Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten - Jonas Jonasson - E-Book
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Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten E-Book

Jonas Jonasson

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Beschreibung

Der Hundertjährige ist zurück!

Allan Karlsson ist wieder da! Der Hundertjährige hat genug vom Dauerurlaub auf Bali und ist begeistert, als sich ein neues Abenteuer ankündigt: Bei einer Ballonfahrt geraten sie auf Abwege, und Allan und sein Gefährte Julius müssen im Meer notlanden. Zum Glück werden sie gerettet. Pech ist jedoch, dass sich das Rettungsboot als nordkoreanisches Kriegsschiff entpuppt und Kim Jong-un im Atomkonflikt gerade seine Muskeln spielen lässt. Und schon steckt Allan, der sich mit Atomwaffen schließlich bestens auskennt, mitten in einer heiklen politischen Mission, die ihn von Nordkorea über New York bis in den Kongo führen wird. Dabei nimmt er auch Kontakt zu Donald Trump und Angela Merkel auf - mit ungeahnten Folgen...

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Allan Karlsson ist wieder da! Der Hundertjährige hat genug vom Dauerurlaub auf Bali und ist begeistert, als sich ein neues Abenteuer ankündigt: Bei einer Ballonfahrt gerät er mit seienem Gefährten Julius auf Abwege, und sie müssen im Meer notlanden. Zum Glück werden sie gerettet. Pech ist jedoch, dass sich das Rettungsboot als nordkoreanisches Kriegsschiff entpuppt und Kim Jong-un im Atomkonflikt gerade seine Muskeln spielen lässt. Und schon steckt Allan, der sich mit Atomwaffen schließlich bestens auskennt, mitten in einer heiklen politischen Mission, die ihn von Nordkorea über New York bis in den Kongo führen wird. Dabei nimmt er auch Kontakt zu Donald Trump und Angela Merkel auf – mit ungeahnten Folgen …

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Hundraettåringen som tänkte att han tänkte för mycket im Piratförlaget, Stockholm

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2018 Jonas Jonasson

First published by Piratförlaget, Sweden

Published by agreement with Brandt New Agency

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe bei C. Bertelsmann, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: semper smile

Coverabbildung: Shutterstock/Hein Nouwens

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-23128-6V005

www.penguin.de

VORWORT

Ich bin Jonas Jonasson, und ich habe das Gefühl, ich bin Ihnen vielleicht mal eine Erklärung schuldig.

Eine Fortsetzung der Geschichte des hundertjährigen Mannes, der aus dem Fenster stieg und verschwand, war nie geplant. Viele Leute wünschten sich eine, nicht zuletzt der Protagonist selbst, Allan Karlsson, der mir weiter durch den Kopf geisterte und bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit auf sich aufmerksam machte.

»Herr Jonasson«, konnte er aus heiterem Himmel anfangen, wenn ich gerade mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war. »Haben Sie es sich schon anders überlegt, Herr Jonasson? Möchten Sie nicht doch noch eine Runde nachlegen, bevor ich so richtig alt bin?«

Nein, wollten wir nicht. Ich hatte schon alles gesagt, was ich über das wahrscheinlich erbärmlichste Jahrhundert aller Zeiten hatte sagen wollen. Der Grundgedanke war der gewesen, dass wir der ganzen desaströsen Defizite dieses zwanzigsten Jahrhunderts gedenken sollten, in der Hoffnung, dass wir dann zumindest weniger geneigt wären, diese ganzen Fehler zu wiederholen. Ich verpackte meine Message mit Wärme und Humor, und bald hatte sich das Buch über die ganze Welt verbreitet.

Und eins steht fest: Es hat die Welt so was von überhaupt nicht verbessert.

Die Zeit verging. Mein innerer Allan meldete sich irgendwann gar nicht mehr. Und die Menschheit bewegte sich weiter voran, oder wie auch immer man die Richtung nennen möchte, in die sie sich bewegte. Ich beobachtete die Ereignisse und bekam immer mehr das Gefühl, dass die Welt defizitärer war denn je. Und ich sah einfach nur zu.

Irgendwann entstand dann aber doch das Bedürfnis, mich wieder zu Wort zu melden, auf meine eigene Art. Beziehungsweise Allans. Eines Tages hörte ich mich selbst, wie ich Allan geradeheraus fragte, ob er immer noch bei mir sei.

»Ja, ich bin hier«, sagte er. »Was haben wir denn auf dem Herzen, Herr Jonasson, nach so langer Zeit?«

»Ich brauche Sie«, sagte ich.

»Wofür?«

»Um die Dinge beim Namen zu nennen. Und indirekt zu sagen, wie die Welt stattdessen aussehen sollte.«

»Und ich soll mich zu allem äußern?«

»Zu mehr oder weniger allem.«

»Herr Jonasson, Ihnen ist schon klar, dass das nichts helfen wird, oder?«

»Ja.«

»Gut. Dann können Sie auf mich zählen.«

Ach so, eines muss ich noch hinzufügen. Dies ist ein Roman über Geschehnisse der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit. In der Handlung kommen eine Reihe von bekannten Spitzenpolitikern sowie Leuten aus ihrem unmittelbaren Dunstkreis vor. Die meisten davon treten in diesem Buch unter ihrem richtigen Namen auf. Andere habe ich verschont.

Da Staatsoberhäupter im Allgemeinen eher auf das einfache Volk herabschauen, als zu ihm aufzublicken, ziehe ich sie logischerweise ein bisschen durch den Kakao. Aber trotzdem sind sie allesamt auch nur Menschen, und als solche verdienen sie ein gewisses Maß an Respekt. Diesen Machthabern möchte ich gerne sagen: Es tut mir leid. Und: Macht euch nichts draus. Es hätte noch schlimmer kommen können. Und: Was, wenn es am Ende wirklich noch schlimmer kommt?

Jonas Jonasson

INDONESIEN

Ein Luxusleben am schneeweißen Strand einer Paradiesinsel sollte jeden normalen Menschen glücklich machen. Doch Allan Karlsson war noch nie ein normaler Mensch gewesen und hatte auch in seinem hundertersten Lebensjahr nicht vor, ein solcher zu werden.

Eine Weile war es ganz befriedigend, einfach auf einem Liegestuhl unter einem Sonnenschirm still zu sitzen und auf Bestellung Drinks in verschiedenen Farben serviert zu bekommen. Vor allem, wenn der beste und einzige Kamerad, der unverbesserliche Gelegenheitsdieb Julius Jonsson, neben einem saß.

Doch bald hatten es der alte Julius und der noch viel ältere Allan sattgehabt, nichts anderes zu tun, als die Millionen aus dem Koffer zu verjubeln, den sie aus Schweden mitgenommen hatten.

Das Verjubeln an sich war schon nicht uneben. Es wurde nur so eintönig mit der Zeit. Julius versuchte es mit dem Anmieten einer fünfzig Meter langen Yacht mit dazugehörigem Personal, sodass Allan und er jeder mit seiner Angelrute auf dem Vordeck sitzen konnten. Es wäre eine nette Abwechslung gewesen, wäre da bloß nicht der Umstand gewesen, dass weder Allan noch Julius gerne angelten. Geschweige denn Fisch aßen. Die Fahrten mit der Yacht bedeuteten letztlich nichts anderes, als dass die Freunde an Deck dasselbe machten, was sie schon am Strand gelernt hatten. Nämlich nichts.

Allan wiederum ließ Harry Belafonte aus den USA einfliegen, damit er an Julius’ Geburtstag drei Lieder sang. Thema »zu viel Geld und zu wenig zu tun«. Harry blieb zum Abendessen, obwohl er die Zeit nicht extra bezahlt bekam. Unterm Strich war es ein ganzer Abend, der die übliche Routine durchbrach.

Dass seine Wahl just auf Belafonte gefallen war, begründete Allan damit, dass Julius ja eine Schwäche für diese neue, jugendlichere Musik hatte. Julius wusste die Geste zu schätzen und kommentierte nicht, dass der fragliche Künstler seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr jung gewesen war. Im Vergleich zu Allan war er freilich das reinste Kind.

Obwohl der Bali-Besuch des Weltstars nicht mehr gewesen war als ein kleiner Farbtupfer in ihrem ewig grauen Dasein, sollte er sich noch eine ganze Weile auf Allan und Julius auswirken. Nicht wegen irgendetwas, was Belafonte gesungen oder gesagt hatte. Sondern wegen etwas, was er dabeigehabt hatte und womit er sich beim Frühstück vor seiner Heimreise beschäftigte. Ein schwarzes plattes Ding mit einem angeknabberten Apfel auf der einen Seite und einem Bildschirm auf der anderen, der aufleuchtete, wenn man draufdrückte. Harry drückte und drückte. Und gab ab und zu einen leisen Grunzlaut von sich. Bevor er plötzlich anfing zu kichern. Um gleich darauf wieder zu grunzen. Allan war nie besonders neugierig gewesen, aber es gibt Grenzen.

»Also, es steht mir zwar nicht zu, meine Nase in die Privatangelegenheiten des jungen Herrn Belafonte zu stecken, aber ich nehme mir nun doch heraus zu fragen, was das eigentlich ist, womit Sie sich da beschäftigen. Passieren da irgendwelche Sachen in diesem … na, also, in diesem Ding da?«

Harry Belafonte begriff, dass Allan noch nie ein Tablet gesehen hatte, und führte es mit dem größten Vergnügen vor. Das Ding konnte einem zeigen, was so in der Welt passierte, was schon passiert war und beinahe auch noch, was als Nächstes passieren würde. Je nachdem, wo man draufdrückte, kamen Bilder und Filme aller Art, alles, was man sich nur vorstellen konnte. Und auch ein paar Sachen, die man sich schon nicht mehr vorstellen konnte. Wenn man auf andere Knöpfe drückte, kam Musik heraus. Wieder andere, und das Ding begann zu sprechen. Es war offenbar eine Sie. Siri.

