Der Goalie bin ich - Pedro Lenz - E-Book

Der Goalie bin ich E-Book

Pedro Lenz

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Beschreibung

Der Goalie ist anders. Anders als die ganzen Kneipenhocker und Grämmchendealer in seinem Heimatdorf. Und doch war er es, der für ein Jahr ins Gefängnis musste. Ein Sündenbock. Ein Querdenker, und plötzlich wieder mittendrin im Leben. Von der wieder erlangten Freiheit verlangt er nicht viel: einen festen Job, ab und zu ein Glas Rotwein und reden dürfen, wie ihm der Mund gewachsen ist. Und vielleicht, dass sich die Kellnerin Regi, das Zentralgestirn seiner Träume, endlich auch in ihn verliebt. Als Regi Probleme mit ihrem Freund bekommt und mit dem Goalie eine Reise nach Spanien antritt, scheint sein Glück zum Greifen nah.

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INHALT

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ÜBER DEN AUTOR

Pedro Lenz, geboren 1965, ist Dichter, Schriftsteller, Kolumnist und Mitglied des Bühnenprojekts Hohe Stirnen und der Spoken-Word-Gruppe Bern ist überall. Als Autor hat er bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Pedro Lenz schreibt in schweizerdeutscher Umgangssprache und ist in der Schweiz auch als Performance-Künstler bekannt. Er lebt in Olten.

ÜBER DAS BUCH

Der Goalie ist anders. Anders als die ganzen Kneipenhocker und Grämmchendealer in seinem Heimatdorf. Und doch war er es, der für ein Jahr ins Gefängnis musste. Ein Sündenbock. Ein Querdenker, und plötzlich wieder mittendrin im Leben. Von der wiedererlangten Freiheit verlangt er nicht viel: einen festen Job, ab und zu ein Glas Rotwein und reden dürfen, wie ihm der Mund gewachsen ist. Und vielleicht, dass sich die Kellnerin Regi, das Zentralgestirn seiner Träume, endlich auch in ihn verliebt. Als Regi Probleme mit ihrem Freund bekommt und mit dem Goalie eine Reise nach Spanien antritt, scheint sein Glück zum Greifen nah.

1.

Angefangen hat es eigentlich viel früher. Geradeso gut kann ich aber auch behaupten, es hat an diesem einen Abend angefangen, ein paar Tage, nachdem ich aus Witz zurück war.

Ungefähr zehn, vielleicht halb elf. Spielt keine Rolle. Auf alle Fälle ein saukalter, beißender Wind. Schummertal. November. Und mein Herz so triefend schwer wie ein alter, feuchter Lappen.

Ich also ins Maison auf einen Kaffee mit Schuss.

Die Knastrente war schon verjubelt, ohne dass ich wusste, wo und wie. Ich also ohne Kohle damals, aber dringend einen Kaffee mit Schuss nötig, ein wenig Gesellschaft und ein paar Stimmen.

Wie gesagt, nichts in der Tasche außer ein paar Zigaretten und ein paar Münzen. Ein Engpass halt, aber ein ziemlich enger. Wartete auf was, das mir einer noch schuldete. Sag mal jemandem, wenn du gerade aus dem Loch raus bist, jemand schulde dir noch ziemlich viel Kohle, doch seist du gerade nicht besonders flüssig. Das interessiert so keine Sau.

Eben, ich also ins Maison, bestelle einen Kaffee mit Schuss, da fragt mich die Regula, ob ich bezahlen könne.

Keine so schlechte Frage, zugegeben.

Mach keine Geschichten, Regi, sei so gut, bring ihn erst mal, so ich zu ihr, dann schauen wir weiter.

Bist ein ewiger Schwätzer, sagt sie und bringt ihn.

Hab’s nicht getippt, sagt sie, und schaut mich so an, weiß auch nicht genau, wie, anders als sonst, mit etwas mehr Sehnsucht in den Augen oder so ähnlich. Keine Ahnung, wie es anderen ergeht, aber mich wärmt so was bis ins Innerste, wenn mich eine Frau wie Regi so anschaut.

