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Eigentlich wollen Nicolas, Dennis und Jeffrey mit ihren Vätern einen Wanderurlaub auf den Orkney Inseln verbringen.
Doch als sie das Haus ihres Gastgebers betreten, fällt ihr Blick auf einen alten, ägyptischen Sarkophag.
Nicolas ahnt schlimmes.
Aber was sie dann erleben, damit hat niemand gerechnet!
Ein neues, spannendes Abenteuer mit Nicolas und seinen Freunden.
Teil 3 nach "Nebel über Loch Kilburne" und "Das Grab des Tempelritters"
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Die grelle Sonne spiegelte sich in den Fluten des Nils, sodass Trermun kaum etwas sehen konnte.
Er stand auf dem flachen Dach des Hauses, in dem er mit seinem Vater, seiner Mutter und seinen Geschwistern Heru – seinem jüngerem Bruder und seiner kleinen Schwester Sagira lebte.
Heute war der Tag, an dem sein Vater aus der großen Hauptstadt zurückkommen sollte.
Sein Vater war Statthalter der kleinen Stadt, in der sie lebten, und ein angesehener Mann am Hofe des Pharaos. Jeden zweiten Monat musste sein Vater in die Hauptstadt und dem Pharao Bericht erstatten.
Die Reise in die Hauptstadt dauerte eigentlich nicht lange, aber es waren keine schönen Zeiten, die im Augenblick herrschten. Die Römer hatten sich im ganzen Land ausgebreitet und benahmen sich nicht immer so, wie sie sollten. Mit anderen Worten: Sie zogen durch die Städte und nahmen sich, was sie wollten. Und wehe jemand stellte sich ihnen entgegen. Bis jetzt hatten sie Glück gehabt, und die Römer hatten ihre Stadt verschont.
"Siehst du schon etwas?", rief sein Bruder hinauf.
Trermun lief auf die andere Seite des Daches und schaute in den Hof. Dort stand sein Bruder mit der kleinen Schwester an der einen Hand. Mit der anderen Hand schirmte er seine Augen ab, um etwas sehen zu können.
Trermun war zwölf Jahre alt, er war das älteste der drei Kinder. Sein Bruder war sechs und seine kleine Schwester gerade drei Jahre alt geworden. Er sah, dass seine Schwester die Hand von Heru abschüttelte und zu dem kleinen Springbrunnen lief, der im Hof plätscherte. Es war ihr Lieblingsort.
Das Haus, in dem sie lebten, lag etwas abseits der Stadt auf einem kleinen Hügel. Man konnte sehen, dass sie nicht gerade arm waren. Einige Dienstboten liefen geschäftig über den Hof, um das Essen vorzubereiten. Immer wenn sein Vater von einer Reise in die Hauptstadt zurückkam, gab es ein kleines Festessen. Er sah seine Mutter aus dem Haupthaus hervortreten. Sie ging auf die Kinder zu. Auch sie blickte nach oben und winkte Trermun zu. Er winkte zurück und rief seinem Bruder zu: "Nein, ich sehe noch nichts, aber lange kann es ja nicht mehr dauern!"
Trermun ging zurück an den Platz, an dem er zuvor gestanden hatte, und sah weiter hinaus auf den großen Fluss. Die Sonne war zwar ein kleines Stück weiter gewandert, blendete ihn aber immer noch. Nach einer kurzen Zeit meinte er, am Horizont etwas zu sehen, war sich aber nicht sicher. Angestrengt starrte er in die Richtung. Und tatsächlich wurde der schwarze Punkt immer größer.
Dann konnte er schließlich etwas erkennen. Es war tatsächlich ein Schiff, das sich näherte. Aber ob es das seines Vaters war, konnte er noch nicht sehen. Erst als es noch näher heran gekommen war, war es sich sicher und rannte auf die andere Seite des Daches. Er rief: "Er kommt! Er Kommt! Vater ist zurück!" Er drehte sich herum und lief die steile Treppe hinunter, die am Haus entlang nach unten zum Hof führte. Dann lief er zum hinteren Teil des Hofes und öffnete eine Tür. Sein Bruder folgte ihm, und seine Schwester wollte auch hinterher, aber seine Mutter hielt sie auf und nahm sie auf den Arm. Mit ihrer Tochter auf dem Arm folgte sie Trermun und Heru langsamer. Hinter dem Haus lag ein kleiner Garten, und ein schmaler Weg führte hinunter um Fluss, wo es eine Anlegestelle gab. Trermun war als erster dort und hüpfte aufgeregt auf und ab. Das Schiff kam immer näher. Trermun hob seine Arme und begann, heftig zu winken. Er konnte schon die hochgewachsene Gestalt seines Vaters ausmachen.
