Der Iran - Andrea C. Hoffmann - E-Book
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Andrea C. Hoffmann

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  • Herausgeber: Diederichs
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2009
Beschreibung

Innenansichten einer Kulturnation

30 Jahre nach der Islamischen Revolution steht Der Iran wieder im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Von den USA als „Schurkenstaat“ gebrandmarkt könnte das schillernde Land mit großer Tradition schon bald zum Kriegsschauplatz werden. Die Journalistin Andrea Claudia Hoffmann hat Zugang zu den einflussreichsten Ayatollahs und Politikern, aber auch intensiven Kontakt zu Oppositionellen und Regimekritikern. Ihr Buch ist ein brillant geschriebener Streifzug durch Geschichte und Gegenwart einer 5000 Jahre alten Hochkultur.

Was ist Der Iran und wer sind die Iraner? Ein uraltes Volk, das sich seine kulturelle Eigenart trotzig bewahrt hat und mit Arabern nichts gemein haben will. Ein Vielvölkerstaat, dessen Bewohner die verschiedensten Sprachen, Bräuche und Religionen leben. Und ein Staat im Umbruch: Über 65 Prozent der Hochschulabsolventen sind weiblich. Frauen werden die Zukunft der Islamischen Republik prägen. Andrea Claudia Hoffmann blickt hinter den Schleier der Vorurteile und Klischees, die das Iran-Bild im Westen weitgehend bestimmen.

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Seitenzahl: 272

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Inhaltsverzeichnis
 
VORWORT
 
Kapitel 1 - »ICH BIN IHR SKLAVE«
 
Copyright
VORWORT
Iran, Schurkenstaat, Mullah-Diktatur. Schlechter als der Ruf der Iraner kann das internationale Ansehen einer Nation wohl kaum sein. Aber nicht erst, seitdem George W. Bush das Land auf seiner berühmten »Achse des Bösen« verortete, steht der Name Irans in der internationalen Presse gleichbedeutend mit Mittelalter und klerikaler Despotie. Bereits seit drei Jahrzehnten hat die Weltöffentlichkeit den Eindruck, es mit einem völlig rückständigen und von religiösen Fanatikern gelenkten Staat zu tun zu haben. Mit der Revolution von 1979 verlor der Iran nicht nur den Monarchen, sondern auch sein internationales Ansehen.
Seitdem beherrschen Zerrbilder die Köpfe. Wenn ich Freunden oder Kollegen von meinen Reisen in den Iran berichte, lassen sich die Zuhörer in zwei Kategorien aufteilen. Da gibt es zum Einen die »Naiven«, also diejenigen, die glauben, der Iran sei von einer homogenen Masse aus muslimischen Selbstmordattentätern bevölkert. Sie kennen die Bilder von schwarz verhüllten Frauen, die eine menschliche Kette um die Atomanlagen des Landes bilden. Bilder vom Freitagsgebet in der Hauptstadt Teheran, von Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen. Und die immer wieder Aufsehen erregenden Sprüche von Präsident Ahmadinedschad, der von den Medien bereits als »gefährlichster Mann der Welt« tituliert wurde. Zu Recht?
Auf keinen Fall! meint die andere Fraktion meiner Gesprächspartner. Ich nenne sie die »Aufgeklärten«. Sie halten die markigen Sprüche des Staatspräsidenten für eine Randerscheinung, die nicht repräsentativ für die Überzeugung der Bevölkerung gelten könne. Die Aufgeklärten neigen dazu, die Iraner als ein von bösen Ajatollahs unterdrücktes Volk anzusehen. Kennt man nicht die Berichte über iranische Jugendliche, die die Mullahs an der Nase herum führen? Teenager, die in den Parks heimlich Händchen halten oder mitten im Gottesstaat wilde Partys feiern? Junge Frauen, die sich die Nase operieren, um trotz Schleier die Männer zu verführen? Die Schlussfolgerung liegt für sie auf der Hand: Eigentlich, so meinen sie, haben die Iraner mit Religion gar nichts im Sinn. Sie leben lediglich in einer religiösen Diktatur, die ihnen absurde Gesetze aufzwingt - im Prinzip aber von allen abgelehnt wird. Diese Sicht auf den Iran war im Westen besonders zu Zeiten des Reform-Präsidenten Chatami populär.
