Der Fluch des Drachenkönigs - Klaus Möckel - E-Book

Der Fluch des Drachenkönigs E-Book

Klaus Möckel

4,4

Beschreibung

Ein Mädchen aus dem Zauberland, Telwina Wunderschön, wird zu ihrem Entsetzen und dem ihres Onkels Din Gior von einem hässlichen Drachen zur Frau begehrt. Raubald versetzt mit seinen Raubzügen nicht nur Menschen und Tiere in Angst und Schrecken, er besitzt auch magische Kräfte. Als der Scheuch, Prinzessin Betty, der Löwe und andere sich gegen ihn stellen, spricht er einen schrecklichen Fluch aus. Feuersbrünste und Überschwemmungen verwüsten von nun an das Zauberland. Wie sollen der Herrscher der Smaragdenstadt und seine Freunde mit dem Untier fertig werden und Telwina retten? Gewiss, es gibt Pet Riva, der sich ein bisschen aufs Zaubern versteht, aber er verwechselt die Formeln und bewirkt oft das Gegenteil von dem, was er erreichen will – soll man etwa ihn um Hilfe bitten? Ein verzweifelter Kampf beginnt, und obwohl der Scheuch und Din Gior vorübergehend in Riesen verwandelt werden, ist das Ende völlig ungewiss. Im "Fluch des Drachenkönigs", dem vierten Band der Reihe von Aljonna und Klaus Möckel, geraten die bekannten Helden erneut in beklemmende Situationen, die sie jedoch, wie gewohnt, mit Witz und Tatkraft zu bewältigen wissen. Dieses Buch, 1999 bei LeiV (Leipzig) mit Illustrationen von Hans-Eberhard Ernst unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ erschienen, ist das vierte von mehreren Büchern, die an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen. "Endlich befindet man sich wieder in Gefilden, die nicht mehr futuristisch oder abstrakt anmuten", hieß es damals in Karolin Kullmanns Rezension. INHALT: Erster Teil: Gingemas Erbe Die unheimliche Schlucht Die Begegnung mit Dickhaut Telwina Wunderschön Pet Riva greift ein Zwei traurige Riesen Betty weiß Rat Gingemas Stimme Zweiter Teil: Die Smaragdenstadt in Not Der Sturm Das erste Opfer Das sonderbare Schutzdach Eine Begegnung im Regen Der Angriff der Raupen Die Flut Aufregung im Palast Telwinas Entschluss Din Gior wird geheilt Eine Entführung Dritter Teil: Der Feldzug gegen den Drachen Wo ist die Rettung? Eine Rast mit Überraschungen Klapp gerät in eine Falle In der Drachenhöhle Die beiden Eulen Die Grüne Lagune Raubalds Zorn Auf Dickhaut ist Verlass Telwinas Sorgen Der Kampf mit dem Drachen Telwinas wird befreit Hurra, sie sind geschrumpft!

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Impressum

Aljonna und Klaus Möckel

Der Fluch des Drachenkönigs

Band 4 der Nikolai-Bachnow-Bücher

ISBN 978-3-86394-122-2 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ 1999 bei LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH.

Illustrationen: Hans-Eberhard Ernst

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Vorwort

Als Alexander Wolkow Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Bücher über das Zauberland jenseits der Weltumspannenden Berge veröffentlichte, in denen er sich am berühmten "Zauberer von Oz" des Amerikaners Lyman Frank Baum orientierte, konnte er nicht ahnen, welchen Erfolg er damit haben würde. Nicht nur in der damaligen Sowjetunion fanden die Geschichten vom Mädchen Elli, dem Weisen Scheuch, dem Tapferen Löwen und dem Eisernen Holzfäller zahlreiche Leser, sie wurden auch in viele Sprachen übersetzt. In der DDR wuchsen Generationen von Kindern mit den sympathischen Helden auf, und die Wolkow-Bücher überlebten schließlich sogar die Wende. 1992 wurde der "Zauberer der Smaragdenstadt" im LeiV Verlag Leipzig neu herausgebracht und stand, genau wie einige weitere Bücher der Märchenreihe, in den Bestsellerlisten für Kinderliteratur lange an vorderster Stelle.

