Nebel über Loch Kilburne - Michael A. Frank - E-Book

Nebel über Loch Kilburne E-Book

Michael A. Frank

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Beschreibung

Über Loch Kilburne liegt seit Jahrhunderten ein seltsamer und unheimlicher Nebel.

Niemand weiß, wie und wo er herkam. Bis Nicolas, der ein Jahr auf Kilburne Castle bei seinem Onkel verbringt, mit seinen neuen Freunden Dennis und Jeffrey beschließt, das Geheimnis zu ergründen. Was sie dabei erleben, ist fast unglaublich.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Michael A. Frank, Cornelia von Soisses

Nebel über Loch Kilburne

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kapitel 1

Nicolas A. Lincombe saß grübelnd im Zug nach Schottland. Er würde jetzt ein ganzes Jahr bei seinem Onkel, dem Bruder seiner Mutter, verbringen. Seine Eltern hatten ihm die Wahl gelassen, ob er zu seinem Onkel wollte oder zu den Eltern seines Vaters. Nicolas brauchte da gar nicht lange zu überlegen. Er mochte seine Großeltern zwar, aber am liebsten, wenn sie weit weg waren.

Wenn er mit seinen Eltern einmal über das Wochenende dort war, das reichte ihm schon.

Nicolas, tu dies nicht, Nicolas, tu das nicht, Nicolas, benimm dich. Das war alles, was er von seinen Großeltern zu hören bekam. Und das ein Jahr lang, darauf hatte er keine Lust. Sein Onkel lebte allerdings in einem kleinen Dorf in Schottland. So richtig gierig darauf, ein Jahr lang in einem kleinen Dorf zu versauern, war er auch nicht, aber wenigstens hatte sein Onkel einen Sohn im gleichen Alter.

Er hoffte, dass er wenigstens mit ihm etwas unternehmen konnte. An seinen Vetter konnte er sich aber kaum erinnern. Den hatte er zum letzten Mal gesehen, als beide gerade zwei Jahre alt waren. Seinen Onkel traf er vor ungefähr sechs Jahren das letzte Mal, als der zu einem kurzen Besuch in London war.

Er war neugierig auf das Dorf Kilburne, wo sein Onkel mit Familie lebte, am meisten auf seinen Vetter Dennis. Nicolas hatte ein wenig Angst vor dem ersten Treffen. Was wäre, wenn sie sich nicht vertragen und sich nur streiten würden? Dann hätte er ein schweres Jahr vor sich. Alles, was er über Dennis wusste, war, dass er so alt wie er selbst war, sonst nichts. Nicolas selbst war vierzehn Jahre alt, für sein Alter groß und hatte eine sportliche Figur. Seine rotbraunen Haare erbte er von seinem Vater, der irische Vorfahren hatte, und die fast grünen Augen von seiner Mutter. Nicolas war schlank und durchtrainiert, denn er war ein guter Schwimmer und trieb auch sonst etwas Sport. Außerdem spielte um seine Mundwinkel immer ein schelmisches Lächeln. In der Schule war er ganz gut.

Seine Eltern würden es gerne sehen, wenn er in ihre Fußstapfen treten und auch Archäologe werden würde. Das war auch der Grund, weshalb er nun auf dem Weg zu seinem Onkel war.

Seine Eltern würden eine Gastprofessur in Amerika übernehmen. Sie wollten erst absagen, aber das Angebot war zu verlockend gewesen. Sonst blieb immer ein Teil seiner Eltern zu Hause. Es war noch nie vorgekommen, dass er alleine geblieben war. Entweder war seine Mutter unterwegs oder sein Vater, aber nie beide gemeinsam. Nicolas selbst hatte sie dazu gedrängt, für ein Jahr in die USA zu gehen. Er war schließlich kein kleines Kind mehr. Es hatte tagelange Diskussionen darüber gegeben, wie das zu bewerkstelligen war. Schließlich hatte seine Mutter ein langes Telefongespräch mit ihrem Bruder geführt, und dann ging alles blitzschnell. Keine Woche später saß er im Zug. Man hatte viele von seinen Sachen vorgeschickt, sodass Nicolas jetzt nur eine Tasche mit Proviant und einen kleinen Koffer bei sich trug. Seine Mutter hatte darauf bestanden, dass er mit dem Flugzeug reisen sollte, aber Nicolas war Eisenbahnfan und wollte mit dem Zug fahren. Auch das hatte er durchgesetzt.

