Der Jasminblütengarten - Elena Conrad - E-Book
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Der Jasminblütengarten E-Book

Elena Conrad

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Beschreibung

Giulia Zeidler und ihre Mutter erhalten die überraschende Nachricht von einer Erbschaft in Italien. Der Großvater vermacht ihnen sein Haus und sein Olivengut in Ligurien. Also reist Giulia von Frankfurt an die ligurische Küste - und ist sogleich verzaubert von der unglaublichen Schönheit der Gegend. Doch die Nachbarn begegnen der deutschen Erbin mit Argwohn. Einzig Marco empfängt sie freundlich. Die Situation in der Villa über dem Meer ist komplizierter, als es scheint ...

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber den AutorTitelImpressumErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes KapitelAchtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes KapitelDreissigstes KapitelEinunddreissigstes KapitelZweiunddreissigstes KapitelDreiunddreissigstes KapitelVierunddreissigstes KapitelEpilog

Über das Buch

Giulia Zeidler und ihre Mutter erhalten die überraschende Nachricht von einer Erbschaft in Italien. Der Großvater vermacht ihnen sein Haus und sein Olivengut in Ligurien. Also reist Giulia von Frankfurt an die ligurische Küste – und ist sogleich verzaubert von der unglaublichen Schönheit der Gegend. Doch die Nachbarn begegnen der deutschen Erbin mit Argwohn. Einzig Marco empfängt sie freundlich. Die Situation in der Villa über dem Meer ist komplizierter, als es scheint …

Über die Autorin

Elena Conrad, geboren 1972 in Frankfurt am Main, lebt mit ihrer Familie im malerischen Nahetal und reist seit über dreißig Jahren regelmäßig an die ligurische Küste, um dort zwischen Bergen und Meer die Seele baumeln zu lassen. Ihr Lieblingsplatz ist eine Bank in der Nähe eines alten Olivenbaums, von der aus sie bis zum Meer blicken kann. Die Inspiration, die sie dort erfährt, findet Eingang in ihre Bücher.

ELENA CONRAD

DERJASMINBLÜTENGARTEN

ROMAN

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

Originalausgabe

  

Dieses Werk wurde vermittelt durch

die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

  

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung: Birgit Gitschier, Augsburg, unter Verwendung von Illustrationen von © shutterstock: Boris Stroujko | Denis Novolodskiy | Lukasz Szwaj | Paladin12 | Fedorov Ivan Sergeevich | AmySachar; © Trevillion Images: Jacqueline Veissid

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-9477-1

www.luebbe.de

www.lesejury.de

ERSTES KAPITEL

Giulia hatte die Autobahn bei Sestri Levante verlassen und fuhr nun über kurvige Landstraßen und durch kleine Dörfer. Durch die geöffneten Fenster ihres Renault Twingo drang ein verführerischer Duft nach Kräutern und sonnenbeschienenen Pinien. Während sie langsam eine weitere malerische Ortschaft passierte, sah sie zwischen Häusern hindurch Menschen in terrassierten Gärten arbeiten. Vor einer Bar saßen ein paar ältere Männer zusammen, redeten und tranken caffè. Vor einigen Fenstern flatterten farbige Bettlaken und Bettbezüge im Wind. Auf einem Sportplatz eilte eine Meute Jungs kreischend einem Ball hinterher, während eine schwarzgekleidete nonna ein Schwätzchen mit Nachbarn führte.

Zwei Stunden zuvor, auf der Höhe von Genua – Genova, wie es doch viel schöner klang –, hatte Giulia erstmals das Gefühl von Urlaub erfasst. Nach einer entspannten Nacht in einer kleinen Herberge in der Nähe von Como war sie an diesem Morgen gut ausgeruht aufgebrochen und inzwischen tief in Ligurien angekommen. »Meer und Berge prägen diesen Landstrich«, so hatte es ihr Vater beschrieben, mare e monti, und das traf tatsächlich zu. Ab Genua jedenfalls hatte Giulia auf ihrer Strecke meist das Meer gesehen, mal näher, mal ferner, und die Berge natürlich, teilweise sogar recht hohe Klippen, größere und kleinere Orte, dazu Tunnel, Tunnel und noch mehr Tunnel.

Sie fuhr an einem Marmorsteinbruch vorbei und kurz darauf an einem Schild, das auf eine Ferienanlage namens La Francesca hinwies, unmittelbar hinter einem Ort, der sich vielversprechend Bonassola nannte. Als endlich Levanto, das Ziel ihrer Reise, auftauchte, ließ Giulia ihr Auto ausrollen und brachte es in einer Kurve oberhalb der Stadt zum Stehen. Sie atmete tief durch, öffnete die Tür und stieg aus. Sofort nahm sie die vielfältigen, zerrissenen Geräusche der kleinen Stadt wahr, die zu ihr aufstiegen: Auto- und Mopedlärm, helle Kinderstimmen und dunklere von Erwachsenen, Musik, Meeresrauschen.

Giulia schloss die Augen und lauschte für einen Moment intensiv, dann ließ sie ihren Blick schweifen. Die zum Ort hin abfallenden Felsen waren an dieser Stelle über und über mit blauen Blumen bewachsen. Der Geruch nach Urlaub stieg ihr erneut in die Nase, dieser verführerische Duft nach Kräutern, warmen Kiefern- und Piniennadeln, gepaart mit dem sich bereits verflüchtigenden Gestank eines Mopeds oder eines dieser motorisierten Dreiräder, die so typisch für Italien waren.

Giulia blickte zum Meer hinüber. Levanto lag in einer großzügigen Bucht, deren glitzerndes Wasser weit hinten mit dem Horizont verschwamm. Dort entdeckte sie größere Schiffe, davor kleinere Boote und in Strandnähe vereinzelt Badende, einen Stand-up-Paddler sowie einige Surfer in Neoprenanzügen, die auf die richtige Welle warteten. Giulia stand einfach da und genoss den Anblick. Es war wirklich wunderschön hier.

Und wie so oft auf der langen Fahrt von Frankfurt hierher wanderten ihre Gedanken wieder zu ihrer Mutter: Das hier war augenscheinlich ein Paradies – warum nur hatte Pina es damals verlassen? Warum war sie nie wieder hierher zurückgekehrt, nicht einmal zu Besuch? Warum hatte sie ihrer Tochter nicht einmal davon erzählt und, nicht zuletzt: Warum hatte sie Giulia die ganzen Jahre verschwiegen, dass ihr Vater – Giulias Großvater – noch lebte? All das würde sie in den kommenden Wochen versuchen herauszufinden.

Entschlossen kehrte Giulia zum Auto zurück. Sie war jetzt bereit für die letzte kurze Strecke des Weges.

