Der Fluch der Sirene - Bettina Münster - E-Book

Der Fluch der Sirene E-Book

Bettina Münster

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Beschreibung

Knisternde Leidenschaft, magische Artefakte und eine schicksalhafte Reise in den Orient im mystischen Liebesroman von Bettina Münster! Cindy Hamilton ist leidenschaftliche Journalistin und Realistin. Bis sich der gut aussehende Akim al Harun in ihre Träume schleicht, sie verführt und ihr eine schier unlösbare Aufgabe anvertraut: Cindy ist auserkoren, Akim von einem jahrtausendealten Fluch zu befreien. Gemeinsam mit dem Fotografen Richard Wayes, der in Cindy verliebt ist, macht sie sich im Oman und in Syrien auf die Suche nach den Artefakten, um den Fluch zu lüften. Nicht nur das Verschwimmen von Realität und Traum lassen die Suche gefährlich werden: Cindy und ihre treuen Begleiter scheinen zudem gnadenlos verfolgt zu werden … feelings-Skala (1 = wenig, 3 = viel): Spannung: 3, Gefühl: 2, Erotik: 1 »Der Fluch der Sirene« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserem Blog: http://feelings-ebooks.de/. Genieße jede Woche eine neue Geschichte – wir freuen uns auf Dich!

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Bettina Münster

Der Fluch der Sirene

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Knisternde Leidenschaft, magische Artefakte und eine schicksalhafte Reise in den Orient im mystischen Liebesroman von Bettina Münster!

Cindy Hamilton ist leidenschaftliche Journalistin und Realistin. Bis sich der gut aussehende Akim al Harun in ihre Träume schleicht, sie verführt und ihr eine schier unlösbare Aufgabe anvertraut: Cindy ist auserkoren, Akim von einem jahrtausendealten Fluch zu befreien. Gemeinsam mit dem Fotografen Richard Wayes, der in Cindy verliebt ist, macht sie sich im Oman und in Syrien auf die Suche nach den Artefakten, um den Fluch zu lüften. Nicht nur das Verschwimmen von Realität und Traum lassen die Suche gefährlich werden: Cindy und ihre treuen Begleiter scheinen zudem gnadenlos verfolgt zu werden …

»Der Fluch der Sirene« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserem Blog: feelings-ebooks.de

Inhaltsübersicht

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. KapitelEpilog
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1

Regenwolken hingen tief und dunkel am Himmel, als Cindy die Augen aufschlug. Sie versuchte, den Kopf zu heben, fiel aber, von einer Welle des Schwindels erfasst, auf den Teppich zurück. Benommen wunderte sie sich, warum sie dort lag und nicht auf dem Sofa. Jetzt erst spürte sie den stechenden Kopfschmerz, der sich vom Hinterkopf über ihr Gesicht auszubreiten schien. Mit einem bitteren Geschmack im Mund ließ sie ihren Blick durch das gemütlich eingerichtete Zimmer zum Couchtisch gleiten, in der Hoffnung, ihr noch halb gefülltes Wasserglas vorzufinden.

»Oooh, verdammt.«

Cindy rollte sich auf die Seite und igelte sich ein, bis ihre Knie fast ihr Kinn berührten. Wie auf Knopfdruck kam die Erinnerung zurück. Während sie ihren Couchtisch mit Holzpolitur bearbeitet hatte, war plötzlich eine dunkle Gestalt vor dem Wohnzimmerfenster aufgetaucht. Der Schatten hatte Cindy sekundenlang aus unsichtbaren Augen angestarrt, bevor er plötzlich verschwunden war. Nicht weggegangen, sondern einfach verschwunden. Als hätte er sich in Luft aufgelöst. Bevor sie noch darüber nachdenken konnte, war Cindy lautlos in sich zusammengesackt. Anscheinend war sie mit dem Kopf so hart auf dem Boden aufgeschlagen, dass sie das Bewusstsein verloren hatte.

Sie schielte zu der großen Uhr über dem Fernsehgerät, wo sie das Wasserglas entdeckte, das sie, um den Tisch abwischen zu können, dort abgestellt hatte. Beinahe eine halbe Stunde war vergangen.

»So ein Mist!« Sie hatte ihren Termin in der Redaktion versäumt! Das war ihr, seit sie als Journalistin arbeitete, noch nie passiert.

Cindy raffte sich auf und stolperte ins Bad, wo sie versuchte, sich zu schminken. Die Wände drehten sich immer noch in entgegengesetzter Richtung zu ihrem Magen. Schließlich half nichts mehr, und sie musste sich übergeben. Während sie kopfüber in der Toilette hing und der hämmernde Kopfschmerz proportional zu ihrem Würgereflex abnahm, fragte sich Cindy, ob sie eventuell eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Doch dann schalt sie sich selbst als übermäßig dramatisch und verwarf den Gedanken. Ein paar Kopfschmerztabletten, und die Welt wäre in kürzester Zeit wieder in Ordnung.

Als sie sich wieder im Griff hatte und dank Puder und ausreichend Rouge einigermaßen vorzeigbar aussah – und die Wohnung gerade verlassen wollte –, klingelte das Telefon.

Cindy sprintete ins Wohnzimmer.

»Hamilton.«

»Cindy, warum bist du zu Hause? Eigentlich hatte ich erwartet, deinen hübschen Hintern seit einer Viertelstunde in meinem Büro bewundern zu können.«

Sie setzte sich auf die Armlehne ihres Sessels und ignorierte den offensichtlichen Flirtversuch ihres Chefredakteurs.

»Ich weiß. Entschuldige, Cliff. Ich bin eingeschlafen. Ich habe gestern wohl doch zu lange an dem Artikel gesessen.«

Schallendes Gelächter am anderen Ende der Leitung. »Du bist was? Herzchen, Nickerchen halten kannst du auch gerne in meinen Armen.« Sie versuchte zu lachen, doch es klang genauso unecht, wie es gemeint war. »Hey, komm, lass einen armen abgewiesenen Teufel doch einen Scherz machen.«

»Soll ich noch vorbeikommen, oder besprechen wir den Artikel morgen?« Zu ihrer großen Verwunderung herrschte langes Schweigen auf der anderen Seite. »Cliff?«

Er räusperte sich. »Cindy, ich weiß nicht genau, wie ich es dir sagen soll.«

Cindy spürte, wie die Übelkeit zurückkam und ihre Hände nervös zu zittern begannen.

