Der heilige Geist - Jörg Lauster - E-Book

Der heilige Geist E-Book

Jörg Lauster

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Beschreibung

DIE ERSTE BIOGRAPHIE DES HEILIGEN GEISTES

Jörg Lauster erzählt die Biographie des Heiligen Geistes von der Schöpfungsgeschichte über frühchristliche, mystische, philosophische und romantische Geistvorstellungen bis zum heutigen Pfingstchristentum und zu der Frage, wo in einer entzauberten Welt der Geist vernehmbar wird. Er zeigt dabei anschaulich, wie es im Namen des Geistes immer wieder zu Neuaufbrüchen kam, geht aber auch der dunklen Seite dieser rätselhaften Macht nach.

Neben Gott Vater und seinem Sohn Jesus Christus ist Der heilige Geist die dritte Person des «dreieinigen Gottes». Er schwebte vor der Schöpfung über der Urflut, senkte sich bei der Taufe auf Jesus herab und ließ die Apostel im Pfingstwunder in fremden Sprachen predigen. Der Geist erscheint als säuselnder Wind und brausender Sturm, als Feuer und Taube, in der Kirche und in der freien Natur. Er ist die große verändernde Macht, die zu Taten der Liebe anstiftet, Visionen befeuert, Künstler und Prediger inspiriert, Traditionen und Autoritäten untergräbt und als Weltgeist die Geschichte vorantreibt. Jörg Lauster geht in seiner Biographie des Heiligen Geistes weit über die Theologiegeschichte hinaus, denn in politischen Utopien, in philosophischen Freiheitsideen, im künstlerischen Geniekult oder in der modernen Naturbetrachtung zeigt sich, wie sich der Geist auch in einer säkularisierten Welt Ausdruck verschafft. Das geheime Zentrum dieser ersten Biographie des Heiligen Geistes ist die Philosophie der Renaissance, die wie ein Scharnier Mittelalter und Moderne, göttlichen und menschlichen Geist miteinander verbindet.

  • Souverän und verständlich geschrieben
  • Eine faszinierende Reise durch Theologie und Philosophie der westlichen Welt
  • Von der Bibel über Hegel bis heute
  • Gute Geister, böse Geister – warum das Nachdenken über den «Geist» uns bis heute nicht loslässt

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Jörg Lauster

Der heilige Geist

Eine Biographie

C.H.Beck

Zum Buch

Der heilige Geist ist neben Gott Vater und Jesus Christus die dritte Person des «dreieinigen Gottes». Jörg Lauster erzählt erstmals die Biographie dieser rätselhaften Macht von der Schöpfungsgeschichte über frühchristliche und mittelalterliche Geistvorstellungen bis hin zu der Frage nach dem göttlichen Geist in einer entzauberten Moderne voller Ungeist. Eine etwas andere Geistesgeschichte des Abendlandes, die auf faszinierende Weise Theologie und Philosophie, Religion und Kultur miteinander verklammert.

Vor der Schöpfung der Welt schwebte der Geist Gottes über der Urflut, senkte sich bei der Taufe auf Jesus herab und ließ die Apostel im Pfingstwunder in fremden Sprachen predigen. Der Geist erscheint als säuselnder Wind und brausender Sturm, als Feuer und Taube, in der Kirche und in der freien Natur. Er ist die große verändernde Macht, die zu Taten der Liebe anstiftet, Visionen befeuert, Künstler und Prediger inspiriert, Traditionen und Autoritäten untergräbt und als Weltgeist die Geschichte vorantreibt. Jörg Lauster geht in seiner Biographie des heiligen Geistes weit über die Theologiegeschichte hinaus, denn in politischen Utopien, in philosophischen Freiheitsideen, im künstlerischen Geniekult oder in der modernen Naturbetrachtung zeigt sich, wie sich der Geist auch in einer säkularisierten Welt Ausdruck verschafft. Das geheime Zentrum dieser ersten Biographie des heiligen Geistes ist die Philosophie der Renaissance, die wie ein Scharnier Mittelalter und Moderne, göttlichen und menschlichen Geist miteinander verbindet.

Über den Autor

Jörg Lauster, geb. 1966, ist Professor für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hatte Gastprofessuren in Venedig, Rom und Chile inne. Bei C.H.Beck erschien von ihm bereits «Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums» (5. Auflage 2017, C.H.Beck Paperback 2020).

Inhalt

Vorsatz

Tafelteil

Das Rauschen der Welt

Erster Teil: Von den Ursprüngen zur sichtbaren Gestalt des Geistes

1. Der Geist über dem Wasser

Die Kraft des Mythos: Geist-Dichtung und deren Erforschung

Wind und Lebenskraft: Die kosmische Dimension des göttlichen Geistes

Tollwut und Sanftmut: Die anthropologische Dimension des göttlichen Geistes

Die Geburt des heiligen Geistes

2. Geist vom Himmel: Pfingsten und der Geist im frühen Christentum

Explosive Geistesgegenwart: Paulus und die Christuspräsenz im Geist

Die Inkarnation des Geistes: Lukas

Die Gnade der späten Geburt: Johannes

3. Geist und Erde: Der Stoffwechsel des Geistes

Charisma und Institution: Die Sozialkraft des Geistes

Charisma und Person: Der Geist und die kirchlichen Ämter

Der Geist und das Wasser: Die Taufe

Der Geist, das Brot und der Wein: Das Abendmahl

4. Den Geist denken: Der Geist und das Dogma

Vom Nutzen und Nachteil der Trinitätslehre: Wenn Beter denken

Die Unruhe des Denkens und die Spuren der Trinität: Augustinus

Zweiter Teil: Geist und Mensch

5. Leben ohne Warum: Die Mystik und der Geist Gottes in der Seele

Die Wurzeln der Mystik

Die Stunde der Frauen

Meister Eckhart und der Seelenfunken des Geistes

Die «Inseln des Sinnvollen»: Mystik heute

6. Freiheit und Gottebenbildlichkeit: Der Geist als Verwandtschaft mit Gott

Renaissance: Die Freiheit zum Selbstentwurf

Gottebenbildlichkeit: Neuplatonische Physiologie des Geistes

Freiheit als Selbstbestimmung: Die Stimme der Vernunft

Freiheit als Selbstgestaltung: Die Stimme des Eigentlichen

Das Eigentliche und das Vernünftige: Freiheit als Befreiung

7. Begeisterung: Inspiration als Psychologie des göttlichen Geistes

Geistesgaben als Kräfte zum Guten

Die Kraft, die Berge versetzt: Glaube

Dem Zynismus widerstehen: Hoffnung

Seelenflug zum Guten und Schönen: Das Lob der platonischen Liebe im Christentum

Romantische Liebe und das Amen des Universums

Die Verzwergung der Inspiration: Schriftfetischismus

Das Fließen des Geistes: Von Dichtern, Schutzengeln, Genies und Melancholikern

Inspiration für alle: Der Mythos der Kreativität

Gottes Dahinrauschen in der Seele: Vom theologischen Nutzen der Inspirationslehre

Die Unterscheidung der Geister: Fanatismus, Verzweiflung und die Sünde wider den heiligen Geist

Dritter Teil: Geist und Geschichte

8. Die Kraft der Utopie

Das tausendjährige Reich des heiligen Geistes: Joachim von Fiore

Magnetismus der Hoffnung: Utopia und der Sonnenstaat

9. Der Geist in der Geschichte als Versöhnung

Der Traum vom Frieden: Ein heiliges Experiment in der Neuen Welt

Pax Christiana: Der heilige Geist als Frieden

Hegel hat einen Plan: Der Weltgeist

Was von Hegel übrig bleibt: Fortschritt, Versöhnung und die heraufdämmernde Ahnung des bösen Volksgeistes

