Der Gedanke - Anouk S. - E-Book

Der Gedanke E-Book

Anouk S.

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Beschreibung

Anouk S. hat drei faszinierende Geschichten über das leidenschaftliche Spiel mit der Macht geschrieben: Der Gedanke. Unter all den Gefangenen wählt der Herr sie aus, Sklavin Nummer 301, und nimmt sie mit sich in seine herrschaftliche Villa. Die Haushälterin ist aber nicht besonders erfreut darüber, dass eine zweite Frau in ihren Herrschaftsbereich eintritt. Der Herr tauft seine junge Sklavin auf den Namen Emma und verbietet ihr, das Haus zu verlassen, aber schon bald stellt sich heraus, dass das Herrschen nicht ganz so einfach ist. Stahl auf der Haut. Fräulein Wiesengrund platzt in den Raum, als Fräulein S. gerade ihre neue Sklavin quält, die achsoperfekte Toni. Eigentlich waren Fräulein Wiesengrund und Fräulein S. immer beste Freundinnen, aber jetzt ist eine Rivalität zwischen ihnen entbrannt. Fräulein Wiesengrund muss sich eingestehen, dass sie vielleicht ein paar falsche Lebensentscheidungen getroffen hat. Dann macht Fräulein S. ihr ein großes Geschenk. Eine Reise für Marie. Marie steht kurz vor ihren mündlichen Prüfungen und Paul hat seine erste Stelle als Hauptschullehrer angetreten. Ihr Alltag ist recht vorhersehbar und wird vom Lern- und Arbeitsstress bestimmt. Aber gelegentlich gönnen sie sich einen 'Abend zu zweit', ihr gemeinsames geheimes Ritual. Paul tut dabei alles, um Marie gepflegt zu dominieren.

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Anouk S.

Der Gedanke

Drei Erzählungen

Stahl auf der Haut

Exposition

Fräulein S. zündet sich eine Zigarette an. Ihre Lippen schließen sich um den Filter. Sie inhaliert tief. Der Lippenstift hinterlässt seinen Abdruck auf dem gelben Zigarettenpapier. Es ist nicht so, dass sie ihrer Sucht nicht hätte abschwören können, sie will es schlicht nicht. Ihrer jungen Freundin Antonia hingegen verbietet sie den Konsum von Nikotin mit Pedanterie. Der Gestank widert sie an – wenn er an anderen Menschen haftet. An Antonia hat alles rein zu sein. Vielleicht ist sie die abgespaltene Inkarnation ihrer eigenen, besseren Seiten? Doch für Philosophie ist dieser Zeitpunkt definitiv der falsche: Mit breiten Ledermanschetten um die Fußgelenke hängt Tonis Körper kopfüber von dicken Haken in der massiven Decke. Ein seltener und kostbarer Anblick. Die junge Frau trägt eine dunkle Augenbinde, und so ist sich Fräulein S. nicht sicher, ob Antonia das Hinzutreten einer weiteren Zuschauerin bemerkt haben kann. Leise hat sich soeben Fräulein Wiesengrund neben ihre grausame Freundin gestellt, um sich mit ihr gemeinsam an der Betrachtung des vollkommen ausgelieferten Körpers zu erfreuen.

Antonias Leib zeigt die Stigmata vergangener Ereignisse: Die violetten Striemen stammen noch von letzter Woche. So lange ist es bereits her, denkt Fräulein S., und dafür sieht das noch recht drastisch aus. Das hätte sie ihrer Sklavin gegenüber natürlich nie verlauten lassen. Zumindest wäre jetzt jede Stimulation – und sei sie noch so sanft – zu viel. Trotz verbundener Augen spiegelt Antonias Gesichtsausdruck die prekäre Positionierung ihres Körpers. Bald würde Fräulein S. das lebende Kunstwerk zerstören und das Mädchen befreien müssen.

Es ist paradox: In den Momenten, die für ihren Leib die höchste Anspannung bedeuten, fühlt Antonia stets, wie aus ihrem Inneren jegliche Versteifung weicht und sich ihr Geist mit einer geradezu meditativen Ruhe ausfüllt. Sie ist dann so mit dem Vollzug der ansonsten selbstverständlichen, automatisch ablaufenden körperlichen Grundfunktionen beschäftigt – Atmen etwa oder Schlucken –, dass aller Alltagsdruck von ihr abfällt und sie zu einem Zustand vollkommener innerer Freiheit aufsteigen kann. Die leibliche Qual als Medium mentalen Friedens: Wäre Antonia gerade der Ratio mächtig gewesen, so hätte sie die ungeheuerlichen Konsequenzen eines solchen Gedankens aufs Schärfste verurteilt und vielleicht – wie das letzte Mal vor vielen, vielen Jahren – mit ihren Lüsten gehadert. Doch augenblicklich beseelt sie einzig und allein der Wunsch durchzuhalten, um sich und ihrer Herrin ein weiteres Mal die Ernsthaftigkeit ihrer Sehnsucht nach Unterwerfung zu beweisen.

Fräulein Wiesengrund legt Fräulein S. die Hände auf die Schultern und flüstert ihr etwas ins Ohr. Antonia scheint unruhig zu werden, als sie die Anwesenheit einer dritten Person registriert. Fräulein S. nickt zu den Worten ihrer Freundin. »Ja, ich weiß, ich muss sie nun befreien.« Einen winzigen Augenblick noch würde sie sich das Vergnügen gönnen. Sanft streicht sie Antonia über die Schenkel, bevor sie den Flaschenzug gemächlich in Gang setzt. So kann das Mädchen sich zunächst mit den Händen abstützen, um dann – noch langsamer und gehalten durch die Seile – die Beine auf den Boden zu legen. Sobald es die Stricke zulassen, setzt Antonia sich mit angezogenen Beinen auf die Erde. Die Hände legt sie auf die Knie. Sie weiß, dass sie zu warten hat. Niemals wäre ihr eingefallen, sich der Augenbinde selbst zu entledigen.

Nachdenklich betrachtet Fräulein S. ihre Sklavin. Ein Gefühl der Zärtlichkeit steigt in ihr auf. Toni ist ihr wertvollster Besitz. Sie beugt sich hinab und streicht durch den Haarschopf der jungen Frau, die daraufhin das Gesicht wendet, noch immer umgeben von vollkommener Dunkelheit. Die Tortur jedoch ist beendet.

Fräulein S. geht in die Hocke, fasst Antonia an den Schultern und zieht sie an sich. Sie schiebt ihre Hand zwischen deren Schenkel. Dort ist es feucht und heiß, die Klitoris geschwollen.

»Kleine Schlampe«, sagt Fräulein S. Aber sie meint es zärtlich. Eigentlich hatte sie geplant, Antonia den Orgasmus zu verwehren. Aber es ist zu schön, dieses blinde Wesen so ganz in der Gewalt zu haben. Sie reibt gleichmäßig über jene empfindlichste aller Stellen des weiblichen Körpers. Antonia stöhnt und zieht die Luft scharf ein. Sie bedarf ihrer gesamten Fähigkeit zur Selbstbeherrschung, um den Höhepunkt vorerst zurückzuhalten. Noch weiß sie nicht, ob ihr erlaubt sein würde, Erleichterung zu finden. Fräulein S. erweist sich schließlich als gnädig.

»Du darfst jetzt kommen«, sagt sie. Und Antonia kommt mit aller Kraft. Ihr Unterleib zuckt in Muskelkontraktionen. Eine gewaltige Entladung. Anschließend hält sie sich ganz ruhig. Doch ihr Schweiß und der schwere Atem zeugen von der vorangegangenen Erregung. Brav leckt sie die feuchte Hand der Herrin sauber. Es dauert einen Moment, bis sich Antonias Augen nach Entfernen des Tuches ans Licht gewöhnt haben.

Fräulein Wiesengrund steht währenddessen im Türrahmen und beobachtet die Szene. Nachdenklich wickelt sie eine Strähne ihres blonden Haares um den Finger. Sie fürchtet, dass eine Person zu viel im Raum ist: sie selbst. Für Fräulein S. und deren Sklavin ist die Außenwelt versunken. Jeder Zuschauer – selbst ein Fremder – hätte die Vertrautheit und Nähe zwischen den asymmetrischen Partnerinnen wahrnehmen müssen. Das muss auch Fräulein Wiesengrund – und sich damit ein weiteres Mal eingestehen, dass ihre Freundschaft zu Fräulein S. nicht mehr dieselbe ist, seit diese eine Sklavin in ihre Obhut genommen hat. Zum einen schmerzt die Eifersucht: Antonia hier, Antonia da, immer nur noch die wunderbare Toni. Doch zum anderen frisst die garstige Ratte Neid an ihren Eingeweiden. Zu gern möchte sie selbst ein so hingabebereites Geschöpf ihr Eigen nennen. Wenn sie gleich nach Hause käme, dann würde da nur ihr Gatte Thomas warten, ein Wunschzettel-Sklave, wie er im Buche steht: Ihre Macht ist in diesem Verhältnis nur eine Farce, Thomas’ Ohnmacht eine Inszenierung nach seiner eigenen Regie. Sie fragt sich oft, weshalb sie sich das noch antut. Thomas ist, wenn er denn überhaupt einmal zu Hause weilt, immer überarbeitet. Zwar verdient er als Unternehmensberater mehr als passabel, aber sein Beruf saugt alles auf, was er jemals an Charakter besessen hat. Er scheint Fräulein Wiesengrund immer blasser zu werden. Seine Konturen verschwimmen vor ihren Augen jeden Tag ein bisschen mehr. Zudem verfügt er nicht einmal über praktische Fähigkeiten: ein fataler Handwerker, ein miserabler Koch. Tonis Lasagne hingegen ist vorzüglich – zumindest wenn man den Worten von Fräulein S. Glauben schenken darf.

Brüsk dreht Fräulein Wiesengrund sich um. Ihre Pfennigabsätze knallen im Flur aufs Parkett. Sie reißt ihren Mantel vom Garderobenhaken und verlässt die Wohnung. Wütend schnaubt sie vor sich hin. Vermutlich hat Fräulein S. ihren geräuschvollen Abtritt nicht einmal bemerkt! Und die liebe Toni besitzt ohnehin nur Augen für die verehrte Herrin.