»Was ist denn los?« Wirr schossen ihr Tausende Gedanken durch den Kopf. War die Zeitung bankrott, wurden sie alle gekündigt?

Sie ließ sich von der Armlehne auf die Sitzfläche des rot gemusterten Sessels rutschen und versank augenblicklich in der weichen Polsterung.

»Weißt du, es ist jetzt schon das dritte Mal, dass du angeblich eingeschlafen bist. Zweimal bist du einfach im Büro zusammengeklappt und hast mir irgendeinen Mist erzählt, um es herunterzuspielen.«

Cindy schluckte. Es stimmte, in den letzten drei Wochen war sie oft zusammengebrochen.

»Was willst du damit sagen?« Sie flüsterte fast, da sich ihre Kehle vor Angst zuschnürte. Ihr Mund war plötzlich staubtrocken.

Wieder ein Räuspern. »Cindy, ich denke, du solltest dir mal eine Auszeit nehmen. Erhole dich, unternimm eine Reise. Und lass dich mal gründlich von einem Arzt durchchecken. Wenn du wiederkommst, schauen wir weiter.«

Die junge Frau startete einen letzten Versuch, rational und professionell zu klingen und die Situation wieder ins Lot zu bringen.

»Komm schon, Cliff! Überleg dir mal, wie viele Artikel ich in den letzten Monaten geschrieben habe. Ich bin einfach nur etwas überarbeitet. In ein paar Wochen hab ich sowieso Urlaub! Ich komme morgen wieder pünktlich ins Büro und werde nicht mehr zusammenbrechen. Es gibt keinen Grund zur Sorge.«

»Nein. Ehrlich, Cindy. Bob hat mich gebeten, es dir so schonend wie möglich beizubringen. Er hat seine Entscheidung gefällt, zu deinem Besten. Damit du dich erholen kannst.«

Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Sie konnte nicht sagen, ob er von Wut oder Scham herrührte.

»Bob?!« Der oberste Chef persönlich hatte ihr die Auszeit verordnet! Das war tatsächlich außerordentlich peinlich! Was würden ihre Kollegen sagen? »Cliff, bitte! Ich reiße mich zusammen, ich verspreche es! Ich meine … verdammt, ihr könnt mich nicht einfach so feuern!«

»Um Himmels willen, Cindy! Du bist doch nicht gefeuert! Du hast nur … erbetenen Urlaub.«

»Und wenn ich ausgeruht bin, werde ich auf Probezeit gesetzt, um zu sehen, wie ich mich halte?«

Cindy wusste, dass sie laut und unsachlich wurde, konnte aber nichts dagegen tun.

Wütend wischte sie die Flut von Tränen weg, die sich nun nicht mehr aufhalten ließ. Sie wusste selbst, dass sie völlig irrational reagierte, aber es war ihr herzlich egal.

»Cindy, bitte! Du weißt genau, dass es nicht so gemeint ist!«

»Da hast du allerdings recht. Ich weiß genau, wie es gemeint ist. Ich habe mit dir geschlafen und es dabei belassen. Das hat dir nicht gepasst, und da kamen dir meine vorübergehenden gesundheitlichen Probleme gerade zupass, nicht wahr? Du brauchtest nur ein paar Worte gegenüber Bob fallen zu lassen.«

Sie hörte, wie ihr Chef am anderen Ende der Leitung vor Wut schnaubte.

»Cindy, das reicht jetzt. Ich komme vorbei. Beweg dich nicht von der Stelle. Am Telefon sollten wir das nicht besprechen.«

Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er aufgelegt. Panisch starrte Cindy auf das Telefon. Er würde nur wenige Minuten brauchen. Cindy hatte sich vor zwei Jahren mit Absicht eine Wohnung gesucht, die möglichst nah an der Redaktion lag. Ihr blieb gerade noch genug Zeit, sich das Gesicht zu waschen und flüchtig das Puder aufzufrischen, bevor es an der Tür klingelte. Wenn sie sich schon streiten musste, wollte sie dabei nicht verweint aussehen.

Sie betätigte widerwillig den Türöffner und ließ sich trotzig wieder in ihren Sessel gleiten, während Cliff die Distanz von der Wohnungstür zum Wohnzimmer im Sturmschritt zurücklegte und sich vor ihr aufbaute. Schnell stellte Cindy fest, dass die Entscheidung, sich in den Sessel zu setzen, ziemlich dumm gewesen war. Sie fühlte sich klein und hilflos, während Cliff vor ihr stand und auf sie hinunterstarrte. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, ging er vor ihr in die Hocke.

»Hi.« Seine Stimme war ganz ruhig. Sie schaute ihn stumm an, Wut brannte in ihren Augen. »Cindy, hör zu. Das hat absolut nichts mit uns zu tun. Ehrlich. Ganz nebenbei bemerkt, habe ich niemandem von unserer kleinen Privatparty erzählt. Das geht keinen etwas an, und davon abgesehen weiß ich sehr wohl, dass du nicht vorhast, das zu wiederholen. Aber wir haben dich in den letzten Wochen beobachtet. Wie abwesend du oft warst, und dann die Zusammenbrüche.«

Sie rang energisch die Hände. »Ich bin nur zweimal zusammengesackt, das war alles. Das ist doch kein Grund, mich direkt in Zwangsurlaub zu schicken!«

Sie wollte aufstehen, doch Cliff drückte ihre Arme zurück auf die Lehnen.

»Du bist nicht einfach zusammengesackt. Du bist aus heiterem Himmel umgekippt, warst mindestens eine Viertelstunde lang total weggetreten und hast dabei wirres Zeug erzählt, das keinen Sinn ergeben hat. Das nennst du harmlos?«

Sie sah ihn erstaunt an und spürte, wie ihr Herz panisch zu hämmern begann und ihr das Blut in die Wangen trieb. »Ich habe Zeug geredet!?«

Ihr Chef nickte. »Du hast pausenlos gesagt, dass irgendjemand dich nicht kriegen wird. Und dass er dich in Ruhe lassen soll. Cindy – hast du Probleme, von denen ich wissen sollte? Wirst du bedroht?«

Die junge Frau schlang ängstlich die Arme um ihren Körper. Ihr wurde plötzlich mulmig zumute. Es musste einen Zusammenhang zwischen ihren Visionen von der schattenhaften Gestalt, die ihr immer wieder Angst machte, und ihren Zusammenbrüchen geben. Aber welchen?

