Die falsche Fee - Klaus Möckel - E-Book

Die falsche Fee E-Book

Klaus Möckel

3,8

Beschreibung

In diesem Buch der Zauberland-Reihe geht es um das Rosa Land, in dem freundlich und klug die gute Fee Stella herrscht. Doch gerade die Güte wird ihr zum Verhängnis, denn Mark, ein gemeiner Betrüger, schmeichelt sich bei ihr ein, um an ihre Zauberbücher zu kommen. Nachdem er bereits den misstrauischen Hengst Eschno ausgeschaltet hat, gelingt es ihm, Stellas Gestalt anzunehmen und sich an ihre Stelle zu setzen. Der Scheuch und seine Freunde, die anlässlich einer großen Feier ins Rosa Reich gekommen sind, schöpfen zunächst keinen Verdacht. Nach und nach begreifen sie aber, dass hier etwas nicht stimmt, und beginnen Fragen zu stellen. Doch Mark ist gefährlich. Er lähmt den Holzfäller, verwandelt den Scheuch, Prinzessin Betty und den alten Goodwin, der gleichfalls einen Abstecher in die ihm von früher her bekannten Gegenden gemacht hat, in sprechende Kohlköpfe. Zum Glück gibt es da ja aber noch Jessica, die all ihren Mut zusammennimmt. Von einem flüsternden Bäumchen geführt, stellt sie sich tapfer dem Betrüger entgegen. "Zauberland-Kenner werden nichts vermissen, was sie bisher an diese Geschichten gebunden hat." (Karolin Kullmann). Dieses Buch, 2000 bei LeiV (Leipzig) mit Illustrationen von Hans-Eberhard Ernst unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ erschienen, ist das fünfte von mehreren Büchern, die an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen. "Endlich befindet man sich wieder in Gefilden, die nicht mehr futuristisch oder abstrakt anmuten", hieß es damals in Karolin Kullmanns Rezension. INHALT: Erster Teil: Der Mann am Baum Ein Hilferuf Mark entpuppt sich Eschnos Verschwinden Unerwartete Schwierigkeiten Ein Löffel Kompott Eine neue Fee Das rosa Bäumchen Zweiter Teil: Ein Fest mit Hindernissen Ein Brief mit rosa Schrift Ein eigenartiger Empfang Was dem Löwen widerfuhr Der Sandmolch Eschno erwacht Die Begegnung mit Kim Alte Bekannte Der Festumzug Freunde lässt man nicht im Stich Der Hinterhalt Hilfe in der Not Dritter Teil: Das wandernde Bäumchen Verwirrende Ereignisse Zum Glück gibt es Minni Die sprechenden Kohlköpfe Tumult in der Speisekammer Die Wunderblüte Eine misslungene Krönung Die Zauberbücher Das Ende eines Albtraums

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Impressum

Aljonna und Klaus Möckel

Die falsche Fee

Band 5 der Nikolai-Bachnow-Bücher

ISBN 978-3-86394-124-6 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ 2000 bei LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH.

Illustrationen: Hans-Eberhard Ernst

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Vorwort

Als Alexander Wolkow Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Bücher über das Zauberland jenseits der Weltumspannenden Berge veröffentlichte, in denen er sich am berühmten "Zauberer von Oz" des Amerikaners Lyman Frank Baum orientierte, konnte er nicht ahnen, welchen Erfolg er damit haben würde. Nicht nur in der damaligen Sowjetunion fanden die Geschichten vom Mädchen Elli, dem Weisen Scheuch, dem Tapferen Löwen und dem Eisernen Holzfäller zahlreiche Leser, sie wurden auch in viele Sprachen übersetzt. In der DDR wuchsen Generationen von Kindern mit den sympathischen Helden auf, und die Wolkow-Bücher überlebten schließlich sogar die Wende. 1992 wurde der "Zauberer der Smaragdenstadt" im LeiV Verlag Leipzig neu herausgebracht und stand, genau wie einige weitere Bücher der Märchenreihe, in den Bestsellerlisten für Kinderliteratur lange an vorderster Stelle.

