort des Himmels, du lebender Aton, der du von Anbeginn lebtest!‹ – Ach, Hauptmann«, fuhr er wehmütig fort, »in schweren Stunden verkaufen Männer sogar ihre Frauen. Wie leicht ist es da für einen nach Siegen lechzenden General, seinem unkriegerischen König die Gefolgschaft aufzukündigen. Wenn Haremhab hört, dass der babylonische Gesandte hier ermordet wurde, wird er Morgenluft wittern. Wenn ich nur wüsste, wer die Tat begangen haben könnte.«

Phiops griff in den Gurt seines Shentis, hinter den er das Medaillon gesteckt hatte. »Ich habe Eurer Majestät noch zu melden, dass der Ermordete diesen Anhänger in der Hand hielt. Offensichtlich hat er ihn seinem Mörder im Kampf abgerissen. Wir wissen somit, wo der Täter zu suchen ist.«

Echnaton wurde aschgrau, als er den blauen, eine runde Scheibe haltenden Skarabäus erblickte. Der Täter musste angesehenen Kreisen angehören, und der Gedanke, eine Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben zur Verantwortung ziehen zu müssen, lähmte ihn. »Ich will nicht wissen, wo der Täter zu suchen ist!«, schrie er wie von Sinnen und hielt sich die Ohren zu.

Hauptmann Phiops blickte den König entgeistert an.

»Ich will es nicht wissen!«, ereiferte sich der Pharao ein zweites Mal, nahm im nächsten Moment jedoch die Hände von den Ohren und starrte Phiops aus irr flackernden Augen an. »Bist du überzeugt, dass ich erfahren muss, was auf der Rückseite des Skarabäus eingraviert ist?«

»Majestät äußerten die Absicht, mich als geheimen Vertrauten nach Theben zu entsenden, um dort Feststellungen zu treffen, die unter Umständen sehr schmerzlich sein können«, antwortete Phiops, ohne zu zögern. »Soll ich bei meiner Rückkehr die unangenehmen Dinge verschweigen und nur Angenehmes berichten?«

Einen Augenblick lang war Echnaton verblüfft, dann ging er mit ausgebreiteten Armen auf Phiops zu. »Hauptmann, du bist nicht nur schön, sondern auch klug. Lass dich umarmen!«

Phiops überlief eine Gänsehaut. Schon mehrfach hatte er gehört, der König habe sich in seinem Schmerz über Nofretetes Untreue der Liebe zwischen Männern zugewandt.

Echnaton schnupperte an Phiops Hals. »Wie gut du duftest!«

»Und ich befürchtete schon, mir hafte der Geruch der aufgefundenen Leiche an«, entgegnete der Hauptmann im Bestreben, den Pharao zu schockieren.

Der Regent prallte zurück. Seine Augen glänzten fiebrig. »Du bist frech«, keuchte er mühsam beherrscht. »Sehr frech sogar!

Aber das gefällt mir an dir. Ich mag solche Männer, und darum wirst du in meinem Auftrag nach Theben reisen, um herauszufinden, was ich wissen muss.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, Eure Majestät nicht zu enttäuschen«, erwiderte Phiops erleichtert. »Dies umso mehr, als die Gravierung auf der Rückseite des Skarabäus erkennen lässt, dass die Feinde Eurer Majestät bereits im Palast Fuß gefasst haben. Es war ein ›Sohn des Kep‹, der den babylonischen Gesandten erschlug. Wahrscheinlich unmittelbar nach dem Fest, das Eure Majestät vor drei Tagen gab. An jenem Abend hatten alle ›Söhne des Kep‹ ihr Medaillon angelegt.«

Echnaton ließ sich auf einen Hocker sinken. »Ein ›Sohn des Kep‹?«, stöhnte er verwirrt. »Das ist der Anfang vom Ende. Wenn die Elite schon …« Er sprang auf und raste wie von Sinnen durch den Raum, dessen Wände mit Szenen bemalt waren, die ihn im Kreise entschleierter Haremsdamen zeigten.

Traum und Wirklichkeit, dachte Hauptmann Phiops angesichts der Gegensätze, die sich ihm darboten. Aber dann erfasste ihn Erbarmen mit dem Mann, der ein Träumer und Schwärmer war, ein Begnadeter, dessen Genialität sich dem Wahnsinn näherte, ein Poet, der Glaube und Hoffnung anbetete, ein König, der für ein Gottesreich predigte, ein Priester, dem es nicht gelang, das Feuer seines Leibes einzudämmen, ein Mensch, der mit keinem Maß auszuloten war.