Auch der hob einen Arm und winkte seiner Familie zu, die inzwischen vollzählig an der Anlegestelle wartete. Alle freuten sich sehr, dass der Vater endlich zurück war. Nicht nur wegen der schönen Geschenke, die er immer dabei hatte. Es fehlte eben jemand, wenn er nicht zu Hause war. Endlich war das Schiff nahe genug, dass Trermun seinen Vater erkennen konnte. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis das Schiff angelegt hatte und sein Vater das Schiff verließ. Trermun lief auf ihn zu und umarmte ihn herzlich. Sein Bruder tat es ihm nach, und seine kleine Schwester lief so schnell auf ihren Papa zu, dass sie fast hingefallen wäre. Der Vater konnte sie gerade noch auffangen. Dann trat er auf seine Frau zu und begrüßte sie herzlich. Sie gingen alle zusammen den Weg hinauf zum Haus, während die Dienstboten begannen, das Schiff zu entladen.
Den ganzen Weg hoch umtanzten die Kinder ihren Vater. Dabei riefen sie ohne Unterlass: "Hast du uns was mitgebracht? Hast du uns was mitgebracht?"
"Habe ich euch jemals vergessen, wenn ich fort war?", fragte er lachend.
"Natürlich habe ich euch etwas mitgebracht, aber ihr müßt noch warten. Oben im Hof angekommen entfernte er sich erst einmal von der Familie, um sich nach der Reise frisch zu machen.
"Ich bin so gespannt, was uns Vater mitgebracht hat!", meinte Trermun zu seinen Geschwistern. Endlich war es so weit. Der Vater hatte sich frisch gemacht und andere Kleidung angezogen. Sie versammelten sich um den Tisch. Die Dienerschaft trug Speisen und Getränke auf. Für Trermun dauerte das Mahl unendlich lange.
Nachdem die Dienstboten den Tisch abgeräumt hatten, ließ sein Vater eine Kiste in das Zimmer bringen. Er öffnete sie, entnahm ihr ein Kistchen aus edlem Holz und gab es seiner Frau.
Als sie es öffnete, sah sie dort drinnen einen Spiegel, eine Bürste und einen Kamm aus Gold und mit Edelsteinen besetzt. Dann rief er seine Tochter zu sich und legte ihr eine kleine Halskette um, die einen Anhänger in Form eines Vogels mit ausgebreiteten Flügeln hatte. Auch er war mit Edelsteinen besetzt. Dann kam Heru an die Reihe. Er bekam einen kleinen, goldenen Streitwagen mit zwei schön geschnitzten Holzpferden. Schließlich kam Trermun an die Reihe. Er ging zu seinem Vater und wartete gespannt, was der ihm mitgebracht hatte. Sein Vater holte aus der Kiste einen in ein Tuch eingeschlagenen Gegenstand und drückte ihn Trermun in die Hand. Langsam und vorsichtig schlug der das Tuch zurück, und vor ihm lag ein goldener Skarabäus. Er war ungefähr so groß wie der Handteller eines Mannes. Als Augen hatte er zwei grüne funkelnde Steine und auf dem Kopf einen schönen Türkis. Trermun war sprachlos. So etwas Schönes hatte er noch nie gesehen. Sein Vater nahm ihn aus seiner Hand und sagte: "Schau her, mein Sohn. Wenn du auf den Stein auf dem Kopf drückst, dann schwingen die Flügel auseinander, und du kannst dort etwas hinein geben, was dir lieb und teuer ist."
"Aber da ist doch schon etwas drin!", meinte er zu seinem Vater. Er zeigte auf den Papyrus, der dort zusammen gefaltet lag. Sein Vater griff hinein und holte ihn hervor.