Es ist nicht erstaunlich, dass sich in Russland und anderswo bald Autoren fanden, die an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Nach einigen Experimenten mit russischen Schriftstellern, die, den neuen Zeiten Rechnung tragend, die Wolkowschen Gestalten zum Teil auf ferne Atolle und ins Weltall schickten, kam der Verlag auf die Idee, wieder die ursprüngliche Wirkungsstätte in den Mittelpunkt zu rücken. Klaus und Aljonna Möckel, die sich als Schriftsteller bzw. Übersetzerin in der DDR einen Namen gemacht hatten, übernahmen unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow (Nikolai als russische Version von Klaus; Bachnow nach dem Mädchennamen Bach der Übersetzerin), die Aufgabe, weitere Geschichten für die sympathischen Helden zu erfinden.

Natürlich sollten die Leser – Kinder und Erwachsene, die diese Bücher früher verschlungen und inzwischen selbst Kinder hatten - den Bezug zum bisherigen Geschehen herstellen bzw. den Übergang nachvollziehen können. Neue Gestalten waren schon in den letzten Wolkow-Bänden aufgetaucht, Söhne und Nichten der ursprünglichen Heldin Elli bestanden gefahrvolle Abenteuer, und in drei Bänden des Nachfolge-Autors Kusnezow wirkten weitere Helden mit. Doch das ursprüngliche Zauberland rückte dadurch in den Hintergrund, war kaum noch fassbar, das Geschehen oft verwirrend und zu abstrakt dargestellt.

Um diese Situation, die von vielen Lesern als unglücklich empfunden wurde, zu beenden und gleichzeitig die wichtigsten Verbindungen fortzuführen, konzentrierten sich Aljonna und Klaus Möckel erneut auf die Grundzüge der Zauberland-Serie. Sie hielten, zumindest in den ersten Bänden, an einigen der neueren Figuren wie dem Kapitän Charlie oder Chris Tall, Ellis Sohn, fest, stellten aber die vertrauten Gestalten wieder mehr ins Zentrum. Mit der Zeit formte sich ein neues Ensemble, in dem neben dem Scheuch, dem Löwen und dem Holzfäller besonders Goodwins Enkelin Jessica und die Puppe Prinzessin Betty, die der Scheuch zur Frau genommen hatte, herausragten, zu dem aber auch witzige Gestalten wie der Hobbyzauberer Pet Riva, die starke Spinne Minni oder der schlaue Mäuserich Larry Katzenschreck gehörten.

1996 kam es zur Veröffentlichung des ersten Bachnow/Möckel-Bandes "In den Fängen des Seemonsters", in dem sich die Bewohner des Zauberlandes mit einer Verschmutzung im Muschelmeer, dem Reich der Fee Belldora, auseinandersetzen müssen. "Manches hat sich im Zauberland verändert", schrieb seinerzeit die Kritikerin Karolin Kullmann im Internet, "aber dennoch hat man von der ersten Seite an das Gefühl, wieder im wundervollen Märchenreich zu sein ... Mit dem Autor Nikolai Bachnow, der von nun an das Schreiben neuer Geschichten übernimmt, hat die Reihe viel dazu gewonnen." Und die Rezensentin, die auch zu den späteren Büchern Kritiken verfasste, sprach am Ende die Hoffnung aus, "dass auch die Nachfolger mithalten können".

Von dem Autorenpaar entstanden in den Jahren 1996 bis 2003 acht Bände, die nun auch digital vorliegen. Aljonna und Klaus Möckel hatten sich vorgenommen, gut verständlich, spannend, mit Fantasie und Humor zu erzählen, so wie es für Kinder (und Erwachsene) sein sollte. Der Leser mag nun selbst urteilen, ob sich die Hoffnung der Kritikerin erfüllt hat.

Erster Teil: Der Mann am Baum

Ein Hilferuf

Stella, die gute und schöne Fee, ritt auf ihrem Ross Eschno über Land. Als Herrscherin des Rosa Reiches wollte sie von Zeit zu Zeit mit eigenen Augen sehen, wie es um ihr Volk stand, ob die Leute glücklich oder unzufrieden waren. Sie besuchte Dörfer und Städte, mischte sich verkleidet unter die Menschen und unterhielt sich mit ihnen. Auch diesmal hatte sie wieder mit Handwerkern und Kaufleuten gesprochen, Fischer und Bauern bei der Arbeit beobachtet. Sie hatte allerhand erfahren und sich überzeugt, dass es den Leuten gut ging. Darüber freute sie sich.

