1,99 €
Die Fortsetzung des Fantasy-Epos. Knapp dem Arkanen Orden entkommen, verschlägt es Nikko wieder in den Norden. Der Graf von Skingár gewährt ihm und Peryndor Asyl. Doch ist der Graf wirklich, wer er scheint? Jedenfalls hat der seltsame Kerl so einige Lektionen für Nikko parat. Lektionen ganz besonderer Art! Null Papier Verlag
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 152
N. Bernhardt
Buch V: Rückkehr ins Unbekannte
Der Hexer von Hymal
N. Bernhardt
Buch V: Rückkehr ins Unbekannte
Der Hexer von Hymal
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 2. Auflage, ISBN 978-3-954182-95-4
www.null-papier.de/hymal
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Flucht in den Norden
Zweites Kapitel: Adept auf Abwegen
Drittes Kapitel: Frühstück mit Schwierigkeiten
Viertes Kapitel: Der gruselige Graf
Fünftes Kapitel: Der Widerstand in Skingár
Sechstes Kapitel: Eine Lektion für Fortgeschrittene
Siebtes Kapitel: Fürst ohne Fürstentum
Ausblick
Knapp dem Arkanen Orden entkommen, verschlägt es Nikko wieder in den Norden. Der Graf von Skingár gewährt ihm und Peryndor Asyl. Doch ist der Graf wirklich, wer er scheint? Jedenfalls hat der seltsame Kerl so einige Lektionen für Nikko parat. Lektionen ganz besonderer Art!
Weitere Informationen zur Reihe und zum Autor finden Sie unter:
hymal.info
Nikko sah noch immer nur schwarz, als ihn eine Stimme aus seiner Benommenheit riss. Wie lange hatte er hier wohl gelegen? Die Stimme. Jetzt war es wohl vorbei. Xanthúal war zurück und würde ihn töten!
»Wacht auf, Adept«, hörte er jemanden sagen. »Wir müssen schnell verschwinden!«
Das war doch aber gar nicht Xanthúal, der da sprach. Es war die Stimme Peryndors! War er etwa gerettet oder träumte er nur?
Dann plötzlich konnte er endlich wieder sehen und sich sogar bewegen. Er lag auf einer Bahre in einem fensterlosen Raum, den einige magische Lichter an den Wänden in widernatürliches Licht tauchten. Peryndor stand neben der Bahre und wirkte nervös. Jedenfalls konnte Nikko so hoffen, dass dies die Wirklichkeit war. Er schien gerettet!
»Kommt endlich wieder zu Euch!«, mahnte der Erzmagier. »Wir müssen weg hier, so schnell es nur geht!«
Wie hatte der Alte ihn nur gefunden? Er wusste ja selbst nicht genau, wo er überhaupt war. Was war eigentlich geschehen? Was war wirklich passiert und was geträumt?
»Was…«, keuchte Nikko. »Wo…«
»Keine Zeit!«, drängte Peryndor. »Wir reden später. Rafft Euch jetzt auf. Wir haben ein gutes Stückweit Weg vor uns.«
Der Großmeister half dem Adepten dann, von der Bahre aufzustehen. Nikko war völlig nackt und schämte sich in den Boden. Die Haut, wo man die Spuren der Blitzfolter gut sehen konnte, tat noch immer furchtbar weh. Doch jetzt hieß es, die Zähne fest zusammenzubeißen und die Schmerzen zu verdrängen.
Peryndor wirkte dann einen Zauber, den Nikko zwar wahrnahm, aber nicht verstand. Er hatte jetzt allerdings auch wahrlich nicht die Muße, das komplizierte Muster zu ergründen.
Plötzlich war nun alles bläulich und irgendwie verzerrt. Obwohl sie noch immer in der Kammer zu sein schienen, sah alles unwirklich aus. Peryndor stützte seinen Schüler, indem er dessen rechten Arm über die Schulter nahm. So steuerte er auf die Tür zu, wenn man das seltsam verformte Objekt denn überhaupt noch so bezeichnen konnte.