"Das habe ich vergessen, dir zu sagen. Der Hohe Priester des Pharao hat ihn mit einem Zauber belegt. Du musst diese Worte, die hier stehen, nur einmal vor dich hin sagen, dann wird der Skarabäus eine Verbindung mit dir eingehen. Du wirst immer und zu jeder Zeit wissen, wo er sich befindet. Außerdem soll er dein Leben beschützen und dir immer Glück bringen."
Er gab Trermun den Zettel. Der hatte Glück, weil er lesen konnte, aber er wollte bis heute Abend warten, bis er alleine in seinem Zimmer war. Sein Vater holte noch ein Lederband aus der Kiste und fädelte es durch einen Ring an der Unterseite des Skarabäus, so dass Trermun ihn um den Hals tragen konnte. Er war stolz über sein Geschenk und freute sich unbändig. Sein jüngerer Bruder spielte hingebungsvoll mit seinem Streitwagen, und seine Schwester konnte sich nicht satt sehen an der Kette, die sie bekommen hatte. Alle Drei gingen noch einmal zu ihrem Vater und umarmten ihn zum Dank. Seine Mutter klatschte in die Hände und sagte: "Kinder, nun ist es genug. Es ist Zeit für euch, schlafen zu gehen. Morgen könnt ihr euch dann weiter freuen."
Sie rief nach einer Dienerin und bat sie, die kleine Sagira in ihr Bett zu bringen. Trermun und sein Bruder wünschten ihren Eltern eine gute Nacht und gingen auf ihre Zimmer. Trermun konnte lange nicht einschlafen. Er lag wach und strich über den Skarabäus. Er beschloss aufzustehen und seinem Vater noch einmal zu danken. Leise warf er sich eine Decke über und ging leise auf den Flur hinaus. Er blickte sich um, aber zum Glück war niemand zu sehen. Vorsichtig schritt er die Treppe hinunter. Gerade wollte er in das Zimmer eintreten, das sie als Gemeinschaftszimmer benutzten, als er seinen Vater und seine Mutter sprechen hörte.
"Wie sieht es in der Hauptstadt aus?", fragte sie ihren Mann.
"Dort ist alles ruhig, aber unser gütiger Pharao wird von den Römern getäuscht. Dort im Palast und in der Stadt sind sie ruhig und friedlich, aber je weiter man sich von der Stadt entfernt, desto schlimmer wird es. Ich überlege, ob du und die Kinder nicht unser Haus verlassen und weit ins Landesinnere gehen solltet!"
Trermun hörte, wie seine Mutter scharf die Luft einzog. "So schlimm ist es? Meinst du, die Römer würden es wagen, hierher zu kommen?"
"Sie sind doch schon hier. Nur halten sie sich im Augenblick noch zurück." Sein Vater stand auf und ging im Raum auf und ab.
"Vorerst könnt ihr noch bleiben, aber ich würde an deiner Stelle langsam mit Reisevorbereitungen beginnen. Aber lass uns doch morgen weiter reden. Ich bin müde und möchte zu Bett gehen. Mach dir nicht allzu viele Sorgen."
Trermun drehte sich rasch um und rannte die Treppe hinauf. Was er gehört hatte, erfüllte ihn mit Unbehagen und Furcht. Er nahm seinen Skarabäus in die Hand und öffnete ihn. Er holte das Blatt Papyrus hervor, faltete es auseinander und starrte auf die Hieroglyphen, die dort zu sehen waren. In Gedanken reihte er sie aneinander. Er hatte keine Schwierigkeiten, sie zu lesen.
Tief holte er Luft und begann, sie laut vorzulesen. Nichts geschah. Zuerst dachte Trermun, dass er einen Fehler gemacht oder die Worte falsch ausgesprochen hätte, aber plötzlich begann das Papyrus, das er immer noch in der Hand hielt, von der Mitte aus zu glühen. Erschrocken öffnete er die Hand und warf es auf den Boden. Das Glühen breitete sich immer weiter aus, bis plötzlich Rauch aufstieg. Trermun wich zurück bis an die Wand und hatte Augen und Mund erschrocken aufgerissen. Der Rauch teilte sich, und er sah, dass die Augen des Skarabäus grell aufleuchteten und den Raum in einen unheimlichen, grünen Schein hüllten. Der Rauch teilte sich und umschloss den Skarabäus. Der andere Teil kam auf Trermun zu und hüllte seinen Kopf ein. Vor lauter Angst holte er versehentlich tief Luft und atmete den Rauch ein. Er musste husten. Im nächsten Augenblick war es auch schon vorbei. Er sah auf den Boden, aber es war noch nicht einmal ein Häufchen Asche übrig geblieben. Trermun hob den Skarabäus auf und sah ihn sich genau an. Der sah aus wie vorher.