ZWEITES KAPITEL

Zwei Tage zuvor

Die Tür zum Büro ihres Vaters im zweiten Stock ihres Elternhauses war wie immer nur angelehnt. Durch den Türspalt konnte Giulia ihn konzentriert über seinen Akten brüten sehen. Er sah immer noch gut aus, mit seinem etwas längeren, immer noch dichten, silbergrauen Haar und dem dunkelblauen, gutsitzenden Anzug. Draußen am Tor war ein Schild mit der Aufschrift »Robert Zeidler, Anwalt für Arbeitsrecht« angebracht, im ersten Stock gab es einen Empfang, den ihre Mutter Pina besetzte. Giulia hatte dort auch schon gearbeitet, das war einer ihrer ersten Jobs gewesen. Seit sie vor vier Jahren den Abschluss in Jura gemacht hatte, unterstützte sie das Team als Anwältin. Dabei war sie sich nach dem Studium zuerst unsicher gewesen, in welchem Bereich es für sie weitergehen sollte, aber ihr Vater hatte ihr die Stelle angeboten, und sie hatte sie schließlich angenommen. Doch, sie hatte durchaus gerne studiert. Manche juristische Bereiche hatten etwas Philosophisches an sich, aber war Anwältin wirklich das Richtige für sie? Darüber hatte sie schon während der Zeit an der Uni häufig nachgedacht, den Gedanken jedoch immer beiseitegeschoben. Sie hatte nicht schlecht abgeschnitten, sowohl beim Ersten als auch beim Zweiten Staatsexamen, die Zweifel aber waren geblieben. Hatte sie vielleicht nur Jura studiert, weil man das in ihrer Familie seit Generationen so machte? Ihr Vater hatte die Kanzlei von seinem Vater übernommen, der sie bereits von seinem Vater übernommen hatte, und sie würde sie wohl eines Tages von ihrem Vater übernehmen … So war jedenfalls der Plan.

Will ich das? Giulia war sich nicht sicher, wusste zugleich aber nicht, ob sie sich diese Gedanken vielleicht nur machte, weil ihr Vater ihr diesen Freiraum ließ – im Gegensatz zu anderen, die die Gegebenheiten des Lebens einfach akzeptieren mussten. Für Robert Zeidler selbst hatte außer Frage gestanden, dass er die Kanzlei eines Tages übernehmen würde, die Hörner hatte er sich eben vorher abgestoßen. Dazu gehörte auch, dass er eine Italienerin geheiratet hatte und nicht ein Mädchen aus der Frankfurter Gesellschaft, wie es eigentlich vorgesehen gewesen war. Das hatte zwar in der Familie zu kurzem Knarzen im Gebälk geführt, war dann aber akzeptiert worden. Schließlich rühmten die Zeidlers sich ihrer Offenheit und Toleranz.

Und was ist meine Art, aus der Reihe zu tanzen? Die Antwort war einfach: das Kochen. Vor etwa einem Jahr hatte Giulia damit begonnen, abends immer anspruchsvollere Gerichte zuzubereiten, und bald war es sogar zum Grund dafür geworden, dass sie das Büro stets pünktlich verließ, auch wenn nicht alle Arbeiten abgeschlossen waren – ganz anders als ihr Vater, der so etwas nie tun würde.

»Das Kochen muss dein italienischer Anteil sein«, scherzte er gelegentlich und nahm es ihr dennoch nicht übel.

Wie er auf ihr heutiges Anliegen reagieren würde, wusste Giulia allerdings nicht. Sie atmete tief durch und klopfte endlich an die Tür.

»Herein.« Ihr Vater hob den Kopf. »Ach du bist es, Giulia. Was gibt’s?«

Giulia zog die Tür hinter sich zu, blieb dann aber unschlüssig stehen. Ihr Vater hob auffordernd eine Augenbraue, und Giulia gab sich einen Ruck: »Ich wollte mal fragen, wie dringend ich hier in den nächsten vielleicht zwei bis vier Wochen gebraucht werde?«

Roberts Miene spiegelte seine Überraschung. »Warum fragst du?«

»Wegen des Schreibens an Mama, das gestern kam. Davon hat sie dir doch sicher erzählt?«

»Nein.« Robert lehnte sich in seinem weich gepolsterten Drehledersessel zurück. Der Stuhl wippte leicht mit seinen Bewegungen.

Giulia musterte ihn. Falls ihr Vater verblüfft war, dass seine Frau ihn nicht informiert hatte, so hielt er damit gut hinter dem Berg und zeigte das Pokerface, für das Giulia ihn schon bei verschiedenen Gelegenheiten bewundert hatte. Jetzt allerdings war sie darüber eher beunruhigt.

»Sie wird es dir bestimmt heute Abend erzählen, wahrscheinlich ist sie einfach noch nicht dazu gekommen«, hörte sie sich wie zur Rechtfertigung sagen.

»Was denn?«

»Sie hat ein Haus geerbt.« Giulia ließ ihn nicht aus den Augen.

»Wirklich?«

Zeigte sich jetzt doch eine Regung in Vaters Gesicht?

Doch Robert bohrte zu Giulias Verwunderung nicht weiter nach. Er beugte sich in seinem Stuhl nach vorne und stützte die Arme auf den Tisch. »Und was hat das mit dir zu tun?«

Giulia kam es mit einem Mal so vor, als mustere er sie auffallend wachsam.

»Viel. Alles …« Sie holte tief Luft, während die Aufregung in ihr hochbrodelte. »Es steht bei Levanto, ihr Vater … hat es ihr vererbt, sie …« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich meine, Papa, entschuldige, aber der Mann war mein Großvater! Und bis gestern wusste ich nichts von ihm. Ich hatte einen Großvater! In Italien!«

Das Pokerface, über das Robert für einen kurzen Moment die Kontrolle verloren hatte, war zurück, und er hatte sich wieder zurückgelehnt. Giulia spürte Fassungslosigkeit, vielleicht sogar etwas wie Wut, die sie nur mühsam in Schach hielt. Wusstest du davon? Wie kann es sein, dass ihr ihn mir all die Jahre verschwiegen habt? Warum hat Mama nie erzählt, dass sie noch Familie in Italien hat? Ich dachte immer, sie sei Waise! Und ihrer großen Liebe, dem jungen deutschen Juristen Robert Zeidler, nach Frankfurt gefolgt, wo sie ihn dann sehr schnell geheiratet hat … Und dass sie eben nichts mit ihrer Heimat zu tun haben wollte, weil sie deren Verlust und den Verlust ihrer Familie sonst nicht hätte verwinden können … Das war doch auch der Grund, warum sie nie Italienisch mit mir gesprochen hat. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ihr aus Italien nur die Küche geblieben ist. Und jetzt erfahre ich, dass das gar nicht stimmt! Was wusstest du, Papa? Kanntest du meinen Großvater? Warst du jemals in Levanto?

Sie wollte diese Fragen stellen und schluckte sie dann doch hinunter, wie so oft in ihrem Leben. Wie sollte sie ein Thema angehen, über das offenkundig schon so lange geschwiegen worden war? Ihre Eltern waren fürsorglich und freundlich, aber es wurde in ihrer Familie auch nie sehr emotional. Sie räusperte sich.