Nach Frühstück und Vorführung nahm Belafonte seine kleine Tasche, sein schwarzes Tablett und sich selbst und begab sich zum Flughafen, um die Heimreise anzutreten. Allan, Julius und der Hoteldirektor winkten ihm zum Abschied. Kaum war das Taxi des Künstlers außer Sichtweite, da wandte sich Allan an den Direktor und bat ihn, ihm auch so ein Tablett zu verschaffen, wie es Harry Belafonte gehabt hatte. Der abwechslungsreiche Inhalt hatte den Hundertjährigen amüsiert, was ja mehr war, als man von den meisten Sachen sonst behaupten konnte.

Der Direktor war gerade von einer Hotelservice-Konferenz in Jakarta zurückgekommen, wo er erfahren hatte, dass die Hauptaufgabe des Personals nicht nur in der Erfüllung der Gästewünsche bestand, sondern in deren Übererfüllung. Dazu kam, dass Karlsson und Jonsson zwei der besten Gäste in der Geschichte des Bali-Tourismus waren. Kein Wunder also, dass der Direktor schon am nächsten Tag ein Tablet für Karlsson hatte. Und ein Handy dazu. Als Bonus.

Allan wollte nicht undankbar erscheinen, also sagte er nicht, dass er für das Telefon keine Verwendung hatte, weil alle, die sich vielleicht bei ihm hätten melden können, seit mindestens fünfzig Jahren tot waren. Außer Julius natürlich. Der jedoch nichts hatte, um einen Anruf entgegenzunehmen. Obwohl sich dieser Mangel ja beheben ließ.

»Da, nimm«, sagte Allan zu seinem Freund. »Das hat der Hoteldirektor eigentlich mir geschenkt, aber ich hab außer dir ja keinen, den ich anrufen könnte, und bis jetzt hättest du ja auch nichts gehabt, womit du meinen Anruf hättest entgegennehmen können.«

Julius bedankte sich recht schön. Und verkniff sich den Hinweis, dass Allan ihn ja immer noch nicht anrufen konnte, nur jetzt aus dem umgekehrten Grund.

»Aber verschlamp es nicht«, sagte Allan. »Das sieht teuer aus. Früher war es besser, als die Telefone noch mit einem Kabel in der Wand feststeckten – da wusste man immer, wo sie waren.«

****

Das schwarze Tablett wurde bald Allans liebster Besitz. Außerdem kostenlos, weil der Hoteldirektor die Belegschaft im Computershop in Denpasar instruiert hatte, Tablet und Handy nach allen Regeln der Kunst einzurichten. Dazu gehörte unter anderem, dass die SIM-Karte ans Hotel gekoppelt wurde, welches seine Telefonkosten schon bald verdoppelt hatte, ohne dass jemand den Grund ahnte.

Der Hundertjährige lernte schnell, wie das seltsame Teil funktionierte, und kaum war er morgens aufgewacht, schaltete er es ein, um zu sehen, was in der eben vergangenen Nacht passiert war. Die kleinen und vergnüglichen Neuigkeiten aus allen Ecken und Enden der Erde amüsierten ihn. Zum Beispiel, dass hundert Ärzte und Krankenschwestern in Neapel sich abwechselnd gegenseitig ein- und ausgestempelt hatten, sodass niemand zu arbeiten brauchte, aber alle bezahlt wurden. Oder dass man in Rumänien so viele Staatsbeamte wegen Korruption hatte einsperren müssen, dass die Gefängnisse des Landes voll waren. Woraufhin die noch nicht verhafteten Beamten auf die Lösung verfielen, die Korruption zu legalisieren, damit sie nicht anbauen mussten.

Allan und Julius legten sich ein neues Morgenritual zu. Bislang hatte es so ausgesehen, dass Allan jedes Frühstück damit begann, sich über das lautstarke Schnarchen seines Freundes zu beklagen, das er durch die Wand hörte. Zum neuen Ritual gehörte dasselbe, aber mit dem Zusatz, dass Allan berichtete, was er seit dem letzten Mal in seinem Tablett gefunden hatte. Zunächst gefielen Julius diese kurzen Nachrichten, nicht zuletzt, weil sie den Schwerpunkt von seiner Schnarcherei ablenkten. Geradezu begeistert war er von der rumänischen Idee, das Illegale legal zu machen. Wie viel einfacher einem das Leben als Gelegenheitsdieb in einer solchen Gesellschaft doch gemacht würde.

Doch diesen Zahn zog ihm Allan schleunigst, denn wenn es legal wurde, Gelegenheitsdiebstähle zu begehen, existierte der Begriff ja per definitionem nicht mehr. Woraufhin Julius, der schon fast vorgeschlagen hätte, dass Allan und er Bali verließen, um nach Bukarest zu ziehen, doch die Lust verlor. Die Freude am Gelegenheitsdiebstahl lag ja hauptsächlich darin, dass man jemand um etwas betrog, am besten jemand, der es verdient hatte oder zumindest nicht besonders schlimm geschädigt wurde. Wenn es jedoch nicht mehr als Betrug galt, jemand um etwas zu betrügen, was blieb einem denn dann noch übrig?

Allan tröstete ihn damit, dass die Rumänen auf die Straße gegangen waren, um gegen die Pläne der Politiker und Beamten zu protestieren. Der Rumäne als solcher war gemeinhin nicht so philosophisch veranlagt wie die Regierenden. Er oder sie argumentierte einfach so, dass Diebe eingesperrt gehörten, ohne Ansehen des Titels, der Position oder des Problems, ob es noch einen Ort gab, wo man sie einsperren konnte.

Die Frühstückssitzungen im Hotel auf Bali landeten immer öfter bei dem Thema, wohin Julius und Allan reisen sollten, nachdem es an ihrem Aufenthaltsort nun mal so eintönig geworden war. Als die wichtigste Nachricht des aktuellen Morgens lautete, dass es am Nordpol zwanzig Grad wärmer war als normalerweise üblich, überlegte Allan, ob das vielleicht eine Alternative sein könnte.

Julius schob sich gebratene Nudeln in den Mund, kaute und sagte dann, dass er nicht an den Nordpol glaubte, was Allan und ihn betraf. Vor allem nicht, wenn das Eis jetzt langsam schmolz. Julius erkältete sich nämlich, wenn er nasse Füße bekam. Außerdem gab es dort Eisbären, und über den Eisbären wusste Julius nur, dass der jeden Morgen mit dem falschen Fuß aufstand, quasi von Kindesbeinen an. Die Schlangen auf Bali waren zumindest menschenscheu.

Allan meinte, es sei wohl nicht überraschend, wenn es dem Eisbären die gute Laune verschlug, nachdem ihm der Boden unter den Füßen wegschmolz. Wenn es ganz dumm lief, musste er wohl zum Festland marschieren, solange noch Zeit war. Das müsste dann aber eher Kanada sein, denn die USA hatten wieder einen neuen Präsidenten – hatte Allan das Julius eigentlich schon erzählt? Und der Neue ließ ganz bestimmt nicht jeden über die Grenze.

Ja, doch, Julius hatte schon von Trump gehört. So hieß der nämlich. Der Eisbär war zwar weiß, aber in erster Linie doch Ausländer. Von daher sollte er sich mal besser keine allzu großen Hoffnungen machen.

Die Nachrichten auf Allans schwarzem Tablett hatten die Eigenheit, gleichzeitig groß und klein zu sein. Langweiligerweise überwiegend groß. Allan pickte sich das Kleine, Pittoreske heraus, aber das andere war eben zwangsweise mit dabei. Man konnte schlecht die Elefanten aussieben, wenn man die Mücken übrig behalten wollte.

In den ersten hundert Jahren seines Lebens hatte Allan nie über die breitere Perspektive des Lebens nachgedacht. Jetzt erzählte ihm sein neues Spielzeug, dass die Welt ein ganz fürchterlicher Ort war. Und erinnerte ihn daran, warum er damals recht daran getan hatte, ihr den Rücken zu kehren, um sich nur noch um sich selbst zu kümmern.

Er dachte zurück an seine frühen Jahre als Laufbursche in der Sprengstofffabrik in Flen. Dort verbrachte die Hälfte der Arbeiter ihre Freizeit damit, sich nach der roten Revolution zu sehnen, während die andere Hälfte schreckliche Angst vor der Bedrohung durch China und Japan hatte.

Die Ansichten zur gelben Gefahr wurden genährt durch Romane und Schriften, die allesamt ein Zukunftsszenario an die Wand malten, in dem die weiße Welt von der gelben geschluckt wurde.

Allan hielt sich nicht groß mit derlei Nuancen auf, und er verfolgte diese Strategie nach dem Zweiten Weltkrieg weiter, nachdem Braun die hässlichste aller Farben geworden war. Darum scherte er sich genauso wenig wie das nächste Mal, als sich die Leute um eine Ideologie scharten. Diesmal war es eher eine Sehnsucht nach etwas als fort von etwas; angesagt waren Frieden auf Erden, blumenbemalte VW-Busse und gegebenenfalls auch mal Hasch. Jeder liebte jeden, außer Allan, der überhaupt niemand und nichts liebte. Außer seiner Katze. Nicht, dass er bitter gewesen wäre, er war einfach.