Jetzt sah er sich in dem Abteil um. Außer ihm saß nur noch eine alte Dame im Abteil, die ihn lächelnd ansah. Scheu lächelte er zurück. Er holte sich ein Butterbrot aus seiner Tasche, packte es aus und biss herzhaft hinein. Dabei fiel ihm die Landkarte in die Hand, die er sich noch in London gekauft hatte. Es war eine Wanderkarte. Kilburne war so klein, dass es auf einer normalen Karte gar nicht eingezeichnet war.

Einzig Loch Kilburne, der See, an dem das Dorf lag, war auf normalen Karten eingetragen.

Das Dorf und auch der See trugen den Namen von der alten Familie Kilburne, die dort immer noch lebte. Wie sollte es auch anders sein in Kilburne Castle. Warum der See und das Dorf so hießen, wusste er nicht, aber er würde es schon herausbekommen. Über die Hälfte der Reise lag schon hinter ihm, und er war fast an der Grenze zu Schottland angelangt, aber er hatte noch ein ganzes Stück Fahrt vor sich. Erst musste er nach Aberdeen und dort umsteigen. Dann musste er bis nach Huntly.

Dort würde man ihn hoffentlich abholen, denn Kilburne selbst hatte keinen Bahnhof. Wie das alles gehen sollte mit der Schule und so, das wusste er auch noch nicht. Etwas nervös machte ihn das doch.

Nicolas kamen doch einige Zweifel, ob das alles so richtig gewesen war. Am allerliebsten wäre er ja mit seinen Eltern in die USA gegangen, aber das ging leider nicht. Eigentlich hatte Nicolas ein schönes und angenehmes Leben. Er war auch soweit zufrieden, auch mit seinen Eltern hatte er nie Probleme. Sie waren, obwohl beide immer in ihre Berufe vertieft waren, aufgeschlossen und hatten immer ein Ohr für seine Sorgen und Anliegen. Das Einzige, was er ihnen übel nahm, war sein zweiter Vorname.

Nicolas fand er ja noch gut, aber das A störte ihn ganz gewaltig. Das A stand für Aurelius. Das war die Idee seines Vaters gewesen. Der Name kam von dem römischen Kaiser Marc Aurel. Sein Vater war auf die alten Römer spezialisiert. 

Dabei hatte er noch Glück gehabt, dass seine Mutter den Namen nicht ausgesucht hatte. Sie war auf das alte Ägypten fixiert. Ramses oder so wäre ja noch schlimmer gewesen. Trotzdem wurde er oft wegen des Namens gehänselt. Jetzt würde das wieder losgehen, wenn er in eine neue Schule kommen würde. Auch ein Jahr konnte lang sein. Das alles ging ihm so durch den Kopf, als er sein Butterbrot aß und aus dem Fenster sah. Die Landschaft war so ganz anders als in London. Hier lag sogar noch Schnee, was für Anfang Januar eigentlich normal war, aber in London hatte er kaum einmal Schnee gesehen. Langsam aber sicher näherte sich der Zug Aberdeen. Der Schaffner hatte ihm schon gesagt, dass er eine knappe Stunde Aufenthalt hatte, bevor er weiterfahren konnte. Von Aberdeen aus war es dann noch eine gute Stunde bis Huntly. Bis er dann in Kilburne war, war es bestimmt schon dunkel. Eine halbe Stunde später dann stand er auf dem Bahnsteig in Aberdeen. Etwas verloren sah er sich um. Er schnappte sich seinen kleinen Koffer und seine Tasche und ging in die große Halle.