Beide Fraktionen irren. Denn jede verkürzte Sichtweise führt nur zu einem weiteren Zerrbild von dem Land, das wir aus der Ferne wie durch einen Schleier wahrnehmen. In Wirklichkeit ist der weder schwarz noch weiß, und seine Bevölkerung ist weder gut noch böse, weder unterdrückt noch demokratisch. In der Islamischen Republik gibt es immer beides, sowohl das Extrem und sein genaues Gegenteil: Religiöse Hardliner und Säkulare; Traditionalisten und Modernisierer, Regimetreue und Demokraten. Und vor allem viele, viele Menschen, die sich nicht mit einem Etikette dieser Art versehen lassen. Sie alle existieren im so genannten Gottesstaat nebeneinander und für jede Strömung lässt sich in nächster Nähe auch ihr Antagonist finden.
Wer auch immer versucht, dieses facettenreiche Land mit seiner uralten Kultur auf eine einfache Formel zu reduzieren, muss zwangsläufig scheitern. Denn die Faszination des Iran besteht in seiner Heterogenität, seiner Vielschichtigkeit, seiner kulturellen Tiefe. Das Land ist ein buntes Mosaik an Merkwürdigkeiten, die auf den ersten Blick paradox erscheinen mögen. Für jedes Phänomen gibt es mindestens zwei oder drei manchmal widersprüchliche Erklärungen.
Wer die Schleier, die das Land umgeben, lüften will, muss zunächst einen Blick auf die Geschichte Irans werfen: Jene 2500-jährige Geschichte, in denen die Perser zwei Mal ein ganzes Weltreich dominierten. Erst das der Achämeniden, den Gegenspielern der Römer, dann das der Sassaniden. Nach der Eroberung durch die Muslime prägte vor allem das Konkurrenzverhältnis zu den Arabern die Selbstdefinition der Perser. Dass die beiden Kulturkreise von den Europäern oft in einen Topf geworfen werden, ärgert die Iraner.
Erst im zwanzigsten Jahrhundert entstand der iranische Nationalstaat, der einen gemeinsamen politischen Überbau für die verschiedenen Volksgruppen des persischen Kulturkreises schuf, mit einem despotischen Herrscher an der Spitze. Der korrupte Monarch und öldurstige Industriestaaten lenkten die Geschicke des Iran mit dem Ziel, sich selbst zu bereichern. Das Resultat dieser Fehlentwicklung ist die iranische Revolution von 1979: die Islamische Revolution, die einen religiösen »Führer« an die Spitze des Staates katapultierte, der bis heute fast unumschränkte Machtbefugnisse genießt.
Wie konnte es dazu kommen? fragt man sich heute und gerät mit dem zweiten Eckpfeiler der persischen Kultur in Berührung: der Religion. Sowohl mit dem alten zoroastischen Glauben, der in Form von Überlieferungen, alten Traditionen, Riten und Denkweisen bis heute eine Rolle spielt, als auch mit dem Islam, den die arabischen Eroberer mit sich brachten. Bereits 500 Jahre vor Chomeini wurde der schiitische Islam unter den Safawiden zur Staatsreligion erhoben. Allerdings lebten im damaligen wie im heutigen »Gottesstaat« immer auch Angehörige anderer Religionen wie Juden und Christen.
Eine weitere Orientierungsgröße zum kulturellen Verständnis des Landes bildet seine literarische Tradition. Seit mehr als tausend Jahren bereichern die Perser die Weltliteratur mit zeitlosen Versen und Geschichten die auch heute noch jedermann im Iran geläufig sind. Es gibt wohl kaum einen persischen Haushalt, in dem das alte Nationalepos Schahnameh oder die Gedichte von Hafis nicht griffbereit stünden. Die Fähigkeit der alten Literaten, ihre eigentliche Botschaft in Bildern und Metaphern zu erzählen, haben sich die Kulturschaffenden Irans bis heute erhalten. Iranische Filmemacher gehören deshalb zu den künstlerisch anspruchsvollsten der Welt.
