Der Käfig - Richard Laymon - E-Book

Der Käfig E-Book

Richard Laymon

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vor langer Zeit war sie eine Herrscherin. Jetzt ist sie nur noch eine vertrocknete Mumie. Bis die Siegel zerbrochen werden, die sie in ihrem Sarkophag gefangenhalten. Die Untote macht sich auf einen blutigen Rachefeldzug durch das heutige Kalifornien.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 572

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die OriginalausgabeAMARAerschien 2002 bei Headline Publishing, London
Copyright © 2002 by Richard Laymon
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München. Published in arrangement with Lennart Sane Agency AB Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-05521-9V003
www.heyne-hardcore.dewww.penguinrandomhouse.de

ZUM BUCH

Im Haus des Sammlers Robert Callahan in Los Angeles befindet sich in einem versiegelten Sarg die Mumie der Pharaonenfrau Amara. Callahan entdeckte in jungen Jahren zufällig ihr Grab in Ägypten und musste schon damals feststellen, dass sie bei Nacht zu Leben erwacht und mordend umherzieht. Als Diebe die Mumie stehlen wollen, fällt der Sarg zu Boden, die magischen Siegel zerbrechen und Amara ist erneut befreit.

Zur selben Zeit wacht der junge Ed aus tiefer Bewusstlosigkeit auf und muss erkennen, dass er sich in einem grauenvollen Alptraum befindet: Er wurde in einem unterirdischen Raum in einen Käfig gesperrt und ist seinen Peinigern hilflos ausgeliefert.

Mordende Mumien, ein Höllenritt aus Sex & Crime und atemlose Spannung: Richard Laymons tabuloser, aberwitziger und gnadenlos überdrehter Horrorthriller ist nichts für schwache Nerven!

ZUM AUTOR

Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und studierte in Kalifornien englische Literatur. Er arbeitete als Lehrer, Bibliothekar und Zeitschriftenredakteur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete und zu einem der bestverkauften Spannungsautoren aller Zeiten wurde. 2001 gestorben, gilt Laymon heute in den USA und Großbritannien als Horror-Kultautor, der von Schriftstellerkollegen wie Stephen King und Dean Koontz hoch geschätzt wird.

LIEFERBARE TITEL

Rache – Die Insel – Das Spiel – Nacht – Das Treffen – Der Keller – Die Show – Die Jagd – Der Regen – Der Ripper – Der Pfahl – Das Inferno – Das Grab – Finster

Inhaltsverzeichnis

ZUM BUCHZUM AUTORLIEFERBARE TITELVORWORTPROLOGKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Copyright

VORWORT

von Dean Koontz

Seit ich auf diesem Planeten weile – ich bin älter als Microsoft Word 5.0, aber jünger als die englische Sprache – war ich in lediglich zwei Verkehrsunfälle verwickelt. Es lag kaum mehr als ein Jahr zwischen ihnen, und die Umstände ähnelten sich auf unheimliche Weise; eigentlich hätte ich keinen von ihnen überleben dürfen – schon gar nicht unversehrt.

Im ersten Fall saß ich mit meiner Frau auf dem Weg zu einem Restaurant in einer großen Limousine und hielt an einer Ampel, als ein Auto von hinten mit (laut Schätzung der Polizei) fast 90 Stundenkilometern ungebremst auf uns auffuhr. Da der Frühling anbrach, hatte ich an diesem Tag gerade Sommerreifen auf die Hinterachse gezogen. Die Winterreifen lagen im Kofferraum, um sie bei Gelegenheit bis zum nächsten Winter in der Garage verstauen zu können. Als wir gerammt wurden, wirkten die Reifen als riesige Stoßdämpfer. Trotzdem wurde die hintere Hälfte der Limousine vollkommen zerknautscht, zu einem halben Meter Schrott zusammengedrückt und gegen unsere Kopfstützen geschoben. Die hinteren Türen falteten sich zusammen wie Akkordeons. Die Vordertüren verbogen und ließen sich nicht mehr öffnen. Der Tank zerplatzte, und Benzin sprühte in den Innenraum. Unglaublicherweise lief der Motor weiter. Ich rechnete mit einer Explosion oder einem Feuer und brauchte ungefähr eine halbe panische Minute, um eine der verbeulten Türen aufzustemmen. Unsere Limousine hatte einen Totalschaden, aber der Wagen, der uns gerammt hatte, war völlig zerstört. Wir dachten, der Fahrer des anderen Autos müsste tot sein, aber zu unserem Erstaunen kletterte er, noch während wir zu ihm eilten, aus seinem zerquetschten Coupé, ebenso unversehrt wie wir. Er stellte sich als sechzehnjähriger Junge heraus, der erst seit einem Monat den Führerschein besaß. Am Morgen eben dieses Tages hatte er sich sein erstes Auto gekauft. Er betrachtete empört das Wrack, sah dann uns an und sagte: »Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen«, als wären wir im Gegensatz zu ihm nur durch die Gegend gefahren, weil wir den kranken Wunsch verspürten, von hinten gerammt und getötet zu werden. Wir hatten an diesem Tag gerade die letzte Rate für den Wagen abgezahlt.

Vierzehn Monate später, nachdem wir fast 5000 Kilometer von Pennsylvania nach Kalifornien gezogen waren, hielten wir auf dem Weg zum Abendessen (unsere Erfahrungen widersprechen aufs Heftigste der allgemein angenommenen Ungefährlichkeit von Restaurantbesuchen) an einer Ampel, als ein Auto von hinten mit (laut Schätzung der Polizei) fast neunzig Stundenkilometern ungebremst auf uns auffuhr. Dieses Mal saßen wir in einem kleinen Sportwagen ohne Rückbank, einem Mercedes 450 SL. Weil der Mercedes ein stabiles und hervorragend konstruiertes Fahrzeug war, zerplatzte weder der Tank noch verbogen die Türen; wir kamen ungeschoren aus dem Wagen. Das Auto, das uns gerammt hatte, eine große Limousine, sah aus wie nach einem Atomwaffenangriff. Wir waren sicher, dass der Insasse tot oder schwer verletzt sein müsste. Schnell liefen wir zur Fahrertür. Das Fenster war zersplittert. Die Tür war verbogen. Die Fahrerin lebte, war aber offensichtlich betrunken. Als wir ihr gut zuredeten, sie solle ruhig bleiben, wir würden sie rausholen, beschimpfte sie uns und sagte genau wie der junge Fahrer vierzehn Monate zuvor in Pennsylvania: »Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. « Ich bekam sie nicht aus dem Auto gezogen, und auch die Polizei, die zwei Minuten später eintraf, hatte Mühe, sie herauszuholen – nicht aufgrund ihrer etwaig schwierigen Lage im Wrack, sondern ihres festen Entschlusses, ihrer Position gegenüber dem Verlassen des Wagens und der anschließenden Alkoholkontrolle den Vorzug zu geben. Genau wie vierzehn Monate zuvor in Pennsylvania hatte Gerda an diesem Morgen die letzte Rate für unseren Wagen bezahlt.

Diese geradezu unheimliche Übereinstimmung in den Details deutet für mich – wie so viele Dinge im Leben – auf eine Welt hin, die nicht immer nach den vorhersehbaren Gesetzmäßigkeiten von Physik und Wahrscheinlichkeit funktioniert, sondern auch und vielleicht genauso häufig unter dem Einfluss geheimnisvoller Kräfte steht; Kräfte mit einem wundervoll komplizierten Sinn für Geschichten und einem Plan, der vielleicht nicht undurchschaubar, aber schwierig zu analysieren und zu begreifen ist. Als wir über die beiden Unfälle nachdachten, überlegten Gerda und ich, was uns diese Erfahrungen lehren könnten. Ich zum Beispiel zog daraus den logischen Schluss, nie mehr an einer Ampel oder einem Stoppschild anzuhalten, sondern unbekümmert die Kreuzung zu überqueren, da man ansonsten zwangsläufig mit einem Auffahrunfall rechnen musste. Im Endeffekt änderten wir jedoch aufgrund dieser Vorfälle nur eine Sache in unserem Leben: Weil wir es uns mittlerweile leisten konnten, nahmen wir nie wieder einen Kredit für einen neuen Wagen auf, sondern bezahlten jedes Auto, das wir anschafften, bar. Zugegeben – jedes Mal, wenn wir ein neues Fahrzeug kauften, wähnten wir uns bis Mitternacht in Gefahr, doch nachdem wir es bis zur Geisterstunde geschafft hatten, war die Anspannung vorüber!

Eines Abends einige Jahre nach dem zweiten Unfall gingen Gerda und ich mit Dick und Ann Laymon zum Essen aus. Wir holten sie mit unserer Blechkiste zu Hause ab und zischten durch die glamouröse Nacht von Los Angeles, die nur so glitzerte vor Filmstars, Autodieben, Filmmogulen und kranken Stricherinnen, Popstars und vor sich hin plappernden, urinbesudelten Pennern (von denen zweifellos einige einmal Popstars waren). Wir hatten in einem Sechzehn-Sterne-Restaurant reserviert, vor dem sich selbst die reichsten Industrietitanen wie Hooligans um einen plötzlich frei werdenden Tisch balgten. Wir waren bestens gelaunt in Erwartung vorzüglichen Essens, edler Weine und der Gelegenheit, Dutzende lustige Anekdoten über Themen wie das Verlagswesen und Zahnarztbesuche auszutauschen. Wir dachten, dass nichts diesen spektakulären Abend verderben könnte – und dann verpasste ich die Autobahnausfahrt.