Durchbruch zum Guten: Versöhnung

Täterinnen und Täter der Liebe

Der Geist der Hingebung und Tapferkeit: Albert Schweitzer

10. Feuerzungen vom Himmel: Das Pfingstchristentum und der Geist der Gegenwart

Der lange Weg von Mittelengland an den Pazifik

Wenn der Geist spricht: Pfingstchristentum heute

Der Geist in der Gegenwart

Vierter Teil: Geist und Welt

11. Der Geist in der Natur

Das Ende des göttlichen Geistes? Die Emanzipation des Materialismus

Der Geist im Gehirn

Die Stimme der Natur

Das Erwachen des Universums

Epilog: Das Ende der Welt und das Ende des Buches

Anhang

Dank

Anmerkungen

Das Rauschen der Welt

1. Der Geist über dem Wasser

2. Geist vom Himmel: Pfingsten und der Geist im frühen Christentum

3. Geist und Erde: Der Stoffwechsel des Geistes

4. Den Geist denken: Der Geist und das Dogma

5. Leben ohne Warum: Die Mystik und der Geist Gottes in der Seele

6. Freiheit und Gottebenbildlichkeit: Der Geist als Verwandtschaft mit Gott

7. Begeisterung: Inspiration als Psychologie des göttlichen Geistes

8. Die Kraft der Utopie

9. Der Geist in der Geschichte als Versöhnung

10. Feuerzungen vom Himmel: Das Pfingstchristentum und der Geist der Gegenwart

11. Der Geist in der Natur

Epilog:Das Ende der Welt und das Ende des Buches

Literatur

Bildnachweis

Personenregister

Tafelteil

Iwan Konstantinowitsch Aiwasowsky war ein russischer Romantiker des 19. Jahrhunderts. «Maler des Meeres» nannte ihn aus gutem Grund eine Wiener Ausstellung. Das Motiv aus dem ersten Kapitel der Genesis faszinierte ihn. Zweimal nahm er das Thema des Geistes über dem Wasser auf. Das Bild «Die Schöpfung» deutet den Geist in der Wolke an, durch die der Schöpfer im Hintergrund wirkt. Farbgebung und Lichtgestaltung unterstreichen das Geheimnis des Geistes.

Francisco de Goya war bibelfest. Er stellte auf seiner «Verkündigung der Geburt Jesu» (um 1785) mit dem Symbol der Taube und dem Lichtstrahl präzise dar, was der Engel im Lukasevangelium Maria ankündigt: «Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.»

Rembrandt hat den Apostel Paulus mehrmals gemalt, einmal hat er sich sogar in einem Selbstporträt als Paulus dargestellt. Das Bild «Der Apostel Paulus» aus dem Jahr 1633 zeigt den alten, nachdenklichen Paulus. Zur Wirksamkeit des Geistes gehört neben der Begeisterung auch die Selbstreflexion. Hermann Gunkel urteilte in seinem Buch über den heiligen Geist treffend, dass dem Apostel Paulus sein Leben ein Rätsel war, das er nur durch das Nachdenken über den Geist lösen konnte.

Der Maler Giovanni Battista Cima da Conegliano stellte in seiner «Taufe Christi» 1494 dem heiligen Geist elf Engel zur Seite. Das könnte eine Anspielung auf die Genien sein, durch die der Geist seine Wirkung in Menschen entfaltet.

Leonardo da Vincis «Abendmahl» im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie in Mailand ist die vermutlich berühmteste Darstellung dieser Szene. Das an faszinierenden Details so reiche Bild nimmt durch die meisterhafte Umsetzung der Zentralperspektive und die emotionale Aufladung der Figuren die Betrachter mit hinein in das letzte Abendmahl Jesu.

«Die Ausgießung des Geistes» illustrierte Gustave Doré 1865 als lichtvolles Ereignis. Der Geist senkt sich herab als Lichtstrahl und in Feuerzungen. Pfingsten wird in dieser Darstellung zu einem sinnlich wahrnehmbaren Ereignis.

Botticelli arbeitete in seinem Bild des Augustinus (um 1480) die doppelte Seite des Kirchenvaters heraus: Ergebung und Erleuchtung gehören ebenso zusammen wie innere Erfahrung und die Kraft des Denkens.

Michelangelos «Erschaffung Adams» bildet das Zentrum seiner Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle. Die Renaissance-Theologie der Gottebenbildlichkeit scheint mustergültig hervor. Der angedeutete Funkenflug zwischen den Fingerspitzen ist Michelangelos geniale Interpretation der Belebung des menschlichen Geistes durch den Geist Gottes.

Albrecht Dürers erste Bearbeitung der «Melancholia» von 1514 ist ebenso berühmt wie rätselhaft und hat darum Interpreten seit jeher vor schwere Aufgaben gestellt. Das Bild verarbeitet zahlreiche Motive der Melancholie-Lehre der Renaissance wie den Einfluss des Saturn und die Gegenwart des Genius. Die Hauptfigur stellt aber auch eine mögliche Stimmung des Künstlers selbst dar. Auch der Schmerz und der Verdruss an der Welt sind eine Form der Geistesgegenwart.

Ernst Ferdinand Oehme malte 1828 das Bild «Prozession im Nebel» noch stark unter dem Einfluss Caspar David Friedrichs. Der einsame Zug der Mönche in den Nebel hinein und aus den Augen der Betrachter hinaus deutet eine ungewisse Zukunft an. Die Romantiker hatten ein sicheres Gespür für die Verluste der Moderne. Das Bild hält in seiner Melancholie eine Kehrseite der Aufhebung der Kirche in die Kultur fest.

William Turner bringt in «Regen, Dampf und Geschwindigkeit» von 1844 die rasanten Veränderungen des 19. Jahrhunderts ins Bild, zu deren Symbol die Eisenbahn wurde. Die im sich auflösenden Dampf heranrasende Lokomotive ist ebenso faszinierend wie bedrohend. Damit wird das Gemälde zu einem Sinnbild der Ambivalenz der Moderne.

Caspar David Friedrich war ein Meister der Atmosphäre und der Stimmung. Selbst in der an sich unscheinbaren Motivwahl von Feldern und Baumgruppen in den Ausläufern eines Mittelgebirges gelingt es ihm, das Geheimnis aufscheinen zu lassen, das Menschen in der Natur erfahren können.

Der französische Maler Henri Rousseau fing 1907 in dem Bild «Exotische Landschaft mit Tiger und Jägern» die Ambivalenz der Natur ein. Ihre Schönheit gleicht einem Traumbild, und doch lauert verborgen in dem Idyll der Kampf um Leben und Tod zwischen Raubtier und Jäger.