Ungewollt groß gemacht hat die Islamische Revolution ausgerechnet die Hälfte der iranischen Bevölkerung, die im stereotypen Bild des Westens als brutal unterdrückt gilt: die Frauen. Auch wenn die Gesetze des Landes diese neue, starke Stellung der Frau noch in keinster Weise widerspiegeln, so ist es doch bemerkenswert, dass im Iran eine riesige Anzahl junger Frauen einen akademischen Abschluss besitzt. So groß ist ihr Engagement in Sachen Bildung, dass die Universitäten sogar »Männerquoten« einführten, als sich der Anteil der Studentinnen langsam der Zwei-Drittel-Grenze näherte. Dieses Phänomen gehört zu den Nebeneffekten der strengen Verhüllungspflicht für Frauen, die im Ausland nur allzu oft übersehen werden.
Dieses Buch soll dazu beitragen, nicht im oberflächlichen Bestaunen der augenscheinlichen Merkwürdigkeiten Irans zu verharren. Der kurze Streifzug durch Geschichte und Gegenwart des Landes ist als Blickfelderweiterung gedacht: weg von der Fixierung auf den exotischen, schwarzen Tschador, hin zu einem tiefer gehenden Verständnis. Ich hoffe, dass ich zumindest einige der Schleier, die das Land umgeben, für den Leser lüften kann. In meiner zehnjährigen Reisetätigkeit in die Islamische Republik habe ich die unterschiedlichsten Menschen kennen gelernt: Historiker, Soziologen, Politiker, Oppositionelle, fromme und weniger fromme Jugendliche, Filmemacher, Frauenrechtler, Revolutionswächter, Schüler, Minister und Parlamentarier, konservative und liberale Kleriker, sogar Großajatollahs. Aber keinen einzige Schurken. Ganz im Gegenteil: Auch wenn es im Gottesstaat Menschen gibt, deren Ansichten mir auf den ersten Blick fremd erschienen und deren Meinungen ich vielleicht niemals teilen werde, habe ich es nie bereut, sie nach den Gründen für ihre Andersartigkeit zu fragen. Die Mühe hat sich gelohnt. Denn oft genug verbirgt sich ein kultureller Schatz hinter der schleierhaften Fassade dieses Landes.
1
»ICH BIN IHR SKLAVE«
WER SIND DIE IRANER? EIN VIELVÖLKERSTAAT MIT EINER URALTEN NATIONALKULTUR
Als die iranischen Revolutionsgarden im Frühjahr 2007 eine Gruppe britischer Marine-Soldaten im Schatt-el-Arab entführen, hält die Welt den Atem an: Die internationale Sorge um die Gefangenen ist groß. Schmoren die Briten jetzt in den Kerkern der Mullahs? Werden sie misshandelt, gar gefoltert? Tagelang weiß niemand, wo die Geiseln abgeblieben sind. Dann tauchen im iranischen Staatsfernsehen merkwürdige Videos auf: Eine britische Soldatin, die ihr blondes Haar unter einem schwarzen Kopftuch versteckt hat, überlegt, ob ihr Boot vielleicht aus Versehen in iranisches Gewässer eingedrungen sei. Weitere Aufnahmen zeigen die Soldaten beim Essen des iranischen Nationalgerichts Chelo-Kebab oder beim Tischtennis spielen...
Und während man im Westen noch rätselt, was das alles soll, bereiten die Machthaber im Gottesstaat hinter den Kulissen bereits die nächste Überraschung vor. Nach einer Pressekonferenz erklärt Präsident Mahmud Ahmadinedschad plötzlich, er würde die Seeleute »als Geschenk« an das britische Volk übergeben. Schon schwenken die Kameras auf die 15 »Gäste« der Islamischen Republik, denen man eigens für den Anlass fesche neue Anzüge verpasst hat. Der Staatschef schüttelt ihnen die Hand, erkundigt sich nach ihrer Gesundheit, scherzt noch ein wenig über ihren »Zwangsurlaub« und wünscht ihnen dann eine gute Heimreise. Ein Küsschen zum Abschied hätte gerade noch gefehlt.
Was soll dieses seltsame Gebaren? Was ist das für eine Nation, die sich so sonderbar gegenüber dem Westen verhält? Ein Land, das unberechenbar ist? Ein Volk von Irren gar? Nein. Aber ein Volk, das außerhalb der Zeit lebt, die auf dem Rest des Globus Gültigkeit besitzt.