Tatsächlich bemerkt Letztere die Abwesenheit der Freundin erst, nachdem sie ihrer Sklavin die Hand zum Aufstehen gereicht hat. Schon oft hatte Fräulein S. im Laufe der Bekanntschaft erleben müssen, dass heftige Launen das Urteilsvermögen Fräulein Wiesengrunds trüben, ja mitunter vollkommen außer Kraft setzen konnten. Tonis Herrin ist sich bereits seit einiger Zeit darüber im Klaren, dass ihre Freundschaft sehr gelitten hat. Die Rolle, die ihre Sklavin in diesem Zusammenhang spielt, ist evident. Und doch repräsentiert das Mädchen nur den zufälligen Auslöser eines Konflikts, der immer hätte ausbrechen können. Fräulein Wiesengrund ist mit ihrer Lebenssituation schon lange unzufrieden. Und das Verhältnis zu Fräulein S. prägte schon seit Beginn ihrer Bekanntschaft nicht nur ein freundschaftliches Gefühl, sondern auch eines der Rivalität. Das Konkurrenzverhältnis war freilich immer ein einseitiges: Fräulein S. bewegt sich bis heute durch die Welt, ohne sich mit anderen zu messen.

Die erschöpfte Antonia ist froh, früh zur Ruhe gehen zu dürfen. Nur selten lässt ihre Herrin sie neben sich in ihrem eigenen Bett schlafen, womit sie in der Vergangenheit mehrfach Antonias Bitten und Flehen herausforderte. Doch heute legt sich Toni ohne Widerspruch auf den ihr vorbehaltenen schmalen Futon. Ihr körperlicher Zustand macht sie glücklich, und sie genießt es, in stiller Abgeschiedenheit den Erlebnissen der vergangenen Stunden nachzuspüren. Ihre Glieder fühlen sich schwer an. Wohlig streckt sie sich und zieht die kratzige Decke um ihren Körper.

Fräulein S. sitzt derweil auf ihrem Sofa. Das Wohnzimmer ist sehr groß und fast leer. Ein altmodisches Sofa, auf dem abgenutzten Parkett Stereogeräte und einige Kissen. In einer Ecke eine Skulptur aus rohem Stein, die fast bis zur Decke reicht. Der Flaschenzug und die Hängevorrichtung in der Mitte des Raumes fallen zwar ins Auge, aber Besuchern gegenüber ist Fräulein S. bisher stets eine Ausrede eingefallen. Doch die meisten Freunde wissen ohnehin von ihren Leidenschaften – und pflegen selbst ähnliche. Ihre zweite Besessenheit hingegen hat sie im Arbeitszimmer untergebracht: Fräulein S. ist im Besitz aller Quellentexte, die Michel Foucault für Überwachen und Strafen ausgewertet hat, und studiert nämliche mit Akribie. Hin und wieder erschauert sie dann vor der Schlechtigkeit der Menschen – und vor ihrer eigenen dazu.

Doch gerade jetzt quälen Fräulein S. ganz andere Fragen: Soll sie Fräulein Wiesengrund anrufen und versuchen, sich mit ihr auszusprechen? Ein kurzes Ringen mit der eigenen Integrität, dann greift sie zum Hörer. Fräulein S. besitzt ein Telefon mit Wählscheibe. In manchen Fragen ist sie altmodisch. Allerdings erfordern ihre langen, geschliffenen Fingernägel die Inanspruchnahme eines Bleistiftes, um die veraltete Technik bedienen zu können.

Bereits nach dem zweiten Klingeln nimmt Fräulein Wiesengrund ab. Fräulein S. weiß, dass sie sich nun auf dünnem Eis bewegt, und tastet sich dementsprechend behutsam vorwärts: Nun, sie habe seit einiger Zeit das Gefühl, dass sich eine ungute Atmosphäre ... ja, ganz genau, und wenn sie ... dann täte es ihr sehr leid ... und die Freundschaft an sich und für sich – und natürlich an und für sich – und überhaupt ... Sie fühlt, wie der Schweiß ihre Stirn benetzt. Fräulein Wiesengrund verhält sich zunächst reserviert. Ganz tief in ihrem Inneren weiß sie, dass ihr Ärger über Fräulein S. nichts mit Antonia zu tun hat, ja nicht einmal mit Fräulein S. selbst. Es sind ihre eigenen Enttäuschungen und Kümmernisse, die sie quälen. Doch soll sie jetzt mit Fräulein S. über derart Grundsätzliches sprechen? Zumal sie glaubt, den Weg aus der vermeintlichen Sackgasse ohne Hilfe finden zu müssen. Zu stolz, um Hilfe anzunehmen – das war sie schon immer.

»Also«, beginnt Fräulein Wiesengrund schließlich zögernd, »ich finde es schade, dass wir uns in letzter Zeit nur noch so selten sehen. Und wenn es mal eine Gelegenheit gibt, nun ja, nichts gegen Toni, aber muss sie denn wirklich immer dabei sein? Ich wäre gern wieder einmal mit dir allein.«

Fräulein S. spürt, dass Fräulein Wiesengrund an der Oberfläche verbleibt. Aber ein tiefer gehendes Gespräch sollte man vielleicht auch nicht am Telefon führen. Insofern wäre eine Zusammenkunft unter vier Augen – und das möglichst bald – die beste Strategie.

»Morgen habe ich in der Universität zu tun«, sagt Fräulein S. »Du weißt doch, ich habe einen Lehrauftrag bekommen und gebe ein Seminar über feministische Theorien. Von Dahlem aus dauert es ewig, bis ich wieder in Kreuzberg bin. Aber vielleicht könntest du mich Mittwochabend vom Verlag abholen? So gegen 19 Uhr? Dann könnten wir gemeinsam essen gehen?« Ein wenig zögernd stimmt Fräulein Wiesengrund zu. Fräulein S. spürt deren Enttäuschung darüber, dass es erst nächste Woche zu einem Treffen kommen würde.

»Aber warte mal«, setzt sie ein wenig atemlos hinzu. »Ich wollte dich und Thomas – gesetzt den Fall, dass er in der Stadt ist – für morgen, also Samstagabend, ohnehin einladen. Philip und Toni werden auch kommen. Ich wollte etwas kochen, und danach kann man ja sehen, was sich ergibt. Hast du Lust?«

Nein, denkt Fräulein Wiesengrund, eigentlich nicht. Im Grunde habe ich keine Lust: keine Lust mehr, mir dein reiches Leben anzusehen. Zwar ist Philip, ein junger Anwalt, nicht als fester Freund von Fräulein S. zu bezeichnen, im Zweifelsfalle ist er jedoch stets an ihrer Seite und dient ihr ergeben. Er ist so anders als Thomas.

Dennoch kann Fräulein Wiesengrund nicht absagen. Das wäre ein zu offensichtlicher Affront gewesen. Früher hatte sie diese Abende geliebt. In Fräulein S.’ Räumlichkeiten war es stets möglich gewesen, in gediegener Atmosphäre gemeinsam Dinge zu tun, die in den meisten SM-Clubs der Stadt sofort diejenigen auf die Barrikaden gerufen hätten, die meinen, die alleinigen Verwalter und Definitionsbevollmächtigten dessen zu sein, was als einvernehmlich und vernünftig gilt. Also bemüht sich Fräulein Wiesengrund um eine angemessene Reaktion.

»Und Thomas?«, fragt Fräulein S. »Aber bitte, dafür hat er doch immer noch Zeit gehabt«, erklärt die Freundin und verabschiedet sich: »Also dann, bis Samstag.«

»Bis Samstag«, bestätigt Fräulein S. und legt auf. Dann erhebt sie sich vom Sofa, um noch einmal nach ihrer Sklavin zu sehen.

Leise öffnet sie die Tür zu der kleinen Kammer. Nachdem sich die Augen der Herrin an die Dunkelheit gewöhnt haben, kann sie schemenhaft den Körper auf dem Bodenlager erkennen. Antonia schläft fest. Fräulein S. lächelt selbstvergessen. Ihre Macht erstreckt sich auf Leib und Seele des Mädchens. Sie hat um dieses Wesen ein virtuelles Panoptikum errichtet. Es gehört ihr. Manchmal überfällt Fräulein S. ein jäher Angstrausch: Hoffentlich ist sie auf Dauer stark genug, um Antonia mit ihren Sehnsüchten und ihrer tiefen Bereitschaft zum Dienen verantwortungsvoll zu führen. Leise schließt sie die Tür. Heute ist es wirklich wunderbar mit Toni gewesen.

Eine Genealogie der Dominanz

Zwar hieß das Domina-Gewerbe auch vor dreißig Jahren nicht mehr Flagellations-Prostitution, aber im Rückblick scheint Fräulein S. ihre Studienzeit – sadomasochistisch gesehen – zur Antike zu gehören. Sie denkt gern an diese Zeit zurück, die für sie ungeheuer aufregend und voller Bewegung war. Was heute am frühen Nachmittag im Programm der privaten Sender verhandelt wird, war damals aufgeladen mit den Verlockungen des Tabus.

Zwar gab es eine Szene jenseits des kommerziellen Bereiches, aber die war klein und speiste sich im Wesentlichen aus privaten Zirkeln, zu denen nur schwer Zugang zu gewinnen war. Wer devote oder dominante Neigungen verspürte, war zunächst vor allem eines: allein. Das auch Mitte der siebziger Jahre noch aufgeladene politische Klima machte es undenkbar, die Sehnsucht nach Unterwerfung oder Herrschaft zu thematisieren. Kein Internet, kaum Printmedien und keine speziellen Rubriken in Stadtzeitungen, deren Herausgeber entspannt auf die bizarren Formulierungen ihrer Inserenten reagierten. So trieb eine kleine, radikale Minderheit ihr Unwesen, noch nicht von den Medien umarmt und zwangsweise ins erotische Establishment eingegliedert, dessen Angehörige vielleicht von deren Existenz nicht einmal wusste. Es war nahezu unmöglich, gezielt nach einem adäquaten Partner – oder einer Partnerin – zu suchen. Für Männer blieb die kommerzielle Dienstleistung häufig die einzige Möglichkeit, nicht an ihren Phantasien zu ersticken. Und für Frauen? Fräulein S. hatte keine Freundinnen oder weiblichen Bekannten, die so fühlten wie sie. Und wenn doch, dann sprachen sie nicht darüber – ebenso wenig wie Fräulein S. selbst. Und so wusste sie nicht, wie ihre potentiellen Genossinnen an der sexuellen Front mit dem Problem umgingen. Ihr selbst hatten damals akute Geldnot sowie die rhetorischen Künste eines Freundes den Weg gewiesen.