Hauptmann Phiops wähnte sich fast in den Gefilden der Seligkeit, als er, die Sandalen in der Hand, durch den beginnenden Abend nach Hause ging. Nach Theben sollte er reisen! Im Auftrage des Königs sollte er eine Sondermission übernehmen! Es war nicht zu begreifen. Aton schien allen Glanz über ihn ausschütten zu wollen.

Aber wie ehrenvoll der Auftrag auch war, weit mehr bewegte Phiops der Gedanke, Isis wiederzusehen. Im Geiste erblickte er das sanfte Oval ihres mädchenhaften Gesichtes, ihren ein wenig verschleierten Blick, ihre weichen Lippen, ihre nilgrünen Augen und ihre ausdrucksvollen Hände.

Plötzlich verspürte er jedoch Angst. Bestand nicht die Möglichkeit, dass Isis sich inzwischen einem anderen zugewandt hatte? Sie hatte ihn zurückgewiesen, weil er an Aton glaubte und im Gefolge Echnatons bleiben wollte. Vor gut einem Jahr war das gewesen. Durfte er sich da noch Hoffnungen machen?

Phiops erinnerte sich der Stunde, in der er Isis zum ersten Male gesehen hatte. Es war beim Amon-Tempel gewesen. Nach einer planlosen Wanderung durch die im Halbdunkel liegenden mächtigen Säulenhallen hatte er sich dem dritten Pylon zugewandt, um über die Widdersphinxallee zum Mut-Tempel zu gehen, der inmitten von Palmenhainen lag. Kaum aber hatte er den Tempel verlassen, da musste er, von dem auf ihn einfallenden Sonnenlicht geblendet, die Augen schließen. Dann ereignete sich etwas Merkwürdiges. Als er die Lider wieder öffnete, sah er ein von einem Strahlenkranz umgebenes junges Mädchen auf sich zukommen. Er glaubte an eine Sinnestäuschung, bis er erkannte, dass der fantastische Strahlenkranz nichts anderes als das vom Leinengewand des Mädchens reflektierte Sonnenlicht war.

Unwillkürlich lachte er, und in seinem Lachen lag etwas so Befreites, dass das junge Mädchen belustigt zu ihm hinüberblickte. Gleich darauf gingen beide wie von Magneten angezogen aufeinander zu und sahen sich an, als könnten sie nicht begreifen, voreinander zu stehen. Kein Wort kam über ihre Lippen. Ihre Augen aber drückten aus, was in Worte gekleidet leicht hätte banal klingen können.

Isis bildete sich ein, den vor ihr stehenden Mann durch und durch zu kennen. Sein samtweicher Blick, seine festen Lippen, seine kupferne Hautfarbe, seine athletische Gestalt und seine kräftigen Hände waren ihr absolut vertraut.

»Ich heiße Phiops«, hatte er ihr gesagt und gedacht: Woher kenne ich sie nur? Ich spüre, dass wir zusammengehören.

»Und ich heiße Isis«, hatte sie mit einer Stimme geantwortet, die wie ein behutsam angeschlagenes Sistrum schwang.

Er sah ihren ein wenig geöffneten Mund, ihre dunkel getuschten Wimpern, ihre mit Malachit blaugrün gefärbten Lider und ihren sanft geschwungenen Hals, der ihr von einer kurzen Perücke umrahmtes Köpfchen wie eine im Wind sich bewegende Blüte trug. Auch ihre junge Brust unter dem duftigen Leinengewand und ihre schmalen Hüften entgingen seiner Bewunderung nicht.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er Isis bei der Hand genommen, und sie war ihm widerstandslos über die lange Widdersphinxallee zum Mut-Tempel gefolgt. Wie im Traum schritten sie dahin, durchdrungen von einem Glücksgefühl, das sie nie zuvor erlebt hatten. Wäre ihnen in dieser Stunde die Erde unter den Füßen fortgezogen worden, es hätte ihnen nichts ausgemacht; sie würden sich eine neue gebaut haben.

»Kannst du dir das erklären?«, hatte Phiops gefragt, als sie sich in einem Hain niederließen.