Danke, Regi, bist lieb. Bezahl’s dir mit Beten zurück.

Ich solle aufhören mit den ewigen Sprüchen und mich vor allem nicht daran gewöhnen, sagt sie, weil wenn Pesche erfährt, dass ich diesen Kaffee Schnaps nicht getippt habe, gibt’s ernsthafte Probleme. Ich wisse ja selbst, wie Pesche sein könne.

Die ist einfach eins a, die Regula, die muss man loben, die schaut zu unsereiner, sagt sich einfach mal, das tipp ich jetzt nicht, das merkt ja wahrscheinlich keiner, und der Wirt, der Pesche, merkt es eh als Letzter, und der Goalie hat so seinen Kaffee mit Schuss und Schluss.

Mir war ja schon lange klar, dass Regula ein großes Herz hat. Aber an jenem Abend hat sie angefangen, mir auch in anderen Belangen zu gefallen.

Das ist ja im Grunde extrem komisch: Da kennst du eine Frau seit Jahren, und du denkst dir nicht viel, und plötzlich, mein Gott, plötzlich hat sie was. Ja, doch, plötzlich hat sie so was, so etwas, das dich nervös macht, plötzlich gefällt sie dir. Das soll begreifen, wer will. Ich hatte viele offene Fragen, ganz ehrlich. Aber an dem Abend interessierte mich mit einem Mal nur noch eine Frage brennend: Ist es wohl möglich, dass Regula und ich in diesem Leben einmal ein Paar werden?

Du, Regula, so ich zu ihr, könnte ich dich um einen kleinen Gefallen bitten? Könntest du bis Montag einen Fünfziger entbehren? Weißt, jemand schuldet mir noch ziemlich viel Kohle, aber gegenwärtig hab ich nichts in der Tasche, ein Problem mit der imaginären Erfolgsrechnung, du verstehst, was ich meine.

Wieder schaut sie mich so an. Ich hätte mich wohl gar nicht verändert in Witzwil, sagt sie, und dass man nicht meinen könne, ich hätte fast ein Jahr dort verbracht, weil wenn man mir so zuhöre, sei ich noch immer haargenau der gleiche Schwadronierer wie früher.

Mach keine Geschichten, Regi. Davon hast du keine Ahnung. Du weißt nichts über mich und nichts über Witzwil. Und das ist auch besser so. Kannst froh sein. Und wegen der Kohle: Ich will nicht betteln, bei dir schon gar nicht, du entscheidest, entweder du hast einen Fünfziger, oder wenn nicht, dann frag ich dich halt was anderes. Das wäre alles.

Sie hat mir dann den Fünfziger gegeben: gefaltet und kommentarlos in die Brusttasche gesteckt. Ich nahm ihre Hand, küsste die Innenseite ihres Arms und sagte, wenn du jetzt nicht arbeiten müsstest, würd ich dich glattweg mit nach Hause nehmen und in die Pfanne hauen, ich schwör’s, Regi, ich würde dich glücklich machen.

Ich sei wirklich ein blöder Schwätzer, so sie zu mir und lacht ein wenig, und ich lach auch ein wenig. War gut, wieder mal zu lachen, wirklich gut. Hatte nicht viel zu lachen gehabt in der letzten Zeit, wirklich nicht.

Als der Schuss raus war aus dem Kaffee, ging ich rüber in den Spanier-Klub, schauen, ob es noch was zu essen gäbe. Und tatsächlich gab es noch was, obwohl es schon spät war. Paco machte mir Fisch und wärmte Reis. Das war genau das Richtige.

Wo ich gewesen sei, wollte er wissen. Hätte mich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.

Galera, sagte ich, weißt du, Alcatraz, und deutete mit den Händen ein Gitter vor meinen Augen an.

Er schüttelte nur langsam seinen schweren Kopf und verzog die Mundwinkel. Darin sind sie gut, hier im Spanier-Klub, sie wissen, wann nachfragen und wann besser nicht.