1975 befand Fräulein S. sich im zweiten Semester ihres Studiums der Philosophie und Soziologie. Wahrlich: Ihr Interesse galt damals anderen Dingen als der Nützlichkeit einer Haftpflichtversicherung. Derartiges war profan und gehörte zum Sicherheitswahn der spießigen Pharisäer, gegen die sie schließlich kämpfte. Und dann war es plötzlich zu spät: Der Wasserschaden, den die ausgelaufene Waschmaschine produziert hatte, ging vollständig zu Lasten der revolutionären Studentin. Anders jedoch als der Genosse Lenin ging Fräulein S. gleich zwei Schritte vorwärts: Sie begann Geld zu verdienen und parallel ihre lange verdrängten Phantasien in die Realität umzusetzen.

Der Plan entstand bei einer Flasche Wein – vielleicht waren es auch zwei –, genossen mit Felix, einem guten Freund, einem ›wissenden‹ Freund vor allem. Sie saßen gemeinsam in der Küche und betrachteten die feuchten Flecken. Fräulein S. seufzte. Sie nahm einen Schluck Lambrusco und verzog das Gesicht. Runter damit. Noch ein Grund mehr, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Gedankenverloren starrte sie auf das Feuchtbiotop.

»So ähnlich sieht es in letzter Zeit ständig in meinem Höschen aus. Ach Felix, je mehr die Kommilitoninnen vom Sex und der sexuellen Befreiung schwadronieren, umso mehr fühle ich mich zum Schweigen verdammt. Sexuelle Befreiung, ja, das wollen sie alle. Aber bitte nur in Form des gleichberechtigten Synchronorgasmus mit irgendeinem wackeren Genossen. In Missionarsstellung natürlich. Wie revolutionär!«

Sie gähnte. »Also hör mal«, entgegnete Felix, »in dieser Stadt gibt es mindestens vier Etablissements, die dir zum einen deine Geldsorgen abnehmen und zum anderen deine libidinösen Frustrationen lindern könnten. Tu mir den Gefallen, und frage dort nach Arbeit. Denn viel lieber als dein Gejammer, beste Freundin, höre ich deine intelligenten Erläuterungen zur Bedeutung der Wertform in Marx’ Kapital. Morgen ist Lesekreis. Sei so gut und gewähre mir vorher noch ein wenig Nachhilfeunterricht!«

Fräulein S. musste lachen. Felix hatte recht! In den nächsten Tagen wollte sie seine Anregungen in die Tat umsetzen. So konnte es schließlich nicht weitergehen!

Alles hatte sich als erstaunlich unkompliziert erwiesen: Felix hatte im Vorhinein seine Kontakte spielen lassen. Beim Vorstellungsgespräch war ihr Mangel an praktischer Erfahrung nicht so stark ins Gewicht gefallen, wie sie befürchtet hatte. Was zählte, war die Authentizität ihrer Phantasien. Und sicher hatten Fräulein S.’ schlanke, hoch gewachsene Figur sowie ihr hübsches Gesicht ihr Übriges zum Erfolg beigetragen.

»Ich sehe da keine Probleme«, sagte Charlotte, ihre zukünftige Chefin. »Du kannst zu Anfang bei deinen Kolleginnen hospitieren. Die werden dich dann immer mehr einbeziehen. Nach kurzer Zeit wirst du so weit sein, dass du deine eigenen Gäste betreuen kannst. Du hast Talent, das spüre ich.«

Fräulein S. freute sich sehr über diese Worte. Bereits für den folgenden Tag wurde ein Termin für die erste Hospitation vereinbart.

Die nächsten Wochen vergingen für Fräulein S. wie im Flug. Sie wurde immer wehmütig, wenn sie an diese Zeit der Initiation zurückdachte. Alles, einfach alles war neu und aufregend. Sie verbrachte ihre Tage wie in Trance. Vergessen das nächste Referat! Vergessen der Marx-Lesekreis! Und erst recht vergessen die Adorno-Gruppe! Fräulein S. durfte entdecken, dass die Realität ihre Phantasiewelten an Intensität noch übertreffen konnte. Und da für sie damals die Sehnsucht, einen Mann zu dominieren, stärker war als die Sehnsucht, einen Mann zu lieben, hatte sich Felix’ Einfall als die perfekte Lösung erwiesen. Heureka!

Dennoch strahlte die Sonne nicht ganz ungetrübt: Bisher war es Fräulein S. nicht gelungen, nähere Kontakte zu ihren Kolleginnen aufzubauen. Zwar arbeiteten alle Frauen während der Zusammenkunft mit einem Gast harmonisch mit ihr zusammen, im Aufenthaltsraum jedoch fühlte sie sich geschnitten. Man verhielt sich ihr gegenüber distanziert. Fräulein S. meinte, Misstrauen zu spüren. Oder bildete sie sich das nur ein? Tatsächlich hatte es sich herumgesprochen, dass sie eigentlich Studentin war. Die übrigen Frauen empfanden sie zunächst als Fremdkörper, fühlten sich bedroht und in Frage gestellt: Da könnte ja jeder kommen. Hatten sie schon einmal schlechte Erfahrungen machen müssen?

Bald teilte Charlotte Fräulein S. mit, dass sie das nächste Mal relativ eigenständig agieren sollte. Ein wohlhabender Stammgast wollte die Phantasie verwirklichen, drei Frauen gleichzeitig um sich zu haben. Eine davon sollte, gleich ihm selbst, den devoten Part einnehmen. Er wollte, nachdem er von zwei Frauen auf einmal gequält worden war – hierbei sollte Fräulein S. einer Kollegin assistieren –, einem Paar zuschauen. Es sollten zwei Frauen sein – die eine dominant, die andere submissiv. Und diesen zweiten Teil der Choreographie sollte Fräulein S. gemeinsam mit Kiki gestalten, einer ganz jungen Kollegin, die in Charlottes Etablissement gewöhnlich für die Bedürfnisse dominanter Herren zur Verfügung stand. Die zweite dominante Dame kannte Fräulein S. noch nicht.

»Fräulein Wiesengrund ist nicht allzu oft hier«, erklärte Charlotte. »Sie studiert ebenfalls. Ihr werdet euch sicher gut verstehen.«

Fräulein Wiesengrund – Fräulein S. musste unwillkürlich lachen. Hatte die andere ›studentische Hilfskraft‹ bewusst Adornos zweiten Namen als Pseudonym gewählt? Fräulein S. jedenfalls hatte für sich eine Chiffre all dessen gewählt, was in ihrem Leben eine Rolle spielt: Sadismus, Sozialismus, Subkultur.

Eine ganze Weile bevor mit dem zahlungskräftigen Gast zu rechnen war, betrat Fräulein S. den Aufenthaltsraum. Am Tisch saß eine Frau, vielleicht drei oder vier Jahre älter als sie selbst. Sie hatte langes blondes Haar. Ihre Finger spielten mit einer Strähne. Vor ihr stand eine dampfende Teetasse. Das musste Fräulein Wiesengrund sein. Fräulein S. näherte sich dem Tisch unter dem unverwandten Blick der anderen Frau, die gleichsam durch sie hindurchzusehen schien.

»Hallo«, sagte Fräulein S. Der Gruß klang zögernd, beinahe fragend. Die Frau am Tisch stützte die Hand unters Kinn. Ihr Gesicht war hübsch, aber hart. Nun gut, das mochte in diesem Arbeitsfeld von Vorteil sein. Sie zog die Augenbrauen hoch.

»Hallo«, entgegnete sie. Es klang herausfordernd.

Fräulein Wiesengrund war nicht begeistert gewesen, als Charlotte ihr mitteilte, eine weitere studierende Kollegin eingestellt zu haben. Bisher konnte sich Fräulein Wiesengrund allen Mitarbeiterinnen ungehindert weit überlegen fühlen. Während Fräulein S. unter dem unverbindlichen Verhalten der Kolleginnen litt, war es Fräulein Wiesengrund vollkommen egal. Sie ließ im Aufenthaltsraum absichtlich die anspruchsvollste Lektüre liegen, um sich bewusst vom Mob, wie sie es nannte, abzugrenzen. Oh, Adorno! Anfänglich war man ihr mit neugieriger Freundlichkeit entgegengekommen. Doch die versiegte – von Fräulein Wiesengrund selbst verschuldet – schnell. So hatte deren überhebliche Attitüde den Boden für die Skepsis gegenüber Fräulein S. erst bereitet. Charlotte bekam von diesen Konflikten nichts mit. Vielleicht war es ihr auch egal. Das Geschäft lief gut. Und das zählte.

Fräulein Wiesengrund empfand Fräulein S. bereits als Bedrohung, bevor sie sie auch nur zu Gesicht bekommen hatte. Sie wähnte die Gefahr, von dem ›Eindringling‹ in der eigenen – vermeintlichen – Einmaligkeit gestürzt zu werden. Bisher hatten sich all jene wohlsituierten Männer, die es schätzten, mit der Dame ihrer Wahl nach dem Spiel noch ein paar Worte wechseln zu können, stets für sie entschieden. Das könnte nun anders werden. Der attraktive Anblick Fräulein S.’ unterstützte diese Befürchtungen auf dramatische Weise. Fräulein Wiesengrund hatte Angst: Angst vor Distinktionsverlust. Und dunkel schwante ihr, dass es klüger sei, um die Freundschaft der Fremden zu buhlen. Denn vor Freunden muss man keine Angst haben – so redete es sich Fräulein Wiesengrund zumindest ein. Fräulein Wiesengrund entspannte ihre Gesichtszüge.