Isis hatte verwundert zu ihm aufgeblickt. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Nun, dass du und ich …« Er suchte nach Worten. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Kaum hatte ich dich gesehen, da wusste ich, dass du es bist, auf die ich gewartet habe. Ich hätte dich zeichnen können.«

Ihre Nasenflügel vibrierten. »Mir erging es ebenso. Offensichtlich gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nicht erklären lassen und einfach hingenommen werden müssen.«

Isis und Phiops waren wie in einem Rausch. Ein jeder trank die Worte, Blicke und Gesten des anderen, bis das unerwartete Glück mit einem Male wie eine Wasserblase zerplatzte.

»Wir werden Mut, der Gemahlin des Königs der Götter, ein Opfer bringen«, hatte Isis, die Tochter des von Echnaton entthronten Oberpriesters von Theben gesagt und damit ahnungslos eine Debatte heraufbeschworen, die sie so schmerzte, dass sie schließlich weinend davongelaufen war und sich in den darauffolgenden Tagen hartnäckig weigerte, nochmals mit Phiops zu sprechen. Durch glückliche Umstände war es dann aber doch noch zu einem Treffen gekommen, das allerdings nur die Verschiedenheit ihrer religiösen Auffassungen verdeutlichte.

Für Isis war Amon der makellos schöne Gott, der vom Wind lebte, durch den Wind sprach und bereits Wind gewesen war, als die Erde aus dem Nichts erstand. Phiops hingegen erblickte in ihm den abstoßenden Stier, als der er ebenfalls dargestellt wurde: mit furchteinflößenden Hörnern und einem riesigen Geschlechtsteil, das seine übermenschliche Zeugungskraft versinnbildlichen sollte. Er versuchte deshalb, Isis das Beglückende der Lehre Echnatons zu vermitteln, der an Stelle der vielen Götter Ägyptens einen einzigen Gott gesetzt hatte: die Sonne, ohne die ein Leben nicht denkbar ist. Isis besaß jedoch nicht die Geduld, die Lehre des Pharaos zu durchdenken. Im Geiste vergangener Jahrhunderte erzogen, grenzte es für sie bereits an Frevel, den Namen Amons wie den eines Menschen auszusprechen, und der Gedanke, einen Mann zu heiraten, der an Aton glaubte und im Dienst des Ketzerkönigs stand, war ihr so unerträglich, dass sie Phiops schweren Herzens erklärte, lieber ein Leben lang allein bleiben zu wollen, als ihm nach Achet-Aton zu folgen.

Bei der Erinnerung an diese Worte vergaß Hauptmann Phiops die Sorge, Isis könnte sich einem anderen zugewandt haben. Ebenso wenig wie es für ihn möglich war, eine andere Frau zu wählen, musste es für sie möglich sein, einen anderen Mann zu heiraten. Beide waren sie zutiefst davon überzeugt, kraft höheren Waltens füreinander bestimmt zu sein. Wahrscheinlich machten sie im Augenblick nur eine Zeit der Prüfung durch, und irgendwann musste etwas geschehen, das sie trotz ihres unterschiedlichen Glaubens zusammenführte. Der vom Pharao erteilte Auftrag, nach Theben zu reisen, war womöglich schon ein Eingreifen des Schicksals.

Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam Phiops. An seinem Handgelenk klirrten die Silberreifen, die Echnaton ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Ihr Gewicht betrug fast fünfzig Deben. Für die bevorstehende Reise war das nicht allzu viel; es reichte jedoch aus und entsprach der Summe, über die ein Hauptmann verfügen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Den wahren Lohn sollte er später erhalten.

Phiops schwenkte übermütig die Sandalen, die er in der Hand hielt wie alle anderen Offiziere und Beamten des Hofes. Er hoffte, sich bald einen ›Sandalenträger‹ leisten zu können.

Es gehörte zum guten Ton, Schuhwerk zu besitzen. Scheuernde Riemen aber liebte niemand. Da hatte es sich mit der Zeit ergeben, dass der ›Sandalenträger‹ zum Statussymbol des gehobenen Standes geworden war.

Phiops war so in Gedanken versunken, dass er die junge Frau nicht bemerkte, die sich ihm in den Weg stellte. Er gewahrte sie erst, als er gegen sie prallte und nach Myrrhe duftende Lippen sich auf seinen Mund legten.