Die Blumenära hielt an, bis Margaret Thatcher beziehungsweise Ronald Reagan an die Macht kamen. Sie fanden es praktischer, sich selbst und den eigenen Erfolg zu lieben. Wenn man denn absolut jemanden hassen wollte, dann war es der Russe. Andere Bedrohungen gab es im Wesentlichen nicht, und als Reagan den Sowjetkommunismus zur Strecke brachte, indem er nur davon redete, Mittelstreckenraketen aus dem Weltraum zu schießen, war Friede und Freude für alle, außer der Hälfte der Menschheit, die nichts zu essen hatte, sowie ein paar Tausend britischen Grubenarbeitern, die keine Grube mehr hatten, in der sie hätten arbeiten können. Das Neueste war, dass man sich nicht über die Maßen um seinen Nächsten kümmern musste, es reichte, wenn man ihn oder sie ertrug. Was man auch tat, bis sich der Wind wieder drehte.

Es kam vielleicht ein bisschen unerwartet, aber die braune Farbe erlebte ein schleichendes Comeback. Diesmal nicht von Deutschland ausgehend, zumindest nicht in erster Linie. Nicht mal in zweiter. Sondern von einer Reihe anderer Länder. Die USA waren nicht die ersten, wurden aber rasch die größten durch ihren neu gewählten Präsidenten. Wie braun der in seiner Seele war, konnte man nicht recht sagen, dafür widersprach er sich selbst zu oft. Aber jetzt reichte es nicht mehr, dass man selbst Klassenbester war, nein, man musste auch äußere Bedrohungen des westlichen weißen Lebens benennen, das wir alle zu leben verdienten.

Allan wollte sein schwarzes Tablett ja als reinen Unterhaltungsgegenstand betrachten, aber er konnte sich nur schwer dagegen wehren, dass er immer mehr Zusammenhänge zu erkennen begann. Er überlegte, ob er es beiseitelegen sollte. Begann, es mal einen ganzen Tag nicht anzufassen. Und noch einen Tag. Nur um sich zum Schluss widerwillig eingestehen zu müssen, dass es zu spät war. Der Mann, der es mehr als jeder andere vermieden hatte, sich um irgendetwas zu scheren, hatte begonnen, sich um etwas zu scheren.

»Verdammt«, murmelte er in sich hinein.

»Was ist denn?«, fragte Julius.

»Nichts. Nur, was ich gerade gesagt habe.«

»Verdammt?«

»Genau.«

INDONESIEN

Als Allan sich mit seinem neu erwachten, relativen Interesse für die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge ausgesöhnt hatte, konnte er mithilfe seines schwarzen Tabletts verlorenen Boden wiedergutmachen. Es begrüßte ihn mit der Nachricht von dem Norweger, der seinen eigenen See besaß und die darin lebenden Rotaugen und Brachsen mit Karotin-Pellets gefüttert hatte. Als die Hechte im See dann diese Fische fraßen, bekamen sie rosa Fleisch, woraufhin der Norweger sie herausfischte, filetierte und als Lachs verkaufte. Er minimierte die Risiken, indem er seinen Schwindelfisch ausschließlich nach Namibia exportierte, wo zufälligerweise prompt ein pensionierter Inspektor des Gesundheitsamts Oslo wohnte. Der Inspektor schlug Alarm, der Norweger wurde eingesperrt, und der Lachspreis in Südwestafrika konnte sich wieder auf normalem Niveau einpendeln.

So ging es weiter. Durch das schwarze Tablett freundete sich Allan wieder mit dem Leben an. Julius war unterdessen immer noch frustriert. Es waren ja bereits Monate vergangen, ohne dass er einen einzigen gaunerhaften Finger gerührt hätte. In seinen letzten Jahren als Krimineller zu Hause in Schweden hatte er sich mit einer harmlosen Variante des norwegischen Hechtlachses befasst. Er hatte Gemüse aus fernen Ländern importiert, es umpacken lassen und dann als schwedische Ware verkauft. Damit ließ sich viel Geld verdienen. Das kühle Klima im Norden, noch dazu eine Sonne, die niemals unterging, ließen Tomaten und Gurken langsam reifen und dabei ein Aroma von Weltklasse entwickeln. Oder, wie der große schwedische Dichter des neunzehnten Jahrhunderts, Carl Jonas Love Almqvist, es einmal ausdrückte: »Nur Schweden hat schwedische Stachelbeer’n.«

Für Stachelbeer’n interessierte sich Julius allerdings eher wenig, da war die Nachfrage zu gering. Aber mit grünem Spargel sah es schon anders aus. Sobald der Frühling in den Frühsommer überging, bezahlten die Leute vier bis fünf Mal so viel für ein Bündel Spargel – solange es nur schwedischer war.

Julius Jonssons schwedischer Spargel wurde damals aus Peru eingeführt. Die Geschäfte gingen lange gut. Aber dann wurde einer von Jonssons Zwischenhändlern übermütig und begann, auf dem Hötorget in Stockholm Gotländer Spargel zu verkaufen, mindestens fünf Wochen bevor man ihn auf Gotland überhaupt zu Gesicht bekommen konnte. Das führte zu Gerüchten über Unregelmäßigkeiten, und da wachte die schwedische Lebensmittelbehörde auf. Auf einmal gab es überall und ständig Kontrollen, wo es früher keine gegeben hatte.

Julius wurde binnen Kurzem drei ganze peruanische Lieferungen los, die beschlagnahmt und im Namen des Gesetzes vernichtet wurden. Außerdem wurden seine Zwischenhändler eingesperrt – im Gegensatz zu Julius. Tja, Zwischenhändlerschicksal.

Aber obwohl der lange Arm des Gesetzes nicht ganz bis zum Mastermind reichte, verlor Julius die Lust. Er hatte es satt, dass schwedische Produkte in den höchsten Himmel gehoben wurden. War etwa schon mal jemand an peruanischem Spargel gestorben?

Nein, ehrenhafte Gelegenheitsdiebe konnten es auch gleich lassen. Da ging Julius eben in Ruhestand. Er brannte zu Hause ein bisschen illegal Schnaps, wilderte ab und zu einen Elch, zapfte bei seinem Nachbarn Strom ab, ohne zu fragen, aber sonst nicht allzu viel. Bis ein alter Mann von hundert Jahren unerwartet an seine Tür klopfte. Der Alte erklärte, er heiße Allan, und er hatte einen gestohlenen Koffer dabei, den sie nach einem netten Abendessen mit Schnaps aufmachten. Wie sich herausstellte, enthielt er mehrere Millionen.

So kam das eine zum anderen und das andere zum nächsten. Julius und Allan schüttelten sämtliche hartnäckigen Typen ab, die ihr Geld zurückhaben wollten, und landeten auf Bali, wo sie jetzt alles sukzessive ausgaben.

Allan sah, dass Julius den Kopf hängen ließ. Er versuchte, seinen gelangweilten Freund zu inspirieren, indem er ihm von seinem schwarzen Tablett von der Unmoral in allen Weltengegenden vorlas. Rumänien, Italien und Norwegen hatten sie schon. Mit dem südafrikanischen Präsidenten Zuma ließ sich ein ganzes Frühstück bestreiten, weil der sich einen privaten Pool und ein Theater aus Steuergeldern finanziert hatte. Auch einer schwedischen Schlagerkönigin wurde die wohlverdiente Aufmerksamkeit zuteil, nachdem sie in ihrer Steuererklärung versucht hatte, sieben Kleider und achtzehn Paar Schuhe als Dienstreisen abzusetzen. Doch Julius ließ weiter den Kopf hängen. Er brauchte etwas zu tun, bevor er noch richtig depressiv wurde.

Allan, der sich in hundert Jahren um nichts und niemand Sorgen gemacht hatte, war gar nicht glücklich darüber, dass seinem Freund die Lebensfreude auszugehen schien. Es musste doch etwas geben, wofür er sich engagieren konnte?

Weiter kam er nicht mit seinen Überlegungen, denn da griff der Zufall ein. Es geschah eines Abends, als Allan mit dem schwarzen Tablett ins Bett gegangen war, während Julius spürte, dass er noch ein paar Sorgen zu betäuben hatte. Er setzte sich in die Hotelbar und bestellte sich ein Glas vom regionalen Arak. Der wurde aus Reis und Zuckerrohr gebrannt, schmeckte nach Rum und war so stark, dass einem die Augen tränten. Julius hatte festgestellt, dass einem ein Glas davon die Sorgen vernebelte und noch eines sie ganz vertrieb. Um noch ein bisschen Spielraum zu haben, gönnte er sich meistens ein drittes, bevor er zu Bett ging.

Das erste des heutigen Abends war schon geleert und das zweite auf bestem Wege, da waren Julius’ Sinne genügend angeregt, um zu bemerken, dass er nicht allein im Lokal war. Drei Stühle weiter saß ein asiatischer Mann mittleren Alters, ebenfalls mit einem Arak in der Hand.

»Prost«, sagte Julius ganz diskret und hob sein Glas.

Der Mann lächelte, woraufhin beide ihr Glas leerten und anschließend eine Grimasse zogen.

»Jetzt wird’s langsam besser«, meinte der Mann, der genauso viel Tränen in den Augen hatte wie Julius.

