Der Fluch von Abbington Hall - Ester D. Jones - E-Book

Der Fluch von Abbington Hall E-Book

Ester D. Jones

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Beschreibung

Ein uralter Fluch, der unmöglich zu brechen scheint
Ein mitreißender Liebesroman für alle Romantikerinnen

England, Sommer 1895: Dass Andrew, der Sohn des Earls of Linnley, sein Versprechen gegenüber der Bediensteten Gemma nicht hält, hat schwerwiegende Folgen für ihn und seine gesamte Familie.
Jahrhunderte später, in der Gegenwart: Die bevorstehende Heirat ihrer Schwester versetzt Elisa in Panik. Laut ihrer Großmutter liegt ein Fluch auf den Abbingtons und keine von ihnen soll jemals glücklich werden.
Um Schlimmeres zu verhindern, versucht Elisa alles, um die Hochzeit zum Platzen zu bringen, auch wenn dadurch ihre Beziehung zu ihrer Schwester zu zerbrechen droht. Und als wäre das nicht schon nervenaufreibend genug, stört auch noch der Cousin des Bräutigams Elisas Nachforschungen, weil er die Organisation der Brautentführung viel zu ernst nimmt.
Werden die beiden Schwestern es schaffen, dem Fluch zu entkommen – oder die Hoffnung auf die Liebe ihres Lebens für immer verlieren?

Erste Leserstimmen
„die Geschichte ist so wahnsinnig spannend … ich konnte sie gar nicht aus der Hand legen“
„Elisa und Katja sind ungleiche Schwestern, die ich sofort in Herz schloss“
„Klare Leseempfehlung!“
„Vorsicht, süchtig machend“
„ein toller Roman, mit super spannender Handlung und unglaublich lebendigen Charakteren“

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Seitenzahl: 304

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Über dieses E-Book

England, Sommer 1895: Dass Andrew, der Sohn des Earls of Linnley, sein Versprechen gegenüber der Bediensteten Gemma nicht hält, hat schwerwiegende Folgen für ihn und seine gesamte Familie. Jahrhunderte später, in der Gegenwart: Die bevorstehende Heirat ihrer Schwester versetzt Elisa in Panik. Laut ihrer Großmutter liegt ein Fluch auf den Abbingtons und keine von ihnen soll jemals glücklich werden. Um Schlimmeres zu verhindern, versucht Elisa alles, um die Hochzeit zum Platzen zu bringen, auch wenn dadurch ihre Beziehung zu ihrer Schwester zu zerbrechen droht. Und als wäre das nicht schon nervenaufreibend genug, stört auch noch der Cousin des Bräutigams Elisas Nachforschungen, weil er die Organisation der Brautentführung viel zu ernst nimmt. Werden die beiden Schwestern es schaffen, dem Fluch zu entkommen – oder die Hoffnung auf die Liebe ihres Lebens für immer verlieren?

Impressum

Erstausgabe Februar 2019

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-685-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-710-3

Covergestaltung: Rose & Chili Design unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © flotsom/depositphotos.com shutterstock.com: © shanti108 und © AmeliAU Lektorat: Astrid Rahlfs

E-Book-Version 18.01.2023, 14:09:28.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Der Fluch von Abbington Hall

1. Kapitel

England, Frühjahr 1895

Wenn auf dieser wankelmütigen Welt irgendetwas sicher war, dann die Tatsache, dass Viscount Andrew Abbington, Erbe des Earl of Linnley, ein unverbesserlicher Schürzenjäger war.

Gemma schlug die Hand weg, die Andrew auf ihren Po gelegt hatte. „Lass das!“, fauchte sie. „Es könnte jederzeit jemand hereinkommen.“

Er lachte. „Das erhöht doch den Reiz eines Stelldicheins.“

Ihr Blick huschte zur Tür, während sie weiterhin so tat, als würde sie die Figuren über dem Kamin im Wohnzimmer reinigen. Andrews Absätze verursachten ein leises Klackern auf dem Holzboden, als er hinter sie trat. Sie versteifte sich. „Bitte, Andrew.“

„Ich mag es, wenn du dich so spröde gibst. Das steigert meine Sehnsucht nach dir ins Unermessliche.“

Das war ihr nur zu deutlich bewusst. Je länger sie seinen Avancen nicht nachgegeben hatte, umso beharrlicher war er geworden. Wenn sie ihm das Gefühl gab, kein leichtes Spiel mit ihr zu haben, war sie für ihn interessant. Als sie seinem Drängen nachgegeben hatte, war seine Begeisterung abgeflacht. Doch jetzt arbeitete sie für seine Familie. Er hatte sie Tag für Tag vor Augen und durfte sich ihr nur nähern, wenn sie allein waren. Plötzlich hatte er sich wieder um sie bemüht.

„Verrate mir lieber, wie du Mister Reginald erklären willst, warum du dich nicht im Studierzimmer aufhältst.“

Andrew schnaubte. „Mich interessiert dieser Buchhaltungsfirlefanz nicht.“ Er lehnte sich nach vorne, bis er seine Lippen auf ihren Hals drücken konnte.

„Du kannst dir deine Mühe sparen. So eine bin ich nicht.“

„So eine?“, fragte er zwischen zwei Küssen.

Gemma rückte eine vergoldete Statue gerade und senkte die Hand mit dem Putztuch. „Eine deiner üblichen Eroberungen. Ich lasse mich nicht von jemandem in flagranti mit dir erwischen.“

„Wie schade.“ Seine Arme legten sich um ihre Taille. „Dabei hätte ich gerade große Lust, Dinge mit dir anzustellen, die uns richtig in Schwierigkeiten bringen würden.“

„Darin bist du gut“, murmelte Gemma. Die Worte schmeckten bitter. Sie rieb über die Verzierungen des Kamins.

„Das stimmt wohl. Aber nicht gut genug, um dich von deiner Arbeitswut abzulenken.“

„Ich muss froh sein, dass deine Familie mich angestellt hat.“ Eine gute Tat, die die Familie vermutlich bald bereuen würde.