»Hel!«, rief er verwirrt. »Was machst du hier?«

Sie lachte, wobei sie eine Reihe prächtiger Zähne zeigte. Ihre Lippen waren rot gefärbt; ebenso die Nägel ihrer schlanken Finger und die ihrer Zehen. Eine kostbare, bis auf die Schulter herabfallende Perücke, die hinten schachbrettartig geflochten war, gab ihr ein mondänes Aussehen.

»Wenn ich nicht irre, stehen wir vor dem Garten unseres und nicht deines Hauses«, entgegnete sie und umarmte Phiops übermütig. »Mir scheint es somit eher angebracht, dich zu fragen, was du hier machst.«

Er versuchte sich von Hel zu befreien.

Sie lachte ihn aus. »Fühl ruhig einmal meinen Körper, du frauenverachtender Sohn der Göttin von Dendera.«

»Hel!«, rief er vorwurfsvoll und drängte die Frau seines Freundes, der gleich ihm ein ›Sohn des Kep‹ war und im Dienste Nofretetes stand, gewaltsam zurück. »Dass du den Unsinn nicht lassen kannst!«

Ihre schwarzen Augen blitzten im Licht der untergehenden Sonne. »Unsinn nennst du, was andere mit Sehnsucht bezeichnen?«

Er schüttelte den Kopf. »Du bist unverbesserlich, Hel. Ich werde deinem Mann erzählen, wie du dich benimmst.«

»Tu das! Du musst nur sehr laut rufen, sonst hört Ramose dich nicht. Er ist in Theben!«

Phiops Gedanken überschlugen sich. Wenn Ramose in Theben war, ergab sich vielleicht die Möglichkeit, von ihm einiges über die wahren Hintergründe der Reise Nofretetes zu erfahren.

»Komm mit in den Garten«, forderte Hel ihn auf.

Er folgte ihr und überlegte, ob es zweckmäßig sei, sich an Ramose zu wenden.

Hel stieß ihn an.

»Wo bist du mit deinen Gedanken?«

Phiops lachte verkrampft.

»Um ehrlich zu sein, bei deinem Mann. Ich fahre nämlich morgen ebenfalls nach Theben.«

Hel blieb stehen und schaute ihn erstaunt an. »Im Auftrage Echnatons?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe Urlaub genommen.«

Sie warf ihren über der Brust zusammengehaltenen Leinenumhang zurück und hakte sich bei Phiops ein. »Dann kenne ich den Zweck deiner Reise: Isis!«

Er nickte. »Stimmt!«

Jetzt will ich doch mal sehen, ob sein Fischblut wirklich durch nichts in Wallung zu bringen ist, dachte Hel und schmiegte sich so an Phiops, dass ihre etwas üppige, aber wohlgeformte Brust seinen Oberarm berührte. »Hoffentlich erlebst du keine Enttäuschung!«

Seine Lippen spannten sich. »Damit muss ich natürlich rechnen. Ich habe jedoch ein gutes Gefühl.«

Hel ärgerte sich über seine Gelassenheit. Sie ließ sich aber nichts anmerken, sondern lächelte verbindlich. Und wenn es mich wer weiß was kostet, ich werde ihn zum Stolpern bringen, schwor sie sich und legte ihren Kopf in den Nacken. »Ist die Luft nicht herrlich, wenn Aton untergegangen ist?«

Phiops nickte und atmete tief durch. »Der Duft der Akazien und Minze verdrängt sogar den brachigen Geruch des Nils. Ich liebe diese Stunde.«

»Ich auch«, stimmte sie ihm zu und gab seinen Arm frei. »Zumal es die Stunde des Bades ist. Leiste mir Gesellschaft. Ich hole schnell die Fackel und etwas Dattelwein.«

Phiops hätte fast entgegnet: Bitte, nicht für mich. Ich habe eben mit dem Pharao getrunken. Aus Schreck darüber, dass er beinahe schon den ersten Fehler gemacht hatte, vergaß er, schnell zu erklären, dass er nicht bleiben könne und das abendliche Bad daheim nehmen wolle.