Eschno, ein silbergrauer Hengst mit weißer Blesse, trabte gemächlich dahin. Wie stets hatte er seine Herrin über Hügel und durch Täler getragen, er war ausdauernd und schnell. Man konnte sich mit ihm auch unterhalten, denn wie alle Tiere im Zauberland beherrschte er die menschliche Sprache. Allerdings redete er manchmal etwas zu viel, hatte sogar einen Hang zum Philosophieren.

"Unsere Reise hat sich gelohnt", sagte die Fee und Eschno wollte gerade ausführlich antworten, da wurden sie aufgestört. Ein lauter Klageruf erscholl aus einiger Entfernung. Es war ein langgezogenes, schrilles "Hi-ilfe! So helft mir doch!"

Die Fee brauchte Eschno nicht erst aufzufordern, er jagte von ganz allein los. In gestrecktem Galopp stürmte er querfeldein zu einem Wäldchen mit Buchen und Eichen.

"Hilfe!", ertönte es wieder, "zu Hilfe!"

Sie setzten über niedriges Buschwerk und drangen in das Wäldchen ein. Die Rufe kamen von weiter hinten und schnell hatten die beiden eine dicke Eiche erreicht, bei der sich ihnen ein verblüffendes Bild bot. Von einem Ast hing, an den Füßen festgebunden und mit dem Kopf nach unten, ein schmächtiger Bursche. Er mochte neunzehn oder zwanzig Jahre alt sein, hatte geflickte Kleider an und borstiges braunes Haar. Er zappelte und bog sich, weil er mit den Händen nach oben oder wenigstens an den Baumstamm gelangen wollte. In seiner unglücklichen Lage stieg ihm das Blut zu Kopf, besser gesagt, es drängte abwärts, so dass er knallrot im Gesicht war.

Eschno machte schnaubend Halt und Stella rief:

"Was um Himmels willen ist dir armem Kerl zugestoßen? Wer hat das getan?"

"Räuber", würgte der Bursche hervor. "Sie haben mir alles weggenommen. Bindet mich rasch los, bitte!"

Die Fee murmelte ein paar Worte und berührte den Burschen mit ihrem Zauberstab. Sofort lösten sich nicht nur die Stricke von seinen Füßen, er schwebte auch, mit den Beinen nach unten, sanft zu Boden.

"Wer bist du?", fragte Stella. "Erzähle, wie das passiert ist."

"Bist du eine Zauberin?", wollte der junge Mann seinerseits wissen. Er schien verblüfft.

"Etwas Ähnliches, aber ich pflege nichts Böses zu tun, du brauchst also keine Angst vor mir zu haben. Berichte jetzt."

"Nun ja, wie soll ich beginnen ..." Der Bursche war ganz offensichtlich noch geschwächt und durcheinander. "Ich heiße Mark und bin, wie ihr an meinen Kleidern seht, nicht gerade reich. Wir wohnen in den Bergen, in einer kargen Gegend. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch sehr klein war, der Vater brachte die Familie gerade mal so mit dem Flechten von Weidenkörben durch."

"Das muss ein wackerer Mann sein", sagte die Fee, "denn bestimmt bist du nicht das einzige Kind."

"Ganz und gar nicht. Ich habe drei Brüder und zwei Schwestern. Weil ich der Älteste bin, musste ich übrigens von zu Hause weg. Der Platz in unserer Hütte reichte hinten und vorn nicht mehr. Ich habe meine Siebensachen zusammengepackt, meinen Stock genommen und einen Beutel mit ein paar Kupfermünzen eingesteckt, die ich im Laufe der Jahre gespart hatte. Vater schenkte mir noch ein Silberstück, seinen einzigen Schatz. Aber dann haben mich diese Banditen überfallen." Marks Stimme klang kläglich.

"Banditen hier, ich bin erstaunt", mischte sich Eschno ein. "Die Bewohner unseres Landes werden Schwätzer genannt, weil sie ein munteres Mundwerk besitzen, doch Raub und Mord sind ihnen fremd. Wie sahen die Wegelagerer denn aus?"