»Hey«, sagte sie, »zieh dich doch schon mal um, dann können wir noch kurz die Session absprechen. Kiki muss jeden Moment kommen. Kennst du sie schon?«

Tatsächlich war Fräulein S. Kiki bereits einmal begegnet. Ein scheues Mädchen, klein und dünn wie ein Kind. War sie überhaupt volljährig? Aber etwas anderes hätte Charlotte sicher nicht zugelassen. In diesem Moment betrat Kiki den Raum. Sie trug ein kurzes Hängerkleidchen aus schwarzem Transparentstoff, darunter einen knappen BH, einen winzigen Slip, Strumpfhalter und Strümpfe mit Spitzenrand. Fräulein S. war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, die Kleine schlagen zu müssen. Überhaupt hatten sich ihre bisherigen Phantasien immer um Männer gedreht – Sklaven, die sie umso mehr verehrten, je grausamer sie zu ihnen war.

Weshalb eigentlich?, dachte Fräulein S. Ihre Augen ruhten auf Kiki. Gerade deren fragile Gestalt erschien ihr mit einem Mal ungeheuer aufreizend. Bei einem Mann war Fräulein S. auf Kooperation angewiesen – bei einem realen Zweikampf hätte sie unterliegen müssen. Doch Kiki war ihr tatsächlich ausgeliefert. Dieser Gedanke erregte Fräulein S. sehr.

Plötzlich wurde sie aus ihrer Versunkenheit aufgerüttelt. Kiki hielt ihr ein breites schwarzes Halsband hin: »Hilfst du mir mal?« Sie drehte sich um und nahm ihre schulterlangen Haare zusammen. Ein zarter, gebogener Nacken. Makellos weiße Haut. Fräulein S. fühlte auf einmal den Drang, ihre spitz gefeilten Fingernägel über das unversehrte Gewebe zu ziehen, vom Haaransatz bis hinunter zum Höschen tiefe, rote Kratzer zu hinterlassen. Kiki drehte den Kopf.

»Was ist?«, fragte sie. Endlich schnallte ihr Fräulein S. das Band fest. Wie gut es dem Mädchen stand! Anschließend tauschte sie selbst ihre Alltagsgarderobe gegen ein Kleid aus schwarzem Lackleder, lang und eng, das ihre Figur durch eine Schnürung im Rücken perfekt modellierte.

Fräulein Wiesengrund – in enger Korsage und schmal geschnittenem Lederrock – stand auf, um den Gast zu holen. Fräulein S. sollte sich mit Kiki schon einmal in die Folterkammer begeben, sie käme dann mit dem Opfer nach. Das wartete derweil mit verbundenen Augen in einer kleinen Zelle an die Wand gekettet. Der Mann war nackt und kauerte auf Stroh, das den Unannehmlichkeiten des harten, kalten Bodens noch eine stachelige Komponente hinzufügte. Fräulein Wiesengrund nahm ihn wortlos an die Kette und führte ihn hinter sich her zur Folterkammer.

Als sie die Tür öffnete, bot sich ihr ein apartes Bild: Fräulein S. hielt Kiki – nun vollkommen nackt – an einer straff gezogenen Kette. Das kniende Mädchen hatte den Oberkörper vorgebeugt und sich mit den Ellenbogen auf den Boden gestützt. Fräulein Wiesengrund traute kaum ihren Augen: Hingebungsvoll leckte die Kleine über die Schuhspitze ihrer künftigen Peinigerin.

So ein Bastard, dachte Fräulein Wiesengrund. Bei mir braucht sie immer noch ein paar Ohrfeigen extra, und bei dieser Person ist sie nach zehnminütiger Bekanntschaft zu allem bereit.

Sie lächelte gezwungen. »Hebt euch das lieber für später auf«, flüsterte sie Fräulein S. zu.

Das Spiel konnte beginnen. Mit einer energischen Bewegung zog Fräulein Wiesengrund dem Gast die Augenbinde herunter. Der blinzelte zunächst vorsichtig.

»Augen auf!«, sagte sie kalt und verabreichte ihm zur Begrüßung zwei feste Ohrfeigen. »Auf die Knie!« Der Mann warf sich beinahe zu Boden.

»Bei unserem letzten Zusammentreffen hast du mich eindeutig provoziert«, erklärte Fräulein Wiesengrund. »Du weißt genau, wovon ich spreche. Ich will keine Ausflüchte hören. Du wirst jetzt für dein Fehlverhalten bezahlen müssen. Zu meiner Unterstützung habe ich Fräulein S. mitgebracht.«

Sie zerrte seinen Kopf in deren Richtung. »Wir nennen sie hier auch die Blutrünstige.« Das war Fräulein S. allerdings völlig neu. Sie bemühte sich um ein maliziöses Lächeln. Kiki kettete sie vorerst an die Wand.

Fräulein Wiesengrund packte den linken Arm des Gastes, und Fräulein S. grub ihm ihre Fingernägel in den rechten. Sie stießen ihn vor sich her zur Streckbank. »Hinlegen!« Der Sklave auf Zeit legte sich auf den Rücken. Seine Beine und Handgelenke platzierte er so, dass die Damen ihn bequem an die beweglichen Balken fesseln konnten.

»Der Anblick dieses verfetteten Körpers ist eine Beleidigung für meine Augen«, konstatierte Fräulein Wiesengrund. »Liebe Gefährtin, wärst du so gut und würdest die Streckfunktion dieses herrlichen Geräts betätigen?«

»Aber mit dem größten Vergnügen.« Fräulein S. bewegte die Kurbel. Schon bald straffte sich der Körper derart, dass der offensichtlich steife, ungelenkige Mann aufstöhnte.

»Das ist doch noch gar nichts, du Memme«, sagte Fräulein S., von der langsam der nur zu gut bekannte Machtrausch Besitz ergriff. »Na, dann wollen wir ihm das Maul mal stopfen.« Fräulein Wiesengrund hielt dem Mann die Nase zu. Als er nach Luft schnappte, presste sie ihm einen fleckigen Lappen zwischen die Zähne: »Gleich wirst du froh sein, dass du was zum Draufbeißen hast.« Sie lächelte verführerisch, und ihre Stimme wurde mit einem Mal ganz sanft. »Siehst du, so nett und fürsorglich sind wir. Was sagt man da?«

Das Opfer stieß ein röchelndes Geräusch aus. Mehr brachte es nicht zustande. Die Sanktion erfolgte sofort. Fräulein Wiesengrund nahm eine dünne, geschmeidige Gerte zur Hand und zog sie dem Unglücklichen über den Oberschenkel. Trotz des Knebels brüllte er auf.

»Na bitte, geht doch. Aber eigentlich wollte ich etwas anderes hören. Nun gut, das mag später kommen.« Fräulein Wiesengrund strich kurz über die malträtierte Stelle, ein deutlich sichtbarer Striemen. Fräulein S. betrachtete die gewaltige Erektion des Gefesselten.

Für Außenstehende mag das herzlos anmuten, dachte Fräulein S., aber Fräulein Wiesengrund gibt ihm genau das, was er braucht. Sie ist wirklich eine phantastische Domina. Sie verschmilzt mit ihrer Rolle, hat sich aber trotzdem unter Kontrolle. Von ihr kann ich viel lernen.

»Ich hasse Asymmetrie.« Fräulein Wiesengrund ging einmal um die Streckbank herum. Sie ließ die Gerte auf den anderen Schenkel niedersausen. Ein harter Schlag. Der Knebel dämpfte den Schmerzensschrei nur dürftig. Und erneut hob sie die Reitpeitsche. »Du Weichei.« Ihre Stimme troff vor Hohn. »Das machen wir jetzt so lange, bis du gelernt hast, dich zu beherrschen.« Der Wehrlose verfolgte jede ihrer Bewegungen mit weit aufgerissenen Augen. Die Angst stand darin geschrieben. Sie schlug zu. Fest. Er schrie nicht, aber er wimmerte hörbar und versuchte, seinen gebundenen Körper zu drehen.

»Mach nur weiter so«, schaltete sich Fräulein S. ein. »Dann haben wir umso länger unseren Spaß.« Sie hatte sich auf der anderen Seite der Streckbank postiert, in der Hand eine neunschwänzige Katze mit dicken geflochtenen Riemen. Doch bevor sie ihm gab, was er verdiente, ließ sie es sich nicht nehmen, seine Brustwarzen mit Krokodilklemmen zu bestücken. Die Haut des Mannes fühlte sich feucht an. Die Klemmen waren mit einer dünnen Kette verbunden. Fräulein S. zog daran und presste dem Opfer die Kette zusätzlich zwischen Zähne und Knebel. So zog er sich selbst die Brustwarzen lang. »Du freust dich doch sicher, wenn du uns Arbeit abnehmen kannst, nicht wahr?« Der Mann röchelte erschöpft – dabei hatten sie doch gerade erst angefangen. Fräulein S. interpretierte den Laut gnädig als Zustimmung. »Nun«, sprach sie, »wo war ich stehen geblieben?« Sie machte eine Pause. Der Mann rollte angstvoll die Augen. Der Anblick der kapriziösen Frauengestalt schien ihm im Augenblick nur wenig Freude zu bereiten.

»Ach ja, ich weiß es wieder.« Fräulein S. ließ sich in einem Tonfall vernehmen, als sei ihr soeben eingefallen, was sie noch einkaufen wollte. Sie trat erneut an die Seite ihres Opfers und spielte lächelnd mit der Peitsche. Plötzlich hob sie die Waffe. Kalt blickte sie dem Gepeinigten in die Augen. Dann schlug sie zu. Doch nicht nur einmal. Sie ließ eine Kaskade von Hieben auf die Innenseiten seiner Schenkel hinabsausen. Das Opfer brüllte. Fast hörte es sich wie ein wildes Tier an. Sein Körper tobte, so weit es die Fesseln zuließen. Unvermittelt brach Fräulein S. die Marter ab. Mit einem Finger zeichnete sie die Striemen nach und näherte sich mit der Hand dem Geschlecht des Mannes.