Er legte ihn auf den Tisch neben seinem Bett und versuchte dann endlich zu schlafen. Er glitt in einen tiefen, traumlosen Schlaf, bis er meinte, eine Stimme zu hören.
"Ich bin es", flüsterte die Stimme. Trermun wachte auf. Er meinte, immer noch zu schlafen, weil er die Stimme immer noch in seinem Kopf hörte. Er sah auf den Tisch, wo der Skarabäus lag.
Sollte es wirklich stimmen, dass sie nun eine Verbindung hatten, wie sein Vater es ihm berichtet hatte?
Trermun schloss die Augen und konzentrierte sich.
"Wer bist du?", fragte er in Gedanken.
"Ich bin es, dein Skarabäus, dein Glücksbringer. Von nun an wirst du immer wissen, wo ich bin. Und ich werde immer wissen, wo du bist. Wir sind nun miteinander verbunden."
Trermun war erschrocken. Also hatte ihm sein Vater doch die Wahrheit gesagt. Er versuchte, wieder einzuschlafen, aber so richtig wollte es ihm nicht gelingen. Es ging zu viel durch seinen Kopf. Am nächsten Morgen, nach einer schlimmen Nacht, in der ihn seltsame Träume gequält hatten, wachte er sehr spät auf. Sein Vater war schon in der Stadt, wo er ein Treffen mit Geschäftsleuten hatte. Trermun zog sich rasch an und rannte hinunter, um ein schnelles Frühstück zu sich zu nehmen. Sein Bruder war auch da und spielte mit seinem Streitwagen. Er setzte sich und begann, seinen Brei herunter zu schlingen.
"Wo hast du deinen Skarabäus?", fragte sein Bruder.
Trermun deutete mit dem Finger nach oben, weil er den Mund voll hatte. Und da kam ihm eine Idee.
Gleich nach dem Frühstück könnte er doch einmal ausprobieren, ob das mit der Verbindung zwischen ihm und dem Skarabäus stimmte. Nachdem er sein Frühstück hinunter geschlungen hatte, lief er hinaus, überquerte den Hof und ging in den Garten. Da stand er nun und wusste nicht, was er machen sollte. Zuerst versuchte er es, indem er vor sich hin murmelte: "Wo bist du, wo bist du?" Aber es geschah nichts. Er überlegte, was er noch machen konnte. Dann schloss er die Augen, dachte an den Skarabäus und formte die Worte noch einmal. Da plötzlich geschah etwas. In seinem Kopf formten sich Bilder. Zuerst konnte er nichts erkennen, doch dann schälten sich Umrisse heraus. Trermun erkannte sein Zimmer. Er sah sein Bett, seinen Tisch und den Nachttisch, auf dem der Skarabäus lag, dessen Augen grün leuchteten. Er hörte eine Stimme in seinem Kopf, die flüsterte: "Ich bin hier. Hier in deinem Zimmer. Ich sehe dich in eurem Garten." Dann war alles wieder verschwunden. Trermun war beeindruckt. Er lief in sein Zimmer und nahm den Skarabäus an sich. Jetzt war alles wieder normal, und die Augen leuchteten auch nicht. Er hing sich den Skarabäus um den Hals. Der Rest des Tages verlief ereignislos, bis dann sein Vater am Abend zurück kam. Er wirkte ungewöhnlich ernst.
Trermun wollte sich noch einmal für das Geschenk bedanken, aber dazu kam er gar nicht. Gleich nach dem Abendessen schickte ihn sein Vater auf sein Zimmer. Trermun ahnte, worum es ging, wenn seine Eltern allein sein wollten. Es ging bestimmt darum, dass sie ihr Haus verlassen sollten. Aber er wollte nicht hier weg. Sein Lehrer lebte hier und auch seine Freunde. Er hoffte, dass es nicht so weit kommen würde und sie hier bleiben konnten.