Es ist nicht erstaunlich, dass sich in Russland und anderswo bald Autoren fanden, die an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Nach einigen Experimenten mit russischen Schriftstellern, die, den neuen Zeiten Rechnung tragend, die Wolkowschen Gestalten zum Teil auf ferne Atolle und ins Weltall schickten, kam der Verlag auf die Idee, wieder die ursprüngliche Wirkungsstätte in den Mittelpunkt zu rücken. Klaus und Aljonna Möckel, die sich als Schriftsteller bzw. Übersetzerin in der DDR einen Namen gemacht hatten, übernahmen unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow (Nikolai als russische Version von Klaus; Bachnow nach dem Mädchennamen Bach der Übersetzerin), die Aufgabe, weitere Geschichten für die sympathischen Helden zu erfinden.

Natürlich sollten die Leser – Kinder und Erwachsene, die diese Bücher früher verschlungen und inzwischen selbst Kinder hatten - den Bezug zum bisherigen Geschehen herstellen bzw. den Übergang nachvollziehen können. Neue Gestalten waren schon in den letzten Wolkow-Bänden aufgetaucht, Söhne und Nichten der ursprünglichen Heldin Elli bestanden gefahrvolle Abenteuer, und in drei Bänden des Nachfolge-Autors Kusnezow wirkten weitere Helden mit. Doch das ursprüngliche Zauberland rückte dadurch in den Hintergrund, war kaum noch fassbar, das Geschehen oft verwirrend und zu abstrakt dargestellt.

Um diese Situation, die von vielen Lesern als unglücklich empfunden wurde, zu beenden und gleichzeitig die wichtigsten Verbindungen fortzuführen, konzentrierten sich Aljonna und Klaus Möckel erneut auf die Grundzüge der Zauberland-Serie. Sie hielten, zumindest in den ersten Bänden, an einigen der neueren Figuren wie dem Kapitän Charlie oder Chris Tall, Ellis Sohn, fest, stellten aber die vertrauten Gestalten wieder mehr ins Zentrum. Mit der Zeit formte sich ein neues Ensemble, in dem neben dem Scheuch, dem Löwen und dem Holzfäller besonders Goodwins Enkelin Jessica und die Puppe Prinzessin Betty, die der Scheuch zur Frau genommen hatte, herausragten, zu dem aber auch witzige Gestalten wie der Hobbyzauberer Pet Riva, die starke Spinne Minni oder der schlaue Mäuserich Larry Katzenschreck gehörten.

1996 kam es zur Veröffentlichung des ersten Bachnow/Möckel-Bandes "In den Fängen des Seemonsters", in dem sich die Bewohner des Zauberlandes mit einer Verschmutzung im Muschelmeer, dem Reich der Fee Belldora, auseinandersetzen müssen. "Manches hat sich im Zauberland verändert", schrieb seinerzeit die Kritikerin Karolin Kullmann im Internet, "aber dennoch hat man von der ersten Seite an das Gefühl, wieder im wundervollen Märchenreich zu sein ... Mit dem Autor Nikolai Bachnow, der von nun an das Schreiben neuer Geschichten übernimmt, hat die Reihe viel dazu gewonnen." Und die Rezensentin, die auch zu den späteren Büchern Kritiken verfasste, sprach am Ende die Hoffnung aus, "dass auch die Nachfolger mithalten können".

Von dem Autorenpaar entstanden in den Jahren 1996 bis 2003 acht Bände, die nun auch digital vorliegen. Aljonna und Klaus Möckel hatten sich vorgenommen, gut verständlich, spannend, mit Fantasie und Humor zu erzählen, so wie es für Kinder (und Erwachsene) sein sollte. Der Leser mag nun selbst urteilen, ob sich die Hoffnung der Kritikerin erfüllt hat.