"Sie waren kräftig, zerlumpt und hatten struppige Bärte", erwiderte Mark. "An mehr erinnere ich mich nicht, es ging alles so schnell. Vielleicht kamen sie von jenseits der Grenze."

"Das könnte sein, die Grenze ist nicht weit von hier", stimmte die Fee zu.

"Jedenfalls haben mir diese Schufte alles weggenommen, auch die kleinste und schäbigste Münze." Mark zeigte seine leeren Taschen.

"Und was willst du nun tun?", fragte Stella.

"Ich werde in die Hauptstadt gehen und um eine Anstellung am Hof unserer Herrscherin bitten. Bei ihr kann ich bestimmt eine Menge lernen. Vielleicht habe ich Glück." Ein sonderbares Glitzern zeigte sich in Marks Augen.

"Wenn du dich bei unserer berühmten Herrscherin bewerben willst, musst du Klugheit, Zuverlässigkeit und Geschick in vielen Dingen beweisen", wandte Eschno skeptisch ein.

"Ihr kennt euch in der Hauptstadt wohl gut aus?", fragte der Bursche.

"Ja, ein wenig", erwiderte Stella, die nicht verraten wollte, wer sie war. "Aber die Worte meines Pferdes sollten dich nicht hindern, dein Glück zu versuchen. Und damit es dir etwas leichter wird, nimm dieses Goldstück. Du kannst dir dafür etwas zu essen und bessere Kleidung kaufen."

Sie gab Mark eine Münze, die der Bursche, überrascht von so viel Großmut, mit unterwürfiger Geste und einem "Dankeschön, vielen tausend Dank" entgegennahm. Dann klopfte sie Eschno zum Zeichen des Aufbruchs gegen die Flanke und sprengte in schnellem Galopp davon.

Mark entpuppt sich

An den Hof zurückgekehrt, rief Stella ihre Ratgeber und wichtigsten Diener zusammen. Sie berichtete von ihrer Reise und erteilte die notwendigen Anweisungen, damit hilfsbereite Menschen in ihrem Land belobigt, bedürftige unterstützt werden konnten. Sie schilderte auch den Vorfall mit Mark und ordnete Ermittlungen an, um die Schuldigen zu finden. Als alles in Gang gebracht war, gab sie sich erst einmal der verdienten Erholung hin.

Eschno allerdings hatte Zweifel an der Darstellung des Burschen. Zwar konnte er nicht leugnen, dass Mark am Baum gehangen hatte, in einer Lage, die unzweideutig schien, doch etwas an dem jungen Mann gefiel ihm nicht. Wenn er an den Hof kommt, werde ich ihn im Auge behalten, dachte das Pferd.

Tatsächlich tauchte Mark wenige Tage später in neuer, aber nicht protziger Kleidung in der Stadt auf und bewarb sich bei Hof. Er tat sehr verwundert, als er in Stella die Frau wiedererkannte, die ihn in jenem schlimmen Augenblick von seinen Qualen erlöst hatte, doch dem Pferd schien dieses Erstaunen gespielt. Bestimmt hatte der Bursche schon damals begriffen, wen er vor sich hatte.

Stella dagegen vertraute Marks Worten und bot ihm zunächst eine niedere Arbeit an. Da er sich jedoch in der Küche und im Garten tollpatschig anstellte, beschäftigte sie ihn schließlich in ihrer Bibliothek. Denn obwohl der Bursche, wie er erzählt hatte, aus armem Haus stammte, konnte er lesen und schreiben, kannte sich recht gut in der Literatur des Rosa Landes aus. Am Ende machte ihn Stella, die noch nie einen so wissbegierigen und tüchtigen Bibliothekar gehabt hatte, sogar zu ihrem Sekretär.