Es war eine Woche später, als er in der Nacht von einer Dienerin geweckt wurde.
"Was ist denn los?", fragte er. Trermun hörte laute Geräusche im Haus und laute Stimmen.
"Psst, bleib ruhig. Die Römer sind im Haus. Dein Bruder und deine Schwester sind schon in Sicherheit." Sie drängte ihn, sich schnell anzuziehen. Sie nahm Trermun bei der Hand, und sie huschten die Treppe hinunter in den Garten. Von seinem Bruder und seiner Schwester war nichts zu sehen, auch von seinen Eltern nicht.
"Wo sind meine Eltern?", fragte er und wollte zurück zum Haus. Die Dienerin antwortete nicht, sondern zog ihn weiter weg vom Haus. Plötzlich fiel ihm sein Skarabäus ein. Er begann zu weinen, als die Dienerin ihn gnadenlos immer weiter zog. Er war zornig und wütend. Leise murmelte er vor sich hin: "Römer! Wer ihr auch seid und wo euch euer Weg auch hinführt, ich werde meinen Skarabäus wieder bekommen, und wenn es eine Ewigkeit dauert!"
Trermun und die Dienerin schafften es, sich bis zum Hofe des Pharaos durchzuschlagen. Seine Eltern und seine Geschwister aber sah er nie wieder.
Heute war der große Tag. Nicolas A. Lincombe (das A bedeutete Aurelius, ein Name, den er nie gemocht hatte) hatte Geburtstag und wurde fünfzehn Jahre alt. Er hatte nicht gut geschlafen, weil es der erste Geburtstag war, an dem seine Eltern nicht dabei waren. Er war froh, dass heute Samstag war, und er nicht in die Schule gehen musste. Gähnend räkelte er sich in seinem Bett und warf dabei einen Blick aus dem Fenster. Nicht weit entfernt schimmerte das bleigraue Wasser von Loch Kilburne. Es war Herbst, und draußen sah es auch genau so aus. Die Bäume verloren ihre Blätter, und es lag Nebel über dem See. Als er den Nebel sah, musste er zwangsläufig an sein erstes Abenteuer hier auf Schloss Kilburne denken. Im Nachhinein bekam er noch eine leichte Gänsehaut. Er schwang seine langen Beine aus dem Bett und schlüpfte in seine Hausschuhe. Ihm war ziemlich kalt. Die Heizung war zwar an, aber sie schaffte es nicht, den hohen Raum richtig warm zu bekommen. Er freute sich schon darauf, den Kamin wieder anfeuern zu können. Er mochte die Wärme, die er verbreitete.
Nicolas ging ins Bad, das er sich mit seinem Vetter Dennis teilte. Nicolas überlegte, ob er schon duschen sollte, aber er wollte noch warten, denn Dennis schlief bestimmt noch. Er trat vor das Waschbecken und putzte sich wenigstens schon einmal die Zähne. Nicolas sah sein Spiegelbild an und streckte sich die Zunge heraus. Dann grinste er.
Was er sah, gefiel ihm eigentlich ganz gut. Seine grünen Augen, in denen meistens ein geheimnisvolles Funkeln lag, strahlten ihm entgegen. Seine rotbraunen Haare standen wie immer wild vom Kopf ab. Da konnte er machen, was er wollte, sie blieben immer so, auch wenn er versuchte, sie zu kämmen oder bürsten. Um seinen Mund lag wie immer ein schelmisches Lächeln. Dass er schlechte Laune hatte, kam äußerst selten vor. Für seine fünfzehn Jahre war er ziemlich groß und hatte einen durchtrainierten, sportlichen Körper. Vor allem war er ein guter Schwimmer. Während er sich so betrachtete, hörte er plötzlich eine Stimme hinter seinem Rücken.
"Na? Siehst du nach, ob du dich jetzt rasieren musst?"
Schnell drehte er sich um. Dennis stand in der Verbindungstür. Nicolas grinste. "Quatsch keinen Blödsinn!", antwortete er.
Dennis kam auf ihn zu, umarmte Nicolas kurz und sagte: "Alles Gute zum Geburtstag wünsche ich dir. Du bist jetzt der älteste von uns Drei." Er meinte sich selbst und Jeffrey, den Sohn des Lords.