»Wenn du so weitermachst, dann bist du morgen früh noch hier.« Ihre Stimme trug das Timbre delikaten Vergnügens. »Aber ich werde dir noch eine Chance gewähren.« Sie schlug zu. Kein Schrei, dafür verhaltenes Wimmern.

»Besser – aber noch nicht ausreichend.« Die Peitsche fauchte erneut durch die Luft. Ein grausames Klatschen. Anschließend Stille. Offensichtlich hatte er verstanden, dass seine Lage ernst war.

»Sehr schön«, kommentierte ihrerseits Fräulein Wiesengrund, »wenn du es schaffst, drei Schläge hintereinander lautlos zu ertragen, hören wir auf. Vielleicht nehmen wir dir dann sogar die Klammern ab. Vielleicht aber auch nicht.« Sie schlug erneut zu. Der Misshandelte gab keinen Ton von sich, doch sein Körper bebte in den Fesseln, und seine Augen schrien um Gnade. Seine Peinigerin platzierte den zweiten Schlag exakt an dieselbe Stelle, an der ihn eben schon die Gerte getroffen hatte. Das war ihre Spezialität. Es kostete das Opfer all seine Willenskraft, um den Schmerz nicht laut herauszuschreien. Beim dritten Hieb schließlich traten ihm die Tränen in die Augen. Aber er blieb stumm. Und nach wie vor präsentierte sich sein Geschlecht in stabiler Erektion.

Fräulein S. wandte sich an ihre Gefährtin: »Was meinst du, können wir unseren Sklaven erlösen?«

»Unbedingt«, entgegnete Letztere. Fräulein Wiesengrund nahm ihm die Kette und den Lappen aus dem Mund. Kurz fuhr sie ihm über das schweißnasse Antlitz. Sie ließ die Klammern aufschnappen. Das Opfer wand sich in stillen Qualen. Fräulein Wiesengrund weidete sich einen Moment an diesem Anblick.

»Und jetzt möchte ich, dass du dich bei uns bedankst. Für all die Mühe, die wir uns mit dir geben, finde ich das nur gerechtfertigt. Meinst du nicht?«

Im Verlauf des Martyriums war der Mann zu einem Haufen Fleisch ohne Zukunft geworden. »Danke«, stöhnte er. Aber es hörte sich teilnahmslos an. Beide Frauen zogen empört die Augenbrauen hoch.

»Danke wofür?« Fräulein S.’ Stimme klang schneidend. »Dafür, dass Sie mich geschlagen haben.«

Der Mann flüsterte mit tonloser Stimme.

»Falsch«, sagte Fräulein Wiesengrund. »Zu danken hast du uns dafür, dass wir dich erziehen, dass wir dich abrichten, dass wir dir helfen, ein besserer Sklave zu werden. All das, was wir mit dir tun, erfolgt nur zu deinem Besten.«

»Ich danke Ihnen für ihr aufopferungsvolles Verhalten mir gegenüber.« Der Gequälte hatte sich nun wieder vollkommen in der Gewalt. »Sehr schön«, quittierte Fräulein Wiesengrund die Äußerung, die ihr Opfer, das nahezu in Trance hinübergeglitten zu sein schien, vielleicht sogar ernst meinte.

»Ich denke, damit können wir zufrieden sein.« Fräulein S. sprach langsam. Jedes Wort aufgeladen von Bedeutung. »Ich hole Kiki.« Das Mädchen kniete an der Wand. Auf allen vieren kroch Kiki hinter ihr her. Nicht zu fassen, dachte Fräulein Wiesengrund, diese durchtriebene kleine Schlampe. Bei mir mitunter renitent bis aufs Messer, und hier agiert sie in vorauseilendem Gehorsam, als bekäme sie es extra bezahlt.

Aber zum Räsonieren war nun keine Zeit. Nachdem Fräulein S. dem Mädchen erlaubt hatte, aufzustehen, setzte sich Kiki neben den gefesselten Mann auf einen Querbalken der Streckbank. Ihre kleine Hand griff nach seinem Phallus. Langsam begann sie, ihn zu massieren. Zum ersten Mal während dieses Zusammenseins tönten Geräusche vollkommen ungetrübter Lust durch den Raum. Kikis Bewegungen wurden schneller. Der Mann hob sein Becken und schob es der Sklavin entgegen, als sei deren Hand ein Unterleib. Zunächst war nur ein heiseres Gurgeln zu vernehmen, das schließlich zu einem Schrei anschwoll.

»Na, das ging ja schnell«, bemerkte Fräulein S., »umso besser, meine liebe Kiki, dann habe ich jetzt mehr Zeit, mich mit dir zu befassen. Seif ihn ordentlich mit seinem Sperma ein und binde ihn dann los.« Anschließend befahl man dem erschöpften Mann, sich zu erheben. Als er stand, schwankte er einen Moment leicht. Fräulein Wiesengrund hakte die Kette ein und führte ihn zu dem Platz an der Wand, an dem zuvor Kiki gewartet hatte. Sie zeigte auffordernd zu Boden. Ihr Gefangener ging auf die Knie. Sie schloss die Kette an den Ring, der in die Wand eingelassen war, und sah auf ihren Gefangenen hinunter. In ihren Augen klirrten die Eisschollen, doch das war nur Schein. Innerlich loderte die Ekstase der Macht – Momente, in denen Spiel und Leben eins wurden. Bei dem nun Folgenden würde sie jedoch im Hintergrund bleiben. So war es vereinbart worden. Fräulein Wiesengrund hatte bis jetzt die führende Position innegehabt, und Fräulein S. war ihre Sekundantin gewesen. Nun sollte es umgekehrt sein.

Auch wenn es nicht leichtfiel: Fräulein Wiesengrund musste ihre Gefühle gegenüber Fräulein S. unter Kontrolle behalten. Kiki schien der Unbekannten gegenüber Vertrauen gefasst zu haben.

Erstaunlich, dachte Fräulein Wiesengrund, aber vielleicht hat sie auch nur Angst vor ihr – schließlich haben sie noch nie zusammengearbeitet. Die Kleine will sich einschleimen, ja, das wird es sein. Und was Fräulein S. angeht: Ich muss ihre Freundschaft gewinnen. Dann wird es ihr schwerer fallen, mich zu verdrängen oder mir auf andere Weise Schaden zuzufügen.

Derweil hatte Fräulein S. mit Kiki die Arena betreten. Die Sklavin hatte sich wieder in dieselbe Position begeben, die sie auch vorhin eingenommen hatte. Von der Brust an presste sich ihr entblößter Körper auf den Boden. Der Rücken war anmutig durchgedrückt und mündete schließlich in die zierliche Rundung ihrer Lenden. Mit weit herausgestreckter Zunge leckte sie die hohen Absätze der Herrin entlang. Der Ruck an der Leine kam unvermutet. Kiki würgte und musste schlucken. Sie hob den Kopf. Hatte sie etwas falsch gemacht?

»Was soll das? Mach schön weiter.« Fräulein S.’ Stimme klang warnend. Sie griff dem Mädchen in die Haare und drückte das zarte Gesicht zu Boden. Die Kleine glich den Übergriff geschickt aus. Sie drehte den Kopf auf die Seite und zeigte ihre Zunge aufs Neue. Der Gast sollte für sein Geld etwas zu sehen bekommen! Zudem machte es Kiki Spaß. Tatsächlich gefiel ihr Fräulein S. ausnehmend gut. Sie wirkte nicht so distanziert wie Fräulein Wiesengrund. Letztere trat Kiki gegenüber stets mit Arroganz auf, was den Widerstand der zähen kleinen Kämpferin herausforderte. Denn eine solche war Kiki. Zwar liebte sie die erotische Unterwerfung, doch ihr Trotz stand ihr dabei noch sehr im Wege.

Die Art und Weise, in der die Sklavin ihren Körper präsentierte, wirkte herausfordernd, gar provozierend, auf Fräulein S.

»Bleib so«, wies sie Kiki an. Sie legte die Hundeleine auf den Boden und nahm eine Peitsche zur Hand. An der Wand hing – ordentlich nebeneinander aufgereiht – eine große Auswahl der unterschiedlichsten Modelle. Fräulein S. wählte eine kurze Riemenpeitsche. Damit könnte sie hart zuschlagen und die Hiebe gleichzeitig präzise platzieren. Sie wollte Kiki wehtun, sie aber nicht verletzen. Zunächst strich sie mit den Ledersträngen sanft über Kikis Rücken, ihre Lenden, ihre Schenkel. Dann schlug sie zu, nicht allzu fest. Die Sklavin blinzelte zu Fräulein S. in die Höhe. Wie schön sie war!

Und wie freundlich sie mich im Aufenthaltsraum angelächelt hat, dachte das Mädchen. Fräulein Wiesengrund hingegen ignorierte sie meist oder behandelte sie mit Gleichgültigkeit. Für sie würde Kiki niemals mehr als das Notwendigste tun. Wie anders schien hingegen Fräulein S. zu sein. Während der Zeit, die Kiki wartend an der Wand verbracht hatte, hatte sie sich in romantische und aufopferungsvolle Träumereien hineingesteigert. Nun war sie bereit. Sie wollte dienen, und sie wollte leiden. Sie ersehnte nichts mehr als die Peitsche. Auffordernd streckte sie Fräulein S. ihre Lenden entgegen, so weit sie nur konnte.

»Meine Kleine«, sagte die Herrin, »wenn du dich mir derart ordinär anbietest, mir deinen Körper nahezu aufdrängst, dann musst du dich auch nicht wundern, wenn ich eine solche Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lasse. Ich werde dich keineswegs schonen.« Sie holte weit aus und zog die Riemen über das weiße Fleisch des Mädchens. Immer wieder. Fest. Und noch fester.