Du, Paco, sag mal, hast du vielleicht mal Uli oder Marta gesehen? Nicht? Sind nie vorbeigekommen? Macht auch nichts. Ist übrigens gut, der Reis, tipptopp, doch, ihr kocht gut hier, wirklich.

Gracias, Quíper, sagte er. Er nennt mich immer Keeper, was dasselbe heißt wie Goalie, also Torhüter, aber so, wie man in Spanien sagt. Danke, er leite es gerne in die Küche weiter, so er, und schenkt Wein nach, mit seiner großen, ruhigen Hand, die mich an die Hand meines Vaters erinnert, der zwar nicht immer der Einfachste gewesen war, aber manchmal auch so eine ruhige Hand hatte. Ich also roten Navarra im Glas, vom Guten. Obwohl, hätte ich wählen können, hätte ich lieber einen halben Löffel Braunes gehabt. Gleichzeitig wusste ich, dass das aufhören musste, dass ich einen endgültigen Strich darunter ziehen musste, unter das elende Gift und das ganze Lumpenzeugs. Ist doch logisch: Man kann doch nicht das ganze Leben lang diesem Kick hinterherrennen, das ganze Leben lang nur warten, bis es wieder Splash macht in der Birne und dir die Wärme mitten im Winter wie ein heißer Sommerwind durch die Venen bläst.

Dann hast du Uli also nicht gesehen? Bin auf der Suche nach ihm, muss ihn was fragen, was Wichtiges.

Nein, sagt Paco, nein, er habe ihn schon lange nicht mehr gesehen, wohl länger als eine Woche. Der arme Uli. Habe wohl Probleme.

Der Uli ist ein Depp, tut mir leid. Das sagte ich nicht zu Paco, das ist eine Sache zwischen mir und mir, das muss ich keinem verraten, nicht einmal dem Uli selbst. Doch es nervt, du kannst mit dem blöden Arsch nie etwas verbindlich abmachen. Nie, niemals!

Gut, er hat mir diese Wohnung organisiert, das muss gesagt sein, meine Loge hab ich wegen ihm, weil sein Vater Beziehungen hat zu dieser Verwaltung oder zu wem oder was auch immer.

Aber, sorry, die Bude gehört nicht Uli, ich bezahle Miete, ich meine, danke, Uli, vielen Dank, vielen herzlichen Dank, tausend Dank, aber das hat nichts mit dem Business zwischen uns zu tun. Wenn du einem Freund versprochen hast, du zahlst ihm bis dann und dann die Knete, die du ihm noch schwach bist, dann zahlst du sie auch bis dann und dann, oder aber du meldest dich, rufst an, schreibst ein paar Zeilen, lässt was ausrichten, ich weiß auch nicht, irgendwas, aber verschwindest doch nicht einfach von der Bildfläche.

Ich schaute auf die Uhr, die oben an der Wand neben dem vergilbten Real-Madrid-Wimpel hing, an demselben Balken, an dem auch die Leuchtstoffröhren angebracht sind. Schon halb zwölf. Noch einen Veterano, dann nach Hause, dachte ich. Dreckswetter. Gib mir einen Brandy, Paco, gut eingeschenkt, ich bitte darum, es ist wieder kalt draußen.

Komisch, dass an einem Freitag beim Spanier nicht mehr Leute waren. Ein paar Junge am Tischfußball, ein paar Alte am Schwatzen, das war’s. Und ich am Warten. Auf irgendwas.

Alter, mach was, jetzt musst du was tun!, sagte ich mir. Und bestellte noch einen Brandy. War froh um Regulas Fünfziger. Man ist ein anderer Mensch, wenn man was im Portemonnaie hat. Aber wenn ich nicht bald den Uli finde, dachte ich, muss sich Regula noch etwas gedulden, bis sie was zurückkriegt.

Als ich so an Regula herumdachte, kamen mir plötzlich die Tränen. Weiß selbst nicht, warum, sehr peinlich, alleine an einem Tisch, und die Tränen kullern dir runter.