Die Iraner leben in der Realität einer von ihnen selbst erfundenen Epoche. Nirgendwo sonst auf der Welt gilt das Teheraner Datum. Ihre Jahreszählung setzt beim Auszug des Propheten Mohammed aus Mekka an. Na gut, mag man einwenden, das ist auch in vielen arabischen Ländern der Fall. Aber die Iraner zählen die Jahre nicht, wie bei anderen Muslimen üblich, in Mondjahren, sondern legen das Sonnenjahr zugrunde. Es beginnt mit dem Frühling am 21. März. Und sie haben, um noch eine Eigenheit oben drauf zu setzen, ihre Monate nach den Engeln der Religion Zarathustras benannt. Fast scheint es, als wollten sie mit aller Gewalt ihre Originalität unter Beweis stellen.
Als ob es derer tatsächlich Beweise bedürfte! Seit drei Jahrzehnten schaut die Weltöffentlichkeit mit einer Mischung aus Faszination und Horror auf den islamischen Gottesstaat. Und noch immer können sich die Europäer nicht an den Gedanken gewöhnen, dass das einzigartige politisch-religiöse Staatssystem des Iran mitsamt all seinen Absurditäten und Absonderlichkeiten länger als ein Wimpernschlag der Geschichte Bestand hat.
Dabei ist die Islamische Revolution längst ihren Kinderschuhen entwachsen. Mittlerweile gehören zwei Drittel der iranischen Bevölkerung zu denjenigen, die nie eine andere Wirklichkeit als die des Gottesstaates kennengelernt haben. Und während die Europäer immer noch verständnislos den Kopf schütteln, vergessen sie oft, dass die Iraner auch schon vor der Revolution von 1979 ein eigenartiges und vor allem eigensinniges Volk waren. 2500 Jahre Geschichte haben ihre kulturelle, politische und religiöse Individualität geprägt.
Wer sind die Iraner? »Arier« sagen sie selbst, ohne mit der Wimper zu zucken. Denn nichts anderes als »Land der Arier« bedeutet der alte Name des Landes. Und auch wenn diese Selbstdefinition in deutschen Ohren sonderbar anmutet, ist die von Reza Schah 1935 angeordnete Umbenennung des Landes von »Persien« in »Iran« als eine integrative Geste zu verstehen. Denn während sich der kolonial-geprägte Landesname Persien explizit nur auf die Volksgruppe der Perser bezog, umfasst die uralte Bezeichnung »Iran« alle Volksgruppen. Auch die Kurden oder die arabischen Bewohner der Provinz Khusestan definieren sich als »Iraner«. Zwar pocht jede Volksgruppe auf ihre kulturellen Eigenheiten wie die lokale Sprache oder regionale Traditionen. Generell aber lässt sich sagen, dass die Iraner - trotz ihrer ethnischen Vielfalt - mehr verbindet als trennt. Allen Volksgruppen werden in der Verfassung zudem dieselben Rechte garantiert: »Alle Menschen des Iran, egal welcher ethnischen Gruppe oder welchem Stamm sie angehören, genießen dieselben Rechte«, heißt es in Artikel 19 unmissverständlich.
Die ethnischen Perser machen rund die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie sind in den Provinzen Teheran, Fars, Isfahan und Khorasan beheimatet. Aserbaidschanische Azaris und Türken bilden die zweitstärkste Gruppe. Sie bevölkern den Norden des Landes und stellen rund ein Viertel der Einwohner Irans. Die Kurden haben einen Anteil von etwa acht Prozent an der Gesamtbevölkerung. Zu den zahlenmäßig schwächeren Gruppen gehören Belutschen, Luren, Gilaker, Mazandaraner, Turkmenen, Araber, Sistanis, Bakhtiaris, Brahuis, Armenier, Assyrer und Juden.