»Ich werde nicht bedroht. Cliff, du verstehst das nicht. Ich verstehe es selbst nicht. Aber glaub mir, ich brauche keinen Urlaub. Ich will arbeiten!«

Sie zuckte zurück, als Cliff sich erhob und die Arme um sie legte. Sie wollte nicht umarmt werden, am allerwenigsten von ihm. Reflexartig versuchte sie, seine Arme wegzustoßen. »Lass das.«

Ihren Einwand ignorierend, zog er sie hoch und drückte sie fest an sich. Welche Ironie! Ihr Chef schickte sie in Zwangsurlaub und tröstete sie anschließend! Ganz zu schweigen davon, dass er damit Erinnerungen an jene heiße Nacht heraufbeschwor. Sie hatten auf einer Redaktionsparty in einem Nobelhotel beide reichlich getrunken. Cliff sah hervorragend aus und roch einfach umwerfend. Entgegen aller Prinzipien hatte sie sich dazu hinreißen lassen, in einer Ecke des Saales mit ihm herumzuknutschen. Aus der Knutscherei war heftiges Gefummel geworden, bis sie schließlich in seinem Hotelzimmer landeten und sich gegenseitig die Kleidung vom Leib rissen. Es war unbestritten eine der heißesten Nächte ihres Lebens gewesen.

»Okay, weißt du was? Es geht mir schon wieder gut. Du gehst jetzt besser. Ich nehme mir den Rest der Woche frei, und am Montag fangen wir von vorn an, ohne Zusammenbrüche und ähnliche Anstalten, einverstanden?«

Sie sah flehend in seine tiefbraunen Augen und hoffte, den üblichen belustigten Ausdruck darin zu finden. Doch stattdessen schaute er sie traurig an.

»Nein, Cindy. Vier Wochen mindestens. Anordnung von Bob. Damit du dich richtig erholen und deine Probleme lösen kannst, worum auch immer es sich dabei handelt.«

Erneut wollte sie sich aus seinem Griff befreien, aber Cliff hielt sie wie in einem Schraubstock gefangen. »Es wird dir guttun!«

»Es wird vor allem meiner Nachfolgerin guttun und ihr Zeit zum Einarbeiten geben, richtig?«

In dieser Sekunde war sie sich sicher, dass die fiese Amanda, ihre härteste Konkurrentin, bereits in den Startlöchern stand, um ihren Schreibtisch zu übernehmen.

Sie drückte sich mit Fäusten von Cliffs Brustkorb ab, wollte der Umklammerung entkommen, doch er hielt ihre Hände fest und zog sie mit seinen eigenen auf ihren Rücken, sodass sie fest in seiner Umarmung stand. Blitzartig erinnerte sie sich an dieselbe Szene in seinem Hotelzimmer, nur dass sie seine Dominanz damals wahnsinnig sexy gefunden hatte.

»Es gibt keine Nachfolgerin! Himmel, Cindy!«

Cindy stand bewegungslos da und wartete vergeblich darauf, dass er den Griff lösen würde. Minuten schienen zu vergehen. Sie ließ die vergangenen drei Wochen Revue passieren und erinnerte sich an den Tag, an dem sie in der Antikhandlung das kunstvoll gearbeitete Amulett in den Händen gehalten hatte und wie vom Blitz erschlagen auf den kalten Steinboden gestürzt war. Sie hatte zugesehen, als der kleine Gegenstand wie in Zeitlupe zu Boden gefallen und in tausend Stücke zersprungen war, obwohl er aus robustem Metall zu sein schien. Einen Wimpernschlag später war von den Bruchstücken nichts mehr zu sehen gewesen. Der Besitzer des kleinen Ladens konnte sich nicht an ein Amulett erinnern, und es stand auch nicht in seinen Büchern. Auch Melody, Cindys beste Freundin, die mit ihr in dem Geschäft gestöbert hatte, konnte sich nicht daran erinnern, das Amulett gesehen zu haben.

Kurz danach hatten ihre Visionen von der Schattengestalt begonnen. Sie glaubte eigentlich nicht an so etwas wie übersinnliche Wahrnehmung und versuchte verzweifelt, die Visionen zu verdrängen. Sie dachte schon, verrückt zu werden. Cindy wusste nicht, was sie dagegen tun konnte. Und nun stand sie hier, festgehalten von einem überaus gut aussehenden Mann, der soeben im Begriff war, sie aufgrund dieser Ausfälle in Zwangsurlaub zu schicken.

Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Cliffs Attraktivität sie nach Luft schnappen lassen. Er wusste um sein gutes Aussehen und nutzte es schamlos aus, um alles ins Bett zu bekommen, was nicht schnell genug weglaufen konnte. Das hatte sie davon abgehalten, auf seine Flirtversuche zu reagieren. Was ihn nur noch heftiger dazu angetrieben hatte, sie anzumachen, ungeachtet der Tatsache, dass er ihr Vorgesetzter war. Cliff war es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden. Dass sie jetzt starr in seinen Armen stand und offensichtlich einen inneren Kampf ausfocht, machte sie nur noch attraktiver für ihn und weckte seinen Beschützerinstinkt. Vorsichtig umschloss er ihre Handgelenke mit der rechten Hand, hob mit seiner Linken ihr Kinn an und zwang sie, ihn anzusehen, was sie genau in diesem Moment nicht tun wollte.

»Cindy …« Er blickte tief in ihre Augen.

»Cliff, nein.« Cindy versuchte, ihr Kinn aus der Umklammerung seiner Finger zu befreien. Doch alles, was sie damit erreichte, war, dass sich seine Hand um ihren Nacken schloss, sich starke Finger in ihren dicken Locken vergruben und sich seine Lippen schließlich sanft auf ihren Mund legten. Wie zur Salzsäule erstarrt, blieb sie stehen und ließ es geschehen, dass seine Lippen ihren Mund fordernd öffneten. Sie hätte beinahe laut aufgelacht. Was spielte es für eine Rolle, ob sie jetzt nachgab oder nicht. Sie würde sowieso nicht wieder mit ihm zusammenarbeiten. Sie würde ihn wahrscheinlich nicht einmal mehr wiedersehen.