Vorsatz

Das Rauschen der Welt

Das menschliche Dasein zeichnet aus, dass es sich in einer Welt ereignet, die nicht stumm ist. Aus der Welt steigt ein Rauschen auf, das Menschen anspricht, fordert, schreckt und beruhigt. Das Rauschen kann in einer klaren Melodie hervorströmen, es kann ruhig dahinfließen, es kann in einem plötzlichen Brausen hereinbrechen oder als ein dunkles Grollen das menschliche Welterleben fluten. Für dieses Rauschen hat das Christentum aus tiefer Vergangenheit eine Erklärung: Das Rauschen der Welt ist die Gegenwart des göttlichen Geistes. Denn Gott ist in der Welt präsent als Geist. Niemand Geringeres als Jesus Christus hat dieses Herz der christlichen Überzeugung im Johannesevangelium in drei Worten zusammengefasst. «Gott ist Geist.» (Joh 4,24)

Davon handelt dieses Buch. Es will den vielfältigen Formen der Gegenwart des göttlichen Geistes im Rauschen der Welt nachgehen. Rauschen ist seinem Wesen nach uneindeutig. Zweifel und Unsicherheit gehören gewiss dazu. Ist es wirklich die Gegenwart des göttlichen Geistes, die aus dem Rauschen der Welt zu vernehmen ist? Aufgrund der Ungewissheit hat es an offensichtlichen Bestreitern nie gefehlt. Die Moderne gibt sich in ihrer Religionsbestreitung manchmal etwas zu selbstgewiss hochmütig. Schon Paulus traf in Ephesus auf Menschen, die ihm unbekümmert zuriefen: «Wir haben noch nie gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt.» (Apg 19,2) Das Christentum hat im Laufe seiner Geschichte eine Reihe von Erfahrungen, Beobachtungen und Gründen zusammengetragen, um aus dem uneindeutigen Rauschen die Gegenwart des göttlichen Geistes zu vernehmen. Diesen Spuren will dieses Buch folgen, um die Möglichkeiten eines religiösen Welterlebens auszukundschaften und zur Diskussion zu stellen. Für den eigenen Umgang mit der Welt Rede und Antwort zu stehen, zeichnet seit Aristoteles die Belastbarkeit unserer Weltauffassungen aus. Es gibt, so die Grundannahme dieses Buches, Beobachtungen und Argumente, die Menschen in dem Rauschen der Welt erfahren lassen, dass mit dieser Welt etwas gewollt und gemeint ist.

Wir sind nicht die Ersten und wir werden auch nicht die Letzten sein, die auf das Rauschen der Welt lauschen. Das Verfahren einer Biographie des heiligen Geistes trägt der langen Tradition der christlichen Suche nach dem göttlichen Geist in der Welt Rechnung. Gewiss, eine Biographie des heiligen Geistes schreibt man nicht wie die eines Menschen. Aber es sind Linien in der Entwicklung des Geistes zu erkennen, die helfen, die Vielfalt seiner Wirkungen zu ordnen. Wie in einer Biographie lösen sich die Stufen der Entwicklung nicht einfach in die nächste auf. In dem, was wir sind, sind auf je eigene Art auch unsere Kindheit und Jugend gegenwärtig. So gilt es, die Wirkungen des Geistes in ihrer geschichtlichen Entwicklung aufzusuchen, aber auch im Blick zu halten, was davon in unsere Gegenwart hineinscheint. Die Biographie des heiligen Geistes reicht von einer vagen Ahnung seiner Anwesenheit bis hin zur Annahme des Geistes als Strukturprinzip des Universums. Vier Stadien lassen sich darin unterscheiden, sie alle schimmern hinein in unsere Gegenwart.

Am Beginn steht erstens der Weg von den Ursprüngen bis zur sichtbaren Gestalt des Geistes. Die Anfänge liegen im Alten Testament. Der Vergleich des Geistes mit dem Wind ist eines der stärksten und folgenreichsten Bilder des Alten Testaments. Der Geist ist nicht sichtbar, nicht fassbar und doch kräftig gegenwärtig. So tasten sich die großen Erzählungen an die Vorstellung heran, dass Gott in der Welt gegenwärtig ist und mit der Kraft des Geistes in Menschen und in der Natur die Geschichte führt. Das Christentum hat sich dies vollständig zu eigen gemacht, die Geistesgegenwart jedoch ganz auf die Person Jesus Christus konzentriert. Was er als Gottessohn ist, ist er aus der Kraft des Geistes. Inkarnation, die Menschwerdung des Gottessohnes, ist die höchste Form der Gegenwart des göttlichen Geistes. Die frühen Christen formten aus ihren Erfahrungen mit dem lebenden und dem auferstandenen Christus eine Einsicht, die sie als bahnbrechend erlebten. Die Gegenwart Christi war für sie überhaupt nur möglich als die Präsenz seines Geistes. Darum lässt sich die Geschichte des Christentums auch als die Geschichte der Wirkungen des Geistes Christi erzählen.

Das werdende Christentum stand vor der Herausforderung, das Brausen des Geistes Christi in eine verlässliche Form zu überführen. Diese Materialisierung des Geistes war ein aufwühlender und konfliktbeladener Prozess, denn er arbeitet sich an etwas ab, was an sich unmöglich ist: Das Unsichtbare sichtbar zu machen. Es zählt zu den großartigsten Leistungen des Christentums, diesen Übergang gemeistert zu haben. Die Wege, die das Christentum hier mit der Ausbildung von kirchlichen Strukturen, Ämtern und auch Sakramenten in der Antike einschlug, prägen seine Erscheinungsform bis heute. Doch den unsichtbaren Geist in sichtbare Formen zu bringen, hat von Beginn an Widerstände hervorgerufen. Protestbewegungen des Geistes gab es immer und gibt es noch. Mit der Formgebung des Geistes kann das Christentum nie zu Ende kommen, sie ist im Fluss, solange es die Kirche geben wird.

Die frühen Schilderungen christlicher Erfahrungen arbeiten das Erstaunen, die Verwunderung und Begeisterung darüber auf, dass Menschen den Geist zunächst und zuerst in sich selbst wirksam erlebten. Der Geist verwandelte Menschen, dadurch prägte er zugleich auch die Umgebung, in der sie lebten. In diesen frühen Geisterfahrungen sind zwei wichtige Wirkungsfelder des Geistes zu erkennen, an denen die folgende Darstellung der Geschichte des Geistes entlang schreiten wird. Der Geist zeigt sich in Menschen, und der Geist zeigt sich in der Geschichte.

Der Geist wird zum Gegenstand persönlicher Erfahrung, die – das ist das zweite Stadium – Menschen ergreift und verwandelt. Davon berichten Paulus und die Kirchenväter, am eindrücklichsten schließlich die Mystiker des Mittelalters. Das weite Feld der Mystik lebt von der Geisterfahrung im Innern der Menschen. Mystik ist das unfassbare Staunen über das, was Menschen in sich erleben und wie dieses Erleben sie selbst und ihren Blick auf die Welt verwandelt. Die Erfahrung des Geistes zeigt sich als eine Kraft der Befreiung. Der Renaissance kommt die Bedeutung zu, Geisterfahrungen als Freiheitserfahrungen artikuliert zu haben. Geist ist schließlich wesentlich Inspiration. Der göttliche Geist erscheint in den Idealen und Kräften, die in Menschen aufscheinen. Die Tradition nannte dies die Geistesgaben Glaube, Hoffnung und Liebe. In der Moderne hatten die Romantiker ein besonderes Gespür dafür, dass die göttliche Inspiration noch viel weiter in das Welterleben der Menschen hineinreicht.

Der Geist in der Welt lässt sich so wenig festhalten wie der Wind. Zur Erfahrung des Geistes gehört daher auch das unglückliche Bewusstsein des Abstandes zwischen dem, was mit dieser Welt gemeint ist, und dem, was sie ist. Auch die Melancholie ist eine Inspiration. Aus ihr bricht die Traurigkeit hervor, das Rauschen des Geistes nicht zu verstehen, sondern nur noch von Ferne zu ahnen. Melancholie ist daher die Sehnsucht offener Ohren, Augen und Herzen. Rauschen kann man schließlich missverstehen oder letztlich ganz überhören. Fanatismus und Verzweiflung sind je auf ihre Art die Kehrseiten dessen, was Menschen aus der Gegenwart des göttlichen Geistes in der Welt machen können.