Angst schnürte ihr die Kehle zu. Die Zukunft erschien ihr wie ein dunkler, undurchdringlicher Wald voller unvorhersehbarer Hindernisse. Sie hatte die Fähigkeit ihrer Mutter geerbt, in die Zukunft blicken zu können. Doch seit sie ihr Herz an Andrew verloren hatte, war diese Gabe nicht mehr so ausgeprägt wie zuvor. Die Liebe zu ihm hatte ihre Sicht benebelt. Als sie zuletzt einen Blick in die Zukunft gewagt hatte, war da nichts gewesen als Schwärze und Kälte, die bis in ihre Seele gekrochen war. Es gab einen Grund, weshalb die Wahrsagerinnen ihrer Familie üblicherweise darauf verzichteten, ihr eigenes Schicksal vorauszusagen.

Sie tauchte unter seinen Händen hindurch und öffnete den mit Intarsien verzierten Glasschrank, um nach und nach das gute Geschirr herauszunehmen, auf dem Esstisch abzustellen und vorsichtig zu reinigen.

Andrew folgte ihr und stützte sich mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem Tisch ab. „Der Tod deines Vaters kam unerwartet. Mein Vater wusste, wie schwer es euch gefallen ist, das gepachtete Land zurückzugeben.“

„Wenigstens haben wir unser Zuhause nicht verloren.“ Die ersten Gläser konnten zurück in den Schrank.

Als sie erneut Gläser zum Tisch trug, schlang er einen Arm um ihre Mitte und zog sie näher zu sich heran. Durch den Stoff ihrer Schürze und ihres Batistkleides konnte sie die Wärme seiner Haut fühlen.

Er stellte sich wieder hinter sie. Seine Nase rieb über die Locken, die sich hinter ihrem Ohr aus dem Häubchen gelöst hatten. „Du riechst so gut.“

„Das werde ich nicht mehr, wenn mir der Schweiß ausbricht, weil ich mich beeilen muss, um trotz deiner Ablenkung alle Aufgaben von Mrs Brown zu erledigen.“ Sie schloss die Augen, als sie seinen Atem in ihrem Nacken spürte. Sie sollte ihn wegschicken und sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Das hier war keine gute Idee. Andrew war keine gute Idee.

Ihr Vater hatte Hoffnungen auf ein anderes Leben in ihr geweckt. Da er gestorben war, bevor Gemma sie in die Tat umsetzen konnte, hatte sie ihre Träume anpassen müssen. Keine Bildung, keine freie Wahl, stattdessen eine Anstellung als Mädchen für alles. Die Umstellung war ihr schwer genug gefallen. Weil sie sich in einen Viscount verliebt hatte, stand ihre Welt schon wieder Kopf.

„Warum musst du immer so pflichtbewusst sein?“

„Es ist Teil meines Charakters“, erklärte sie trocken.

„So vernünftig …“

„Normalerweise schon. Ich weiß gar nicht, weshalb ich auf dich hereingefallen bin.“

Er lachte leise auf. „Das kann ich dir beantworten: Weil du alle deine guten Vorsätze vergisst, sobald ich dich berühre.“

Wie recht er hatte! Während er sich immer noch gegen ihren Rücken presste, begannen seine Hände an ihrer Taille hochzuwandern.

Gemma keuchte auf. „Andrew!“ Sein Name endete in einem Stöhnen, als seine Handflächen über den Stoff über ihren Brüsten rieben.

„Beweis erbracht“, meinte Andrew mit einem Lachen in der Stimme. „Du hast meinen Jagdinstinkt geweckt, weil du dich am Anfang geziert hast.“

„So etwas ist dir wohl vorher noch nicht passiert.“

Er lachte erneut. „Nein. Wie dankbar ich bin, dir dennoch einen Kuss gestohlen zu haben. Danach war es um uns beide geschehen.“

Seine Worte klangen wunderbar romantisch. Ob Gemmas Vater ihre Mutter genauso um den Finger gewickelt hatte? Ob die sich genauso für unbesiegbar gehalten hatte, als sie in den Armen ihres Geliebten gelegen hatte? Die Liebe von Gemmas Eltern musste jedenfalls etwas Besonderes gewesen sein. Sonst hätte ihre Mutter ihre Familie niemals verlassen, deren Mitglieder als Hellseher und Zauberer durch das Land zogen. Sonst wäre sie niemals sesshaft geworden, um ihr Leben mit Gemmas Vater verbringen zu können. Die Liebe auf den ersten Blick hatte sie alles aufgeben lassen.

Gemma hätte für Andrew Ähnliches fertiggebracht. Sie wäre ihm überallhin gefolgt. Um mit ihm zusammen zu sein, hätte sie alles riskiert. Doch er war vermutlich bei weitem nicht so fasziniert von ihr, wie er den Anschein erwecken wollte. Sie war nur ein Spielzeug für ihn. Bald würde sie diesbezüglich die Wahrheit erfahren. Sie musste ihm ihr Geheimnis anvertrauen. Und dann wäre sie vielleicht nicht mehr als ein Klotz am Bein für ihn.

Sie drehte sich in seiner Umarmung herum. „Andrew, wir müssen reden.“

Seine Augenbrauen hüpften. „Mir wäre eher nach küssen.“

Mit beiden Händen drückte sie seinen Oberkörper auf Abstand und drohte dabei zu stolpern. Auch wenn ihr sein beständiges Werben schmeichelte, konnte er manchmal etwas zu aufdringlich sein. „Das merke ich“, seufzte sie.

Die vertraute Schwäche in den Knien machte sich bemerkbar, als er den Griff um ihre Taille verstärkte. Ihr Putztuch verursachte Staubflecken auf seiner Brokatweste, doch das war ihr egal. „Aber es gibt etwas, das ich dir sagen muss. Dringend.“

„Was meinst du?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht hier.“

„Heute Abend im Gartenhäuschen?“

„Ja, wie immer.“ Das Strahlen in seinen Augen brachte sie zum Lächeln. Mit den Fingerspitzen strich sie durch sein blondes Haar. Die einzelne dunkelbraune Strähne direkt über seiner Stirn stand für das Abbington-Erbe. Diese Haarsträhne trat in jeder Generation auf. Auch die Kinder, die Andrew gezeugt hatte – und es zerriss ihr Herz, dass bereits mehrere solcher Kinder existierten –, trugen dieses Zeichen mit dem Sprießen der ersten Haare.