Dass sie die Absicht hinter der Beurlaubung falsch einschätzte, kam ihr nicht in den Sinn. Also lehnte sie sich ergeben an ihn und vergaß, sich gegen die Hand zu wehren, die ihre Handgelenke noch immer umschlossen hielt. Er spürte, wie ihr Widerstand nachließ, und drückte sie noch inniger an sich. Cindy ließ zu, dass er sie lange und leidenschaftlich küsste. Dann entließ er ihre Lippen, um sie in Richtung Schlafzimmer zu lenken, was die junge Frau schlagartig wieder zur Besinnung brachte. Sofort schob sie Cliff ein Stück von sich weg. »Ich glaube, das reicht. Du gehst jetzt besser.«

Erstaunt sah er sie an. »Ich soll gehen? Jetzt? Warum?«

»Ganz einfach. Das letzte Mal, als ich mit dir im Bett war, war ich betrunken. Aber das wird mir mit Sicherheit nicht passieren, nachdem du mich gefeu… in Urlaub geschickt hast.«

Nickend trat Cliff einen Schritt zurück und überlegte eine Sekunde, ob er die Abfuhr hinnehmen sollte. Schnell entschied er, dass es klüger war, keine weiteren Annäherungsversuche zu starten. »Sicher. Wie du willst. Wenn du etwas brauchst oder Trost willst, weißt du, wie du mich erreichen kannst.«

Cindy sah ihn herausfordernd an und lachte laut auf. »Und wenn ich weiß, dass es mir wieder gut geht, richtig? Das hast du doch sicher nur vergessen zu erwähnen.«

Cliff wagte nicht, ihr in die Augen zu sehen. »Natürlich. Das versteht sich von selbst.«

Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür und schloss sie leise von außen.

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2

Cindy schlief aus. Zum ersten Mal seit Monaten lag sie bis elf Uhr am nächsten Morgen im Bett. Die nun leere Flasche Rotwein, die noch immer auf dem Couchtisch stand, hatte bestimmt dabei geholfen. Antriebslos hüllte sie sich auf der Couch in eine Wolldecke ein und schaute sich die »Herr der Ringe«-Trilogie an. Dabei leerte sie eine komplette Tüte Chips und eine weitere Flasche Wein, bis sie schließlich nach Aragorns Krönungsgesang übersättigt und ziemlich betrunken einschlief.

 

Um sie herum war es stockdunkel. Cindy kniff die Lider zusammen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und blickte sich um. Sie stand mitten in einem Fichtenwald!

Was zum Teufel mache ich im Wald?

Sie hatte noch immer ihren Jogginganzug an, doch ihre Füße steckten in dicken Wanderschuhen, die sie gar nicht besaß.

»Was ist denn hier los? Cliff? Ist das ein schlechter Scherz?«

In der frischen Waldluft lag ein Hauch von Moder, der von langsam verrottenden Zweigen zwischen den niedrigen Farnen herrührte. Der Wind rauschte in den Bäumen, und bei jedem Windstoß ging ein Nadelschauer auf die junge Frau nieder.

»Hallo?«

Äste und Wurzeln knackten leise, ab und zu rief eine Eule in die Stille hinein. In diesem Moment trat der Mond hinter den Wolken hervor. Im Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Ruckartig drehte sich Cindy um ihre eigene Achse. Doch es war niemand da.

Bestimmt nur ein Tier, beruhigte sie sich und versuchte, das wilde Pochen ihres Herzens zu ignorieren. Noch einmal schaute sie sich um und überlegte, in welche Richtung sie wohl gehen musste, um am schnellsten wieder eine Straße zu erreichen. Nur welche Straße? Wo war sie überhaupt? In ihrer näheren Umgebung gab es keinen Wald, sie lebte mitten in der Stadt. Langsam stieg Panik in ihr auf. Erneut huschte etwas an ihr vorbei. Sie spürte, dass sie nicht alleine war.

»HALLO?«

Ihre Stimme überschlug sich vor Angst. Das Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust. Ihr Atem kam stoßweise und bildete kleine Kondenswolken in der kühlen Waldluft.

»Ist da jemand?«

Plötzlich schien ihr Herz einen Schlag lang auszusetzen.

Keine fünf Meter von Cindy entfernt stand die schattenhafte Person aus ihren Visionen und nahm langsam Gestalt an. Der Schatten kam näher und blieb ein paar Schritte entfernt von ihr stehen.

Bevor Cindy weglaufen konnte, sprach die Gestalt sie mit einer dunklen, angenehmen Stimme an. »Bitte, lauf nicht weg.« Es klang so simpel, dass es ihr die Sprache verschlug. »Ich wollte dir keine Angst machen.«

Sie musterte den Unbekannten. Seine Schultern waren breit, sein Gesicht markant. Dunkle, fast schwarze Haare fielen ihm wild in die Stirn und bis auf die Schultern. Hätte er in einem Film mitgespielt, wäre er ihr Held gewesen, den sie von der Couch aus angehimmelt hätte. Doch der Mann stand hier vor ihr und schien äußerst real zu sein. Auch wenn sie sich noch immer wie in Trance fühlte und sich vor Angst kaum rühren konnte. Selbst wenn sie gewollt hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, sich zu bewegen.

»Bitte, bleib. Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken.«

Cindy wollte etwas erwidern, brachte aber zunächst keinen Ton heraus. Schließlich antwortete sie zögernd und mit größter Mühe: »Wer bist du? Warum bist du um mich herumgeschlichen?« Er sah harmlos aus, doch das taten Vergewaltiger auch. Jeden Moment konnte er auf sie losgehen. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen, als er nicht antwortete, sondern sie nur weiter stumm musterte.

»Ich werde jetzt gehen. Wo ist die nächste Straße? Sag mir nur die Richtung!«

Es hatte schroff und abweisend klingen sollen, doch vor Angst klang das Gesagte eher schrill. Cindys Gegenüber lächelte. Weiße Zähne blitzten in der Dämmerung. Es war ein entwaffnendes Lächeln, spitzbübisch und sanft.

»Keine Straße und kein Weg wird dich von hier nach Hause bringen.«

Er machte einen Schritt auf sie zu. Panisch wich sie ihm aus.

»Nein, bitte …!« Er tat einen weiteren Schritt, und noch einen. Bis sie beim Zurückweichen mit dem Rücken gegen einen Baum prallte. Ein Schrei entfuhr ihrer Kehle. »Verdammt noch mal … bleib stehen! Was willst du von mir?«

Endlich hielt der Mann inne und ließ seine Arme sinken. »Ich hatte gehofft, dir hier weniger Angst zu machen.«

Cindy stockte der Atem. »Wie bitte?«

Er setzte sich in einer fließenden Bewegung mitten auf den Waldboden und stützte das Kinn auf die rechte Hand. Er wirkte so entspannt, dass sich Cindy beinahe für ihre Angst schämte.