»Gestern kam jedenfalls ein Schreiben, das ich zufällig entdeckt habe und in dem steht, dass ihr Vater ihr ein Haus vererbt hat. Bei Levanto.«

Der Brief hatte auf dem Tisch gelegen, als ihre Mutter kurz ans Telefon gegangen war. Giulia hatte ein paar Zeilen entziffert, eher als Übung, und dann …

»Ich habe den Ort gegoogelt. Ich war echt überrascht, wie schön es dort aussieht, und … jetzt bin ich einfach neugierig und möchte hinfahren. Verstehst du das?«

Ihr Vater saß jetzt wieder vornübergebeugt auf seinem Sessel. Er wirkte nachdenklich, fast abwesend, nickte aber schließlich.

»Jedenfalls …«, sagte Giulia. »Ich hatte dieses Jahr noch keinen Urlaub und …«

»Ist das so?« Ihr Vater runzelte die Stirn. »Na ja, es ist ja auch noch früh im Jahr, kaum Ostern.« Er blätterte in seinem Terminkalender. »Ach ja, du hattest die Vorarbeiten für den Fall von Jo Schubert übernommen«, sagte er langsam, bevor er hinzufügte: »Gut, wenn das mit Schubert in Ordnung geht, dann kann er deinen Fall übernehmen, und ich gebe dir …«

»Vier Wochen Urlaub«, platzte Giulia heraus.

»Vier Wochen?« Ihr Vater schaute sie erstaunt an. »Ist das nötig? Das erscheint mir recht viel, so plötzlich.«

»Ja, das mag sein.«

»Nur um ein altes Haus anzusehen?«

Wieder kam es Giulia so vor, als würde er sie aufmerksam mustern. Vielleicht könntest du dir das selbst beantworten, fuhr es ihr durch den Kopf, aber sie schwieg. Irgendwie waren sie beide noch nicht so weit.

»Ich würde mir das alles einfach gerne mal genauer ansehen. Alles kennenlernen. Vor Ort. Verstehst du? Außerdem sah die Gegend wirklich wunderschön aus.«

Ihr Vater genehmigte ihren Urlaub letztlich, und auch wenn Giulia sich eigentlich wünschte, sich inhaltlich mit ihm über das Thema austauschen zu können, war sie zufrieden. Für den Rest des Arbeitstages fiel es ihr äußerst schwer, sich zu konzentrieren. Sie besprach sich mit Jo Schubert und schloss dann ihre eigenen Projekte so weit ab, wie es zum jetzigen Zeitpunkt möglich war. Sie räumte ihren Schreibtisch auf und legte die Akten für ihre Vertretung bereit. Dann machte sie Feierabend.

Im Treppenhaus begegnete sie Schubert nochmal. Der rotblonde Riese lächelte sie jovial an: »Na, kommst du heute mal wieder mit? Als Urlaubsbeginn, sozusagen? Kira und ich zischen ein paar Bierchen, bevor es in die Heia geht.«

Giulia schüttelte den Kopf. Sie war lange nicht mehr bei diesen Abenden dabei gewesen, an denen es um Spaß, Freizeit und Juristisches ging. Klinkte sie sich aus? Sie mochte Jo und Kira, aber der Rest interessierte sie nicht.

»Schade.«

»Ja, schade.«

»Vielleicht irgendwann mal wieder? War doch immer lustig.«

»Ja, klar. Ich muss jetzt los. Bis dann.«

»Bis denne.«

Anstatt die U-Bahn zu nehmen, entschied sie sich, frische Luft zu schnappen und zu Fuß nach Hause zu gehen. Ihr Weg führte sie über die Zeil, in eine Feinkostabteilung und schließlich zu Hugendubel, wo sie sich bei den Reiseführern umsah. Gerade als sie das Regal mit den Italienbänden durchforstete, klingelte ihr Handy.

»Giulia?« Die Stimme am anderen Ende war nur undeutlich zu hören. Es raschelte und knackte, dann wurde der Ton plötzlich klarer: »Hallo?«

»Wer ist denn da?«, fragte Giulia, während sie mit der freien Hand einen Reiseführer aus dem Regal zog. Sie betrachtete zuerst das Cover und dann die Rückseite, konnte das Buch aber wegen des Handys in der anderen Hand nicht aufschlagen.

»Wer ist denn da?«, fragte sie erneut.

»Ich bin’s, Trixi. Erkennst du mich nicht?« Ein dunkles Lachen war zu hören.

»Doch, natürlich. Hey, Trixi!«

Und in diesem Moment wusste Giulia, dass sie ihre älteste Freundin heute unbedingt treffen musste.

»Wow«, sagte Trixi, als sie einige Zeit später in Giulias kleinem, feinem Wohnzimmer saßen, das Robert seiner Tochter zum Ersten Staatsexamen ausgestattet hatte. Zwei kleine, bequeme Leinensofas standen einander gegenüber, auf dem einen saß Trixi, auf dem anderen Giulia, dazwischen befand sich ein niedriger Couchtisch mit Schieferplatte, auf dem zwei Gläser Campari Orange warteten. Trixi hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, sofort vorbeizukommen. Giulia hatte einfache Spaghetti carbonara gezaubert und als Vorspeise Parmaschinken, Melonenstücke und ein paar Oliven gereicht. Nach dem Essen hatten sie sich ins Wohnzimmer zurückgezogen, und jetzt streichelte Trixi sich wohlig den Bauch. »Zuhause hätte es nur langweilige Sachen zu essen gegeben«, sagte sie, »dabei war das hier eigentlich auch gar nicht so super kompliziert, oder?«

»Nein. In Italien gibt es die sogenannte cucina povera«, gab Giulia, ebenfalls mit einem zufriedenen Seufzer, zurück.

»Die arme Küche?«, übersetzte Trixi. Sie hatten in der Schule beide den Italienischkurs besucht. Giulia hatte dabei auf die Unterstützung ihrer Mutter gehofft, doch die hatte, nachdem sie Giulia schon nicht zweisprachig erzogen hatte, auch daran kein Interesse gezeigt, sodass Giulia nun zwar passabel Italienisch sprach, aber nicht so gut, wie man hätte erwarten können.

Warum habe ich eigentlich nie hartnäckiger darum gebeten?

Giulia griff nach ihrem Glas und trank einen Schluck. »Cucina povera bezeichnet einerseits die Küche der Armen, andererseits die Küche, die sich durch einfache, frische, aufeinander abgestimmte Zutaten auszeichnet, sich also auf das Wesentliche konzentriert. Ohne Chichi eben«, erklärte sie dann.

»Aha.« Trixi hob ihr Glas. »Auf die cucina povera!«

Sie trank einen großen Schluck. Giulia musste mit einem Mal an ihre erste gemeinsame Jura-Vorlesung denken, direkt nach dem Abitur. Trixi hatte nach dem ersten Semester abgebrochen und war zu Soziologie gewechselt. Trotzdem waren sie in Kontakt geblieben. Trixi war schon immer Giulias bunter Anker gewesen in ihrer Welt, die sich doch in hohem Maß durch Gleichförmigkeit auszeichnete.

