Der Schatz der Smaragdenbienen - Klaus Möckel - E-Book

Der Schatz der Smaragdenbienen E-Book

Klaus Möckel

4,9

Beschreibung

Spannende Ereignisse und aufregende Abenteuer zeichnen diesen dritten Band der Möckelschen Reihe aus. Das hängt mit einem Schatz zusammen, der, tief in den Wäldern des Zauberlandes verborgen, vom Volk der Smaragdenbienen bewacht wird. Sollte der Schatz verlorengehen, muss das Bienenvolk sterben. Die Großohr-Brüder, so genannt, weil der eine rechts, der andere links einen riesigen Hörlöffel besitzt, brechen in den Urwald auf, um den Schatz zu rauben. Trotz heftiger Schlappen beim Zusammentreffen mit schlagkräftigen Bäumen, gläsernen Fischen, angriffslustigen Affen und der gewitzten Spinne Minni, gelangen sie ans Ziel. Die Bienen mit ihrer Königin, einer Fee, wehren sich zwar, sind aber bald dem Tod nahe. Nur einen Aufschub können sie noch erreichen. Die Autoren ziehen alle Register, um die Urwüchsigkeit und Schönheit des Dschungels für ihre Darstellung zu nutzen. Da sich die Spitzbuben bei ihrem Raubzug auf den Weisen Scheuch berufen, hat dieser doppelten Grund, mit seinen Freunden, dem Löwen, dem Holzfäller, Prinzessin Betty, Jessica und dem Elefanten Dickhaut, den Bienen zu Hilfe zu eilen. Eine waghalsige Ballonfahrt, Begegnungen mit einem Irrwisch, mit Schattenraben und dem Nebelungeheuer führen zu überraschenden Zwischenfällen, und so steht die Rettung der prächtigen Bienen bis zuletzt auf der Kippe. "Bachnow erzeugt die kribbelnde Spannung eines Goldsucher-Abenteuers und beweist ein ums andere Mal, wie viele Ideen in ihm stecken", schrieb die Rezensentin Karolin Kullmann über dieses Buch der Autoren. Dieses Buch, 1998 bei LeiV (Leipzig) mit Illustrationen von Hans-Eberhard Ernst unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ erschienen, ist das dritte von mehreren Büchern, die an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen. "Endlich befindet man sich wieder in Gefilden, die nicht mehr futuristisch oder abstrakt anmuten", hieß es damals in Karolin Kullmanns Rezension. INHALT: Erster Teil: Die Brüder Großohr Schniffs Beobachtung Der Plan der Großohr-Brüder Die Trompetenschlucht Die betrunkene Spinne Der Bach der Gläsernen Fische Am Affenhügel Der Schatz der Smaragdenbienen Gefangen im Turm Zweiter Teil: Freunde unterwegs Der Angriff der Bienen Eine Hilfsaktion wird eingeleitet Der Löwe als Artist Der Holzfäller macht sich auf den Weg Eine Ballonreise Der Zaubertrog Die Fragen des Holzfällers Ein unverhofftes Wiedersehen Das Nebelungeheuer Dickhaut befreit die Freunde Dritter Teil: Miruandas Reich Die Großohr-Brüder in der Klemme

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Impressum

Aljonna und Klaus Möckel

Der Schatz der Smaragdenbienen

Band 3 der Nikolai-Bachnow-Bücher

ISBN 978-3-86394-120-8 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ 1998 bei LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH.

Illustrationen: Hans-Eberhard Ernst

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Vorwort

Als Alexander Wolkow Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Bücher über das Zauberland jenseits der Weltumspannenden Berge veröffentlichte, in denen er sich am berühmten "Zauberer von Oz" des Amerikaners Lyman Frank Baum orientierte, konnte er nicht ahnen, welchen Erfolg er damit haben würde. Nicht nur in der damaligen Sowjetunion fanden die Geschichten vom Mädchen Elli, dem Weisen Scheuch, dem Tapferen Löwen und dem Eisernen Holzfäller zahlreiche Leser, sie wurden auch in viele Sprachen übersetzt. In der DDR wuchsen Generationen von Kindern mit den sympathischen Helden auf, und die Wolkow-Bücher überlebten schließlich sogar die Wende. 1992 wurde der "Zauberer der Smaragdenstadt" im LeiV Verlag Leipzig neu herausgebracht und stand, genau wie einige weitere Bücher der Märchenreihe, in den Bestsellerlisten für Kinderliteratur lange an vorderster Stelle.