Nur ein Raum war Mark, wie auch allen anderen Dienern, verboten: die Kammer, in der die Zauberbücher lagen. Sie war mit fünf Schlössern gesichert, die Schlüssel verwahrte Stella in ihrem Zimmer auf. Im Grunde befürchtete sie freilich nicht, dass jemand in die Zauberkammer eindringen könnte, denn erstens hatte das seit Jahrhunderten kein Mensch gewagt und zweitens genügte es nicht, die Zauberformeln zu lesen. Sie wirkten nämlich nur, wenn sie auf bestimmte Art miteinander verknüpft wurden. So bedeutete zum Beispiel "Kifax kito horitek" für sich allein genommen genauso wenig wie "Korani dreimal kataprista". Sagte man aber: "Kifax dreimal kataprista, horitek korani kito", so konnte, wer dazu einen Zauberstab schwang, aus einer Katze einen Tiger machen oder umgekehrt. Bei "Kataprista kito kifax" wurde aus einem Baumstamm ein Krokodil, bei "Dreimal horitek korani" aus Sand beste Schlagsahne und so weiter.

All diese Kombinationen hatte die Fee im Kopf, denn als Kind hatte sie die Formeln endlos pauken müssen. Nur wenn sie jetzt, da sie schon älter war, etwas vergaß, stieg sie in den untersten Keller hinab, wo, wiederum hinter fünf Schlössern, neben einem Ersatzzauberstab die Pergamentrolle lag, auf der alles festgehalten war.

Aus diesen Gründen schien es ganz unmöglich, dass ein Unbefugter sich ihre Zauberkunst aneignete, und das war auch gut so. Was hätte ein Bösewicht anrichten können, wenn ihm der Trick gelungen wäre, jegliches Brot in Stein zu verwandeln oder die Nachbarn in Fledermäuse. Einmal, vor Jahren, hatte Stella einen Lehrling gehabt, einen gewissen Pet Riva, und obwohl der ein guter Mensch gewesen war, hatte schon er eine Menge Schaden angerichtet. So leid es der Fee damals getan hatte, sie musste ihn vorzeitig aus der Lehre entlassen. Er war dann Fischer geworden und half den Leuten bisweilen durch das, was bei ihm an Zauberei hängen geblieben war. Aber noch jetzt verwechselte er die Formeln und man war nie sicher, ob mit seiner Hilfe nicht alles noch schlimmer wurde.

Der Hengst Eschno, als er eines Tages auf der Wiese einem Kaninchen mit Schweinerüssel begegnete, eine Missbildung, unter der das kleine Tier sehr litt, erinnerte sich auch sofort an jenen Pet und dachte, er sei ins Rosa Land zurückgekehrt. Doch das Kaninchen versicherte ihm, kein alter Fischer habe ihm das angehext, sondern ein junger, gut gekleideter Mann. An der Beschreibung erkannte das Pferd unschwer Stellas Sekretär Mark wieder. Der Mann heuchelt Unterwürfigkeit und Treue, dachte Eschno, doch er hat etwas ganz anderes im Sinn. Er plant irgendeine Gemeinheit. Offenbar kennt er einige Zaubertricks. Warum hat er uns nie davon erzählt?

Ein paar Tage später verwandelten sich einige Apfelbäume im Schlossgarten in fleischfressende Pflanzen, denen mehrere Vögel und sogar eine Katze zum Opfer fielen. Niemand begriff, wie das hatte geschehen können, lediglich Eschno hegte einen Verdacht. Aber diesmal fehlten alle Beweise und so wagte es das Pferd noch nicht, Stellas Vertrauten anzuklagen. Die Fee wiederum begnügte sich damit, die Bäume zurückzuverwandeln. Auf den Gedanken, dass Mark die Schlüssel sowohl zur geheimen Kammer als auch zum untersten Keller entwendet und nachgemacht hatte, kamen beide nicht.

Doch genauso verhielt es sich. Mark war keineswegs der freundliche und harmlose junge Mann, für den er sich ausgab. Zwar stimmte, dass er aus einer kinderreichen Familie stammte, doch die hatte auf vieles verzichtet, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Er hatte es gedankt, indem er immer mehr Geld verlangte und sich zu guter Letzt mit den wenigen Ersparnissen der Eltern aus dem Staub machte. Danach war es ihm freilich nicht besonders gut gegangen. Als Spieler und Betrüger hatte er sich recht und schlecht durchgeschlagen und dafür mehr als einmal Prügel bezogen.