Jetzt stellte ihre beste Freundin ihr Glas ab und brachte ihre Beine in einen yogaartigen Schneidersitz. »So, jetzt nochmal in Ruhe für mich, nur um es korrekt zu verstehen und weil ich es vielleicht irgendwie immer noch nicht glauben kann: Was genau ist passiert, und was hast du vor?«

Auch Giulia zog die Beine auf die Couch und zupfte dann für einen Moment an der leichten Kaschmirdecke herum, die ihre Mutter ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Stil hatte Giuseppina Zeidler, genannt Pina, Stil hatte sie wirklich. »Das habe ich doch schon gesagt: Mama hat ein Haus geerbt. Von ihrem Vater. In Italien.«

Giulia dachte wieder an den Tag zuvor, als sie zur Pause aus dem Büro gekommen war und den Brief neben dem dicken Umschlag aus Italien auf dem Tisch im Essbereich gesehen hatte. Wie ihr Blick darauf gefallen war und sie reflexartig ein paar Zeilen gelesen hatte. Ihre Mutter hatte ihres Wissens noch nie Post aus Italien bekommen, das hatte sie natürlich neugierig gemacht.

In der Küche hatte die Mutter derweil mit Geschirr geklappert, während sie eine Kleinigkeit zum Mittag zubereitete. Pina war eine wirklich begnadete Köchin, und jede noch so kleine ihrer Leckereien war den Aufwand einer Mittagspause, die man nicht Möhren knabbernd am Schreibtisch zubrachte, wert. Dann klingelte das Telefon, und Giulia hörte ihre Mutter gleich darauf im Flur sprechen. Und da überflog sie das Schreiben dann doch ganz. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihre Mutter das Telefonat beendete. Giulia überlegte und entschied sich dann, nachzufragen.

»Hast du geerbt, Mama?«, rief sie in die Küche hinüber.

»Was?« Pina steckte den Kopf um die Ecke, und Giulia wiederholte ihre Frage. Ihre Mutter verlor kein Wort darüber, dass Giulia offenbar ihre Post las.

»Geerbt?«, fragte sie nur, während sie im Türrahmen auftauchte, die Bändel ihrer schwarzen Schürze zweifach um ihre schmale Taille geführt, den Kochlöffel in der rechten Hand, um dann sehr plötzlich »Ach, ja« zu sagen. Nur »Ach, ja«.

»Ach, ja, was?«, hakte Giulia perplex nach.

»Mein Vater hat mir etwas vererbt.«

»Der Mann, der laut diesem Schreiben vor Monaten gestorben ist, ist dein Vater?« Giulia hörte die Fassungslosigkeit in ihrer eigenen Stimme. Nun, jeder Mensch hatte Eltern, aber der Punkt war, sie war davon ausgegangen, dass die ihrer Mutter nicht mehr lebten. Doch noch bevor sie weitere Fragen stellen konnte, verschwand Pina einfach wieder in der Küche und tauchte wenig später mit einem würzigen Tomaten-Brot-Salat auf. Die Tomaten hatte sie im letzten Jahr eingelegt. Sie stammten aus ihrem eigenen kleinen Garten, und Pina war immer sehr stolz auf den vollmundigen Geschmack. Irgendetwas an der Haltung ihrer Mutter zeigte Giulia, dass sie nicht über die Sache reden wollte, und deshalb dauerte es etwas, bis Giulia sich durchrang, die nächste Frage zu stellen: »Ich wusste gar nicht, dass du einen Vater hast …?«

»Na ja, jeder hat einen Vater, nicht wahr?«

»Aber du hast nie von ihm gesprochen!«

»Nein.« Mehr sagte ihre Mutter nicht. Giulia kannte sie gut genug, um zu wissen, dass das Thema damit eigentlich beendet war.

»Was hat er dir denn vererbt?«, wagte sie sich dennoch weiter vor, obwohl sie die Antwort aus dem Schreiben kannte.

»Sein Haus. Es war allerdings damals schon ziemlich verfallen. Das wird sich nicht gebessert haben.« Pina zuckte die Achseln und beugte sich dann vor, um den Salat auf den Tellern zu verteilen.

Wann damals?, fragte Giulia sich. »Weiß Papa davon?«, erkundigte sie sich stattdessen laut.

»Von dem Erbe noch nicht, der Brief ist ja gerade erst gekommen. Von dem Haus schon, aber es ist nichts Besonderes. Und es ist meine Sache. Ich werde mich darum kümmern.« Dann wechselte Pina abrupt und noch entschiedener das Thema und erzählte mit fröhlicher Stimme von einem Wellness-Trip, den sie demnächst mit ihrer Freundin unternehmen wollte. »Etwas ganz Besonderes. Ohne Handys. Stell dir das mal vor!«

Giulia wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.

»Schmeckt es?«, fragte Pina.

»Sehr lecker.«

Über das Haus oder gar über ihren Großvater hatten sie nicht weiter gesprochen.

»Jetzt mal ehrlich: Sie hat von ihrem Vater geerbt?«, durchbrach Trixi ihre Gedanken. »Ich wusste gar nicht, dass du mütterlicherseits einen Großvater hast?« Sie lachte. »Also, äh, ich meine, einen, der noch lebt.« Trixi saß mittlerweile sehr aufrecht. Ihr schmaler, muskulöser Körper erinnerte Giulia an eine Sprungfeder, die weißblond gefärbten, kurzen Haare wirkten plötzlich noch stacheliger.

Giulia seufzte. »Das wusste ich ja auch nicht. Ich hab versucht, mit ihr zu reden, aber es ist einfach klar, dass sie das nicht will. Sie hat überhaupt nie etwas von ihrer Familie erzählt, oder von Italien. Sie hat immer nur erzählt, wie sie Papa damals kennengelernt hat, als er in Italien war, als habe damit eine andere Zeitrechnung begonnen. Es klang wie aus dem Aschenputtelmärchen. Liebe auf den ersten Blick zwischen dem deutschen jungen Juristen aus wohlhabender Familie und der jungen Italienerin. Sie ist ihm nach Deutschland gefolgt, seine Familie war erst entsetzt, dann haben sie geheiratet. Es war wirklich nie die Rede von Mamas Familie.« Giulias Stimme wurde leiser.

»Und dieses ominöse Haus liegt also in Italien?«, hakte Trixi nach.