Die Ideale, Kräfte und neuen Weltsichten, die durch den Geist in Menschen einfließen, verbleiben nicht im Innern der Menschen. Sie treten ein in die sozialen Zusammenhänge, in denen Menschen leben. So schreibt der Geist drittens Geschichte. Die Hoffnung ist wirksam als die Kraft, die Menschen über das Vorhandene hinaus auf ein in der Zukunft liegendes Ideal hinzieht. Mit Utopien und der Hoffnung auf Frieden wirkt der Geist gleich einem Magneten in die Geschichte hinein. Die Geschichte erweist sich darin nicht einfach nur als die unermüdliche Abfolge von Ereignissen. Auf den mittelalterlichen Abt Joachim von Fiore geht die Theorie zurück, dass die Geschichte selbst die Entfaltung des göttlichen Geistes ist. Das hat das Geschichtsdenken der Moderne tief geprägt. Der Traum von Fortschritt gehört hier ebenso hin wie die großen Desillusionierungen des 20. Jahrhunderts, die bescheidener nicht mehr vom Programm, sondern von den Spuren des Geistes sprechen. Sie werden sichtbar in den Taten der Liebe, die Menschen üben.

Die Geschichte der Entfaltung des Geistes treibt schließlich die Menschen über die Erfahrung der Geistesgegenwart in sich selbst und seiner geschichtsverwandelnden Kraft hinaus in eine universale Dimension. Die Renaissancedenker berauschten sich noch an der Erfahrung des Geistes als etwas, was allein den Menschen auszeichnet. Sie besangen die Sonderstellung des Menschen im Kosmos. Das Verständnis der Natur hat sich seit dem späten 20. Jahrhundert grundlegend gewandelt. Damit erweitert sich das Verständnis des Geistes. Es dämmert viertens die Einsicht herauf, dass in den Geisterfahrungen des Menschen sich eine Stimme erhebt, die das Universum durchwaltet.

Ein Buch über die Geschichte des göttlichen Geistes ist auch ein Buch über Gott, seine Gegenwart in der Welt und die Möglichkeiten, ihn zu erfahren. Die biographische Perspektive auf den Geist weitet unser Gehör. Das Rauschen der Welt ist ein vielfältiger Klang. Der heilige Geist ist an sehr viel mehr Orten und in sehr viel mehr Gestalten aufzufinden, als es je eine konfessionell gebundene Perspektive einfangen kann. Er ist überall dort zu finden, wo Menschen in ihrem Welterleben hinübergeführt werden in das Geheimnis der Welt, in dem zugleich ihr Sinn aufleuchtet. Sie erfahren: Die Welt ist nicht genug. Der heilige Geist ist die Antwort auf die Frage, woher diese Erfahrungen kommen und wohin sie uns führen.

Es ist das Ziel dieses Buches, diese Erfahrungen im Durchgang durch die Geschichte des Geistes in ihrer Vielfalt darzustellen. Der Geist ist ein so großes Thema, dass in der akademischen Theologie naturgemäß jede und jeder für ihn zuständig ist. Die Pneumatologie, das heißt die Lehre vom Geist, als Gebiet der Systematischen Theologie und Dogmatik ist die Königsdisziplin der theologischen Beschäftigungsmöglichkeiten mit dem Geist. Erfreulicherweise sind hier seit geraumer Zeit in allen Konfessionen mehrere, sehr anregende Versuche unternommen worden, den Geist als Erscheinungsform Gottes begrifflich zu erfassen.[1] Der Geist ist en vogue. Gott sei Dank. Die jüngste Pneumatologie stammt aus der Feder meines Wiener Kollegen Christian Danz.[2] Sie gibt einen vorzüglichen Überblick über die neueren Entwicklungen und ist selbst ein veritabler Systementwurf einer Theologie des Geistes, dessen Studium nur wärmstens empfohlen werden kann. Der hier eingeschlagene Weg ist ein anderer. Wenn es die Disziplin gäbe, dann müsste sie historische Kulturpneumatologie heißen. Sie versucht aus der Vielfalt der vorkommenden Erscheinungsformen des göttlichen Geistes in der Welt ihre Bedeutung für unsere Gegenwart heute zu erschließen, um so dem Geheimnis näher auf die Spur zu kommen, was es mit dem Rauschen der Welt auf sich haben könnte. Das Buch soll zeigen, wie vielfältig die Präsenz des Geistes im Laufe der Geschichte erfahren werden kann. Es geht weniger um die begriffliche Systematisierung. Beide Wege schließen sich nicht aus, die folgende Darstellung empfiehlt sich nicht als Alternative zur dogmatischen Pneumatologie und ist auch sonst an keinerlei Konkurrenzen interessiert. Der göttliche Geist ist groß, er erduldet viele Versuche, ihn zu verstehen.

Erster Teil

Von den Ursprüngen zur sichtbaren Gestalt des Geistes

1.

Der Geist über dem Wasser

Die ersten Sätze der Bibel zählen zu ihren schönsten. In ihnen weht der Geist Gottes. Die Schöpfungsgeschichte erzählt, wie die Erde nach ihrer Schöpfung auf Hebräisch tohu wa bohu, «wüst und leer» war. Die Welt des Anfangs ist ohne Ordnung und finster, und doch schwebt über ihr der Geist Gottes. Er ist von Anbeginn der Welt gegenwärtig und bewegt sich in geheimnisvoller Anwesenheit über den Fluten.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. (Gen 1,1–2)

Entstehungsgeschichten sind Sinngeschichten. Die biblische Schöpfungserzählung handelt davon, wie der Sinn der Welt im Geheimnis ihrer Entstehung verborgen liegt. Unfassbar und doch gegenwärtig zeigt sich der Geist als eine geheimnisvolle Präsenz Gottes. Der Geist Gottes rauscht und schwebt über dem Wasser. «Schweben» ist auf Hebräisch das gleiche Wort, mit dem man den Flügelschlag eines Adlers beschreibt. Gott selbst spricht noch nicht, er zeigt sich noch nicht, sein Geist ist jedoch schon da. In dem Schweben und Flattern des Geistes über dem Wasser kündigt sich an, was kommen wird: die machtvolle und planvolle Erschaffung der Welt. In den dunklen Anfängen der Welt wirkt Gott als eine geistige Kraft, deren Woher und Wohin rätselhaft bleibt. Sie gleicht in ihrer Wirkung dem Wind, den man nicht sieht, aber doch spürt. Von dem späteren abendländischen Dogma, das zwischen Geist und Materie trennt, wissen diese ersten Worte der Bibel noch nichts. Gottes Geist ist sinnlich wahrnehmbar, zwar unsichtbar wie der Wind, aber doch spürbar gegenwärtig und anwesend von den Anfängen dieser Welt an.

Für die Geschichte des Geistes sind die Anfangsworte der Bibel ein fulminanter Auftakt. Sie enthalten in knappen Worten den Kern einer Überzeugung, die sich bis heute in über 2000 Jahren immer wieder entfaltet. Die Welt ist nicht genug. In ihr ist etwas gegenwärtig, was immerfort über sie hinausweist. Die Rede vom Geist Gottes, der über den Wassern schwebt, öffnet ein Tor. Geist ist der Sammelbegriff für all die Erscheinungsformen, in denen Gott in dieser Welt anwesend ist.

Die Kraft des Mythos: Geist-Dichtung und deren Erforschung

Der Geist, der über den Wassern schwebt, ist ein starkes Bild. Es gibt keine anderen Worte oder gar ein begriffliches Konzept, in das sich diese Vorstellung hineinübersetzen ließe. Es ist die Kraft des Mythos, die aus den Worten spricht. Der Mythos appelliert an die menschliche Vorstellungskraft, er sagt mit den Mitteln der Fiktion das Unsagbare. Manche Dinge kann man nicht anders als durch die Kraft der fiktiven Erzählung darstellen. Darin liegt die tiefe Wahrheit des Mythos. Der Geist über dem Wasser ist die poetische Verdichtung einer religiösen Welterfahrung.