Feierabend, Goalie!

Pacos Frau. Wenn es drauf ankommt, dann ist sie es, die nach dem Rechten schaut. Paco ist zu weich, der kann nicht Sperrstunde machen, bringt’s nicht über die Lippen. Sie schon.

Also rieb ich mir die Augen, als hätte ich eine Entzündung, bezahlte und ging, in Richtung nach Hause. Wählte jedoch nicht den direktesten Weg, nein, wollte noch mal schnell beim Maison vorbei, schauen, ob Regula nicht auch gleich Feierabend macht. Ich rauche also im Hof noch eine, mit Blick auf die Hintertür, weil ich dachte, dass sie da rauskommt. Es war ja auch noch Licht in der Kneipe. Wäre schön, sie noch kurz zu sehen, dachte ich. Stand im Dunkeln unter dem Vordach. Von der Straße her war ich nicht zu sehen, vom Parkplatz aus zum Glück auch nicht. Buddy wartete auch auf sie. Buddy saß in seiner Karre, Buddy war ihr Typ, offiziell. Buddy holte Regula von der Arbeit ab, weil er diese Funktion innehatte, weil man das so macht, wenn man eine Freundin hat, die bedient, und man sicher sein will, dass sie sicher nach Hause kommt. Vor allem, wenn sie an so einem Ort wie dem Maison arbeitet, wo Gemeingefährliche wie ich verkehren und, Gott behüte, noch Schlimmere.

Gratuliere, Buddy, hast alles unter Kontrolle, Buddy, kontrollierst die Karre, kontrollierst deine Freundin, kontrollierst deine Frisur, Buddy, kontrollierst den Blutdruck, bist der Chef, Buddy, hundertpro, der Champion, Buddy, sie ist die Deine, du hast es im Griff, hast sie im Griff, bravo, bravo, bravo, Buddy, du Warmduscher, dann spuckte ich erst mal auf den Boden.

Ich hatte nichts, dort und damals, keinen Anspruch, keine Chance, kein Geld, nichts. Wollte nur zufällig vorbeischlendern, wenn sie rauskommt, und sagen: Schau an, die Regula! Bist auch auf dem Nachhauseweg? Wo musst du hin, Regi? Komm, ich begleite dich. Nein, ist doch kein Umweg für mich, stell dir vor, nein, wirklich, es macht mir nichts aus. Wollte eh da lang.

Auf dem Weg hätte ich dann etwas mysteriös geschwiegen. Das kommt meist gut an. Gerade wenn eine den ganzen Tag bedienen muss, solltest du ihr um halb ein Uhr morgens nicht auch noch die Birne füllen. Dann musst du schweigen können, zuhören, wenn sie etwas erzählt, und auch wenn sie nichts erzählt. Und dann später, vor ihrer Wohnung, kurze Umarmung und Küsschen auf die Wangen, und beim letzten Küsschen eine halbe Sekunde länger, nur ein wenig länger als normal. Dann weg. Dann umdrehen und noch kurz zurückwinken.

Das hätte ich gemacht, sodass sie hätte denken können, das ist aber ein sauberer Junge, dieser Goalie. War gerade eben ein Jahr lang im Knast und hat keine Kohle, dafür aber hat er Stil. Warum hat er beim Abschiedskuss gezögert? Ich glaube, er hat etwas gezögert beim letzten Kuss. Als hätte er noch länger küssen wollen. Oder etwa nicht?

Genau solcherart Gedanken müsste man einer wie der Regula mit auf den Weg geben. Das wären Gedanken, an denen sie noch eine Weile Freude hätte.

Doch waren dies meine Gedanken. Und vorne im Schatten saß Buddy in seiner aufgetakelten Celica, das Soundsystem ziemlich aufgedreht, wie wahrscheinlich auch die Heizung. Und ich fror mir hier alleine an dieser zugigen Ecke einen ab wie ein krankes Kalb im Winter, nutzlos und ohne Musik.