Es ist nicht erstaunlich, dass sich in Russland und anderswo bald Autoren fanden, die an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Nach einigen Experimenten mit russischen Schriftstellern, die, den neuen Zeiten Rechnung tragend, die Wolkowschen Gestalten zum Teil auf ferne Atolle und ins Weltall schickten, kam der Verlag auf die Idee, wieder die ursprüngliche Wirkungsstätte in den Mittelpunkt zu rücken. Klaus und Aljonna Möckel, die sich als Schriftsteller bzw. Übersetzerin in der DDR einen Namen gemacht hatten, übernahmen unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow (Nikolai als russische Version von Klaus; Bachnow nach dem Mädchennamen Bach der Übersetzerin), die Aufgabe, weitere Geschichten für die sympathischen Helden zu erfinden.

Natürlich sollten die Leser – Kinder und Erwachsene, die diese Bücher früher verschlungen und inzwischen selbst Kinder hatten - den Bezug zum bisherigen Geschehen herstellen bzw. den Übergang nachvollziehen können. Neue Gestalten waren schon in den letzten Wolkow-Bänden aufgetaucht, Söhne und Nichten der ursprünglichen Heldin Elli bestanden gefahrvolle Abenteuer, und in drei Bänden des Nachfolge-Autors Kusnezow wirkten weitere Helden mit. Doch das ursprüngliche Zauberland rückte dadurch in den Hintergrund, war kaum noch fassbar, das Geschehen oft verwirrend und zu abstrakt dargestellt.

Um diese Situation, die von vielen Lesern als unglücklich empfunden wurde, zu beenden und gleichzeitig die wichtigsten Verbindungen fortzuführen, konzentrierten sich Aljonna und Klaus Möckel erneut auf die Grundzüge der Zauberland-Serie. Sie hielten, zumindest in den ersten Bänden, an einigen der neueren Figuren wie dem Kapitän Charlie oder Chris Tall, Ellis Sohn, fest, stellten aber die vertrauten Gestalten wieder mehr ins Zentrum. Mit der Zeit formte sich ein neues Ensemble, in dem neben dem Scheuch, dem Löwen und dem Holzfäller besonders Goodwins Enkelin Jessica und die Puppe Prinzessin Betty, die der Scheuch zur Frau genommen hatte, herausragten, zu dem aber auch witzige Gestalten wie der Hobbyzauberer Pet Riva, die starke Spinne Minni oder der schlaue Mäuserich Larry Katzenschreck gehörten.

1996 kam es zur Veröffentlichung des ersten Bachnow/Möckel-Bandes "In den Fängen des Seemonsters", in dem sich die Bewohner des Zauberlandes mit einer Verschmutzung im Muschelmeer, dem Reich der Fee Belldora, auseinandersetzen müssen. "Manches hat sich im Zauberland verändert", schrieb seinerzeit die Kritikerin Karolin Kullmann im Internet, "aber dennoch hat man von der ersten Seite an das Gefühl, wieder im wundervollen Märchenreich zu sein ... Mit dem Autor Nikolai Bachnow, der von nun an das Schreiben neuer Geschichten übernimmt, hat die Reihe viel dazu gewonnen." Und die Rezensentin, die auch zu den späteren Büchern Kritiken verfasste, sprach am Ende die Hoffnung aus, "dass auch die Nachfolger mithalten können".

Von dem Autorenpaar entstanden in den Jahren 1996 bis 2003 acht Bände, die nun auch digital vorliegen. Aljonna und Klaus Möckel hatten sich vorgenommen, gut verständlich, spannend, mit Fantasie und Humor zu erzählen, so wie es für Kinder (und Erwachsene) sein sollte. Der Leser mag nun selbst urteilen, ob sich die Hoffnung der Kritikerin erfüllt hat.