»Du bist jedes Mal ohnmächtig geworden, wenn ich versucht habe, mich dir zu zeigen. Daher musste ich einen anderen Weg …« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.

Cindy drehte sich auf dem Absatz um und begann zu laufen. Sie rannte immer schneller. Zweige peitschten ihr schmerzhaft ins Gesicht, und die seidigen Arme der Farne schlangen sich um ihre Fußgelenke, als wollten sie sie festhalten und ins Erdreich ziehen. Cindy rannte, bis ihre Lungen brannten und sie das Gefühl hatte, den unheimlichen Fremden abgehängt zu haben.

Sie drehte sich um und erschrak, als er nur wenige Meter hinter ihr stand. Er stand einfach da und atmete ganz ruhig, als wäre er nicht einen Meter gerannt, um ihr zu folgen!

»Das ist doch Wahnsinn! Ich muss träumen! Das kann nicht sein!« Sie wollte weiterrennen, stolperte aber plötzlich und fiel.

 

Als Cindy die Augen wieder öffnete, lag sie auf dem Teppich vor ihrem Sofa – wieder einmal. Die Decke hatte sich beim Fallen um sie herumgewickelt und hinderte sie daran, die Beine zu bewegen.

»Was … das gibt es doch nicht!«

Verwirrt setzte sie sich auf. Die Uhr über ihrem Fernseher zeigte bereits weit nach Mitternacht. Sie war völlig nüchtern und fühlte sich, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Vage konnte sich Cindy daran erinnern, dass sie im Traum lange durch einen dunklen Wald gerannt war. Als sie sich in die Haare griff, zog sie ein Stück Moos heraus. Mit einem spitzen Aufschrei ließ sie es fallen.

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3

Völlig vertieft in ihr Buch bemerkte Cindy gar nicht, dass sie eine Viertelstunde später nur einige Seiten weiter angekommen war und noch immer vor der Buchhandlung im Sonnenschein stand. Ein gut aussehender Mann Anfang fünfzig sprach sie freundlich an und holte sie in die wirkliche Welt zurück.

»Mir geht es auch immer so, wenn ich einen Roman kaufen will. Man vergisst einfach alles um sich herum.« Er lächelte breit, und Cindys Mundwinkel begannen ebenfalls zu zucken.

»Es passiert mir immer wieder. Richtig peinlich«, antwortete sie. Die leichte Röte, die ihr unvermittelt in die Wangen stieg, untermalte zum Beweis ihre Aussage.

Der Mann war auffallend schlank und sportlich für sein Alter. Seine kurzen schwarzen Haare waren mit grauen Strähnen durchzogen und ließen ihn noch attraktiver aussehen. Kleine Lachfalten um die Augen und den Mund machten seine Züge sanfter. Offenbar lachte er gerne und viel. Seine dunklen Augen funkelten vergnügt, während er einen Bildband über ägyptische Geschichte zurück auf den Tisch legte.

»Ihre Interessen scheinen aber nicht in der Belletristik zu liegen«, sagte Cindy.

Lächelnd kam er um den Tisch herum auf sie zu.

»Es kommt immer auf die Thematik an. Edward Maine. Es freut mich sehr.«

Er reichte ihr die Hand, und sie schüttelte sie zögernd.

»Cindy. Entschuldigen Sie, aber ich glaube, ich muss jetzt gehen.«

Sie hatte sich nur ein Buch kaufen und dann damit nach Hause gehen wollen. Nach Konversation war ihr nicht zumute. Stattdessen wollte sie, wenn sie schon zu Hause herumsitzen und darauf warten musste, dass die vier Wochen Zwangspause vorübergingen, die Zeit wenigstens wie einen Urlaub nutzen. Da sie keine Lust hatte, alleine zu verreisen, wollte sie lesen. Viel lesen.

»Wohin müssen Sie denn so eilig gehen?«

Der Fremde sah sie fragend an. In seinen Augen lag aufrichtiges Interesse und ein Hauch von Humor. Sie versuchte auf die charmante Art, ihn abzuwimmeln.

»Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.« Sie zwinkerte ihm schelmisch zu und betrat dann mit dem Buch in der Hand den Laden.

Auf dem Weg zur Kasse entdeckte sie außer dem Thriller noch ein Buch über germanische Sagen und britische Mythen.

»Ihre Interessen scheinen aber auch sehr breit gefächert zu sein. Dieses hier könnte ich Ihnen auch leihen. Ich habe es selbst, ein hervorragendes Buch.«

Edward Maine stand schräg hinter ihr und tippte auf den Einband des Geschichtsbuchs. Cindy zuckte, überrascht von seiner plötzlichen Nähe, ein wenig zurück. Sie hatte nicht bemerkt, dass er ihr in den Laden gefolgt war.

»Danke, aber ich leihe mir nicht gerne Bücher. Ich neige dazu, sie nicht mehr hergeben zu wollen.«

Dafür erntete sie schallendes Gelächter. Schnell bezahlte sie die Bücher und wollte den Rückweg antreten, als der freundliche Gentleman sie sanft am Arm zurückhielt. Die beinahe erotische Berührung ließ sie unmerklich zusammenfahren.

»Ich möchte Sie gerne zu einem Kaffee einladen. Meinen Sie, Sie könnten die Zeit dafür erübrigen?«

Bevor sie etwas erwidern konnte, hörte Cindy ihren Namen aus der anderen Ecke des Buchladens.

»Cinderella! Wie schön, dich zu sehen! Ich dachte schon, deine Wohnung hätte dich verschluckt!«

Wütend drehte sich Cindy um. Richard Wayes! Der hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt. Edward Maine ließ seine Hand sinken und gab ihren Arm frei. Sein Blick ruhte jedoch nach wie vor verzückt auf ihrem Gesicht. »Heißen Sie wirklich Cinderella?«

Cindy nickte und senkte peinlich berührt den Blick. »Der Name war nicht meine Idee!«

Ihre neue Bekanntschaft lachte leise auf. »Nein, so meinte ich das nicht. Ich finde den Namen zauberhaft. Und so außergewöhnlich. Sie müssen etwas Besonderes sein, wenn Sie diesen Namen tragen.«

Cindy verlagerte das Gewicht der Bücher auf den anderen Arm.