So kam es, dass er wenig später die Fackel, die Hel aus dem Haus holte, widerspruchslos übernahm und sie in der Nähe des teilweise mit Papyrusstauden eingefriedeten Teiches in einen dafür vorgesehenen Halter steckte. Dann entledigte er sich seines Schurzes, wie er es schon des Öfteren im Garten seines Freundes getan hatte.

Phiops wollte eben die Stufen in das Wasser hinabsteigen, als er Hel mit zwei Bechern aus dem Haus herauskommen sah. Sie hatte ihren hauchdünnen Umhang, der ohnehin nichts verdeckte, bereits abgelegt. »Warte!«, rief sie ihm zu. »Wir wollen das Fest der Liebe mit feurigem Wein zu höchster Glut entfachen.«

Wie schon auf der Straße, so schüttelte Phiops auch jetzt wieder den Kopf. »Du bist unverbesserlich, Hel! Wer dich nicht kennt, könnte meinen, du seiest ein verworfenes Geschöpf.«

»Ersteres stimmt«, erwiderte sie keck und reichte Phiops einen der Becher. »Manchmal möchte ich mich sogar an Knaben vergreifen.«

»Jetzt ist es aber genug«, empörte sich der Hauptmann.

Hel hob amüsiert ihren Becher.

»Auf Ramoses Wohl!«

»Endlich ein vernünftiges Wort«, entgegnete Phiops, leerte seinen Becher und reichte ihn zurück.

Hel warf ihn mit dem ihren achtlos auf den Rasen. »Gehen wir ins Wasser«, sagte sie und tastete nach Phiops Hand, als sehe sie die Stufen nicht richtig und bedürfe der Führung.

Der Schein der Fackel spielte auf ihren Körpern und tauchte sie in ein glutvolles Licht.

Phiops bemerkte, dass Hel das ihre Scham bedeckende Dreieck abgelegt hatte. Das war gegen die Spielregel. Er wollte ihr gerade seine Meinung sagen, als sie ein Straucheln vortäuschte und ihn im Fallen mit sich ins Wasser zog. Er stürzte über sie, fühlte die verführerischen Rundungen ihres Körpers und versuchte augenblicklich, sich zu erheben.

Hel aber umklammerte und küsste ihn.

»Bist du wahnsinnig?«, keuchte er, über ihr Verhalten erbost.

»Sei kein Narr«, entgegnete sie und presste sich an ihn.

»Hel!«, rief er, rasend vor Zorn.

Sie griff in unbeherrschter Leidenschaft nach seinen Schenkeln.

»Komm! Liebe mich!«

Phiops verlor die Beherrschung. Er stieß Hel zur Seite und richtete sich auf.

»Was fällt dir ein?«, ereiferte sie sich, wobei ihre dunklen Augen Blitze schleuderten. »Glaubst du, Ramose hätte keine Freundinnen? Er treibt es sogar mit Nofretete!«

»Schweig!«, fuhr Phiops sie an. »Du läufst sonst Gefahr, dass ich dir …« Er unterbrach sich und wischte Wasser aus seinem Gesicht. »Du bist es nicht wert, Ramoses Frau zu sein. Er ist ein ›Sohn des Kep‹, du aber eine …«

»Eine was?«, brauste sie auf und stemmte ihre Hände in herausfordernder Haltung in die Taille.

»Genau das bist du«, antwortete er, auf sie weisend. »Und darum gehe ich. Ich werde mich bemühen, das Erlebte zu vergessen.«

Der Schein der Fackel tanzte wie ein Irrlicht auf dem Wasser und warf magische Reflexe auf Hels Schenkel. Ihre nassglänzende Brust wogte vor Erregung, ihre Augen wurden zu Schlitzen, und ihre Stimme nahm einen drohenden Klang an, als sie voller Empörung entgegnete: »So einfach, wie du es dir denkst, liegen die Dinge aber nicht. Ich werde Ramose verständigen. Mit mir kannst du nicht machen, was du willst.«

Phiops, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte, drehte sich ärgerlich zurück.

»Und was habe ich mit dir gemacht?«

»Wurdest du etwa nicht aufdringlich, nachdem ich dich in meiner Naivität zu einem harmlosen Abendbad eingeladen hatte?«, rief sie triumphierend.