Erster Teil: Die Brüder Großohr

Schniffs Beobachtung

Das Wildschweinjunge Schniff rannte eilig den Pfad zur Lichtung entlang. Vor einem Jahr etwa hatten ihm die Säbelzahntiger Mutter und Geschwister umgebracht. Damals war der Kleine sehr unglücklich gewesen, hatte Tag und Nacht geweint. Doch inzwischen hatte er neuen Mut geschöpft. Die bösartigen Räuber waren vom Tapferen Löwen verjagt und bestraft, Schniff selbst aber war ins Rudel einer Tante aufgenommen worden. Dort hatte er sich gut eingelebt.

An diesem Morgen hatte sich Schniff bereits am Bach umgesehen und ein herrliches Schlammbad in der schwarzen Suhle genommen. Nun wollte er dem Rudel hinterher, zur Lichtung, wo alle ein kräftiges Eichelfrühstück erwartete.

Es war noch früh und die Sonne hatte Mühe, die Nebelschleier über dem Gesträusch zu zerteilen. Tautropfen hingen in den Zweigen und Spinnweben, kitzelten Schniff an der Nase. Der Wald lag ruhig da, nur fröhliches Vogelgezwitscher war ringsum zu hören. Doch plötzlich knackte es laut in der Nähe, so als ob jemand auf einen Ast getreten wäre. Gleich darauf ertönten Husten und menschliche Schritte.

Obwohl Schniff noch niemanden sah, duckte er sich ins Gebüsch. Zwar fürchtete er die Menschen weniger als zum Beispiel den Wolf oder eben die raubgierigen Säbelzahntiger, aber man konnte nie wissen. Mitunter waren die Käuer und Zwinkerer doch darauf aus, einen saftigen Braten für die Pfanne zu erjagen.

Die Schritte wurden lauter und zwei Gestalten traten aus dem Dunst. Sie waren kräftig und in eine derbe Kluft gehüllt - es konnten durchaus Jäger oder Fallensteller sein. Und tatsächlich, der Verdacht bestätigte sich. Als die zwei näherkamen, erkannte das Wildschwein sie. Es waren die Brüder Großohr, ziemlich ungehobelte Gesellen. Jedermann in der Gegend wusste über die beiden Bescheid, fürchtete ihre Hinterlist. Vor allem Hasen, Rebhühner und Rehe gingen ihnen aus dem Weg. Auch Schniffs Tante hatte ihre Jungen schon öfter vor den Brüdern gewarnt:

"Wenn ihr denen in die Hände fallt, findet ihr euch schneller am Bratspieß wieder, als die Sonne abends hinter die Bäume rutscht."

Nach solchen Worten hatte Schniff die Sonne abends besonders aufmerksam beobachtet und erschrocken festgestellt, dass der rotgoldene Ball wirklich ruck, zuck! hinter den Bäumen verschwand. Bei seinem Cousin Schnuff, der ein Jahr älter war, hatte er sich dann nach diesem Bratspieß erkundigt. War das ein grässliches Instrument! Ein spitzer Eisenstab, an dem man überm Feuer geröstet wurde! Etwas so Schreckliches mochte sich das Wildschweinjunge gar nicht vorstellen.

Die Brüder Großohr stapften schwer den Weg entlang, ohne auf ihre Umgebung zu achten. Sie schienen einem ganz bestimmten Ziel zuzustreben. Ihren Namen verdankten sie übrigens ihren wirklich riesigen Hörlöffeln. Das heißt - ein Ohr war bei ihnen normal, unterschied sich in nichts von denen anderer Leute. Das zweite aber war geradezu unförmig. Bill hatte rechts einen Lauscher, groß wie eine Untertasse, Joe links. Daran erkannte man sie schon von weitem.