»Nein, das glaube ich eigentlich nicht«, sagte sie höflich, und an den Rufenden gewandt: »Richard, es war wirklich nett von dir, durch den ganzen Laden zu brüllen. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich habe zu tun.«

Sie nickte Mr Maine knapp, aber freundlich zu, bedachte Richard mit einem vernichtenden Blick und stürmte dann zwischen den Bücherregalen hindurch auf die von der Sonne überflutete Straße. Warum ließ man sie nicht einfach in Ruhe?

»Cindy! Warte!«

Genervt verdrehte sie die Augen und drehte sich auf dem Absatz herum.

»Was willst du, Richard? Ich habe jetzt wirklich keine Zeit.«

Seine tiefblauen Augen blitzten in der Sonne noch strahlender. Es war beinahe unmöglich, ihn anzusehen, ohne rot zu werden. Es waren wirklich überwältigend schöne Augen. Und ein markantes Gesicht, das auf breiten Schultern saß, die zu einem zugegebenermaßen verführerisch athletischen Körper gehörten.

»Du scheinst nie Zeit zu haben. Immer auf dem Sprung.«

»Ich bin eben viel beschäftigt.«

Richard musterte sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. »Mit Recherchen?«

Sie nickte und wollte weitergehen, als sie zum zweiten Mal am Arm zurückgehalten wurde.

»Cindy, ich wollte dich in der Redaktion besuchen. Man hat es mir erzählt.«

Eine eiskalte Hand schien plötzlich nach Cindys Lunge zu greifen. Es war unmöglich, weiterzuatmen. »Warum wolltest du mich besuchen?« Ihre Frage klang beißend.

Sein Daumen streichelte sanft ihren Arm. Sie versuchte gar nicht erst, sich dem zu entziehen. Viel zu angenehm war die Wärme, die sich daraufhin in ihr ausbreitete.

»Ich wollte dich halt sehen. Ein bisschen plaudern. Was ist passiert?«

»Das geht dich nichts an. Lass mich in Ruhe.« Ihr war nach Weinen zumute. Seit drei Monaten kannten sie sich nun, und seitdem ließ Richard keine Chance aus, an sie heranzukommen. Doch sie versuchte beinahe verzweifelt, ihn von sich fernzuhalten. Warum, hatte er noch nicht herausfinden können.

Richard konnte nicht ahnen, dass sie sich hoffnungslos unterlegen und klein fühlte, wenn sie sich begegneten. Der Fotograf sah hervorragend aus, und jede kleine Berührung fühlte sich geradezu göttlich an. Außerdem war er sehr charmant und zuvorkommend. Bereits bei ihrer ersten Begegnung hatte sie sein ansprechendes Wesen sprachlos gemacht. Und er schien immer Herr der Lage zu sein, ganz im Gegensatz zu ihr. Sie war so vertieft in dieses Selbstmitleid, dass sie nicht bemerkte, wie er sich selbst jedes Mal, wenn sie sich sahen, hilfloser fühlte. Er wollte sie, war aber nicht in der Lage, ihre Barrieren zu überwinden und sie für sich zu gewinnen. Doch er war nicht gewillt, so schnell aufzugeben. Sie hatte durch ihre Ablehnung seinen Kampfgeist geweckt.

»Cindy. Würdest du mir bitte den Gefallen tun und mich einmal an deinem Leben teilhaben lassen? Es geht dir nicht gut, und ich möchte gerne wissen, warum das so ist.«

»Warum? Warum willst du das wissen? Wir haben zusammengearbeitet und uns ein paar Mal getroffen. Das gibt dir nicht das Recht, dich in mein Leben einzumischen!« Jetzt lachte Richard, und sie starrte ihn perplex an. »Kannst du mir bitte mal erklären, was daran jetzt so komisch ist?«

»Wir haben uns getroffen, hatten einmal ein Date. Und nachdem du dich dazu herabgelassen hast, meinen Kuss ausnahmsweise zu erwidern, hast du ständig versucht, mich loszuwerden. Dann habe ich dich eine Weile in Ruhe gelassen und durfte mir schließlich anhören, ich würde dich ignorieren. Jetzt versuche ich nur, dir ein Freund zu sein. Ich möchte dir zuhören, mehr nicht. Und du wirfst mir vor, ich würde mich einmischen wollen. Weißt du was, Cindy? Vielleicht wirst du dir selbst am besten erst einmal darüber klar, was du eigentlich willst, und stellst diese Melodramatik ab.«

Damit ließ er sie stehen und schlenderte friedlich und scheinbar gut gelaunt in Richtung des nächsten Fotogeschäfts, wo er sich die Digitalkameras in dem kleinen Schaufenster anschaute, bevor er schließlich hineinging. Cindy blieb schmollend und mit klopfendem Herzen zurück. Als sie sah, dass Edward Maine die Buchhandlung verließ, drehte sie sich schnell um und ergriff die Flucht heimwärts, bevor er sie erneut ansprechen konnte.

 

Beinahe plastisch sah Cindy vor ihrem inneren Auge, wie sich der schlichte Holztisch in die Luft erhob, dann gegen die Wand knallte und in Dutzende Stücke zerbarst. Sie blätterte die Seite schnell um, gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde. Enttäuscht ließ sie das Buch sinken, als sich herausstellte, dass die kleine Versammlung die Geisterbeschwörungssitzung abbrach.

Warum hatte sie sich früher noch nie einen Thriller gekauft? Das Buch las sich hervorragend und weckte ihre Lust, nachzuforschen, ob der selbst erschaffene Geist wirklich einmal existiert hatte oder einfach nur Ursprung der hervorragend funktionierenden Fantasie des Autors war. Gähnend sah sie auf die Uhr und musste lächeln.

Cindy hatte vier Stunden am Stück gelesen, ohne auch nur einmal hochzublicken. Der Tee in der von Hand bemalten Tasse auf dem Tisch war schon lange eiskalt, und von dem Stück Schokoladentorte, das ihre Nachbarin Mrs Wheasey ihr am Morgen gebracht hatte, fehlte nicht einmal eine kleine Ecke, obwohl ihr Magen mittlerweile erbärmlich knurrte. Mit sich und der Welt zufrieden schaute sie verträumt aus dem Fenster und blickte auf den romantisch aussehenden kleinen Turm des alten Postgebäudes. Hinter dem Dachfirst konnte man gerade noch die grünen Wipfel der Bäume erkennen, die in einem kleinen Park standen, den sie noch nie betreten hatte, obwohl er nur eine Straße von ihrer Wohnung entfernt lag. Über dem Blätterdach zogen an diesem Nachmittag dunkelgraue Regenwolken dahin.