Als Erstes fiel sein Blick auf die Reklame einer großen Burgerkette. Er merkte, dass er Hunger hatte.

Nicolas ging hin und genehmigte sich erst einmal zwei Burger. Danach fühlte er sich besser. Er schlenderte zurück in die Bahnhofshalle und sah auf die Anzeigetafel. Er musste zum Bahnsteig zwei.

Der Zug stand schon dort. Nicolas stieg ein und suchte sich weit vorne einen Platz. Er ging davon aus, dass der Zug eh nicht so voll werden würde. Es war mittlerweile sowieso schon dunkel. Pünktlich setzte sich der Zug in Bewegung. Nachdem er Aberdeen verlassen hatte, wurde die Landschaft immer einsamer.

Nicolas schwante Schlimmes. Er vermutete, dass es in Kilburne ähnlich aussehen würde. Er bezweifelte, dass es dort überhaupt ein Kino geben würde. So langsam wurde er doch ein wenig nervös. Nicolas war die ganze Fahrt über alleine im Abteil gewesen, als er dann endlich in Huntly angekommen war. Er nahm seine Sachen, schloss den Reißverschluss seiner Jacke, die er gleich angelassen hatte, und stieg aus. Wie es aussah, war er der Einzige, der hier ausstieg. Jedenfalls lag der Bahnsteig verlassen vor ihm. Nicolas wunderte sich. Er sollte doch abgeholt werden. Er hoffte, dass man ihn nicht vergessen hatte. Nicolas holte sein Handy hervor und bekam den nächsten Schock. Kein Empfang!

Das durfte doch nicht wahr sein, dachte er. Wo war er hier nur gelandet? Nachdem er fast eine halbe Stunde in der Kälte gewartet hatte, wollte er sich gerade auf die Suche nach einem Telefon machen, als ein Junge in seinem Alter um die Ecke geschossen kam und ihn bald umgerannt hätte, wenn er nicht schnell zur Seite gesprungen wäre.

"Hey", rief Nicolas. "Pass doch auf!" Der andere Junge hatte Schwierigkeiten anzuhalten, es war doch etwas glatt. "Sorry, entschuldige bitte, ich konnte nicht anhalten", sagte der Junge.

Als er vor Nicolas stand, reichte er ihm die Hand und sagte: "Da ich hier niemand anderen sehe, musst du Nicolas sein, oder täusche ich mich da?"

Nicolas nahm die dargebotene Hand, schüttelte sie und antwortete: "Stimmt, ich bin Nicolas. Dann musst du Dennis sein."

Dennis grinste breit und nickte. Naja, dachte Nicolas. Ganz nett sieht er ja aus. Dennis war minimal kleiner als Nicolas, aber etwas stabiler. Er hatte blonde Haare, soweit Nicolas das an den wenigen Locken erkennen konnte, die unter der Mütze hervorschauten. Insgesamt machte Dennis einen guten Eindruck auf Nicolas. Aber das konnte ja täuschen, er wollte erst einmal abwarten.

"Wo ist Onkel Patrick?", fragte Nicolas und schaute über Dennis' Schulter.

"Onkel wer? Ach so!" Dennis lachte. "Du meinst Dad. Der hat eine Panne mit dem Auto. Er hat mich vorgeschickt. Ich bin jetzt fast zwei Kilometer gerannt."

"Eine Panne mit dem Auto?", fragte Nicolas entsetzt. "Soll das heißen, dass wir hier nicht wegkommen?"

"Klar, sicher, das ist eine alte Karre, da ist immer mal eine Kleinigkeit. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass er vor sich hin murmelte: ‚Ich muss die blöden Kontakte sauber machen.‘"

"Na hoffentlich ist er bald da, mir ist saukalt. Ich wollte anrufen, aber ich habe keinen Handyempfang. Kommt das öfters vor?"

"Nö, hier eigentlich nicht, aber bei dem Wetter kann es schon einmal Störungen geben."