Ja, dachte Kiki, ja. Ihr Körper war Zustimmung, er schrie nach mehr. Unglaublich, dachte Fräulein S., so ein zarter Körper und dabei so hart im Nehmen. Inzwischen stöhnte Kiki laut. Zwar fühlte sie Schmerz, aber er war durchdrungen von Lust: Lust an der Auslieferung, Lust an der Unterwerfung und daran, für diese Frau zu leiden. Für die emotional ausgehungerte Kiki war es Liebe auf den ersten Blick.

Schließlich legte Fräulein S. die Peitsche zur Seite.

Warum?, dachte Kiki enttäuscht. Ihr Körper brüllte nach Zuwendung, gleich welcher Art. Heute war sie unersättlich. Fräulein S. zog den Oberkörper des Mädchens am Haarschopf in die Horizontale. Kiki befand sich noch immer auf allen vieren, der Oberkörper nun gerade. Die Zuchtmeisterin griff ihr unter das Kinn und zwang ihren Blick in die Höhe. Kikis Augen bettelten: Gib mir was, gib mir irgendetwas! Sie erzählten von Transzendenz, Auflösung und der Suche nach Liebe. Fräulein S. konnte den Sog des Blicks kaum ertragen. Sie streichelte das Mädchen und sah sie aufmunternd an.

»Brav«, sagte sie. Doch all das war sicher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Da kam Fräulein S. eine Idee. Sie nahm eine der vielen Kerzen, die in den Leuchtern an der Wand brannten. Zunächst träufelte sie das heiße Wachs vorsichtig auf Kikis vibrierenden Rücken. Dann goss sie – mutig geworden – den ganzen Schwall, der sich in der Kerze angesammelt hatte, über Kikis tiefrote Lenden. Stöhnend reckte ihr Opfer den Kopf. Der Hals wurde ganz lang, wie bei einer Katze. Die Kleine hatte sich wirklich unter Kontrolle: eiserne Selbstdisziplin, das musste ihr Fräulein S. zugestehen. Voller Erwartung legte sich die Sklavin auf Anweisung ihrer neuen Herrin mit dem Rücken auf die Folterbank. Sie wusste, was nun kommen würde. Sie wartete. Fräulein S. nahm eine neue Kerze zur Hand. Als die Brustwarzen – wie klein und wie unwiderstehlich, dachte die Herrin – an der Reihe waren, entrang sich Kikis Kehle ein Laut, den das Mädchen aber noch im selben Augenblick unterdrückte.

»Ich werde dir jetzt noch einmal wehtun, mein Herz«, kündigte Fräulein S. an. »Und wenn du hübsch stillhältst, dann werde ich danach von dir ablassen.« Kiki hatte die Augen weit aufgerissen. »Bitte«, flüsterte sie, »tun Sie mir weh.« Fräulein S. goss ohne weitere Ankündigung einen Sturzbach Wachs auf die Klitoris ihres Opfers. Das Mädchen verzog das Gesicht. Ihr Leib krampfte sich zusammen. Die Streckbank knarrte. Das Holz ächzte umso lauter vor dem Hintergrund vollkommener Stille. Was für ein Geschöpf, dachte Fräulein S. Ergriffen streichelte sie die Wange des Mädchens, das daraufhin versuchte, ihre Hand zu küssen und abzulecken. Wie weich und wie sanft ihre Zunge war. »Pass gut auf dich auf, meine Kleine.« Diese Worte waren einzig für Kiki hörbar.

Auch heute, fünfundzwanzig Jahre später, denkt Fräulein S. hin und wieder an diese Episode zurück. Mitunter erscheint ihr Kiki im Traum.

Sie war wahrscheinlich nur zwei oder drei Jahre jünger als ich, was wohl aus ihr geworden sein mag? Sie war dem Mädchen nach der Zusammenkunft nur noch einige Male kurz begegnet, kaum mit der Gelegenheit, ein paar Worte zu wechseln. Eines Tages erklärte Charlotte, Kiki habe ihre Arbeit niedergelegt. Auf Fragen nach deren Verbleib antwortete sie stets ausweichend. Fräulein S. hatte manchmal befürchtet, dass dem so duldsamen kleinen Geschöpf irgendetwas passiert sein mochte. Kiki war in ihrer absoluten Hingabe eine beunruhigende Gestalt gewesen – beunruhigend und faszinierend zugleich. Vielleicht war sie krank geworden? Hatte man sie am Ende in irgendeine Klinik eingewiesen? Sie sprach manchmal darüber mit Fräulein Wiesengrund. Auch die schien in Sorge, aber letztendlich war es ihr gleichgültig. Sie hatte nichts für Kiki empfunden. Das Mädchen war nur eine unter vielen Kolleginnen gewesen.

Mir ist sicher manches durch Kikis Verschwinden erspart geblieben, denn ich hätte ihr niemals geben können, was sie brauchte – so zog es damals durch Fräulein S.’ Gedanken. Und auch heute noch erscheint ihr im Rückblick diese Einschätzung als zutreffend. Bereits damals hasste sie sich für diese Überlegung, für ihre eigene Bequemlichkeit und für ihre Unzulänglichkeit gegenüber dieser Herausforderung. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Das Erlebnis mit Kiki war ihr selbst Initiation und Erweckung: Es musste kein Mann sein! Eine Sklavin zu besitzen war fortan ihr sehnlichster Wunsch. Mit Antonia, der lebensfrohen und selbstständigen Antonia, ist dieser Traum in Erfüllung gegangen.

Das Gastmahl

Es ist schön, anderen beim Kochen zuzusehen. Das denkt zumindest Fräulein S., während sie gedankenverloren Antonia betrachtet, die in einem Topf rührt. Toni ist vollkommen in ihrer Tätigkeit versunken. Würde man sie jetzt ansprechen, sie würde erschreckt zusammenzucken. Diese Eigenheit ihrer Sklavin – jede Verrichtung mit vollkommener Aufmerksamkeit und innerer Anteilnahme auszuführen – fasziniert Fräulein S. immer wieder aufs Neue. Jedem Befehl, und sei er noch so erniedrigend, folgt Toni mit einer Selbstverständlichkeit und Hingabe, die jede Assoziation von Entwürdigung zunichte macht: Toni ist stolz auf das, was sie für ihre Herrin tut, was immer es auch sein mag. Und dieser Stolz schützt den Kern ihrer Persönlichkeit.

Die Küche ist groß und hell. Ihre Wände sind in zartem Grün gestrichen. In der Mitte steht ein antiker Tisch aus Weichholz, darüber eine zeitgenössisch-avantgardistische Lampe. Fräulein S. liebt Brüche und Widersprüchlichkeiten. Das gemeinsame Essen aber soll im Wohnzimmer stattfinden. Bereits gestern Abend hat Fräulein S. dort eine große Tafel hergerichtet. Zum einen ist es so für mehrere Leute komfortabler, zum anderen hat Antonia dann beim Servieren mehr zu laufen. Unwillkürlich lächelt Fräulein S. und erfreut sich an ihrer Bosheit. Aber die Sklavin soll heute auch einmal ihren Spaß haben. Schließlich würde Philip kommen. In der Vergangenheit hatte sich Fräulein S. des Öfteren der Phantasie hingegeben, Philip zu befehlen, Antonia gegenüber die dominante Rolle einzunehmen. Mitunter hatte ihr Spielgefährte durchaus Interesse an diesem Part signalisiert, warum sollte es nicht einmal dazu kommen? Sie empfand Lust bei dem Gedanken, zuzuschauen, wie der gut gebaute junge Mann Antonias winziges Fötzchen vögelte. Vermutlich wäre es bis zum Bersten ausgefüllt. Philip würde die vor Schmerz und Lust schreiende Toni von hier bis in die Sterne stoßen.

Sie ist wirklich unglaublich eng, denkt Fräulein S. Und das muss sich ändern, denn schließlich soll Antonia in nicht allzu ferner Zukunft dem einen oder anderen ihrer männlichen Bekannten zur Verfügung stehen können.

Inzwischen hat Antonia den Auflauf in den Ofen geschoben. Das meiste ist fertig. Die Nachspeise steht angerichtet und hübsch verziert im Kühlschrank. Nur der Salat muss noch geschnitten werden. Aber zunächst hat Fräulein S. andere Pläne mit ihrer Dienerin. Die Gedanken an das Arrangement mit Philip haben sie so sehr angeregt, dass sie Lust verspürt, diesen Brand von ihrer Sklavin löschen zu lassen. Sie wird nicht selbst Hand an sich legen. Wozu hat sie das Mädchen? »Komm her, Toni.« Ihre Stimme ist ein wenig rau, wie immer, wenn sie ihre Libido erwachen fühlt. Augenblicklich steht Antonia neben der Herrin. Die steht auf, packt ihre Sklavin an ihrem Oberarm und führt sie ins Schlafzimmer. Nur dort kann Fräulein S. sich wirklich fallen lassen.

Wie spießig, denkt sie manchmal, kommt aber nicht dagegen an. Möglicherweise ein Residuum der sterilen protestantischen Ethik, in deren Geist man sie aufwachsen ließ? Aber Fräulein S. boykottiert seit Langem jede Psychologie.

Wenn etwas eine Bereicherung ist, ist es gleichgültig, warum man es tut, lautet ihre Maxime.

Antonia ist nicht erstaunt ob des plötzlichen Übergriffs. Sie folgt jeder Laune ihrer Herrin mit Ruhe und Souveränität – und das bereits seit Beginn der Beziehung. Fräulein S. setzt sich aufs Bett.

»Knie nieder!«, befiehlt sie dem Mädchen. Toni tut, wie ihr geheißen. Fräulein S. schlägt den Rock hoch und zieht den Slip zur Seite. Antonia weiß genau, was sie nun zu tun hat. Aber sie wartet ab. Denn Fräulein S. liebt es, ihr in den Haarschopf zu greifen und ihren Kopf scheinbar gewaltsam zwischen den eigenen Schenkeln zu platzieren. Antonia fängt sofort an zu lecken. Erst langsam und vorsichtig, ja zärtlich, dann immer fordernder. Sie umkreist mit der Zunge die Klitoris ihrer Herrin, um sich dann ganz plötzlich und unerwartet daran festzusaugen. Sie löst sich wieder und leckt gleichmäßig darüber hin. Sie weiß, dass Fräulein S. auf diese Weise bald kommen wird. Antonias Zunge fühlt sich rau an.