Hey Goalie, was läuft? Was machste noch hier? Wartest du auf eine Lungenentzündung?, sagte ich zu mir selbst und ging, wie immer alleine, nach Hause.

2.

Regula ist nicht die Einzige, die es weiß. Ich saß für eine Weile in Witzwil, Vollpension, und ja, es war wegen Giftgeschichten. Bin nicht der Erste. Eine Kleinigkeit. Ein Zwischentief. Dumm gelaufen. Das ist alles. Keine Ausreden. Hab Mist gebaut. Ein paar haben zu viel gewusst, und ein paar von diesen wiederum haben zu viel geredet. So wurde ich verarscht und dann eingebuchtet. Ich habe meine Zeit abgesessen. Hab alles auf mich genommen. Keinen einzigen Namen ausgepackt, das ist nicht nichts, wenn man es genau betrachtet. Und jetzt ist es vorbei. Sorry. Mehr gibt es zu dieser Geschichte nicht zu sagen, jedenfalls jetzt noch nicht. Das Einzige, was ich vielleicht noch anfügen sollte, ist höchstens, dass ich immer alles selber gemacht habe. Ich meine, habe mir immer alles, was ich benötigte, selbst besorgt, auswärts. Ich war nie in größere Giftgeschichten verwickelt. Wollte mit dieser seltsamen Schummertaler Dealerszene nie viel zu tun haben, wo jeder jeden kennt und keiner keinem was gönnt, außer vielleicht eine Grippe oder einen Hautausschlag. So habe ich es alleine durchgezogen, bis auf dies eine Mal, wo es mich dann auch erwischt hat.

Jetzt versuche ich, wieder auf die Beine zu kommen, wieder Fuß zu fassen. Such mir einen Job, was Regelmäßiges. Eine Wohnung hab ich schon gefunden, also nicht ich, sondern Uli oder genauer, sein Vater. Ist nicht schlecht, zwei Zimmer, Zentralheizung, Badewanne, eigentlich sehr gut. Und jetzt brauch ich unbedingt einen Job. Sonst kommt es wieder so, wie es nicht sollte.

Klar, ich könnte auch jetzt jederzeit etwas organisieren, hier und dort ein paar Geschichten erzählen, diesen oder jenen anquatschen, ein paar Anrufe machen, was reinziehen, was rauslassen, ein wenig die Augen und Ohren offen halten, wäre alles kein Problem. Ich bin ein kommunikativer Typ. Ich hab die Ökonomie mehr oder weniger begriffen, und vor allem: Ich kenne jeden, restlos alle, und zwar inner- und außerhalb von Schummertal. Das Problem ist nur, dass ich das schon kenne. Das will ich nicht mehr, will einen gewöhnlichen Job, Monatsende die Kohle auf dem Konto und Jahresende eine Gratifikation oder einen Dreizehnten und vielen Dank, Goalie, Ende, Schluss.

Und Regula. Die hätte ich auch gerne. Manchmal, in der letzten Zeit, wenn ich alleine zu Hause rumhänge, denk ich an Regula, überlege, was ich zu ihr sagen würde, und vor allem, was nicht. Dann stelle ich mir vor, was sie sagen, was sie machen und was sie denken würde, und dann finde ich, es wäre richtig. Wirklich seltsam. Da kennt man sich schon so lange. Und erst, seit ich aus Witzwil zurück bin, denke ich an sie, oder genauer, seit diesem Abend, als sie mir den Fünfziger geborgt hat. Wirklich seltsam. Soll einer begreifen.

Studiere gerade wieder mal an diesem Thema herum, früher Nachmittag, klopft jemand wie blöd an die Türe, und das, obwohl es eine fehlerfrei funktionierende Klingel hat. Goalie! Bist du zu Hause? Mach bitte mal auf, ich bin’s, Uli!

Komm rein, du Mütze, es ist offen. Aber mach gleich wieder zu hinter dir, es zieht, verdammt. Hab ja schon nicht mehr daran geglaubt, dass du dich jemals noch blicken lassen würdest. Willst du ein Bierchen, Uli, oder soll ich dir einen Kaffee machen?