»Wir sind in einer anderen Phase, Adept«, erklärte der Alte, doch Nikko hatte keine große Lust zuzuhören. Noch immer war er wie benommen.
An der Tür wirkte der Erzmagier einen weiteren Zauber. Dann schritten die beiden durch diese hindurch, ohne sie überhaupt zu öffnen.
So führte Peryndor den geretteten Adepten durch Flure und einige Treppen hinauf. Sicher waren sie noch auf dem Anwesen des Ordens. Auch wenn alles seltsam deformiert war und in Blautönen waberte.
Bald schon begleiteten sie auch noch komische Kreaturen auf ihrem Weg. Wie von allein schwebende Schlangen mit silbern leuchtender Haut und bösartigen Köpfen. Spitze Fangzähne drohten den beiden Besuchern. Schon versuchten einige zuzuschnappen! Doch Peryndor wehrte die Angriffe gekonnt mit einem Fingerzeig ab.
»Verfluchte Biester«, meckerte der Alte dennoch, als sie schließlich draußen auf der Straße zu dessen Anwesen waren. So jedenfalls schien es dem Jungen. Genau zurechtfinden konnte er sich in dieser verzerrten Welt in Blau aber nicht.
Als sie dann ein ganzes Stück auf der Straße zurückgelegt hatten, wurden die Angriffe der komischen Schlangen immer heftiger. Hunderte der Biester umschwirrten die beiden nun und schnappten im Sekundentakt zu. Peryndor hatte sogar einen Schutzschild wirken müssen, der bei jedem Biss so heftig aufflackerte, als ob er gleich zusammenzubrechen drohte.
Der Schild hielt, doch das Vorankommen wurde immer schwieriger. Noch immer schienen mehr und mehr der Kreaturen hinzuzukommen und verstopften nun die ganze Straße. An ein Vorankommen war so bald nicht mehr zu denken.
»Es hat keinen Sinn«, keuchte Peryndor und wirkte wieder einen Zauber.
Von einem Augenblick auf den anderen waren die Viecher verschwunden. Doch was war das? Die Welt schien wieder völlig normal. Sie waren wohl zurück in der Wirklichkeit.
Gut, dass es Nacht war, ging es Nikko durch den Kopf, als er sich wieder bewusst wurde, dass er ja immer noch völlig nackt war. Er schämte sich zwar schrecklich. Zum Glück aber waren die Straßen der Stadt jetzt menschenleer. Jedenfalls hier oben im sechsten Ring.
»Wir sind fast bei meiner Residenz«, ermutigte ihn Peryndor. »Nur einige Minuten noch.«
»Sucht Euch schnell Eure Sachen zusammen, Adept«, meinte der Erzmagier dann, als sie sein Anwesen betraten, wo zu Nikkos Erleichterung so spät keine Bediensteten mehr zugegen waren. »Unsere… Reise ist leider noch lange nicht vorbei.«
Nikko war gar nicht fähig, zu viel nachzudenken, als er seine Sachen zusammenpackte. Noch immer war er etwas benommen und von den seltsamen Geschehnissen dieser Nacht völlig überrumpelt. Doch eines war klar. Der Alte hatte ihm das Leben gerettet.
Viel zu packen gab es eigentlich nicht. Das dicke Buch von Thorodos, in dem er zuletzt viel zu wenig gelesen hatte, nahm er natürlich mit. Sicher würde er jetzt einiges darin verstehen können. Ansonsten war da nur noch Kleidung. Zum Glück hatte der Alte ihm mehrere der blauen Roben zur Verfügung gestellt. So konnte er eine davon gleich anziehen und hatte dann noch eine frische übrig. Auch die braune Novizenkluft war noch da. Alles im Rucksack verstaut, machte sich der Junge dann gleich auf zu Peryndor.
»Folgt mir in den Keller«, forderte der Erzmagier ihn ohne weiteren Kommentar auf und machte sich sogleich auf den Weg. Offenbar wollte er keine weitere Zeit vergeuden.