"Im Moment schon, aber ihr habt ja auch noch Geburtstag dieses Jahr." Das stimmte. Dennis und Jeffrey hatten beide im Dezember Geburtstag.
"So, jetzt lass mich mal schnell auf die Toilette, dann kannst du duschen." Er schob Nicolas aus dem Bad. Kurz darauf rief er, dass Nicolas jetzt duschen könne. Nicolas zog sich aus und sprang schnell unter die Brause. Zurück in seinem Zimmer überlegte er, was er anziehen sollte. Er zuckte mit den Schultern. Schließlich war es ein Tag wie jeder andere, dachte er. Also Jeans und einen Pullover.
Durch die Tür hörte er, dass Dennis jetzt unter der Dusche stand. Nicolas band seine Schuhe zu und verließ sein Zimmer. Er rannte die Treppe hinunter in die große Küche. Als erstes kam ihm ein kleines, hellgoldenes Fellknäuel schwanzwedelnd entgegen. Stanley war der neueste Mitbewohner auf Schloss Kilburne, ein junger Golden Retriever Welpe. Als die drei Jungen aus den Sommerferien zurück gekommen waren, war er plötzlich da gewesen. Jeffrey hatte sich immer einen Hund gewünscht, und jetzt konnten sie sich einen leisten. Nicolas bückte sich, um den Hund zu streicheln, und schon wischte ihm eine Zunge quer über die Hand. Stanley wurde von allen fürchterlich verwöhnt. Sie mussten aufpassen, dass er nicht zu viele Streicheleinheiten bekam. Am Herd stand seine Tante Susan und rührte in einem Topf. Als Nicolas herein kam, strahlte sie ihn an, umarmte ihn herzlich und drückte ihn an sich.
"Alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag wünsche ich dir, mein Lieber! Geschenke gibt es nach dem Frühstück." Nicolas setzte sich. Stanley versuchte, auf seinen Schoss zu klettern, was ihm aber nicht gelang. Nicolas hatte ja wenigstens erwartet, dass ein Paket von seinen Eltern gekommen wäre, aber es war gestern nur eins von seinen Großeltern gekommen. Dann stürmte Dennis in die Küche.
"Noch niemand da? Ich habe Hunger!", beschwerte er sich. Stanley hatte den nächsten Freund entdeckt, gab seine Versuche bei Nicolas auf und wandte sich Dennis zu. Jeffrey tauchte als Nächster auf und stürzte sich auf Nicolas. Auch er gratulierte ihm herzlich. Endlich tauchte auch der Rest auf, sein Onkel und Lord und Lady Kilburne. Nicolas hatte das dumme Gefühl, dass sie irgendwie geheimnisvoll taten, aber er konnte sich nicht erklären warum.
Nach dem Frühstück gab es endlich die Geschenke. Sie alle trafen sich im Salon des großen Schlosses, wo sie ihre Ruhe vor den Arbeitern hatten. Das Schloss wurde zur Zeit umgebaut, und es wurde auch am Samstag gearbeitet. Es sollte ein Hotel daraus werden, und man wollte versuchen, bis zum nächsten Frühjahr einige Zimmer fertig zu bekommen, so dass man sie vermieten konnte. Heute waren nur die Maler in einigen Zimmern. Im Salon lagen auf einem Tisch die Geschenke. Nicolas nahm sich zuerst das von seinen Großeltern vor. Es riss das Paket auf, und drinnen lagen ein paar neue Turnschuhe, die er sich gewünscht hatte, ein PC-Spiel und ein neuer Pullover. Von seinem Onkel und seiner Tante bekam er eine neue Badehose, die er immer gebrauchen konnte, und einen Gutschein, mit dem er sich selbst etwas kaufen konnte. Dennis und Jeffrey hatten zusammen geschmissen und ein Puzzle herstellen lassen, auf dem Schloss Kilburne und seine Bewohner zu sehen waren.
Das außergewöhnlichste Geschenk kam aber von Lord und Lady Kilburne. Als Nicolas das Paket aus- gewickelt hatte, hielt er einen Original schottischen Dudelsack in den Händen. Sprachlos starrte er ihn an, und alle lachten.