Erster Teil: Gingemas Erbe

Die unheimliche Schlucht

Raubald, der Drachenkönig, erhob sich in die Lüfte. Er war riesengroß, hatte einen Schuppenschwanz und mächtige Schwingen. Menschen hätten ihn mit seiner breiten verschrumpelten Schnauze und den vorstehenden Augen hässlich genannt, aber davon ahnte er nichts. Äußerlich glich er Oicho, dem guten Drachen, der aus dem Reich der sieben unterirdischen Könige stammte und vielen Leuten geholfen hatte. Doch Raubald war böse. Missmutig schaute er auf die friedlich grasenden Herden unter sich, auf die blühenden Wiesen und Felder, auf die Städte des Zauberlandes mit ihren fröhlichen Menschen. Es geht ihnen gut, dachte er, sie haben sich ausgebreitet und lassen unsereinem keinen Platz mehr. Er stieß einen zornigen Schrei aus und schwang seine Flügel so heftig, dass sich pfeifender Wind erhob.

Raubald wohnte in der Drachenschlucht unweit des großen Finsterforstes und war der einzige seiner Art. Schon möglich, dass es in den ehemaligen unterirdischen Reichen noch Echsen wie ihn gab - in der Schlucht waren sie ausgestorben. Sie hatten dort viele tausend Jahre gelebt und die Tiere der angrenzenden Wälder tyrannisiert, aber eines Tages waren sie ausgelöscht worden. Ihre Sippe war so mächtig und überheblich gewesen, dass sie sich mit der schrecklichen Hexe Gingema angelegt hatte. Mit Schwefel und Feuer hatte die Zauberin ihre Widersacher besiegt, denn sie wollte ihre Macht mit niemandem teilen.

Doch Gingema war schlau und vorausschauend. In ihrer magisch flimmernden Glaskugel sah sie, dass es auch für sie irgendwann ein Ende geben würde. Sie wusste nicht, dass sie durch ein Mädchen namens Elli aus Kansas, später die Fee des Tötenden Häuschens genannt, ums Leben kommen sollte, aber sie machte sich Sorgen. Deshalb wählte sie eins der kürbisgroßen Eier aus, die in den Drachenhöhlen lagen, schleppte es in ihr Haus und unterwarf es einem Zauber.

"Einst, wenn ich nicht mehr auf dieser Erde weile", murmelte sie und spritzte dampfendes Krötenblut, gemischt mit gärendem Schlangengift auf die Eierschale, "sollst du durch ein prasselndes Feuer ausgebrütet werden. Ich verleihe dir die Fähigkeit, Sturm und Unwetter zu gebären, Rauch und Flammen über das Zauberland zu bringen, damit du an meiner Stelle herrschen kannst. Sei hinterhältig in dem, was du ersinnst, fürchterlich in deinem Zorn, stolz und unbarmherzig. Auch wenn es neben dir keine geflügelten Ungeheuer mehr geben wird, nenne ich dich Drachenkönig, denn du sollst die Welt regieren. Da mir selbst keine Kinder vergönnt sind, wirst du mein würdiger Nachfolger sein."

Nach dieser langen Rede und einem Zauberspruch, der aus den Verwünschungen: "Krobisi Rattenohr, Krax Krobisi Froschhaut, Krax Korax Krobisi Blutwurzel des Zeitenbaums" bestand, schleppte die Alte das Ei wieder in die Schlucht und versteckte es in einem Felsspalt, den sie mit Erde verschloss. Dann kehrte sie beruhigt an ihr Tagwerk zurück.

Gingema regierte noch hundert Jahre, bevor sie jenen gewaltigen Sturm gegen die Menschen entfesselte, der ihr selbst zum Verhängnis wurde. Nach ihrem Tod verging wiederum geraume Zeit, in welcher der Weise Scheuch und seine Freunde ihre Abenteuer erlebten, verschiedene Reiche regierten, gemeinsam mit Elli, ihrer Schwester Ann, Tim O'Kelli, Fred Cunning, dem Seemann Charlie Black, Chris Tall und zuletzt Jessica, der Enkelin des Großen Goodwin, schreckliche Gefahren abwehrten.

In all diesen Jahren hatte das behexte Ei unberührt in seinem Felsspalt geruht. Eines Abends aber verirrte sich ein Hirt in die Drachenschlucht. Auf der Suche nach einem entlaufenen Schaf schlug er sein Nachtlager gerade vor jener Steinwand auf. Da es kalt war, entfachte er ein großes Feuer, wärmte sich daran und bereitete sich ein Mahl aus Käse, Brot und frischem Quellwasser. Dann legte er noch tüchtig Holz auf, trug ein Lager aus Blättern zusammen und streckte sich mit einer Wolldecke darauf aus.