Wie sehr sie ihn liebte! Wie wichtig er ihr war. Ob er jemals ahnen würde, was sie alles für ihn tun würde?

Sie legte ihre Lippen für einen kurzen Kuss auf seinen Mund und löste sich dann von ihm. „Jetzt lass mich arbeiten, damit ich nicht doch noch Schwierigkeiten bekomme.“

Mit einem breiten, zufriedenen Grinsen zog er von dannen.

Der Mond leuchtete Gemma den Weg, als sie durch den Garten schlich. Sie duckte sich hinter einen Busch, als sie ein Geräusch vernahm. Doch das Knacken stammte nur von einem Vogel in dem Baum über ihr. Gemma erhob sich wieder. Ihr Blick schweifte zum Haus zurück. Die meisten Fenster waren dunkel. Niemand hielt sich im Freien auf. Niemand außer Gemma und ihrem liebeskranken, besorgten Herz.

Diese Geheimnistuerei war so demütigend. Sie musste sich wie ein Dieb aus dem Haus stehlen, um sich mit ihrem Geliebten zu treffen, der ihr Verhältnis wohl niemals legalisieren würde. Gemma hatte Andrew ihre Jungfräulichkeit geschenkt und von ihm dafür neue Lebensfreude erhalten. Doch langsam begann sie sich zu fragen, ob der Preis nicht zu hoch war.

Nach wenigen Augenblicken erreichte sie das Gartenhäuschen. Der Gärtner bewahrte seine Geräte dort auf, weshalb neben den Kästen und Regalen lediglich Platz für einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen war.

Gemma entzündete eine bereitstehende Öllampe, in deren Licht sie vertraute Einzelheiten des Raumes erkannte. Die Decke, die Andrew immer ausbreitete, damit sie es bequem hatten, lag in einer Ecke. Gemma überlegte, danach zu greifen und sie zurechtzulegen wie sonst Andrew. Aber es würde den falschen Eindruck erwecken. Stattdessen nahm sie auf dem Stuhl Platz.

Wie lange würde sie wohl warten müssen? Sie legte ihre gefalteten Hände in den Schoß, presste sie zusammen, lockerte den Griff wieder. Ihr Herzschlag trommelte so laut, dass man ihn vermutlich noch in der nächsten Stadt hören konnte.

Das Knirschen von Kies. Schritte die sich näherten!

War er da?

Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür einen spaltbreit, und Andrew schob sich hindurch.

Gemma sprang auf. „Andrew!“

Er schloss die Tür hinter sich. Dann war er mit zwei Schritten bei ihr und hob sie hoch, um sie stürmisch zu küssen.

Ein paar Sekunden genoss sie das Gefühl seiner Lippen auf ihren. Irgendwann schob sie seinen Oberkörper auf Abstand, während sich ihre Röcke um Andrews Beine bauschten.

„Warte.“ Sie musste einen klaren Kopf behalten.

„Ich habe das hier vermisst“, murmelte er und versuchte, sie erneut zu küssen.

„Noch nicht“, bat sie. Sie musste ein paar Minuten die Kontrolle behalten, obwohl ihre Knie so weich waren, dass sie sicherlich nicht alleine stehen konnte.

Er knabberte an ihrem Ohrläppchen. „Worauf warten?“

„Zuerst muss ich dir etwas sagen.“

Endlich ließ er sie mit einem Seufzen los. Andrew setzte sich auf den Stuhl und zog Gemma auf seinen Schoß.

„Was bedrückt dich?“

Gemma zögerte vor den Worten, die alles ändern würden, die eine Wand zwischen ihnen errichten könnten. Sie wollte die Last ihres Wissens nicht mehr allein tragen, auch wenn sie Angst hatte, Andrew dadurch zu verlieren.

Andrew Abbington war eine Krankheit, die sich in ihrem Körper eingenistet hatte. Gemma musste seine Nähe nur erahnen, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Er musste sie nur ansehen, damit sie nichts mehr hörte als seine Stimme und alle anderen Anwesenden verblassten. Und wenn Andrew Gemma berührte, breitete sich Fieber in jeder Faser ihres Körpers aus.

Mit diesen Überlegungen zögerte sie das Unvermeidliche nur hinaus. Sie holte tief Luft und sprach es aus. „Ich erwarte ein Kind.“

Er starrte sie an. Dann stellte er sie langsam auf den Boden. „Sag das noch mal.“

„Ich bin schwanger.“ Während sie auf seine Reaktion wartete, wagte sie nicht zu atmen.

„Das kommt unerwartet.“

Gemma musste schlucken. Das Ende drohte. „Das weiß ich. Und ich weiß auch, wie du üblicherweise …“

Als er ihr über die Wange strich, verstummte sie. Der Schock stand ihm immer noch ins Gesicht geschrieben. „Damit habe ich nicht gerechnet. Ich hatte keine Ahnung, dass du … Ich weiß gar nicht …“

Tränen traten ihr in die Augen. „Es tut mir leid, dass das passiert ist. Aber ich wollte es dir nicht verschweigen. Bald werden es alle sehen. Lange werde ich meinen Zustand nicht verheimlichen können. Du solltest es vor allen anderen erfahren. Ich weiß, ich habe dich enttäuscht.“

„An deiner Situation trage ich Mitschuld. Es wäre auch meine Aufgabe gewesen, an die Folgen unserer … unserer Treffen zu denken. Es ist ja nicht so, als würde ich nicht wissen, was geschehen kann, wenn ich meiner Leidenschaft nachgebe.“

Die Erinnerung an all die Frauen vor ihr, die bereits ein Kind von ihm unter dem Herzen getragen hatten, schnürte ihr die Kehle zu. Noch vor einem Jahr hätte sie niemals gedacht, sie würde so leichtfertig sein. Nun musste sie die Konsequenzen tragen. Und auch wenn sie wünschte, das würde nicht bedeuten, Andrew zu verlieren, bereute sie keine Sekunde, die sie mit ihm verbracht hatte. Könnte sie nur ändern, welche Position er innehatte. Wenn er doch nur ein einfacher Mann ohne die Verantwortung eines Titels wäre! Sie würde auf alle Annehmlichkeiten verzichten, um mit ihm zusammen zu sein.