»Ja. Bei Levanto. An der ligurischen Küste.«

»Cool. Ich war mit meinen Eltern mal an der Riviera. Das ist auf der anderen Seite.« Trixi runzelte die Stirn. »Und da willst du jetzt sofort hin?«

»Ja. Das lässt mir seit gestern einfach keine Ruhe, weißt du? Mein Vater hat mir dafür heute vier Wochen Urlaub genehmigt. Ab sofort.«

»Wow! Konnte er dir denn was dazu sagen?«

»Nein. Und ich hab nicht gefragt.«

Trixi zuckte die Schultern. »Wie immer halt. Und deine Mutter kommt mit?«

»Ebenfalls nein! Kein Interesse! Ich hab sie vorhin angerufen, um nochmal mit ihr zu reden, aber sie entzieht sich mir total. Ich weiß nicht, was ich von der Sache halten soll. Ich gehe davon aus, dass sie das Haus unbesehen verkaufen will. Dabei geht es ja nicht nur um das Haus, ich wüsste auch gerne mehr über meinen Großvater und alles andere. Als ich ihr erzählt habe, dass ich hinfahren möchte und mein Vater mir sogar Urlaub bewilligt hat, hat sie kaum was dazu gesagt, außer: ›Ich kann dich nicht davon abhalten, oder?‹. Aber sie gibt mir morgen früh den Schlüssel und die Adresse.«

Trixi beugte sich leicht vor. »Ich finde auch, du solltest schnellstmöglich hin. Besser morgen als übermorgen. Und weißt du was, deshalb helfe ich dir jetzt packen.«

»Jetzt?«

»Ja, warum nicht? Carpe diem, Giulia, carpe diem.«

Zusammen mit Trixi war das Packen schnell erledigt. Innerhalb einer Stunde war der Koffer gut gefüllt mit T-Shirts, kurzen und langen Hosen und einigen leichten Kleidern, die sich gut verstauen ließen. Unter Trixis amüsiertem Blick füllte Giulia noch einen kleineren Koffer mit Schuhen. Nachdem sie im Bad die Kosmetika zusammengepackt und nur das Nötigste für die Nacht und den nächsten Morgen hatte stehen lassen, hielt Giulia sich noch einmal nachdenklich ein kräftiges rotes T-Shirt mit einem V-Ausschnitt an, das, wie Trixi bestätigte, einfach perfekt zu ihren dunkelbraunen Haaren und ihrem immer leicht getönten Teint passte. Nicht zum ersten Mal fiel Giulia auf, dass sie ihrer Mutter mit zunehmendem Alter immer ähnlicher sah. Sie hatten beide diese dunklen, leicht gewellten Haare und braune Augen. Ihre Gesichter waren oval, aber eher schmal. Als Jugendliche hatte Giulia ihren Mund etwas zu voll gefunden, sich aber inzwischen damit arrangiert. Ihre Augenbrauen waren, dem Bild der gängigen Frauenzeitschriften nach zu urteilen, nahezu perfekt.

»Finde ich gut«, sagte Trixi, »so wird das was.«

DRITTES KAPITEL

Den Weg zum Haus wies lediglich ein schlichtes Holzschild, dessen schnörkelige Beschriftung Giulia allerdings sofort ins Auge sprang. Casa di Gelsomino. Jasminhaus, übersetzte sie zögerlich.

Bis hierher war sie eine zunehmend kurvigere und engere Straße gefahren, rechts und links gesäumt von terrassierten Feldern. Hier und da wuchsen Kiefern in den Himmel, von denen einige offensichtlich unter starkem Schädlingsbefall litten. Giulia war immer langsamer gefahren, hatte einmal sogar gedacht, sich verfahren zu haben, als sie so dicht an einem Haus vorbeimanövrieren musste, dass sie sicher gewesen war, sich auf Privatgelände zu befinden. Und gerade als sie dachte, die Einfahrt verpasst zu haben, tauchte das Schild endlich auf.

Kurz hinter der Einmündung wurde die asphaltierte Straße zu einem unebenen Waldweg, auf dem sich der Twingo nun langsam und sanft schaukelnd voranbewegte. Es war keine weite Strecke, aber es dauerte knappe zehn Minuten, bis der Waldweg sich zu einem größeren Platz hin öffnete, der rechts und links von Mandel-, Orangen- und Olivenbäumen sowie zahlreichen Jasminsträuchern gesäumt war. Es war noch viel beeindruckender, als Giulia sich das vorgestellt hatte. Im Schritttempo fuhr sie auf eine etwa zwei Meter hohe Steinmauer zu, in der ein deutlich in die Jahre gekommenes, weit geöffnetes Gittertor prangte. Giulia lenkte den Wagen hindurch, und im nächsten Moment rutschte ihr vor Überraschung der Fuß von der Kupplung. Der Twingo jaulte auf, machte einen Hüpfer und ging stotternd aus. Die Hand noch am Lenkrad blieb Giulia für einen Moment reglos sitzen, dann öffnete sie die Tür und stieg aus.

Sie befand sich in einem großzügigen Hof, dessen Boden gepflastert war, auch wenn die Steine teilweise herausgebrochen waren und Gras und anderer Pflanzenbewuchs üppig hervordrängten. Auch hier stand ein Mandelbaum. Am beeindruckendsten aber war das Haus selbst – nein, die in einem warmen, satten Gelbton gestrichene Villa, die zweistöckig vor ihr aufragte. Zum Haupteingang führten drei ausgetretene Steinstufen hinauf, gesäumt von weiteren Jasminsträuchern, deren feinen Duft Giulia jetzt deutlich wahrnahm. Die dunkle, geschnitzte Holztür war geschlossen. Giulia dachte an den großen Messingschlüssel, der im Handschuhfach auf sie wartete. Sie hatte ihn unmittelbar vor ihrer Abreise früh am Morgen bei ihrer Mutter abgeholt. Pina hatte ihn ihr wortkarg ausgehändigt, zusammen mit der Adresse. Giulia hatte vergeblich auf weitere aufschlussreiche Informationen gehofft, doch mehr als »Gute Reise, komm gesund wieder«, hatte ihre Mutter nicht über die Lippen gebracht.

In diesem Haus hatte ihre Mutter also einmal gelebt. Über der Tür befand sich ein Türsturz, auf dem seinerzeit wohl etwas eingemeißelt gewesen war, was Giulia aber heute nicht mehr entziffern konnte. Ihr Blick wanderte die Fassade hinauf. Hier und da blätterte Farbe ab, was dem Ganzen durchaus einen gewissen Charme gab. Zwei Stockwerke, dazu eine Art Dachgeschoss, dort waren die Fenster aber eher klein und teilweise kaputt. Während Giulia nach oben starrte, flog eine Taube durch eines der Löcher hinaus. Wie es wohl drinnen aussah? Vielleicht würde sie sich ja doch ein Hotel suchen müssen.

Neugierig schaute sie sich um. Rechts vom Hauptgebäude befand sich ein kleineres Haus, dazwischen führte eine Treppe nach unten, vermutlich eine Art Kellereingang. Am Gebäude vorbei ging ein Weg nach hinten. Giulia lauschte: Nichts war zu hören als das leise Summen von Insekten, fernes Hühnergackern und ein leichter Wind, der durch das Geäst fuhr. Irgendwo plätscherte Wasser. Sie atmete tief durch, während die Gedanken in ihrem Kopf weiter kreisten. Bei diesem Anblick verstand sie noch weniger, warum Pina nie von diesem Haus erzählt hatte. Diese charmante Villa war doch nichts, was man verschweigen oder gar vergessen musste? Und wenn doch, was sagte das womöglich über ihren Großvater aus? Warum wollte ihre Mutter nichts mit ihm zu tun haben? War er ein fürchterlicher Tyrann gewesen, der ihr alles verboten hatte und vor dem sie weggelaufen war?

