Der Kampf um die Globalisierung - Colin Crouch - E-Book

Der Kampf um die Globalisierung E-Book

Colin Crouch

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Beschreibung

Die rivalisierenden Positionen im Kampf um die Globalisierung führt Colin Crouch auf einen historischen Konflikt zurück: Konservative Kräfte, die bestehende Hierarchien erhalten wollen, stehen den Befürwortern der Aufklärung gegenüber, die den rationalen Fortschritt und die Werte der Freiheit und Gleichheit vertreten. Da aber diese Werte sowohl von den Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft in Anspruch genommen werden als auch von jenen, denen die Freiheit des Marktes als höchstes Prinzip gilt, ist auch das Lager der Aufklärer gespalten. Und auf beiden Seiten floriert heute wieder die konservative Idee einer starken Nation, die Sicherheit verspricht angesichts der Gefahren einer entfesselten Globalisierung. Demgegenüber bezieht Crouch klar Position: Die Globalisierung aufzuhalten, ist weder wünschenswert noch möglich; es muss vielmehr versucht werden, die internationalen Institutionen zu stärken, indem man sie auf der Basis sozialdemokratischer Ideen reformiert und korrigiert.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Passagen Heft 16

Herausgegeben vonPeter Engelmann

Colin Crouch

Der Kampf um dieGlobalisierung

Inhalt

Das Argument in Kürze

Die vier Wellen der Globalisierung

Gewinne und Verluste

Der Mythos der Nation

Die Rückkehr von Konflikten aus dem 18. Jahrhundert

Was nun?

Anmerkungen

Das Argument in Kürze

Ein epischer Kampf zwischen der Globalisierung und dem wiederauflebenden Nationalismus verändert die politischen Konflikte und Identitäten auf der ganzen Welt. Von einer Entwicklung, die uns allen günstigere Produkte aus dem Ausland und neue Exportmöglichkeiten zu versprechen schien, wurde die Globalisierung für viele zum Sinnbild des Verlusts; und dabei geht es nicht nur um den Verlust einzelner Arbeitsplätze, sondern um den Niedergang ganzer traditioneller Industrien sowie jener Gesellschaften und Lebensformen, die mit diesen verbunden sind und in denen sich eine immer größere Verunsicherung ausbreitet angesichts der fremden Bräuche und der großen Zahl von Menschen aus anderen Kulturen, die die vertrauten Orientierungspunkte des Lebens besetzen und zu verfremden drohen. Das daraus resultierende Unbehagen teilen ehemalige Stahlarbeiter aus Frankreich und Amerika – die mit ansehen mussten, wie ihre Industrien und damit die dort ansässigen Gesellschaften verschwanden – mit Deutschen – die von Heimat sprechen und dabei das Gefühl haben, dass dies etwas bezeichnet, was sie verloren haben, ohne jedoch genau zu wissen was –, mit Russen, Briten und Australiern – die ihren untergegangenen Imperien nachtrauern und die Idee ablehnen, dass „Souveränität“ in einer globalisierten Welt geteilt werden muss –, mit Menschen in der islamischen Welt – die sowohl die Invasion amerikanischer und britischer Kampfflugzeuge als auch die der westlichen Kulturen und der freizügigen Sitten befürchten – und mit Menschen überall in Europa und Nordamerika – die entsetzt sind aufgrund vereinzelter Terroranschläge und der Tatsache, dass es in ihren Straßen Frauen gibt, die den hajib tragen. Obwohl die Globalisierung im Kern ökonomische Fragen zu betreffen scheint, zeigt diese Auflistung, dass sie einen noch tieferen Punkt berührt, nämlich den Wunsch der Menschen, auf ihre Lebensumstände stolz sein zu können: auf ihre Arbeit, ihre Gesellschaften, die Städte und Großstädte, in denen sie leben – auf ihre Heimat. Viele Menschen sind noch immer in der Lage, diesen Stolz zu fühlen, weil ihre Gegenden und Regionen von der Globalisierung profitieren konnten; sie haben eine entspannte oder sogar ambitionierte Haltung angesichts der Möglichkeiten, die das Kaleidoskop eines immer vielfältiger werdenden kulturellen Universums ihnen eröffnet. Es gibt aber auch solche, die andere Erfahrungen machen. Auch wenn sie selbst wohlhabend und erfolgreich sind, sehen sie sich mit einer Welt voller beunruhigender Veränderungen konfrontiert und sehnen sich nach Sicherheiten, von denen sie – wahrscheinlich zu Unrecht – glauben, dass es sie in einer früheren Welt gegeben habe.

Im Zuge der erneuten Debatte über den Austritt aus der Europäischen Union (EU), die in Großbritannien nach dem Referendum von 2016 stattfand (denn vor dem Referendum gab es weniger Diskussionen), interviewte die British Broadcasting Cooperation (BBC) einige Menschen in Middlesbrough, einer ehemaligen Industriestadt im Nordosten von England, der es wirtschaftlich sehr schlecht geht und in der größtenteils für den Austritt aus der EU gestimmt wurde. Ein wiederkehrendes Motiv in diesen Interviews waren Aussagen wie: „Wir haben alles verloren, die jungen Leute ziehen von hier weg, weil sie keine Perspektiven für die Zukunft sehen. Aber zumindest wissen wir, dass wir Briten sind, und darauf sind wir stolz.“ Deswegen haben sie für den Austritt aus der EU gestimmt. Diese Argumentationskette folgt zwar keiner Logik im strengen Sinn, aber dafür einer kraftvollen emotionalen Logik. Sie hilft zu begreifen, warum sich im frühen 21. Jahrhundert ein wiedererwachender Nationalismus bei der breiten Masse zur herrschenden Kraft entwickelt.

Aber wir müssen gegen diesen Mangel an exakter Logik vorgehen. Nur mithilfe eines Ausbaus demokratischer Institutionen und Regierungsinstitutionen, die ihrerseits in der Lage sind, global zu operieren, können wir es schaffen, ein gewisses Maß an Kontrolle über eine Welt zu gewinnen, in der sich die gegenseitigen Abhängigkeiten immer weiter verstärken. Diese Aufgabe zu lösen ist an sich schon schwer genug, aber es wird nahezu unmöglich, wenn viele Politiker die Menschen dazu auffordern, das genaue Gegenteil zu tun: sich hinter nationalen Grenzen abzuschotten und den Kontakt zum Rest der Welt auf die Beziehungen zwischen unabhängigen Handelspartnern zu beschränken.

Obwohl der Widerstand gegen die Globalisierung von allen erkennbaren Teilen des politischen Spektrums ausgeht und zugleich von keinem bestimmten, lag seine Führung von jeher fest in den Händen der Rechten. Das ergibt natürlich Sinn, wenn der Träger eines großen Teils dieses Protests der Nationalismus ist, der historisch hauptsächlich, wenn auch keineswegs ausschließlich, mit der politischen Rechten in Verbindung gebracht wird. Aber es gibt dabei eine gewisse Ambiguität. Die ökonomische Globalisierung ist hauptsächlich (wenn auch wiederum nicht ausschließlich) das Projekt des Neoliberalismus, der einige Jahrzehnte lang die herrschende Ideologie einer breiter gefassten modernen Rechten darstellte. Bedeutet dies, dass die Unterschiede zwischen Links und Rechts im Kampf um die Globalisierung keine Bedeutung mehr haben? Oder heißt das, dass nur die Linke bedeutungslos geworden ist und das Feld einem neuen Konflikt zwischen verschiedenen Flügeln jener Ausrichtung überlassen hat, die wir gemeinhin als Rechts bezeichnen?