Er schaut nicht optimal aus, der Uli, muss ich leider sagen, sieht eher krank aus, extrem krank, um ganz präzis zu sein. Was ist los, Uli? Bist du reif, hat’s dich am Arsch? Hast du die Gelbe?

Ich solle einfach die Schnauze halten, so er.

Also hast du sie!

Nein, ne kleine Erkältung, das ist alles.

Das ist doch keine Erkältung! Glaubst du ja selber nicht. Zuerst bist du verdammt noch mal nirgendwo zu finden, und dann kommst du so hier an. Solltest dich sehen. Schau mal in einen Spiegel. Schaust aus wie ein alter Bergkäse. Ich will nicht, dass du rumhängst, wenn du die Gelbe hast. Das ist suboptimal. Geh zu einem Arzt, ich kenne einen, einen Anständigen. Tu was. Kannst ihn gleich anrufen, den Wydenmeyer, der nimmt dich vielleicht noch heute dran, wenn es sein muss, ist ein guter Arzt und ein guter Typ, nicht so ein Moralist wie die meisten. Wenn du willst, ruf ich ihn an.

Aber er wieder, nein, ich solle nicht durchdrehen, er habe nichts, sei fit, wolle nur schnell mal Hallo sagen, habe mir den Umschlag mitgebracht, es tue ihm leid, es habe ein wenig länger gedauert. Und er sei froh, sagt er noch, dass wir endlich einen Strich darunter ziehen könnten.

Den Strich ziehe ich, Uli, den Strich habe ich gezogen. Und wenn du die Kohle hast, ist das umso besser, aber denk daran, dass ich den Strich gezogen habe.

Okay. Schau, ich lege ihn dir hier zu den Bananen, nicht dass du dann rumheulst, du findest ihn nicht. Und zähl nach, Goalie, zähl bitte nach.

Kein Problem, ich zähle dann später nach.

Es ist eine Menge Geld, Goalie, und es gehört alles dir, es ist wirklich viel.

Fast ein Jahr Witzwil ist auch nicht wenig, Uli.

Und dann plötzlich, nach einer Weile, ob ich nicht ein bisschen Stoff hätte. Nur ganz wenig. Nur ein halbes Briefchen oder so, weißt du, nur so ein Restchen, was, das vielleicht mal liegengeblieben ist. Merke nämlich, dass ich langsam einen Affen schiebe oder, besser, ziemlich schnell.

Uli, wie oft muss ich es dir noch sagen! Glaub mir endlich, ich hab aufgehört, es ist Schluss. Kannst meine ganze Bude auf den Kopf stellen, du findest nichts. Die Wohnung ist sauberer als ein Kinderzimmer. Es ist vorbei, ich sag’s dir. Ich hab mit diesen Geschichten nichts mehr am Hut. Definitiv. Ich hab ein Jahr gesessen, Uli, das reicht, weißt du, was ich meine? Ich bin in einem neuen Film, das andere ist gegessen und aufgeraucht. Ich such mir einen Job und leg was beiseite. Dann mach ich mal Urlaub. Am Mittelmeer oder so. Nichts anderes mehr. Ganz normal am Morgen raus, am Abend einen Becher oder zwei, eine Runde durchs Dorf und dann beizeiten in die Heia, kein Stress, kein Geschwafel und nichts. Und nie mehr auf so verlogene Quasselstrippen warten, wie ich eine gewesen bin. Und wenn ich auf der Straße einen Fahnder sehe, kann ich ihm in die Augen schauen und ihn schön freundlich grüßen, und wenn er dann zurückschaut, kann ich mir denken, schau nur, schau nur, du buckeliger Rattenfänger, schau mich nur an, du Milchbubi, ich bin sauberer als sauber, sauberer als du und als all die anderen.