Phiops Stirnadern schwollen an. Hel hatte zum Gegenschlag ausgeholt, und sie konnte ihrer Sache sicher sein, da Ramose zweifellos eher seiner Frau als seinem Freund glauben würde. Unabhängig davon ergab sich für ihn die Frage, ob er Ramose überhaupt die Wahrheit sagen durfte. Bestand nicht die Gefahr, dass er damit das Glück des Freundes vernichtete! Gewiss, es war ein trügerisches Glück, aber ist das Glück nicht immer mehr oder weniger trügerisch?

Phiops kehrte Hel den Rücken, band sich seinen Schurz um und verließ den Garten in dem scheußlichen Bewusstsein, sich trotz allem falsch verhalten zu haben.

2

Die Sonne stieg hinter hochwirbelnden Sandfontänen über den Horizont, als Hauptmann Phiops sich am Kai von Achet-Aton an Menschen vorbeizwängte, die sich allmorgendlich hier drängten, wenn das Auslaufen der Schiffe vorbereitet wurde. An diesem Tage war die Unruhe jedoch besonders groß. Der heiße Khamseen-Wind war über Nacht eingefallen, und jeder wusste, dass Staub- und Sandwolken jetzt fünfzig Tage lang herrschen würden. Das Fruchtland am Westufer der Stadt, das sich bis zum Bahr Jusuf, dem einzigen Nebenfluss des Nils, erstreckte, war glücklicherweise fast völlig abgeerntet. Was noch nicht eingebracht worden war, ging nun verloren. Die täglich zunehmende Hitze versengt die Felder in kurzer Zeit so sehr, dass überall Risse entstehen. Und nicht nur das. Der lebenspendende Strom sinkt im gleichen Rhythmus so tief, dass sich im Flussbett Inseln bilden, die wie Krokodilsrücken aussehen. Die Schifffahrt muss dann eingestellt werden, und das jadegrüne Wasser des Nils gleicht schließlich einem schmutzigen Rinnsal.

In Gedanken war Phiops bereits in Theben. Immer wieder überlegte er, ob er Isis über den vergangenen Abend informieren müsse, falls es ihm gelingen sollte, sie für sich zu gewinnen. Er hielt es für richtig, ihr dann in aller Offenheit zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Aber konnte er das verantworten? Bestand nicht die Möglichkeit, dass geistige oder seelische Belastungen zu einer Zerreißprobe geführt hatten, der Hel nicht gewachsen gewesen war? Das Nahen des Kahmseen-Windes konnte die Ursache gewesen sein. Auch war es denkbar, dass sie mit ihm nur hatte spielen wollen und dass aus dem Spiel plötzlich Ernst geworden war. Er hoffte, dass Hel zur Vernunft kommen und in ihrem eigenen Interesse schweigen würde.

Phiops schob seine düsteren Gedanken beiseite, als er das Schiff erreichte, das am Kai auf ihn wartete. Es war keine Galeere mit zwanzig und mehr Ruderern, die dafür sorgten, dass die beschwerliche Fahrt stromaufwärts weitgehend abgekürzt wurde. Er hatte sich nur eine Barke mieten können. Ihr breites, orangerotes Segel war geflickt und stand in krassem Gegensatz zu Phiops’ Aussehen, der seinen kostbaren Schulterkragen angelegt hatte und die golddurchwirkte Peitsche der Hauptleute unter dem Arm trug. Aber wie armselig das Schiff auch aussah, es war sauber, und sein Steuermann, der Vater eines in der Leibgarde Echnatons stehenden Schardanen, machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. Sein Kopf war geschoren und bot keine Brutstätte für Läuse. Eine Perücke, die ihn vor der glühenden Sonne hätte schützen können, besaß er allerdings nicht.

Besonders erfreut war Hauptmann Phiops über die Kajüte auf dem hinteren Teil des Schiffes, die es ihm gestattete, während der Reise im Schatten zu liegen. Stromaufwärts dauerte die Fahrt immerhin fünf bis sechs Tage. Und es wurde eine höchst anstrengende Reise. Staub- und Sandwolken wehten den ganzen Tag über. Die Äcker vertrockneten. Nur selten waren Bauern zu sehen, die gebeugten Hauptes hinter von Ochsen gezogenen Holzpflügen einherschritten, mit denen sie erste Furchen in den Schlamm des sinkenden Nils zogen. Hin und wieder tauchten Palmenhaine auf, die niedrigen Lehmhütten Schutz boten. Solche Plätze wählte der Steuermann am Abend zum Anlegen.