In gewisser Weise lässt sich der iranische Vielvölker-Mix mit der Situation in den Vereinigten Staaten vergleichen. Jeder Iraner kann sofort sagen, welcher Volksgruppe die eigenen Eltern oder Großeltern angehören. »Ich bin halb Kurde, halb Lure«, heißt es dann beispielsweise, denn Heiraten zwischen den verschiedenen Volksgruppen sind eine Selbstverständlichkeit. Auch ein gewisser Stolz mag aus den Worten heraus klingen. Aber selbst wenn zu Hause noch Kurdisch oder Lurisch gesprochen wird, stellt deswegen niemand seine Identität als »Iraner« in Zweifel. Viele iranische Staatsbürger beherrschen eine oder mehrere lokale Sprachen und natürlich »Farsi«, die lingua franca, die das gesamte öffentliche Leben beherrscht: In der Politik, allen Amtsstuben und den staatlichen Medien wird das Persische verwendet. Auch im Schulunterricht sowie in der universitären Ausbildung. Selbst in entlegenen Winkeln Irans versteht man diese gemeinsame Sprache. Allerdings senden die regionalen Rundfunkanstalten, beispielsweise in Kurdistan oder Aserbaidschan, auch tagtäglich mehrstündige Programme in den lokalen Sprachen Irans. »Der Gebrauch lokaler ethnischer Sprachen in der Presse und den Massenmedien ist gestattet«, heißt es in Artikel 15 der Verfassung. »Das Unterrichten von ethnischer Literatur im Zusammenhang mit dem Persisch-Unterricht ist ebenfalls erlaubt.«
Das Neben- und Miteinander der verschiedenen Volksgruppen hat eine lange Tradition im Iran. Nicht von ungefähr kommt der Monarchen-Titel »König der Könige«. Die Könige von Isfahan oder Persepolis regierten das Land mit Hilfe vieler regionaler Könige, die in den von ihnen verwalteten Regionen relativ autonom herrschten. Oft gab sich der Souverän damit zufrieden, Steuern von den Königen niederen Ranges einzusammeln, behielt aber keine längerfristige militärische Kontrolle über die entfernten Provinzen. De facto bestand das Perser-Reich bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aus einer Föderation vieler regionaler Imperien mit einem »Chef-Monarchen« an der Spitze.
Erst durch die Verfassung von 1906 wurde das Land zu einem »Nationalstaat« mit einer zentralisierten politischen Struktur. Die Pahlavi-Dynastie förderte den Nationalgedanken nach Kräften. Mittels Propaganda, aber auch mit Gewalt: Reza Schah verschloss die Augen vor der linguistischen Vielfalt Irans, indem er andere Sprachen als das Persische als »lokale Dialekte« abtat. Die nomadische Lebensweise vieler Stämme unterdrückte Reza Schah brutal. Jeden Widerstand ließ er militärisch niederschlagen. Auch Schulen und Massenmedien wurden in den Dienst der von ihm gewünschten »Iranisierung« gestellt. Parallel zu den drakonischen Maßnahmen trieb der lokale und ethnisch definierte Nationalismus in dieser Zeit erste Blüten, insbesondere in Aserbaidschan und in Kurdistan.
Vereinzelte Ressentiments gegen die Zentralregierung resultieren noch heute aus dieser Erfahrung. Und obwohl sich die Machthaber in Teheran ethnische Toleranz auf die Fahnen geschrieben haben, gibt es gelegentlich Konflikte zwischen der Hauptstadt und den Provinzen. Beispielsweise als die Teheraner Zeitung »Iran« im Frühjahr 2006 einen Witz veröffentlichte, in dem die Aserbaidschaner als Tölpel dargestellt wurden. Tausende von Provinz-Bewohnern fühlten sich dadurch düpiert. Empört gingen sie auf die Straßen, um gegen den »persischen Chauvinismus« zu demonstrieren. Die Staatsführung nimmt solche Warnungen allerdings sehr ernst. Nichts erscheint den Politikern in Teheran so gefährlich wie die Perspektive, das friedliche Miteinander der iranischen Volksgruppen aufs Spiel zu setzen. Kurzerhand verbot man die fragliche Zeitung.
Zu sporadischen Unruhen kommt es trotzdem. Etwa in den Provinzen Belutschistan und Khusestan, die Heimat der iranischen Araber. Allerdings liegt der Ursprung dieser Konflikte weniger in einer handfesten ethnischen Diskriminierung begründet als in dem generellen Verdacht der Provinzen, dass sie gegenüber dem Kernland das Nachsehen hätten. Hauptsächlich geht es dabei natürlich um die Verteilung finanzieller Ressourcen, die von der Zentralregierung verwaltet werden. So ärgern sich die Menschen im ölreichen Gebiet um Awaz darüber, dass zu wenig vom Profit aus der Ölförderung in die Region zurückfließe - etwa in Form von Infrastruktur-Projekten. Da der Iran jedoch die Hälfte seiner Staatsausgaben aus dem Ölgeschäft bestreitet, verwundert es nicht, dass vergleichsweise wenig Geld am Ort der Förderung bleibt.