Der junge Göttinger Privatdozent Hermann Gunkel veröffentlichte 1888 eine kleine Studie mit dem Titel Die Wirkungen des heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels Paulus.[1] Gunkel erläuterte in diesem Buch den Zusammenhang von Geist und Erfahrung am Beispiel des Apostel Paulus.[2] Sein Ansatz hatte jedoch auch für die Erforschung des Alten Testaments eine enorme Wirkung.[3] Das Bahnbrechende seines Buches liegt in der Perspektive, die biblischen Texte als Verarbeitungen religiöser Erfahrungen zu verstehen. Gunkel suchte nach den Erfahrungskonstellationen hinter den Texten. Der religiöse Wert der Vorstellungen lag für ihn nicht in den bloßen Worten, sondern in den Erfahrungen, die sie verarbeiteten. An sie musste man herankommen, wenn man etwas von der Begegnung mit dem Göttlichen erahnen wollte, das sich in diesen Texten kundtat.

An dem Ansatz kam schon zu Gunkels Zeiten Kritik auf.[4] Sie kreiste einerseits um die Unmöglichkeit des «Nachfühlens» und andererseits um Gunkels Annahme, es gebe einen reinen Erlebniskern jenseits der Worte. Den gibt es nicht, denn Erfahrungen sind immer schon interpretierte, artikulierte Erfahrungen. Was immer wir aus der Bibel über die Erfahrungen mit dem Geist Gottes lernen können, wir erfahren es aus Worten von Menschen. Dennoch bleibt Gunkels Ansatz faszinierend. Er lenkt den Blick darauf, welche Erfahrungen, welche Stimmungslagen und welche Gedanken in die biblischen Texte Eingang gefunden haben könnten. Gunkel schärft den Blick für die Lebenszusammenhänge der in der Bibel berichteten Geisterfahrungen.

Von Gunkels Arbeiten war der Tübinger Alttestamentler Paul Volz tief beeindruckt. Er lenkte den Blick auf die Texte des Alten Testaments, die das Christentum wesentlich beeinflussten.[5] Volz erkannte, dass diese Schriften nicht nur unmittelbare Erfahrungsniederschläge, sondern auch theologische Vorstellungen und Reflexionen artikulierten, in denen die biblischen Autoren dem Phänomen göttlicher Gegenwart als Geist auf die Spur zu kommen versuchten. Diese Vielfalt der Artikulationswege ist es, die die Bibel zu einem Ausdrucksuniversum nicht nur religiöser Erfahrungen, sondern auch der Erfahrungen des Geistes Gottes macht. Die alttestamentlichen Grundideen, wie der Geist Gottes in der Welt wirkt, haben das Christentum und mit ihm die Geschichte des Geistes entscheidend geprägt. Sie sind die Quelle, von der alle späteren christlichen Geisterfahrungen leben.

Wind und Lebenskraft: Die kosmische Dimension des göttlichen Geistes

Die ersten Worte der Bibel, die in rätselhafter Weise vom Geist über dem Wasser erzählen, stammen aus einer mittleren Epoche alttestamentlicher Geistbeschreibungen. Sie sind die Anfangsworte der Priesterschrift, des großen Erzählkorpus, der die Fünf Bücher Mose durchzieht.[6] In ihrer sprachlichen Gestalt erweckt die Priesterschrift den Eindruck, aus den heiligen Anfangszeiten selbst zu kommen,[7] tatsächlich stammt sie wahrscheinlich aus der Zeit des Babylonischen Exils im 6. Jahrhundert v. Chr. Es wäre ein reizvoller Gedanke, die Theologen, die sie erarbeitet haben, von Heimweh bewegt und doch in gelehrte Gedanken an die Zukunft vertieft am Euphrat spazieren zu sehen – allein, es wäre pure historische Phantasie, wir wissen so gut wie nichts von ihnen. Die Priesterschrift entfaltet in einer eigentümlichen Kombination aus formelhafter Sprache und schlichter Klarheit eine theologische Erzählung, in der die göttliche Weltzuwendung in der Schöpfung der Welt ihren Anfang nimmt, sich in dem Bund mit den Vätern fortsetzt und sich in der Verleihung des Gesetzes und der kultischen Einwohnung Gottes bei seinem Volk vollendet. Die Priesterschrift erzählt nicht, was war, sie erzählt, wie man sich die Geschichte denken müsste, um aus der Sicht ihrer Verfasser heute und jetzt zu begreifen, was Gott mit seinem Volk vorhat. Die Verfasser bieten damit der Erschütterung und den Zweifeln ihrer Zeitgenossen einen utopisch-eschatologischen Gegenentwurf zu ihrer aussichtslosen Lage an.[8] Das, was Israel gegenwärtig im Exil erlebt, kann nicht alles gewesen sein, die Geschichte folgt einem höheren Sinn.

Die theologisch elaborierte und literarisch kunstvolle Anlage der Priesterschrift macht es umso merkwürdiger, dass sich ausgerechnet hier das rätselhafte Wort vom Geist über dem Wasser findet.[9] Frühere Stellen zum Geist, die sich im Alten Testament finden, sprechen konkreter, spätere theologischer. Die Schöpfungserzählung nimmt altorientalische Vorstellungen vom göttlichen Wind und Atem auf, sie bemüht die gesamte Bedeutungsvielfalt, sie nutzt alle semantischen Spielräume, die das lautmalende hebräische Wort ruach hergibt, und eröffnet dadurch einen immens weiten Sinnhorizont.[10] Ruach elohim, Geist Gottes, meint Vieles: Wind, Geist, Atem und Hauch Gottes. Die Klage darüber ist alt, dass mit dem Wort Geist nur eine Dimension der beschriebenen göttlichen Gegenwart in den Blick kommt.

Die Art der Bewegung, merähpät im Hebräischen, ist bemerkenswert rätselhaft. Es ist an das Rauschen von Flügeln zu denken, ähnlich einem Flattern. Das «Schweben» der Lutherübersetzung ist ein interessanter, an der griechischen Übersetzung der Hebräischen Bibel, der Septuaginta, orientierter Versuch, an das Gemeinte heranzukommen. «Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser»: Unsichtbar und doch sinnlich fassbar begegnet in den dunklen Anfängen der Welt eine Kraft, deren Woher und Wohin rätselhaft bleibt, sie gleicht in ihrer Wirkung dem Hauch, dem Atem, dem Wind. In der Düsterkeit eines formlosen Chaos ist eine göttliche Kraft gegenwärtig, sinnlich spürbar wie Wind auf der Haut. Die Worte lassen an die aufgespannten Flügel eines Adlers denken, unter dessen Fittichen die noch werdende Welt geborgen ist.

Der Geist über dem Wasser regte die künstlerische Phantasie an. Die holländische Buchillustration aus dem 17. Jahrhundert versucht die Bedeutungsvielfalt des Schwebens und Flatterns darzustellen, die zu dem Geist über dem Wasser gehört. Das hebräische Tetragramm mit dem Namen Jahwes versinnbildlicht die göttliche Herkunft.

Die Geschichte erzählt von einer flatternden, brausenden Gegenwart Gottes, die sich über der Welt aufspannt, sie ist wie der Wind unsichtbar und doch wirksam. Gott ist gegenwärtig und doch ist der Wind nicht Gott selbst. Es ist sein Geist, der über dem Chaos schwebt. Er wehrt es ab und begrenzt es.[11] Das sind starke Bilder von einer Welt vor dem Anbeginn aller Zeiten. Wollte man dem Text die Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts, der creatio ex nihilo, unterschieben, die sicherstellen will, dass es außerhalb Gottes keine Wirklichkeit geben kann, dann nähme man ihm seine Pointe.[12] Denn die Worte aus Genesis 1,2 beantworten keine metaphysisch-naturwissenschaftlichen Vorweltfragen, sondern besingen die religiöse Gewissheit ihrer Verfasser in kraftvoller Poesie. Der Geist ist die Spur göttlicher Präsenz in der Welt, sie führt von der Ewigkeit her in die Gegenwart. Mit der Welt entfaltet sich, was zuvor schon angelegt war. Alles, was ist, entsteht nicht aus Zufall, sondern als der greifbare Sinn eines großen Geheimnisses (siehe Tafel I).