Giulia beschloss, ihre Koffer und den Rucksack im Auto zu lassen und sich erst einmal umzusehen. Sie kramte den schweren Schlüssel hervor und stieg neugierig die Stufen zum Haupteingang hoch. Als sie probehalber die schwere Messingklinke betätigte, bemerkte sie überrascht, dass die Tür unverschlossen war. Giulia schob sie langsam auf.

In der Halle, die sich dahinter auftat, war es dämmrig. Licht fiel nur durch zwei schmale, verstaubte Fenster rechts und links der Tür hinein. Giulia fand den Lichtschalter und drückte darauf, doch nichts geschah. Gut möglich, dass man die Sicherungen herausgedreht hatte, sie würde sich später darum kümmern.

Giulia ließ ihren Blick durch die Halle gleiten, von der mehrere Türen abgingen. Eine breite Treppe führte ins Obergeschoss. Außerdem bemerkte Giulia eine Garderobe mit mehreren Mänteln, Regenmänteln und Gummistiefeln. Hier hatte er also gelebt – ihr Großvater Enzo Martini.

Sie beschloss, zuerst die obere Etage zu erkunden. Langsam und durchaus erwartungsvoll stieg sie die Treppe hinauf und erreichte einen Flur, von dem fünf Türen abgingen. Das erste Zimmer, das sie betrat, war ziemlich verwahrlost. In einem Fensterflügel war das Glas herausgebrochen, und als Giulia es betrat, stob eine Taube unter aufgeregtem Geflatter nach draußen. Mit einem kurzen Schaudern registrierte Giulia den Vogelkot auf dem Boden. Sie trat zurück in den Flur und zog die Tür fest hinter sich zu. Die nächsten beiden Zimmer boten ein ähnliches Bild, es schien fast so, als habe sie schon seit Jahrzehnten niemand mehr betreten. Erst das letzte Zimmer war anders. Dieses Zimmer hatte ihr Großvater ganz offensichtlich benutzt. In einer Ecke stand ein schweres Bett, wie es Ende des 19. Jahrhunderts modern gewesen war, gegenüber ein schwerer, dunkler Schrank. Giulia öffnete ihn und sah drei Anzüge, ordentlich auf Bügel gehängt, einen Stapel Hemden, mehrere Arbeitshosen und Unterwäsche. Auf dem Boden direkt neben dem Schrank standen, auf einer alten Ausgabe des Corriere della Sera, ein paar auf Hochglanz polierte, inzwischen leicht staubige Sonntagsschuhe, und auch wenn ihr Großvater schon seit einer Weile tot war, roch es immer noch nach einem Gemisch von Aftershave und würzigem Honig.

Giulia ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Es war ein ordentliches Zimmer, das einzige ordentliche Zimmer, das sie bisher gefunden hatte. Warum hast du die anderen Zimmer nur so verfallen lassen? Von außen hatte es, bis auf die kaputten Fenster, ja noch einladend ausgesehen, aber drinnen?

Giulia überlegte. Was sollte ihre Familie mit dem Haus anfangen? Hier musste einiges gemacht werden, und vielleicht hatte ihre Mutter recht damit, es verkaufen zu wollen. Wie nannte man so was doch gleich immer: Haus mit Potenzial? Giulia hielt erschrocken inne. Sprach da etwa die kühl abwägende Juristin aus ihr? Energisch schloss sie die Schranktür, durchmaß das Zimmer bis zum Fenster, öffnete es, um etwas frische Luft hereinzulassen – und erstarrte.

Der Ausblick war einfach atemberaubend! Wie konnte irgendetwas auf der Welt nur so schön aussehen?

Die Sonne war mittlerweile tiefer gesunken, und unter ihr breitete sich ein großer Garten voller Oliven-, Orangen- und Mandelbäume aus, dazwischen Jasminsträucher, einige, bereits so früh im Jahr, übersät mit winzigen Blüten, wie schneeige Tupfer zwischen dem Silbergrün der Oliven- und dem dunkleren Grün der Orangen- und Mandelbäume. Es duftete nach Rosmarin, Thymian, vielen anderen Kräutern und natürlich nach Jasmin. Um den Garten herum erstreckte sich terrassiertes Gelände voller Olivenbäume. Das Ende des Gartens konnte Giulia von ihrem Platz aus nicht ausmachen, aber weiter hinten in der Ferne floss das Meer gegen den Horizont, und die sinkende Sonne begann eben, eine goldene Straße auf das Wasser zu malen. Dichter am Haus standen ein paar Pinien, die sich sanft in der leichten Abendbrise hin und her bewegten. Rechter Hand war offenbar ein Nutzgarten angelegt. Direkt unter sich bemerkte Giulia eine großzügige Terrasse mit einem sehr großen Holztisch und Bänken. Jetzt entdeckte sie auch ein paar Hühner, vermutlich die, die sie vorher schon gehört hatte, und eine große, rote Katze, die mit aufgerichtetem Schwanz den Weg entlangstolzierte, als gehöre ihr hier alles, stetig begleitet vom Alarmgezwitscher der Vögel. Für einen sehr langen Moment stand Giulia nur da, atmete tief ein und aus und schaute.

Die nächste Stunde verbrachte Giulia damit, das Schlafzimmer ihres Großvaters auszulüften, ein Bettlaken aufzutreiben und die Matratze damit zu beziehen. Zwischendurch machte sie sich auf die Suche nach einem Bad und wurde rasch im Nebenzimmer fündig. Das Bad war klein, alt, aber sehr sauber und stand damit ebenfalls in seltsamem Kontrast zu den vernachlässigten Räumen auf diesem Stockwerk. Schließlich holte sie ihren Rucksack, den großen und den kleinen Koffer, ihren Schlafsack und ihr Lieblingskissen aus dem Auto – Gott sei Dank hatte sie beides mitgenommen – und brachte alles hinauf. Dann stieg sie die Treppe wieder hinunter, suchte die letzten Picknickreste von der Fahrt zusammen und setzte sich damit auf die Terrasse. Hungrig biss sie in einen Apfel und schaute sich um.

Der Garten war riesig, das hatte sie bereits von oben gesehen. Hier unten war die Menge an Jasmin dicht am Haus allerdings noch überwältigender. Wenn man die Villa von ferne oder sogar vom Garten aus betrachtete, überlegte Giulia, musste es zu manchen Jahreszeiten tatsächlich ein wenig so aussehen, als schwebe das Haus auf wahren Wolken aus duftigem Jasmin – ein Jasminblütengarten.

Als sie mit dem Essen fertig war, war das Licht diffuser, und Giulia bemerkte jetzt doch die Erschöpfung. Der Tag war lang gewesen, und die Fahrt forderte ihren Tribut. Sie würde die Erkundung des restlichen Hauses am nächsten Tag fortsetzen, auch wenn sie neugierig war, und ganz sicher lief ihr nichts davon. Dann würde sie auch nach den Sicherungen suchen müssen und natürlich nach Levanto fahren und sich ein paar Vorräte zulegen. Den unbekannten Weg wollte sie in der Dunkelheit nur ungern zurücklegen, und für heute war sie versorgt.