Wie bei einem kleinen Tier, denkt die Herrin. Gleich wird es so weit sein. Sie packt Tonis Haare fester. Sie reißt daran und presst gleichzeitig das Gesicht der Sklavin auf das eigene Geschlecht. Antonia ist als Person in solchen Momenten nicht vorhanden. Hier zählen nur die unglaubliche Geschicklichkeit ihrer Zunge und die Phantasiebilder, die begleitend an Fräulein S.’ inneren Augen vorbeiziehen: Sie sieht Toni, mit nichts an ihrem schönen Körper außer schwarzen High-Heels, über den Schreibtisch gebeugt. Dahinter steht Philip. Er hat Tonis Becken gepackt und schiebt sich langsam in ihre enge Möse hinein. Antonia zeigt sich willig, dennoch bereitet es ihr Mühe. Sie wimmert leise. Philip bewegt sich zunächst vorsichtig. Er hält den Unterleib des Mädchens eng an seinen gepresst. Als Toni bereit zu sein scheint, stößt er fester und immer fester in sie hinein. Kurz bevor er den Höhepunkt erreicht, zieht er den Schwanz aus der Möse der Sklavin. Dann ergießt er seinen Saft auf deren Rücken.

Plötzlich ist es so weit: Heiß überkommt es das stets so selbstbeherrschte Fräulein S. Ein heiserer Aufschrei entflieht ihrer Kehle. Sie biegt den Rücken nach hinten, wirft den Kopf in den Nacken und stößt das Mädchen dabei von sich weg. Ihr Atem geht schwer. Sie verharrt einen Moment. Ein letzter tiefer Atemzug. Vorbei. Fräulein S. setzt sich gerade hin. Ein kurzer Moment verstreicht, dann steht sie auf und zieht Toni mit sich in die Höhe. Sie hat sich wieder vollkommen unter Kontrolle.

»Wie siehst du nur aus, Antonia?«, fragt sie mit einem süffisanten Lächeln. »Deine Haare sind ja vollkommen zerzaust.« Und Fräulein S. gibt ihrer Sklavin links und rechts eine feste Ohrfeige. Beim Verlassen des Raumes wirft sie über die Schulter zurück: »Wasch dich Toni, und zieh dir was Nettes an, die Gäste kommen gleich.« Seufzend begibt sich Antonia ins Bad. Manche Gewohnheiten der Herrin erscheinen ihr doch etwas irritierend.

Eine halbe Stunde später sind Tonis Haare ordentlich aufgesteckt. Ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt.

Sie ist so hübsch, denkt Fräulein S. Eigentlich hätte sie gar kein Make-up nötig. Antonia trägt einen schwarzen, knielangen Rock aus fließendem Stoff. Den Oberkörper umschließt ein schwarzglänzendes Korsett, das Tonis geringe Oberweite in ein reizvolles Dekolleté verwandelt und ihre schmale Taille betont. Kein Schmuck. Nur ein schwarzes Lederhalsband und Handfesseln aus demselben Material. Fräulein S. tritt hinter ihre Sklavin und legt die Hände auf deren bloße Schultern. »Wunderschön«, sagt sie und küsst das Mädchen in den Nacken.

Es klingelt. Fräulein S. durchquert den Flur und betätigt den Türöffner. Bald darauf ist ein Klopfen an der Wohnungstür zu vernehmen. Die Hausherrin öffnet. Es ist Philip. Er trägt einen dunklen Anzug und in der Hand einen Blumenstrauß. Sie haben einander lange nicht gesehen. Philips Gesichtszüge scheinen Fräulein S. eine Spur markanter geworden zu sein. Das macht seine äußere Erscheinung noch interessanter. Sie umarmt ihn als gleichberechtigten Freund. Heute soll er nicht ihr Lustdiener sein. Erstaunt folgt Philip seiner dominanten Freundin in die Küche. Was ihn wohl heute erwarten mag?

Während Fräulein S. sich selbst und dem ersten Gast einen Aperitif gönnt, darf Antonia den Tisch im Wohnzimmer dekorieren. Solche Aufgaben liebt sie. Fräulein S. ist immer wieder erstaunt, wie geschickt Toni mit den Händen ist. Die Sklavin ordnet Rosen in einer Vase an. Versonnen hält sie eine Blume in den Händen. Ihre Finger spielen an den Dornen, die Phantasie schlägt Purzelbäume. Ihre Finger wandern zum Dekolleté. Vielleicht werden nachher dort Kratzer sein? So tiefrot wie die Rosen?

Fräulein S. nutzt die Zeit in der Küche, um gemeinsam mit Philip eine grobe Dramaturgie des Abends zu entwerfen. Philip ist über die Pläne der Herrin hocherfreut. Für Toni allerdings soll es eine Überraschung sein. Philip und das Mädchen sind einander in der Vergangenheit bereits mehrfach begegnet, die Sympathie ist auf beiden Seiten groß. Philip, der Anwalt, der so ganz im Wirtschaftsleben gefangen ist, vernimmt stets mit Interesse Tonis Schilderungen des Alltags als Doktorandin und Journalistin. Es sind für ihn Erzählungen aus einer anderen Welt, denen er mit nahezu ethnologischem Interesse folgt. Zudem fasziniert ihn Antonias Enthusiasmus für politische Zielsetzungen, die er längst für tot glaubt.

Antonia ihrerseits bewundert Philips gesellschaftlichen Status, seine Ruhe und Gelassenheit der Zukunft gegenüber. Sie fühlt sich durch seine Anteilnahme an ihrem Leben bestätigt und ernst genommen. Zudem ist mancher Fall, den Philip bearbeitet, für sie unter journalistischen Gesichtspunkten von Interesse, obschon der Anwalt hierüber immer nur andeutungsweise sprechen kann. Fräulein S. jedenfalls hat bereits seit Längerem registriert, wie oft ihre Sklavin nach Philips Befinden fragt. Und es ist ihr selbst ein Vergnügen, Antonia, der sie oft einiges zumutet, eine Freude bereiten zu können.

Es klirrt leise, als Fräulein S. mit Philip anstößt. »Auf diesen Abend.« In diesem Moment schrillt die Türglocke erneut. Fräulein S. hat sich den ganzen Nachmittag Gedanken gemacht, wie Fräulein Wiesengrund und der zurückhaltende Thomas am besten in das Geschehen einzubeziehen wären. Ein Anlass dieses Essens sollte schließlich die Neubelebung der Freundschaft zu Fräulein Wiesengrund sein.

Integration, dachte Fräulein S. ein paar Stunden zuvor, das ist es. Da Thomas ungern in der Öffentlichkeit spielte – selbst in einem derart geschützten Umfeld wie diesem –, gab es nur eine Möglichkeit.

Ich werde Toni zusätzlich an Fräulein Wiesengrund ausliefern und mich selbst vollkommen im Hintergrund halten, lautete der Beschluss, den sie gefasst hatte. So konnte sich Fräulein S. vollkommen um Thomas kümmern, der sich schließlich nicht langweilen sollte. Aber das würde er in keinem Fall: Ich werde ihm eine opake Inszenierung bieten, denkt sie und durchmisst den Flur ein weiteres Mal mit energischen Schritten. In einem knielangen, schmal geschnittenen Rock aus Glattleder, schlichten halbhohen Pumps und einem leichten Pullover mit tiefem V-Ausschnitt erscheint Antonias Herrin elegant, unnahbar und gerade deshalb begehrenswert bis zum Unerträglichen. Fräulein S. pflegt bei ihrer Kleidung allgemeine Monochromie: Toni hat sie nie anders gesehen als in Schwarz.

Ein weiteres Mal drückt sie die Messingklinke herunter. Erstaunt registriert Fräulein S. eine leichte Nervosität und schilt sich im gleichen Moment selbst dafür.

Es wird gut gehen, denkt sie. Wir werden einen wunderbaren Abend verbringen.

Vor der Tür stehen Fräulein Wiesengrund und Thomas, Letzterer wie immer einen Schritt hinter ihr. Die Begrüßung fällt betont herzlich aus. Philip tritt – ganz der Hausherr – aus der Küche. Er lächelt gewinnend, umarmt Fräulein Wiesengrund und klopft Thomas auf die Schulter. Fräulein S. hatte ihm beim Aperitif kurz den Stand der Dinge dargelegt. Er kennt das Paar schon lange und hatte sich selbst darüber gewundert, dass der Kontakt seit einiger Zeit nicht mehr die alte Intensität zu besitzen schien. Plaudernd begibt man sich ins Wohnzimmer. Die Rituale sind bekannt, das Spiel eröffnet.

Philip schenkt den Wein ein. Antonia bringt den Salat und bedient die Gäste. Als Philip an der Reihe ist, legt er kurz seine Hand auf die der Sklavin. Antonia wird rot. Unter niedergeschlagenen Augenlidern blinzelt sie den jungen Anwalt an. Sie lächelt nervös, und ihr Teint wird noch eine Spur intensiver. Nicht so voreilig, mein Lieber, denkt Fräulein S. Du kriegst sie noch früh genug. Auch Antonia darf schließlich Platz nehmen. Zwar hätte Fräulein S. sie zunächst ganz gern komplett in die Küche verbannt, aber das wäre vielleicht doch etwas hart gewesen, außerdem möchte sie Antonias Gesellschaft bei Tisch nicht missen. Und das ist nicht alles. Auch unter strategischen Erwägungen wäre es unklug, das Mädchen auszuschließen. Im Zuge der Vorbereitungen dieser Einladung hatte sie immer mehr Enthusiasmus für den Gedanken entwickelt, Antonia einmal an Fräulein Wiesengrund abzugeben. Aus ihrer gemeinsamen Arbeitszeit kennt sie die überzeugende Dominanz der Gefährtin sowie deren technische Präzision. Auch wenn die frühere Kollegin in ihrer privaten Beziehung nur wenig Gelegenheit dazu haben sollte (Wie und warum nur erträgt sie das? Für Fräulein S. ein Buch mit sieben Siegeln), so wusste sie zumindest früher stets, ihren Sadismus in ästhetisch überaus ansprechender Form auszuagieren. Und Fräulein S. will hier schon einmal das geplante Arrangement anbahnen.