Nikkos Geist war noch immer zu lahm, um sich überhaupt zu fragen, was der Alte denn vorhatte. So folgte er dem Großmeister die Wendeltreppe hinab nach unten. Diesmal steuerte Peryndor auf eine andere Tür zu, hinter der ein quadratischer Raum wartete, den magisches Licht fahl erleuchtete.
»Stellt Euch in die Mitte des Kreises«, ordnete der Meister an. »Verhaltet Euch dort ruhig.«
Was für ein Kreis? Ach ja, in den Boden war ein Ring eingelassen. Der Ring, in dem mehrere Menschen Platz hätten, war wohl aus Metall oder dunklem Gestein. Nikko gehorchte und begab sich in die Mitte.
Peryndor wirkte etwas auf einige Stellen im Ring. Was genau, war dem Jungen nicht klar. Es schien aber so, als wolle er sicherstellen, dass der Ring geschlossen war. Als der Meister dann zufrieden war, begab er sich ebenfalls ins Innere und wirkte dort einen weiteren Zauber.
Plötzlich war schon wieder alles anders! Das Licht war anders, der Raum war viel größer. Nur der Ring schien unverändert. Was war hier geschehen?
»Folgt mir«, meinte Peryndor und verließ den Ring in Richtung der Tür, die jetzt auch woanders war.
Nikko ging hinter dem Erzmagier her und konnte sich nur wundern. Das war doch gar nicht das Anwesen des Alten. Sie mussten irgendwo anders sein. Aber wo? Hatte der Meister sie etwa wegteleportiert?
»Wo sind wir?«, wollte der Junge es dann endlich wissen, als Peryndor ihn in eine kleine Schlafkammer führte.
»In Terys«, antwortete der Erzmagier. »Ruht Euch hier etwas aus, junger Adept. Wir werden morgen einiges zu besprechen haben.«
Nikko hatte eine albtraumgeplagte Nacht hinter sich, als er spät am nächsten Morgen aufwachte. Immer wieder war ihm Xanthúal erschienen und später dann auch die schrecklichen Schlangen. An Einzelheiten konnte er sich nicht mehr erinnern, was wohl auch besser war.
Schweißgebadet lag er nun im Bett und brauchte einige Augenblicke, um sich wieder in Erinnerung zu rufen, wo er eigentlich war. Terys! Die Stadt am Meer, an die er ja fast nur gute Erinnerungen hatte.
Nun aber meldete sich der leere Magen zu Wort. Nikko wusste gar nicht mehr, wann er zuletzt etwas gegessen hatte. Er wusste ja noch nicht einmal, wie lange der Orden ihn gefangen gehalten hatte.
Die Gefangenschaft und Folter! Jetzt, wo er nicht mehr in Gefahr schwebte, wich die Angst schnell dem Gefühl großer Erniedrigung. Nackt hatte er auf der Bahre gelegen, als das Schwein Xanthúal ihn mit den Blitzen malträtierte. Was für eine Schmach! Erniedrigung wandelte sich schnell in blanke Wut. Mit einem Faustschlag auf den kleinen Tisch im Zimmer schwor sich Nikko, diesen Xanthúal zur Rechenschaft zu ziehen. Und mit ihm am besten auch den ganzen verfluchten Orden!
Wenigstens die Wunden schienen langsam zu verheilen, zumindest die auf der Haut. Sie war zwar noch etwas gereizt und brannte leicht. Aber es würden wohl keine Narben bleiben, hoffte Nikko jedenfalls. Dennoch, Xanthúal würde dafür büßen müssen!
Jetzt aber galt es erst einmal, den leeren Magen zu füllen, der schon ungeduldig knurrte. Wo ging es hier bloß zur Küche? Er würde sie wohl suchen müssen.
Mit Peryndor würde er sicherlich auch gerne das ein oder andere Wort wechseln wollen, sinnierte er auf seiner Suche durch die unbekannten Räumlichkeiten. Natürlich musste er ihm für seine Rettung danken. Oh je, er hatte den Alten ja letztlich doch verraten! Das hatte der Junge schon fast wieder vergessen. Oder doch eher verdrängt? Konnte er es riskieren, dem Erzmagier zu beichten, dass er dem Orden dessen Warnung an Thorodos bestätigt hatte?