Eine meiner hervorstechenden Eigenschaften als Fahrer ist es, Ausfahrten zu verpassen, aber nur, wenn ich besonders interessante und redselige Leute chauffiere. Dick und Ann waren bei diesem Anlass so interessant und redselig, dass Gerda schon Valiumspritzen aufzog, um sie zu beruhigen, und ich nehme an, der aufgerollte Socken in ihrer linken Hand war für meinen Mund bestimmt. Jedenfalls beglückte ich Dick und Ann gerade mit der Geschichte unserer beiden beinahe identischen Unfälle, als ich an der Ausfahrt vorbeiraste, und dann an einer weiteren, ehe einem von uns etwas auffiel. Wir kamen überein, dass wir durch einen Autobahnwechsel schließlich schon zurück zur richtigen Ausfahrt finden würden, also wechselte und wechselte ich … und auf Wegen, die uns allen unerklärlich waren, gerieten wir auf etwas, das aussah wie der gesperrte Abschnitt einer unfertigen Autobahn – und kurz darauf auf eine Landstraße in einer so trostlosen und bedrohlichen Gegend, dass sogar die kampferprobten Pitbulls halbautomatische Waffen trugen und die Köpfe gesenkt hielten.

Wir waren vertraut mit dem Wirrwarr von Straßen und Autobahnen, die den nahezu unendlichen Gordischen Knoten bildeten, der die Gliedmaßen und Gedärme dieser riesigen Stadt verband, aber wussten dennoch nicht, wo wir waren und wie wir wieder herausfinden sollten aus dem, was drauf und dran war, sich zu einem Strudel des Grauens zu entwickeln. Gerda hatte die verblüffende und unkonventionelle Idee, eine Karte zurate zu ziehen, als ob das etwas helfen würde. Dick und ich hingegen plädierten für eine nüchterne und vernünftige Herangehensweise: wahllos durch die immer schäbigeren Straßen zu kreuzen, in der Hoffnung, über ein Autobahnschild zu stolpern und einen schnellen Ausweg zu finden, ehe wir alle erschossen, erstochen, erdrosselt, zerstückelt, verbrannt und auf einem teuflischen Altar der schlimmsten aller Bestien geopfert würden. Natürlich sahen wir, da wir beide als Schriftsteller mit einem großzügigen Maß an Fantasie gesegnet waren, hinter jeder Kurve Gefahren lauern, die wir uns aufgeregt gegenseitig schilderten, und malten uns lebhaft eine nahezu endlose Reihe von grausamen Schicksalen aus, die uns sehr wahrscheinlich bevorstünden, ehe wir einen Fluchtweg fanden. Ann entschloss sich aus Gründen, die mein Begriffsvermögen übersteigen, sich vom Rücksitz nach vorn zu beugen und gemeinsam mit Gerda die dämliche Karte zu konsultieren. Jedenfalls folgten wir ein paarmal Gerdas Vorschlägen, die vermutlich auf ihrer außergewöhnlichen weiblichen Intuition beruhten, fanden die Autobahn und erreichten das Restaurant ein wenig verspätet, aber mit heilen Knochen.

Nach einem köstlichen Essen mit einem hervorragenden Cabernet, nach Desserts, die mit noch größerer Wahrscheinlichkeit als jeder Auftritt von Barney dem Dinosaurier ein diabetisches Koma auslösen, und nach vielen äußerst komischen Anekdoten über das Verlagswesen und Zahnarztbesuche verließen wir vier das Restaurant, traten zwischen die sich auf dem Bürgersteig balgenden Industrietitanen und zeigten dem Parkwächter die Quittung für unser Auto. Nachdem ich den Abend damit eingeläutet hatte, von unseren beiden seltsam ähnlichen Unfällen zu erzählen, und anschließend die Laymons in große Gefahr gebracht hatte, schien es nur passend, dass unser Wagen mit einem langen tiefen Kratzer auf der Beifahrerseite vom vorderen Kotflügel bis zum Heck zurückkam – und der Parkwächter, anstatt sich zu entschuldigen, sagte: »Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.«

Dick und ich warfen uns einen Blick zu, und keiner von uns brauchte auszusprechen, was eines der größten Probleme für Romanautoren darstellt – die Tatsache, dass die Realität nicht nur seltsamer als die Fiktion, sondern im Allgemeinen auch lustiger und beunruhigender ist. Um den wahren Duft des Lebens einzufangen, so scheint es mir, muss ein Schriftsteller seine Fantasie nicht in erster Linie durch das Reich des Realismus schweifen lassen, wo man Hemingway antreffen könnte, sondern vor allem durch das Feld der Fantastik. Dick und ich sind völlig unterschiedliche Schriftsteller, aber was ich an seiner Arbeit mag, ist seine Bereitschaft, sich mit Vollgas in die Fantastik zu stürzen – und sie trotz all ihrer Extravaganz so real erscheinen zu lassen wie die Zeitung von morgen. Der Käfig ist so ein Werk. Viel Vergnügen.

Was bedeutet’s, Dass, toter Leichnam, du in vollem Stahl Aufs neu des Mondes Dämmerschein besuchst?

– WILLIAM SHAKESPEARE,Hamlet, Erster Akt, Vierte Szene

PROLOG

Emil Saladat sprang aus dem Führerhaus des Umzugswagens und eilte in die Deckung der Büsche vor der Mauer. Von dort aus beobachtete er, wie Metar zu ihm lief. Der Laster fuhr los, und die Rücklichter verschwanden hinter einer Kurve.

Mit einem Fuß in Metars verschränkten Händen stieß Emil sich hoch. Er umklammerte die Oberkante der Ziegelmauer und schwang sich hinauf.

Es war so einfach.

Dieser Amerikaner machte es einem wirklich leicht.

Keine Glasscherben auf der Mauer. Kein Elektrozaun. Keine bewaffneten Wachen.

Dieser Amerikaner, Callahan, machte es ihm so einfach, dass Emil sich schämen sollte, dafür Geld von seinen Leuten zu nehmen. Er würde trotzdem kassieren, so wie er es immer getan hatte, egal wie simpel der Auftrag war. Ein Mann muss essen. Ein Mann muss hübsche Geschenke für seine Frau kaufen.

Emil griff nach unten, und Metar gab ihm den Rucksack. Er stellte ihn auf der Mauer ab, streckte erneut die Arme aus und zog den kleineren Mann hinauf.

Von seiner erhöhten Position blickte Emil zum Haus. Er konnte es nicht erkennen. Zu viele Bäume standen im Weg. Aber er wusste, dass es sich dort befand. Metar und er hatten ihm erst letzte Woche einen Besuch abgestattet.

Er sprang von der Mauer. Metar warf den Rucksack hinunter und sprang ebenfalls. Emil hielt den Rucksack, damit Metar ihn aufsetzen konnte. Sie wandten sich von der Mauer ab und liefen auf die Bäume zu.

Aus der Dunkelheit kam ihnen ein Dobermann entgegengerannt. Seine Pfoten bewegten sich lautlos über das sommerliche Gras.

Das ist Callahans Sicherheitsmaßnahme?

Es war lächerlich.

Der Hund jaulte und stolperte über seine eigenen Beine, als ein Kaliber-.22-Hohlspitzgeschoss durch seinen Schädel schlug.

Dann stürmten drei weitere Dobermänner aus der Dunkelheit. Emil schoss mit seiner schallgedämpften Automatik und riss dem Leithund ein Vorderbein unter dem Körper weg. Während das Tier strauchelte, sprang der Hund daneben mit gefletschten Zähnen auf Emil zu. Er trat ihm entgegen und ignorierte Metars Schmerzensschrei. Der Hund schnappte zu, seine Zähne klapperten auf dem Schalldämpfer. Emils Zeigefinger zuckte kurz, und er pumpte zwei Kugeln in den Schlund des Hundes. Schnell trat er zur Seite, riss seine Pistole aus der Schnauze des sterbenden Tieres und knallte den Hund ab, den er zuvor am Bein getroffen hatte.

Er wirbelte herum. Metar, der unfähige Trottel, lag am Boden und kämpfte um sein Leben, während der letzte überlebende Dobermann seinen Arm zerfleischte, um an die Kehle zu gelangen.

Emil schoss.

Der Hund jaulte, als die Kugel durch sein Rückgrat schlug.

Dann zuckte er und starb.

Metar wand sich unter dem schweren Körper hervor und stand auf. Er hob seinen blutigen Arm, damit Emil ihn sehen konnte, so wie ein Kind seiner Mutter Mitleid heischend einen aufgeschürften Ellbogen zeigt.

Emil wandte sich angewidert ab. Er lief durch das Pinienwäldchen und sah Callahans Haus hinter einer fünfzig Meter breiten, ordentlich getrimmten Rasenfläche liegen. Flutlicht beleuchtete die Veranda mit den Säulen im Kolonialstil. Aber alle Fenster, die in Emils Blickfeld lagen, waren dunkel. Er hielt sich von der hellen Vorderseite fern, rannte zur linken Seite des Hauses und lehnte sich gegen die Wand.

Metar kam mit einem Taschentuch um seinen verwundeten Unterarm zu ihm gelaufen.