Es beginnt vielversprechend: Fräulein Wiesengrund hat ihr Konglomerat aus negativen Gefühlen erfolgreich niedergezwungen und sich ab dem Nachmittag sogar doch noch auf den Abend gefreut. Auch Thomas erscheint gelöst und lebhafter als sonst. Angeregt unterhält er sich mit Philip über Berufliches. Fräulein Wiesengrund hingegen erkundigt sich interessiert nach dem Gedeihen von Antonias Promotion. Nachdem Antonia das Geschirr des letzten Ganges abgetragen hat, kniet sie vor der Wand nieder, den Blick gesenkt. Sie hat zu warten. Seitdem Fräulein S. zum ersten Mal in diesem Rahmen eingeladen hat, besitzen diese Abende eine choreographische Grundstruktur, wobei im Laufe der Zeit die Rituale beständig ausdifferenziert wurden. Die Tischgesellschaft raucht, die Gespräche wenden sich von alltäglichen Fragen ab. »Ich hoffe, Antonias Dienste haben euch zugesagt«, beginnt Fräulein S. Philip spielt den Ball zurück: »Liebe Freundin«, sagt er, »ich würde die Dienste deiner Sklavin gerne einmal auf eine ganz andere Art und Weise in Anspruch nehmen.« Fräulein S. zieht ein letztes Mal tief an ihrer Zigarette, bevor sie sie im Aschenbecher ausdrückt. »Wir werden sehen«, antwortet sie. Ihr signalrot geschminkter Mund verzieht sich vielsagend. »Antonia scheint mir heute ein wenig unruhig«, erklärt Fräulein Wiesengrund. »Etwas Ablenkung wäre wohl das Richtige.«

Gelegenheit macht Diebe, denkt Fräulein S. Nicht nur für Fräulein S. eine rätselhafte Erscheinung, weshalb ihre Gefährtin, die sie doch aus früheren Zeiten als passionierte Domina kennt, weitgehend auf ihr erotisches Vergnügen verzichtet. Fräulein Wiesengrund selbst ist verbittert über die eigene Situation. Doch eine wirkliche Veränderung ginge wahrscheinlich mit dem Ende ihrer Beziehung einher. Und damit würde sie ihre materielle Existenzbasis verlieren, zumindest jedoch ihren Lebensstandard erheblich einschränken müssen. An diesem Abend bricht zum ersten Mal seit Langem wieder die Spielerin in ihr durch. Zwar war die letzte Zeit des Kontakts zu Fräulein S. von Spannungen geprägt, doch heute giert Fräulein Wiesengrund nach erotischer Entlastung.

Fräulein S. steht auf. Die Werkzeuge bittersüßer Qual liegen in einer Ecke auf einem kleinen Tisch bereit. Die Herrin greift zunächst nach einer schmalen Hundeleine aus festem Leder. Vor Antonia begibt sie sich in die Hocke und befestigt die Leine an deren Halsband. Ein kurzer Ruck und ein fester Griff unter das Kinn: Fräulein S. zwingt Antonia, ihr in die Augen zu sehen. »Nun?«, fragt sie kühl. Während der kurzen Zeit, die Antonia wartend verbrachte, hatte sie Gelegenheit, sich auf das Kommende einzustellen: »Ich werde alles tun, was Sie, meine Herrin, von mir verlangen. Ich weiß, dass Ungehorsam schwere Folgen nach sich ziehen wird. Ich bin damit einverstanden, dass Sie in einem solchen Falle jedes beliebige Mittel anwenden. Und ich will Ihnen, was es auch sein mag, dankbar dafür sein, dass Sie sich meiner Erziehung annehmen.«

»Braves Mädchen«, sagt Fräulein Wiesengrund und tätschelt Antonias Wange. »Du hast die Kleine inzwischen ganz nett abgerichtet, das muss man dir lassen«, sekundiert Fräulein Wiesengrund. Sie redet über mich wie über eine Hündin, denkt Antonia. Zwischen den Beinen verspürt sie plötzlich Feuchtigkeit.

Fräulein S. hat sich inzwischen erhoben. Sie hält die kniende Sklavin an der kurzen Leine.

Antonias Vorstellungsvermögen projiziert den Anblick, den sie an der Seite ihrer Herrin den Gästen bieten muss, auf eine imaginäre Leinwand. Unwillkürlich strafft sich ihr Rücken und beugt sich ihr Nacken noch ein wenig tiefer. »Steh auf und zieh dich aus!«, befiehlt Fräulein S. Sie tritt einen Schritt von Antonia weg. So kann die Tischgesellschaft das Mädchen ungehindert betrachten. Antonia streift den Rock herunter und legt ihn beiseite. Ein bisschen ungeschickt schwankt sie auf ihren Pumps. Dann hakt sie das Korsett auf. Die Schuhe und die halterlosen schwarzen Strümpfe darf sie anbehalten. Antonia kreuzt die Hände im Rücken und wartet. Sie geniert sich ein wenig. Es ist ganz still im Raum. Dann wird die Ruhe von den Schritten ihrer Herrin durchbrochen. Fräulein S. beginnt, langsam um Antonia herumzuschreiten. Dabei zieht sie diese an der Leine mit sich.

»Komm, Toni, dreh dich, wir wollen dich von allen Seiten sehen.«

Gehorsam zeigt sich Antonia rundherum. Einerseits ist sie stolz, ihren Körper präsentieren zu dürfen, zum anderen vergeht sie vor Scham unter den Blicken, nach denen sie süchtig ist. Anerkennendes Raunen am Tisch.

»Nun«, sagt Fräulein Wiesengrund gedehnt und macht eine kurze Pause, »wäre es wohl möglich, sie sich etwas genauer anzuschauen?«

»Aber gern«, antwortet die Gefährtin und wendet sich Toni zu: »Na los, auf die Knie, und mach die Beine schön breit.« Antonia gehorcht.

»Noch breiter!« Fräulein S. tritt ihr leicht gegen die Innenflächen der Oberschenkel. Die Sklavin spreizt die Beine, soweit es irgend möglich ist. »Nicht so schüchtern, Toni! Na los, jetzt zeig uns schon dein Fötzchen.«

Antonia ist froh über die Regel, niemandem ins Gesicht schauen zu dürfen. Ihre Hände wandern zwischen die Beine und ziehen die Schamlippen auseinander. Dort unten ist es feucht und warm. Antonia spürt ein Pochen in ihrer Klitoris. »Zeig mir die Kleine mal von hinten.« Das war Fräulein Wiesengrund. Die Sklavin ahnt, was man von ihr verlangen wird. »Umdrehen«, sagt Fräulein S. knapp. Antonia dreht sich um. Sie zögert. »Antonia.« Der Tonfall ist Warnung. In den Ohren der Sklavin saust es. Es gibt nichts, was erniedrigender wäre als diese Position. Gleichzeitig der Wunsch zu gehorchen. Antonia steht auf einer Klippe; tief, tief unten das Meer.

Spring, so lautet ihr stummer Ruf an sich selbst. Und sie springt: neigt den Oberkörper vor und legt den Kopf seitlich auf den harten Dielenboden. Sie drückt das Kreuz durch, so stark sie kann. Ihre Lenden treten hervor. Sie zieht ihre Pobacken auseinander und präsentiert ihre Rosette. Eine läufige Hündin, denkt Toni, ja, das bin ich.

Fräulein S. weiß genau, welche Überwindung ihre Sklavin diese Position kostet. Es ist das erste Mal, dass sie Toni anderen in dieser Stellung vorführt. Sanft streicht sie ihr über den Rücken. »Brav«, sagt sie leise, »so ist es brav.« Diese Worte berühren Antonia in eigenartiger Weise. Es degradiert sie auf die Ebene eines kleinen Mädchens, das der Willkürherrschaft Erwachsener unterstellt ist. Gehorsam oder Strafe, dazwischen gibt es nichts. Antonia hat keine Wahl. Die Scham weicht von ihr. Schließlich befolgt sie nur die Befehle der Herrschaft. Das Pochen im Kitzler hat sich inzwischen zu einem gewaltigen Druck gesteigert.

Philip trinkt einen Schluck Wasser. Ihm ist heiß. Plötzlich greift Fräulein S. Antonia zwischen die Beine. Fast hätte sie gelacht. »So eine kleine Schlampe«, sagt sie. »Du markierst hier die Unschuld vom Lande, aber in Wahrheit würdest du alles darum geben, jetzt einmal kräftig durchgefickt zu werden, nicht wahr? Aber so leicht werden wir es dir nicht machen. Du bist zu unserem Vergnügen hier und nicht zu deinem, das weißt du ganz genau.« Würde man Antonia nach ihrem Fetisch fragen, so müsste sie sich zum Fetischismus des Wortes bekennen: Es gibt nichts, was sie so stark in die Erregung treibt wie bestimmte Formulierungen, Befehle, Frage-und-Antwort-Spiele.

»Sag mir, was du bist«, setzt ihre Herrin erneut an, »und wofür du hier bist.« Gleich darauf korrigiert sie sich. »Nein, ich weiß das ohnehin. Sag es unseren Gästen. Und schau sie dabei an. Sie sollen schon wissen, womit sie es zu tun haben. Denn heute Abend, kleine Toni, wirst du uns allen gehören.« Antonia hatte es bereits im Stillen vermutet. Nun war Gewissheit eingetreten. Vor Fräulein Wiesengrund hatte sie ein bisschen Angst, verursacht durch Fräulein S.’ Erzählungen aus der gemeinsamen Vergangenheit. Antonia schluckt. Dann sieht sie die Gäste an. »Ich bin eine Schlampe«, sagt sie leise, aber hörbar. »Und ich bin hier, um Ihnen allen, die Sie sich hier im Raum versammelt haben, zu dienen. Ich stehe bedingungslos zu Ihrer Verfügung.«

»Steh auf, Antonia.«