„Ich weiß, was jetzt von mir erwartet wird. Ich kenne meinen Platz und werde keine Schwierigkeiten machen. Nur um eines bitte ich dich: Schick mich nicht weg. Lass mich in deiner Nähe bleiben.“

„Dich gehen lassen?“ Er runzelte die Stirn. Sein Blick glitt immer wieder über ihr Gesicht. „Dich nicht mehr in meinem Leben haben? So weit wird es nicht kommen.“

Sie schluchzte dankbar auf. „Vermutlich will deine Familie mich nicht mehr in diesem Haus haben. Dein Vater wird mich davonjagen. Ohne deine Hilfe werde ich nicht bleiben dürfen.“

Der Ausdruck auf seinem Gesicht änderte sich. Er wirkte mit einem Mal entschieden. „Du musst dir keine Sorgen machen. Ich stehe zu dir, Gemma. Wir werden heiraten.“

„Heiraten?“ Ihre Stimme überschlug sich.

Er lächelte und nickte.

„Aber … ich weiß, dass ich nicht die Erste in … in dieser Lage bin.“

„Du bist etwas ganz Besonderes für mich.“

Diese Worte veränderten alles. Gemmas Herz sprengte den Schutzwall, den sie darum errichtet hatte. Ihre Hoffnung kehrte zurück. „Was wird dein Vater sagen?“

„Meine Wahl wird ihn nicht erfreuen. Aber die Tatsache, dass ich mein Leben selbst in die Hand nehme, wird ihm gefallen.“ Andrew drückte Gemma fest an sich.

Sie fühlte sich wie betäubt. Er hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht! Nun ja, nicht richtig. Es hatte wie eine Feststellung und nicht wie eine Frage geklungen. Aber sie würde seine Ehefrau werden! Andrew liebte sie. Naja. Er hatte es nicht mit diesen Worten ausgedrückt. Aber er hatte gesagt, dass sie etwas Besonderes für ihn war! Was wollte sie mehr?

Andrew war der Mittelpunkt von Gemmas Universum. Sie hatte gewusst, worauf sie sich eingelassen hatte, welches Risiko sie eingegangen war. Sie hatte geglaubt, Andrew durch die Konsequenzen ihres Tuns zu verlieren. Doch nun schien Andrew das erste Mal in seinem Leben bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Dank ihm musste Gemma ein Dasein in Schande nicht fürchten. Er war ihr Retter, ihr Held.

Gemmas Blick tastete über sein so vertrautes, geliebtes Gesicht. Ihre Augen nahmen jede Einzelheit auf, als sähe sie ihn das erste Mal. Diese dunkelbraune Strähne direkt über seiner Stirn in seinem blonden Haar! Gemmas Kind würde dieses Zeichen ebenfalls tragen. Das Kind von Andrew. Ihr gemeinsames Kind!

Sie schlang ihm die Arme um den Hals und schluchzte dankbar auf. „Ich liebe dich“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Andrews Griff wurde fester. Er zog an Gemmas Haar, bis sie ihren Kopf in den Nacken legen musste. Seine Lippen legten sich mit zärtlichem Drängen auf ihre. Für Gemma war es ein Schwur, ein Versprechen für eine gemeinsame, glückliche Zukunft.

2. Kapitel

Abbington Hall, Spätsommer 1895

Lady Perdita Eleonore Sophie Elizabeth Camden-Barnet war mit Sicherheit eines: mutig. Mit fünf Brüdern und ohne weibliche Gesellschaft aufzuwachsen, hatte sie gelehrt, standzuhalten. Die Späße ihrer älteren Brüder stoisch zu ertragen, ebenso wie den meist jammervollen Bitten der jüngeren nicht zu erliegen. Sie fürchtete sich weder vor Spinnen, noch vor Dreck oder wilden Tieren. Lediglich der Gedanke, nie ihrem Elternhaus entfliehen zu können, bereitete ihr ein gewisses Unbehagen. Ein wenig, denn es stand nicht zu befürchten, dass sie die diesjährige Londoner Ballsaison ohne adäquaten Verlobten abschloss. Ihre Familie war vermögend, sie hübsch anzusehen und mit allen weiblichen Fertigkeiten ausgestattet. Nein, es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Lady Perdita Camden-Barnet schon in Bälde vor dem Traualtar stünde. Mit einem Adligen aus bestem Hause. Mit einem Gentleman par excellence.

Nun jedoch galt es, erste Schritte auf einem weniger heißen Parkett zu machen. Bevor sie in der Obhut der Tante und vor dem entnervten Auge ihres ältesten Bruders London im Sturm eroberte, sollte sie sich bei einer Hausgesellschaft erproben: auf Abbington Hall, dem Landsitz des Earl of Linnley im malerischen Kent.

„Perdita, meine Liebe, es gibt keinen Grund zur Aufregung“, haspelte die Tante, Lady Henriette Waxwell, und fächelte sich frenetisch Luft zu. Perdita hob belustigt eine Braue.

„Selbstredend nicht, Mylady.“

„Drei Jahre intensiver Ausbildung … in Gesang, Tanz, Konversation …“, zählte die dickliche Tante auf und streckte sich dann, um dem Mädchen die Hand zu tätscheln. „Optimal. Und so lieblich anzuschauen! Ganz die Frau Mama!“

Das hoffte Perdita doch, kam die Tante doch ganz nach Perditas Vater, dem verstorbenen Earl of Southberry, genau wie drei ihrer Brüder. Sie waren eher rundlich, kahl und rotwangig. Perdita lächelte milde.

„Verehrte Tante, es gibt in der Tat keinen Grund zur Besorgnis.“

Die Lady seufzte schwer, ließ das Thema aber auf sich beruhen. Die Kutsche passierte ein schmiedeeisernes Tor. „Da sind wir schon!“ Wobei schon nach dreitägiger Reise bedeutete.