Schniff verhielt sich mucksmäuschenstill. Er war froh, nicht von den beiden beachtet zu werden, verfolgte aber trotzdem jede ihrer Bewegungen. Was mochten die Brüder vorhaben? Einen Bratspieß, wie ihn Schnuff beschrieben hatte, konnte er zum Glück nicht bei ihnen entdecken. Stattdessen führten sie Rucksäcke, Äxte und Spaten mit sich, wollten vielleicht Bäume fällen oder eine Grube ausheben. Vor allem aber trugen sie jeder einen engmaschigen Käfig auf der Schulter. Ob sie Vögel fangen wollten? Schniff sah genauer hin und bemerkte, dass die Käfige ohne Boden waren. Damit konnte er nun allerdings gar nichts anfangen.

Inzwischen waren die Brüder an ihm vorbeigestapft und entfernten sich in Richtung des dichteren Waldes. Schniff atmete erleichtert auf. Er blieb aber noch ein Weilchen im Versteck. Besser war besser. Erst als Joe und Bill zwischen den Bäumen verschwunden waren, kroch der Frischling aus dem Gebüsch und setzte sich wieder in Trab. Ich muss Schnuff fragen, was das für Käfige sind, die keinen Boden brauchen, nahm er sich vor und beeilte sich, das Rudel einzuholen. Das gelang ihm freilich erst auf der Lichtung. Dort jedoch, angesichts all der wunderbaren Eicheln und Kastanien im Gras, vergaß Schniff die Begegnung mit den Großohr-Brüdern schnell. Er sollte sich erst eine ganze Weile später wieder daran erinnern.

Der Plan der Großohr-Brüder

Bill und Joe kümmerten sich weder um Wildschweine noch um Hasen, Rehe oder das Vogelgezwitscher in den Zweigen. Sie schritten kräftig aus, in Richtung Südwest, dorthin, wo der Urwald erst richtig begann. Vier Stunden waren sie bereits unterwegs, doch ihnen war klar, dass sie den anstrengendsten Teil ihres Fußmarsches noch vor sich hatten.

"Mir wird langsam warm, wir hätten uns nicht so dick anziehen sollen", sagte nach einer Weile Joe, der jüngere der beiden, und blieb stehen.

"Du weißt, dass wir uns bei dem, was wir vorhaben, schützen müssen", erwiderte Bill. "Die Sache könnte sonst böse für uns enden."

"Stimmt schon, aber bis zum Ziel vergeht noch einige Zeit. Vorausgesetzt, wir sind überhaupt auf dem richtigen Weg."

Nun verhielt Bill gleichfalls den Schritt.

"Natürlich sind wir auf dem richtigen Weg. Wir sind am Mohnfeld abgebogen, haben den Kupferwald und das Tal der Fragen hinter uns gelassen und waren gerade bei den Dunklen Fichten. Jetzt durchqueren wir noch die Schlucht und folgen dann einfach dem Bach der Gläsernen Fische."

"Und das alles ergibt sich aus dem Plan, den du Einauge abgenommen hast?", fragte Joe.

"Aus dem Plan und aus seinem Geschwätz, als er betrunken war. Das habe ich dir doch schon dreimal erzählt. Erst habe ich ihn beim Kartenspiel gewinnen lassen, dann mit Schnaps traktiert. Er ist schon alt und verträgt nicht mehr viel. Als er unterm Tisch lag, habe ich seine Wohnung durchsucht. Er hatte die Karte innen im Kleiderschrank angezweckt."

"Innen im Schrank? Ganz schön raffiniert", brummte Joe.

"Nicht raffiniert genug." Wie um seinen Triumph noch einmal auszukosten, griff Bill in die Tasche seiner Lederjacke und holte ein vergilbtes Blatt Papier hervor. Er faltete es auseinander und tippte mit der Kuppe seines dicken Zeigefingers erst auf eine blau gezeichnete, dann auf eine rot markierte Stelle.

"Hier an diesem Punkt sind wir ungefähr und dort müssen wir hin. Dort auf dem Hügel liegt der Schatz."

Joe nahm die Gelegenheit beim Schopf, eine Pause zu machen. Er warf sein Gepäck auf die Erde: einen Sack mit Gerät und Proviant, einen Spaten und den Käfig ohne Boden, über den sich Schniff so gewundert hatte. Dann trat er zu seinem Bruder.