Die archaisch anmutenden Bilder sind Resultat wohldurchdachter theologischer Überlegung. Die Vorstellung göttlicher Anwesenheit in der Welt konzentriert sich auf Naturerfahrungen, das Bild des Windes unterstreicht das Rätselhafte in Gottes Wirken, es ist spürbar, aber man weiß nicht, woher es kommt. Das Phänomen des Windes offerierte eine offensichtlich plausible Vorstellung, wie man sich Gottes Eingreifen in die Geschichte denken konnte.[13] Mehrfach wird vom Wind als Instrument des göttlichen Handelns erzählt. Als die Israeliten das Schilfmeer durchqueren, ist es ein starker «Ostwind» (Ex 14,21), der dafür sorgt, dass sie trockenen Fußes durch das Meer ziehen können, in dem dann nach ihnen das Heer des Pharaos ertrinkt. Als das Volk in der Wüste murrt, ist es ein Wind, der ihm die Wachteln bringt und auf sein Lager fallen lässt (Num 11,31). Der Wind kann aber auch strafend wirken (z.B. Ez 13,11) und einem Schnauben Gottes (z.B. Hi 4,9) gleichen.

So mythisch aufgeladen diese Vorstellungen anmuten, geben sie auch Ansätze kausalen Denkens zu erkennen. Denn einerseits dient der Wind als Erklärung für Wunder, andererseits werden Naturphänomene wie etwa Stürme durch Angabe einer Ursache theologisch zu erklären versucht. Unstrittig waren diese Erklärungsversuche schon zur Zeit der Entstehung der biblischen Texte nicht. Die Erzählung, wie Jahwe dem Propheten Elia am Berg Horeb erscheint, kritisiert die Windverehrung. Gewaltige Naturphänomene gehen der Erscheinung Gottes voraus: ein «großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach.» Doch dazu heißt es dann nur lapidar «Der Herr aber war nicht im Winde.» (1Kön 19,11). Es ist vielmehr «ein stilles, sanftes Sausen» (1Kön 19,12), das dem Erscheinen Jahwes vorausgeht. Offensichtlich polemisiert die Erzählung dagegen, im Stile einer Naturreligion Gottes Wirken und den Wind zwangsläufig zu identifizieren. Dass sich seine Gegenwart jedoch als Naturphänomen ankündigt und in einem stillen, sanften Sausen zeigt, zieht auch der Kritiker nicht in Zweifel.

Mit der Vorstellung von göttlicher Gegenwart als Wind und Atem verbindet sich eine der prominentesten Ideen des Geistes im Alten Testament. Der Geist und Atem Gottes wirkt als belebendes Prinzip. Der zweite Schöpfungsbericht, der im Buch Genesis direkt auf den ersten folgt, gebraucht den Begriff ruach im Sinne von «Atem des Lebens». In der Bibelübersetzung Luthers ist vom «Odem des Lebens» die Rede:[14]

Da machte Gott der Herr den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. (Gen 2,7)

Doch erschafft Gott mit seinem Atem nicht nur, er erhält auch alles Lebendige. Wie im ersten Schöpfungsbericht schwingt auch in Psalm 104 alles mit, was das Wort ruach anklingen lässt. Die Anfangsverse dieses wahrscheinlich berühmtesten und bis in gegenwärtige Kirchenlieder fortwirkenden Schöpfungspsalms bauen große Bilder alttestamentlicher Kosmologie und Gottesvorstellung auf. Sie besingen Gott als unermesslichen Bewohner des Himmels, der «auf den Wolken wie auf einem Wagen» fährt, «auf den Fittichen des Windes» daherkommt (Ps 104,3) und die Winde zu seinen «Boten» (Ps 104,4) macht – für Wind steht im Hebräischen ruach. Wenig später verwendet der Psalm jedoch ruach auch für den Atem Gottes.

Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub. Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu das Antlitz der Erde. (Ps 104,29–30)

Die spätere christliche Tradition hat an diesen beiden Wirkweisen des göttlichen Atems, Leben zu erschaffen und zu erhalten, die Unterscheidung zwischen einer ursprünglichen Schöpfung (creatio prima) und einer fortwirkenden erhaltenden Schöpfung (creatio continua) festgemacht. Die alten Texte vermitteln sehr sinnlich-materielle Vorstellungen von göttlicher Präsenz in der Welt.[15]

Grandios weitergeführt ist dieser Gedanke in der berühmten Vision des Propheten Ezechiel. Sie erzählt, wie Gott über einem Feld voller toter Gebeine die Skelette mit seinem Atem (ruach) anhaucht und so wieder zu lebendigen Menschen macht:

Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem: So spricht Gott der HERR: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes Heer. (Ez 37,9–10)

Die Vision ist die Einkleidung einer eminent theologischen Botschaft.[16] Das Volk Israel gleicht einem Feld toter Gebeine und kann aus diesem verlorenen Zustand nicht aus eigener Kraft, sondern allein durch den göttlichen Geist herausgeführt und wieder lebendig gemacht werden. Auch hier spielt der Text mit dem ganzen Bedeutungsreichtum des hebräischen Wortes ruach. Die Bedeutungen von Geist, Atem und Wind fließen hier ineinander. Ruach verkörpert die unsichtbare, belebende göttliche Kraft, der die Macht zugeschrieben wird, neu zu schaffen, wiederzubeleben und zu verwandeln, was zuvor tot und verdorrt war. Das geht über den zweiten Schöpfungsbericht und Psalm 104 hinaus. Das Wirken des göttlichen Geistes wird bei Ezechiel als eine kosmische Größe verstanden, als ein belebendes Prinzip, das die Welt und das Universum durchflutet.

Ezechiels Vision vom Totenfeld steht für die belebende und schaffende Kraft des Geistes, der die toten Gebeine wieder zu lebendigen Menschen werden lässt. Pierre Mariette fertigte nach Motiven von Matthäus Merian d. Ä. um 1670 den Kupferstich an.

Allerdings zeichnet sich in diesem universalen Kontext eine Fokussierung auf die Menschen ab, die zum hervorragenden und ausgezeichneten Ort der Wirksamkeit des göttlichen Geistes werden. Denn der Text ist in der Argumentation des Propheten die visionäre Ausgestaltung einer klaren Botschaft an das Volk: «Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben» (Ez 36,26). Der göttliche Atem wirkt im Menschen nicht nur Leben schaffend und erhaltend, er gleicht einer Neuschöpfung und einer grundlegenden sittlichen Veränderung, zu der sich der Mensch aus eigener Anstrengung nicht aufschwingen kann. Es deutet sich an, dass der göttliche Geist hier als eine von außen kommende Kraft verstanden wird, die im Menschen wirkt und ihn zum Guten hin wandelt.