Cindy hatte es schon immer geliebt, den Wolken zuzusehen. Oft hatte sie als Mädchen im Garten ihrer Eltern auf dem Rücken gelegen und zugesehen, wie kleine Wolkenfetzen schnell vorüberzogen. Zusammen mit ihrer Schwester hatte sie die Wolken in Tiere, Gesichter und Fantasiewesen verwandelt.

Heute wurden keine wundersamen Gebilde aus dem vorbeiziehenden Grau, sondern es zeigten sich nur bedrohlich wirkende Wolkentürme, die einen Sturm erahnen ließen.

Cindys Lider wurden immer schwerer, und wohlig fiel sie langsam in einen leichten Schlummer. Sie registrierte noch, wie ihr das Buch aus der Hand glitt und neben sie auf das Sofa rutschte.

 

Sie fand sich an einem weißen Sandstrand wieder. Der Turm des Postgebäudes hatte sich in einen Leuchtturm verwandelt, der auf einer kleinen Felseninsel thronte. Rundherum wiegten sich Palmen sanft im Wind.

Gelegentlich ertönte ein merkwürdig hohles Geräusch, wenn die verholzten Rippen ihrer Blätter aneinanderschlugen. Cindy blinzelte gegen das Licht, sah zum Strand und auf das strahlend türkisfarbene Meer. Flache Wellen leckten gleichmäßig am weißen Sand und erzeugten ein beruhigendes Rauschen. Treibholz lag am Strand und wartete darauf, bei jeder Welle ein bisschen weiter im Schlick vergraben zu werden. Ein kleiner hübscher Vogel ging zügig auf dem morschen Holz spazieren und flatterte jedes Mal erschrocken auf, wenn die Gischt seinen kleinen Laufsteg überspülte. Es war die perfekte Postkartenidylle.

Cindy konnte sich nicht mehr beherrschen und lief in das Wasser, bis die frische Brandung ihre nackten Knöchel umspülte. Ihr vergnügtes Lachen hallte über den Strand, als der feine Sand sich bei jedem Schritt zwischen ihre Zehen schob und sie kitzelte. Eine kleine Krabbe eilte geschäftig seitwärts über ihren Fuß und kniff sie in den großen Zeh, bevor sie beschloss, dass sie mit ihm nichts anfangen konnte, und wieder hinunterkrabbelte.

Cindy strich sich die blonde Mähne aus dem Gesicht, als der Wind mit ihren Strähnen spielte, und entdeckte dabei eine Hängematte, die zwischen zwei hohe Palmen im Schatten gespannt war. Der weiche Stoff schwang leicht hin und her, als wartete er nur darauf, in Besitz genommen zu werden. Schnell lief Cindy darauf zu. Sie war Expertin darin, aus Hängematten herauszufallen, und wollte den perfekten Augenblick nicht durch einen unsanften Aufprall im Sand verderben. Erst als sie endlich lag und sich gemütlich räkelte, nahm sie ihren Bikini wahr. Vor lauter Strandglück hatte sie vorher nicht darauf geachtet.

Wow, wie komme ich denn an den? Der ist perfekt!

Glücklich ließ sie sich vom Wind schaukeln und ihre Gedanken treiben.

 

»Versuchen wir es noch einmal von vorne?«

Panisch setzte sich Cindy auf und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Sie hätte überall hinrennen können, nur bezweifelte sie, dass sie aus der Hängematte herausgekommen wäre, ohne für Gelächter zu sorgen oder sich selbst damit eine Falle zu stellen. Schon jetzt musste sie durch das ruckartige Aufsetzen mit dem Gleichgewicht kämpfen.

»Ich kenne dich doch! Ich habe dich schon mal gesehen!«

Der Mann lächelte und begann seelenruhig, Cindy mit einer Hand an der Matte sanft hin und her zu schaukeln.

»Ja, wir kennen uns. Und ich muss mich wirklich entschuldigen. Ich hätte die Umgebung beim letzten Mal etwas geschickter auswählen sollen.«

»Was willst du? Warum träume ich von dir?«

Woher wusste sie, dass sie träumte? Die Szenerie schien so real zu sein. Fragend sah sie den Fremden an, der wie ein junger Gott wirkte. Man konnte seinen Körper nicht anders als makellos bezeichnen, und die fast schwarzen Haare fielen ihm verspielt in die Stirn und auf die Schultern. Genau wie damals im Wald.

»Es ist gut, dass du weißt, dass du nur träumst. Das macht die Sache wesentlich einfacher.«

Cindy fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Das ist doch Schwachsinn! Ich kann mich doch nicht im Traum mit jemandem darüber unterhalten, dass ich träume! Ich … oh!«

Um den Hals des Mannes lag eine dünne Goldkette, die einen Anhänger hielt, der schwer auf seiner gebräunten, muskulösen Brust ruhte. Sie hätte um ein Haar die Hand ausgestreckt, um danach zu greifen, hielt aber in der Bewegung inne und zog sich schnell wieder zurück.

»Du erkennst das Amulett.«

Cindy nickte nur und starrte weiter auf den Kettenanhänger. Er sah aus wie eine große goldene Münze, auf der sich eine kleine Schlange liebkosend um einen Adler gelegt hatte.

»Was ist das für ein seltsames Zeichen?«, fragte sie.

Der Mann lächelte, nahm behutsam Cindys Hand und legte sie auf das Schmuckstück. Sie zeichnete mit ihren Fingern die Formen nach, bis sie sich der intimen Geste bewusst wurde und die Hand zurückziehen wollte.

»Cinderella. Hab keine Angst.«

In dem Moment gab sie ihrem Fluchtinstinkt nach und fiel aus der Hängematte auf den harten Boden.

 

»Aua! Verdammter Mist!«

Wütend rieb sich Cindy über die langsam wachsende Beule am Kopf. Ihre Stirn hatte soeben Bekanntschaft mit der Tischplatte gemacht, als sie von der Couch hinunter zur Seite gekippt war. Während sie noch überlegte, wie sie es dieses Mal wieder geschafft hatte, vom Sofa zu fallen, klingelte das Telefon.

»Hamilton.«

Am anderen Ende der Leitung erklang ein erleichtertes Seufzen. »Hallo, mein Kind. Ich bin so froh, dass es dir gut geht.«

Cindy lächelte. »Natürlich, Mum. Es ist schön, dass du anrufst. Genau deine Stimme brauche ich jetzt.«

Leises Lachen bestätigte ihr, dass sie ihre Mutter fröhlich gestimmt hatte.