Einen Spezialfall stellt das Verhältnis der islamischen Zentralregierung zur Provinz Kurdistan dar, die im vergangenen Jahrhundert zweimal kurzzeitig unabhängig war. Nachdem die Kurden Seite an Seite mit dem Rest der Bevölkerung Irans für die Beseitigung des Schah gekämpft hatten, traten kurz nach der Revolution Meinungsverschiedenheiten auf. Dabei ging es um Ideologie: Die Revolutionäre Kurdistans waren keine frommen Glaubenskrieger, sondern säkular gesinnte Marxisten. Die Idee einer »Islamischen Republik« missfiel ihnen zwar nicht grundlegend. Aber dass in dieser Republik die Zwölfer-Schia als Staatsreligion verankert werden sollte, ging den mehrheitlich sunnitischen Kurden zu weit. Anstatt sich an der Volksabstimmung über die Annahme oder Ablehnung jener »Islamischen Republik« zu beteiligen, setzten sie im April 1979 Wahlurnen in Brand. Es kam zu blutigen Unruhen. Unter der Führung Ajatollah Chomeinis marschierte im Sommer desselben Jahres iranisches Militär nach Kurdistan. Von dem Verfassungsreferendum im Dezember wurden die Kurden ausgeschlossen. Mehrere Jahre lang stand die Region mehr oder weniger unter der Besatzung des nationalen Militärs.
Deshalb ist die Loyalität der Kurden zum politischen System Irans noch heute nicht sonderlich groß. Der Slogan oppositioneller Kurden lautet: »Demokratie für Iran - Autonomie für Kurdistan«. Doch obwohl viele Kurden die Staatsdoktrin der Ajatollahs ablehnen, fühlt sich die Mehrheit von ihnen dem iranischen Volk »verwandtschaftlich« verbunden. Denn die Kurden halten sich für die Ur-Ahnen der Perser. Wie die Iraner glauben sie, von einem »arischen« Volk abzustammen: den Medern. Bevor die Perser vor über 2500 Jahren zum ersten Weltreich der Geschichte aufstiegen, lenkten die Meder die politischen Geschicke der Region. Erst später übernahmen ihre einstigen Vasallen in der alten Meder-Hauptstadt Ekbatana die Regie. »Wo die Kurden sind, da ist Iran«, behauptete schon Kurdenführer Barzani, der Großvater des kurdischen Politikers Masud Barzani, auf die nicht innerhalb des iranischen Staatsgebiets liegenden kurdischen Gebiete anspielend. Dass die iranische Regierung (im Gegensatz zur türkischen) den Kurden auf kultureller Ebene weitgehende Freiräume einräumt, müssen sogar hartgesottene Anhänger der Autonomiebewegung zugeben: »Iran hat nie versucht, die Identität der Kurden zu unterdrücken«, konstatiert der erste kurdische Präsident Iraks, Dschalal Talabani.
Dennoch haben die Spannungen zwischen der Zentralregierung und einzelnen Provinzen in den vergangen Jahren zugenommen. Die Tatsache, dass die irakischen Kurden unter der amerikanischen Besatzung des Landes weitgehende Autonomie-Rechte genießen, hat separatistische Tendenzen stärker werden lassen. Zum Teil wird die Unzufriedenheit vom amerikanischen Geheimdienst CIA wohl auch bewusst geschürt. Der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh berichtete im April 2006 von amerikanischen »Spezialeinheiten«, die mit ethnischen Minderheiten im Iran »arbeiteten«. Darunter die Azaris im Norden, die Kurden im Nordosten und die Beludschen im Süden des Landes. Und der frühere UN-Waffeninspekteur Scott Ritter behauptet, dass die CIA im Norden Irans an der Infrastruktur für eine massive Militärpräsenz bastelte: Aserbaidschanische Zellen, die im Konfliktfall die Bevölkerungsgruppe der Azari mobilisieren sollten, seien für den Einsatz gegen die Teheraner Regierung trainiert worden.
Diese Idee ist nicht neu. Oft genug haben andere Länder versucht, die verschiedenen Volksgruppen Irans gegeneinander auszuspielen. Meistens die unmittelbaren Nachbarn. So streckte die Sowjetunion während der Zeit des Kalten Krieges ihren Arm in die nördlichen Provinzen Aserbaidschan und Kurdistan aus. Ebenso wie Saddam Hussein, als er kurz nach der islamischen Revolution die Provinz Khusestan überfiel - und erwartete, dass die ethnischen Araber zu ihm überlaufen würden. Die Annahme, iranische Araber, Aserbaidschaner oder Kurden würden eine andere Nationalität bevorzugen, stellte sich jedoch stets als Irrtum heraus.