Gegen Morgen erwachte der Hirt von einem lauten Knacken. Es schien direkt aus dem Felsen hinter ihm zu kommen, und nachdem er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, begann er die Steinwand zu untersuchen. Das Feuer, obwohl niedergebrannt, strömte noch Wärme aus und der Felsen war ganz heiß. Der Hirt bemerkte, dass aus einem breiten Spalt Erde bröckelte, und als es gleich darauf erneut gewaltig knackte, wich er zwei Schritte zurück. Ein Ächzen ertönte, die Felswand und der Boden unter seinen Füßen begannen zu beben. Ein Erdrutsch, dachte der Hirt, ergriff Decke und Wanderstock und machte sich eilig davon. Im Zurückblicken schien es ihm zwar noch, als würden sich eine grünliche Schnauze und eine krallenbewehrte Pfote zwischen den Steinen hervorschieben, aber was das bedeutete, verstand er erst viel später.

Es war die Geburtsstunde Raubalds, der gleich darauf den Kopf aus dem Spalt steckte und sich mit ungelenken Bewegungen von Eierschalen und Erde befreite. Eine Krokodilsschnauze, ein nackter, von wenigen Schuppen bedeckter Leib, Flügel aus Haut und Knochen! Wäre der Hirt umgekehrt und hätte das Drachenjunge mit seinem Stock angegriffen, es wäre trotz der Kräfte, die es bereits besaß, eine leichte Beute gewesen. Doch der Mann hatte nichts Eiligeres zu tun, als diese unheimliche Schlucht zu verlassen. Das Schaf, das er gesucht hatte, schien ohnehin verloren.

So geschah es, dass der Drachenkönig in drei Tagen zu seiner vollen Größe heranwuchs. Mit ihrem Zauberspruch hatte ihm Gingema zwar das Wissen um seine Fähigkeiten und seine Macht eingeimpft, dennoch beherrschte ihn ein Gefühl der Einsamkeit, das ihm sehr zu schaffen machte.

Die Begegnung mit Dickhaut

Zunächst suchte sich Raubald, genau wie seine Vorfahren, eine Höhle, in der er schlafen und seine Beute verzehren konnte. Er wählte die finsterste und tiefste aus, die zu finden war, einerseits, um Vorräte anzulegen, andererseits, weil er sich im Dunkeln wohlfühlte. Nahrung brauchte er eine ganze Menge, er fraß Gras und Zweige, aber auch Fleisch. Da es in der Schlucht jedoch höchstens Mäuse und Kaninchen gab, kam er nicht auf seine Kosten. Abgesehen davon, dass die Tiere sehr klein waren und kaum sättigten, sahen sie seinen Riesenschatten schon von weitem und verschwanden beim ersten Anzeichen von Gefahr unter der Erde.

Im angrenzenden Finsterforst gab es Rehe, Füchse und sogar Bären. Manchmal erwischte der Drachenkönig ein Stück Wild, schleppte es in seine Höhle und verschlang es mit Haut und Haaren. Doch auch hier war das Jagen beschwerlich. Dichter Baumwuchs und noch dichteres Unterholz boten den Tieren Schutz und die Bären, wenngleich sie letztendlich nichts gegen den großen Räuber ausrichten konnten, brachten ihm schmerzhafte Wunden bei. Außerdem waren in diesem Wald jene Schattenraben zu Hause, die einst schon Bill und Joe, die hinterlistigen Großohr-Brüder, bedrängt hatten. Sobald der Drache nahte, stiegen sie in Scharen auf, krächzten ohrenbetäubend und warnten so das Wild.

Raubald lernte schnell. Er mied die dichten Wälder und hielt sich am Vieh schadlos, das in den Ebenen weidete. Eine Kuh, ein Schaf oder eine Ziege aus der Herde zu holen, war einfach. Die zu Tode erschrockenen Hirten liefen davon, wenn er auftauchte, und waren froh, nicht selbst von seinen mächtigen Krallen gepackt zu werden.