Emil klebte das Fenster mit Isolierband ab. Sein Glasschneider fraß sich in die Scheibe. Er schnitt ein Rechteck aus.

Eine saubere Arbeit. Eine gute Arbeit. Deswegen wurde er von seinen Auftraggebern anständig bezahlt.

Er hielt das Rechteck mit dem Isolierband fest, klopfte das Glas los und zog es heraus. Das ordentlich herausgeschnittene, symmetrische Glasstück reichte er Metar. Dann griff er durch das Loch und entriegelte das Fenster.

Es ließ sich leicht aufschieben.

Geräuschlos.

Emil kletterte hindurch. Wie geplant befand er sich in Callahans Arbeitszimmer. Er setzte sich auf die Kante des Teakholz-Schreibtischs und sah zu, wie Metar ungeschickt durch das Fenster stieg.

Sie gingen durch das Zimmer zur Tür. Emil öffnete sie vorsichtig. Er spähte in den dunklen Flur und bedeutete Metar, ihm zu folgen.

Die Gummisohlen von Metars Schuhen quietschten auf dem Marmorboden. Emil warf seinem jüngeren Kumpan einen scharfen Blick zu. Metar zuckte mit den Schultern, ging in die Hocke und zog sich die Schuhe aus.

Emil leuchtete mit dem Strahl einer kleinen Taschenlampe zur Eingangstür. An der Wand neben der Tür fand er die Gegensprechanlage und die Fernbedienung.

Er drückte den Knopf.

Im Umzugswagen, der in der Nähe parkte, beobachtete Steve Bailey blinzelnd durch eine Wolke von Zigarettenrauch das eiserne Tor. Es begann aufzuschwingen.

Sehr gut.

In zehn Minuten würde die Sache erledigt sein. Er wäre weg von diesem Haus und auf der Autobahn zum Flughafen. Ein paar Stunden später würde er mit Carla zusammen sein. Unmittelbar nach Erledigung eines Auftrags lief es mit ihr immer besonders gut, wenn er in Sicherheit und die Angst verschwunden war und er Geld in der Tasche hatte … viel Geld. Dann wusste sein Schwanz, dass es Zeit war, aus dem Versteck zu kommen und zu feiern.

Steve ließ die Kupplung kommen und rollte durch das offene Tor. Er steuerte die Einfahrt entlang, bog nach links und fuhr über den Rasen zur Veranda.

Mit einem Zischen flackerte der Schweißbrenner auf. Emil beobachtete, wie sein Partner die Flamme auf die Verriegelung der Stahltür richtete. Das Metall warf Blasen und öffnete sich wie die Ränder einer Schnittwunde.

Emil schob sich die Schutzbrille auf die Stirn und ging leise über den Flur ins Foyer. Er blickte die Treppe hinauf.

Vielleicht sollte er hochgehen und Callahan eine Kugel in den Kopf jagen? Dann könnte er seine Arbeit machen, ohne sich um das Auftauchen des Mannes sorgen zu müssen. Aber ein Mord würde das öffentliche Interesse auf den Fall lenken. Und das sollte möglichst vermieden werden.

Solange der alte Mann sich nicht einmischte, würde Emil ihn leben lassen.

Die Flamme wurde abgestellt. Funken sprühten durch die Luft.

Emil ging zurück zur Tür und half Metar, den durchtrennten Türriegel zu entfernen. Während er ihn zur Seite legte, packte Metar den Brenner zurück in den Rucksack und zog sich die Riemen über die Schultern.

Langsam schob Emil die Metalltür auf.

Robert Callahan schlief in seinem Zimmer im Obergeschoss, hörte das leise Summen des Alarms und träumte von Sirenen. Ein Krankenwagen hielt auf einen Haufen zerdrückter Autos zu. Sarah lag auf der Straße, hob ihren blutigen Kopf und rief um Hilfe.

»Da ist sie«, rief der Krankenwagenfahrer.

Robert, der in seinem Traum aus irgendeinem Grund auf dem Beifahrersitz saß, sagte: »Gott sei Dank, sie lebt noch.«

»Das haben wir gleich«, sagte der Fahrer.

Der Krankenwagen raste auf sie zu. Tödlich wie eine Kugel.

»Halt!«

»Sie ist an der Reihe.«

»Nein!«

Sie sah mit flehendem Blick in die Scheinwerfer. Starrte in das Angesicht des Todes.

Robert spürte, wie das Fahrzeug ruckte, als es sie rammte.

Plötzlich war er hellwach. Er schnappte nach Luft und bemerkte, dass es sich bei der Sirene in Wirklichkeit um den Einbruchsalarm aus dem Lautsprecher neben seinem Bett handelte. Jemand war in das Zimmer mit der Sammlung eingedrungen.

Emil trat mit Metar an seiner Seite in den Raum. Er ging dicht an der Wand entlang und ließ den Strahl seiner Lampe über Statuetten aus Gold und Elfenbein wandern, über goldene Halsketten, die schwer mit wertvollen Edelsteinen besetzt waren, über Skarabäen und Broschen und glitzernde Ringe.

Es empörte ihn, derart viele Antiquitäten in der Sammlung eines Privatmanns zu sehen. Mit mehr Zeit hätte er die komplette Sammlung dieses Grabräubers ausgeräumt.

Aber Emil war nur wegen Amara gekommen.

Der schmale Lichtkegel fand eine steinerne Vase, deren Deckel mit dem Schakalkopf des Gottes Anubis dekoriert war. Daneben stand ein ähnliches Gefäß, auf dem ein Falkenkopf thronte. Der Strahl strich schnell über zwei weitere Vasen. Die Kanopen, in denen sich die einbalsamierten Organe Amaras befanden – Herz, Lunge, Nieren. Ihre Gebärmutter. Er musste die Kanopen heute Nacht mitnehmen.

Er schwenkte die Taschenlampe und entdeckte den Sarg.

Es war der hölzerne innere Sarg Amaras. Die äußeren Särge und massiven Steinsarkophage hatten Ägypten niemals verlassen. Die Diebe hatten nur diesen und die Kanopen mitgenommen. Und Amara selbst.

Emil trat dicht an den Sarg und leuchtete auf eine goldene Scheibe an der Kante des Deckels. Er war froh, dass sich das heilige Siegel noch an seinem Platz befand.

Callahan war Abschaum, aber nicht dumm.

Emil beugte sich über den Deckel und untersuchte das zweite Siegel. Auch dieses schien unversehrt.

Erleichtert gönnte er sich einen Blick auf das in den Deckel geschnitzte Gesicht Amaras. Es war ein Gesicht von außergewöhnlicher Schönheit, ein Antlitz, das selbst Nofretete beschämt hätte, wenn sich die Pfade der beiden jemals gekreuzt hätten. Aber es lagen Jahrhunderte zwischen ihnen. Amara gehörte zur lange vergangenen Epoche der elften Dynastie, als Mentuhotep geherrscht hatte und die Götter noch jung gewesen waren im Gedächtnis der Menschen.

Emil warf einen Blick zu Metar, der wie hypnotisiert von ihrer Schönheit auf die Schnitzerei starrte. Er tippte ihm auf den Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Dann zeigte er auf das Fußende des Sargs.

Gemeinsam, jeder an einer Seite, hoben sie den Sarg hoch. Sie schleppten die schwere Kiste durch den Raum, aus der Tür und durch das dunkle Foyer. Emils starke Arme spannten sich unter dem Gewicht an. Metar wimmerte, als die Wunden der Hundebisse auseinandergezogen wurden und erneut zu bluten begannen. Am Ende des Foyers endete auch der Teppich. Emil spürte den Marmorboden unter seinen Füßen.

Noch ein paar Schritte, und sie würden den Sarg absetzen, damit Metar die Tür öffnen konnte.

Es war gut, den schwierigsten Teil zuerst zu erledigen. Die Kanopen wären danach eine Kleinigkeit.

Emil bedeutete Metar mit einem Nicken, stehen zu bleiben.

Eine Explosion zerfetzte die Stille. Im Mündungsblitz sah er, wie Metar nach hinten geworfen wurde und den Sarg fallen ließ. Eine Staubwolke stob unter dem Deckel des Sargs hervor. Der Staub der Jahrhunderte. Der Staub des Leichnams. Als er zur Treppe sah, zerrissen ein zweiter Blitz und eine weitere Explosion die Dunkelheit. Er schaffte es nicht mehr, sich zu ducken.

Im Umzugswagen direkt vor der Tür hörte Steve Bailey die Schüsse.

Heilige Scheiße.

Sie stammten nicht von einer Kaliber .22.

Das war eindeutig eine wesentlich durchschlagskräftigere Kanone, vielleicht eine Kaliber-.12-Schrotflinte.

Emil und Metar hatten nur ihre Erbsenpistolen dabei.

Wem gehörte dann die Waffe?

Bailey wartete nicht, bis er es herausfand. Er löste die Handbremse, rammte den ersten Gang rein, trat das Gaspedal durch und ließ die Kupplung schnalzen.

Callahan ließ die Schrotflinte sinken. Seine Schulter war taub vom Rückstoß. Die Ohren klingelten, als hätte jemand kräftig daraufgeschlagen.

Als er die Treppe hinunterstieg, hörte er, wie direkt vor der Tür ein Motor kurz aufbrüllte und sich dann entfernte.