»Ich habe in der Redaktion angerufen, weil ich dich sprechen wollte. Aber man sagte mir …«

»Ich weiß. Mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut, ich habe nur ein paar Wochen Urlaub.«

Eine kurze Stille folgte.

»Hast du vor, zu verreisen?«, wollte ihre Mutter wissen.

Da Cindy weder wusste, wohin sie fahren sollte, noch, wie lange, und da sie auch nicht alleine fahren wollte, hatte sie sich darüber keine Gedanken gemacht.

»Nein, eigentlich nicht. Ich denke, ich werde mir einfach ein paar schöne Wochen zu Hause machen.«

»Warum fährst du nicht deine Schwester besuchen? Sie freut sich bestimmt riesig, wenn du dich mal wieder blicken lässt!«

»Mum … Thelma hat sicher Besseres zu tun, als außer ihren Jungs auch noch ihre bockige Schwester zu bemuttern!« Genervt setzte sich Cindy zurück auf die Couch und legte die Füße gekreuzt vor sich auf den Tisch.

»Du könntest ihr dabei helfen, George und Michael in den Griff zu kriegen.«

»Sie hat die beiden Racker auch ohne mich sehr gut im Griff. Außerdem … ach egal. Ich bleibe einfach hier.«

Beinahe hätte sie ihrer Mutter gestanden, dass sie mit Thelma einfach nichts mehr anfangen konnte. Diese führte mit ihrem Mann und den beiden Jungs ein so grundsätzlich anderes Leben als sie selbst, dass sie den Draht zueinander irgendwann verloren hatten. Doch ihrer Mutter das zu sagen, würde sie verletzen. Immerhin waren die beiden noch immer ihre kleinen Mädchen.

»Außerdem was?« Die Stimme ihrer Mutter klang ungeduldig.

»Nichts, Mum. Ich weiß gar nicht mehr, was ich gerade sagen wollte.«

Glücklicherweise ließ ihre Mutter es dabei bewenden. »Schatz, ich muss jetzt Schluss machen, dein Vater drängelt schon. Wir wollen ins Kino. Aber wenn du Lust hast oder einfach mal wieder nur quatschen willst, komm vorbei, ja? Ich würde wahnsinnig gerne mal wieder ein Gläschen Sekt mit dir trinken.«

Cindy musste lächeln. »Ist gut. Das machen wir. Habt einen schönen Abend, ja? Und grüß Daddy von mir. Er soll nicht wieder während des Films einschlafen.« Lachend legten sie auf.

Der Anruf ihrer Mutter hatte seinen Zweck erfüllt: Cindy hatte wieder gute Laune und war zudem auch noch wach. Als sie gerade darüber nachdachte, was sie mit dem Rest des Tages noch anfangen wollte, klingelte es an der Tür.

Oh Mist! Das ist bestimmt Misses Wheasey, die ihren Teller zurückhaben will.

Mit einem unverbindlichen Lächeln im Gesicht öffnete Cindy die Tür – um im selben Moment die Mundwinkel wieder nach unten fallen zu lassen.

»Es freut mich auch, dich zu sehen! Dein Blick von gerade eben hat mir aber besser gefallen.«

Sie bemühte sich, wenigstens ein bisschen freundlich auszusehen, und bedeutete Richard mit einer Geste, er möge eintreten.

»Vielen Dank. Das sieht schon besser aus«, murmelte er.

Empört streckte sie ihm die Zunge heraus. »Ich habe nicht mit dir gerechnet.«

Er zauberte einen großen Blumenstrauß hinter seinem Rücken hervor, der eine Zusammenstellung fröhlich aussehender bunter Sommerblumen war.

»Ich weiß, ich hatte auch nicht mit mir gerechnet. Friedenspfeife?«

Cindy ließ verzückt ihre Nase in dem Strauß verschwinden und sog den Duft der Blüten tief ein.

»Mit Gerbera! Das sind meine Lieblingsblumen. Woher wusstest du das?«

Richard zog sein Jackett aus und hängte es ordentlich an die Garderobe neben der Tür.

»Du hast bei dem Fototermin für den Artikel damals Gerbera verlangt. Für die Vase auf dem Tisch neben dir, weißt du nicht mehr?«

Cindy grübelte und nickte dann. »Du hast recht. Dass du dir so etwas merkst …« Beeindruckt ging sie in die Küche, um nach einer Vase zu suchen. »Möchtest du etwas trinken? Arsen, Salzsäure oder etwas anderes?«

Sie schleppte die Vase mit Wasser in der einen, den Strauß in der anderen Hand ins Wohnzimmer, wo es sich Richard bereits auf der Couch gemütlich gemacht hatte.

»Schon gut. Ich weiß, dass ich gestern nicht gerade charmant war. Es tut mir leid.«

Er schaute sie fragend an, als ob er auf etwas warten würde. Als die Blumen, ordentlich in der Vase drapiert, auf dem Tisch standen und Cindy neben ihrem Gast auf der Couch Platz genommen hatte, wurde sie schließlich weich.

»Mir tut es auch leid. Wir beide scheinen einfach darauf programmiert zu sein, uns anzugiften. Was hast du da?«

Sie griff nach dem Gegenstand in der bunten Plastiktüte, die er schnell schelmisch grinsend wegzog. Da sie unbedingt ihre Neugierde befriedigen wollte, folgte sie der Bewegung, bis er sie gewähren ließ und die Tüte aus der Hand gab. Cindy wollte gerade hineingreifen, als Richard ihr Kinn anhob und ihr tief in die Augen sah. Überrascht ließ sie die Hand sinken. Um an die Tüte zu kommen, hatte sie sich über ihn gebeugt und nicht einmal bemerkt, was sie da tat.

»Das war Absicht«, rief sie.

Er nickte und streichelte mit seinem Daumen sanft ihr Kinn.

»Ich würde mich ja für die List entschuldigen, wenn es mir auch nur ein bisschen leidtäte.«

»Schuft!« Sie wollte sich abdrücken, doch er hatte seine Arme um sie gelegt, sodass sie sich mit den Händen auf seiner Brust abstützen musste. Seine Brustmuskeln bewegten sich unter ihren Fingern.

»Richard, lass das. Bitte!«

Er sah sie ernst an und zog sie fester an sich.

»Nenne mir nur einen plausiblen Grund, warum ich es lassen sollte.«