Wer auch immer solche Gedanken hegt, sollte den iranischen Nationalstolz und das - trotz gelegentlicher Spannungen - sehr ausgeprägte Gefühl des kulturellen Zusammenhalts der Iraner nicht unterschätzen. Vor dem Hintergrund des Vielvölker-Staates hat dieser »Nationalismus« im Iran eine ganz andere Qualität als in Europa, denn er steht nicht für den Egoismus eines Volkes im Umgang mit anderen, sondern für das Zusammenleben verschiedener Volksgruppen unter einem gemeinsamen Dach. Insofern ist der iranische Nationalstolz als Bekenntnis zur gemeinsamen Geschichte, zum gemeinsamen Staatsgebilde und zu gemeinsamen kulturellen Werten zu verstehen. Diese Geisteshaltung ist sogar unter den Kurden die Regel.
Die »persische Kultur« ist eben nicht allein die Kultur der Perser, sondern eine in der gesamten Region verwurzelte. Viele Persönlichkeiten, die diese Kultur entscheidend geprägt haben, waren im ethnischen Sinne keine Perser: So stammt der Dichter Baba Taher Oriyan aus Hamadan, der Heimat der Loren, und verfasste auch seine Gedichte in dieser Regionalsprache. Schamseddin Täbrizi, der spirituelle Lehrer des berühmten Mystikers Dschelalladin Rumi, kommt aus Aserbaidschan. Der Dichter Nezami, einer der bedeutendsten Vertreter der mittelalterlichen Literatur Persiens, war ebenfalls Aserbaidschaner. Der Novellist Gholam Hussein Saedi, der unter anderem die Vorlage für Dariush Mehrjuis preisgekrönten Film »Die Kuh« lieferte, ist ein Azari. Der iranische Filmemacher Baham Ghobadi gehört - ethnisch gesehen - zum Volk der Kurden. Und auch viele der historischen Herrscher über das Gebiet des Iran gehörten anderen Volksgruppen als den Persern an. So waren alle Dynastien vor den Pahlavis türkischer Herkunft. In den iranischen Geschichtsbüchern werden Ghaznawiden, Samaniden, Buyyiden oder Kadscharen aber nicht ewa als »Fremdherrschaften« verbucht. Auch Monarchen, die nicht aus dem Kernland Fars stammen, gelten in der nationalen Selbstwahrnehmung als »Iraner«.
Was aber ist es genau, das die »iranische« Kultur auszeichnet? Zwei Elemente sind konstituierend: das vorislamische Erbe und die - überwiegend schiitisch geprägte - islamische Religiosität. Beide Säulen der nationalen Identität sind aus der Selbstdefinition der Iraner nicht wegzudenken. Und beide stehen in ständiger Konkurrenz zueinander! In den vergangenen hundert Jahren wurde beiden wechselweise politische Priorität zugesprochen: Die Monarchen der Pahlavi-Dynastie räumten den vorislamischen Elementen der National-Kultur einen höheren Stellenwert ein; unter der Herrschaft der Ajatollahs dagegen rückte der schiitische Islam in den Mittelpunkt. Beiden Herrschaftssystemen gelang es jedoch nicht, das jeweilsunterrepräsentierteElementgänzlichzuunterdrücken. Weder die Jahrtausende alte Geschichte der Völker Irans noch die islamische Religiosität ließ sich dauerhaft aus der Psyche der Iraner verbannen. Die Identität Irans prägt ein ständiger Wettstreit dieser beiden Rivalen.