Nicolas hatte nur das Wörtchen "hier" gehört. "Was meintest du mit hier?", hakte er nach.

"In Kilburne kannst du das Teil ganz vergessen, da gibt's keinen oder sehr sehr schlechten Handyempfang", meinte Dennis trocken. Abrupt blieb Nicolas stehen. "Du machst Witze, oder?"

"Nö, gar nicht, und Internet gibt´s auch selten, weil es über Satellit läuft, und das klappt auch meistens nicht."

Nicolas setzte sich fassungslos auf seinen Koffer. Dennis sah sich nach ihm um. "Was ist?", fragte er.

"Kein Handy? Kein Internet? Wie habt ihr bis jetzt überlebt?" Nicolas war immer noch fassungslos.

"Na, so schlimm ist das auch nicht. Du wirst dich daran gewöhnen." Dennis sah ihn belustigt an.

"Niemals, niemals werde ich mich daran gewöhnen", meinte Nicolas im Brustton der Überzeugung.

"Wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, wenn du jetzt ein Jahr bei uns lebst. Sei mir nicht böse, aber du scheinst irgendwie andere Vorstellungen vom Landleben zu haben."

"Das glaube ich aber auch langsam." Nicolas ließ die Schultern hängen.

Dennis ging zurück und klopfte ihm auf die Schulter. "Na komm, so schlimm wird das schon nicht werden. Ich verspreche dir, das eine Jahr wirst du schon herumbekommen. So wie ich dich einschätze, werden wir uns bestimmt gut verstehen. Ich find dich in Ordnung!"

"Danke", sagte Nicolas. „Ich dich auch, und wenn ich ehrlich bin, hatte ich davor ein wenig Bammel, dich zu treffen, denn ich wusste ja nicht, wie du so bist", gestand Nicolas. Dennis grinste. "Ging mir genauso. Dad hat mir nicht viel über dich erzählt. Er hat nur gesagt, ich soll dich nicht auf deinen Namen ansprechen. Warum, weiß ich allerdings nicht. Nicolas ist doch okay."

Nicolas errötete etwas. "Ich denke, er meinte damit das A in meinem Namen."

"Was für ein A?" Dennis blickte ihn fragend an.

"Ich heiße richtig Nicolas A. Lincombe."

"Ja, und? Was heißt das A?"

"Aurelius", flüsterte Nicolas und wartete auf einen Lachanfall. Der kam aber nicht.

"Du lachst nicht?", fragte er.

"Warum sollte ich? Ich weiß zwar nicht, wer das war, aber schlimmer als mein zweiter Name ist der auch nicht. Ich heiße Dennis Egohan. Egohan nach meinem Ur-Urgroßvater. Kennt heute kein Mensch mehr. Aber du musst mir erklären, was Aurelius heißt." Erleichtert, dass Dennis nicht gelacht hatte, versprach Nicolas es ihm, aber jetzt war keine Zeit mehr, sein Onkel kam gerade um die Ecke.

Mit offenen Armen kam er auf Nicolas zu und umarmte ihn. Nicolas blieb fast die Luft weg.

"Hey, Nicolas! Schön, dass du da bist." Er klopfte ihm herzlich auf die Schultern.

"Mann, was bist du groß geworden. Ist aber auch lange her, dass ich dich das letzte Mal gesehen habe. Entschuldige die Verspätung, aber der Wagen wollte nicht so richtig. Hast du eine gute Fahrt gehabt?

Ist das alles, was du bei dir hast?"

Endlich konnte Nicolas auch etwas sagen. "Hallo, Onkel Patrick! Ich freu mich auch, hier zu sein, und ich soll noch einmal beste Grüße von Mum und Dad bestellen."

"Wann fliegen sie denn in die USA?", fragte sein Onkel.

"Morgen früh geht ihr Flieger", antwortete Nicolas.