Sie wusch sich rasch mit leider kaltem Wasser, machte sich bettfertig und las dann noch ein bisschen in ihrem Reiseführer. Bald war es zu dunkel. Dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihren Vater anzurufen, dem sie versprochen hatte, Bescheid zu geben, wenn sie gut angekommen war, auch wenn ihr das in diesem Moment ein bisschen albern erschien. Immerhin war sie dreißig Jahre alt und kein kleines Kind mehr. Sie entschied, ihm eine kurze Nachricht zu schicken.

Während sie im Bett ihres Großvaters lag und an die Decke starrte, dachte sie an die Familienurlaube, die sie häufig ans französische Mittelmeer, nie aber nach Italien geführt hatten. Irgendwie hatten sie es tatsächlich geschafft, die Heimat ihrer Mutter nie zu besuchen. So unglaublich das jetzt schien …

Und doch bin ich jetzt hier. In dieser unglaublichen Gegend. Giulia dachte an den Moment, als sie unmittelbar nach dem ersten Gespräch mit ihrer Mutter aus der Mittagspause ins Büro zurückgekehrt war. Sie hatte pflichtschuldig ihre To-do-Liste abgearbeitet, war gedanklich aber immer wieder abgeschweift. Also hatte sie schließlich den Browser geöffnet und den Ort eingegeben, den sie in dem Schreiben gelesen hatte.

Und das war das erste Mal, dass ich den Atem angehalten habe, weil die Gegend, die ich da sah, so unglaublich schön war.

VIERTES KAPITEL

Am nächsten Morgen wurde Giulia durch die Sonne geweckt, die durch das Fenster mitten in ihr Gesicht strahlte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es erst sechs war. Sie war so früh wach, dass noch der Tau auf den Pflanzen glitzerte, als sie sich in Schlafanzug und Bademantel auf die Fensterbank setzte und wie tags zuvor eine Weile den Ausblick auf den großen Garten und die Olivenbaumterrassen genoss. Frühe Vögel sangen ihre Lieder. Ein Hahn krähte. Giulia hielt Ausschau nach dem Kater, konnte ihn aber nirgends sehen. Das Licht war hell und bläulicher als das rotgoldene Abendlicht. Auf dem Meer war in weiterer Ferne ein einziges großes Schiff zu sehen.

Nachdem sie sich endlich von dem Anblick gelöst hatte, wusch sie sich im Bad und durchwühlte ihre Reisetasche nach frischer Kleidung. Sie wählte Jeans und eine langärmlige Bluse, zu der sie noch eine beigefarbene Jeansjacke und weiße Turnschuhe kombinierte, denn es war etwas kühl. Im Bad versuchte sie, sich in dem kleinen Spiegel zu mustern, bürstete die Haare durch, nahm sie in einem lockeren Dutt zusammen und war zufrieden. Es tat gut, sich einmal nicht beruflich in Schale werfen zu müssen, auch wenn sie sich durchaus gerne schick anzog. Zu guter Letzt trug Giulia noch eine leichte Tagescreme mit Lichtschutzfaktor auf. Fertig.

Sie warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und sprang die Treppenstufen hinunter in die Halle, in der hier und da ein paar Lichtpfützen für Helligkeit sorgten.

Ihr fiel auf, dass ihre Schritte heute Morgen energischer klangen. Vielleicht war sie auch einfach etwas lauter aufgetreten, um sich in der doch ziemlich allumfassenden Stille nicht zu allein zu fühlen. Sie hatte nicht schlecht geschlafen, aber diese Ruhe war sehr gewöhnungsbedürftig. Ob es wohl Nachbarn gab? Und wenn ja, wie weit wohnten die entfernt?

Giulia öffnete die Haustür, um noch mehr frische Luft hereinzulassen, und trat auf die Stufen hinaus. Fernab war Motorenlärm zu hören, ein Auto auf irgendeiner der umliegenden Straßen. Näher gackerten Hühner, vermutlich dieselben, die sie gestern im Garten gesehen hatte. Ihr Großvater hatte sich offenbar Hühner gehalten, sie würde später nach einem Stall suchen. Jetzt brauchte sie erst einmal einen Kaffee und eine Kleinigkeit zu knabbern.

Giulia kehrte in die Halle zurück und wählte die Tür rechts gegenüber der Eingangstür, die wie vermutet in die Küche führte. Der Raum war deutlich größer, als sie erwartet hatte, und einst auf viele Bewohner ausgelegt gewesen. Ein großer, schwerer Holztisch, ähnlich dem auf der Terrasse, stand in dem hallenartigen Raum, darum herum Bänke. Es gab einen großen, schwarzen, gusseisernen Herd und daneben einen neueren Gasherd. Der große Kühlschrank war stumm. Giulia öffnete ihn vorsichtig, auf alles gefasst, doch er war leer. Sie durchstöberte die Schränke und fand einen Espressokocher und sogar etwas Kaffee. Zucker gab es auch, allerdings keine Milch. Was eher ein Glück ist, nach all den Monaten, dachte Giulia schmunzelnd. Sie befüllte den Espressokocher, bekam den Gasherd ans Laufen und stellte den Kocher auf die Flamme. Nach einer Weile begann das Wasser zu kochen, und gleich darauf breitete sich der angenehme Duft von Kaffee verführerisch im Raum aus. Giulia fand eine Tasse, gab großzügig zwei Löffel Zucker und den Kaffee hinein. Vorsichtig setzte sie die Tasse an die Lippen und nahm den ersten Schluck. Ah, tat das gut! Prinzipiell kam sie gut damit zurecht, nichts zu frühstücken, aber ihren Kaffee brauchte sie doch verlässlich jeden Morgen.

Sie leerte die Tasse im Stehen und füllte sie gleich noch einmal. In diesem Moment schob sich der rote Kater, den sie schon am Vortag gesehen hatte, durch einen Fensterspalt und strich wenig später um ihre Beine. Giulia beugte sich zu ihm herunter. »Na, wer bist du denn? Hast du Hunger?«

Sie durchstöberte die unteren Schränke und fand tatsächlich einen großen Sack mit Trockenfutter. Sie gab dem Tier etwas davon und bemerkte im selben Moment einen Katzenkorb links neben dem großen Herd. Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Der Kater sah wohlgenährt aus, auch der Korb war sauber. Woher kam das Katzenfutter, und wer hatte das Tier bisher gefüttert? Konnte es sein, dass hier jemand ab und zu nach dem Rechten schaute? Ihr kamen wieder die Hühner in den Sinn, die sie draußen im Hof gesehen hatte, auch die wurden doch wahrscheinlich versorgt.