»Guten Morgen, Adept«, erschrak ihn eine Stimme. »Wohin des Weges?«
Nikko erkannte den Meister sofort. Wie hieß er doch gleich? Sinúl? Ja, das war sein Name.
»Guten Morgen, Meister Sinúl«, verbeugte sich der junge Adept. »Ich suche die Küche.«
»Ich kann nur vermuten, dass Ihr die Küche des Hungers wegen sucht«, kommentierte der Meister nicht ohne Spott in der Stimme. »Wenn dem so ist, dann folgt mir bitte zum… Speisesaal.«
Wortlos führte Sinúl den Adepten durch die großzügigen Räumlichkeiten. Lediglich der Saal, den sie dann kurz durchquerten, kam Nikko bekannt vor. Vor vielen Monaten hatte er sich genau hier dem Orden offenbart. Im Ordenskapitel von Terys, also im Schloss des Großherzogs, waren sie demnach gelandet.
»Guten Morgen, Adept Nikko«, grüßte auch Peryndor, der schon in das Frühstückssortiment vertieft war. »Ich hoffe, Ihr konntet Euch etwas erholen?«
»Guten Morgen, Meister«, antwortete der Adept und nahm an der Tafel Platz. »Es geht mir schon wieder besser. Auch die Wunden heilen gut.«
»Gut«, nuschelte der Erzmagier in sein Gebäck und Meister Sinúl ließ die beiden mit einer flüchtigen Verbeugung allein. »Ich schaue mir Eure Wunden gleich noch genauer an. Vielleicht kann ich Euch ja weitere Linderung verschaffen.«
»Vielen Dank, Meister«, antwortete Nikko höflich und griff gierig zu Gebäck und Tee. »Hat der Meister schon gespeist?«
»Sinúl ist ein Frühaufsteher«, lachte Peryndor. »Aber nach den Strapazen der letzten Nacht war uns ein langer Schlaf nun einmal nicht zu verwehren.«
»Das war ein Teleportzauber, den Ihr im Ring gewirkt habt, oder?«, war der junge Adept jetzt wieder voller Wissensdurst.
»Richtig«, nickte der Alte. »Alle Ordenskapitel und die Keller vieler hoher Magier verfügen über einen solchen Teleportraum.«
»Doch hatte Xanthúal einst einen Teleport mitten in der Wildnis gewirkt«, wunderte sich Nikko.
»Das Wichtige am Teleport ist, dass das Ziel nicht nur bekannt ist, sondern vor allem frei von Hindernissen«, erklärte der Meister. »Stellt Euch vor, Ihr würdet in einen Stein oder einen Baum hineinteleportiert. Das wäre Euer sofortiger Tod!«
»Daher also die Räume«, nickte der Adept. »Ihre Position ist wohlbekannt und sie werden sicherlich immer frei gehalten.«
»Ganz genau«, nickte der Erzmagier.
»Doch warum hattet Ihr uns auf der Flucht dann nicht direkt in Euren Keller befördert oder sogar gleich hierher?«, fragte Nikko.
»Um weniger Aufmerksamkeit zu erregen und unsere Spuren zu verwischen«, erklärte der Alte mit selbstzufriedenem Grinsen. »Ein einfacher Teleport hätte den ganzen Orden alarmieren können. Sich in der unbekannten Dimension davonzustehlen, war jedoch nichts, was die Tölpel je erwartet hätten.«
»Was war das eigentlich für eine komische… Dimension?«, hakte der Junge nach. »Was waren das für widerliche Viecher, die dort nach uns schnappten?«
»Das lässt sich alles nur schwer erklären, Junge«, seufzte der Meister. »Die Schlangen jedoch sind die Bewohner dieser… gefährlichen Ebene.«
»Wir Magier haben die Möglichkeit«, erklärte er dann weiter, »den Schläfern völlig unzugängliche Dimensionen oder Ebenen zu betreten. Es gibt davon unzählig viele. Ich hatte diese gewählt, weil sie bei den Magiern sehr unbeliebt ist. Warum, das habt Ihr ja selbst erlebt.«
»In einer weniger gefährlichen Ebene hätten die Zauberer des Ordens uns wohl eher aufgespürt«, kombinierte Nikko.