Perdita richtete ihren Blick ebenfalls aus dem von der Tante geöffneten Kutschfenster und gewahrte die mannshohe Backsteinmauer, die das Gehöft einzugrenzen schien. Vor ihnen standen Bäume Spalier und lockten mit reifen Früchten. Sie ratterten gemächlich über die lange Auffahrt, und Perdita genoss die malerische Aussicht. Ihr eigenes Heim bestach durch große Flächen totbringenden Moores.

„Meine liebe Perdita, seine Lordschaft, dein Bruder, der uns so schmählich im Stich ließ …“

Southberry hatte es nach der dritten Unterbrechung der Reise am zweiten Tag nicht mehr ausgehalten und hatte die Reise allein zu Pferd fortgesetzt. Lady Henriettes Fächer wedelte so schnell wie die Flügel eines Kolibris vor der mit kleinen Schweißtropfen bedeckten Nase herum. „… wird uns, so hoffe ich inständig, bereits erwarten, und unsere Strapazen werden schlussendlich ein Ende haben.“

Perdita verbiss sich ein Grinsen. „Ich bin mir sicher, dass Lady Linnley alles vortrefflich vorbereitet hat und unsere Ankunft freudig erwartet.“

Lady Henriette seufzte erneut und wechselte die Hand. „Diese unerträgliche Hitze!“, murmelte sie dabei, und dieses Mal konnte Perdita ihr Lachen nicht mehr verbeißen.

„Oh Tante, lassen Sie mich Ihnen helfen.“ 

Sie streckte die Hand aus, um den Fächer zu übernehmen, als die Kutsche zum Stehen kam. Lady Henriette ließ den Fächer zuschnappen und richtete sich gerade auf. Das Doppelkinn stolz erhoben, schließlich war sie die Marchioness of Gainsport.

Der Lakai öffnete ihnen den Wagenschlag und half beiden Ladys, aus dem Gefährt zu klettern. Perdita sah an dem Gebäude empor. Klassisch, gradlinig und doch beeindruckend. Säulen fassten die Tür ein und wiederholten sich einige Fuß entfernt zu beiden Seiten. Rundbögen gaben den Buntglasfenstern ein majestätisches Flair. An beide Seiten des Hauses schlossen sich burggleiche Flügel an.

„Wie lang ist Abbington Hall in Familienbesitz?“, fragte Perdita die Tante, die ihren in einem zweiten Wagen mitgereisten Zofen einen Schwall Aufträge erteilte.

„Wie meinen, mein liebes Kind?“

„Das Haus? Wie lang befindet es sich bereits im Familienbesitz?“, wiederholte Perdita und wandte sich dazu der Tante zu. Dem Gebäude gegenüber befand sich eine große, begrünte Fläche mit Rosensträuchern in allerschönsten Farben.

„Wie wunderschön es hier ist.“

„Welch merkwürdige Fragen du stellst, meine Gute.“ 

„Seit 350 Jahren“, bekam sie eine unerwartete Antwort, allerdings nicht von der Tante. Ein Gentleman lehnte lässig am Hinterrad der zweiten Kutsche und schlug sich eine Gerte in die Hand. Sein helles Haar war akkurat gekürzt, und lediglich eine Strähne, eine dunkle Strähne, fiel ihm in die Stirn. Seine blauen Augen fuhren herausfordernd an ihr herab, und auf seine Lippen legte sich ein zynisches Grinsen. Perdita hob irritiert eine Braue. Er mochte seiner Herkunft nach ein Gentleman sein, sein Gebaren jedoch war unangemessen.

„Ah! Abbington! Hush, hush, machen Sie sich nützlich!“

„Sehr wohl, Mylady!“ Er salutierte vor der Marchioness und nahm eine Hutschachtel von Perditas Zofe entgegen. Dabei grinste er die Bedienstete an, dass es Perdita die Sprache verschlug. Ein Lächeln machte seine strengen Züge weicher. Seine Augen strahlten, und Perdita streckte die Finger nach der Säule neben ihr aus. Ihre Kniegelenke waren eigentümlich unbeständig.

„Abbington!“, mahnte die Tante und schlug nach dem Arm des Lords. „So melden Sie uns schon Ihrer werten Frau Mama!“

Perdita atmete tief ein. Der Sohn des Hauses und nicht minder beeindruckend. Erbe? Junggeselle?

Er zwinkerte der Zofe zu und wandte sich dann an die tadelnde Lady. „Zu Diensten, Lady Gainsport!“

Seine Aufmerksamkeit schwenkte zu ihr, und Perdita ließ die Hand fallen.

„Mylady.“ Wieder wanderten seine Augen aufreizend langsam über sie hinweg. Eine dreiste Unverschämtheit! Perdita wartete. Seine Augen kehrten zu ihren zurück. Sie hielt seinem Blick stand, bis das unverschämte Grinsen wackelte.

„Sir.“

Nun ließ sie ihren Blick abwandern. Er trug gediegene Reitkleidung, ländlich, praktisch, und lediglich die auf Hochglanz polierten Knöpfe verwiesen auf einen Hauch Eleganz. Seine Reitstiefel waren schlammverdreckt, und ein leichter Grünschimmer zierte seine Knickerbocker auf Kniehöhe. Sie hob eine Braue und versagte ihm den erneuten, direkten Blickkontakt. Ihre jüngeren Brüder wüssten ihre Geste einzuschätzen, aber Abbington?

Er räusperte sich, und aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie er ihrer Tante einen Blick zuwarf.

„Mylady, darf ich mich erbieten, die Damen ins Haus zu geleiten?“

„Oh, wie außerordentlich freundlich von Ihnen, Abbington! Sehr gern, sehr gern!“

Hatte er eine Vorstellung erhofft, so blieb diese aus. Perdita versagte sich ein Schmunzeln, schließlich wollte sie die unausgesprochene Schelte nicht zunichtemachen. Abbington reichte der Marchioness den Arm, geleitete sie zur Tür, wo er auch Perdita seine Begleitung anbot und sah einen Moment zu lange auf ihre Finger herab, die sich sacht auf seinen Arm legten. Keine richtige Berührung, und sie wahrte auch einen unnötigen Abstand. Ihre Brüder hätte sie schlicht stehenlassen, allerdings wären drei von ihnen bereits nach dem Blick eingeknickt und hätten um Verzeihung gebeten.