Doch der Drachenkönig gab sich nicht mit einem fetten Mahl zufrieden. Seine finsteren Gedanken waren darauf gerichtet, Schaden anzurichten, wo immer es ging. Deshalb riss er mit heftigem Flügelschlag Zäune und Schuppen nieder, fackelte mit heißem Atem Felder und Obstplantagen ab, jagte ganze Herden auseinander. Die Hirten brauchten Tage, sie wieder einzufangen.

Gegen diese Willkür waren die Bauern machtlos. Mit Knüppeln, Mistgabeln und Dreschflegeln kamen die Käuer, im Grunde friedliche und ängstliche Wesen, nicht gegen das Untier an. So versuchten sie wenigstens, große steinerne Ställe zu errichten, in die sie das Vieh bei Gefahr treiben konnten, und stellten überall Beobachtungsposten auf, um einander bei Gefahr durch Hornsignale zu warnen. Dennoch mussten sie immer wieder Verluste hinnehmen.

Die Nachricht von dem schrecklichen Räuber verbreitete sich im ganzen Land. Noch hatte er sich nicht in der Nähe der Smaragdenstadt gezeigt, aber im Tierreich, wo der Tapfere Löwe regierte, war er schon aufgetaucht. Zufällig war er dort sogar dem Elefanten Dickhaut begegnet, dem Stellvertreter des Löwen, der mit seiner Familie gerade ein Bad im Seerosenteich nehmen wollte. In der Nähe sprangen ein paar Antilopen herum und das schien Raubald Grund genug, zum Sturzflug anzusetzen. Wie der Sturmwind fuhr er zwischen die Tiere.

Doch die Antilopen waren schnell. Einige sprangen ins Unterholz, die anderen versteckten sich hinter dem Elefanten. Wütend und mit leeren Fängen sah sich Raubald plötzlich Dickhaut gegenüber, der fast ebenso groß und mächtig war wie er.

Raubald stieß ein Gebrüll aus, das in ein gefährliches Zischen überging.

"Aus dem Weg, du Fleischkloß", schrie er, "gib mir meine Beute heraus, sonst wird es dir übel ergehen!"

Dickhaut ließ sich keineswegs einschüchtern.

"Du solltest nicht so angeben, sondern dich dorthin scheren, wo du herkommst", sagte er ruhig. "Wir haben von dir und deinen Untaten gehört, aber hier bist du im Reich des Tapferen Löwen und hast kein Recht zu jagen."

"Du wagst es, dich zu widersetzen?", brüllte Raubald. "Weißt du nicht, wer vor dir steht? Ich bin es, der Drachenkönig, Herrscher über Luft und Erde, von Gingema zu ihrem Nachfolger erwählt."

Die Antilopen zitterten vor Angst und auch zwei kleinere Elefanten wichen erschrocken zurück, aber Dickhaut erwiderte:

"Gingema? Was hat diese alte hinterhältige Hexe, die zum Glück längst tot und verwest ist, mit dir und uns zu schaffen?"

"Das wirst du gleich sehen", rief Raubald, "denn von ihr habe ich meine Kraft." Und er begann mit seinen Flügeln einen solchen Sturm zu entfachen, dass sich die Bäume bis zum Boden bogen. Die Elefanten jedoch standen fest auf ihren vier starken Beinen, rührten sich nicht vom Fleck.

Der Drachenkönig lief vor Zorn rot an. Er sperrte den Rachen auf und eine Feuerlohe schoss aus seinem Maul. Hätte Dickhaut nicht den Kopf zur Seite gedreht, er hätte sich Rüssel und Augen verbrannt. So versengte es ihm nur die lederne Haut.

Trotzdem tat es weh und der Elefant wurde nun gleichfalls ärgerlich. Bevor Raubald erneut Feuer spucken konnte, schleuderte er ihm einen Rüssel voll Teichwasser entgegen. Die anderen Elefanten begriffen sofort und taten es ihm gleich. Wie ein begossener Pudel stand der Drache da, brachte nur noch ein paar Dampfwolken hervor.

"Das soll dich lehren, hier so herumzuprahlen und den Tieren Angst einzujagen", sagte Dickhaut. "Verschwinde oder du kriegst meine Stoßzähne zu spüren. Wenn du es dir überlegt hast und in friedlicher Absicht kommst, können wir weiterreden. Die schmackhaften Früchte, Zweige und Gräser in unseren Wäldern reichen auch für dich."