"Los, versuch doch mal, ob du einen Ton heraus bekommst!", meinte Jeffrey.
"Ich weiß doch gar nicht, wie das geht!", murmelte Nicolas immer noch auf den Dudelsack starrend.
Lord Kilburne kam auf ihn zu und zeigte ihm, wie er das Instrument halten musste. Nicolas setzte das Mundstück an und blies kräftig hinein. Alles war er zustande bekam, war ein erbärmliches Quäken und Quieken. Selbst Stanley zuckte erschrocken zusammen.
"Ich glaube, da wirst du wohl ein paar Unterrichtsstunden nehmen müssen!", kam es plötzlich von der Tür. Da Nicolas mit dem Rücken zur Tür stand, konnte er nicht sehen, wer das gewesen war und warum die anderen so dümmlich grinsten. Nicolas wirbelte herum und war erst einmal sprachlos. In der Tür standen seine Mum und sein Dad. Er ließ den Dudelsack in einen Sessel fallen, lief auf seine Eltern zu und warf sich in ihre ausgebreiteten Arme.
"Mum, Dad. Wo kommt ihr denn her? Und warum hat mir niemand was gesagt?" Nicolas sah die Anderen an.
"Na, warum wohl nicht, du Witzbold!", meinte Dennis. "Es sollte doch eine Überraschung sein."
Es lagen zwar noch einige Päckchen auf dem Tisch, aber die waren Nicolas im Augenblick egal. Seine Eltern waren da, und das war die Hauptsache. Er saß zwischen ihnen auf dem Sofa im Salon.
"Seit wann wusstet ihr, dass sie kommen würden?", fragte er die Anderen.
Sein Onkel antwortete: "Schon seit fast zwei Wochen. Es war verdammt schwer, es geheim zu halten, besonders für Dennis." Dennis wollte protestieren, aber sein Vater knuffte ihn freundschaftlich in die Seite. Nicolas sah seine Eltern an und fragte: "Wie lange bleibt ihr denn?"
"Wir bleiben sechs ganze Wochen hier. Drüben in Amerika sind schon Ferien."
Nicolas freute sich. Dennis' Mutter stand auf und meinte: "Ich gehe in die Küche, ich muss mich um das Essen kümmern. Ihr seid bestimmt hungrig und müde."
"Müde nicht, wir haben in Glasgow eine Nacht im Hotel übernachtet, aber Hunger haben wir schon." Nicolas' Vater sah sie freundlich an.
"Na, prima. Dann kann euch Nicolas nachher das Schloss zeigen, wenn Lord und Lady Kilburne nichts dagegen haben?" Lord und Lady Kilburne hatten natürlich nichts dagegen. Die Zwei standen auf und nahmen auch Jeffrey mit. "Komm mit, Nicolas und seine Eltern haben sich bestimmt viel zu erzählen." Auch Dennis schlurfte hinter seinem Vater her. Jetzt war Nicolas mit seinen Eltern alleine. Man hätte ja doch meinen können, dass Nicolas viel zu erzählen hatte. Aber es trat doch eine kurze Zeit des Schweigens ein. Nicolas war immer noch ein wenig sauer auf seinen Vater, weil er ihm nicht die Wahrheit über sein Amulett gesagt hatte. Aber jetzt konnten sie sich ja aussprechen.
Seine Mutter nahm ihn in den Arm und fragte ganz beiläufig: "Sag mal, wie gefällt es dir eigentlich hier?" Etwas erstaunt sah er seine Mutter an.
"Mir gefällt es gut hier, irgendwie besser als zu Hause in London. Hier sind alle sehr nett, und Dennis und Jeffrey sind klasse Kumpel. Das einzig Blöde ist, dass ich hier in der Schule einen Rock tragen muss." Nicolas meinte damit seinen Kilt. Mittlerweile hatte er sich aber daran gewöhnt, so dass es ihm nicht mehr so viel ausmachte. Seine Mutter lachte laut auf. "Ja, das kann ich verstehen, aber hier ist das normal." Nicolas wunderte sich zwar ein bisschen, dass seine Mutter fragte, wie es ihm hier gefiel, machte sich aber weiter keine Gedanken darum.