Ja, das ist erste Sahne, bravo, Goalie, eine nette Frau, einen Kindersitz im Wagen, ein Reihenhäuschen in der Agglo, eine Saisonkarte im Fitnesscenter, so er, und dass ich ja wohl selbst nicht daran glaube. Wer meinst du eigentlich, wer du bist? Glaubst wohl, du seist der neue Mensch, der Paulus vor Damaskus oder so was. Komm mal runter. Und außerdem bist du ja immer der Erste, der scharf wird, wenn jemand das Besteck hervornimmt.

Das bringt er ab und zu, der Uli, das mit dem Paulus vor Damaskus. Der Typ hat’s ziemlich drauf mit der Bibel, weil er mal Griechisch und Latein und so im Gymnasium hatte und auch Theologie studieren wollte oder auch mal studiert hat. Und jetzt also wieder mal der Paulus vor Damaskus. Und bei all dem Gelaber so einen kranken, glänzenden Schweißfilm im Gesicht, der Uli.

Komm, sag, sag’s, Goalie, sag es mir einfach! Wer glaubst du, dass du bist, und wer, glaubst du, könntest du sein?

Ich glaube gar nichts, Uli, aber ich muss aufhören mit dem Gift, weil ich noch ein paar Pläne hab mit dem Leben.

Goalie, du redest schon fast wie mein Alter. Hör schon auf und gib mir irgendwas.

Ich gab ihm ein Fläschchen Resyl plus und eine Schere, damit er den Tropfenzähler besser wegkriegt. Als er es offen hatte, putzte er das ganze Fläschchen in einem Schluck weg, und ich hielt ihm einen Löffel Honig hin, wegen dem Geschmack im Mund, und sag: Ich glaube nichts, Uli, ehrlich nicht. Von meiner Seite her ist alles bestens. Mach doch, was du willst. Macht doch alle, was ihr wollt. Ich rede nur für mich. Verstehst du? Ich bin nicht bei der Zeltmission. Sage dies alles nur wegen mir selbst. Ich bin raus, und das hat lange genug gedauert, kann ich dir sagen. Und jetzt hab ich keine Lust mehr, davon zu labern, weil das ist nämlich gerade das Nächste, was mich am Gift extrem nervt, dass alle, die drauf sind, immer nur vom Gift faseln. Und jetzt ruf doch bitte diesen Arzt an. Schaust schon aus wie ein richtiger Zombie, da kriegt man es ja mit der Angst zu tun.

Du, sag mal, warum machst du nicht etwas Mucke an, Goalie?

In diesen Dingen ist er gut, der Uli, muss ich zugeben, war er schon immer gut, kann das Thema wechseln, bevor man einen Streit anfängt. Macht er immer so. Also lege ich die Stones auf und hole endlich zwei kleine Bier.

Wo suchst du? Job, meine ich. Muss es was Bestimmtes sein? Oder temporär?

Nein, so ich, ist mir fast egal. Vielleicht nicht gerade auf dem Bau, jetzt, da es Winter wird, aber sonst ist es mir egal.

Er könne sonst mal seinen Alten fragen, so er.

Ich weiß nicht, ob ich das will. Der hat mir doch schon die Wohnung besorgt, weißt du, sonst läuft plötzlich mein ganzes Leben über deinen Vater ab.

Aber Uli sagt, hör doch auf! Der kennt doch Leute aus einem guten Grund. Schuldest ihm ja nichts. Ihm fällt das leicht. Er hat Beziehungen. Ihm macht es Freude, was vermitteln zu können, kennst ihn doch. Er hilft gerne. Denk mal darüber nach.

Ich: Okay, Uli, okay, okay, wenn ich dazu komme, denk ich vielleicht darüber nach. Und falls ich was brauche, ruf ich an.

Ich lüftete kurz die Wohnung durch und fragte, was er noch vorhat. Hast du den Wagen mit? Wir könnten nach Melchnau fahren, schauen, ob Edith zu Hause ist, ein wenig würfeln oder so. Die würde sich bestimmt freuen, uns mal wiederzusehen.

Nein, so er, er müsse weiter, müsse schauen, dass er was besorgen könne.