"Und wo ist dieser Bach?", wollte er wissen.

"Das muss die gestrichelte Linie hier sein. Einauge hat behauptet, er führe direkt zu den Bienen. Nur den Affenhügel muss man noch hinauf." Bill schien nun gleichfalls zu einer Pause bereit. Auch er legte seinen Rucksack, Käfig, Spaten und Axt ab.

Sie setzten sich auf einen Baumstamm, der am Boden lag, und Joe holte Proviant aus einem Beutel. In der einen Hand einen Brotkanten, in der anderen eine Blutwurst, biss er kräftig ab. Bill entkorkte eine Weinflasche.

"Na gut, stärken wir uns noch mal, bevor es ernst wird", sagte er.

"Warum hat Einauge den Schatz eigentlich nicht selber gehoben?", fragte Joe.

"Warum, warum. Ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht. Ich hab es dir ja schon erklärt, die Bienen geben nicht freiwillig heraus, was sie seit altersher bewachen. Sie sind gefährlich, haben bereits mehr als einen Mann totgestochen, der versuchte, das Gold und die Edelsteine auszugraben. Vor langer Zeit muss irgendeine Fee sie beauftragt haben, keinen an die Kostbarkeiten heranzulassen. Man sagt, dass sonst ihr Volk ausstirbt, das letzte der Smaragdenbienen im Zauberland. Einauge hätte es auch fast erwischt. Er ist nur knapp mit dem Leben davongekommen. Durch den ganzen Wald und bis hin zu seinem Haus haben die Bienen ihn verfolgt. Deshalb faselt er zwar dauernd von dem Schatz, hat es bisher aber kein zweites Mal gewagt, sich in den Urwald aufzumachen."

"Der Feigling", sagte Joe. "Dabei könnte er mit dem Gold und den Edelsteinen all seine Schulden bezahlen und sich ein schönes neues Haus bauen."

"Ein Schloss könnte er sich bauen und bis an sein Lebensende in Saus und Braus leben", ergänzte Bill.

"Einen Weinkeller könnte er anlegen und eine Räucherkammer. Ich darf gar nicht an die viele Blutwurst denken, die er für den Schatz bekäme."

"Ach was, Blutwurst", sagte Bill, "den besten Schinken würde er dafür kriegen, den knusprigsten Gänsebraten, die herrlichsten Kuchen und Torten, Wein und Schnaps der teuersten Sorten, alles, was sein Herz begehrt. Aber lassen wir jetzt den Jammerlappen. Wenn wir es ein bisschen geschickt anstellen, gehört all der Reichtum, dem er vergeblich nachgejagt ist, uns. Dann sind wir's, die keine Schulden mehr haben und sich ein Schloss mit einem Weinkeller bauen können. Mit einer Räucherkammer, groß genug, ein Heer Soldaten zu versorgen. Ob diese Smaragdenbienen aussterben oder nicht, kann uns egal sein. Wen interessiert so etwas schon. Die Wissenschaftler in der Smaragdenstadt vielleicht, mit diesem Scheuch an der Spitze, den sie den Weisen nennen, weil er ständig in Büchern liest. Oder den Tapferen Löwen, der sich angeblich für alle Tiere verantwortlich fühlt. Auf keinen Fall aber uns."

"Nein, uns muss das wirklich nicht kümmern", stimmte Joe zu, und seine Augen funkelten. "Da wären wir schön dumm. Dann brauchten wir ja diese Gitterhauben nicht, die man sich einfach über den Kopf stülpt. Man sieht alles, auch die Bienen, kann aber nicht von ihnen gestochen werden. Dazu noch unsere dicken Handschuhe und wir sind ganz und gar unverwundbar. So kommen wir bestimmt an den Schatz heran."