Aus der Schlossführung wurde dann erst einmal doch nichts, weil am Nachmittag noch Scott und Liz aus dem Dorf auftauchten. Danach war es dann zu spät. Das musste dann also bis morgen warten.
Es wurde ein schöner Nachmittag, und alle waren gut gelaunt. Nach dem Abendessen dann saßen sie noch alle gemütlich zusammen, bis Lord Kilburne um Aufmerksamkeit bat.
"Ich habe noch etwas zu sagen. Was haltet ihr davon, wenn wir in euren Ferien einen Ausflug auf die Orkney-Inseln machen? Gestern hat mich ein alter Freund angerufen und mich gefragt, ob ich nicht einmal Lust hätte, ihn einige Tage zu besuchen. Ich habe ihm die Situation erklärt, die wir hier haben, und er hat gesagt, er würde sich freuen, wenn auch Mr. MacAshton mit Dennis und Nicolas mit seinem Vater mitkommen würden. Außerdem wäre es für Mr. Lincombe sehr interessant, glaube ich, dass dort in der Nähe gerade eine Ausgrabung stattfindet. Man hat dort ein kleines Römerlager entdeckt."
Nicolas' Vater horchte auf. "Das ist wirklich interessant. Wissen Sie zufällig, wer die Ausgrabung leitet?"
Lord Kilburne verneinte. "Aber das werden wir ja dann erfahren, wenn wir dort sind. Wenn wir dann zurückgekommen sind, können sich unsere Frauen eine schöne Zeit in einem Wellness-Hotel oder etwas Ähnlichem machen! Nun, was haltet ihr davon?"
"Was sollen wir denn da machen?" Jeffrey sah nicht gerade begeistert aus.
"Wir könnten Angeln zum Beispiel oder lange Wanderungen machen."
"Prima! Wie langweilig. Kann wenigstens Stanley mit?", fragte er seinen Vater.
"Ich weiß nicht, ob das etwas für ihn ist, er ist ja noch sehr jung, und wenn wir längere Wanderungen machen, könnte das zu viel für ihn werden." Als er sah, wie enttäuscht Jeffrey ihn ansah, meinte er: "Wir können uns das ja noch einmal überlegen, wir haben ja noch Zeit. Wenn wir fahren, dann erst nächsten Samstag." Irgendwie waren alle drei Jungen nicht so richtig begeistert. Nicolas hätte lieber etwas mit seinen Eltern gemeinsam unternommen, aber das sagte er natürlich nicht. Nach und nach gingen dann alle zu Bett, bis Nicolas mit seinen Eltern alleine da saß. Maxwell Lincombe knetete etwas nervös seine Finger. Seine Frau sah ihn aufmunternd an.
"Nicolas", begann er schließlich. "Wir müssen miteinander reden wegen des Amuletts und weil ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe. Ich weiß, dass du sauer auf mich warst." Nicolas wollte etwas sagen, aber sein Vater hob die Hand. "Ich habe dir nie die Wahrheit über das Amulett gesagt, weil ich gehofft hatte, dass du davon verschont würdest."
"Verschont? Wovon?" Nicolas sah seinen Vater an.
"Na, von der ganzen Geschichte mit Dorrell und so. Als ich das Amulett damals von meinem Vater bekommen habe, dachte ich mir nichts dabei und hängte es mir um den Hals. Einige Tage ging es ganz gut, aber dann fingen die Alpträume an. Ich habe, so wie du es uns erzählst hast, auch von seltsamen Dingen geträumt, und auch ich bin auf einer grünen Wiese gelandet. Aber ich habe Dorrell nie getroffen."
"Warum nicht? Warum hast du ihn nie getroffen?", wollte Nicolas wissen.
"Ich muss wohl damals, als ich so alt war wie du, schreiend aufgewacht sein. Deine Großeltern haben mich zitternd neben dem Bett gefunden. Ich muss wohl aus dem Bett gefallen sein. Du musst wissen, ich war als Kind immer schon ein kleiner Feigling gewesen und hatte vor allem und jedem Angst. Das wird dir heute komisch vorkommen, aber es stimmt. Weshalb ich dann ausgerechnet Archäologe geworden bin, weiß ich selber nicht." Nicolas musste über das Gehörte erst nachdenken.
"Du hast also auch nicht gewusst, dass Dorrell ein Vorfahre von uns ist?"