»Erstes oder zweites?«, fragte Julius.

»Zweites«, sagte der Mann.

»Bei mir auch.«

Julius und der Mann rutschten näher zusammen und beschlossen, sich jeder noch ein drittes davon zu bestellen.

Dann plauderten sie eine Weile, ehe der Mann sich vorstellte.

»Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas«, sagte er. »Angenehm!«

Julius schaute den Mann an, der ihm gerade seinen Namen genannt hatte. Und er hatte genug Arak intus, um laut zu denken.

»So heißt doch kein Mensch.«

Doch, manche schon. Vor allem, wenn sie indischer Herkunft waren. Simran undsoweiter war nach einem unseligen Vorfall mit der Tochter eines gar zu verständnislosen Mannes in Indonesien gelandet.

Julius nickte. Väter von Töchtern konnten verständnisloser sein als fast alle anderen Menschen auf der Welt. Aber deswegen hatte man doch keinen Namen, den auszusprechen man den ganzen Vormittag brauchte?

»Was meinen Sie denn, wie ich heißen sollte?«

Julius fühlte sich wohl in der Gesellschaft des landesflüchtigen Inders. Aber wenn sie hier zusammensaßen und sich anfreundeten, war das einfach nicht das Schlaueste mit dieser ganzen Namensreihe. Er musste die Gelegenheit nutzen.

»Gustav Svensson«, sagte Julius. »Das ist ein guter Name, sehr mundgerecht, kann man sich leicht merken.«

Der Mann sagte, er habe noch nie Probleme damit gehabt, sich Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas zu merken, stimmte aber zu, dass Gustav Svensson schon gut klang.

»Ist schwedisch, oder?«, fragte er.

»Ja.« Julius nickte wieder. »Schwedischer geht’s gar nicht.«

Und genau dann und dort begann seine neue Geschäftsidee in ihm zu keimen.

* * * *

Julius Jonsson und Simran undsoweiter lernten sich richtig schätzen, während das dritte Glas Arak zu wirken begann. Bevor der Abend vorüber war, hatten sie beschlossen, dass sie sich wiedersehen wollten. Am gleichen Ort zur gleichen Zeit, morgen Abend. Außerdem beschloss Julius, dass der Mann mit dem unmöglichen Namen Gustav Svensson heißen sollte. Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas war es egal. Wie er bisher geheißen hatte, hatte ihm jetzt auch nicht übertrieben viel Glück gebracht.

Die Männer machten ein paar Wochen lang so weiter. Der Inder gewöhnte sich an sein neues Alias. Mochte es.

Er hatte genau an dem Tag unter seinem alten Namen im Hotel eingecheckt, als die beiden sich kennenlernten, und wohnte danach auch noch dort, während Julius und er Pläne zu einer zukünftigen Zusammenarbeit schmiedeten. Als der Hoteldirektor immer lauter sein Geld für den Aufenthalt des indischen Gastes einforderte, erzählte Gustav Julius, dass er vorhatte, diesen Ort endgültig zu verlassen. Ohne zu bezahlen. Und ohne eine Erklärung abzugeben. Die Direktion würde ja doch nicht verstehen, dass man Gustav nicht wirklich für Simrans Rechnung verantwortlich machen konnte.

Julius hingegen verstand es durchaus. Wann Gustav denn fortzugehen gedenke?

»Möglichst innerhalb der nächsten Viertelstunde.«

Auch das verstand Julius. Aber er wollte deswegen doch nicht seinen neuen Freund verlieren, also gab er ihm das Handy mit, das Allan ihm geschenkt hatte.

»Hier, ein Handy, damit man dich erreichen kann. Ich ruf dich vom Hotelzimmer aus an. Und jetzt lauf. Nimm den Küchenausgang – so hätte ich’s gemacht.«

Gustav befolgte Julius’ Rat und war weg. Später am Abend tauchte der Hoteldirektor auf, nachdem er über eine Stunde auf der Suche nach dem indischen, mittlerweile verschwundenen Gast herumgeirrt war.

Julius und Allan verfolgten gerade den Sonnenuntergang am Strand, auf je einem bequemen Stuhl mit dazugehörigem Drink. Der Direktor entschuldigte sich für die Störung. Aber er habe da eine Frage:

»Haben Sie wohl unseren Gast Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas gesehen? Mir ist aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit hier im Hotel Umgang mit ihm pflegten.«

»Simran wie?«, fragte Julius.

* * * *

Julius Jonsson und Gustav Svensson mussten sich danach an einem anderen Ort treffen, um ihre geschäftlichen Besprechungen abzuhalten. Der Hoteldirektor konnte Jonsson schlecht die Schuld an dem verschwundenen Gast geben, was ihn aber nicht davon abhielt, den schwedischen Herrschaften hochgradig zu misstrauen. In ihrem Fall hatte er jedoch bedeutend mehr Geld zu verlieren. Bisher hatten sie immer korrekt bezahlt, aber die derzeitige Rechnung war noch höher als sonst, und in diesem Fall war Vorsicht geboten.

Jonsson und Svensson hielten ihre Arak-Treffen jetzt in einer schmuddeligen Bar im Zentrum von Denpasar ab. Wie sich herausstellte, war Gustav ungefähr genauso sehr Gelegenheitsdieb wie Julius. Zu Hause in Indien hatte er jahrelang gut davon gelebt, dass er Autos mietete, den Motor austauschte und dann das Auto zurückgab. Meist brauchte die Mietwagenfirma etliche Monate, bis sie dahinterkam, dass das Fahrzeug sieben Jahre älter geworden war, und dann ließ sich unmöglich bestimmen, wer von mehreren Hundert verdächtigten Mietern schuldig war. Wenn es nicht am Ende sogar einer vom Personal war?

Schöne Autos wurden damals ein Teil von Gustavs Alltag. Obendrein entdeckte er, dass das Potenzial, ein schönes Mädchen zu finden, anwuchs, je schicker das Auto war. Diese Gleichung brachte ihm mehr als einmal Erfolg. Am Ende so sehr, dass er gut daran tat, sich von der Automobilbranche, dem Mädchen und ganz Indien zu verabschieden, weil das Mädchen nämlich schwanger geworden war. Wie sich herausstellte, war ihr Vater sowohl Parlamentsmitglied als auch Offizier, und als Gustav aus strategischen Gründen um die Hand des Mädchens bat, antwortete der Vater mit der Drohung, ihm das siebte Infanterieregiment auf den Hals zu hetzen.

»Das ist mir ja vielleicht ein Gauner«, sagte Julius. »Hätte er nicht lieber das Beste für seine Tochter im Auge haben sollen?«

Gustav war ganz seiner Meinung. Erschwerend kam hinzu, dass der Vater gemerkt hatte, dass sein sechszylindriger BMW ein vierzylindriger geworden war, als er auf Dienstreise in Singapur war.

»Und daran hat er dir die Schuld gegeben?«

»Ja. Ohne jeden Beweis.«

»Warst du denn unschuldig?«

»Das gehört jetzt nicht hierher.«

Zusammenfassend sagte Gustav Svensson, es habe durchaus sein Gutes, dass Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas von der Bildfläche verschwunden sei.

»Nur schade, dass er seine Hotelrechnung nicht begleichen konnte. Prost, mein Lieber, auf dich.«

Einige Zeit nach der glücklichen ersten Begegnung in der Bar hatte Julius Jonsson mit einer ansehnlichen Menge des restlichen Geldes aus dem Koffer und seinem neuen Partner Gustav Svensson einen Spargelanbaubetrieb oben in den Bergen übernommen. Julius zog die Fäden, Gustav war der Chef vor Ort, und eine Reihe von armen Balinesen buckelten auf den Feldern.

Mithilfe alter Kontakte in Schweden exportierten Julius und sein Partner jetzt »Gustav Svenssons Spargel aus der Region«, in hübschen blau-gelb dekorierten Bündeln. Nirgendwo behaupteten Julius oder der Mann, der bis vor Kurzem noch anders geheißen hatte, dass der Spargel aus Schweden war. Das einzig Schwedische daran waren der Preis und der Name des indischen Bauern. Im Gegensatz zum Peru-Projekt war das hier nicht so illegal, wie Julius es sich gewünscht hätte, aber man konnte eben nicht alles haben. Außerdem gelang es Gustav und ihm, einen zusätzlichen, etwas lichtscheueren Erwerbszweig zu etablieren. Schwedischer Spargel hatte einen so guten Ruf in der Welt, dass Gustavs balinesische Variante nach Schweden verschickt werden konnte, dort umverpackt wurde und an eine Reihe von Luxushotels in aller Welt exportiert wurde. Nach Bali zum Beispiel. Dort mussten die Top-Hotels an ihren internationalen Ruf denken, und so war es ihnen jede zusätzliche Rupiah wert, den Gästen nicht die wässerige Variante aus der Region vorsetzen zu müssen.

Allan war froh, dass sein Freund Julius wieder zu alter Form zurückgefunden hatte. Da hatte ihnen das Leben wohl mal wieder unverhofft etwas Neues geschenkt, Julius ebenso wie seinem hundertjährigen Freund mit dem schwarzen Tablett – wäre da nur nicht der Umstand gewesen, dass das nie versiegende Geld aus dem Koffer nun doch zu versiegen begann. Die Einnahmen aus dem Anbaubetrieb oben in den Bergen waren zwar durchaus respektabel, aber das Leben in dem Luxushotel, in dem die Freunde wohnten, war alles andere als gratis. Allein der aus Schweden importierte Spargel im Restaurant kostete ja schon ein halbes Vermögen.