Dann hatte er von Stellas Zauberkünsten gehört und einen teuflischen Plan gefasst. Wenn es ihm gelang, nur einen Teil ihrer Tricks zu erlernen, würde er bestimmt reich und mächtig werden, sich jeden Wunsch erfüllen können. Am besten wäre es, die Fee ganz auszuschalten, damit sie ihm nicht in die Quere kommen oder ihn gar bestrafen konnte.

Mark wusste, dass es nicht leicht sein würde, an Stella heranzukommen, deshalb ließ er sich etwas Besonderes einfallen. Nachdem er gehört hatte, dass die Fee öfter über Land ritt, spionierte er nicht nur ihre Wege aus, er opferte auch seine letzten Kupfermünzen, damit ihn ein ehemaliger Kumpan genau in dem Augenblick verkehrt herum am Baum festband, da sie in der Nähe vorbeikam. Gewandt, wie er war, hätte er sich durchaus selbst befreien können, wäre der Plan misslungen.

Doch alles klappte und dem gewitzten Gauner fiel es nicht schwer, die Arglosigkeit der Fee auszunutzen. Zu Hilfe kam ihm, dass sie sich gerade auf eine wichtige Staatsangelegenheit konzentrieren musste. Ein Jubiläum nahte; vor tausend Jahren war die Hauptstadt des Rosa Landes gegründet worden und Stella wollte ein großes Fest ausrichten. Sie war ganz damit beschäftigt, all ihre Freunde im Zauberland: den Weisen Scheuch, den Eisernen Holzfäller, den Tapferen Löwen, das Mädchen Jessica von jenseits der Weltumspannenden Berge und viele andere einzuladen. Mark bekam die entsprechenden Briefe diktiert, so dass er über alles Bescheid wusste.

Das Fest erforderte viel Vorbereitung und um manches musste sich die Fee selbst kümmern. Deshalb war sie häufig mit und ohne Eschno unterwegs, bestellte Dekorationen, prüfte neue Stoffe, verhandelte über die Abfolge des Festmahls und die Unterbringung der Gäste.

Mark nutzte ihre Abwesenheit aus, um sich in aller Ruhe mit den Zauberbüchern zu befassen. Zwar wagte er es nicht, sie zu stehlen - man hätte es merken können, bevor er die wunderbare Feenkunst beherrschte -, doch er schrieb alles auf, was ihm wichtig schien. Insbesondere kopierte er die Hinweise auf der Pergamentrolle.

Zwischendurch machte er sich mit großer Heimlichkeit ans Experimentieren. Er versuchte Wasser in Wein zu verwandeln, Baumäste in Würmer und Schlangen. Manches ging zunächst schief. Einmal hexte er eine Spinne herbei, die ihn ins Bein biss, so dass er drei Tage lang nur humpeln konnte, und als er ein Kaninchen zum Fuchs machen wollte, wuchs dem Mümmelmann stattdessen ein Rüssel. Anfangs amüsierte sich Stellas Sekretär köstlich über das Tier, dem durch diese ungewohnte Belastung ständig der Kopf nach unten rutschte, doch dann begriff er, wie weit er noch von seinem Ziel entfernt war. Außerdem hatte er nicht mehr viel Zeit. Wenn es dem Hengst Eschno, der ihm von Beginn an unfreundlich begegnet war, erst gelang, die Fee gegen ihn einzunehmen, konnte er seine Pläne vergessen.

Ich muss das argwöhnische Ross aus dem Weg schaffen, sagte sich Mark, aber so, dass niemand einen Verdacht schöpft. Ich darf es weder versteinern noch in ein anderes Tier verwandeln, denn im zweiten Fall könnte es mich verraten, im ersten wäre es eine Art Denkmal und würde Fragen auslösen. Am besten, ich entledige mich seiner ganz. Ich muss nur überlegen, wie ich es machen soll.

Eschnos Verschwinden

Eines Morgens, als Eschno ruhig auf der Weide graste, näherte Mark sich ihm von hinten, ununterbrochen die schreckliche Formel: "Kadelera Hexenohr, stirb, verdirb im tiefsten Moor" vor sich hin murmelnd. Es war ein Zauberspruch, den Stella einst gleichfalls hatte lernen müssen, den sie aber sofort wieder vergessen hatte. In seinen wichtigen Teilen war er dem grusligsten ihrer Spukbücher entnommen.