Callahan ging durch das dunkle Foyer und gab acht, nicht über die Körper oder den Sarg zu stolpern. Neben der Tür ertastete er den Schalter und knipste das Licht an.

Beide Mistkerle sahen aus, als wären sie tot. Einen hatte es an der Brust erwischt. Dem anderen fehlte der Großteil der Stirn.

Callahan sah hinüber zum Sarg, der auf die Seite gefallen war. Er bückte sich und entdeckte einen Riss in einem der goldenen Siegel.

»Robert!«

Er blickte zur Treppe hinauf. Sein kleiner dunkelhäutiger Freund wirkte verwirrt und verängstigt.

»Hilf mir hier mal, Imad.«

»Robert, was ist passiert?«

»Diese Schweine wollten sich mit Amara aus dem Staub machen. Dieselben Typen, die letzte Woche hier waren, um den Garten umzugestalten.«

Als Imad die Treppe heruntergekommen war, klappte sein Mund auf. »Das Siegel des Osiris«, stöhnte er.

»Ich bin nicht blind. Fass mit an, wir sehen uns mal das andere an.«

Sie bückten sich und drehten den Sarg von der Seite wieder auf den Boden. Auf dem Marmor darunter lagen zwei goldene Bruchstücke des zweiten Siegels.

Keuchend wich Imad zurück.

»Vergiss es«, sagte Callahan. »Wir kümmern uns später darum.«

Imad schüttelte den Kopf. Seine Augen waren vor Schreck geweitet.

»Lass uns erst mal die beiden hier rausbringen. Wir verscharren sie im Garten.«

Immer noch kopfschüttelnd ging Imad rückwärts zur Tür. Er wirbelte herum. Mit zitternden Händen fummelte er am Schloss, riss die Tür auf und rannte in die Nacht hinaus.

Callahan sah ihn mit flatterndem weißem Kaftan quer über den Rasen sprinten.

»Imad!« Er rannte weiter. »Wärst eh keine große Hilfe gewesen«, murmelte Callahan und schloss die Tür.

Er schlief tief und fest. Es war harte und ermüdende Arbeit gewesen, die Männer zu begraben und die Sauerei zu beseitigen, die sie im Foyer hinterlassen hatten. Die Blutflecken waren am schlimmsten. Sein Schnarchen hallte durch die Dunkelheit.

Die Gestalt, die durch den Türrahmen trat, weckte ihn nicht. Er schnarchte friedlich weiter, während sie das Zimmer durchquerte. Als sie die Decke auf der leeren Seite des Betts anhob, stöhnte er kurz auf.

Sie stieg neben ihm ins Bett, und er spürte unbewusst, dass er nicht mehr allein war. Sarah musste aus dem Bad zurückgekommen sein. Er war froh, sie wieder bei sich zu haben. Das Bett fühlte sich leer an ohne sie.

Er drehte sich zu ihr und streckte eine Hand aus. Es würde schön sein, ihre Haut zu berühren. Sarah hatte sich immer so weich und glatt angefühlt. Er sehnte sich nach ihrem warmen geschmeidigen Körper und tastete nach ihr. Seine Finger fanden die Gestalt. Berührten sie. Streichelten sie.

Es fühlte sich falsch an, ganz falsch. Die Haut unter seinen Händen war hart und verknittert. Kalt.

Die Erinnerung daran, dass Sarah tot war, versetzte ihm einen fürchterlichen Schock.

Vor Schreck wachte er auf. Er blickte in leere Augenhöhlen und ein ledriges, eingeschrumpftes Gesicht.

Unter der Decke berührte etwas sein nacktes Bein.

Der Mund der Gestalt öffnete sich langsam.

Callahan schrie auf.

Der Kopf schoss nach vorn, die Kiefer schnappten zu, und die Zähne verfehlten seine Kehle nur knapp.

Callahan rollte sich aus dem Bett. Seine Knie schlugen hart auf den Boden. Nackt versuchte er, sich aufzurichten. Die Mumie sprang auf seinen Rücken. »Geh runter! «, brüllte er.

Ihre vertrockneten Finger umklammerten seine Schultern.

Er hörte das Klappern der zuschnappenden Zähne.

»Runter da! Nein!«

Callahan schaffte es, auf die Beine zu kommen, aber das Ding hielt sich an ihm fest und blieb auf seinem Rücken, während er durch das Zimmer rannte.

Die Zähne bohrten sich in die Seite seines Halses. Ihr Kopf ruckte wild vor und zurück und zerrte an seinem Fleisch.

Callahan fiel auf die Knie. Er griff nach hinten, in der verzweifelten Hoffnung, sich von der Kreatur befreien zu können. Er packte ihr Haar. Riss daran. Und hielt lose Haarsträhnen in der Hand.

Das Maul biss und riss noch lange, nachdem er tot war.

1

Susan Connors, die stellvertretende Kuratorin des Charles-Ward-Museums, war erledigt. Sie konnte sich kaum noch aufrecht halten. Den ganzen Tag hatte sie gestanden, die beiden Handwerker beim Auspacken der Sammlung beaufsichtigt, ihre Checkliste abgehakt und erklärt, wo die Dutzende antiker Artefakte ausgestellt werden sollten.

Seit dem Tag, an dem sie eine Doppelschicht im Wagon-Train-Restaurant eingelegt und für die Konferenzteilnehmer Spareribs und Cheeseburger gegrillt hatte, war sie nicht mehr so lange auf den Beinen gewesen. O Mann … Wie lange war das her? Sechs Jahre? Da hatte sie noch studiert. Im letzten Semester.

Es schien ewig lange her.

Äonen.

Fast so lange her wie sechs Uhr heute früh.

Einer der Handwerker, ein Mann namens Top, hob eine Kanope aus ihrer Transportkiste. Sie war aus Alabaster, ein Stein, der aussah, als wäre frische weiße Milch zu etwas Festem erstarrt. Zerbrechlich. Die Skulptur eines Schakalkopfes bildete den Deckel. Susan markierte den Gegenstand auf ihrer Liste.

»Das kommt zu den anderen.« Sie zeigte auf den Platz neben dem mumienförmigen Sarg, wo bereits drei andere Steingefäße standen. Top trug die Kanope durch den Raum. Das Gewicht ließ ihn unbeeindruckt, obwohl er gebrechlich und alt genug aussah, um der Vater des anderen Arbeiters sein zu können. Als er das Gefäß abstellte, sagte er: »Das war’s dann, Miss. Der ganze Kram ist ausgepackt. Würden Sie hier unterschreiben?«

Sie kritzelte ihre Initialen auf den Lieferschein. Top riss einen Durchschlag ab und gab ihn ihr.

»Alles klar«, sagte er.

Nachdem er und der jüngere Mann gegangen waren, setzte sich Susan auf einen Klappstuhl – das einzige Möbelstück im Raum, das jünger als zweitausend Jahre war und nicht aus der Callahan-Sammlung stammte. Sie lehnte sich zurück, legte den rechten Fuß auf ihr Knie und seufzte vor Vergnügen. Die Schmerzen ließen nach. Als der Fuß sich wieder einigermaßen normal anfühlte, setzte sie ihn ab und legte den anderen hoch. Was für eine Erleichterung!

»Stör ich dich beim Meditieren?«, fragte eine Stimme.

»Tag?« Sie blickte sich um und sah Taggart Parker an der Tür stehen. »Was machst …?« Dann fiel es ihr wieder ein. Ihr Auto hatte sie heute Morgen mit einem Platten überrascht. Tag hatte sie zur Arbeit gefahren. »Komm rein«, sagte sie und stand auf.

Tag hakte ein Ende des Plüschabsperrbands aus und kam durch die Tür.

Er umarmte sie. Sie küsste ihn. Die Bartstoppeln waren seit heute Morgen schon wieder so lang, dass sie an ihrem Gesicht kratzten, aber es störte sie nicht. Sie drückte sich eng an ihn und strich über den weichen Stoff seiner Cordjacke. Etwas Hartes presste sich gegen ihren Bauch.

»Trägst du eine Waffe?«, fragte sie und bemühte sich, wie Mae West zu klingen. »Oder freust du dich, mich zu sehen?«

»Beides«, sagte Tag.

Sie griff nach unten und strich über den Wallnussholzgriff seines Colt Python. »Das nenn ich eine Kanone, Amigo.«

»Und ich kann gut damit umgehen.«

»Angeber.« Sie küsste ihn wieder. »Hey, wir sollten lieber damit aufhören, ehe der Chef reinkommt.« Sie trat einen Schritt zurück, hielt jedoch seine Hand fest. »Wie war dein Tag?«

»Es geht bergauf.«

»Bei mir auch.« Sie zeigte durch den Raum. »Sieh mal, was ich heute gemacht habe. Das ist die Callahan-Sammlung. «

Er ließ den Blick schweifen und schließlich auf dem Sarg ruhen. »Was ist das? Eine Mumie?«

»Klar.«

»Kann ich sie mir mal kurz anschauen? Ich habe noch nie eine echte Mumie gesehen.«

»Bist du sicher, dass du das sehen willst?«

»Unbedingt.«

»Sie ist schon eine Weile tot.«

»Wirklich?«

»Fast viertausend Jahre.«

»So lange schon?«

»Wir wissen noch nicht viel über das Mädel. Nur das, was auf der Liste stand, die Callahan hinterlassen hat. Sie heißt Amara.«

»Amara? Das ist ein hübscher Name.« Er grinste neckisch.