Gedemütigt zog sich der Drachenkönig zurück. Durchnässt, wie er war, hatte er Mühe, sich wieder in die Lüfte zu erheben, der Heimflug dauerte viel länger als sonst. In seiner Höhle lag er dann, auf Rache sinnend, tagelang untätig herum. Es war das erste Mal, dass er eine Niederlage erlitten hatte, und das nagte gewaltig an ihm. Erst nach einiger Zeit kehrte seine Tatkraft zurück. Doch er mied fortan das Tierreich, hielt sich lieber an die Herden der Käuer, Zwinkerer und Springer.

Telwina Wunderschön

In der Smaragdenstadt selbst wurde die Kunde von dem räuberischen Ungeheuer anfangs nicht so ernst genommen. Die Leute gingen ihrer Arbeit nach, sie hatten ihre eigenen Sorgen und hielten die Berichte aus jenen fernen Regionen für übertrieben. Ein feuerspeiender Drachen, der ganze Felder in Brand setzte und Herden auseinandertrieb - das hatte es seit mindestens hundert Jahren nicht mehr gegeben. Dann mehrten sich allerdings die Schreckensnachrichten und der Weise Scheuch beschloss, den Obersten Rat einzuberufen, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Vielleicht konnte man Karfax und die Riesenadler gewinnen, um diesen Raubald in die Schranken zu weisen.

Bevor es jedoch zur entscheidenden Beratung kam, trat ein Ereignis ein, das die Lage sehr verschlimmerte. In der Smaragdenstadt lebte ein junges Mädchen mit Namen Telwina. Sie war eine Nichte des Ersten Ministers im Land, Din Gior, und so hübsch, dass man sie Telwina Wunderschön nannte. Alle Burschen wollten sie zur Frau, doch sie hatte sich in den Bildhauer Anto verliebt, dessen Werkstatt vor den Toren der Stadt lag. Wann immer es ging, trafen sie sich und schon bald sollte Hochzeit gefeiert werden.

Manchmal, wenn Anto beschäftigt war, ging Telwina auf den Wiesen in der Nähe seiner Werkstatt spazieren. Gern lief sie auch über den Gelben Backsteinweg hinunter zum Fluss. Dort lag sie im Gras und träumte oder unterhielt sich mit dem alten Fischer Pet Riva, der ein wenig von Zauberei verstand, weil er einst Lehrling bei der guten Fee Stella gewesen war. Jeder wusste aber auch, dass man seinen Künsten nicht ganz trauen konnte, weil er so manches durcheinanderbrachte.

Raubald, der seine Flüge nach und nach weiter ausdehnte und sich seine Beute jetzt mitunter schon in der Nähe des Flusses holte, sah Telwina zum ersten Mal auf Pet Rivas altem Schiff. Es lag im Schilf, der Alte hatte seine Angel ausgeworfen und die beiden waren so ins Gespräch vertieft, dass sie den Schatten des Drachen für eine Wolke hielten.

Raubald flog weit oben, hatte aber sehr scharfe Augen. Die Schönheit Telwinas überwältigte ihn und auf einmal empfand er seine Einsamkeit doppelt stark. Noch begriff er nicht, was geschehen war, doch zu Hause, in seiner Höhle, quälte ihn das Verlangen, das Mädchen wiederzusehen. Kaum zwei Tage waren vergangen, da zog es ihn erneut zu dem Fluss in der Nähe der Smaragdenstadt.

Diesmal bemerkte ihn der Storch Klapp, der ebenfalls am Fluss wohnte und nicht der Mutigste war. Aber zugegeben, bei so einem Ungeheuer konnte man schon einen Schreck bekommen. Er verkroch sich unters Scheunendach, auf dem er sein Nest hatte, machte sich so klein wie möglich und forderte seine Frau auf, es ihm gleichzutun.

"Meine Federn sind mir zu schade", klapperte er, "als dass ich sie diesem Unhold überlassen möchte, damit er vielleicht morgen seinen Kopf darauf bettet."