Salon von Abbington Hall, am nächsten Tag

Die Hausgesellschaft unterhielt einundzwanzig Gäste. Unter ihnen gleich fünf junge Damen von Stand. Jede von ihnen himmelte den Sohn des Hauses an, jede bis auf Perdita. Schon am ersten Abend war ihr eines aufgefallen: Der Viscount Abbington war leidlich höflich und schnell mit Affronts. Die anderen jungen Damen verziehen es ihm und buhlten um seine Aufmerksamkeit. Um die des Barons und um die von Perditas Bruder, dem einzig anderen alleinstehenden Herrn in der Runde. Southberry reagierte ähnlich abweisend, wobei er jedoch höflich blieb.

„Southberry“, grüßte Abbington und blieb neben dem Earl stehen. Er hatte Perdita offenkundig nicht gesehen, und sie hatte auch nicht vor, ihn zur Kenntnis zu nehmen.

„Abbington“, murmelte Gordon und warf ihm einen schnellen Blick zu. „Sie stehen im Begriff auszureiten?“

„Verraten Sie mich nicht.“

Perdita lauschte interessiert.

„Da müssen Sie mich schon mitnehmen“, verlangte Southberry. „Sie können mich doch nicht mit all den Damen hier zurücklassen.“ Der Earl richtete sich betont gleichgültig die Ärmelaufschläge. „Sie sind Hyänen.“

„Wählen Sie eine, dann haben Sie Ruhe“, murmelte Abbington. „Und ich bin bereits verabredet.“

Gordon seufzte mittleiderregend. „Ich bitte Sie!“

„Vielleicht keine schlechte Idee, Southberry“, mischte sich Perdita ein. „Sie könnten Ihren Brüdern mal ein Vorbild sein.“

Southberry wich unmerklich etwas zurück und gab Perdita damit dem erschrockenen Blick des Viscounts preis. „Ich bitte dich, Perdita, es gibt keinen Grund, einen solchen Schritt zu übereilen!“

„Selbstredend nicht“, räumte Perdita ein. „Ein solcher Schritt sollte wohlüberlegt sein.“ Sie musterte die derzeit zur Auswahl stehenden Damen. „Sehr wohlüberlegt.“

Abbington fasste sich, räusperte sich und murmelte einen knappen Gruß: „Mylady.“

Perdita neigte lediglich leicht das Haupt.

„Sie sind von der Auswahl meiner Mutter nicht erbaut?“, erkundigte sich Abbington gepresst. Seine Haltung war ebenso steif, sogar die Arme waren auf den Rücken gelegt, und er warf ihr lediglich einen flüchtigen Blick zu.

„Die Auswahl entspricht Southberry nicht.“ Wieder betrachtete Perdita die Damen, die hübsch auf ihren Sitzgelegenheiten thronten und begierig versuchten, die Nachbarin in Grazie und Anmut zu überstrahlen.

„Aber mir?“

Nun musste sie ihn doch ansehen. Er sah erbost aus. Seine Lippen verkniffen sich und machten sein längliches Gesicht streng. Zu schade, aber sollte er unreflektierten Zuspruch suchen, konnte er sich an besagte Damen wenden. Sie senkte den Kopf noch etwas mehr zur Seite. „So scheint es“, räumte sie ein. „Haben Sie Ihre Mutter nicht bei der Auswahl unterstützt?“

„Mitnichten!“, knirschte Abbington und bewies damit Perditas Verdacht. Er war von der Situation nicht begeistert. Sie lächelte knapp. Damit hatte er sie indirekt beleidigt, schließlich war sie selbst aus dem gleichen Grunde eingeladen worden wie die anderen jungen Damen. Southberry ging dies auch auf.

„Mylord! Achten Sie auf Ihre Worte“, grummelte er und legte Perdita eine Hand in den Rücken, um sie noch ein Stück nach vorne zu schieben. Das genügte, um Abbington eine Bitte um Vergebung abzuringen. Sie nickte, sparte sich aber die Worte. Er sah sie an. Anders als zuvor. Direkt, nicht abschätzend, nicht bewertend.

„Entschuldigen Sie mich nun, Mylord, ich möchte Sie nicht weiter mit meiner Gegenwart langweilen. Southberry.“

Perdita entzog sich ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung und huschte aus dem Musikzimmer. Sie hatte bereits ein Stück zum Besten gegeben und gab den anderen Damen nun die Gelegenheit, ebenfalls mit ihrem Können zu glänzen. Während ihres Beitrags war sie sich der Aufmerksamkeit des Viscounts gewiss gewesen. Seine Augen lagen auf ihr. Immer mal wieder. Deswegen suchte sie auch die Einsamkeit. Beinahe hätte sie ihren Auftritt verpatzt, und der Umstand ärgerte sie.

Perdita durchquerte den großen Salon, ihr Ziel: der Garten. Abbington Hall bestach durch ausgedehnte Gärten. Rosengärten, Nutzgärten, Bäume mit den wohlschmeckendsten Früchten und so vielem anderen. Sie schloss sacht die Verandatür und nahm die drei Stufen zur Rasenfläche. Die laue Spätsommernacht kühlte ihre Wangen. Sie schloss die Augen und ging blind weiter. Nur ein paar Schritte, dann blieb sie stehen. Sie atmete tief durch und öffnete die Lider. Sie schreckte zurück.

„Verzeihung“, bat Abbington. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Perdita hob das Kinn. „Sie haben mich nicht erschreckt.“ Nun musste sie ihn ansprechen, alles andere wäre sträflich unhöflich gewesen. „Lord Abbington.“

Er schmunzelte und senkte den Blick. „Und ich glaubte schon, Sie wüssten nicht, wer ich bin.“

„Ich werde nun nicht das Gegenteil beteuern, Mylord.“

Er sah wieder zu ihr, mit einem Lächeln, das dazu angedacht war, den Atem zu rauben. Perdita versuchte es zu überspielen und wandte sich leicht ab, um über die Wiese zu sehen.