Über die miese Finanzlage hatte Julius schon eine ganze Weile mit Allan sprechen wollen. Es hatte sich nur irgendwie nie ergeben. Beim heutigen Frühstück sollte es jetzt aber passieren. Allan hatte wie immer sein Tablett dabei, und die größte Neuigkeit des Tages war eine Geschichte über Geschwisterliebe. Der nordkoreanische Anführer Kim Jong-un hatte angeblich in einem Flughafen in Malaysia gerade seinen Bruder vergiften lassen. Allan meinte, er sei nicht allzu überrascht, denn er hatte Kim Jong-uns Vater ja persönlich kennengelernt. Und seinen Großvater.

»Sowohl der Vater als auch der Großvater wollten mich tatsächlich umbringen«, erinnerte er sich. »Jetzt sind sie beide tot, während ich noch hier sitze. Tja, so kann’s gehen.«

Julius hatte sich daran gewöhnt, dass bei Allan immer wieder Erinnerungen an früher hochkamen, und es überraschte ihn mittlerweile nicht mehr. Diese Geschichte hatte er zwar auch schon gehört, aber wieder vergessen.

»Du hast den Vater des nordkoreanischen Staatsoberhaupts getroffen? Und seinen Großvater? Wie alt bist du eigentlich?«

»Hundert, und ich gehe stramm auf die hunderteins zu«, sagte Allan. »Für den Fall, dass es dir entgangen ist. Die beiden hießen Kim Jong-il und Kim Il-sung. Der eine war noch das reinste Kind, aber böse war er trotzdem.«

Julius widerstand der Versuchung, mehr in Erfahrung zu bringen. Stattdessen lenkte er das Gespräch auf das Thema, das er von Anfang an angestrebt hatte.

Die Sache war die, wie Julius schon früher angedeutet habe, dass sich der Koffer mit dem Geld immer mehr in einen Koffer ohne Geld verwandelte. Außerdem sei es schon zweieinhalb Monate her, dass sie zum letzten Mal ihre Schulden im Hotel beglichen hätten. Julius wollte gar nicht daran denken, was auf dieser Rechnung draufstehen könnte.

»Dann lass es doch einfach«, schlug Allan vor und schob sich eine Gabelvoll von dem mild gewürzten Nasi Goreng in den Mund.

Noch akuter sah es mit dem Bootsverleih aus, der sich gemeldet und ihnen mitgeteilt hatte, dass er ihren Kredithahn jetzt zugedreht hatte und dasselbe mit den Hälsen der Herren Karlsson und Jonsson zu tun gedachte, wenn sie ihre Schulden nicht binnen einer Woche beglichen.

»Bootsverleih?«, meinte Allan. »Haben wir denn ein Boot gemietet?«

»Die Luxusyacht.«

»Ach so, so was nennen die hier Boot.«

Dann gab Julius zu, dass er Allan am nächsten Donnerstag zu seinem hundertersten Geburtstag hatte überraschen wollen, die wirtschaftlichen Umstände jedoch so aussahen, dass das Ganze auf einem anderen Niveau als mit einem Gastauftritt von Harry Belafonte stattfinden musste.

»Den haben wir doch jetzt schon kennengelernt«, sagte Allan. »Und meine Geburtstagsfeiern und ich, wir standen schon immer ein bisschen auf Kriegsfuß, also mach dir deswegen keinen Kopf, ja?«

Machte Julius sich aber trotzdem. Allan sollte wissen, dass er die Geste mit Belafonte sehr zu schätzen gewusst hatte. Julius war auch nicht mehr blutjung, und noch nie hatte jemand so was Nettes für ihn getan wie Allan an dem Tag.

»Na, ich hab ja nun nicht selbst für dich gesungen«, meinte Allan.

Doch Julius ließ nicht locker. Es sollte unbedingt eine Feier geben, er hatte auch schon eine Torte bei der einzigen Konditorei bestellt, die sich bereit erklärt hatte, seinen Auftrag auf Kredit auszuführen. Und danach wartete noch eine Fahrt mit dem Heißluftballon über die schöne, grüne Insel, zusammen mit dem Ballonfahrer und zwei Flaschen Champagner.

Eine Ballonfahrt, das klang fein, fand Allan. Aber vielleicht sollten sie die Torte weglassen, wenn die Finanzen so angespannt waren? Allein hundertundeine Kerze, das musste doch ein Vermögen kosten.

Nun, die Gesamtfinanzen der beiden Freunde hingen nicht an hundertundeiner Tortenkerze, meinte Julius. Er hatte letzten Abend ein bisschen in ihrem Koffer gekramt und überschlagen, wie viel wohl noch übrig war. Anschließend, was sie dem Hotel deren Meinung nach schuldig waren. Was die Yacht anging, musste er den Betrag nicht überschlagen, weil der Verleih ja so nett gewesen war, es ihnen mitzuteilen.

»Ich fürchte, wir sind alles in allem mindestens hunderttausend Dollar im Minus«, sagte Julius.

»Mit oder ohne Kerzen?«, fragte Allan.

INDONESIEN

Der Hundertjährige hatte immer eine beruhigende Wirkung auf seine Umgebung gehabt, außer bei ein paar vereinzelten Gelegenheiten in der Geschichte, als er die Leute über die Maßen auf Zinne gebracht hatte. Wie damals, als er 1948 Stalin traf. Das führte zu fünf Jahren Arbeitslager. Und ein paar Jahre später waren die Nordkoreaner auch nicht so besonders erbaut von ihm.

Na, das gehörte aber jetzt alles der Vergangenheit an. Nun hatte er Julius davon überzeugt, dass sie erst seinen hundertersten Geburtstag feierten wie geplant (wenn Julius es denn so gerne wollte) und sich danach hinsetzten, um sich mit ihrer Finanzlage zu befassen. Es würde schon alles in Ordnung kommen. Mit etwas Glück würde ja vielleicht sogar ein neuer Geldkoffer auftauchen.

Das glaubte Julius nun nicht, auch wenn man in Allans Gesellschaft nie wissen konnte. Aber obwohl es so schlecht bestellt war, hatte er Allans Vorschlag zugestimmt, vier Flaschen Champagner mit in den Ballon zu nehmen statt zwei. Allan meinte, dort oben in der Luft könnte es ja auch eine Flaute geben, und dann müssten sie etwas zu tun haben.

»Vielleicht auch noch ein paar belegte Brote?«, überlegte Julius.

»Warum das denn?«, fragte Allan.

Der Hoteldirektor hatte mittlerweile ein wachsames Auge auf den alten Mann und seinen noch älteren Freund. Die unbezahlten Rechnungen beliefen sich inzwischen auf hundertfünfzigtausend Dollar. Das war zwar nur ein Bruchteil des Betrages, den der Direktor im letzten Jahr mit den spendablen Skandinaviern verdient hatte, aber doch viel zu viel, um es sich durch die Lappen gehen zu lassen. Der Direktor hatte gewisse Maßnahmen ergriffen. Seit ein paar Tagen beziehungsweise Nächten stand ein Mann diskret Wache vor dem Luxusbungalow der Herren, für den Fall, dass es ihnen einfallen sollte, durch eines der unverglasten Fenster zu klettern und zu verschwinden.

Aber es lag auch eine gewisse Dankbarkeit in der Beziehung des Direktors zu den Herren Karlsson und Jonsson. Ersterer hatte nämlich auf halbwegs glaubwürdige Art nachgewiesen, dass neues Geld nachkommen würde, bevor die Woche um war. Und es war ja auch nicht das erste Mal, dass Jonsson sein Geld ein bisschen zu lange behalten hatte. Gut möglich, dass das Ganze nur darauf zurückzuführen war, dass er gar zu sehr an seinen Scheinchen hing. Und wer tat das nicht?

Unterm Strich fand der Direktor, dass es sowohl naheliegend als auch strategisch schlau war, die Füße ruhig zu halten und bei Karlssons Geburtstagsfeier am Strand mitzumachen, mit Torte und ein paar wohlgesetzten Worten.

* * * *

Abgesehen vom Geburtstagskind, Julius und dem Hoteldirektor war auch der angeheuerte Ballonfahrer vor Ort. Gustav Svensson wäre gern dabei gewesen, hatte aber Verstand genug, es sich zu verkneifen.

Der Heißluftballon stand aufgeblasen bereit. Nur ein ganz klassischer Anker, den man um eine Palme geschlungen hatte, hinderte ihn daran, auf eigene Faust davonzufliegen. Die Hitze im Ballon wurde vom neunjährigen Sohn des Ballonfahrers reguliert, der zutiefst unglücklich war, weil er viel lieber ein paar Meter weiter weg, nämlich bei der Torte, gestanden hätte.

Allan schaute die hunderteins unnötigen Kerzen grimmig an. So eine Geldverschwendung aber auch. Und Zeitverschwendung obendrein! Julius brauchte mehrere Minuten, bis er sie alle angesteckt hatte, mit dem goldenen Feuerzeug des Hoteldirektors (das danach zufällig in Julius’ Tasche wanderte).

Na, die Torte schmeckte trotzdem gut. Und Champagner war Champagner, auch wenn es freilich kein richtiger Drink war. Alles in allem hätte es auch schlimmer kommen können, fand Allan.