Nicolas betrachtete seinen Onkel. Er war ein Jahr älter als seine Mutter. Er war groß, braun gebrannt, hatte wie Dennis blonde Haare, aber bei ihm standen sie wirr vom Kopf ab, was einen witzigen und sympathischen Eindruck hinterließ. Man sah ihm an, dass er ordentlich zupacken konnte. Das musste er auch als Verwalter bei Lord Kilburne. Was er da alles zu machen hatte, wusste Nicolas nicht genau, würde es aber sicher noch erfahren.

Am Auto angekommen, einem alten Landrover, verstaute sein Onkel den Koffer und die Tasche hinten und sagte: "Los, einsteigen, wir sind eh schon spät dran!"

Nicolas und Dennis setzten sich beide auf die Rückbank und unter Stottern sprang der Wagen an.

Vorne hörte man Patrick leise aufatmen. Hinten grinsten die beiden Jungen.

"Erzähl mal, wie war die Reise?", kam die Frage von vorne.

"Ach, die war schon okay, nur ein wenig lang, aber ich fahre gerne mit dem Zug. Das hat mir nicht viel ausgemacht." "Na, dann ist ja gut! Hat deine Mutter noch etwas gesagt, was du mir ausrichten sollst?"

"Nein, aber sie hat mir noch einen Brief mitgegeben. Von ihrem Anwalt oder so. Es geht da um irgendwelche Vollmachten und so, ich glaube, ihr habt das schon alles besprochen. Hat sie jedenfalls gesagt."

"Stimmt, haben wir, aber ich brauche etwas Schriftliches, um auf der sicheren Seite zu sein. Mach dir aber da keine Gedanken."

Während sich Dennis und Nicolas hinten leise unterhielten, waren sie in Kilburne angekommen.

Patrick lenkte den Wagen in eine Auffahrt. Sie fuhren an einem alten Haus vorbei, als Dennis plötzlich sagte: "Da haben wir früher gewohnt." Nicolas drehte den Kopf.

"Früher?", fragte er. "Und wo wohnt ihr jetzt?"

"Mit im Schloss, der Lord hat uns den ganzen Westflügel zur Verfügung gestellt", antwortete Dennis. Das war neu für Nicolas. Das hatte er nicht gewusst.

"Wow, das wusste ich nicht. Das hat mir Mum gar nicht erzählt."

"Konnte sie auch nicht, sie weiß es auch nicht, denn ich habe es ihr nicht erzählt", kam es von vorne.

"Warum nicht?", fragte Nicolas neugierig.

"Ja, meinst du, sie hätte dich kommen lassen, wenn ich erzählt hätte, dass wir nicht mehr in unserem Haus wohnen? Das wollte ich nicht riskieren. Wir haben uns alle darauf gefreut, dass du ein Jahr zu uns kommst."

"Und warum wohnt ihr jetzt im Schloss?", wollte Nicolas wissen.

"Das kann dir Dennis später erzählen, jetzt habe ich einen Bärenhunger!", entgegnete sein Onkel.

"Und der Besitzer ist damit einverstanden?"

"Oh, ja. Der Lord ist sehr nett, und außerdem  hat er auch einen Sohn in eurem Alter. Ich fürchte, wir werden viel Spaß mit euch bekommen." Patrick lachte.

Nicolas schaute an dem Schloss hoch, aber er konnte im Dunkeln nicht viel erkennen. Sein Onkel lenkte den Wagen um das Schloss herum und parkte vor einer hell erleuchteten Tür, die auch sogleich aufgerissen wurde. Eine Frau so um die Mitte bis Ende dreißig stand in der Tür.

Nicolas vermutete, dass es seine Tante Susan war. Sie hatte die gleiche Haarfarbe wie Dennis, nur trug sie es länger und hatte Locken. Ihre Augen waren hellbraun, und wenn sie lächelte, sah man ein leichtes Funkeln. Um den Mund in dem fein geschnittenen Gesicht spielte ein Lächeln, wobei sich Grübchen bildeten.

Und richtig. Freudig kam sie auf Nicolas zu. Herzlich nahm sie ihn in die Arme.