»Und sie war die Frau von Pharao Mentuhotep dem Ersten. Er herrschte in Ägypten während der elften Dynastie, ungefähr zweitausend Jahre vor Christus.«

»Tja, lass mal sehen.«

»Versprichst du, sie nicht anzufassen?«

»Vertraust du mir nicht, was fremde Frauen betrifft?«

»Ganz bestimmt nicht, wenn dir ihre Namen so gut gefallen.«

»So ist es nun mal … Amara, Amara, Amara. In so einen Namen kann man sich verlieben.«

»Okay, versprich mir, sie nicht zu berühren. Sie ist äußerst zerbrechlich.«

»Ich schwör’s.« Er gab Susan einen Klaps auf den Hintern. »Wahrscheinlich wird sich mein Bedürfnis nach Körperkontakt sowieso in Grenzen halten.«

Zusammen hoben sie den Deckel. Susan hatte die Mumie am Morgen nur kurz gesehen und betrachtete sie nun genauer. Das Haar war ein leuchtend roter Schwall, der einzige Teil der ehemals jungen Frau, der der Zeit widerstanden hatte. Es musste zum Zeitpunkt der Bestattung sorgfältig frisiert worden sein. Diejenigen, die sie ausgewickelt hatten, hatten vermutlich auch die juwelenbesetzten Haarnadeln entfernt. Ihre Augenhöhlen waren leer. Es befanden sich keine wertvollen Steine als Augenimitationen darin, wie es bei den Bestattungsritualen des Altertums üblich war. Keine Zwiebeln, um den Verwesungsgeruch zu überdecken, wie sie bei Ramses dem IV. gefunden worden waren. Auch keine Beutel mit Weihrauch und Myrrhe in den Körperhöhlen. Zweifellos hatten die Grabräuber sie mitgehen lassen. Wertvolle Gewürze blieben wertvolle Gewürze, auch wenn man sie aus einem grässlichen Leichnam geborgen hatte. Über dem Unterleib befand sich ein fast dreißig Zentimeter langer diagonaler Schnitt, der grob mit Bindfaden zugenäht war. Die Brüste waren zu faltigen Säcken geschrumpft. Die Schamgegend der Mumie war haarlos. Wahrscheinlich war die junge Frau nach ihrem Tod von den antiken Bestattern rasiert worden.

Susan bemerkte, dass Tag zur Seite blickte.

Sie schlossen den Deckel und verbargen das scheußliche Gesicht.

»Sehen alle Mumien so aus?«, fragte Tag. Seine blasse Gesichtsfarbe machte Susan Sorgen.

»Geht es dir gut?«, fragte sie.

»Ich hab mich schon mal besser gefühlt.«

»Sollen wir gehen?«

»Wir hätten schon vor fünf Minuten gehen sollen.«

In der Tiefgarage unter dem Marina-Towers-Wohnkomplex fuhr Tag langsam an Susans Jaguar vorbei.

»Er ist repariert!«, rief sie freudig aus.

»Ich musste zu Hause noch ein paar Minuten totschlagen, also habe ich dir das Reserverad montiert.«

»Du bist ein Schatz.«

»Im Gegensatz zu einigen anderen Leuten. Dein Reifen hat nicht von allein Luft gelassen. Jemand hat nachgeholfen. Mit einem Messer, würde ich sagen.«

»Du meinst, jemand hat absichtlich …?«

Tag nickte. »Es könnte natürlich Zufall sein, dass es deinen Wagen erwischt hat, aber ich bezweifle es. Ich glaub, du hast dir einen Feind gemacht.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Was ist mit Larry?«

»Er würde so was nicht machen. Das wäre so ungefähr das Letzte, was er tun würde. Er hat das Auto bezahlt, er würde es nicht beschädigen.«

»Es sei denn, es passt ihm nicht, dass es jetzt dir gehört.«

Tag bog auf seinen Parkplatz. Obwohl er langsam fuhr, quietschten die Reifen auf dem glatten Beton.

»Ich glaube nicht, dass es Larry war.«

»War ja nur eine Idee.«

Das Knallen der Türen hallte durch die Tiefgarage.

»Was hältst du davon, auf einen Drink mit reinzukommen? «

»Klingt gut.«

Sie fuhren mit dem Aufzug in den zweiten Stock und gingen den schmalen, mit Teppich ausgelegten Flur entlang. Als Susan ihre Wohnungstür öffnete, schlug ihr der warme, köstliche Geruch von Enchiladasoße entgegen.

»Abend, María«, begrüßte sie die rundliche, lächelnde Frau in der Küche.

María nickte eifrig.

»Hat alles geklappt heute?«

»Sí. Alles klar.« Ihre strahlenden Augen richteten sich auf Tag. »Ah, Señor Taggart. Margarita, sí?«

»Genau.«

Susan ließ sie allein und ging zum Kinderzimmer. Geoffrey war gerade damit beschäftigt, seine Zehen zu untersuchen, und blickte auf, als sie eintrat. Er grinste und gluckste.

»Hallo, kleiner Mann«, sagte Susan. »Hattest du einen schönen Tag?« Sie hob das Baby hoch, küsste seine Wange und klappte seine Windel auf. Sie fühlte sich feucht an. Susan zog den Jungen aus, trocknete und puderte ihn und legte ihm eine neue Windel an. Nach kurzem Kampf gelang es ihr, ihn in eine winzige braune Cordhose zu stecken. Dann zog sie ihm ein gelbes T-Shirt an, auf dem stand: RUTSCHGEFAHR BEI NÄSSE. »Fertig, mein Kleiner.« Sie nahm ihn auf den Arm und trug ihn ins Wohnzimmer.

Tag kam herein. Er reichte Susan eine Flasche Babynahrung und ein Glas Perrier. »Cocktails für alle«, verkündete er. Er setzte sich ihr gegenüber und schlürfte seine Margarita.

María trat ein und stellte eine Schüssel mit Tacos vor ihn auf den Tisch. »Gracias«, sagte er.

»De nada.«

Er sah zu, wie sie aus dem Zimmer ging. »Ich hätte auch gern so jemanden«, sagte er.

»Ich wünschte, ich bräuchte sie nicht.«

»Was willst du machen, den ganzen Tag zu Hause bleiben? «

»Es würde mir nichts ausmachen. Nach Geoffreys Geburt habe ich das drei Monate getan, und es hat mir gut gefallen.«

»Was ist mit dem Museum?«

»Das würde nicht weglaufen. Aber wie man so schön sagt, einer muss ja die Brötchen verdienen. Also bleibe ich wohl im Museum, und María bleibt bei Geoffrey.«

»Mit dem, was Larry verdient …«

»Ich will nicht noch mehr von ihm. Es ist schlimm genug, dass ich den Unterhalt für das Kind nehmen muss.« Sie sah zu dem Baby hinunter und fuhr fort: »Ich bin einfach nur froh, dass Geoffrey nicht weiß, was für ein widerlicher Typ sein Vater ist.« Sie lächelte den Jungen an, und er hörte lang genug auf zu nuckeln, um ein Grinsen zustande zu bringen. Säuglingsmilch tropfte aus seinem Mundwinkel. Susan tupfte sie mit einem weichen Taschentuch ab und blickte zu Tag. »Bleibst du zum Abendessen?«

»Das würde ich gerne. Aber ich muss nochmal raus. Ich hab heute Abend einen Kurs: Sicherheit bei Massenveranstaltungen. «

»Trotzdem musst du was essen.«

»Ich nehme mir was aus meiner Wohnung mit.«

Als er seine Margarita ausgetrunken hatte, ging er zu Susan und küsste sie. »Was ist mit später?«, fragte er.

»Wie viel später?«

»Halb elf, elf.«

»Da gehe ich ins Bett«, sagte Susan.

Tag grinste. »Ich weiß.«

»Ich hab letzte Nacht schon kaum geschlafen.«

»Ich auch nicht.«

»Da bin ich sicher.«

»Also, was meinst du?«, fragte Tag lächelnd.

»Wie könnte man da Nein sagen?«

Er küsste sie ein weiteres Mal. »Halt die Ohren steif, Kleiner.« Er strich Geoffrey über den Kopf.

Geoffrey musste aufstoßen.

»Man sagt Entschuldigung, mein Junge.«

Während Tag mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock fuhr, überlegte er, den Kurs ausfallen zu lassen und Susans Einladung zum Abendessen anzunehmen. Aber er brauchte den Kurs. Nächsten Monat war seine Sergeant-Prüfung angesetzt, und er musste sich so gut wie möglich darauf vorbereiten.

Die Türen glitten auseinander, und er trat in den Flur. Dann bog er nach links. Der Korridor war eng und still. Obwohl er noch nie in einem U-Boot gewesen war, hatte er oft daran gedacht, wenn er diese Gänge entlanggegangen war.

Man könnte glatt klaustrophobisch werden. Man könnte Atemnot bekommen. Man könnte sich an den Hals fassen und in kurzen, schmerzhaften Stößen um Luft ringen.

Als er um die Ecke ging, sah er ein Bündel auf dem Boden liegen. Es hatte die Größe eines menschlichen Körpers und war von verschossenen, hässlichen Klamotten bedeckt.

Es lag vor seiner Tür.

Er trat näher heran, und seine Hand schnellte zu der Pistole an seiner Hüfte.