»Ganz genau«, lachte der Alte. »Mit so vielen Schlangen hätte ich allerdings nicht gerechnet. Ich war schon davon ausgegangen, dass wir es ohne Probleme in mein Anwesen schaffen. Aber es ist ja trotzdem alles gutgegangen.«
»Wie habt Ihr mich eigentlich gefunden?«, wollte der Adept nun Einzelheiten wissen.
»Einer der Ringe, den ich Euch gab, ermöglichte es mir, Euch ganz einfach zu orten«, erklärte Peryndor. »Adept, wisst Ihr eigentlich, wie lange Ihr verschwunden wart?«
»Nein«, pustete Nikko, auf dessen Seele die Gefangenschaft noch immer schwer lastete. »Wie lange denn?«
»Vor fast sechs Tagen hattet Ihr Euch auf den Weg gemacht.«
Sechs Tage? Dann hatten sie ihn also ganze fünf Tage lang gefangen und gefoltert. Was für eine Gemeinheit, was für eine Schmach!
»Ich hatte mich zunächst auf offiziellem Wege nach Eurem Verbleiben erkundigt«, erläuterte Peryndor weiter. »Doch wurde ich natürlich nur vertröstet. Ich wusste, dass Ihr noch im Ordenssitz wart. Doch ahnte ich bald schon, dass Ihr dort nicht länger als Gast weiltet, sondern wohl als Gefangener des Kettenhunds Xanthúal.«
»Natürlich galt es dann, Euch so schnell wie möglich zu befreien«, erklärte er weiter. »Bevor Ihr noch… zu viel redet.«
Gut, der Großmeister wusste scheinbar nicht, dass Nikko ihn verraten hatte. Das sollte wohl auch besser so bleiben. Aber warum hatte der Orden den Alten denn nicht festnehmen lassen?
»Was wird jetzt?«, wollte der Adept wissen. Er war ja nun in tiefste Ungnade gefallen und würde wohl vom Orden gejagt werden.
»Ich werde noch heute nach Zundaj zurückkehren müssen«, überraschte der Alte und grinste selbstgefällig: »Nicht, dass man mich noch zu sehr verdächtigt. Obwohl, verdächtigen werden sie mich auf jeden Fall. Aber Beweise werden sie nicht finden.«
»Euch werde ich zunächst hier in Meister Sinúls Obhut lassen«, meinte er dann. »Ich hatte Euch ja schon einmal erzählt, dass Sinúl im Grunde auf der richtigen Seite steht.«
Ob es eine gute Idee war, sich hier bei Meister Sinúl zu verstecken, konnte Nikko natürlich nicht abschätzen. Aber sollte er nun etwa sein ganzes Leben lang in Deckung bleiben?
»Wir werden nachher mit Meister Sinúl alle Einzelheiten besprechen«, fügte der Alte hinzu. »So, jetzt lasst mich aber Eure Wunden sehen und ich werde schauen, was ich tun kann.«
Nikko machte seinen Oberkörper frei und zeigte dem Erzmagier die geschundene Haut.
»Blitze«, murmelte der Großmeister. »Doch was spüre ich da? Hat man Euch etwa schwarze Zauberei angetan?«
»Schwarz ist immer nur die Magie der anderen«, äffte der Adept nach.
»Was ist nur aus meinem Orden geworden«, schüttelte der Alte sein Haupt und munterte dann auf: »Macht aber Euch keine Sorgen, Adept. Eure Wunden werden vollständig verheilen.«
»Ich habe Euch selten die Lage so unzutreffend einschätzen sehen, alter Freund«, mahnte Meister Sinúl, als er und der Großmeister später im Arbeitszimmer des Leiters des Ordenskapitels und Erzmagiers der Stadt Terys, sowie Hofmagiers Seiner königlichen Hoheit, des Großherzogs Arlenn von Thordám, beisammen saßen.