"Willkommen bei uns", sagte sie. „Ich denke, du wirst dich kaum an mich erinnern können, ich bin deine Tante Susan. Jetzt kommt aber herein, das Essen wartet." Nicolas bemerkte, dass der Hintereingang geradewegs in die Küche führte. Ein verführerischer Duft stieg ihm in die Nase. Er merkte jetzt erst, wie hungrig er war. Nach dem Essen sagte Susan zu Nicolas: "Ich habe dir ein Zimmer neben Dennis hergerichtet. Deine Sachen sind ja schon vor zwei Tagen angekommen. Ich habe sie in den Schrank in deinem Zimmer gepackt. Ich schlage vor, dass wir für heute Schluss machen und schlafen gehen, es ist spät, und für Nicolas war es ein langerTag."

Dennis sprang auch gleich auf. "Komm, ich zeig dir dein Zimmer!" Nicolas wünschte eine gute Nacht und rannte hinter Dennis her. Eine Etage höher ging Dennis zur letzten Tür auf dem Gang und hielt sie für Nicolas auf. Nicolas trat ein und sah sich um. Das Zimmer war größer als seins zu Hause in London. Er sah ein großes Bett, einen Schreibtisch, den Schrank mit seinen Sachen und ein Sessel und ein Tisch standen auch noch da. Das Überraschende war ein Kamin, in dem sogar ein echtes Feuer brannte.

"Wow, ein echter Kamin", freute sich Nicolas.

"Ja, klar. Den brauchen wir hier auch. Das ist eine Ölheizung hier. Die schafft es manchmal nicht, die hohen Zimmer zu heizen. Und außerdem ist Öl teuer."

Dann deutete er auf die Tür neben dem Schrank.

"Wohin führt die denn?"

Dennis öffnete sie und zeigte Nicolas das kleine, aber schön eingerichtete Bad.

"Das müssen wir uns teilen", sagte Dennis und zeigte auf eine weitere Tür. "Dahinter ist mein Zimmer", erklärte er.

"So, jetzt lass ich dich alleine. Morgen zeige ich dir das Schloss." Sie wünschten sich eine gute Nacht und dann war Nicolas alleine in seinem Zimmer, das vorläufig sein Zuhause war.

Er trat an das Fenster und schaute hinaus. Nicht weit vom Schloss konnte er den See sehen,

Loch Kilburne. Viel erkennen konnte er aber nicht. Nur am gegenüberliegenden Ufer konnte er ein paar Lichter entdecken. Das musste wohl das Dorf Kilburne sein. Was ihn wunderte, war, dass über dem See bei dem Wetter ein leichter Nebel lag. Aber er dachte nicht weiter darüber nach. Er zog den Vorhang zu, holte sich einen Schlafanzug aus dem Schrank, zog ihn an und legte sich in das große, bequeme Bett. Er dachte, er würde schlecht einschlafen können, aber er war doch sehr müde und schnell im Reich der Träume. Er bekam nicht mit, dass der Nebel, den er über dem See gesehen hatte, mit einem seltsamen Leuchten vor seinem Fenster schwebte.

 

Kapitel 2

 

Am nächsten Morgen fühlte sich Nicolas prima. Er hatte tief und fest geschlafen. Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass es schon fast zehn Uhr war. Schnell sprang er aus dem Bett, zog sich an und ging rasch hinunter in die Küche.

"Guten Morg...", setzte er an, aber außer einem Jungen mit unglaublich schwarzen Haaren und blauen Augen war niemand da.

Der andere Junge grinste ihn an. "Ach, du musst der Neue sein. Ich bin Master Jeffrey, der Sohn von Lord Kilburne. Du darfst Hoheit zu mir sagen."

Sprachlos sah Nicolas ihn an. Er wollte gerade zu einem Gruß ansetzen, als Dennis hereinkam.

"Von wegen Hoheit", kam es von der Tür, die nach draußen führte. Nicolas drehte sich um und sah einen grinsenden Dennis.