2

Der Haufen vor Tags Wohnungstür bewegte sich. Ein Kopf tauchte auf, das Haar schmutzverklebt, das Gesicht aufgedunsen, fleckig und blass.

Tag erkannte sie sofort. Er blieb stehen und nahm die Hand von der Pistole. »Mable.«

Sie zog die Oberlippe hoch. Mehr ein hundeartiges Fletschen als ein Lächeln. Dem Zustand ihres Gebisses nach zu urteilen, waren die fehlenden Zähne dort eher zu beneiden. Sie wälzte sich herum, bis sie mit dem Rücken an die Tür gelehnt dasaß. Dann zog sie sich das Kleid über die dicken Oberschenkel.

»Ich bin wegen dir gekommen, Schätzchen.«

»Wie hast du mich gefunden?«

»Hab den Namen von deinem Namensschild abgelesen, verstehst du? Direkt von deinem Namensschild. Das kleine Plastikding auf deiner Uniform. Und dann hab ich im Telefonbuch nachgeschlagen.«

»Warum?«

»Weil du mein Typ bist. Hilfst du mir mal hoch?« Sie streckte die Hand aus. Tag wollte ihre schmutzige Pfote nicht berühren. Aber es wäre auch peinlich, sich zu weigern. Außerdem tat ihm Mable leid. Sie war vierzig Jahre alt und wohnte bei ihrer Mutter, einer verlotterten Frau, die als ihre Schwester durchging, wenn die Beleuchtung gnädig war. Letzte Woche hatte sie eine Begegnung mit einem halben Dutzend Jungs von den Braves gehabt, einem drittklassigen Baseballteam, das von einem Haushaltswarenladen aus der Gegend gesponsert wurde. Es hatte mit Beleidigungen angefangen. Und mit einer Gruppenvergewaltigung aufgehört.

»Wann sind Sie aus dem Krankenhaus entlassen worden? «, fragte Tag. Er nahm ihre Hand und half ihr hoch.

»Gestern. Direkt als Erstes hab ich mir gesagt, Mable, dieser Officer Parker, der ist genau dein Typ. Also hab ich im Telefonbuch nachgeguckt und bin rübergekommen, um dich zu besuchen. Lässt du mich rein?«

»Ich muss heute Nacht noch raus, Mable.«

»Ich komm mit, ja?«

Er öffnete die Tür. »Das geht nicht«, sagte er.

Sie folgte ihm in die Wohnung, sah sich mit verträumtem und von Schmerzmitteln verschleiertem Blick um und flötete: »Das ist aber echt ’ne schöne Wohnung.«

»Danke.«

»Macht mir gar nichts aus, hier zu warten.«

»Warten?«

»Klar. Du kommst doch zurück, und dann werd’ ich dir zeigen, was ich draufhab, Schätzchen.«

»Ich glaube, das ist keine so gute Idee, Mable.« Er ging in die Küche. Mable folgte ihm nicht, deshalb nahm er schnell eine Handvoll Salami- und Schmelzkäsescheiben aus dem Kühlschrank, stopfte beides in eine Tüte und eilte zurück ins Wohnzimmer.

Mables Kleid lag auf dem Boden.

Nackt bis auf einen schwarzen Slip und einen roten Büstenhalter, der kaum etwas verbarg, saß sie auf dem Sofa. Mit lüsternem Blick fuhr sie sich mit der Zunge über die dicken Lippen. Eine Hand strich über einen dicken, fleckigen Oberschenkel. Die Cellulitis kräuselte sich.

»Uh, Mable.«

»Komm, steck ihn mir rein«, sagte sie. »Brauchst nicht schüchtern sein, Schätzchen.«

O Gott. Mit Schüchternheit hatte es weniger zu tun.

»Das sollte ich lieber nicht tun«, sagte Tag und bemühte sich, nur ihr Gesicht anzusehen. »Du scheinst mir noch nicht in der Verfassung für solche Spielchen zu sein.«

»Ich bin härter, als ich aussehe. Komm schon, Tag, nimm mich in den Arm, ich beiße nicht.«

Nein, du vielleicht nicht, aber ich wette, in deinem wirren Haar gibt es einiges, das mich beißen könnte.

»Schätzchen«, gurrte sie. »Mit mir kannst du Sachen erleben, von denen du nicht mal träumst.«

Stimmt genau. Ein Besuch beim Urologen. Hose runter und nachsehen lassen, warum es so brennt.

»Tut mir leid, Mable.« Er hob ihr Kleid auf und warf es ihr zu. »Danke für das großzügige Angebot, aber ich muss heute Abend an einem wichtigen Kurs teilnehmen. Zieh dich an. Ich bring dich nach unten.«

»Ich bin wohl nicht gut genug für dich, was?«

»Nein, darum geht es nicht. Ich hab’s bloß eilig.«

»Ich hätte dich richtig verwöhnen können. Heiß und feucht, wenn du weißt, was ich meine.«

»Ich weiß das Angebot zu schätzen.«

»Tja, ich rühr mich nicht vom Fleck, bis du mir dein Leckerchen gibst, okay?«

Tag stöhnte. Er konnte nicht gehen, solange Mable in seiner Wohnung war. Und die Alternative? Zieh ihr das schwarze Höschen über die Schenkel und … um Himmels willen, nein. Sie war kein schlechter Mensch, nur eben ziemlich verrückt.

Verrückt. Traurig. Geil. Verflucht, was für eine Kombination. »Brauchst du Geld?«

»Wofür willst du mir Geld geben?«

»Für nichts.«

»Ich mach alles, was du willst, und zwar ganz umsonst, Schätzchen.«

»Mable, hör zu. Ich gebe dir Geld.«

»Wofür?«

»Damit du gehst«, sagte er. Das war grob, und er sah den Schmerz in ihren Augen. »Es tut mir leid, aber ich habe nicht vor, was mit dir anzufangen. In ungefähr fünf Minuten muss ich zu einer wichtigen Veranstaltung. Ich bin jetzt schon spät dran, und ich kann nicht gehen, solange du hier bist, also zieh dich bitte an und geh.«

»Ich bin nicht gut genug für dich, das ist der Grund. Ich bin nicht so hübsch und kultiviert wie diese Nutte ein paar Etagen tiefer.«

Er warf ihr einen wütenden Blick zu, schwieg jedoch.

»Sicher … klar, ich weiß alles über dich und sie, auch dass du letzte Nacht bei ihr geblieben bist, wo ich hier auf dich gewartet hab. Einsam und frierend.«

»Du warst es also.«

»Sie ist bloß ein dürres Klappergestell, Schätzchen. Du bumst sie doch nur.«

»Du warst das.«

»Du glaubst nicht, was ich alles mit meiner Zunge anstellen kann.«

»Du hast ihren Reifen plattgestochen, stimmt’s?«

»Ich? Nein. Nein, Sir, Officer.«

»Das war ziemlich mies, Mable. Jetzt zieh dein Kleid an, oder ich verhafte dich.«

»Weswegen?« Ein Träger des BHs rutschte herunter und entblößte einen dicken braunen Nippel.

»Unzucht in der Öffentlichkeit.«

»Ach ja?«

»Ja«, sagte Tag. »Und vielleicht auch wegen Hausfriedensbruchs. «

»Okay, okay.« Mable zog den Träger des Büstenhalters hoch, der ihre unförmigen Brüste bedeckte. »Gib mir mein Kleid, okay?«

Als Tag sich neben dem Sofa bückte, um das zerknüllte schmutzige Kleid aufzuheben, packte Mable ihn. Sie zerrte an seinem Arm. Er geriet aus dem Gleichgewicht und fiel auf sie. Sie umklammerte ihn fest mit beiden Armen. Die schweren Brüste drückten sich wie Kissen gegen ihn. Fauliger Atem strömte ihm ins Gesicht.

»Mable!«, schnauzte er. »Verdammt, lass mich sofort …«

Ihre Lippen pressten sich auf seinen Mund. Ihre Zunge drängte gegen seine fest verschlossenen Lippen. Etwas Warmes und Feuchtes tropfte sein Kinn hinab.

Er wollte sich von ihr wegdrücken, doch seine Hände versanken in den weichen Fleischhügeln unter dem Büstenhalter. Sie stöhnte vor Erregung. »Ja, genau so, Schätzchen …«

»Mable … lass mich …«

Mable rollte herum. Sie fielen beide auf den Boden.

»Geh …«

Ihre dicke Zunge schob sich in seinen Mund. Der Geschmack nach saurer Milch ließ ihn würgen. Eine Hand schlängelte sich wild unter seinen Gürtel und suchte …

»Nein!«

Tag riss seinen Kopf zurück und schnappte nach frischer Luft. Im selben Moment zerrte er die wühlende Hand aus seiner Hose und bog sie am Gelenk nach hinten, bis Mable aufschrie. Er zwang sie mit dem Hebelgriff, von ihm herunterzurollen. Als er sich erhob, hielt er weiter ihre Hand fest.

»Okay«, keuchte er. »Aufstehen.«

Er half ihr, indem er ihren Arm verdrehte.

»Du Schwein!«, schrie sie. »Schwanzlutscher!«

»Halt die Klappe, Mable.«

»Wichs…« Sie jaulte vor Schmerz auf, als er ihren Arm ein wenig weiter verbog.