»Was meint Ihr?«, schien der Alte erstaunt. »Habt Ihr etwa Nachricht aus Zundaj?«
»In der Tat«, nickte Sinúl streng. »Falls es Euch interessiert, Großmeister Peryndor, wie mir schon heute Morgen mitgeteilt wurde, seid Ihr vom Orden als Apostat und Verräter gebrandmarkt. Herzlichen Glückwunsch!«
Oh je, das war bestimmt seine Schuld! Hatte Nikko dem widerlichen Xanthúal doch alles gebeichtet. Er konnte nur hoffen, dass Peryndor ihm jemals verzeihen würde.
»Verflucht«, schüttelte Peryndor den Kopf. »Dann haben sie mir die Befreiung des Adepten wohl doch angelastet. Vielleicht habe ich ja wirklich Spuren hinterlassen.«
War der Alte wirklich zu blöd, um Nikkos Verrat zu erkennen? Wieso war Peryndor sich eigentlich so sicher, dass mehrere Tage Haft und Folter die Zunge des Adepten nicht doch gelöst hatten? Nun gut, wenn der Alte ihn nicht verdächtigte, dann würde er auch kein Wort darüber verlieren. Warum auch?
»Was soll es schon?«, lachte Peryndor dann laut und beherzt. »So frei habe ich mich seit Jahrhunderten nicht mehr gefühlt!«
»Nein«, sprach er mit brennenden Augen, »zu lange war ich Gefangener des Ordens, der schon seit viel zu langer Zeit nicht mehr für mich sprach. Jetzt kann ich wieder sein, wer ich wirklich bin!«
»Ihr seid doch des Wahnsinns!«, war Sinúl sichtbar entsetzt. »Sie werden Euch jagen und töten.«
»Sollen sie es doch versuchen!«, brüllte Peryndor, dass Nikko fast das Trommelfell platzte. »Ich bin nicht umsonst ein Großmeister der Magie!«
»Sollen die Jäger lieber aufpassen, dass sie nicht zu den Gejagten werden«, lachte er weiter. »Sinúl, alter Freund! Ich habe mein Leben schon längst gelebt. Auch wenn ich mich hier und jetzt um Jahrhunderte jünger fühle. Selbst wenn sie mich erwischen, werde ich ihnen einen Kampf zu bieten wissen, über den man auch in Jahren und Jahrzehnten noch voller Ehrfurcht reden wird!«
»Übertreibt nicht, alter Freund«, beschwichtigte Sinúl. »Das wäre ein sinnloses Opfer. Mit Eurer großen Erfahrung seid Ihr lebend doch viel wichtiger. Gerade jetzt, wo es uns an Nachwuchs so mangelt. Sicherlich können wir das mit dem Orden irgendwie wieder hinbiegen.«
»Erzählt keinen Unsinn«, wiegelte Peryndor ab. »Ich war den Schwachköpfen im Rat doch schon seit Langem ein Dorn im Auge. Ihr habt ja keine Ahnung, was heute dort für Zustände herrschen!«
»Natürlich, Großmeister«, nickte Sinúl, der ja nur Meister eines niederen Grades war. Wahrscheinlich war er wirklich nicht über die Machenschaften der Oberen des Ordens im Bilde.
»Aber bitte tut mir den einen Gefallen«, bat er dann. »Werft Euch nicht sinnlos in die Schlacht, die Ihr letztlich nicht gewinnen könnt! Geht nach Skingár, wo Ihr zumindest für eine Weile sicher seid, bis sich die Wogen wieder geglättet haben.«
»Denkt auch an Euren Adepten«, fügte der Meister mahnend hinzu und fixierte Nikko mit eisernem Blick. »Es wäre doch zu schade, den wohl jüngsten Magier des Reichs sinnlos im Kampf gegen den Orden zu verheizen.«
»Da habt Ihr nicht Unrecht, Meister Sinúl«, nickte Peryndor und lächelte: »Ich werde dem lieben Grafen tatsächlich einen Besuch abstatten. Mal sehen, wie dieser so verläuft.«