Der Sekretär machte dabei sein freundlichstes Gesicht. Falls der Hengst sich ihm zuwandte, wollte er ihn nicht durch eine finstere Miene verschrecken.

Das Pferd hatte ihn allerdings schon von weitem entdeckt und sprengte, noch bevor Mark etwas sagen konnte, unlustig davon. Es wollte möglichst wenig mit diesem Mann zu tun haben.

"Bleib stehen, wir zwei müssen miteinander reden", rief Stellas Sekretär. Sein Spruch wirkte nur aus der Nähe.

"Du hext den Kaninchen Rüssel an, du verwandelst Apfelbäume in fleischfressende Pflanzen. Ich werde nicht mit dir reden, sondern mit meiner Herrin. Du hast dich in ihr Vertrauen eingeschlichen, doch ich werde ihr die Augen öffnen." Eschno hielt sich vorsichtig in einiger Entfernung.

"Wer hat dir nur eingeredet, dass ich hinter diesen Gemeinheiten stecke", erwiderte Mark scheinheilig. "Ich verstehe doch gar nichts vom Zaubern. Da sind fremde und finstere Kräfte am Werk, die wir gemeinsam bekämpfen sollten."

"Fremde und finstere Kräfte? Dich hat das Rüsselkaninchen beschuldigt, also versuch nicht, dich herauszureden."

"Das arme Tier ist durch seine Verwandlung ganz wirr im Kopf", rief Mark. "Glaub mir, ich bin unschuldig. Denkst du, ich würde durch derlei Kinkerlitzchen meine gute Stellung bei der Fee aufs Spiel setzen?"

Eschno ließ sich durch solcherlei Reden nicht täuschen, kam aber etwas näher. Und vielleicht wäre er trotz allem in die Falle gegangen, hätte in diesem Augenblick nicht der Koch nach Mark gerufen. Er wollte sich mit dem Vertrauten der Fee über das Mittagsmenü beraten.

Unwillig ließ Mark von seinem Vorhaben ab - er musste auf eine andere Gelegenheit warten. Dich krieg ich schon noch, dachte er. Da Eschno sich nicht gleich entschließen konnte, mit Stella über den Fall zu sprechen, sondern erst noch Beweise sammeln wollte, hatte er Zeit, einen neuen Anlauf zu nehmen. Zupass kam ihm dabei, dass unvermutet jener Kumpan im Schloss auftauchte, der ihn damals am Baum festgebunden hatte. Er hieß Nedwin und hatte die Belohnung für seine Tat längst durch die Gurgel gejagt. Nun verlangte es ihn nach mehr. Schließlich bekleidete sein Bekannter eine hohe Stellung am Hof.

Mark war dieser Besuch zunächst gar nicht recht.

"Bist du verrückt, hier zu erscheinen", fuhr er Nedwin an. "Wenn man dich bei mir sieht, könnte man glauben, ich würde mit sonstwem verkehren."

"Mit sonstwem? Spricht man so von alten Freunden? Wenn ich bedenke, was du mir zu verdanken hast."

"Na gut, du hast mir einen Gefallen getan", gab Mark zu. "Aber das Risiko lag ganz bei mir und ich habe dich bezahlt. Was willst du noch?"

Nedwin verzog grinsend sein breites Gesicht.

"Bezahlt? Dass ich nicht lache. Hätte ich gewusst, welche Karriere du durch meine Hilfe machst, hätte ich eine ganz andere Belohnung gefordert. Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend."

"Du willst Geld?", fragte Mark.

"Einige Goldfüchse musst du schon springen lassen."

Mark kam ein Gedanke. Dieser unverschämte Gauner würde sich wundern. Doch vorher konnte man ihn vielleicht für die eigenen Pläne einspannen. Er murmelte:

"In Ordnung, ich will nicht knausrig sein. Der Beutel mit Gold hier soll dir gehören, wenn du mir einen weiteren Dienst erweist. Einen bescheidenen Dienst, der nur ein bisschen Verschwiegenheit erfordert." Er klimperte mit einem kleinen Lederbeutel voller Münzen.

"Verschwiegenheit, das klingt nach einem guten Geschäft." Der Kumpan grinste erneut. "Was soll ich tun?"