Doch just in diesem Augenblick wurde es schlimmer. Der Hoteldirektor klopfte nämlich an sein Glas, in voller Absicht, eine Rede zu halten.

»Lieber Herr Karlsson«, begann er.

Allan fiel ihm ins Wort.

»Sehr schön gesagt, Herr Direktor. Sehr liebenswürdig. Aber wir wollen hier ja nicht alle miteinander bis zu meinem nächsten Geburtstag stehen bleiben. Wird es nicht höchste Zeit, dass wir mit unserem Heißluftballon losfliegen?«

Der Hoteldirektor verlor den Faden, Julius nickte dem Ballonfahrer aufmunternd zu, und der stellte sofort sein Stück Torte weg. Schließlich war er ja in erster Linie zum Arbeiten hier.

»Verstanden! Ich rufe sofort den Wetterdienst am Flughafen an. Wir wollen ja sicher sein, dass der Wind noch günstig ist. Bin gleich wieder da.«

Die Gefahr einer Rede war abgewendet. Stattdessen wurde es Zeit zum Einsteigen. Sogar für einen Hundertjährigen war das Einsteigen ganz leicht. Eine mobile Treppe mit sechs Stufen außen und eine etwas kleinere Variante mit drei Stufen auf der Innenseite.

»Hallo, kleiner Mann«, sagte Allan und wuschelte dem neunjährigen Assistenten durch die Haare.

Der Neunjährige antwortete mit einem schüchternen »Guten Tag«. Er wusste, wohin er gehörte, und er machte seinen Job gut. Mit dem zusätzlichen Gewicht der beiden Ausländer wurde der Anker nicht mehr gebraucht.

Julius bat den Jungen um eine Demonstration und bekam zu hören, dass die Wärme und damit die Höhe des Ballons mit dem roten Regler am oberen Ende der Gasflasche eingestellt wurde. Wenn der Zeitpunkt für die Abfahrt gekommen war, musste man ihn bloß nach rechts drehen. Und wieder nach links, wenn man landen wollte.

»Erst rechts, dann links«, sagte Julius.

»Ganz genau, mein Herr«, sagte der Junge.

Und nun geschahen drei Dinge gleichzeitig binnen weniger Sekunden.

Nummer eins:

Allan hatte die sehnsüchtigen Blicke bemerkt, die der Junge der Torte zuwarf, und schlug ihm vor, er solle doch schnell hinüberlaufen und sich ein Stück holen. Teller und Besteck standen auf dem Tisch. Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. Er sprang aus dem Korb, kaum dass Allan zu Ende gesprochen hatte.

Nummer zwei:

Julius drehte den roten Regler testweise einmal nach links und einmal nach rechts, und zwar so ungeschickt, dass er den Regler auf einmal in der Hand hatte.

Nummer drei:

Der Ballonfahrer kam aus dem Hotel, zog eine bekümmerte Miene und verkündete kopfschüttelnd, dass man die Fahrt verschieben müsse, denn der Wind drehte Richtung Norden, und das war nicht günstig für den Kurs des Ballons.

Darauf geschahen wieder drei Dinge, auch diesmal gleichzeitig.

Nummer eins:

Der Ballonfahrer entdeckte, dass sein neunjähriger Sohn die Nase in die Torte steckte, und schimpfte den armen Jungen aus, weil er seinen Posten verlassen hatte.

Nummer zwei:

Julius fluchte über den roten Regler, der einfach so abgegangen war. Jetzt strömte heiße Luft in den Ballon, welcher …

Nummer drei:

… vom Boden abzuheben begann.

»Halt, was machen Sie denn da?«, schrie der Ballonfahrer.

»Das war nicht ich, das war dieser verdammte Regler«, rief Julius.

Der Ballon hatte bereits eine Höhe von drei Metern erreicht. Dann vier. Dann fünf.

»Na, bitte!«, sagte Allan. »Jetzt geht die Party richtig los.«

INDISCHER OZEAN

Es dauerte eine ganze Weile, bis Karlsson, Jonsson und der Ballon so weit übers offene Meer hinausgeschwebt waren, dass sie den schreienden Ballonfahrer nicht mehr hörten. Er hatte ja auch Rückenwind.

Als man ihn nicht mehr hören konnte, konnten sie ihn trotzdem noch eine Weile sehen, wie er wild die Arme schwenkte. Sie sahen auch den Hoteldirektor neben ihm. Nicht ganz so wild armeschwenkend. Wahrscheinlich aber genauso unglücklich. Wenn nicht unglücklicher. Immerhin schwebten ihm hier gerade hundertfünfzigtausend Dollar davon. Der Neunjährige wandte sich unterdessen wieder der Torte zu, während alle anderen mit anderem beschäftigt waren.

Wieder ein paar Minuten später war in keiner Richtung mehr Land in Sicht. Julius fluchte nicht mehr über den roten Regler, sondern schmiss ihn über Bord, nachdem alle Versuche, das Ding wieder anzubringen, gescheitert waren.

Das Gas war unwiderruflich aufgedreht und brannte in munterem Strahl. Und in gewisser Hinsicht war das ja auch ganz gut, denn sonst wären sie jetzt ja ins Meer gefallen, mit Korb und allem Drum und Dran.

Julius schaute sich um. Auf der anderen Seite des Gasbehälters fand er ein Navigationsgerät. Das waren ja gute Neuigkeiten! Nicht, dass man das Gefährt hätte steuern können, aber jetzt konnten sie immerhin in Erfahrung bringen, wann damit zu rechnen war, dass wieder Land in Sicht kam.

Während Julius sich ins Geografische vertiefte, köpfte Allan die erste der vier mitgebrachten Champagnerflaschen.

»Hoppala«, sagte er, als der Korken über die Korbkante flog.

Julius fand, dass Allan die Situation nicht ernst genug nahm. Sie hatten schließlich keine Ahnung, wohin sie gerade unterwegs waren.

Doch, die meinte Allan sehr wohl zu haben.

»Ich bin so oft um die Welt gefahren, dass ich mir so langsam gemerkt habe, wie sie aussieht. Wenn der Wind weiter so bläst wie jetzt, landen wir in ein paar Wochen in Australien. Wenn er sich allerdings ein bisschen in diese Richtung da dreht, dann müssen wir noch ein paar Wochen länger warten.«

»Und wo landen wir dann?«

»Tja, am Nordpol nicht, aber da wolltest du ja sowieso nicht hin. Eher am Südpol.«

»Verdammt noch mal, was …?«, begann Julius, doch er wurde unterbrochen.

»Na, na, komm, hier hast du erst mal dein Glas. Jetzt stoßen wir erst mal richtig auf meinen Geburtstag an. Und du mach dir mal keine Sorgen. Das Gas in dieser Flasche ist alle, lange bevor wir den Südpol erreichen. Komm, setz dich.«

Julius folgte der Aufforderung, setzte sich auf den Hocker neben seinem Freund und schaute mit leerem Blick in die Luft. Allan sah, dass Julius schon wieder traurig war. Hier waren jetzt tröstende Worte gefragt.

»Stimmt schon, es sieht gerade düster aus, mein Freund. Aber das ist mir im Leben schon öfter passiert, und ich bin immer noch da. Du wirst schon sehen, der Wind dreht sich noch. Oder etwas in der Art.«

Allans absurde Gemütsruhe half Julius ein wenig. Und der Champagner würde dann vielleicht den Rest erledigen.

»Gib mir bitte die Flasche«, sagte er leise.

Und dann nahm er vier ordentliche Schlucke, ohne den Umweg übers Glas zu gehen.

Allan hatte insofern recht, als das Gas zu Ende ging, ohne dass Land in Sicht gewesen wäre. Der Behälter begann zu husten und zu spucken, und die Flamme benahm sich etwas erratisch, bis sie schließlich ganz ausging. Genau in dem Moment, als die Freunde die erste Flasche geleert hatten.

Ganz sachte sanken sie auf die Wasseroberfläche des Indischen Ozeans hinab, der an diesem Tag der reinste Stille Ozean war.

»Meinst du, der Korb schwimmt?«, fragte Julius.

»Das werden wir gleich sehen«, sagte Allan. »Schau mal!«

Der Hunderteinjährige hatte in der Holzkiste des Ballonfahrers gewühlt, in der verschiedene Utensilien für unvorhergesehene Ereignisse verstaut waren. Jetzt hielt er eine nigelnagelneue Befestigung für den roten Regler hoch.

»Schade, dass wir die nicht rechtzeitig gefunden haben. Und schau mal da!«

Zwei Leuchtraketen.

Die Bruchlandung auf dem Meer verlief glimpflicher, als Julius zu hoffen gewagt hätte. Der Korb schlug auf dem Wasser auf, tauchte einen halben Meter tief ein und glitt weiter, vom schieren Schwung und seinem Gewicht, neigte sich in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel, richtete sich wieder auf und schaukelte dann immer sachter auf und ab, wie der Schwimmer an einer Angel.

Die beiden alten Männer fielen um, als der Korb aufschlug und kippte, und landeten auf einem Haufen an einer Korbwand. Julius war schnell wieder auf den Beinen und hatte sein Messer gezückt, um den Korb von dem schlaffen Ballon zu trennen, der ihnen jetzt nichts mehr nützte, sondern sich auf die Wasseroberfläche legte und bald sinken und Korb und Männer mit in die Tiefe ziehen würde, wenn er konnte.

»Gut gemacht«, sagte Allan, der immer noch am Boden lag.

»Danke«, sagte Julius und half seinem Freund wieder auf den Hocker.