"Der kann froh sein, dass man ihn nicht Jeff nennt, das kann er gar nicht leiden." Jeffrey verzog das Gesicht und reichte Nicolas die Hand. "Du bist also Nicolas, von dem seit Wochen geredet wird. Willkommen auf Schloss Kilburne, und du kannst wirklich Jeffrey zu mir sagen. Auf den Titel lege ich eh keinen Wert." Nicolas begrüßte ihn und setzte sich an den Tisch.

"Was möchtest du zum Frühstück?", fragte Dennis.

Nicolas hob die Schultern. "Wenn es geht, ein Glas Milch und einen Toast! Das reicht mir."

Dennis und Jeffrey schüttelten die Köpfe. "Das ist doch kein Frühstück, aber heute muss es reichen. Mum ist beschäftigt und Dad ist schon unterwegs. Willst du auch noch etwas?" Jeffrey schüttelte den Kopf. "Ich hatte heute Morgen schon eine ordentliche Portion Porridge."

Während Nicolas seinen Toast aß und die neugierigen Fragen von Jeffrey beantwortete, kam seine Tante in die Küche.

"Ach, da bist du ja. Guten Morgen. Ich hoffe, du hast gut geschlafen." Nicolas nickte heftig, da er den Mund voll hatte.

"Gut, das freut mich. Wenn du fertig bist, dann verschwindet aus der Küche, ich muss mich ums Essen kümmern. Ihr beide könnt mit Nicolas einen Rundgang durch das Schloss machen. Wenn ihr nach draußen geht, zieht euch warm an. Es ist kalt."

"Wenn das so ist, fangen wir draußen an.", beschloss Jeffrey. Nicolas war mit allem einverstanden.

Schnell lief er nach oben, um sich etwas Warmes anzuziehen. Dennis und Jeffrey warteten schon auf ihn.

"Wo fangen wir an?", fragte Dennis. Jeffrey überlegte kurz. "Lass uns zum See gehen. Von da hat man einen schönen Blick auf die Gegend, den See selbst und das Dorf."

Er stapfte voran und die beiden folgten ihm. Am See angekommen drehten sie sich um und schauten auf das Schloss. Nicolas war beeindruckt. Das Hauptgebäude war ziemlich lang und hatte drei Stockwerke. Beeindruckend waren auch die zwei Türme, die sich in den Winterhimmel erhoben. Einer war rund und stand an der Ecke vom Westflügel, der andere war eckig und sah aus, als wäre er einfach irgendwohin gebaut worden. Zahlreiche kleine Türmchen und Kamine zierten das Dach.

"Wie alt ist das Schloss?", wollte Nicolas wissen. Jeffrey sagte stolz: "Weiß man gar nicht genau.

Der älteste Teil wurde im vierzehnten Jahrhundert gebaut. Alles andere ist neuer. Es wurde immer viel daran gebaut. Ich hoffe, dass wir es behalten können!"Den letzten Satz murmelte er nur noch.

Nicolas hatte es trotzdem gehört. "Warum solltet ihr es nicht behalten können?"

Jeffrey holte tief Luft. "Na, du wirst es ja doch einmal erfahren. Uns geht es nicht so gut. Wenigstens geldmäßig nicht. Wie du weißt, wohnen Dennis und seine Eltern bei uns im Schloss, weil wir das Verwalterhaus verkaufen mussten. Wir haben auch, bis auf Dennis Vater als Verwalter und seiner Mutter, keine Angestellten mehr. Wenn du hier auf einen Butler hoffst und jede Menge Dienstboten, dann bist du hier falsch." Nicolas war ein wenig verlegen. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er fand es nett, dass Jeffrey so offen und ehrlich zu ihm war. Da er nicht wusste, was er sagen sollte, fragte er: "Kann man hier schwimmen?"

"Klar, im Sommer schon, und Wasserski können wir auch fahren", entgegnete Jeffrey.