Der Drache beachtete die Störche nicht, er hielt nach Telwina Wunderschön Ausschau. Als er sie endlich auf einem Feldweg entdeckt hatte, ließ er sich wie ein Stein fallen und plumpste, den Weizen rechts und links zu Boden drückend, vor ihr nieder.

Telwina war mächtig erschrocken. Sie wollte davonlaufen, doch ihre Füße versagten den Dienst und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Für einen Moment hatte der Drache seine Bosheit vergessen.

"Bleib hier und hab keine Furcht", sagte er mit einer Stimme, in die er alle ihm zur Verfügung stehende Sanftheit legte, die aber dennoch zischte und krächzte wie ein geplatztes Dampfrohr. "Ich will dich nicht fressen oder dir ein anderes Leid antun. Du bist das schönste Wesen, das ich je gesehen habe, und ich muss mit dir reden."

"Mit mir re...reden? Warum? We...wer bist du?"

"Ich bin der Drachenkönig", erwiderte Raubald, "hat dir noch niemand von mir erzählt? Ich bin von Gingema auserwählt, über das Zauberland zu herrschen."

Damit wusste Telwina nichts anzufangen. Sie wollte das Tier nicht erzürnen, wandte aber ein:

"Im Zauberland gibt es doch schon alle möglichen Herrscher. Den Eisernen Holzfäller, den Tapferen Löwen, Stella, die gute Fee, und in der Smaragdenstadt den Weisen Scheuch."

Der Drache stieß ein unzufriedenes Zischen aus.

"Smaragdenstadt? Sind das die Häuser und Türme da hinten mit den grünen Steinen an der Spitze? Ich werde die Leute dort töten oder versklaven. Ich werde dir diese Stadt mit all ihren Bewohnern zum Geschenk machen."

"Aber weshalb denn?", rief Telwina entsetzt. "Dort leben alle meine Freunde und Bekannten, sie haben dir nichts getan. Und was soll ich mit einer ganzen Stadt? Mir genügt das Zimmer im Haus meiner Eltern."

Der Drache schüttelte verwundert den Kopf.

"Ein Zimmer? Nein, du hast etwas viel Besseres verdient. Sofort als ich dich sah, habe ich mich in dich verliebt und bin bereit, dich zu meiner Frau zu nehmen. Ich wohne in einer großen Höhle, die Platz für Reichtümer und Annehmlichkeiten aller Art bietet. Du kannst sie wohnlich machen, denn wir werden von dort aus das Land beherrschen."

"Ich will kein Land beherrschen", rief Telwina verzweifelt. "Und was soll ich in einer Höhle? Ich brauche Leben um mich, Luft und Sonne."

Raubald wurde ärgerlich.

"Dann lasse ich dir eben ein Schloss bauen oder wir nehmen uns ein Haus in dieser Smaragdenstadt. Am besten den Palast des Weisen Scheuch, von dem du gesprochen hast. Was für ein Fürst ist das überhaupt? Glaubst du, dass er sich widersetzt?"

"Er ist kein Fürst", sagte Telwina, "das Volk hat ihn einst zum König gewählt, weil er gut, klug und tapfer ist. Mit seinen Freunden hat er große Taten vollbracht. Es ist nicht recht, wenn du ihm seinen Palast wegnimmst, und bestimmt werden sich alle Bewohner der Stadt zur Wehr setzen."

"Ich werde sie vernichten", fauchte der Drache und stieß eine Wolke aus Rauch und Feuer aus. Freilich wandte er den Kopf dabei leicht zur Seite, um Telwina Wunderschön nicht zu verletzen.

Das Mädchen hatte sich etwas gefasst. Sie fragte:

"Warum willst du unbedingt mich zur Frau, du kennst mich doch gar nicht? Ein Drache wie du sollte mit einem Drachenweib zusammenleben."

"Es gibt kein Drachenweib weit und breit", erklärte Raubald düster, "und zu kennen brauche ich dich nicht. Mir genügt deine Schönheit."

"Aber ich liebe dich nicht, ich liebe einen anderen. Er ist mein Bräutigam!"

Das mochte der Drachenkönig nun gar nicht hören. Wütend blähte er die Nüstern und es sah aus, als wollte er sich auf das Mädchen stürzen. Doch er riss sich zusammen.