Eine solche Dualität ist in einem muslimischen Land einzigartig. Noch dazu in einem Land, dessen Islamisierung bereits 1400 Jahre zurück liegt. In allen anderen Ländern erwies sich der Islam als dominierend - im Iran jedoch bleibt auch die vorislamische Kultur seit Jahrhunderten unverändert einflussreich. Zum einen liegt dies daran, dass die Iraner zum Zeitpunkt ihrer Islamisierung bereits ein sehr komplexes religiöses System besaßen. Zum anderen liegt es in der Integration vorislamischer Elemente in die neue Religion. Denn nicht immer überlebte die alt-iranische Kultur in ihrem ursprünglichen Gewand. Viele Traditionen, Überlieferungen und philosophische Konzepte aus der alten Zeit überdauerten in »islamischer Verkleidung«. Sie wurden oft auf subtile Weise mit den Prämissen der neuen Zeit verwoben. Dies gilt vor allem für die Schia, einer eigenständigen Strömung innerhalb des Islam, die auch als »iranischer Islam« gilt (siehe Kapitel 4). Aber auch in den sunnitischen Mainstream-Islam Bagdads schmuggelten persische Gelehrte in den ersten islamischen Jahrhunderten viele alt-iranische Elemente.
Vollends verschmolz die islamische Religion mit der iranischen Kultur, als die Schia vor mehr als 500 Jahren zur Staatsreligion des safawidischen Perser-Reiches aufstieg. Nachdem Ismail, der Führer eines schiitischen Derwischordens, sich zum Monarchen krönen ließ, verbanden sich religiöse und weltliche Macht wie es schon zu Zeiten vor der Islamisierung in Persien üblich gewesen war. Seitdem ließen sich die iranischen Monarchen ihre Herrschaft vom schiitischen Klerus religiös legitimieren. Das Konzept des Gottkönigtums erlebte eine Neuauflage im islamischen Gewand.
Politische und religiöse Macht dividieren sich erst wieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinander. Der seit 1925 regierende Reza Schah betrachtete den starken Einfluss des Klerus als unzeitgemäß und beschnitt den Mullahs systematisch ihre Privilegien und Kompetenzen. Um einen Nationalstaat nach europäischem Vorbild zu schaffen, förderte er eine oft idealisierende Rückbesinnung auf die vorislamische Kultur und stärkte einen Patriotismus, der sich explizit gegen den Islam richtete. Er diffamierte die Religion sogar als »Verschmutzer« der nationalen Kultur mit arabischen Elementen. Diese Idee war den meisten Iranern suspekt, da sie ihren religiösen Gefühlen entgegenstand. Mit der Behauptung, dass vorislamische Werte den islamischen überlegen seien, konnte sich nur eine winzige Minderheit Königstreuer identifizieren.
Mit anderen Worten: Reza Schah wie auch sein Sohn Mohammed Reza Pahlavi unterschätzten den enormen Einfluss der Schia auf die iranische Psyche. Auch wenn die von ihnen geforderte Rückbesinnung auf ur-iranische Traditionen vielen Iranern aus dem Herzen sprach, verschreckten sie die Leute mit ihrem übertrieben anti-religiösen Gebaren. Mit überzogenen Ideen wie die Einführung eines »königlichen Kalenders«, dessen Jahreszählung mit der Gründung der ersten iranischen Dynastie durch Kurosh dem Großen beginnen sollte, zogen sie den Spott der Bevölkerung auf sich. Zudem schadete es der nationalen Bewegung, dass ein despotischer Herrscher an ihrer Spitze stand. Die spätere Überbewertung der Religion lässt sich als Protest gegen diese Politik des Schahs verstehen. Viele Iraner schlossen sich vor allem aus Unzufriedenheit mit dem Schah-Regime oppositionellen religiösen Strömungen an - und nicht, weil ihnen der vom Schah geförderte Nationalismus nicht behagte.
Nach einer Phase der Entmachtung des Islam, folgte ab den 60er-Jahren die klerikale Revolte - und 1979 die Restauration. Mit dem Sturz des Schah annektierte die schiitische Geistlichkeit schließlich vollends die politische Macht. In der Präambel der Verfassung stellt sich die Islamische Republik als krönendes Ergebnis eines Jahrhunderte andauernden Kampfes gegen Despotie dar. Frühere Unabhängigkeitsbewegungen seien gescheitert, so heißt es, weil ihnen das islamische Fundament gefehlt habe.
Mit ihrer Überbetonung des Islam und dem damit einhergehenden Ausblenden der vorislamischen Kultur begingen die Mullahs anfangs denselben Fehler wie ihr Kontrahent, der Schah: Sie unterschätzten den kulturellen Rivalen. So versuchte die religiöse Staatsführung erfolglos, die zoroastischen Namen iranischer Monate zu ändern. Selbst Kinder sollten nicht mehr alt-iranische Namen wie Dariush oder Kurosh bekommen, sondern lieber islamische
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