Giulia sah sich um, auf der Suche nach weiteren Hinweisen. Direkt neben der Tür, durch die sie gekommen war, bemerkte sie eine Tafel, darauf waren Uhrzeiten, ein paar Namen und Mengenangaben notiert. Um eine Ecke versteckt entdeckte sie zwei weitere Türen. Die eine führte hinaus in den Garten, die andere … Giulia öffnete sie entschlossen und stand in einem Vorratsschrank voll mit Tomatendosen, Sardinen- und Thunfischbüchsen, kleineren Säcken Reis, großen Mengen Olivenöls, dazu Oliven in Gläsern, Packungen mit Keksen und einer Art Zwieback. Erstaunt sah sie sich um, bis plötzlich das laute Klingeln der Türglocke die Stille zerriss. Giulia fuhr heftig zusammen. Wer konnte das sein? Sie atmete tief durch, straffte die Schultern und machte sich auf den Weg zur Haustür.

Das Pärchen, das vor der Tür stand, erinnerte Giulia an das dänische Komikerduo Pat und Patachon. Die Frau war groß und hager und hatte ein scharfes Raubvogelgesicht unter ihrem kurz geschorenen rot gefärbten Haarschopf, der Mann war kleiner und ziemlich rundlich. Giulia schätzte beide auf etwa Mitte fünfzig.

Die Frau hielt einen Korb in der Hand, den sie Giulia jetzt entgegenstreckte. »Prego«, bellte sie heiser.

»Benvenuta«, sagte der Mann an ihrer Seite mit einem herrlichen Bariton.

Giulia nahm überrascht von diesem Willkommensgruß den Korb entgegen, in dem sich ein Brot, eine Salami, ein Stück Käse und offensichtlich selbstgekochte Marmelade befanden. Sie zögerte, dann machte sie eine einladende Bewegung mit der Hand. »Per favore, entrate pure.«

Es waren die ersten italienischen Worte, die sie hier aussprach, und Giulia bedauerte es in diesem Moment einmal mehr, die Sprache nicht besser gelernt zu haben. Doch offenbar war ihre Aufforderung verstanden worden. Mit Pat und Patachon im Schlepptau betrat sie die Eingangshalle, blieb dort jedoch stehen. In welchen Raum sollte sie gehen?

Die Frau nahm ihr die Entscheidung ab. »Bitte, hier entlang.«

Sie steuerten auf die Tür links gegenüber der Eingangstür zu, hinter der sich zu Giulias Erstaunen ein richtiges Männerwohnzimmer befand, mit einer Ledercouch und Ledersesseln, einem Schreibtisch in der Ecke, einer dieser Lampen mit grünem Glasschirm und einem kleineren Couchtisch, auf dem ein Tablett mit Spirituosen und eine Holzschachtel mit Zigarren standen. Auf dem Schreibtisch lagen Unterlagen, im Wandregal dahinter standen Ordner, Ordner und noch mehr Ordner. In die eine Wand war eine moderne Glastür eingelassen, die ein wenig wie ein Fremdkörper wirkte. Auch diese führte auf die Terrasse und in den Garten hinaus. Giulia versuchte kurz, sich ihren Großvater hier vorzustellen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sie wusste einfach rein gar nichts von ihm, hatte bislang nicht einmal ein Bild gesehen. Sie wandte sich wieder ihren Gästen zu.

»Wir wollten nur einmal schauen, wer da gekommen ist«, ergriff die fremde Frau sogleich das Wort.

»Mein Name ist Giulia Zeidler«, erwiderte Giulia, »ich bin Giuseppina Martinis Tochter. Sie ist die Erbin. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Kaffee? Ein Glas Wasser?«

»Nein, vielen Dank. Ich bin Loretta Renzo, und das«, sie deutete auf den Mann, der jetzt zum Schreibtisch ging, »ist mein Mann Fulvio. Ich war die Haushälterin Ihres Großvaters, Fulvio sein Verwalter.« Offenbar war die Frau für das Reden zuständig.

Fulvio betätigte mehrfach den Schalter der Lampe, bevor er in schnellem Italienisch etwas zu Loretta sagte.

»Er wird die Sicherungen hereindrehen«, erklärte sie daraufhin langsamer, an Giulia gewandt. »Sie haben das noch nicht gemacht, nein?«

Giulia schüttelte den Kopf. Wie auch?, schoss es ihr durch den Kopf, ich habe ja noch nicht mal den Sicherungskasten gefunden. Und den Rest des Hauses muss ich mir auch noch ansehen.

Fulvio verschwand. Es dauerte nicht lange, dann leuchtete die Lampe auf dem Tisch.

»Ich wusste gar nicht, dass mein Großvater eine Haushälterin hatte«, hörte Giulia sich sagen. Na ja, ich wusste ja noch nicht mal, dass er existierte. »Setzen wir uns?«, fügte sie dann hinzu.

Loretta schien zunächst ablehnen zu wollen, setzte sich dann aber doch. Sie trug ein dunkles, gouvernantenartiges Kostüm und presste im Sitzen die Knie aneinander, wie Duchess Kate, Englands zukünftige Königin, auf einem Foto in der Gala.

Ihr Mann kam zurück und stellte sich hinter sie.

»Doch, doch. Ich habe vor allem gekocht«, erklärte Loretta, »und dazu die Hühner und den Kater versorgt. Autunno, vielleicht haben Sie ihn gesehen? Im Haus war ich eigentlich nur hier unten in der Halle und in der Küche. In diesem Raum habe ich nur geputzt.« Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. »Im oberen Stockwerk war ich nie. Das ist meine Sache, hat Enzo immer gesagt.«

Giulia nickte. »Dann waren vermutlich auch Sie es, die sich in der Zwischenzeit um die Tiere gekümmert haben. Vielen Dank dafür. Ich freue mich wirklich, dass Sie gekommen sind.« Sie zögerte. »Vielleicht können Sie beide mir ja etwas über meinen Großvater erzählen. Ich weiß nicht viel über ihn. Um genau zu sein, wusste ich bis vor kurzem leider nicht einmal von seiner Existenz.«

Loretta schwieg einen Moment. »Natürlich wissen Sie nicht viel über Ihren Großvater …«, sagte sie dann.

Giulias Magen zog sich unwillkürlich zusammen. War das ein Vorwurf? Sie erwiderte Lorettas Blick. Oh ja, das war ein Vorwurf. Aber sie musste sich kein schlechtes Gewissen machen lassen. Man hatte ihr schließlich nie die Gelegenheit gegeben, etwas über ihren Großvater zu erfahren.

Loretta und Fulvio wechselten einen Blick, den Giulia nicht deuten konnte.

»Ja, ich weiß nicht viel, und das tut mir leid, aber vielleicht können Sie das ja ändern«, sprach sie weiter. »Und mir auch noch etwas über das Haus und ein paar andere Dinge erzählen. Was hat er gemacht, wie hat er seinen Lebensunterhalt bestritten? Es gibt hier Terrassen voller Olivenbäume, aber da ist auch sehr viel Jasmin, wie mir aufgefallen ist.«

»Unsere beiden Standbeine«, bestätigte Loretta knapp, während ihr Mann immer noch schwieg, aber zum ersten Mal zaghaft lächelte. »Was haben Sie mit der Jasminvilla vor?«, fragte Loretta unvermittelt.