»Klappe, hab ich gesagt.«

Mit Hilfe des Armhebels steuerte er sie zur Tür. »Ich will keinen Ärger mehr mit dir, kapiert? Ich will, dass du nach Hause gehst.«

»Nein, ich will …«

»Ich möchte, dass du nach Hause gehst und nie mehr eine derartige Nummer abziehst. Weißt du, was ich tun werde, wenn du Susan oder mich nochmal belästigst? «

»Was?«

»Ich sag’s deiner Mutter.«

Ihr Kopf ruckte zur Seite, und sie funkelte ihn an. »Das lässt du lieber.«

»Doch, das mache ich.«

»Lass es lieber«, wiederholte sie, dieses Mal ängstlich.

»Entweder bist du ab jetzt ein braves Mädchen, oder ich geh zu deiner Mutter.«

»Ich wollte doch nur nett zu dir sein. Das war alles. Was ist falsch daran?«

»Die Art, wie du es angepackt hast. Ich lass dich jetzt los, und du ziehst dich an und gehst sofort nach Hause. Okay?«

»Na gut.« Ihre geschwollenen Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund.

Er ließ ihren Arm los. Sie lehnte schwer an der Tür, ihre Arme baumelten an den Seiten herab, der Kopf hing nach unten, das wirre Haar bedeckte ihre Augen. Tag drehte sich um. Er hob ihr Kleid auf, reichte es ihr und wandte das Gesicht ab, als sie es über den Kopf zog. Dann öffnete er die Tür.

Er sah zu, wie sie langsam den Flur entlangging. Vor dreißig Jahren war sie vielleicht ein süßes Mädchen gewesen. Nett. Freundlich. Höflich in der Schule. Nachts hatte sie ihre Mutter mit jedem Typen, der ein paar Dollar übrig hatte, im Nebenzimmer rummachen hören. Es war schwierig, sich anständig zu entwickeln … geistig gesund zu bleiben … bei so einer Kindheit. »Wiedersehen, Mable. Pass auf dich auf, ja?«

Sie blickte über die Schulter zurück. Tag sah Tränen auf ihrem Gesicht. Sie schniefte laut, wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab und wandte sich traurig ab.

Tag machte die Tür zu und schloss sie ab.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

Zu spät, um zu dem verdammten Kurs zu gehen.

Er war müde, fühlte sich angeschlagen und schmutzig … als wäre etwas seit dreißig Jahren Totes gerade über sein Gesicht gekrochen. Er ging ins Bad und drehte die Dusche auf. Als das Wasser kochend heiß war, stieg er hinein und hielt das Gesicht unter den prasselnden Strahl.

3

April Vallsarra hatte die Hände auf die Steinbalustrade gelegt und genoss nach der Hitze des Tages die erfrischende Brise, die um ihre Wangen spielte.

Sie liebte es, nachts dort zu stehen. Die Luft war kühl. Sie mochte das Zirpen der Grillen. Der Duft der Wildblumen wehte aus dem Wald herüber, erfüllte und beruhigte sie.

Sie lauschte der Musik der Bäume in den Luftströmungen im Canyon. Das anschwellende Zischen, das schon bald wieder zu einem Flüstern würde. Es erinnerte sie an die Zeit, als sie mit ihrem Vater im Strandhaus gewohnt hatte. Das Geräusch der Brandung. Besonders nachts, wenn sie warm und geborgen im Bett gelegen hatte und die Wellen den Strand überspült hatten.

Sie stand da und lauschte den Geräuschen der Außenwelt. Der Wind wehte über die Dachterrasse, wirbelte um ihre nackten Fußgelenke und Waden, zog an ihrem Kleid und ihrem Haar.

Oft versuchte sie sich vorzustellen, wie diese Bäume aussahen. Sie stellte sich vor, dass sie sich bewegten wie Elefantenherden. Das hatte sie wenigstens gehört. Natürlich würde sie es nie genau wissen. Sie war blind zur Welt gekommen. Mit sechs Jahren hatte sie von zu Hause weggehen müssen, um eine Blindenschule in San Francisco zu besuchen. Damals war ihre Welt aus den Fugen geraten. Die Ehe ihrer Eltern war zerbrochen. Ihre Mutter zog nach Kanada, und sie hörte nie wieder etwas von ihr.

Sie war so unglücklich in der Schule, dass sie im Alter von elf Jahren versuchte, sich das Leben zu nehmen. Aus einer Strumpfhose knüpfte sie eine Schlinge, knotete sie an die Duschstange und sprang vom Rand der Badewanne. Die Stange hielt ihr Gewicht nicht und riss ab. April fiel auf den Badezimmerboden und brach sich das Handgelenk.

Ihr Vater rettete sie.

Nach einem langen Gespräch im Krankenhaus, während sie darauf wartete, dass ihr Arm gegipst wurde, wurde ihm klar, wie unglücklich sie in der Schule war.

Er nahm sie mit nach Hause.

Aber er wohnte nicht mehr im Strandhaus.

Das neue Haus lag hier im Canyon. Es stand an einem der Pässe, die sich zwischen Hollywood und Burbank durch die Berge schlängelten. Inmitten von drei Millionen Menschen war es eine Oase der Ruhe.

In dem Canyon standen keine anderen Häuser. Nur dieses. Ihr Vater hatte das Haus nach eigenen Plänen gebaut. Er nannte es seinen »Schlupfwinkel«. Es war ein zweigeschossiges Ziegelgebäude. Auf der großen Dachterrasse grillte ihr Vater die dicksten Steaks. Er veranstaltete dort die coolsten Partys, die in ganz L. A. Stadtgespräch waren. Die Gästeliste las sich wie das Inhaltsverzeichnis des Rolling Stone.

Damals nahm ihr Vater in seinem eigenen Studio im Keller Musik auf. Und was für ein Studio das war. Einmal kam John Lennon auf einen Cocktail vorbei und verkündete: »Gütiger Gott, hier könnte das Londoner Philharmonieorchester spielen, und man hätte immer noch Platz für eine verdammte Elefantenparade.«

Der Wind seufzte in den Bäumen. April legte ihren Kopf zur Seite. Die Brise strich über ihren Hals, spielte mit ihrem Haar.

Ein wundervoller Ort. So friedlich.

Abgeschieden von allem. Weit weg vom Lärm und den Abgasen der Stadt.

Sie überlegte, was sie zu Abend essen sollte. Einen Salat mit Krabben. Dazu ein eiskaltes Glas Weißwein. Ja, das wäre schön.

Einen Augenblick lang dachte sie, sie hätte das Knirschen von Füßen auf dem Kiesweg gehört.

»Dad?«

Das Wort kam ihr über die Lippen, ehe sie darüber nachdenken konnte.

Nein.

Das war unmöglich.

Ihr Vater war tot. Von zwei Gangstern erschossen worden, die er dabei erwischt hatte, wie sie sein Auto aufbrachen. Er hatte auf dem Rückweg von Nashville in einem Motel übernachtet. Mit einem Blick aus dem Fenster hatte er gesehen, dass zwei Schwachköpfe seinen Wagen knackten wie eine Sparbüchse. Als er hinausgegangen war, um sie zur Rede zu stellen, hatte einer von ihnen eine Pistole gezogen und …

Ihre Hände umklammerten die Balustrade.

Nein. Nicht heute Nacht.

Sie würde den Vorfall nicht wieder durchspielen. Es war schon zehn Jahre her.

Deshalb bin ich jetzt allein hier. Kaum hatte sie das Wort »allein« gedacht, ertönte erneut das Geräusch.

Ein Schritt auf dem Kies.

Wer könnte das zu dieser Zeit sein? Niemand würde mitten in der Nacht die lange Strecke aus der Stadt herfahren, um mich zu besuchen.

»Hallo, wer ist da?«

Ihre blinden Augen bewegten sich, als würde sie zur Einfahrt hinunterblicken. Sie lauschte.

Der Wind heulte durch die Bäume. Blätter raschelten.

»Ist da jemand?«

Keine Antwort. Stattdessen das Geräusch eines Reißverschlusses, der langsam heruntergezogen wurde.

»Da ist doch jemand.« Ihr Herz raste. »Was wollen Sie?«

Wieder lauschte sie.

Was, wenn es ein Eindringling ist?

Ich bin allein hier.

Lettie war tagsüber da gewesen, um ihr Lebensmittel zu bringen, ihr beim Saubermachen zu helfen und ihr eine Weile Gesellschaft zu leisten. Aber Lettie war schon lange weg. Vielleicht sollte sie jemanden anrufen …

Wieder das Geräusch. Ein Schritt auf dem Kies.

Langsam wich sie von der Balustrade zurück zur Mitte der Dachterrasse. Es war dunkel. Aber ihr war bewusst, dass sehende Menschen sie dort am Rand der Terrasse erkennen konnten. Hier in der Mitte war sie außer Sicht.

Und wenn er ins Haus einbricht?

Sie konnte nichts tun, um ihn daran zu hindern. Selbst wenn sie es schaffte, das Telefon zu erreichen, würde es eine Weile dauern, bis die Polizei in diesem entlegenen Ende des Canyons ankam.

Sie war dreiunddreißig Jahre alt. Männer hatten ihr immer wieder gesagt, wie schön sie sei. Dass ihr schulterlanges Haar glänze. Sie eine schlanke Figur habe. Gebräunte Arme und Beine.