Die Kapitel des Ezechielbuchs führen die beiden mächtigen Traditionslinien eines kosmischen und eines anthropologischen Geistverständnisses zusammen. Sie nutzen damit nahezu die gesamte Bandbreite der Tradition, um mit dem Begriff des Geistes anhand einer fesselnden Breite von Phänomenen göttliche Gegenwart in der Welt beschreiben zu können. Dass dazu auch die Wirksamkeit des göttlichen Geistes im Menschen gehört, auf die Ezechiel seine Ausführungen zulaufen lässt, spielte in den alttestamentlichen Texten von Anfang an eine große Rolle. Die Rede vom Geist dient geradezu einer Selbstaufklärung des Menschen über sich selbst. Erstaunlicherweise legen die Verfasser und die Redaktoren, die am Ende die Texte überarbeitet und zusammengestellt haben, großen Respekt vor den unterschiedlichen Traditionen an den Tag und versuchten nicht, sie zu vereinheitlichen. Das führt zwar zu widersprüchlichen Darstellungen, gewährt aber faszinierende Einblicke in die Bedeutungsvielfalt dessen, was man sich unter göttlicher Wirksamkeit in einem Menschen vorstellen konnte.

Tollwut und Sanftmut: Die anthropologische Dimension des göttlichen Geistes

In einer Liste anstößiger Passagen der Bibel käme eine Heldenerzählung aus der israelitischen Frühzeit auf einen vorderen Platz. Simson, im Gefolge der lateinischen Bibelübersetzung auch häufig als Samson bezeichnet, gelangte zu kulturellen Ehren in Literatur, Musik und Kunst. Geheimnisvolle Kräfte machen ihn zu einem unbesiegbaren Heroen im Kampf gegen die Philister, erst der Verrat seiner Frau Delia bringt ihn zu Fall. Von dem noch jungen Simson berichtet das Richterbuch, wie er mit seinen Eltern auf einer Reise war.

Und als sie kamen an die Weinberge von Timna, siehe, da kam ein junger Löwe brüllend ihm entgegen. Und der Geist des HERRN geriet über ihn, und er zerriss ihn, wie man ein Böcklein zerreißt, und hatte doch gar nichts in seiner Hand. (Ri 14,5b-6a)

Die Frage, warum Simson einfach den Löwen zerreißt, ist im Text schlicht beantwortet: Weil er es kann. Dass der Geist Gottes über Menschen gerät, sie jähzornig und in ihrer Raserei überragend kräftig macht, entspricht kaum den Feinheiten einer höheren Theologie des Geistes, die das Alte Testament später entwickelt hat. Bewahrt der Text archaische Auffassungen vom Geist, die einem Dämon und eigenständigen Geistwesen gleichen, das Menschen befallen kann? Denkbar wäre aber auch, dass es sich um eine spätere «Verwilderung» des theologischen Sprachgebrauchs handeln könnte.[17] Wenn der Geist Gottes in Menschen fährt und ihnen besondere Kräfte verleiht, warum dann nicht auch physische Überlegenheit über Raubtiere?

Die Geschichte von Simson und dem Löwen, die man irgendwo zwischen Heldensage und Jägerlatein einordnen möchte, zeigt, wie schwierig es ist, die alttestamentlichen Geistaussagen auf eine religionsgeschichtliche Entwicklungslinie zu bringen. Andererseits bekundet der Text eine Grundüberzeugung des anthropologischen Geistverständnisses im Alten Testament. Besondere seelische Verfassungen und körperliche Zustände werden kausal auf einen Geist zurückgeführt, der von außerhalb den Menschen erfasst, um außergewöhnliche Gemütszustände und daraus hervorgehende Taten zu erklären. Das gilt gerade auch für religiöse Anwandlungen. Rasen, sonderbares und unverständliches Reden und anderweitige ekstatische Ausnahmesituationen werden auf die Wirksamkeit des Geistes zurückgeführt, der in die Menschen hineinfährt. Die Vorstellung des Geistes dient dazu, besondere Begabungen und Fertigkeiten von Menschen zu erklären. Neben dem im Kosmos wehenden Geist ist die Geistbegabung von Menschen die zweite zentrale und religionsgeschichtlich immens folgenreiche Idee göttlicher Gegenwart in der Welt.

Die Anwesenheit des göttlichen Geistes in Menschen verleiht diesen besondere Fertigkeiten und Fähigkeiten, prophetische Gaben, die Möglichkeiten zur Erkenntnis Gottes und zur Befolgung seiner Gebote. Schließlich kann der Geist auch in Ämtern anwesend sein, die Menschen einnehmen – eine für das Christentum höchst bedeutsame Idee.[18] Die Texte verschweigen nicht, dass die Geistbegabung von Menschen eine ambivalente Angelegenheit ist. Wer vom Geist erfasst war, konnte auch als wahnsinnig gelten. Im Buch des Propheten Hosea heißt es: «Ein Narr ist der Prophet und wahnsinnig der Mann des Geistes!» (Hos 9,7). Dies unterstreicht die eruptive, irrationale und in moralischer Perspektive auch indifferente Seite der Wirkung des Geistes. Das Alte Testament dokumentiert die Spannung zwischen einer potentiell destruktiven und einer konstruktiven Geistbegabung an vielen Stellen. Nicht jeder, der sich Prophet nennt, ist auch ein von Gott gesandter Prophet. Es besteht die Möglichkeit, dass das, was am Werke ist, zwar Geist, aber nicht der göttlicher Geist ist. Der Prophet Micha muss sich am Hofe König Ahabs mit einer Mehrheit von Propheten auseinandersetzen, die Falsches weissagen (1Kön 22). Einige Texte des Alten Testaments spielen auf diese Spannung und Uneindeutigkeit der Wirkung des Geistes an, die spätere theologische Redaktion entschließt sich jedoch offensichtlich zu einer klaren Positionierung. Es ist Gott selbst, der zur Strafe einen «Lügengeist» (1Kön 22,22) in die falschen Propheten fahren lässt. Die Schwierigkeit, die Wirksamkeit des göttlichen Geistes eindeutig zu erkennen, löst diese Theologie auf in eine Eindeutigkeit, die dann konsequenterweise auch das Böse und Irrationale als Wirkungen des göttlichen Geistes zu denken empfiehlt.

Mit fast schon erschütternder Klarheit wird diese theologische Deutung destruktiver Geistwirkungen in der Geschichte von König Saul, dem ersten König Israels, deutlich. Saul wird zunächst von Gott erwählt, von dem Propheten Samuel berufen und gesalbt, am Ende dann aber verworfen. Erst sein Untergang macht den Aufstieg Davids zum König möglich. Die tragische Wende kommentieren die Samuelbücher sprachlich trocken und dennoch theologisch aufregend: «Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn verstörte ihn» (1Sam 16,14). Der Satz geht wahrscheinlich auf die Zeit nach dem Babylonischen Exil zurück, als die Alleinwirksamkeit Jahwes zu einem theologischen Programm wurde. Nichts kann geschehen, schon gar nicht etwas so Bedeutsames wie die tragische Lebenswende eines von Gott selbst erwählten Königs, was nicht seine Ursache im Willen Gottes hätte.

Das ist ein in mehrfacher Hinsicht markanter Wendepunkt. Er zeugt von der theologischen Entscheidung des sich durchsetzenden Monotheismus, göttliche Allkausalität zum obersten Attribut des Gottesverständnisses zu machen. Auch das Auftauchen böser Geister wird auf Gott selbst zurückgeführt. Es gibt eine offensichtlich dunkle, düstere und undurchdringliche Seite göttlicher Gegenwart in der Welt. Diese mit Bildern und Vorstellungen auszuloten, verleiht dem Alten Testament etwas Großes.[19]

Die Geburt des heiligen Geistes

Die Beobachtung der Ambivalenz der Geistbegabung markiert einen Einschnitt im Verständnis des Geistes. Das theologische Kausalitätsdenken macht aus der zunächst dynamischen eine statische Größe. Der Geist wird im Guten wie dann konsequenterweise auch im Bösen zu einem Besitz und zu einer Gabe, die Gott verleihen, weitergeben, aber auch entziehen kann. Die wirkungsgeschichtlich erfolgreichsten Passagen des Alten Testaments sprechen von diesem Verständnis des Geistes als Gabe.[20] In den spätesten Texten des Jesaja-Buches heißt es: «Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat.» (Jes 61,1) Der Aspekt der festen, ruhenden, fast schon substanzhaft gedachten Gabe, die zudem durch eine Salbung, also eine bestimmte Technik, verliehen werden kann, steht hier klar im Vordergrund.[21] Hier wird die Gegenwart des göttlichen Geistes als ein «Berufscharisma»[22] verstanden, das besondere Propheten und am Ende auch den messianischen Heilsbringer ausstattet. Der Prophet Joel schildert die Vollendung der Welt als eine zukünftige Ausgießung dieser Geistesgabe über alle Menschen: «Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch» (Joel 3,1).