"Sag ich doch", erwiderte Bill und faltete den Plan zusammen. "Das Krämerpack aus unserem Dorf, das uns für Glücksspieler und Trunkenbolde hält, wird noch Augen machen." Er nahm einen letzten Schluck aus der bauchigen Flasche, biss noch einmal von der Wurst ab und schob die Karte in die Jacke zurück. Dann erhob er sich und nahm sein Gepäck wieder auf. Sein Bruder tat es ihm gleich. Ihre Ohren, vor allem die beiden großen, leuchteten dunkelrot vor freudiger Erwartung, als sie weitermarschierten.

Die Trompetenschlucht

Nach einer Weile erreichten sie die Schlucht, die Bill erwähnt hatte. Sie zog sich eng und düster zwischen kantigen Felswänden dahin.

"Nicht gerade gemütlich hier", murrte Joe, "da drin gibt es gewiss wilde Tiere."

Bills Hand ging zur Axt:

"Wir können uns ja verteidigen. Im übrigen bleibt uns keine Wahl. Um die Felsen herumzulaufen, würde viel zu viel Zeit kosten."

"Wenigstens ist es hier unten schattig", erklärte Joe und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Sie umgingen einen Granitblock, der schwarz vor ihnen aufragte, und drangen in die Schlucht ein. An knorrigen Bäumen hingen kürbisartige Früchte. Joe griff nach einer und riss sie ab, um sie auf ihre Essbarkeit zu prüfen. Doch urplötzlich packte ihn eine harte hölzerne Hand am Kragen und hob ihn in die Höhe. Wie eine Fliege im Netz zappelte der jüngere der Großohr-Brüder mit den Beinen in der Luft.

"Was ist das?", rief er erschrocken.

"Der Baum hat dich mit seinen Ästen gepackt", Bill stand vor Staunen und Schreck der Mund offen.

"Was hältst du da unten Maulaffen feil", rief Joe wütend, "hilf mir lieber!"

Bill zog die Axt aus dem Gürtel und rannte zu seinem Bruder. Er wollte auf die Zweige über seinem Kopf einschlagen, doch bevor er noch dazu kam, erhielt er von einem anderen Ast eine Ohrfeige, die ihn ins Moos schleuderte.

Bill sprang auf, wurde jedoch erneut niedergeworfen. Er hatte keine Chance. Endlich begriff er:

"Das sind Zauberbäume", schrie er. "So ähnlich wie im Kupferwald. Denen darf man nichts wegnehmen. Lass endlich den Kürbis los."

Tatsächlich hielt Joe noch immer die Frucht in den Händen. Er klammerte sich regelrecht daran fest. Nun ließ er sie fallen und sofort gab auch der Baum sein Opfer frei.

Joe plumpste wie ein Sack zur Erde, rappelte sich aber schnell wieder auf und rief:

"Das ist ja kreuzgefährlich. Komm bloß weg hier."

Auch Bill war inzwischen aufgestanden. Er tastete vorsichtig seinen Kopf ab, zum Glück schien alles in Ordnung zu sein. Lediglich ein paar Striemen auf der Wange brannten wie Feuer.

"Nur keine Panik", brummte er. "Wenn man diese Bäume in Ruhe lässt, tun sie einem nichts, da bin ich mir sicher."

"Ich ganz und gar nicht. Wer weiß, was hier noch für Überraschungen auf uns lauern. Wir sollten lieber umkehren." Joe wollte sofort den Rückzug antreten, doch sein Bruder hielt ihn mit eiserner Faust fest.

"Hiergeblieben. Willst du den Schatz oder nicht? Wer wird sich denn gleich beim ersten Hindernis in die Hose machen?"

"Ich gebe nicht auf", verteidigte sich Joe. "Wir laufen außen um diese Schlucht herum. Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es nicht an."

"Das ist mit ein, zwei Stunden nicht getan. Einauge ist damals auch durch die Schlucht gegangen und der war allein. Los jetzt, sei nicht so eine Memme."

Bill ließ den Bruder los und stapfte weiter. Nach kurzem Zögern folgte ihm Joe. Er wollte auf keinen Fall allein zurückbleiben.

Die Bäume standen nun ganz dicht, verhielten sich aber ruhig. Auch sonst passierte nichts mehr. Am Boden allerdings zeigten sich immer öfter Wasserlachen. Er war schwammig und schwankte.