Also war es gut möglich, dass, wer immer auch ins Haus einbrach, nicht wegen des Geldes oder des Fernsehers gekommen war.

Sondern ihretwegen.

Wieder ertönte ein knirschendes Geräusch. Vielleicht versuchte er, ein Fenster ohne stählerne Läden zu finden oder eine unverschlossene Tür.

Ihr Vater hatte gründliche Arbeit geleistet. Alle Fenster im Erdgeschoss waren mit dichtem Stahlgeflecht gesichert. Schließlich brauchte sie sowieso kein Tageslicht. Beziehungsweise gar kein Licht.

Die Türen waren aus Hartholz. Die Schlösser solide. Zu allem Überfluss waren die Türen zusätzlich mit geschmiedeten Eisengittern versehen.

Vielleicht versucht er, an der Mauer hochzuklettern. Ich bin ganz allein hier oben.

Jetzt fühlte sie sich verletzlich in dieser abgelegenen Gegend. Sie wünschte, sie würde hier mit jemandem zusammenwohnen. Jemand Starkem, der sie beschützen könnte.

Sie lief rückwärts in eine Topfpflanze. Die Blätter des Strauchs stachen sie durch den dünnen Stoff ihres Kleids in die Hüfte.

Sie hielt die Luft an.

Beruhig dich … beruhig dich. Er kann hier nicht raufklettern. Ich bin in Sicherheit.

Wirklich?

April erreichte den Grill und hockte sich daneben auf den Boden. Sie schlang die Arme um die Knie und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.

Eine lange Zeit wartete sie unter dem Nachthimmel zusammengekauert ab. Die Geräusche vor dem Haus verfolgten sie. Sie stellte sich vor, wie ein Mann auf einer Leiter an der Außenwand hochkletterte. Oder wie er ein unverschlossenes Fenster entdeckte. Sie bildete sich das Geräusch von Schritten ein. Sie stöhnte laut auf, als sie sich seine groben Hände auf ihrem Körper vorstellte. Eine Faust griff ihr ins Haar, die andere Hand fand ihre Brüste. Sie konnte seinen keuchenden Atem hören.

Zitternd und ängstlich nach Luft schnappend wartete und wartete sie.

Schließlich, als sie keine Geräusche mehr hörte, tastete sie sich zurück nach unten in ihr Schlafzimmer.

»O Gott, bitte«, flüsterte sie, nachdem sie ins Bett gegangen war. »Bitte schenke mir einen Gefährten. Bitte bring mir jemanden. Ich will nicht mehr allein sein.«

4

Wachmann Barney Quinn interessierte sich nicht besonders für das Museum. Es war immer so verdammt stickig darin, als würde jedes einzelne Stück dieses altertümlichen Gerümpels langsam und stetig seinen Gestank absondern. Wenn er morgens nach Hause ging, nahm er denselben Gestank an sich wahr. Der Gestank nach alten Gräbern. Der Gestank von dreitausend Jahre alten Schädeln.

Derselbe Gestank quoll aus diesen beschissenen alten Statuen in der Griechischen Sammlung. Meine Fresse. Wenn er nicht aufpasste, würde er sich bald selbst in so ein Ding verwandeln. Wäre das nicht toll? Jedem dieser Mistkerle fehlte ein Arm oder ein Kopf oder sogar der Schwanz.

Eines Morgens wird man sich nach Öffnung des Museums fragen: »Wo steckt bloß der gute alte Barney Quinn?« Sie würden ihn erst finden, wenn sie in den Griechischen Raum gingen und die Statuen zählten. Eine zu viel. Da steht eine in einer beschissenen braunen Uniform. Vielleicht würden sie ihn stehen lassen und seiner Familie das Geld für die Beerdigung ersparen. Dann könnten sie von der Versicherung einen neuen Fernseher kaufen. Ein mieser Platz für den alten Barney Quinn. Sie würden ihn hier auf dem Friedhof der Statuen lassen, bis eine tollpatschige Putzfrau seinen Schwanz sauber abbrechen würde. Ruhe in Frieden, alter Barney Quinn.

»Scheiße«, murmelte er.

Ich brauch frische Luft. Ich muss mal einen Moment vor die Tür. Außerdem war es Zeit, George einen Besuch abzustatten.

Er ging durch das Foyer und stieß auf der anderen Seite eine metallene Feuertür auf. Der Flur war von einer Glühbirne über der Tür beleuchtet. Er begann, die Treppe hinabzusteigen. Verdammt, das Licht auf dem nächsten Absatz war ausgeschaltet. Er ging im Dunkeln weiter. Unten drückte er die Außentür auf. Er trat hinaus und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, um sie offen zu halten.

Der Angestelltenparkplatz war bis auf seinen alten Grand Prix leer. Das war einmal ein gutes Auto. Sein ganzer Stolz, als er es gekauft hatte. Damals war alles besser gewesen. Ehe die da oben Wind von der Sache mit dem Bordell bekommen und seinen Arsch aus der Truppe katapultiert hatten.

Tja, Scheiße, man kann halt nicht immer gewinnen, oder?

Er zündete sich eine Zigarette an. Als er seine Lunge mit dem süßen blauen Dunst füllte und ein Prickeln durch seine Fingerspitzen ging, sah er den Hund am Rand des Parkplatzes. Old George, pünktlich auf die Minute. Er klemmte die Zigarette zwischen die Lippen, ging in die Hocke und klatschte in die Hände. »Hier, Junge«, rief er. »Komm her. Komm zu Barney.«

Der Hund kam auf ihn zugetrottet, und die Marken an seinem Halsband klimperten.

»Ja, bist ein guter Junge.«

George lief in seine Arme, leckte sein Gesicht und stieß ihm beinahe die Zigarette aus dem Mund. »Ja, das ist mein guter Junge. Brav. Ich wette, du hast Hunger, was?«

Der dicke braune Schwanz wedelte.

»Na, dann komm. Mal sehen, was Barney für dich hat.« Nachdem er die Museumstür festgeklemmt hatte, ging Barney zu seinem Wagen. Der Hund lief voraus und blickte ungeduldig zu ihm zurück, die braunen Augen glänzten in der spärlichen Straßenbeleuchtung.

»Immer mit der Ruhe, mein Junge.«

Barney schloss sein Auto auf. Er griff ins Handschuhfach und nahm einen Frischhaltebeutel mit einem rohen Hackfleischbällchen heraus. »Ist nicht viel, Kumpel«, entschuldigte er sich. »Du willst es trotzdem, oder? Klar. Du kommst immer wieder. Ein zufriedener Kunde.«

Er öffnete den Beutel. Das Hackfleisch war noch teilweise gefroren, aber weich genug, um es zu zerteilen. Er brach kleine Stücke ab. Ein paar warf er in die Luft, damit der Hund sie auffing. Es gefiel ihm, wie George das Fleisch mit einem kurzen Schnappen aus der Luft holte. Andere Stücke hielt er ihm mit der Hand hin. George nahm sie wie ein echter Gentleman, indem er sie vorsichtig mit den Vorderzähnen anhob, ehe er sie schluckte.

»Das war’s, Kumpel«, sagte Barney lächelnd.

George sah mit großen hoffnungsvollen Augen zu ihm auf.

»Traurig, aber wahr.«

Barney kniete sich hin und ließ den Hund seine Finger ablecken. »Ja, alles weg. Aber komm morgen Nacht wieder. Dann hab ich ein paar neue Leckerchen für dich.«

Er ging zurück zur offenen Tür des Museums, während George neben ihm hertänzelte.

»Gute Nacht, George, alter Kumpel.«

Er tätschelte das braune Fell auf dem Rücken des Hundes und schloss die Tür. Dann schaltete er die Taschenlampe an und stieg die Treppe hinauf. Er musste dem Hausmeister einen Zettel wegen der kaputten Glühbirne schreiben. Da konnte man sich ja im Dunkeln den Hals brechen. Ein kleiner Ausrutscher konnte schon reichen.

Auf dem Absatz im Erdgeschoss drückte er die Metalltür auf und trat ins Foyer. Es war nur schwach beleuchtet. Er schaltete seine Taschenlampe aus und hängte sie wieder an den Gürtel, dann ging er zum Vordereingang. Er sollte sich lieber vergewissern, dass dort alles in Ordnung war, ehe er seine Runde über den Hauptgang drehte.

Nachdem er die Türen kontrolliert hatte, hörte er das Poltern.

Als wäre etwas Hölzernes auf den Boden gefallen. Er lauschte auf weitere Geräusche, aber es war still im Museum.

Er dachte: Das ist die Stille des Grabes, Barney, eine Stille, die man fühlen kann.

Wahrscheinlich hatte das Geräusch nichts zu bedeuten: ein Regalbrett, das von der Wand gefallen war, oder ein gerissenes Halteseil, so dass irgendwas von dem altertümlichen Kram umgefallen war. Andererseits …

Verflucht – er hätte die Tür im Auge behalten sollen, als er George gefüttert hatte. Vielleicht hatten sich ein paar Kinder reingeschlichen. Oder irgendwelche Penner, die einen Platz zum Schlafen suchten. Oder eine beschissene Katze.

Leise ging er zur Haupttreppe. Während er hinaufstieg, ließ er seinen Blick durch die Gitterstäbe des Geländers über die Galerie im ersten Stock schweifen. Es schien niemand dort zu sein.