„Warum nicht?“, fragte er und erschreckte sie nun doch. Er war nähergetreten, verboten nahe. Perdita hielt den Atem an und starrte zu ihm auf. Er hob die Hand, und seine Fingerspitzen fuhren leicht über ihre Wange.

Perdita fasste sich und trat zurück. „Mylord!“

„Verzeihen Sie, ich …“ Er stockte. Seine Stirn runzelte sich.

„Ich sollte wieder hineingehen“, bemerkte sie fest, obwohl sie sich nicht nach Gesellschaft fühlte.

„Nein, bleiben Sie noch“, bat er leise. „Wollten Sie nicht spazieren gehen?“

„Oh, ich benötigte lediglich etwas frische Luft“, behauptete sie und wandte sich vollends ab. Eine junge Dame sollte sich nicht allein in Begleitung eines Herrn wiederfinden. Und sie hatte das Gefühl, dass es mit Lord Abbington doppelt anrüchig wäre. Nein, sie hatte die Gewissheit. Nur wenige Augenblicke, und er hatte bereits versucht, sie zu berühren! Nicht die Hand oder am Ellenbogen, wo es sich gerade noch so geziemt hätte, nein, ihr Gesicht. Und es hatte sich verboten gut angefühlt.

„Sie haben Angst, dass …“, mutmaßte er leise, aber Perdita hatte ihn wohl vernommen. Sie unterbrach ihn sogleich: „Ich habe keine Angst!“ Dabei wandte sie sich wieder zu ihm um und hob dabei herausfordernd das Kinn. Sie hatte keine Angst vor einer Berührung!

„Dann bleiben Sie. Spazieren Sie mit mir. Sie brauchen nicht befürchten …“ Sein Blick senkte sich auf ihre Lippen, und er verstummte.

Perdita wurde schwül, aber sie versagte sich, ihr Accessoire zu verwenden. Ihre Finger suchten nach dem feinen Kirschholz und umschlossen das verdickte Ende des Fächers. Sie hob lediglich die Braue und überdeckte ihre Nervosität mit Sicherheit. „Das wäre Ihnen auch nicht zu raten, Mylord. Ich scheue mich nicht, Southberry von ihrem ungebührlichen Benehmen zu unterrichten.“

Das rüttelte ihn auf. Er hob die Hände. „Ich verspreche Ihnen …“

„Sie sind gewarnt, Mylord!“ Perdita deutete über die Rasenfläche. „Darf ich bitten?“

Abbington lachte auf, und die Spannung zwischen ihnen schwand. „Mögen Sie mir Ihre Hand reichen?“

„Nein“, schlug sie aus und machte sich auf den Weg. Abbington holte auf.

„Sie werden keinen Erfolg haben, wenn Sie Gentlemen so offen abweisen“, versuchte er sie zu ködern.

Perdita schüttelte den Kopf. 

„So? Was verstehen Sie unter Erfolg?“, erkundigte sie sich belustigt. „Ich denke, unsere Ansicht ist da sehr unterschiedlich.“

Abbington musterte sie von der Seite. „Sie erwarten einen Antrag, das sehen wir beide als Erfolg, oder irre ich mich da, Mylady?“ Er klang ebenso amüsiert, wie sie war. Perdita gönnte ihm ein kleines Lächeln und ließ die Peitsche nachschnellen: „Von Ihnen? Mitnichten.“

Das sichere Grinsen fiel ihm aus dem Gesicht, und er stockte im Schritt. Perdita ging unbeirrt weiter. Sie vertraute darauf, dass er ihr folgte, so er es wünschte.

„Ich bitte Sie, Perdita …“

„Lady Perdita!“, korrigierte sie sofort. „Unterlassen Sie unangebrachte Vertraulichkeiten.“

„Lady Perdita“, ging er auf ihre Rüge ein. „Ich bin Viscount, wohlhabend, anziehend. Selbstverständlich wäre es ein Erfolg, gewännen Sie mich für sich!“

„Ich bin die Tochter eines Earls, Lord Abbington.“

„Und ich werde einmal ein Earl sein!“ Er klang aufgebracht und verwirrt zugleich. Perdita warf ihm einen Blick zu.

„Ich entstamme einer der ältesten Adelsgeschlechter Englands“, hob sie hervor und wusste natürlich, was er kontern würde.

„Mein Vorfahr diente bereits King Henry VII!“ Damit war sein Geschlecht nicht weniger erlaucht. Sie unterdrückte ein Grinsen.

„Mein Bruder hält 1/24 des englischen Grundbesitzes.“

Es blieb still neben ihr, was Perdita verwunderte. Linnley war unter den fünfundzwanzig begütertsten Adligen des Landes, ebenso wie Southberry. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, er war ein guter Fang, aber es einzugestehen, mochte derzeit ein Fehler sein.

Abbington kaute auf seiner Zunge herum.

„Womöglich liegen Sie nicht falsch, Lady Perdita, und Southberry ist tatsächlich die bessere Partie.“

Wenn er mal nicht an dem Eingeständnis zugrunde ging. Perdita ließ ihn schmoren, sah fröhlich in die Ferne und schlenderte über das weiche Gras.

„Oh ja“, flötete sie zufrieden.

„Aber er ist Ihr Bruder.“

„So ist es.“

„Sie können ihn nicht heiraten“, stellte er zufrieden fest.

Ein Blick bewies, dass er breit grinste. Perdita räumte es ein und gab ihm, wonach es ihm dürstete: „Damit sind Sie der begehrtere Junggeselle …“

„Mögen Sie mir nun doch Ihre Hand überlassen?“

Perdita lachte auf. „Nun werden Sie übermütig, Mylord.“

„Und wenn ich eingestehe, dass Sie die sicherlich begehrteste der jungen Damen sind, die meine Mutter geladen hat?“

Wieder lachte sie auf und hob den Fächer, um ihm zu drohen: „Sie benehmen sich, oder …“

„Ich schwöre es, bei meiner Ehre!“ Es klang neckisch, aber etwas in seinem Blick sprach von Aufrichtigkeit. Sie überließ ihm ihre Hand, die er sacht drückte, bevor er sie auf seinem Arm platzierte.