"Und was ist das dort hinten?" Nicolas deutet schräg über den See. "Etwas neben dem Dorf."

"Das? Das ist der Campingplatz, der gehört auch noch zum Schloss", erklärte ihm Jeffrey. "Den haben wir aber verpachtet. Jetzt im Winter ist er normalerweise geschlossen, aber einige  kommen auch im Winter zum Wandern. Hier gibt es schöne Wanderwege."

Sie wollten zurück zum Schloss, als Nicolas' Blick noch einmal über den See glitt.

"Was ist das für ein Nebel?" Nicolas zeigte in die Richtung, wo wieder diese Nebelschwade über dem See lag, die er gestern Abend schon gesehen hatte.

Dennis und Jeffrey sahen dorthin, wo Nicolas hindeutete.

"Das weiß niemand, warum die da ist. Es waren schon Wissenschaftler hier, die das untersucht haben.

Man geht davon aus, dass es eine unterirdische Quelle gibt, die sich mit dem Wasser aus dem See vermischt, und es deshalb dieses Phänomen gibt. Aber etwas Genaues wissen die auch nicht. Der See ist sehr tief, so um die dreihundert Meter, tiefer als Loch Ness, aber ein Ungeheuer haben wir nicht!" Jeffrey lachte. Inzwischen waren die drei wieder am Schloss angekommen. Sie gingen um den Westflügel herum und standen vor den Nebengebäuden. Eine Frau kam aus einem der Gebäude auf sie zu.

"Hallo Mum", grüßte Jeffrey. "Das ist Nicolas. Wir waren gerade am See unten. Wir machen einen Rundgang und später zeigen wir ihm das Schloss." 

Nicolas besah sich Lady Kilburne. Eine Lady hatte er sich immer anders vorgestellt. Sie war groß, schlank und hatte leicht angegrautes, glattes Haar und ebenso blaue Augen wie Jeffrey.

Das Eindrucksvollste war ihre aristokratische Nase. Sie trug Jeans, eine Bluse und darüber eine dicke Daunenjacke. Eben nicht, wie sich man eine Adlige normalerweise vorstellt.

Nicolas reichte ihr höflich die Hand und drückte sie vorsichtig. Er hätte nicht vorsichtig zu sein brauchen, Lady Kilburne hatte einen festen Händedruck.

"Das ist schön, dass ihr euch schon kennt", meinte sie. "Herzlich willkommen bei uns, und ich hoffe, du hast eine schöne Zeit bei uns. Meinen Mann wirst du erst in ein oder zwei Tagen kennenlernen, der ist zurzeit in Edinburgh. Jetzt muss ich aber ins Haus. Wir sehen uns dann nachher beim Essen."

Dann verschwand sie in Richtung Küche.

"Kannst du eigentlich reiten?", wollte Jeffrey wissen.

"Nein, weshalb fragst du?" Nicolas war verwirrt.

"Dann musst du es lernen. Im Dorf kann man Pferde leihen. Wir hatten früher selbst welche, aber der Unterhalt war zu teuer."

Die drei hörten ihre Namen aus der offenen Küchentür. "Jungs kommt essen!", rief Dennis' Mutter.

Die Jungen stürmten in die Küche, sie hatten einen ordentlichen Hunger. Dennis' Mutter hatte einen herrlichen Lammeintopf gekocht, der prima schmeckte. Jeffrey und seine Mutter saßen mit den anderen in der Küche. Es schien hier wirklich sehr zwanglos zuzugehen. Lady Lydia bemerkte seine Blicke und sagte: "Wir essen immer mit hier in der Küche, auch wenn mein Mann da ist. Der Speisesaal wird nur genutzt, wenn einmal Gäste da sind, aber das ist relativ selten."

"Was habt ihr denn noch vor heute?" Nicolas' Tante sah ihn an. Statt Nicolas antwortete Jeffrey.

"Wir wollen Nicolas noch das Haus zeigen. Das ist ja groß genug, wir fangen im Keller an."