Die letzte Stufe in der Entwicklung des Denkens vom göttlichen Geist ist die Geburt des heiligen Geistes. Präziser muss man sagen: der Name «heiliger Geist» wird geboren. Das Alte Testament kennt dazu nur zwei Stellen, die beide in ihrer Datierung sehr spät anzusetzen sind. Jesaja 63,10 entrückt den Geist von der Erde in die göttliche Heiligkeit und nennt ihn darum einen heiligen Geist. Auch der Beter des 51. Psalms sieht den Geist als etwas ganz und gar Göttliches und nennt ihn darum heilig. Ist dieser heilige Geist eine Gabe, dann kann man auch um ihn bitten: «Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir» (Ps 51,13).[23]

Der bereits erwähnte Alttestamentler Paul Volz hat im Stil des 19. Jahrhunderts versucht, die Geschichte des Geistes im Alten Israel als einen geradlinigen Prozess darzustellen.[24] Die alttestamentlichen Texte bezeichnen seiner Theorie zufolge mit dem Begriff ruach zunächst eine eigenständige Kraft, die auf die Sphäre des Übersinnlichen verweist. Der Begriff ist Resultat eines Kausalitätsdenkens, das sowohl anthropologisch besondere Zustände im Menschen als auch kosmologisch eine übersinnliche Dimension in der Welt zu erklären versucht. Dazu gehören die stofflich-materiellen Bilder vom Wind und Atem ebenso wie Vorstellungen, die die ruach in die Nähe von Dämonen und Geistwesen rücken. Erst in einem zweiten Schritt ist diese ruach dann im Zuge der religiösen Entwicklung Israels auf Jahwe bezogen worden, der als Grund, Ursache und Geber der Geistphänomene betrachtet wurde. In einer dritten Stufe kam es schließlich zu einer inhaltlichen Weiterentwicklung dieser Verschmelzung. Volz interpretiert die späten Texte als Ergebnis einer unaufhaltsam voranschreitenden Versittlichung. Sie münden ein in die Vorstellung vom heiligen Geist als einer göttlichen Kraft, die Menschen veredelt. Inhaltlich ist Volz’ Rekonstruktion von dem Gedanken bestimmt, Geschichte als voranschreitende Versittlichung zu begreifen. Das war eine Lieblingsidee der Epoche. Ernst Troeltsch sah in dieser Versittlichung die welthistorische Bedeutung der alttestamentlichen Prophetie.[25] Der Gedanke ist bis heute verlockend: Aus düsteren Dämonenvorstellungen und naiven religiösen Aufladungen natürlicher Phänomene – so könnte man es lesen, wenn der Wind als göttlicher Atem beschrieben wird – schält sich die klare und helle Auffassung heraus, den Geist als eine sittliche, im Menschen wirkende Kraft zu begreifen. Die Religionsgeschichte Israels erscheint in diesem Licht als eine von unsichtbarer Hand geführte Bewegung, in der die Menschen zu dem immer klarer werdenden Bewusstsein aufsteigen, dass sich die Gegenwart Gottes in der Welt als Anwesenheit seines Geistes im Menschen ereignet.

Aus heutiger Sicht ist ein roter Faden in der Geschichte des Geistes im Alten Testament jedoch nicht so klar zu erkennen.[26] Das Alte Testament ist ein Universum an Geisterfahrungen, die Überlieferungsträger haben sie in ihrer Vielfalt nebeneinander stehen lassen und damit Spielraum für Deutungen der Gegenwart des göttlichen Geistes in der Welt eröffnet. Das Faszinierende am Alten Testament ist die Geburt der Idee, dass Gott in der Welt als Geist gegenwärtig ist. «In der Welt» heißt: nicht allein im Menschen, sondern im ganzen Universum. Diese Einsicht sprechen die Texte in mythischen Bildern aus. Sie wähnen den göttlichen Geist in einer windgleichen Bewegung über dem Chaos der noch nicht gewordenen Welt schwebend, sie verstehen den Wind als Atem und Schnauben Gottes oder als ein Naturphänomen, in dem sich Gott als Geist zeigt. In der mythischen Einfachheit dieser Bilder liegt ihre außergewöhnlich prägende Kraft. Sie appellieren an die Imagination und bauen Vorstellungswelten auf. Aus einer abendländisch-westlichen Weltsicht sind sie nicht mehr wegzudenken. Die prägende Vorstellung, die den Geistbildern zugrunde liegt, ist die einer unsichtbaren Anwesenheit Gottes und Lenkung der Weltgeschicke.

Die geistige Anwesenheit Gottes in der Welt schließt auch seine Gegenwart im Menschen ein. Seit den alttestamentlichen Zeiten ist die menschliche Selbsterfahrung ein vorzüglicher Ort, der Gegenwart des Geistes Gottes in der Welt gewahr zu werden. Die anthropologische und die kosmische Dimension der Gegenwart des göttlichen Geistes lassen die alttestamentlichen Texte lange nebeneinander stehen. Erst die spätesten Texte scheinen die kosmische Dimension vernachlässigt und die anthropologische in den Vordergrund gestellt zu haben.

In der Bezeichnung des heiligen Geistes als Gabe, die das Herz rein macht, liegt allerdings auch eine Vereinseitigung. Darum wirkt die späte Geburt des heiligen Geistes im Alten Testament auch fast wie eine Domestizierung des göttlichen Geistes – sie grenzt die unermessliche Weite der Geistesgegenwart ein und entfaltet dennoch eine grandiose Wirkung. Denn mit der Idee, den Geist als eine göttliche Gabe, als etwas verlässlich in Menschen Wirkendes, ja sogar Ruhendes zu verstehen, das deren Leben, ihr Denken und ihr Tun verändert, ist die Idee der Gnade geboren. Gnade ist in Menschen geronnener Geist Gottes.

Das Alte Testament hat in der Weite seines Geistverständnisses eine enorme Prägekraft für die Geisterfahrungen des Christentums. Es entwirft Bilder, die den göttlichen Geist als Kraft aufscheinen lassen, die in der Materie wirkt und sie belebt. Die Texte sprechen von Erfahrungen, in denen Menschen den göttlichen Geist in sich selbst wirksam wähnen, erhebend und auch verstörend. Sie erzählen schließlich davon, dass dieser Geist nicht einfach nur da ist, sondern eine verwandelnde Kraft im Menschen und in der Welt entfaltet. Wann immer man in der Geschichte des Christentums nach Worten und Bildern gesucht hat und sucht, um die Erfahrungen des göttlichen Geistes zu artikulieren, boten die alttestamentlichen Bilder prägendes Material. In alledem ist das Alte Testament ein Präludium christlicher Geisterfahrung – und in noch viel mehr. Denn was das Alte Testament im Universum, in der Materie, im Menschen und schließlich in der Verleihung der Gnade als Verheißung göttlicher Gegenwart sah, glaubte das Christentum in einer einzigen Erscheinung allesamt in Erfüllung gegangen: in der Person Jesus Christus.