Dann schraubte Julius das schwere Gasaggregat ab und warf es ins Meer, zusammen mit den vier Streben, die die Konstruktion an Ort und Stelle gehalten hatten. Daraufhin wog das Ganze gleich mindestens fünfzig Kilo weniger. Julius wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich wieder neben seinen Freund.

»Und jetzt?«, fragte er.

»Ich würde sagen, jetzt köpfen wir noch eine Flasche Champagner, damit wir hier nicht ausnüchtern. Kannst du nicht eine von diesen Leuchtraketen abfeuern, während ich die Flasche aufmache?«

Es sickerte bereits Wasser durch die Seitenwände des Korbes, aber es war nicht so schlimm, sie würden erst in zwei Stunden sinken, meinte Allan. Beziehungsweise noch später, wenn sie nur irgendetwas Ordentliches zum Schöpfen hätten.

»In zwei Stunden kann viel passieren«, sagte er.

»Zum Beispiel?«, fragte Julius.

»Na ja, es kann natürlich auch sein, dass nur ein bisschen was passiert. Oder auch gar nichts.«

Julius öffnete die Verpackung der ersten Leuchtrakete und versuchte, die indonesischen Anweisungen zu verstehen. Er hatte einen kleinen Schwips und war deswegen nicht so verzweifelt, wie er eigentlich hätte sein müssen. Einerseits war ihm klar, dass er bald sterben würde. Andererseits befand er sich in Gesellschaft eines Mannes, der womöglich unsterblich war. Ein Mann, der weder von General Franco hingerichtet noch von der amerikanischen Einwanderungsbehörde lebenslänglich eingesperrt worden war, weder von Genosse Stalin erwürgt (obwohl nicht viel gefehlt hatte) noch von Kim Il-sung oder Mao Tse-tung umgebracht oder von der iranischen Grenzpatrouille erschossen worden war, dem in fünfundzwanzig Jahren als Doppelagent im Epizentrum des Kalten Krieges kein Haar gekrümmt, der von Breschnews Atem nicht gekillt und auch bei Präsident Nixons Sturz nicht mit in den Abgrund gerissen worden war.

Das Einzige, was darauf hindeutete, dass Allan jetzt sterben könnte, nachdem ihm das so viele Jahre nicht gelungen war, war, dass er in einem Flechtkorb saß, durch den Wasser eindrang, auf dem Meer irgendwo zwischen Indonesien, Australien und der Antarktis. Doch wenn der frischgebackene Hunderteinjährige auch das überlebte, war es ja nicht ganz abwegig, dass Julius sich da als Trittbrettfahrer mit durchmogeln konnte.

»Da muss man wohl einfach bloß hier ziehen«, sagte er und zog an der richtigen Schnur, hielt das Ganze dabei aber in die falsche Richtung, woraufhin die Signalrakete ins Wasser schoss und ihren Weg fortsetzte, bis sie in zweihundert Metern Tiefe logischerweise ausging.

Julius erwog, einfach aufzugeben. Aber Allan ließ den Korken der nächsten Flasche knallen, hielt sie seinem Freund hin und bat ihn, erst mal ein paar Schlucke zu nehmen – mit oder ohne Glas –, denn er sehe so aus, als könnte er es brauchen.

»Und dann versuchst du’s noch mal mit der zweiten Rakete, würde ich sagen. Aber halt sie diesmal gerne nach oben, ich glaube, da sieht man sie besser.«

INDISCHER OZEAN

Der offizielle Auftrag des nordkoreanischen Containerschiffs Ehre und Stärke lautete, dass es dreißigtausend Tonnen Getreide von Havanna nach Pjöngjang transportieren sollte. Ein deutlich weniger offizieller Nebenauftrag lautete, südöstlich von Madagaskar die Geschwindigkeit zu drosseln und nachts im Schutze der Dunkelheit vier Kilo angereichertes Uran an Bord zu nehmen. Das war von einem Kurier zum nächsten aus dem Kongo über Burundi und Tansania nach Mosambik befördert worden und von dort weiter auf die Insel östlich des afrikanischen Kontinents, die Ehre und Stärke ohnehin passieren sollte.

Den Nordkoreanern war klar, dass sie nicht unbeobachtet waren. Erst vor ein paar Jahren war ein Schiff in einem von Rebellen kontrollierten Hafen in Libyen hängen geblieben, bis es dem Kapitän zu guter Letzt gelang, sich freizukaufen, damals mit einem Schiff voller Öl. Auf dem Rückweg von Kuba in Somalia, dem Iran oder einem anderen Land mit ähnlichem Ruf haltzumachen, führte natürlich zu nichts anderem, als dass auf offener See eine UNO-Truppe an Bord kam. Das war alles schon vorgekommen, zuletzt in der Nähe von Panama. Da befanden sich doch tatsächlich Flugzeugmotoren und Hightech-Elektronik unter dem Getreide, was gegen das geltende UNO-Embargo gegen die stolze Demokratische Volksrepublik verstieß. Erbost hatten die Koreaner der Welt mitgeteilt, dass die Welt die Motoren und die Elektronik eingeladen hatte, nicht die Koreaner.

Diesmal trat man die Heimreise von Kuba in die andere Richtung an – die Welt war schließlich rund. Offiziell hieß es, dass die Demokratische Volksrepublik sich nicht noch einmal auf dieselbe Art beleidigen lassen wollte. Was man verschwieg, war die Tatsache, dass man unterwegs noch etwas zu erledigen hatte.

Bis jetzt war alles gut gegangen statt schief. Kapitän Pak Chong-un hatte den Frachtraum mit qualitativ hochwertigem Getreide vollgeladen, das dem Obersten Führer ziemlich egal war, denn er aß sich ja sowieso satt. Aber zusätzlich hatte man jetzt auch noch vier Kilo angereichertes und bleiummanteltes Uran an Bord, gesichert in einer nordkoreanischen Aktentasche. Das Uran war eine Voraussetzung für den immer noch wichtigen Kampf gegen die amerikanischen Hunde und ihre Alliierten südlich des achtunddreißigsten Breitengrades. Die Menge, vier Kilo, war natürlich nichts, worauf man die Zukunft des Landes bauen konnte, aber das war ja auch gar nicht die Absicht. Es war ein Test des Vertriebswegs an sich. Wenn alles gut ging, würde man die Einsätze um ein Vielfaches erhöhen, das hatten die Russen versprochen.

Kapitän Pak konnte geradezu spüren, wie die imperialistischen Satelliten den Weg des Schiffes zurück nach Pjöngjang verfolgten, wie immer bereit, irgendwelche Vorwände zu finden, an Bord ihres Schiffes zu gehen, sie zu erniedrigen und zu schikanieren.

Pak verwahrte die Aktentasche im Tresor in der Kapitänskajüte – diese Gangsterbande würde ja doch finden, was sie suchte, wenn sie an Bord kommen sollte. Doch dafür gab es bis jetzt keine Anzeichen. Noch waren keine Fehler begangen worden. Bald gab es nichts mehr, was den Kapitän daran hinderte, im Triumph heimzukehren.

Pak Chong-un wurde vom ersten Steuermann aus seinen Gedanken gerissen, der hereinkam, ohne anzuklopfen.

»Kapitän!«, sagte er. »Wir haben eine Signalrakete gesichtet, vier Distanzminuten nördlich von unserer Position. Was sollen wir tun? Sie ignorieren?«

Verdammt! Wo doch alles gerade so gut aussah! Mehrere Gedanken schossen Kapitän Pak gleichzeitig durch den Kopf. Konnte das eine Falle sein? Jemand, der sich das Uran aneignen wollte? Am besten tat man natürlich so, als hätte man nichts gesehen, wie der Steuermann gerade angedeutet hatte.

Aber wer hier garantiert zuschaute, waren die verdammten Amerikaner. Aus dem Weltraum. Und jetzt machten sie bestimmt gerade Bilder. Ein nordkoreanisches Schiff, das darauf pfiff, Schiffbrüchigen auf hoher See zu Hilfe zu kommen – das wäre ein Verstoß gegen das internationale Seerecht, ein enormer PR-Schaden für den Obersten Führer (und Kapitän Pak würde man natürlich exekutieren).

Nein, es war wohl besser, wenn man nachschaute, woher die Rakete gekommen war.

»Schämen Sie sich, Steuermann!«, sagte Kapitän Pak Chong-un. »Vertreter der Demokratischen Volksrepublik Korea lassen Menschen in Not nicht im Stich. Ändern Sie den Kurs und bereiten Sie die Rettungsaktion vor. Marsch!«

Der erste Steuermann salutierte erschrocken und schoss davon. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er seine Zunge nicht besser im Zaum gehalten hatte. Wenn der Kapitän davon Bericht erstattete, war es mit seiner Karriere vorbei. Im besten Fall.

* * * *

Das Wasser reichte den Freunden im Korb auf dem Meer jetzt schon bis zu den Knöcheln. Allan saß mit seinem schwarzen Tablett da und überlegte, wie es sein konnte, dass das Ding mitten im Nirgendwo funktionierte.

»Hör mal her!«, sagte er.

Und er erzählte seinem Freund, dass es doch nicht nur Präsidenten waren, die sich auf der Welt blamierten, wie zum Beispiel Robert Mugabe in Zimbabwe, der Homosexualität als »unafrikanisch« definierte und bestimmte, dass sie mit zehn Jahren Gefängnis bestraft werden konnte, damit der Homosexuelle seine Lektion lernte. Jetzt war auch noch Mugabes Frau mit einem Verlängerungskabel auf ein Mädchen losgegangen, das mit dem Sohn des Paares in einem Hotelzimmer gewesen war. Offenbar hatte man in der Familie auch Probleme mit Heterosexualität.