Eine große Kröte platschte neben ihnen ins Wasser, ein schwarzer Vogel huschte mit keckerndem Gelächter durchs Gebüsch. Bill fuhr zusammen und achtete einen Augenblick lang nicht auf seinen Schritt. Er rutschte aus, stolperte und geriet bis zu den Knien in ein Schlammloch. Fluchend kroch er aus dem Morast.

"Hier ist kein Weiterkommen", schimpfte er nun selbst. "Versuchen wir es näher an der Felswand. Dort scheint es trockener zu sein."

An der Felswand versperrte ihnen Dornengestrüpp den Weg, doch dann fanden sie einen von Tieren getretenen Pfad, der in Windungen nach oben führte.

Sie quälten sich mit ihrem Gepäck hinauf und als sich das Dach der Bäume dunkelgrün unter ihnen ausbreitete, sagte Joe zufrieden:

"Jetzt können sie uns mal, diese Biester."

Da erschallte weiter vorn unvermutet ein Trompetenstoß.

Die Brüder erstarrten. Obwohl das Signal noch immer als Echo von den Felswänden widerhallte, sagte Joe:

"Hast du das gehört?"

"Natürlich. Ich bin doch nicht taub."

"Da ist jemand in der Schlucht, er bläst Trompete", stammelte Joe.

Als sollten seine Worte bestätigt werden, schmetterte der Bläser erneut los: Tätä, tätärätä, tä! In das Signal aber fiel diesmal ein zweites Instrument ein: Tätätätä, tätütä und ein drittes blies: Tätä, tütü, tätätä!

Die Brüder standen wie festgenagelt.

"Das ist nicht bloß eine Trompete", murmelte Bill, "das sind drei oder vier."

"Ein ganzes Orchester", ergänzte Joe. "Wie kommen die hierher? Da glaubt man sich allein in dieser verlassenen Gegend und dann so was."

Immer mehr Trompeten ertönten: helle, dunkle, schrille und gedämpfte. Zu entdecken waren die Bläser allerdings nicht.

"Ob die uns sehen können?", fragte Joe.

"Keine Ahnung. Verstecken wir uns vorsichtshalber dort hinter dem Felsvorsprung."

Ein kleines Plateau mit einem Granitblock bot ihnen Deckung und sie spähten nach unten.

"Vielleicht wollen sie uns warnen und den Schatz selber heben", sagte Joe.

Bill schüttelte den Kopf.

"Das glaubst du doch selber nicht. Dann würden sie bestimmt kein solches Konzert veranstalten. Nein, da steckt etwas anderes dahinter. Ich möchte bloß wissen, was."

Überraschend, wie die Trompeten zu blasen angefangen hatten, verstummten sie wieder. Die Brüder warteten noch ein Weilchen, dann kamen sie hinter ihrem Stein hervor. Der Pfad führte jetzt steil nach unten und sie starrten misstrauisch ins Baum- und Pflanzengewirr. Immer wieder Ausschau haltend, näherten sie sich Schritt für Schritt einer Biegung. Schließlich befanden sie sich auf einer baumlosen, mit hohem Farnkraut bestandenen Ebene.

Die Farne besaßen große, zu Trichtern geformte Blüten und nun wurde auch klar, wer hier Trompete gespielt hatte. Als wären die beiden Männer erwartet worden, begann das Konzert erneut. Eine lila Blüte fing damit an und blaue, rote, weiße Kelche stimmten ein. Eine rosa Trichterblume schmetterte ihren Fanfarenstoß so laut in Joes linkes Riesenohr, dass er sich vor Schreck auf den Hosenboden setzte. Der Kopf tat ihm weh von diesem Gedröhn.

Dennoch waren die beiden froh, dass sich das Geheimnis auf so natürliche Weise lüftete, und Bill begann sogar zu lachen, was ihm höchst selten passierte. Freilich kam sein Gelächter etwas zu früh. Plötzlich war ein Brausen in der Luft und ganze Wolken von Schmetterlingen senkten sich, die Sonne verdunkelnd, auf die Ebene herab.