Mark senkte die Stimme. Den Beutel als Anzahlung opfernd, erklärte er Nedwin flüsternd, was zu machen war.

Am nächsten Morgen - Stella war mit Staatsangelegenheiten beschäftigt - stapfte ein Bauer den Weg zur Wiese entlang, auf der sich Eschno tummelte. Es war Nedwin, der tat, als sei er auf dem Nachhauseweg. Er trug schwer an einem Korb voller weißer Zuckerblumen.

Der Hengst näherte sich neugierig, denn Zuckerblumen, vor allem die weißen, die herrlich süß schmeckten, gehörten zu seiner Lieblingsnahrung.

Nedwin setzte den Korb ab und wischte sich die Stirn.

"Was für eine Last", stöhnte er. "Am liebsten möchte ich den Korb auf der Stelle ausschütten."

"Das würden dir deine Tiere zu Hause gewiss verübeln", sagte Eschno. "So ein prächtiges Futter gibt es nicht alle Tage."

"Auf meiner Wiese wächst genug davon", behauptete Nedwin. "Meine Karnickel und der Esel haben es schon über. Wenn sie dagegen das saftige Grün auf deiner Wiese sehen würden ..."

Der Hengst wunderte sich.

"Wieso lässt du nicht deinen Esel den Korb tragen?", wollte er wissen.

"Mein Esel ... äh ...", Nedwin begann zu stottern. "Er hinkt, hat sich einen Dorn eingetreten", fügte er hinzu.

Eschno überlegte.

"Hast du es noch weit?", fragte er.

"Bis hinter den Wald." Nedwin seufzte.

"Ich schlage dir einen Handel vor", sagte das Pferd. "Wenn du mir einen Teil deiner Zuckerblumen überlässt, trage ich dir den Korb bis hinter den Wald. Außerdem könntest du dein Futter mit dem saftigen Grün meiner Wiese auffüllen."

Nedwin hatte nur auf ein solches Angebot gewartet.

"Das würdest du für mich tun?", vergewisserte er sich scheinheilig.

"Sonst würde ich's ja nicht anbieten. Im Gegensatz zu deinen Tieren mag ich diese Blumen sehr."

"Wenn es so ist, bedien dich ruhig", erwiderte Nedwin und kippte den Korb zur Hälfte aus.

Eschno konnte sich nicht länger zurückhalten, er langte kräftig zu. Während Nedwin vorgab, Gras für seine Kaninchen zu rupfen, schnurpste das Pferd mit vollem Maul. Unvermittelt aber wurde es schrecklich müde. Die Beine knickten ihm ein und es sank betäubt zu Boden.

In diesem Moment trat Mark in Erscheinung, der sich den miesen Trick ausgedacht hatte. Den Ersatzzauberstab in der Hand, entwendet aus Stellas Keller, kam er hinter einem Gebüsch hervor.

"Na, wie hab ich das gemacht", rief ihm Nedwin entgegen. "Wenn das kein wirksames Schlafmittel ist! Eine ganze Tüte voll habe ich in das Futter gemischt."

"Schon gut, ich bin mit dir zufrieden", erwiderte Mark, "aber stör mich jetzt nicht, sonst vergesse ich die Formel." Und das Pferd mit dem Stab berührend, murmelte er seinen schrecklichen Spruch: "Kadelera Hexenohr, stirb, verdirb im tiefsten Moor."

Eine Flamme zuckte auf, schwarzer Rauch hüllte die Gruppe ein und als er sich verzog, war der Hengst verschwunden. Nur die beiden Männer standen noch am Wiesenrand, neben dem halbvollen Korb und dem Haufen ausgekippter Zuckerblumen.

"Alle Achtung", sagte Nedwin, "das hast du einmalig sauber hingekriegt."

"Wir sind noch nicht fertig. Wir müssen noch die Spuren beseitigen. Sammle das Futter wieder ein und trage es in den Wald."

"Kommandiere mich nicht so herum. Erst will ich mehr Geld."

"Du hast deine Anzahlung bekommen", sagte der Sekretär ärgerlich. "Erst wenn die Arbeit ganz getan ist, erhältst du den Rest."