Julius war jedoch zu niedergeschlagen, um die neueste Nachricht seines Freundes irgendwie zu kommentieren, und er wollte ihn gerade bitten, still zu sein, damit er einfach in Ruhe sterben konnte. Da wurde er von einem fernen Nebelhorn aus seinen Gedanken gerissen. In weiter Ferne konnten Allan und er ein Schiff ausmachen. Mit Kurs direkt auf ihren Korb.

»Verdammt aber auch«, sagte Julius. »Das hier überlebst du also auch noch, Allan.«

»Du auch, wie’s aussieht«, sagte Allan.

* * * *

Das Einzige, was die beiden alten Männer mit an Bord nahmen, war Allans schwarzes Tablett und die letzte Flasche Champagner. Allan hielt das Tablett in der einen Hand und den Champagner in der anderen, als Julius und er auf dem Vorderdeck Kapitän Pak begegneten.

»Guten Tag, Herr Kapitän«, sagte er der Reihe nach auf Englisch, Russisch, Mandarin und Spanisch.

»Guten Tag«, erwiderte der verblüffte Kapitän auf Englisch.

Er beherrschte sowohl Russisch als auch Mandarin und besaß nach seinen diversen Kuba-Fahrten auch gewisse Kenntnisse des Spanischen, aber er war der einzige Offizier mit Englischkenntnissen, und sein Instinkt sagte ihm, je weniger Ohren hier lauschten und verstanden, desto besser. Zumindest bis sich diese unklare Situation geklärt hatte.

Kapitän Pak teilte den schiffbrüchigen Herren mit, dass ihnen soeben im Namen der Demokratischen Volksrepublik Korea und zur höheren Ehre des Obersten Führers das Leben gerettet worden war.

»Grüßen Sie den Großen schön von uns und richten Sie ihm unseren Dank aus, wenn Sie ihn künftig sehen sollten«, sagte Allan. »Was meinen Sie denn, wo Sie uns auf Ihrem Weg als Nächstes absetzen könnten? Gerne in Indonesien, wenn es Ihnen keine Umstände macht, denn wir haben leider keine Ausweispapiere mitgenommen, und dann kann es leicht mal sehr heikel werden, wenn man Landesgrenzen überschreiten will, wissen Sie?«

Oh ja, Kapitän Pak wusste, wie überaus heikel es werden konnte, wenn man Landesgrenzen überschreiten wollte. Dort, wo er herkam, machte man das nicht so ohne Weiteres. Aber deswegen ließ er sich trotzdem auf keine Fraternisierung mit den fremden Herren ein, die er da aus einem Korb auf offener See gefischt hatte. Und ganz bestimmt nicht vor der Mannschaft, egal in welcher Sprache.

»Als Kommandant bin ich von Gesetz her verpflichtet, während der Reise die Fracht des Schiffes sorgfältig zu bewachen und ansonsten die Interessen des Frachteigentümers zu wahren. Nach demselben Gesetz bin ich verpflichtet, das Schiff mit der gebotenen Eile in den Heimathafen zu bringen.«

»Was heißt das?«, fragte Julius nervös.

»Das, was ich eben gesagt habe«, sagte Kapitän Pak.

»Das heißt, dass er nicht vorhat, uns irgendwo abzusetzen, bis wir in Pjöngjang sind«, sagte Allan.

Julius zog es so gar nicht nach Nordkorea.

»Bitte, Herr Kapitän«, sagte er. »Wir haben hier zufällig eine Flasche Champagner, weil wir uns dachten, die kann uns gut zupasskommen, wenn wir aufgefischt werden, so wie jetzt. Sie ist nicht ganz so gut gekühlt, wie es sich gehören würde, aber wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Kapitän, dann teilen wir sie gern mit Ihnen. Dann können wir uns ein bisschen kennenlernen und mal schauen, was für Lösungen vielleicht gleich um die Ecke warten.«

Das hatte Julius bestens formuliert, fand Allan und hob zur Bekräftigung die Flasche hoch.

Der Kapitän nahm sie Allan aus der Hand und teilte ihnen mit, die sei konfisziert, weil hier an Bord Alkoholverbot herrsche.

Alkoholverbot?, dachte Allan und hätte am liebsten darum gebeten, dass man ihn in den Korb zurückklettern ließ.

»Die Herren werden in zwei Stunden aus rein informativen Gründen verhört. Bis auf Weiteres werden Sie keines Verbrechens verdächtigt, aber das kann sich ändern. Ich habe vor, das Verhör persönlich durchzuführen. Die erste Frage wird sein, wer Sie sind und warum Sie beschlossen haben, in einem Weidenkorb auf offener See zu treiben. Mit einer Flasche Champagner. Aber dazu später.«

Dann wandte sich Kapitän Pak an seinen ersten Steuermann, dem er mitteilte, er habe seine Sachen zu packen und bei der Besatzung einzuziehen, weil er gerade seine Offizierskajüte losgeworden sei. In die werde er jetzt nämlich die beiden fremden Männer einquartieren. Des Weiteren solle der erste Steuermann dafür sorgen, dass rund um die Uhr ein Matrose vor der Kajüte Wache stand, wenn er diese Pflicht nicht sogar selbst übernehmen wolle, damit die beiden Herren nicht zu Schaden kamen beziehungsweise sich irgendetwas Schädliches einfallen ließen.

Der Steuermann salutierte. Er war gar nicht glücklich über die Entwicklung der Lage. Sich unter die Besatzung mischen zu müssen wegen zwei älteren Weißen … nein, der Kapitän hätte die beiden wirklich auf dem Meer lassen sollen. Die Sache konnte nur so übel enden, wie sie angefangen hatte.

Kapitän Pak Chong-un ahnte Probleme. Noch einmal kontrollierte er den Inhalt hinter der ansonsten ebenso verschlossenen Tür zum Tresor in der Kapitänskajüte. Den Schlüssel verwahrte er an einer Kette um den Hals.

Der Tresor enthielt die vorgeschriebenen Logbücher, ein Exemplar des Seerechts sowie eine Aktentasche mit vier Kilo bleiummanteltem angereichertem Uran.

Der Auftrag, den er persönlich vom Obersten Führer bekommen hatte, stand drei Tage vor seiner Erfüllung. Am Himmel seines Auftrages waren keine Wolken zu sehen. Also, buchstäblich gesprochen. Dazu gehörte wie immer, dass die Satelliten der Amerikaner ein wachsames Auge auf ihn hatten. Das war durchaus eine Wolke, wenn auch nur bildlich gesprochen. Eine zweite Wolke waren die beiden fremden Männer in der Kajüte des ersten Steuermanns, Wand an Wand mit seiner.

»Puh«, gestattete sich Kapitän Pak die Situation zusammenzufassen, bevor er die paar Schritte zur Nachbarkajüte ging. Er schaute den Wachposten grimmig an, bis der begriff, dass er seinem Kapitän die Tür aufmachen sollte. Und dann schaute er ihn noch einmal grimmig an, bis die Wache ebendiese Tür wieder schloss.

»Meine Herren, Zeit fürs Verhör«, verkündete Kapitän Pak Chong-un.

»Fein«, sagte Allan.

KONGO

Der Kongo ist der zweitgrößte Staat Afrikas und war schon immer hauptsächlich an zweierlei reich: Bodenschätzen und Elend.

Am allerelendsten war es, als der belgische König Leopold II. das Land als seine private Gummiplantage nutzte. Er ließ jeden versklaven, den er kriegen konnte, und brachte an die zehn Millionen Menschen um die Ecke. Einmal ganz Schweden. Oder ganz Belgien, wem das lieber ist.

Als der Kongo viele schwere Jahre später unabhängig wurde, landete ein gewisser Joseph Mobutu auf dem Präsidentensessel. Zu Berühmtheit gelangte er vor allem dadurch, dass er die Bodenschätze seines Landes unter dem Tisch an den Meistbietenden verschacherte, das Geld selbst einstrich und seinen Namen änderte in »Der Allmächtige Krieger, Der Dank Seiner Ausdauer Und Seinem Unbändigen Siegeswillen Von Sieg Zu Sieg Eilt Und Dabei Eine Feurige Spur Hinterlässt«.

Die USA hielten diesen Typen für die Zukunft des Kongo und Afrikas.

Mit der wohlwollenden Hilfe der CIA blieb also Der Allmächtige Krieger mehrere Jahrzehnte an der Macht. An die Stelle des Gummis als interessantestem Rohstoff war Uran getreten. Die USA bekamen ausgerechnet aus dem Kongo das Uran für die Atombomben, die sie auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen, und sie zeigten sich für diese Hilfe erkenntlich, indem sie die Einrichtung eines kongolesischen Kernforschungszentrums unterstützten. Unter der Leitung Des Allmächtigen Kriegers, Der Eine Feurige Spur Hinterließ. Vielleicht nicht unbedingt die schlaueste politische Entscheidung in der Geschichte der USA.

In dem Land, in dem alles ausnahmslos korrupt war, verschwanden große Mengen angereichertes Uran. Ein Teil tauchte hie und da wieder auf und konnte sichergestellt werden, während eine unbekannte Menge verschwunden war und blieb.