"Ich könnte dich ergreifen und in meine Höhle schleppen, damit du mir dort zu Willen bist", rief er. "Du sollst keinen Bräutigam außer mir haben. Begreifst du das nicht? Aber da meine Werbung vielleicht ein wenig plötzlich für dich kommt, will ich dir Zeit geben. In drei Tagen werde ich zur gleichen Zeit wieder an diesem Ort sein. Dann erwarte ich, dass du mir antwortest. Überlege gut, denn es ist eine große Ehre, die Frau des Drachenkönigs zu werden. Und vergiss nicht, dass ich in meinem Zorn schrecklich bin."

Nach dieser Drohung erhob er sich in die Lüfte und war kurz darauf am Horizont verschwunden.

Pet Riva greift ein

Telwina rannte völlig verängstigt in Antos Haus zurück und berichtete ihm von dieser schrecklichen Begegnung.

"Ich liebe dich von ganzem Herzen und werde nichts von dem tun, was dieser Drache wünscht", schloss sie.

Der Bildhauer nahm sie in die Arme, tröstete sie und schwor, sie mit all seiner Kraft gegen das Untier zu verteidigen. Doch das war leichter gesagt als getan. Sie wussten ja beide, dass sie gegen Raubald nicht viel ausrichten konnten.

"Du musst dich verstecken", sagte Anto, "am besten fragen wir deinen Onkel Din Gior um Rat. Er kann uns sicherlich helfen."

Die beiden eilten in die Smaragdenstadt, um Din Gior aufzusuchen. Der Onkel las gerade einen Brief, der ihm durch die Vogelpost aus dem Tierreich überbracht worden war. Als ihm Telwina ihr Zusammentreffen mit dem Drachen geschildert hatte, beruhigte er sie.

"Keine Angst", sagte er, "dieser Raubald spielt sich bestimmt nur auf. Soeben teilt uns der Tapfere Löwe mit, dass er auch bei ihnen Unruhe stiften wollte. Aber die Elefanten haben ihn in die Flucht gejagt. Dickhaut meint, man müsse ihm nur mutig genug entgegentreten."

"Dickhaut ist groß und stark", erwiderte Telwina. "Aber hier in der Smaragdenstadt gibt es keine Elefanten."

Das sah Din Gior natürlich ein. Gedankenvoll strich er sich seinen langen weißen Bart.

"Du hast Recht", gab er zu, "wir sollten auf jeden Fall vorsichtig sein. Am besten, du ziehst in der nächsten Zeit zu uns in den Palast. Ich werde mit dem Weisen Scheuch sprechen, damit er dir ein Zimmer zur Verfügung stellt. Im übrigen haben wir wegen des Drachens fürs Wochenende eine Beratung einberufen. Unsere besten Freunde haben ihr Kommen zugesagt - der Eiserne Holzfäller, der Tapfere Löwe und sogar Jessica, die mit dem Zaubertrog die Weltumspannenden Berge überqueren will. Du hast vielleicht von dem Trog gehört. Die Hexe Gingema hat dieses Fluggerät einst geschaffen."

Telwina nickte, war allerdings nur zum Teil beruhigt. Auch ihr Bräutigam machte sich Sorgen.

"Bis zum Wochenende sind es noch vier Tage", wandte er ein. "Dieses Scheusal will aber schon in drei Tagen eine Antwort."

"Er wird Telwina nicht mehr zu Gesicht bekommen", erwiderte Din Gior entschieden. "Wir werden ihm friedlich, aber bestimmt entgegentreten und klarmachen, dass er sich bei seinesgleichen eine Frau suchen soll."

"Das habe ich ihm schon gesagt", seufzte Telwina, "doch er will es nicht einsehen. Wer immer ihm diese Botschaft überbringt - er muss aufs Schlimmste gefasst sein."

"Wir finden schon jemanden, der mit dem Untier spricht", entgegnete Din Gior. "Wenn es nicht anders geht, werde eben ich der Bote sein."

Telwina und ihr Freund widersprachen dem Onkel heftig, wussten aber keine bessere Lösung. Dass der Bildhauer selbst dem Drachenkönig antworten sollte, lehnte Din Gior entschieden ab.