Die Schmetterlinge waren wunderbar bunt und viel größer als gewöhnlich. Offenbar von den Trompetenklängen angelockt, stürzten sie sich in Scharen auf die Blüten. Dabei wirbelten sie derart durcheinander, erzeugten ein solches Gesumme und Gesirre, dass sie fast die Trompeten überstimmten. Bill und Joe waren im Nu von ihnen eingehüllt, erstickten nahezu. Sie bekamen die weichen Flügel ins Gesicht, die Fühler in die Augen und die kleineren Exemplare krochen ihnen in den Mund, vor allem aber in die großen Ohren. Hustend und wild um sich schlagend, gelang es ihnen schließlich, ihre Hauben überzustülpen. Dann hockten sie sich halb ohnmächtig auf den Boden und warteten ab.

Nach einer Weile kehrte wieder Ruhe ein. Bill bemerkte, dass die Schmetterlinge alle in die Blüten gekrochen waren. Einer mit leuchtend roten Punkten auf den Flügeln verließ seinen Trichter schon wieder und taumelte trunken davon.

Joe hob seine Haube an und spuckte angeekelt einen kleinen Falter aus.

"Was für ein Viehzeug", schimpfte er, "sie hätten mich fast umgebracht. Sie haben sich auf uns gestürzt, als wären wir mit Honig bekleckert."

"Sie haben sich nicht auf uns gestürzt - wir sind ihnen in die Quere gekommen", sagte Bill. "Wir sollten uns beeilen und diesen Ort verlassen. Die Farne locken die Riesenfalter anscheinend durch ihre Musik an. Die Insekten dürfen sich mit Nektar vollsaugen und nehmen dafür den Blütenstaub für andere Pflanzen mit. Ich vermute, dass in Kürze der nächste Schwarm eintrifft."

Joe raffte sein Gepäck zusammen:

"Bloß das nicht wieder", murrte er und setzte sich in Trab.

Im Laufschritt durcheilten sie die Ebene, die sich zum Glück nicht weit dehnte. Manchmal wuchsen die Farne vereinzelt, manchmal aber auch so dicht, dass sich die beiden mit der Axt einen Weg bahnen mussten. Dann flatterten die Schmetterlinge erschreckt auf und um ihre Köpfe herum.

"Dass ich die Gitterhauben einmal gegen Schmetterlinge einsetzen würde, hätte ich nicht gedacht", brummte Bill.

Sie hatten fast das Ende der Ebene erreicht, als die Farne erneut zu trompeten begannen. Diesmal näherte sich ihnen eine grünlich schimmernde Wolke, von der ein helles Sirren ausging. Joe sagte erstaunt:

"Das sind aber ganz andere Schmetterlinge." Er wollte die Haube abnehmen, um besser sehen zu können, doch sein Bruder hinderte ihn daran.

"Lass das Ding auf, das sind keine Schmetterlinge. Gleich wird unsere Kleidung eine erste Bewährungsprobe bestehen müssen."

Inzwischen war der Schwarm heran und Joe begriff. Bei diesen ungewöhnlich großen Insekten handelte es sich um Bienen. Sie sahen prächtig aus, ihr ganzer Körper war von grünlich schimmerndem Smaragdenstaub bedeckt. Ihre Augen waren goldgelb und der starke Stachel samtig braun.

"Sind das etwa die ...", flüsterte Joe beeindruckt und fast ehrfurchtsvoll.

"Die Smaragdenbienen? Ich hab noch keine gesehen, aber es wäre durchaus möglich. Schau nur, wie groß sie sind."

"Glücklicherweise nicht so groß wie die Schmetterlinge", sagte Joe.

Sie duckten sich, doch die Bienen beachteten sie gar nicht. Während die letzten Falter davonflatterten, verteilten sie sich auf die Trompetenblüten. Gespannt beobachteten die Großohr-Brüder, wie die Bienen nun ihrerseits in die Trichter krochen. Das Fanfarengedröhn hörte sofort auf.