„350 Jahre?“

„Wie meinen?“, haspelte er.

„Das Haus. Sie sagten, es befände sich seit 350 Jahren in Familienbesitz, aber Teile des Südflügels scheinen deutlich jüngeren Ursprungs zu sein.“ Perdita deutete zum angesprochenen Trakt. „Obwohl der Klassizismus fortgeführt wurde, sind die barocken Einschläge augenfällig.“

„Klassizismus?“

„Der Baustil. Mylord, ich kenne keinen Herrn, der sein eigenes Heim dermaßen …“

„Verzeihen Sie, Mylady. Ich war lediglich überrascht, dass eine feine Dame wie Sie über Architektur spricht.“

Perdita blieb stehen und nötigte ihn dazu, ebenfalls stehen zu bleiben. „Tatsächlich? Kent scheint mir nicht fernab der Zivilisation. In London und Oxford werden Damen bei den Vorlesungen geduldet, auch wenn ihnen verwehrt wird, den Magister zu machen.“

Er starrte sie perplex an, und Perdita schüttelte missbilligend ihre Lockenpracht.

„Also schön, Mylord“, lenkte sie ein und suchte nach einer Plattitüde: „Eine herrlich sternenklare Nacht.“

Abbington starrte sie weiterhin an. „Die Frauen, die Oxford besuchen, sind nicht …“

„Von adligem Geblüt?“, fuhr sie gelassen fort. „Dies ist mir bewusst, Mylord. Ich bin auch nicht dort gewesen oder plane es gar.“ Welch unsinniger Gedanke, schlösse sich doch dadurch die Tür zu ihrem gesellschaftlichen Leben, so Southberry es ihr gestatten würde. Was nicht der Fall wäre. Eine Dame hatte auf einer Universität nichts verloren. Sie half ihren Brüdern lediglich aus, so sie nicht weiterkamen. „Mylord, ich denke, ich sollte mich nun wieder hineinbegeben.“

„Warten Sie. Warum Architektur? Es ist so ein dröges Sujet“, fragte er und schob eine Bitte hintenan, ihm seine Neugierde zu vergeben.

„Geoffrey ist Architekt. Southberrys derzeitiger Erbe.“ Und ihr zweitältester Bruder. Geoffrey war stets vertieft in seine Bauwerke, und suchte man das Gespräch mit ihm, wurde man über einiges belehrt. Die Unterschiede zwischen Klassizismus, Purismus und Ludwig XIV. waren so eklatant, dass er Stunden darüber schwadronieren konnte. Der Gedanke an den Verwandten ließ sie schmunzeln.

Abbington starrte sie einmal mehr an.

„Wir können uns gerne über ein Ihnen passenderes Sujet unterhalten, Mylord“, bot sie dieses Mal direkt an. „Was ist Ihr Steckenpferd?“

Abbington versteifte sich, und in seiner Miene konnte man ihm seine peinliche Berührung ablesen. Perdita überlegte fieberhaft, womit sie ihn brüskiert haben könnte. Er räusperte sich.

„Die Gärtnerei?“, mutmaßte sie, da er immer noch still blieb und sich lediglich umsah. „Ich sah Sie den Schuppen betreten. Es gibt Gewächshäuser und so herrliche Beete und so viele Pflanzen“, zählte Perdita auf. „Und der Schmutz auf Ihrer Kleidung am Tag unserer Ankunft. Sie müssen im Gras gekniet haben.“

Perdita nahm sich vor, zukünftig den Mund zu halten. Sie hatte ihn nun noch mehr schockiert. Sie seufzte und erklärte erneut, ins Haus zurückkehren zu wollen. Dieses Mal hielt er sie nicht auf, und als sie an den Stufen zur Veranda noch einmal zu ihm zurücksah, starrte Abbington ihr immer noch hinterher.

3. Kapitel

Abbington Hall, Tag zwei der Hausgesellschaft

Etwas stimmte nicht.

Eine riesige dunkle Wolke hatte sich direkt über ihrem Kopf zusammengeballt und raubte ihr alles Licht. Die Finsternis hüllte sie ein, drückte ihr die Luft ab und nahm ihr jegliche Hoffnung.

Etwas stimmte nicht.

Gemma konnte es in der Tiefe ihres Herzens spüren.

Sie schlich jetzt schon seit einer Stunde durch das Haus, versteckte sich hinter Vorhängen, wenn sich jemand näherte, sah in jeden Raum auf der Suche nach dem einzigen Lächeln, das ihre Besorgnis aus der Welt schaffen könnte. Doch es war ihr immer noch nicht gelungen, Andrew ausfindig zu machen. Seit Tagen ging er ihr aus dem Weg. Sie hatte eine Ewigkeit nicht mehr mit ihm allein gesprochen. Unsicherheit hatte sich in ihrem Herzen festgesetzt.

Seine Eltern waren von Andrews Ankündigung, Gemma zu ehelichen, von Anfang an nicht sonderlich erfreut gewesen. Andrew hatte allein mit ihnen gesprochen. Verständlicherweise hatte er sie vorsichtig auf die Neuigkeiten vorbereiten wollen. Dass er damit gescheitert war, hatte sie deutlich gehört, als das wütende Brüllen seines Vaters und das bitterliche Weinen seiner Mutter bis in den Garten gedrungen waren, wo sie auf Andrew gewartet hatte. Wie hatte Andrew eine andere Reaktion erwarten können? Er hatte sich unerschütterlich gegeben. Nach einem innigen Kuss hatten sie darüber gelacht.

Ob er jetzt immer noch über seine Eltern lachte?

Stimmen näherten sich. Sie konnte hören, wie eine Frau mit jemandem schnatterte. Vermutlich eine der albernen Puten, die Andrews Eltern als Antwort auf die drohende Hochzeit von ihrem Sohn und Gemma in dieses Haus eingeladen hatten.

Rasch griff sie nach der Klinke der Tür, die sich direkt vor ihr befand. Diese öffnete sie mit zitternden Fingern und schob sich in den Raum, kurz bevor zwei plaudernde Frauen um die Ecke bogen.