Phiops benutzte die Ruhepausen zu Unterhaltungen mit der Uferbevölkerung. Im Hinblick auf Isis’ Auffassung interessierte es ihn, zu erfahren, welche Einstellung diese einfachen Menschen zur Lehre des Königs hatten. Das Ergebnis bestürzte ihn. Fast keiner hatte Verständnis dafür, dass Echnaton den Gott Amon, der den Eltern, Großeltern und allen übrigen Vorfahren ein stets hilfreicher und guter Gott gewesen war, aus den Tempeln verbannt hatte und seinen Namen nun von allen Bauwerken, Denkmälern und Grabstätten fortmeißeln ließ. Dass dem Pharao kein Sohn geboren wurde, schien dem Volk bereits eine Strafe der Götter zu sein. Es sagte freilich nicht offen, was es dachte, bekannte sich vielmehr, um möglichen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, zu Echnatons Lehre, glaubte in Wahrheit aber unerschütterlich an Amon und dessen Priesterschaft.

Ich muss dem König reinen Wein einschenken, dachte Phiops. Man kann eine Religion nicht einfach verbieten und durch eine andere ersetzen. In Stunden der Verlassenheit bedarf der Mensch des Haltes, und den findet er nicht im Glanz ferner Sterne, sondern in der Wärme und Vertrautheit eines überkommenen Glaubens.

Es war gut, dass Phiops viele Stimmen hörte, die wie Isis sprachen. Nicht, weil deren Auffassung ihm dadurch verständlicher wurde, sondern weil sich ihm die Intoleranz der Menschen in Religionsfragen aufdrängte. Er kam zu der Überzeugung, Isis nur dann gewinnen zu können, wenn es ihm gelänge, Gespräche über Gott und Götter zu vermeiden. Deshalb war er sich über sein Vorgehen absolut im Klaren, als am Nachmittag des sechsten Tages am westlichen Horizont drei markante Berggipfel auftauchten.

»Die ewigen Wächter Thebens!«, rief er und hob seine Hände, als wollte er den Himmel beschwören, ihm bei der Erfüllung der ihm auferlegten und sich selbst gestellten Aufgabe Hilfe zu gewähren.

Wenn Phiops es sich auch nicht eingestand, er liebte die ›Hunderttorige Stadt‹, die von hohen Ziegelmauern umgeben war. Auf dem Ostufer lagen die Tempel von Luksor und Karnak im Licht der sich langsam neigenden Sonne, während das am Westufer sich ausbreitende Fruchtland und die dahinter am Fuße des Gebirges sich erhebenden riesigen Paläste und Totentempel bereits im Schatten lagen.

Gebannt blickte Phiops auf die eindrucksvollen Zeugen glanzvoller Epochen, die zu jeder Tagesstunde ein anderes Aussehen haben. Das einfallende Licht gibt dem sich steil erhebenden thebanischen Gebirge, dessen oberster Gipfel einer gewaltigen Pyramide gleicht, immer wieder eine andere Färbung. Bei aufgehender Sonne erscheinen die Felsen gleichsam rosig, durchzogen von blauen Schattenlinien. Im grellen Tageslicht wirken sie gelb und verwischen sich ihre Konturen. Am Nachmittag legen sie ein graues Totengewand an, als ahnten sie, dass in ihren Tälern bedeutsame Pharaonen der Ewigkeit entgegenschlummern. Und kurz vor Einbruch der Dunkelheit leuchten sie blutrot, als wollten sie den falkengestaltigen Himmelsgott Horus zur Rache an seinem Vater aufrufen.

Phiops fieberte, als der Steuermann das Schiff nahe an das Ufer dirigierte, wo Gebiete mit armseligen Lehmhütten und Stadtteile mit prächtigen Bauwerken in bunter Folge abwechselten.

»Wenn du noch näher herangehst, kann ich sehen, ob meine Bekannte sich im Garten aufhält«, rief Phiops dem Steuermann übermütig zu.

Der kahlköpfige Schiffer lachte, wobei zwei große Zahnlücken sichtbar wurden.

»Den Wunsch kann ich dir erfüllen, da es voraus keine Untiefen mehr gibt. Wo liegt der Garten?«

Hauptmann Phiops wies schräg nach vorne. »Siehst du die weiße Villa mit der überdachten Terrasse?«

»Die mit den Säulen?«

»Genau!«

»Bei Aton!«, entfuhr es dem Steuermann. »Das ist aber eine phantastische Besitzung. Deine Bekannte muss mächtig reich sein.«

Phiops schüttelte den Kopf. »Nicht sie ist es, sondern ihr Vater. Er ist Oberpriester des Amon-Tempels.«

Der Steuermann erstarrte.

»Und den kennst du?«

»Noch nicht. Ich hoffe aber, ihn bald kennenzulernen.«

Der Schiffer verzog sein Gesicht und spuckte ins Wasser. »Ich ahne, was los ist. Du bist in seine Tochter verliebt.«

Phiops nickte.

»Das führt zu nichts Gutem«, erklärte der Steuermann missmutig und spuckte vorsorglich nochmals ins Wasser; der krokodilköpfige Gott Scheck mochte es in den Hals bekommen. Dann blickte er zu dem am Mast befestigten Wimpel hoch. »Der Wind steht gut. Bis auf ein paar Meter werde ich am Garten entlangrauschen können. He, Jungens!«, wandte er sich an seine Bootsmänner. »Lasst das Segel nach!«

Die Barke glitt dahin, als wäre ihr Bug so schlank wie der Hals des Ibisses.

Hauptmann Phiops starrte angespannt zu dem Grundstück hinüber, das der Schiffer mit verächtlicher Miene ansteuerte. Im Garten war niemand zu entdecken, aber wenn er sich nicht täuschte, saßen zwei Personen in einem kleinen Pavillon, der in der Nähe des Ufers im Schatten einiger hochgewachsener Dumpalmen stand. Sollte er das unwahrscheinliche Glück haben, Isis zu sehen, noch bevor er den Boden Thebens betreten hatte? Kein Zweifel konnte darüber bestehen, dass da zwei Frauen im Pavillon saßen. Ihre weißen Leinenumhänge unterschieden sie deutlich von Männern.

»Geh noch näher heran!«, rief Phiops dem Steuermann zu, als die Barke das Grundstück fast erreicht hatte. Dann kletterte er behände auf das Dach der Kajüte, legte die Hände an den Mund und rief, so laut er konnte, Isis’ Namen.

Sie hörte den Ruf, sprang auf und eilte aus dem Pavillon heraus. Ihre allem Anschein nach gleichaltrige Begleiterin rannte hinter ihr her.

»Isis!«, rief Phiops erneut und schwang seine Arme wie Windmühlenflügel. »Isis!«

Sie winkte ihm zu und lief zum Fluss hinunter. »Phiops! Phiops!«

»Isis!«, rief er aus Leibeskräften. »Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen!«

Seine Worte waren noch nicht verklungen, da blieb sie wie versteinert stehen. Ihre Hand, die eben noch lebhaft gewinkt hatte, sank ermattet herab, und ihr Gesicht wurde zur Maske. Dann wandte sie sich plötzlich um und rannte wie gehetzt auf das im hinteren Teil des Gartens gelegene Haus zu.

Phiops begriff nicht, was das zu bedeuten hatte. »Isis!«, rief er wie in höchster Not.

Sie hielt sich die Ohren zu und lief weiter. Ihr Umhang flatterte wie die Flügel eines Schmetterlings.

Indessen starrte ihre Begleiterin hilflos zu Phiops hinüber, der einen ratlosen Eindruck machte.

Der Steuermann grunzte bissig: »Nun dürfte alles klar sein, Hauptmann. Wenn du wegen der Kleinen hierhergereist bist, können wir gleich kehrtmachen.«

»Halt dein ungewaschenes Maul!«, fuhr Phiops ihn wütend an und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Wie ließ sich Isis’ Verhalten erklären? Ihre erste Reaktion bewies unzweifelhaft, dass sie ihn nach wie vor liebte und sich keinem anderen Mann zugewandt hatte. Zweimal hatte sie seinen Namen gerufen, und ihre Stimme war voller Glück gewesen. Erst seine Erklärung, gekommen zu sein, um mit ihr zu sprechen, hatte den jähen Wandel herbeigeführt.

Phiops ahnte, was in Isis vor sich gegangen war. Sein Hinweis hatte Angst in ihr ausgelöst. Angst vor unüberbrückbaren religiösen Auffassungen.